1918 - 1968 - 2018 WIEVIELE VERSUCHE! · 2018. 8. 23. · 2014 war es, als ich mich über einen...

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ERNST BUSCH GESELLSCHAFT E. V. MITTEILUNGEN 2 | 2018 Ernst Busch-Gesellschaft e.V. www.ernst-busch.net 1918 - 1968 - 2018 WIEVIELE VERSUCHE! Ernst Busch als Richter Azdak im Kaukasischen Kreidekreis, BE 1954; Foto Eva Kemlein, Sammlung Stiftung Stadtmuseum Berlin Dass da gehören soll, was da ist, denen, die für es gut sind, also, die Kinder den Mütterlichen, damit sie gedeihen, den Wagen, den guten Fahrern, damit gut gefahren wird und das Tal den Bewässerern, damit es Frucht bringt. Aus: Bertolt Brecht. Der Kaukasische Kreidekreis.

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  • ERNST BUSCHGESELLSCHAFT E. V.

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    1918 - 1968 - 2018

    WIEVIELE VERSUCHE!

    Ernst Busch als Richter Azdak im Kaukasischen Kreidekreis, BE 1954; Foto Eva Kemlein,Sammlung Stiftung Stadtmuseum Berlin

    Dass da gehören soll, was da ist, denen, die für es gut sind,also,die Kinder den Mütterlichen, damit sie gedeihen, den Wagen, den guten Fahrern, damit gut gefahren wirdund das Tal den Bewässerern, damit es Frucht bringt.

    Aus: Bertolt Brecht. Der Kaukasische Kreidekreis.

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    VERANSTALTUNGEN IM ZWEITEN HALBJAHR 2018

    VERANSTALTUNGEN DER ERNST BUSCH-GESELLSCHAFT

    Donnerstag, 11. Oktober 2018, 18:30 Uhr

    „Dir, Freie Deutsche Jugend, übergeben wir heutediese unsere Lieder. . .“ 27. Mai 1950: Uraufführung des Eisler/Becher-Zyklus' "Neuedeutsche Volkslieder".

    Dr. Jürgen Schebera berichtet überEntstehung und Rezeption der„Neuen deutschen Volkslieder“,akustisch illustriert mit Auszügenaus dem Funk-Mitschnitt der Ur-aufführung (Ernst Busch mit demJugendchor des MitteldeutschenRundfunks) sowie kostbaren O-Tönen von Hanns Eisler und Jo-hannes R. Becher.

    Gemeinsame Veranstaltung mit„Helle Panke" e.V. - Rosa-Luxemburg-Stiftung BerlinKopenhagener Str. 9, 10437 Berlinwww.helle-panke.de

    Mittwoch, 28. November 2018, 18:30 Uhr

    Mitgliederversammlung/WahlversammlungBegegnungsstätte der Volkssolidarität Torstraße 190, 10115 Berlin

    Eine Einladung an alle Mitglieder mit genauen Angaben folgtgesondert!

    VERANSTALTUNGEN BEI ANDEREN

    5. bis 7. September 2018

    UZ-Pressefest in Dortmund – wir sind dabei!www.pressefest.dkp.de

    Donnerstag, 20. September 2018, 20:00 Uhr

    Rezitation von Kafka Texten mit Lennard KörberMusik u.a. Dmitri Schostakowitsch Klavier Heidemarie WiesnerViola Waltraut ElversKlavieratelier RehtmeyerLeonhardtstr. 25, Berlin-Charlottenburg

    Samstag, 29. September 2018, 18:30 Uhr

    Wofür starb Dirk Boonstra/DDR 1990Ich bin Ernst Busch/D 2000Regie: Peter Voigt/Einführung: Dr. Günter AgdeZeughauskino – Deutsches Historisches MuseumUnter den Linden 2, 10117 Berlinwww.dhm.de

    Donnerstag, 22. November 2018, 19:00

    Sagen was istPREMIEREEin neues Rosa-Luxemburg-Novemberrevolutions-Programmmit Gina Pietsch und Frauke PietschJunge Welt Ladengalerie, Torstraße 6, 10119 Berlinwww.ginapietsch.de

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    IMPRESSUM Ernst Busch-Gesellschaft e.V.Präsidium: Dr. Carola Schramm, Peter SchwochPostanschrift: c/o Peter Schwoch,

    Köpenicker Str. 40/41, 10179 BerlinTel. +49-163-7763655E-Mail: [email protected]: www.ernst-busch.netBankverbindung: BIC: GENODEM1GLS

    IBAN: DE42 4306 0967 1138 4652 00

    Redaktionsschluss: 15.08.2018Redaktion: Carola Schramm Layout, Satz, Druck: Irene TomaszewskiCorporate Design: Sascha SchneiderTitelbild: Eva Kemlein Mit freundlicher Genehmigungder Stiftung Stadtmuseum Berlin

    Ernst Busch-Gesellschaft e.V.

    INTERNES

    Die im Dezember 2017 beschlossene Satzungsänderung ist im Vereinsregister eingetragen. Nun können wir im November einen neuen Vorstand wählen. Und: wir haben ein neues Mitglied: Herzlich willkommen Tanja Krienen!

    Notenausgabe 1968. Original der EBG

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    1968 AUF DEM LAND | RONALD PARIS ZUM 85. GEBURTSTAG

    1968 AUF DEM LANDJochen Reibeling

    1968 als Jahr mit seinen Ereignissen ist aufgrund desrunden Geburtstages in viele Köpfe als Erinnerung zu-rückgekehrt. Die Jüngeren erhalten zurzeit medial aufbe-reitete Bilder, die hinsichtlich des Umgangs mit dem Staatbzw. mit der damaligen Gesellschaftsordnung durch ein-zelne Gruppen von Auseinandersetzungen bestimmt war,die heute gleichermaßen als befremdlich wie auch alswünschenswert wahrgenommen werden. Kinder, Kinder– war das damals alles schlimm. So schlimm. Da war Be-wegung drin, endlich hat sich mal jemand getraut, etwas„dagegen“ zu sagen.

    Mit zeitlichem Abstand zum eigenen Geburtsjahr drehtder Autor dieses Textes gerne mal den einen oder anderenStein in seiner Heimat um. Schnell bei der Hand war an-hand der Idee für diesen Text die Eingabe der geplantenÜberschrift im Zusammenhang mit dem 68er Jahr in einegängige Internet-Suchmaschine. Siehe da, es fand sichprompt ein Podcast des Deutschlandfunkes, der genaudarüber informiert.

    Der Vietnamkrieg, eine erstarkende NPD, die Notstands-gesetze – Studentenproteste prägten damals die BRD. DerEinmarsch von Truppen des Warschauer Paktes in die CSSRals Reaktion auf politische Reformbestrebungen hin zueinem „Sozialismus mit menschlichem Antlitz“ wurdenhinter vorgehaltener Hand in der DDR heftig diskutiert.

    Anders als in der DDR schien es auf dem Land in derBRD in der Theorie zumindest möglich zu revoltieren. Die

    Anzahl an Lehrern, Richtern, Polizisten mit dem „Muffvon 1000 Jahren unter den Talaren“ gab es dort auchsicherlich reichlich. Waren es – so sagt es auch der Pod-cast – auf dem Dorfe so zwei, drei Personen, fanden sichzumindest in den Kleinstädten genügend „Unruhestif-ter“, um daraus bis heute existente selbstorganisierte Ju-gendzentren zu schaffen. Den großen Sprung in dieGroßstädte wagten auch manche, tauchten in das Flairvon Frankfurt – oder sehr gewagt und mit zusätzlichemMotiv, sofern männlichen Geschlechtes –, den Sprungnach West-Berlin.

    50 Jahre danach bleibt die Frage, was von all demProtest geblieben ist. Auf dem Land, wie in den großenStädten. Sind wir freier? Gehen wir besser miteinanderum? Sind all die Lehrer*Innen, Richter*Innen und Poli-zist*Innen heute besser? Die, die damals protestierten –revoltierten, sind heute größtenteils im Ruhestand. Wasblieb von ihren Ideen und Idealen, was von den Idolen?

    Schaue ich auf die Prognosen für die Landtagswahl inHessen, sehe ich dort eine stetig erstarkende AFD, diefortschreitende Beschneidung von Bürgerrechten, be-gründet mit Terrorabwehr und nicht enden wollendeStellvertreterkriege weltweit. Nebenschauplätze wie dieVerdrängung durch Hausverkäufe, explodierende Mieten– und einer zuschauenden Kapital-, äh Volksvertretung...

    Ob es mir 2068 gelingen wird, mit Interesse auf dasJahr 2018 zurückzublicken, zu erklären, was „damals“war? Zu erklären, warum ich nicht schweigen wollte?Mich nicht staatlich einengen, mir liebgewonnene Frei-heiten nehmen lassen will?

    KEIN SONNTAGSBILD – RONALD PARIS ZUM 85. GEBURTSTAG

    Am 12. August 2018 ist Ronald Paris 85 Jahre altgeworden. Herzlichen Glückwunsch!

    „In schöner Bonhomie und ziemlicher Ahnungslosig-keit malte ich das, was vor mir saß in äußerster Unruheund ständig seine Bänder vorspielte, wild gestikulierendund natürlich eitel. Davon ließ ich mich beeindrucken, eswar mit meiner Vorstellung von einem revolutionär den-kenden und handelnden Menschen deckungsgleich. Essollte kein „Sonntagsbild“ eines alternden Manneswerden, sondern das Porträt sollte Spuren enthaltenvom realen Spanienkampf, von seinen Rollen im Thea-

    ter, die mir unvergesslich sind, und natürlich von seinenLiedern.“ (R. Paris an J. Elsner, 2005).

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    Ronald Paris, Kreide-Lithografie 1972

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    MAY STATT KÜHL | ALS IM OSTEN „BUSCH-MUSIK“ ERKLANG

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    ALS IM OSTEN „BUSCH-MUSIK“ ERKLANG Tanja Krienen

    Im deutschen Schlagerbereich gibt es viele Kuriositätenund Anekdoten, eine wenig bekannte will ich kurz schil-dern. Zwar ist es offensichtlich, dass Schlagersänger derSpezies Rockmusiker oder „Gangsta-Heroen mit Mikro“intellektuell weit überlegen sind und es gab sogar eineZeit, da Schlager und Kabarett beinahe identisch waren,doch die Symbiose zwischen Politik und Schlager, wie imgegebenen Fall, ist einzigartig.

    2014 war es, als ich mich über einen Neuzugang in mei-ner Schallplattensammlung besonders freute. War der Gip-fel bis dahin „Busch auf Kreisler“, will sagen, ein Fragmentvon Ernst Busch (aus „Der Heilige Krieg“) auf einer GeorgKreisler-Platte (dem Musical „Lola Blau“), so hier nun:

    „Bully und Busch“! – eine 78er Schelllackplatte mit BullyBuhlan, herausgegeben von Ernst Busch auf dem AMIGA-Label.

    Selbst in Aufsätzen, die den Schlagersänger Bully Buhlanals „singende Luftbrücke“ apostrophieren, ist nicht die Rededavon, auf welchem Label seine ersten Aufnahmen, jaselbst das kultigeLied vom Kötzschen-b r o d a - E x p r e s s(deutsche Versionvon ChattanoogaChoo Choo) veröf-fentlicht wurde,nämlich: beim kom-munistischen Sänger und Schauspieler Ernst Busch. Buschgründete bereits in der Emgration während des Spanischen

    MAY STATT KÜHLAlexander Neumann

    Anfang der 1960er Jahre bildeten sich in der Bundes-republik Deutschland auf geistig-kulturellem Gebiet ver-schiedene neue Bewegungen heraus, die an derbestehenden Gesellschaft etwas verbessern wollten.Neben neuen Schriftenreihen, Zeitschriften oder starkenVeränderungen im Filmwesen entstand 1961 der „Verlagpläne GmbH“, der sich alsbald auf die Herausgabe links-orientierter Schallplatten konzentrierte,

    Man begann mit dem 17cm-Format mit jeweils 2 bis6 Liedern, wie es in der ersten Hälfte der 1960er auchvon anderen Firmen genutzt wurde – nicht zuletzt vonErnst Busch mit seiner AURORA-Reihe.

    Die ersten pläne-Veröffentlichungen waren zweiSchallplatten: „Ça ira“ mit Liedern der FranzösischenRevolution, gesungen von Dieter Süverkrüp und insDeutsche übertragen von Gerd Semmer. Darauf folgtenLieder der Ostermarschbewegung.

    Die erste 30-cm-Langspielplatte trug den Titel „Liederdes europäischen Widerstandes gegen den Faschismus“.Sie enthielt eine Zusammenstallung internationaler Liederwie Le Chant De La Libération (Lied der Befreiung) mit AnnaMarly aus Frankreich oder Donner des Olymp von und mitMikis Theodorakis. Deutschland ist mit den Liedern „Spa-niens Himmel“ von Ernst Busch und „Mein Vater wird ge-sucht“ vertreten. Zu diesem 1935 entstandenen Lied lesenwir im LP-Beiheft zu seiner Entstehungsgeschichte:

    „Hans Drach schrieb diesen Text in Dnjepropetrowsk,

    wohin die Agitprop-Gruppe 'Kolonne Links' emigriert warund auf einem Kolchos ein deutsches Theater gegründethatte. Er schickte es an Gerda Kohlmey nach Prag, diedort die 'Freie Deutsche Spielgemeinschaft' leitete.“

    Das Lied wurde zu einem Zeitdokument und fandweite Verbreitung in ganz Europa. Die InterpretenangabeKäte Kühl im LP-Beiheft ist leider fehlerhaft, das wurdeauch in den ersten Nachauflagen nicht korrigiert. Erst dieAuflage von 1971 erhielt die richtige Angabe: Gisela May.

    Anfang des 3. Jahrtausends gab es bei pläne von ver-schiedenen LP Neuveröffentlichungen auf CD, so auch von„Liedern des europäischen Widerstandes“. Leider griff derRedakteur anscheinend zu einer älteren Vorlage, so dassin der CD-Info erneut Käte Kühl angegeben wurde.

    Eine 2007 erschienene Doppel-CD „Hoppla, wir leben“mit einem Querschnitt des Schaffens von Käte Kühl hatdieses Lied ebenfalls übernommen; im Gegensatz zu densonst recht ausführlichen Quellenangaben ist die Angabehierzu recht nebulös.

    Eine CD-Veröffentlichung mit richtiger Interpretenan-gabe findet man im dritten Teil der CD-Sammlung „Dassnichts bleibt, wie es war – 150 Jahre Arbeiter- und Frei-heitslieder“, herausgegeben bei BEAR FAMILY von Dr.Jürgen Schebera.

    Gisela May wird bei der 1961 erfolgten Aufnahme fürdie 17cm-Platte ETERNA 410 019 von dem PianistenSiegfried Stöckigt begleitet.

    Die Plattenfirma pläne beendete 2011 ihr Wirken. Diebetrachtete LP bzw. CD ist aber auf dem Gebrauchtmarktnoch öfters erhältlich.

    Quelle: Youtube

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    WESSEN PLATTE IST DIE PLATTE – TEIL 7

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    Bürgerkrieges die Marke „Lied der Zeit“, unter der dannab 1946 als „ETERNA“ und „AMIGA“ in der „Ostzone“und dann in der DDR produziert ward, ehe auf seineVeranlassung hin der Plattenbetrieb, wenn auch nichtunter ganz glücklichen Umständen, in den VEB Deut-sche Schallplatten überführt wurde.

    Ernst Busch setzte in seinem Verlag zunächst durch,dass mit den Unterhaltungsplatten auch seine politischenLieder verbreitet wurden, weil ein Teil der Nazi- und kriegs-geschädigten Bevölkerung vor allem lediglich auf belang-loses Liedgut ansprach und bei Brecht oder Buschabschaltete. Bully Buhlans Lieder hatten jedoch von Be-ginn an eine gewisse vorzeigbare Qualität, die ihn dannauch zu einem der bekanntesten Nachkriegssänger inganz Deutschland aufsteigen ließ. Jochen Voit schildert inseiner 2010 erschienenen Ernst Busch-Biographie „Errührte an den Schlaf der Welt“ die Problematik, die mitder Verramschung mancher Schellack-Produktion zu die-ser Zeit verbunden war.

    Der Fakt aber, dass der kommunistische Busch, dergrandiose Sänger und Schauspieler, nach dem auch heutenoch völlig zu Recht die bekannteste deutsche Schauspiel-schule (nach wem sonst, etwa Katja Riemann oder TilSchweiger?) benannt ist, einen Großteil der SBZ- undDDR-Unterhaltungsmusik verlegte, ist fast vergessen.

    Jedenfalls war meine Begeisterung so groß wie langenicht mehr, eine klassische Schelllackplatte zu erhalten,auf der ein Song von Bully Buhlan, produziert von ErnstBusch, zu hören ist, nämlich der „Kaloriensong“. So klugmanagte der Busch seine Firma, so pragmatisch war seineKulturpolitik. Es war kein Zufall. Brachten ihm die „ame-rikanischen Anklänge“ später sogar im Formalismusstreit

    Probleme ein, so sollte das Faible für jazzige Elemente –bis hin zum Umgang mit der Eislerschen „Kakophonie“ –nicht verwundern. Bereits Theo Mackeben hatte in der Ur-fassung der „Dreigroschenoper“ heftig gejazzt. AdornosBonmot „ewig stampft die Jazzmaschine“, hätte Buschmit seiner Art weggelächelt (und vielleicht mit „Das sagter, weil er so schnell aus der Puste kommt“ kommentiert).Der Kreis aber schloss sich nun: Auf der Rückseite derBully Buhlan-Platte, man muss sich das einmal vorstellen,erschien in der Sowjetisch Besetzten Zone 1948 Kurt Hen-kels „Alexanders Ragtime Band“!!! So schrieb der freieGeist Busch (seine) Kultur-Geschichte. Wer sonst, hätte dasalles wagen können?

    Tanja Krienen, geboren 1957 in Hagen/Westfalen istgelernte Energieanlagenelektronikerin. Sie absolvierte dieFachschule für Sozialpädagogik und arbeitete viele Jahreals Heimerzieherin, hauptsächlich mit „schwer erziehba-ren Jugendlichen“, seit 1999 „freie Journalistin“ und Au-torin. Veröffentlichungen u.a.: „Die Ausbürgerung, Anfangvom Ende der DDR, Wolf Biermann und andere Autoren“,Ullstein 2001; Mitarbeit an „Georg Kreisler. Doch gefun-den hat man mich nicht“, Atrium-Verlag, 2014; Fackeln inder Dämmerung, „Texte aus vier Jahrzehnten“; Von 2003bis 2005 Herausgeberin des Magazins „Campo de Crip-tana“. Sie interviewte u.a.: Prof. Dr. Irenäus Eibl-Eibesfeldt,Pete Seeger, Regina Halmich, Prof. Ulrich Kutschera, BossHoss, Vera Oelschlegel, Extrabreit, Gerhard Bronner, FranzAlt, Konstantin Wecker, Hans-Christian Ströbele, FranzHohler, Peter Glotz, Die Goldenen Zitronen, Lutz Görner,Rosa von Praunheim, Henning Venske, Jürgen Kessler,Bodo Ramelow, Die Fantastischen Vier, Antje Vollmer u.a.

    WESSEN PLATTE IST DIE PLATTE – TEIL 7WAS DES VOLKES EIGEN IST – MIT TEMPO ZUAMIGACarola Schramm

    „Das Werk ist dein und mein, Volkes eigen, läßt dem Volk uns zeigen, was es heißt, sein eigner Herr zu sein.“(J.R. Becher, Neue deutsche Volkslieder).

    Als sich die Alliierten im Sommer 1945 im PotsdamerSchloss Cecilienhof trafen, beschlossen sie, die National-sozialisten für ihre Verbrechen zur Verantwortung zu zie-

    hen und wirtschaftlich die Kartelle, Trusts und Syndikatezu beseitigen. Ein schwieriges und doch durchsetzbaresUnterfangen, wie die Geschichte gezeigt hat.

    Wie ging das vonstatten und was hat das mit unse-rer Schallplattengeschichte zu tun?

    Der gesellschaftliche Neubeginn in der sowjetischenBesatzungszone war natürlich nicht nur von Direktivender sowjetischen Militärführung geprägt, sondern auchvon Menschen, die im Spannungsfeld der alten undneuen gesellschaftlichen Strukturen auf sehr unter-schiedliche Weise agierten. In der Schallplattenge-schichte der Nachkriegszeit traten mit Ernst Busch undden Otto Stahmanns Personen ins Rampenlicht des Ge-schehens, die in ihren politischen Überzeugungen und

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    WESSEN PLATTE IST DIE PLATTE – TEIL 7

    unternehmerischen Ambitionen nicht gegensätzlicherhätten sein können.

    Auf der einen Seite stand der „Barrikadentauber“Ernst Busch, der alle Höhen und Tiefen des 20. Jahr-hunderts und seiner sozialen Bewegungen miterlebtund mitgestaltet hatte.

    Auf der anderen Seite der Barrikade standen dieSchallplattenfabrikanten Otto Stahmann sen. und OttoStahmann jun., die als leidenschaftliche und geschickteUnternehmer relativ unbeschadet durch den Krieg ge-kommen waren.

    Otto Stahmann sen. war schon seit den 1930er Jahrendurch den preisgünstigen Verkauf von Schellacks mitTanz- und Unterhaltungsmusik der Label Brillant undTempo in Warenhäusern bekannt und vermögend gewor-den. Seit 1940 war seine Firma „Tempo“ Schallplatten-fabrik Inhaber Otto Stahmann in Babelsberg bei Potsdamansässig. Da der Senior während des Dritten Reiches dieNationalsozialisten unterstützt hatte, hielt er sich nachdessen Untergang vorsorglich in den westlichen Besat-zungszonen in gebührlichem Abstand zum sowjetischemEinflussbereich auf.

    Sein Sohn, Otto Stahmann jun., während des Kriegesebenfalls im Schallplattengeschäft tätig, versuchtenach Kriegsende in Babelsberg die verwaiste, jetzt imsowjetischen Sektor liegende Tempo-Fabrik in Gang zusetzten und das Unternehmen seinem Vater abzukau-fen. Die zuständigen deutschen und sowjetischen Stel-len setzten ihn im Mai 1945 als kommissarischen Leiterdes Tempo-Werkes ein. Der Kauf der Fabrik nebst Grundund Boden wurde ihm allerdings verwehrt, denn seinVater hatte diese im Jahre 1938 auf unredliche Weisevon jüdischen Vorbesitzern erworben. Und als Nazi-Ver-mögen wurde die Fabrik schließlich im Herbst 1945aufgrund eines SMAD-Befehls beschlagnahmt. 1

    Der Sohn erhob Einspruch: Der Befehl könne allen-falls seinem Vater gelten, nicht aber ihm, dem Sohn,der politisch unbescholten sei. Der Einspruch war zwarvergebens, dennoch wurde der Junior nicht müde, wieein Eigentümer in die Fabrik zu investieren. Sein Geba-ren blieb dubios und undurchsichtig, doch die unsi-chere Rechtslage der Nachkriegszeit begünstigte somanche Geschäftsidee. Stahmann jun. jedenfalls ver-wertete Material und Matrizen aus der beschlagnahm-ten Fabrik, produzierte bis zum Frühjahr 1946 unterdem Label Tempo Elite und versorgte Plattenläden undsowjetische Militäradministration mit leichter Muse,dem „Zauber“ aus väterlichem Matrizenvorrat.

    Auf diese Weise konnte er in den ersten Nachkriegs-monaten rund 400.000 Platten verkaufen und einenfür die schwierige Nachkriegszeit doch beachtlichenGewinn verzeichnen. Und dank der Vorausschau seinesVaters, der schon während des Krieges Material undauch Maschinenteile vor Bomben sicher auf dem Landuntergebracht hatte, konnte nun auch der Sohn auf einreichhaltiges Materialreservoir zugreifen. Sein Glückwar von kurzer Dauer.

    Im Gefolge eines zerstörerischen Krieges fallen dieangerichteten Zerstörungen oft auf die Zerstörer undihre Verhältnisse selbst zurück. Mit der Fabrik seinesVaters und der im Februar 1946 ihm erteilten sowjeti-schen Lizenz hatte Stahmann jun. gehofft, ein für ihngewinnbringendes Unternehmen zu etablieren. 2 DasKonzept ging nicht auf, denn die Verhältnisse in der SBZwaren nicht auf die Restaurierung der alten Zuständegerichtet. So wurde die Tempo-Fabrik bald zu einemUnternehmen zwischen den Zeiten, dessen Struktursich wie die grundsätzlich verändernden politischenVerhältnisse radikal wandelte.

    Zunächst wurde das Tempo-Werk im April 1946durch die SMAD demontiert. Die Versuche Stahmanns,die Demontage zu stoppen, schlugen freilich fehl. Diesowjetische Besatzungsmacht forderte kompromisslosihre Reparationen ein und sie hatte angesichts des ver-nichtenden faschistischen Feldzuges in der Sowjet-union allen Grund dazu.

    Im Juli 1946 war der Abtransport eines Großteils vonMaschinen und Material beendet. Stahmann jun. gingnun davon aus, dass er das verbliebene Vermögen fürsich nutzen könne. Doch auch das restliche väterlicheVermögen wurde beschlagnahmt und Stahmann sen.endgültig enteignet. Der Sohn hatte keinerlei Ansprü-

    „Zauber der Südsee“. Etikett mit Eignerstempel des sowjetischen „KaufhausZentral-Univermag Potsdam. Brandenburgische Straße 30“

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    WESSEN PLATTE IST DIE PLATTE – TEIL 7

    che auf das väterliche Eigentum. Jetzt war die Provin-zialregierung Brandenburg über die Tempo-Fabrik ver-fügungsberechtigt. 3

    Es war ein schmerzhafter und radikaler Prozess beider Beseitigung alter Eigentumsstrukturen und ein wi-derspruchs-, aber auch hoffnungsvoller Prozess fürjene, deren Ziel ein neues Gemeinwesen war.

    Stahmann jun. aber wollte Unternehmer sein und blei-ben. Er ignorierte die Aufforderung der sowjetischen Kul-turadministration zur Rückgabe seiner Lizenz undversuchte sich als eigenständiger Schallplattenfabrikant.

    So schloss er am 1. August 1946 mit der Pressfabrikder Firma Kybarth & Söhne K.G. im sächsischen Ehren-friedersdorf einen Pachtvertrag und ließ auch gleich dievermeintlich ihm gehörenden Tempo-Matrizen ins Erz-gebirge schaffen.

    Zeitgleich gelang ihm der Abschluss eines weiterenPachtvertrages mit der Stadt Potsdam und mit dem fürdie Tempo-Fabrik eingesetzten Treuhänder. 4

    So sah es für Stahmann jun. doch noch danach aus, derTempo-Fabrik über Umwege habhaft werden zu können.Nach außen hin firmierte er jetzt unter Nutzung der vä-terlichen Briefbögen unter „Neue Tempo-Schallplattenfa-brik Otto Stahmann jun.“

    Er legte im Oktober 1946 sogar noch ein eigenesPlattenkonzept unter dem Label Metrophon, vor allemzur Produktion von Operettenmelodien, vor.

    Aus dem Plan des Juniors wurde nichts, jedenfallsnicht in Babelsberg. Die sowjetische Kulturadministra-tion sicherte das Material in Babelsberg und Ehrenfrie-dersdorf, indem sie es erneut beschlagnahmte und derProvinz Brandenburg übergab.

    Die Provinzialregierung wiederum verschaffte ErnstBusch und seinem Verlag endlich eine Fabrik, indem sieim März 1947 mit der kurz zuvor gegründeten Lied derZeit Schallplatten GmbH einen Pachtvertrag schloss.Lied der Zeit wurde zum Pächter, aber nicht zum Fabri-keigentümer oder Grundbesitzer. Die Provinz Branden-burg war und blieb verfügungsberechtigt über dieFabrik nebst Grund und Boden.

    Mit der nun volkseigenen Tempo-Fabrik wurden dieProbleme allerdings nicht kleiner, sondern nur anders.Nach der sowjetischen Demontage stand Lied der Zeitohne Maschinen da, übrigens auch ohne die uner-schöpflichen Finanzquellen des Stahmann jun., derbald im amerikanischen Sektor Berlins seine Metro-phon-Idee verwirklichte.

    Um überhaupt produzieren zu können, trat Lied derZeit im Januar 1947 in den Pachtvertrag mit der FirmaKybarth in Ehrenfriedersdorf ein. Das Presswerk warfunktionstüchtig und beherbergte Matrizen von Tempound anderen Labels, auch mit klassischer Musik. ZurVerwendung dieser Matrizen besaß Lied der Zeit aller-dings noch keine Lizenz. Ernst Busch wandte sich miteinem glücklichen Einfall an die sowjetische Kulturad-ministration: Die bestehende Lizenz möge für neue Pro-duktions-Marken, und zwar ETERNA-Meisterklänge(klassische Musik) und AMIGA (Tanz- u. Unterhaltungs-musik) erweitert werden. Hauptmann Barski schriebprompt zurück: „Die Herstellung wird genehmigt“ 6.Die ersten Amiga-Scheiben mit dem bordeauxroten Eti-kett waren Neupressungen alter Tempo-Matrizen. Üb-rigens hat Lied der Zeit die Tempo-Matrizen nichtgeräubert, sondern an Otto Stahmann jun. nachweis-bar Nutzungsgebühren gezahlt. 7

    Mühevoll war der Aufbruch. Was ist geblieben vom Ei-gentum des Volkes und was vom Frieden? Was blieb vonAMIGA, was von ETERNA? So viele Fragen, so viele Be-richte.

    Fortsetzung mit „Der Revoluzzer auf ETERNA“

    Briefkopf „Neue Tempo….jun.“

    Pachtvertrag Provinz Brandenburg und Lied der Zeit GmbH vom 13.2.1947 5

    1 Befehl SMAD 124/45 v. 30.10.19452 Brief Stahmann an SMAD 4.11.1946, Archiv Kybarth.3 Brandenburgisches Landeshauptarchiv (BLHA) Rep. 206 MfWA

    Nr. 7804 Pachtvertrag Kybarth 1.8.1946, Archiv Kybarth/Pachtvertrag

    1.9.1946 Stadt Potsdam, BLHA Rep. 206 MfWA Nr. 7805 BLHA Rep. 206 MfWA Nr. 2476 Genehmigung v. 22.1.1947, AdK EB Archiv 13287 Wirtschaftsprüfungsbericht 1951/52 für die Jahre 1947-51 der

    Firma „Lied der Zeit Schallplatten GmbH“, Deutsches Rundfunk-archiv, DRA F 209-00-00/0027

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    ERNST BUSCH IN PROMNITZ | KANN ENTWICKELTE KUNST DIE MASSEN ERGREIFEN?

    ERNST BUSCH IN PROMNITZ Irene Tomaszewski

    Schloss Promnitz bei Riesa an der Elbe. Ein altes Ge-mäuer in einem desolaten Zustand, aber mit interessanterGeschichte. Ein Kulturverein kümmert sich zusammen miteiner gemeinnützigen GmbH sehr engagiert um den Er-halt und Wiederaufbau des in malerischer Umgebung di-rekt am Elbufer gelegenen Schlosses.

    1945. Alles ist im Um- und Aufbruch. In Schloss Promnitzfinden viele Flüchtlingsfamilien ein vorübergehendes Zu-hause. Der Hauch dieser Aufbruchzeit weht heute immernoch in den alten Gemäuern, denn zu LPG-Zeiten erfolgtekeine Renovierung. Daher ein nicht unpassender Ort also,um einen Vortrag zum Aufbau der Schallplattenproduktionim Osten Deutschlands nach 1945 zu halten, da 1946 ErnstBusch die Lizenz zur Gründung von „Lied der Zeit‟ erhielt.

    Als Ernst-Busch-Verehrerin von Kindesbeinen an undMitglied der Ernst Busch-Gesellschaft e.V. lud ich Carola

    Schramm ein, ihren nach akribischen Recherchen mit vielLiebe und Engagement erarbeiteten Vortrag auf SchlossPromnitz zu halten. Es erschien zwar kein sehr zahlreiches– was nicht anders zu erwarten war –, aber dafür ein sehrinteressiertes Publikum. Als das Lied „Die Thälmannko-lonne‟ erklang, sangen es viele mit!

    Danke, liebe Frau Dr. Schramm, dass Sie den Weg vonBerlin nach Riesa nicht gescheut haben.

    Vielleicht kann man diese Vortragsreihe (die es ja ei-gentlich ist) im nächsten Jahr fortsetzen.

    KANN ENTWICKELTE KUNST DIE MASSEN ERGREIFEN? Christa Labahn und Daniel Selke

    Hanns Eisler – am 22. April 2018 fand mit Blick auf seinen120. Geburtstag ein außerordentlich wirkungsvolles Konzertstatt. Fünf Chöre stellten sich im Kammermusiksaal der Phil-harmonie dem Thema „Diese Welt wolln wir uns mal vonnah besehn“: aus Belgien der Brussels Brecht-Eislerkoor, di-rigiert von Lieve Franssen, und aus Berlin der Erich Fried Chormit Andreas Bunckenburg und Maria Haupert, der Ernst-Busch-Chor mit Daniel Selke, der Hans Beimler Chor mit Jo-hannes Gall und der hardChor „ELLA“ mit Bettina Kurella.

    Der Eisler-Spezialist Jürgen Schebera moderierte ge-konnt und stimmte mit seiner Hommage auf das zu er-wartende Programm ein.

    175 Sängerinnen und Sängern orientierten mit dem „Vor-spruch“ op. 13.1. darauf: es geht nicht um geistliche Liederoder einfache romantische Volksweisen sondern „Unser Sin-gen muss ein Kämpfen sein! Wacht auf, Verdammte dieserErde“ – und folgten damit dem Credo Hanns Eislers.

    Der Ernst-Busch-Chor eröffnete im ersten Konzertteildie Vorstellungen der beteiligten Chöre und erinnerte mitdem Lied „Ernst Busch hat den Frieden besungen“, andie lebenslang bestehende Freundschaft seines Namens-gebers mit dem Komponisten. Nach dem „Lidicelied“und dem „Wunderland“ sangen die Brüsseler auf Nie-derländisch Lieder aus Bühnenstücken, u. a. Vertonungen

    von Gorkis „Die Mutter“. Lieder aus der SchaffenszeitEislers Ende der 1920gerJahre intonierte der Hans Beim-ler Chor. Der Erich-Fried-Chor und der hardChor ELLA wid-meten sich dem Woodburry und Hollywood-Liederbuchund stellten den Bezug zur Aktualität u. a. mit dem LiedGerhard Gundermanns „Die schwarze Galeere“ her –dieses Lied gehört zu ihren Lieblingsliedern, wenn sie oftgemeinsam auftreten.

    Im zweiten Teil des Konzerts erklangen aus dem Blockaller Sänger*innen heraus in unterschiedlichen Chor-Kombinationen bekannte Kampf- und MassenliederEislers, „Das Lied über den Frieden“, besser bekannt als„Krieg ist kein Gesetz der Natur“ – vorgetragen vonErnst-Busch-Chor und Hans-Beimler Chor, oder Liederaus dem berühmten und umstrittenen Lehrstück „DieMaßnahme", gesungen von vier Chören und dem Solis-ten Karim aus Brüssel. Der Konzerttitel stammte aus demLied „Auf den Straßen zu singen“, vorgetragen von dreiChören und Schlagzeug.

    Das Publikum im Kammermusiksaal „tobte“ bei denMassengesängen aller Beteiligten, bei „Ferner streiken50000 Holzarbeiter“ oder zum Abschluss beim „Solida-ritätslied“, am Flügel und vom Schlagzeug begleitet, ge-sungen in Deutsch, Französisch, Niederländisch undEnglisch, sowie bei der Zugabe gemeinsam mit dem Pu-blikum „Anmut sparet nicht noch Mühe“ – ein Konzertganz im Sinne Hanns Eislers.

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