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# 198 1. April 2011 DASGR O SSEBRAV O- INTERVIEW! MIT PHILIPP JESSEN Absolut April- scherz-frei. Ehrlich! Die Tatjana- Gsell- Partei Oliver Stolle Clint Eastwood VS. SPON: 1 Mrd. Klicks SPON: 1 Mrd. Klicks

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Magazin für Medienmacher

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#1981. April 2011

Das Grosse Bravo-IntervIew!MIt phIlIpp jessen

Absolut April-scherz-frei. Ehrlich!

Die Tatjana-Gsell-Partei

Oliver Stolle

Clint Eastwood

VS.

SPON: 1 Mrd.Klicks

SPON: 1 Mrd.Klicks

Schumacher!2

KolumneV.i.S.d.P.-Herausgeber Hajo Schumacher über das überkommene Politikverständnis der Westerwelle-FDP

Tatjana Gsell und ihre Kolleginnen aus den Niederungen des Boulevards haben die gesellschaftliche Maskerade zu völliger Transparenz getrieben. Das Publikum weiß: Nichts ist echt. Fin-gernägel, Brüste, Lächeln, jeder Satz signalisiert Blendwerk, das den Abend nicht überlebt. Ist ja auch egal. Der inszenierungskundige Bürger nimmt ohnehin nichts ernst. Show um der Show willen. Allein der naheliegendste Gedanke zählt, eine Minute später ver-gessen.

Unter Guido Westerwelle ist die FDP zur Tatjana-Gsell-Partei geworden. Selbst der wohlwollendste Beobachter,

der verzweifelt nach Resten des guten alten Liberalismus fahndet, erstarrt in Verzweiflung. Selten in über 60 Jahren bundesdeutscher Demokratie hat eine Partei ihre Leere derart offenbart und so schlecht zu überspielen vermocht. Kaum ein zentrales Politikfeld, auf dem die FDP seit Koalitionsbeginn einen Hauch von Haltung gezeigt hätte. Nur an der spendenverdächtigen Möven-pick-Steuer hielt man tapfer fest.

Tief erschüttert verließ ein Präside am Montag das oberste Parteigremium und stöhnte leise, dass Guido Wester-welle und seine Getreuen nur einen Maßstab für politische Entscheidun-

Die Tatjana-Gsell-Partei

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gen hätten: www.spiegel.de. Genauso wirkt die liberale Eierei – wie eine Endlos-Schleife aus dem Moment gebo-rener Einfälle. Pubertierende Twitter-Politik, die keine Laune auslässt.

Das blinde Starren auf die vermeint-liche öffentliche Meinung entspringt aus Westerwelles Trauma, dass die anderen es eigentlich besser können. Sozialisiert in der späten Kohl-Zeit musste der ADS-verdächtige Hoffnungs-träger hilflos wie fasziniert mit anse-hen, wie vergleichsweise sicher der eigentlich haltungslose 68er agierte. Schröder und Fischer besaßen ein Mini-mum an historischer Sensibilität und

vier ziemlich dicke Cojones: Den grü-nen Sündenfall, die Beteiligung am Bosnien-Einsatz, erklärte Fischer mit der deutschen Verantwortung, dass es nie wieder ein Auschwitz geben dürfe. Beim Irak-Krieg (Fischer: „I´m not con-vinced!“) wiederum nicht mitzuma-chen, erwies sich als historisch richtige Entscheidung, zumal das UN-Mandat fehlte.

Die Westerwelle-FDP ist die einzige deutsche Partei, die in großen Themen eine doppelte Haltung durch die Par-lamente trägt: Während auch die deut-schen Liberalen im EU-Parlament die Flugverbotszone begrüßten, war die

“Pubertierende Twitter-Politik, die keine

Laune auslässt.

Schumacher! 5

FDP im Bundestag lieber dagegen. Wäh-rend die Brüsseler Liberalen eine wei-tere Aufstockung des EU-Rettungsfonds kritisierten, stimmte der Berliner Akkla-mationstrupp artig mit der Kanzlerin.

Westerwelle agiert nach den poli-tischen Marketingregeln der späten 90er Jahre, als man davon ausging, die Medien nach Belieben steuern zu kön-nen: fix mal Themen besetzen, immer als Erster krakeelen, schon eine Stunde vor Schließung der Wahllokale per SMS verbreiten lassen, dass an Rück-tritt nicht gedacht wird. Und auf jede digitale Tartaren-Meldung ganz fix eine PK. Anstatt der Kanzlerin einmal kurz und sachlich mitzuteilen, dass die FDP nicht jeden im Kanzleramt ausgeheck-ten Schwenk mitmache, um dafür hin-terher auch noch bitter zu bezahlen. Dafür fehlt dem hierarchiehörigen Westerwelle die Kühnheit eines 68ers.

Schon merkwürdig, dass ausgerech-net zwei tiefenentschleunigte Anti-Westerwelles die denkwürdigsten

Wahlsiege der letzten Jahre eingefah-ren haben: Olaf Scholz und Winfried Kretschmann – ruhig, gelassen, selbst-bewusst.

Die gröbste Fehleinschätzung wäre es, Guido Westerwelle für einen Ver-treter von irgendetwas Jungem oder Neuem zu halten. Das Gegenteil stimmt: Er ist einer der letzten, die immer noch glauben, der Wähler würde auf platt-füßige Adhoc-Inszenierungen herein-fallen so wie Mappus oder einst Beck-stein, die sich mit säuerlich dreinblickenden Gattinnen total privat für Gesellschaftsblätter fotografieren ließen. Ziemlich Nineties. Das Tempo der digitalen Kommunikation und die Trägheit effektgetriebener Operetten-politik sind beim besten Willen nicht zu synchronisieren. Nur Echtheit zählt. Eine Tatjana-Gsell-Partei dagegen schafft sich automatisch ganz von alleine ab.

update„Das wird teuer, aberdas ZDF wird deshalb nicht pleite gehen.“

Traumschiff-Produzent Wolfgang Rade-mann muss eine Folge aus Katastrophen-gründen in ein anderes Land verlegen. “Ob die nun in Japan spielen oder in Bali, macht nichts aus”, findet er.

Fotos: SAT.1, R

TL, SPD

FREITAG: SAT.1 setzt nach 17 Jahren seinen Klassiker “Nur die Liebe zählt” ab. Moderator Kai Pflaume ist inzwischen zur ARD desertiert.

SAMSTAG: Zu einer Autogrammstunde der DSDS-Kandidaten kom-men statt der erwarteten 5.000 Fans viermal so viele. Es kommt zur Mas-senpanik, 60 Menschen werden verletzt.

DIENSTAG: Die Nachrichtenagenturen DPA und DAPD beenden vor dem Landgericht Berlin eine Schlammschlacht, bei der sie sich gegenseitig mit Klagen überhäuft hatten. Es soll nun wieder sportlich zugehen.

MITTWOCH: Die ARD beendet aus Kosten-gründen die Satellitenübertragung seines Programms nach Afghanistan. Stattdessen darf der Bundeswehrsender BW-TV nun ARD-Nachrichtensendungen und -Sportübertragungen nutzen. BILD und Beck (Kurt) sind empört.

DONNERSTAG: Nach Infor-mationen der SÜDDEUTSCHEN verliert die FRANKFURTER RUNDSCHAU ihre Eigenständigkeit vollständig. Überregionales kommt bald ausschließlich von der “DuMont Redaktion-sgemeinschaft” in Berlin. 40 bis 50 Stellen sollen eingespart werden.

Das Tagebuch

soll “Mad Men”-Produzent und Er-finder Matthew Weiner verlan-gen, damit die Se-rie weitergeht. Der Sender AMC zögert noch. Das ist un-verantwortlich. Gebt dem Mann endlich sein Geld. Wir warten!

30 Mio. $

update 7

alan RuS-bRidgeRweil der GUARDIAN- Chefredakteur mit einer Redaktionsband deen Radio-head-Song “Creep” gecovert hat, nachdem die Band eine eigene Zeitung heraus-brachte. Kurt Kister an der Lead-Gitarre? Das wär was.

HugoCHavezweil sich der Gaddafi-Freund gerade den „Rodolfo-Walsh-Preis“ der Fakultät für Jour-nalismus der Universität La Plata, Argentinien, hat verlei-hen lassen. Venezuelas Platz im Pressefreiheitsranking von Reporter ohne Grenzen: 133 von 178.

Gewinner

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Lieber Kurt Felix, Sie sind auch mit 70

Jahren noch der niedlichste Moderator

überhaupt. Ihr “Verstehen Sie Spaß?”

war goldenes Fernsehen. Paola, Karl

Dall, dieser Vogel und die versteckte

Kamera – es wird wohl nie mehr so herz-

lich und nett im Fernsehen zugehen.

Glückwunsch zum Geburtstag!

VerliererLiebling der Woche30 Mio. $

update8

Herr Ditz, wie haben sich die Katastrophe in Fukushima und der Bürgerkrieg in Libyen auf ihre Besuchszahlen ausgewirkt?

Wir haben massive Zuwächse – die unsere Wettbewerber allerdings auch haben dürften. Im vergangenen Monat hat-ten wir einfach eine ganz große Nachrich-tenlage. Fukushima, aber auch die arabische Revolution, wurde in erster Linie über elek-tronische Medien berichtet und konsumiert.

Wie groß war der Ausschlag nach oben?Wir haben erfreulicherweise

relativ mehr Visits gewonnen als Page Impres-sions. Bei den PIs haben wir im März zum ersten Mal die Milliardengrenze durchbro-chen, und zwar deutlich. Ich glaube, dass viele Leser sehr häufig auf unsere Seite gekom-men sind, die einfach wissen wollten, ob etwas passiert und was passiert ist. Das sind Ereignisse, die die ganze Welt interessieren. Die Menschen wollen alles erfahren und zwar möglichst schnell und sofort. Dafür ist Online das perfekte Medium.

Welche Rolle haben Nachrichtenticker dabei gespielt, die Sie fast rund um die Uhr eingesetzt haben?

Zwei Dinge waren wichtig: Zum einen möglichst schnell die Nachrich-tenlage zu transportieren – was wissen wir gerade, was passiert gerade? Auf der ande-ren Seite wollten wir möglichst viel Hinter-grund schaffen. Die Nachricht allein half in dieser sehr undurchsichtigen Lagen – das gilt nicht nur für Japan, sondern auch für Libyen – nur bedingt weiter. Wir haben unseren Lesern möglichst schnell erklärt, wie wir die Lage einschätzen und wie zu diesem Zeitpunkt unser Erkenntnisstand ist. Das geht natürlich nicht in einem News-ticker.

Alles, sofortWird Fukushima als das Ereignis in die Medien-Geschichte

eingehen, bei dem journalistische Internet-Seiten zum ersten Mal den alten Medien das Wasser abgegraben haben? SPIEGEL-ONLINE-Chefredakteur Rüdiger Ditz über

Milliardenrekorde, Großlagen und lange Tickernächte

update 9

Zwischendurch haben Sie dann ein neues Aufmacher-Format eingeführt. War das lang geplant, oder war das eine Reaktion auf die News-Lage?

Ein bisschen Vorlauf braucht man für so etwas, aber wir haben die Umset-zung dann beschleunigt. Das Layout ist dafür gedacht, Großlagen auch visuell mehr Gewicht zu geben. Dann gab es auf einmal diese Groß-lagen. Im Moment üben wir noch ein biss-chen, wann die richtige Geschichte und das richtige Bild für dieses breite Format geeig-net sind.

Die übliche Interpretation der Arbeitsteilung zwischen alten und neuen Medien war immer: Online ist für News zuständig, die Hintergründe finden in den gedruckten Blättern statt. Suchen die Leser Hintergrund, Analyse und Erklären nun auch zuerst bei Ihnen?

Beim 11. Septem-ber 2001, dem ersten großen Erweckungserlebnis der Online-Nutzung, war unsere Redaktion einfach viel kleiner. Da ging es fast nur um News. Auch wäh-rend des Tsunamis im Indischen Ozean waren alle Online-Redak-tionen längst noch nicht so groß wie heute. Jetzt haben wir eine Professionalität erreicht, die es uns erlaubt, nicht nur aus den Agenturen Copy and Paste zu machen oder sie intelligent zusammenzuschreiben, sondern viele Redakteure darauf anzu-setzen. Da hat unsere vergleichs-weise große und hochprofessi-onelle Online-Redaktion einfach einen Vorsprung.

Dennoch mussten die Kollegen ziemlich viel arbeiten in den letzten Wochen.

Klar, direkt nach dem Erdbe-ben und dem Gau in Fukushima haben wir fast drei Wochen lang rund um die Uhr gear-beitet.

Werden Sie nun mehr Leute einstellen?Wir sind wirtschaftlich erstaun-

lich gut aus dem vergangenen Jahr gekom-men und unsere Prognosen für dieses Jahr sind auch sehr gut. Insofern werden wir sicher ausbauen.

ANZEIGE

leuteFotos: V

HB, M

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G, SÜ

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Das HANDELSBLATT verliert nach dem Online-Chef nun seinen Vize-Chefredak-teur. Hermann-Josef Knipper wechselt als Kommunikationschef zum Versiche-rungskonzern Allianz.

Bernd Ernemann ist neuer Chefredakteur der Regionalausgaben des MÜNCHNER MERKUR. Markus Knall übernimmt Ernemanns alten Posten als Online-Chef von MERKUR und TZ.

Rena Lehmann ist neue Berlin-Korrespon-dentin der RHEIN-ZEITUNG.

Hans-Jörg Wiedenhaus gibt Ende nächs-ten Jahres seinen Posten als Chefredakteur der SÜDWEST PRESSE auf.

Oliver Stolle, bisher NEON-Textchef, rückt zum stellvertretenden Chefredakteur bei NEON und NIDO auf. Neuer Textchef wird Marc Schürmann.

DIE WECHSEl DER WOCHE

leute 11

HigH noon at midnigHt Das ZDF zeigt ab morgen immer am ersten Sams-

tag des Monats einen Western. Clint Eastwood

reitet in „Sinola“ als erster wortkarg in die Nacht.

Das ist wohl das neue ZDF: Ehre, Einsamkeit und

Epos statt Fun, Fantasy und Forsthaus Falkenau.

liebe, Sex12

& atomausstieg 13

Herr Jessen, die Überraschung über den DSDS-Auflauf zeigt, dass die Jugendlichen sehr schwer einzu-schätzen sind. Haben wir ein Kom-munikationsproblem zwischen den Generationen?

Es gibt riesige Kom-munikationsprobleme. Medien und Politik sprechen über Jugendliche von oben herab, aus der Vogelpers-pektive, oder versuchen sich anzu-biedern. Niemand redet mit Jugend-lichen auf Augenhöhe – außer BRAVO.

Wie verschaffen Sie sich ein Gefühl für die Stimmungslage dieser Gene-ration?

Zunächst gibt es neben der Marktforschung eine enge Bin-dung über das Internet. Ich muss

manchmal schmunzeln über Chef-redakteure, die bekannt geben, sie seien jetzt bei Facebook. Das ist ja so, als hätte man vor 15 Jahren den Agenturen mitgeteilt, dass man sich ein Handy gekauft hat. Ich kommu-niziere den ganzen Tag über meine Facebook-Chefredakteursseite mit der Zielgruppe. Innerhalb weniger Monate habe ich knapp 4000 Freunde gesammelt und veranstalte jeden Montag um 16 Uhr eine Themen-konferenz dort. Der beste Vorschlag schafft es ins Heft – mit Autorenzeile des Lesers. Pro Themenkonferenz bekomme ich mehr als 1000 The-menvorschläge – der Wahnsinn. Außerdem laden wir regelmäßig Leser in die Redaktion ein und haben einen agilen Leserservice, der jedes Gespräch annimmt und jede Mail

Als am vergangenen Wochenende 19.000 Jugendliche das Centro in Oberhausen stürmten, um die Kandidaten von “Deut-schland sucht den Superstar” zu sehen, war der Veranstalter RTL völlig überra-scht. Verstehen die Medien die Jugendli-chen nicht mehr? BRAVO- Chefredakteur Philipp Jessen über Kom-munikations-probleme, Rückenmark-schwund durch Onanieren und die Geheim-nisse der anspruchsvollsten Zielgruppe von allen.

interview: Sebastian esser

liebe, Sex14

sofort beantwortet und uns über die beliebtesten Stars informiert. Aber an erster Stelle haben wir eine tolle, junge Redaktion, die BRAVO lebt und liebt.

Vor zwei Wochen hatte BRAVO ein “Atomkraft, nein danke”-Poster im Heft – wie haben Sie den Eindruck gewonnen, dass Ihren Lesern dieses politische Thema wichtig ist?

Mich freut einerseits die Aufmerksamkeit, andererseits ärgert sie mich auch. Die Jugend war immer engagiert, es hört ihr nur leider fast niemand zu. Wir bekom-men immer den gleichen Tenor: Ich möchte helfen, wie geht das? Es gibt niemanden, der ihnen zeigt, wie man sich engagiert. Sie wollen näm-lich nicht mehr zur Freiwilligen Feuerwehr oder zu den großen poli-tischen Parteien. Sie wollen direkt und dynamisch projektbezogen hel-fen. Aber diese Motivation verpufft. Das ist eine Schande, denn später sitzen die Leute dann in der Uni rum, trinken Latte Macchiato und küm-mern sich nur um ihre eigenen Befindlichkeiten. Deswegen haben wir lange vor Japan die Aktion „Mach was!“ gestartet.

Die Leute erzählen Ihnen wahr-scheinlich oft von ihrer eigenen BRAVO-Phase und wundern sich, wie viel sich verändert hat. Früher ging es in meiner Erinnerung immer um Pop, um Musik. Das ist heute anders, oder?

Nein, Pop ist nicht tot. Meine erste Platte war Michael Jack-son, „Bad“, für 20 zusammengesparte Mark bei Karstadt – weil ich ein Lied gut fand. Zur Platte gehörte eine Hülle. Der Star war dadurch auch ein haptisches Erlebnis. Heute ver-fällt man keinem Künstler mehr auf die gleiche Weise. „Best-of-Men-talität“ hat das ein Jugendforscher neulich genannt. Eine zweite Ver-änderung: Jugendliche trennen heute mehr zwischen Mensch und Werk. Ich lese oft: Lady Gaga – die Musik ist super, aber ich hasse sie. Das ist ein Unterschied zu früher. Trotz-dem: Ein echter Star setzt sich immer durch.

Sex war immer ein wichtiger Grund, BRAVO zu lesen. Wo sind die nack-ten Teenager hin? Hat sich BRAVO in Sachen Liebe, Sex und Zärtlich-keit geändert?

Nein, Dr. Sommer ist Dr. Sommer geblieben. Die Gesell-schaft hat sich gewandelt, von prüde zu etwas exibitionistisch. Dr. Som-mer reguliert das. Seine Aufgabe ist es zu sagen: Du bist okay. Wenn einem früher die Eltern erzählt haben, durch Onanieren bekommst du Rückenmarkschwund, hat Dr. Som-mer gesagt: Nein, das ist in Ordnung, Du bist okay so wie Du bist. Die Jugend ist heute keineswegs über-sexualisiert, wie immer behauptet wird, sie ist keine „Generation Porno“. Es gibt natürlich ein Überangebot an Sex und retuschierten Fotos. Die Fo

tos:

Baue

r Ver

lag

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Fragen sind darum heute zum Bei-spiel: Muss ich rasiert sein? Da sagt Dr. Sommer immer noch: Nein, das musst Du nicht. Du bist okay so wie Du bist.

Was ist die besondere Herausforde-rung beim BRAVO-Machen?

Die Zielgruppe ist viel heterogener als anderswo. Ein 12-jäh-riges Mädchen hat unter Umständen mit einem 13-jährigem Mädchen rein gar nichts zu tun. BRAVOs Kernzielgruppe ist 12 bis 16, Durch-schnitt ist 13,7. Die alle zu bedienen, Jungs und Mädchen, das ist der Anspruch.

Ist das Layout deswegen so klein-teilig, weil man so viel Verschiede-nes reinpacken muss?

Das ist nicht der Grund der Kleinteiligkeit. Für unsere Leser ist 1,40 Euro ein großer Teil ihres Taschengeldes, und dafür erwar-ten sie viel. Zu Recht! Wenn der Lieblingsstar nicht drin ist, sind sie

enttäuscht. Zu Recht! Und: Ein Jugendmagazin muss eine eigene Welt sein. Das Schlimmste, was passieren kann, wäre, dass Erwachsene diese Welt verstehen oder gar cool finden. Das ist ein optischer Code, der Eltern ausschließt.

Sie müssen sich als Chef-redakteur in diese Welt hineinbe-geben, die gleichen Sendungen schauen und die gleiche Musik hören.

Klar, anders funktio-niert das nicht. Alles andere wäre auch zynisch. Wenn man diese Sachen nicht versteht und auch nicht gut findet, kann und sollte man BRAVO nicht machen.

„Glee“ ist natürlich eine gute Serie, aber zu „iCarly“ zum Beispiel finde ich persönlich schwer einen Bezug.

„Glee“ ist anderswo auf der Welt keine Jugendserie, son-dern einfach eine fantastische Sen-dung, die wie die „Simpsons“ auf zwei Ebenen funktioniert, für Eltern genauso und wie für ihre Kinder. Zusammen mit SUPER RTL haben wir das Thema für unsere Zielgruppe gesetzt. Eine Serie wie „iCarly“ würde ich mir normalerweise nicht privat ansehen, aber als BRAVO-Chefre-dakteur interessiert mich, warum unsere Leser sie gucken. Ich möchte verstehen: Warum ist die Hauptdar-

Wenn einem früher die Eltern erzählt haben, durch Onanieren bekom-mst du Rückenmark-schwund, hat Dr. Som-mer gesagt: Nein, das ist in Ordnung

liebe, Sex16

stellerin so beliebt? Denn Jugendli-che können zwei Dinge nicht leiden: sich von unten anzubiedern – wie der Lehrer, der cool sein will – oder von oben herab zu belehren. Einmal pro Monat machen wir ein SMS-Voting, bei dem die Jugendlichen über unsere Geschichten abstim-men. Dabei merken wir immer wie-der, dass die Leser ein unglaubliches Gespür für journalistische Qualität haben. Kalt geschriebene Geschich-ten oder Sammelgeschichten sind immer auf dem letzten Platz, wäh-rend exklusive Geschichten, bei denen wir die Stars getroffen und eigene Bilder gemacht haben, immer auf Platz 1 landen.

Die Pubertät ist eine außergewöhn-liche Zeit, in der hormonell viel pas-siert und man sich selbst später nicht unbedingt wiedererkennt. Wie den-ken Sie sich da hinein?

Wir erklären die Lebenswirklichkeit der Leser anhand der Lebenswirklichkeit der Stars. Wenn sich Miley Cyrus’ Eltern schei-den lassen, ist das ein Riesen-Thema, die Ur-Angst jedes Jugendlichen. Wir fragen: Wie fühlt sie sich dabei? Wie geht sie damit um? Darum ist es besonders anspruchsvoll, die BRAVO zu machen. Es ist eine sehr gut informierte und anspruchsvolle Zielgruppe. Wenn der SPIEGEL Polit-Gossip verbreitet, dann ist das dem Leser komplett neu. Bei uns dagegen stehen die Leser mit ihren Stars über Twitter und Facebook in

direktem Kontakt und haben dadurch ein größeres Fachwissen. Wenn irgendetwas falsch ist, steigen sie uns aufs Dach.

Die BRAVO ist extremer als andere Zeitschriften Auflagen-Schwankun-gen unterworfen. Wie gehen Sie damit um?

Die Auflage war immer wellenförmig. Bei einem Mega-Hype geht sie hoch, im nächs-ten Jahr reguliert sie sich. Das war immer so. 2009 war ein thematisch starkes Jahr: Lady Gaga, Rihanna wird verprügelt, Miley Cyrus auf dem Höhepunkt ihres Schaffens. Dann stirbt auch noch Michael Jack-son. Dadurch kamen automatisch zwei Bundesliga-Stadien mehr Leser. Das musste wieder abschmelzen. Schon vor der Star-Flaute im letzten Quartal haben wir neue Stars auf-gebaut. Nun steigt die Auflage wie-der.

Sie waren bei GALA, VANITY FAIR, BILD und haben zwei Romane geschrieben. Was macht am meis-ten Spaß?

BRAVO ist der tollste Job, den ich je hatte. Ein Heft zu machen, das die Leute so bewegt und das ihnen etwas bedeutet, statt dass sie es zynisch zur Kenntnis nehmen, um sich intellektuell auf-zumunitionieren. Es ist gleichzeitig die anspruchvollste Zielgruppe, aber es bringt deswegen besonders viel Spaß.

& atomausstieg 17

SterN-Er

foto-g r a -

fierte die

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Frittenbude der Welt und Hel-

mut Kohl in Napoleon-Pose

vor dem Capitol – Robert

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STERN machte aus

b e i d e n M o t i v e n

Foto-Ikonen. Nun

sind 50

sei-n e r b e s t e n A r b e i t e n auf Tour durch

Deutschland. Die Wanderaus-

stellung „Unverschämtes

Glück. Fotografien aus

D e u t s c h l a n d v o n Robert lebeck“ gas-

tiert bis 19. Juni im Foyer des Zeit -

g e s c h i c h t l i c h e n F o r u m leipzig.

StuNdeN

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Alfred Hitchcock, Hamburg 1960

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Konrad Adenauer an seinem 90. Geburtstag, Bonn 5. Januar 1966

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Helmut Kohl vor dem Capitol, Washington 1972

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Jayne Mansfield bei den Film-festspielen in Berlin, 1961

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Am Ende kommen Touristen (ZDF)

„Schaschlikbilla“ bei Weisweiler, aus der Fotoreportage

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„Deutschland im März“ 1983

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Yogeshwar

Zu keinem Zeitpunkt hat Herr Yogesh-war, der als Mensch natürlich eine eigene Meinung hat, die sich garantiert in sei-nen Berichten niederschlägt, für mich erkennbar eine Seite bevorzugt. Und alleine darauf kommt es an: Nach Abwä-gung aller bekannten Fakten hat er aus-gewogen berichtet – ganz egal, ob er dafür oder für andere Dinge Geld von der einen oder anderen Seite bekam. Und er hat diese Gelder nicht versteckt. Dass sie nicht jedem Kritiker auf em Silber-tablett serviert wurden – nun, liebe Kri-tiker, recherchiert mal selbst, statt über andere Recherchen herzuziehen!Tom Stein per Kommentar

Jeder Physiker kennt die elementare Gewalt von Plutonium wie das 1x1. Die PR-Agenturen, die die Atomindustrie munter anpreisen, und berühmte Wis-senschaftler und Journalisten für Rie-sensummen auf Kongressen umgäng-lich strahlen lassen, schmieren unsere Köpfe mit Zerstreuung. Die kalkulier-ten Hochglanz-Auftritte der diversen Giftlobbys sind zynisch und veranwor-tungslos. Jurek per Kommentar

Verlosung

Im vergnagenen Jahr haben wir den „Peter Scholl-Latour der Generation Twitter“ interviewt, nun hat er auch noch ein Buch geschrieben: „Dennis Gastmann reist – Mit 80.000 Fragen um die Welt“. Wer ein Exemplar gewinnen möchte, der schicke uns eine Mail, hin-terlasse einen Kommentar oder schicke uns eine Twitter-Nachricht.

Sagen Sie uns Ihre Meinung per Mail ([email protected]), Facebook-Kommen-tar, Tweet oder kommentieren sie direkt auf unserer Seite.

inboX

V.i.S.d.P. – Magazin für MedienmacherChefredakteur: Sebastian EsserHerausgeber: Dr. Hajo SchumacherDesign: Markus Nowak, Supermarkt StudioRedaktion: Till Schröder, Wendelin Hübner, Susan Mücke, Frank Joung, Patrick WeisbrodLektorat: Carla MönigAdresse: Lietzenburger Straße 51, 10789 BerlinTelefon: 030 2196 27287E-Mail: [email protected]: http://www.facebook.com/visdpTwitter: http://www.twitter.com/visdp

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TitelgeschichteLiebe, Sex und Atomausstieg – BRAVO-Chef Philipp Jessen versteht die Jugendlichen

Schumacherüber die Tatjana Gsell-Partei FDP

UpdateLiebling der Woche: Kurt FelixDas Tagebuch

Zitat der Woche: Wolfang RademacherZahl der Woche: Mad MenGewinner/Verlierer: Alan Rusbridge/Hugo Chavez

Interview mit SPIEGEL-ONLINE- Chefredakteur Rüdiger Ditz

LeuteHermann-Josef Knipper, Bernd Erne-mann, Markus Knall, Rena Lehmann, Hans-Jörg Wiedenhaus, Oliver Stolle, Marc Schürmann

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