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Das Abkommen vom 16. Februar zwischen der Provinzregierung und extremen Islamisten soll dem umkämpften und terrorisierten Distrikt Swat Frieden und ein Ende der Flüchtlingsbewegung bringen. Verbunden damit ist die Einführung der Scharia-Gerichtsbarkeit, die in westlichen Staaten und Organisationen Aufsehen erregt hat. Bei dem so genannten Friedensschluss handelt es sich jedoch eher um ein Atemholen geschwächter Akteure, das gleichzeitig von allen Seiten in alle Richtungen ausgenutzt wird. Seine Nachhaltigkeit ist auch deshalb fraglich, weil das Abkommen nicht zwischen den Hauptakteuren, der nationalen Regierung bzw. der Armee und der extremistischen Talibanorganisation TTP (geführt von Maulana Fazlullah), sondern zwischen der vergleichsweise schwachen Provinzregierung der NWFP und der zwar älteren und größeren, aber nur mittelbar in die Kämpfe im Swat involvierten TNSM (geführt von Mullah Sufi Muhammad) geschlossen wurde. Es ist zu vermuten, dass mit der abschließenden Neupositionierung aller involvierten Konfliktparteien die Friedensfrist endet und gewaltbereite Elemente gestärkt daraus hervorgehen werden.

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Das Abkommen vom 16. Februar zwischen der Provinzregierung und extremen Islamisten soll dem umkämpften und terrorisierten Distrikt Swat Frieden und ein Ende der Flüchtlingsbewegung bringen. Verbunden damit ist die Einfüh-rung der Scharia-Gerichtsbarkeit, die in westlichen Staaten und Organisationen Aufsehen erregt hat. Bei dem so genannten Friedensschluss handelt es sich jedoch eher um ein Atemholen geschwächter Akteure, das gleichzeitig von allen Seiten in alle Richtungen ausgenutzt wird. Seine Nachhaltigkeit ist auch deshalb fraglich, weil das Ab-kommen nicht zwischen den Hauptakteuren, der nationalen Regierung bzw. der Armee und der extremistischen Talibanorganisation TTP (geführt von Maulana Fazlullah), sondern zwischen der vergleichsweise schwachen Pro-vinzregierung der NWFP und der zwar älteren und größeren, aber nur mittelbar in die Kämpfe im Swat involvierten TNSM (geführt von Mullah Sufi Muhammad) geschlossen wurde. Es ist zu vermuten, dass mit der abschließenden Neupositionierung aller involvierten Konfliktparteien die Friedensfrist endet und gewaltbereite Elemente gestärkt daraus hervorgehen werden.

Pakistan:

Kann die Scharia dem Swat-Tal Frieden bringen?

Islamabad, 24. Februar 2009

Bericht aus aktuellem Anlass N° 10/09

von Olaf Kellerhoff

Aktuelle Informationen zur Projektarbeit der Stiftung für die Freiheit finden Sie unter www.freiheit.org

18 Monate Kämpfe und Willkür im Swat-Tal Mit „Tal des Todes“ titelte das pakistanische Nachrich-tenmagazin NEWSLINE einen Bericht über die Entwicklun-gen im Swat-Tal, gut 300 km nördlich der Hauptstadt Islamabad. Die ganze Februar-Ausgabe trägt das Zitat „Paradise lost“ als Cover. Während die als Schweiz Süd-asiens gerühmte Landschaft einst Touristen aus aller Welt anzog, fliehen seit letztem Jahr mehr und mehr der 1,8 Mio Einheimischen wegen zunehmender Kämpfe und Willküraktionen islamistischer Extremisten. Rund 450.000 Binnenflüchtlinge verließen bislang nach gesicherter Schätzung der Organisation UNITED NATIONS HIGH COMMIS-SIONER FOR REFUGEES (UNHCR) den Distrikt Swat und die FEDERALLY ADMINISTERED TRIBAL AREAS (FATA); mit 600.000 sei bald zu rechnen. Viele können wegen der verhängten Ausgangssperre, geschlossener Straßen oder Mangel an Transportmitteln nicht zu sicheren Orten wechseln.

Seit 18 Monaten versucht das pakistanische Militär mit 20.000 Mann gegen mehr als 5.000 Irreguläre der TEH-RIK-E TALIBAN PAKISTAN (TTP)1 die Oberhand zu gewinnen. Da die Uniformierten zumeist mit Artillerie vorgehen, ist die Zahl getöteter Zivilisten entsprechend hoch: Auf rund 1.500 wird die Gesamtzahl der Toten beziffert. Eingerechnet sind die Mordopfer der Taliban. Jeder Andersgläubige, Andersdenkende und Andershandelnde setzt sich bei Aufenthalt im Swat-Tal der Lebensgefahr aus. Politische Funktionäre haben längst ihre Posten verlassen. Es kursieren Listen, die vor allem Mitglieder der regierenden, ansatzweise säkularen paschtunischen Partei AWAMI NATIONAL PARTY (ANP) vor Scharia-Gerichte zitieren wollen. Über 800 Polizisten, knapp die Hälfte der Distriktpolizei, sind desertiert. Zum Teil schalten die

1 Bewegung der Taliban (religiösen Studenten) Pakistans

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Beamten anschließend in lokalen Zeitungen Anzeigen inklusive eigenem Passbild über ihre Flucht aus dem Polizeidienst, um weiterer Taliban-Verfolgung zu entge-hen. Ausgebildete Polizeischüler verweigern von vorne-herein den Dienst in der NORTH-WEST FRONTIER PROVINCE (NWFP), in der der Distrikt Swat liegt. Ihres Arbeitsplatzes beraubt wurden in dieser Zeit 8.000 Lehrerinnen: 185 Lehranstalten haben die Gegner weiblicher Schulbildung bislang in die Luft gesprengt.

Friedensschluss und Letztes Gericht Die Regierung bzw. vielmehr das Militär war wegen die-ser Entwicklungen insbesondere von internationaler und zivilgesellschaftlicher Seite zunehmend unter Druck gera-ten und hatte aufgrund dessen die Kämpfe im Januar intensiviert. So erhöhten sich jedoch auch die Vergel-tungsschläge und damit das Blutvergießen. Folglich herrschte vor Ort über den am 16. Februar unterzeichne-ten Friedensschluss zwischen der Provinz-Regierung der NWFP und der TEHRIK-E NIFAZ-E SHARIAT MUHAMMADI (TNSM)2 tatsächlich Freude. Der Führer dieser Bewegung, Sufi Muhammad, konnte als Retter und Heilsbringer einziehen – was er tatsächlich mit einer 300 Autos um-fassenden „Friedenskarawane“ tat –, obschon er doch selbst Mitverursacher des Problems ist. Seit 1990 bemüht sich das 78jährige Überbleibsel des anti-sowjetischen Jihads, US-trainiert und erfolgreich im Rekrutieren von Gefolgsleuten, um die Einführung islamischer Gerichts-barkeit. Schon 1994 war nach einem von ihm initiierten Aufstand die Scharia unter der Bezeichnung Pata Nifaz-e Nizam-e Shariat Regulation3 eingeführt, allerdings nie richtig implementiert worden, was mit zur derzeitigen Skepsis der Extremisten beiträgt. Die pakistanische Ver-fassung räumt dem Gouverneur unter Zustimmung des Präsidenten dieses Recht zur Aufrechterhaltung von Frie-de und Ordnung ein.4 Fünf Jahre später wurde die Pata Regulation allerdings widerrufen und durch die so ge-nannte Nizam-e Adl Regulation abgelöst.

Nachdem Sufi Muhammad 2001 mehrere tausend junge Pakistanis zur Unterstützung der Taliban in Afghanistan in den Tod geführt hatte und ihn wohl nur die anschlie-ßende Haft vor der Lynchjustiz der Angehörigen bewahrt, war er mit seinen jetzigen Auseinandersetzungen erfolg-reicher. Denn der Friedensschluss umfasst fünf Punkte, die die Einführung einer „gerechten Ordnung“ (nizam-e adl), sprich der Scharia, in der Region Malakand mit sei-nen sieben Distrikten, darunter auch Swat, vorsieht. Letz-tes Berufungsgericht wird der SHARIA COURT (dar ul-qaza) sein. Die bisherigen Assistenten an der Seite des Richters werden wegen „Beeinflussung der Unabhängigkeit des

2 Bewegung der muhammadanischen Scharia-Ordnung. 3 Regelwerk über die Ausführung der Scharia-Ordnung in den Provinci-ally Administered Tribal Areas (PATA). 4 Artikel 247.

Richters“ abgeschafft. Insgesamt 125 Gesetze fallen unter die neue Scharia-Gerichtsbarkeit.

Da die TNSM wahhabitisch, also am saudischen Islam, ausgerichtet ist und auch schon als alleinige Rechts-quellen und -methodik Koran, Sunna5, ijma´a (Einigung der Rechtsgelehrten) und qiyas (Analogieschluss) ange-kündigt hat, kann davon ausgegangen werden, dass es sich um eine sehr restriktive Auslegung des islamischen Rechts handeln wird. Dazu könnten demnach auch die sog. hadd- bzw. Körperstrafen (Auspeitschen, Steini-gung, Todesstrafe etc.) zählen, die in der traditionellen Rechtssprechung vermieden werden. Der kasuistische Charakter des islamischen Rechts sowie die geistige und verwandtschaftliche Nähe zu den Taliban lassen be-fürchten, dass die Scharia hier wieder einmal der Un-termauerung einer Willkürherrschaft dienen könnte. Dennoch besteht von mancher Seite der Glaube und die Hoffnung, dass damit eine Verbesserung zum bisherigen langsamen und korrupten Rechtssystem verbunden sein und das bisherige Rechtsvakuum gefüllt werde.

Friede oder Atemschöpfen vor dem nächsten Akt? Ob dieses Abkommen aber tatsächlich Frieden bringen wird, ist fraglich. Schließlich kam der Friedensschluss nicht zwischen den beiden Hauptakteuren, der Armee und der TTP, zustande, sondern zwischen der NWFP-Provinzregierung und der TNSM. Zwar ist TNSM-Führer Sufi Muhammad der Schwiegervater des Taliban-Anführers im Swat Maulana Fazlullah, und die Taliban im Swat haben bereits einen zehntätigen Waffenstill-stand angekündigt; doch handelt es sich nichtsdesto-trotz um zwei verschiedene Gruppierungen. So will und muss Sufi Muhammad die Taliban im Swat erst noch dazu bewegen, diesen Friedensschluss zu akzeptieren. Doch zum einen hatte deren charismatischer Führer Fazlullah, der wegen seines erfolgreichen, aber illegalen Haß-Senders auch„Mullah Radio“ genannt wird, im Mai 2008 einen ähnlichen Waffenstillstand alsbald gebro-chen. Die Waffenruhe hatte er hingegen zur weiteren Propaganda, Ausbildung und Unterminierung der Staatsgewalt genutzt. Zudem untersteht seine Sektion theoretisch dem TTP-Führer Baitullah Mehsud, die ne-ben gewaltbereiten Pakistanis auch kampfeslustige Islamisten aus dem Ausland (Uzbekistan, Tschetsche-nien etc.) umfasst. Zum anderen will Präsident Asif Ali Zardari das Abkommen nur bei Einhaltung der Waffen-ruhe ratifizieren. Die Armee will erklärtermaßen die Waffenruhe halten.

5 Textkorpus über die Taten und Aussprüche des Propheten Muham-mads und seiner Gefährten, die als Beispiel wie zum Vorbild dient und somit für Rechtsurteile quantitativ wichtiger als der Koran ist.

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Den ersten Mord haben mutmaßliche Taliban jedoch schon zwei Tage nach Unterzeichnung verübt: Der Jour-nalist Musa Khankhel wurde im Gefolge der „Friedenska-rawane“ erschossen und enthauptet, während andernorts gleichzeitig ein Presseclub in Schutt gelegt wurde. Sufi Muhammad hat sich dazu nicht geäußert. Hinzu kommt, dass die TTP sich selbst bezichtigend am selben Tag zwei weitere Mädchenschulen in Waziristan sprengte und somit gegenüber den Taliban in Swat ein Zeichen setzte.

Insgesamt betrachtet scheint die in NWFP regierende AWAMI NATIONAL PARTY (ANP) mit diesem Friedensdeal eher die erst 2008 übernommene Macht retten zu wollen: Mit dem Abkommen von Mai 2008 hatte sie die Armee nach deren teils erfolgreichen Operationen zum Verlassen des Swats bewegt und anschließend nach und nach die Macht vor Ort verloren. Nun kann das Militär – wie an-satzweise geschehen – nur um den Preis hoher, ziviler Verluste zurückgeholt werden. Stattdessen könnte die ANP mit der Aussicht auf eine weiche und in der Gegend durchaus populäre Auslegung der Scharia sowie mit der Hoffnung auf Frieden durchaus punkten. Eventuell setzt sie zudem darauf, einen Keil zwischen TTP und TNSM oder aber zwischen TTP von Mehsud und der TTP von Fazlullah zu treiben, um so an der Macht bleiben zu kön-nen. Interessanterweise haben nämlich die religiösen Parteien JAMAAT-E ISLAMI (JI) und JAMAAT-E ULEMA ISLAMI (JUI) das Abkommen kritisiert, obschon sie doch grund-sätzlich die Einführung der Scharia befürworten müssten. Und auch die Pakistan regierende PAKISTAN PEOPLES PARTY (PPP) erklärte ihre Vorbehalte. Gleichzeitig schlachtet sie ihrerseits die günstige Gelegenheit aus. So warnte Präsi-dent Zardari (PPP) beim Hauptfinancier des Semi-Rentier-staates Pakistan, i.e. Washington, dass die Taliban dabei seien, das Land zu übernehmen: „Pakistan kämpft ums Überleben.“ NWFP Chief Minister Ameer Haider Hoti (ANP) stieß in dasselbe Horn und fordert die internatio-nale Gemeinschaft auf, sich am Wiederaufbau zerstörter Schulen zu beteiligen. Die Zauberworte Scharia und Tali-ban verheißen die Öffnung mancher Schatulle, wie die ersten Reaktionen in westlichen Ländern und Organisati-onen bereits andeuten.

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