FNF International News 1-2012

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www.freiheit.org FNF International News Das Magazin des Bereiches Internationale Politik Thema: Freiheit vs. Korruption AUSGABE 1 / 2012

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Korruption wirkt zersetzend. Nicht nur politische Systeme geraten ins Wanken, wenn das Vertrauen der Bürgerinnen und Bürger in staatliche Autoritäten und in den Rechtsstaat verloren geht. Auch Gesellschaften reißen auseinander, wenn das tägliche Leben - etwa beim Arztbesuch oder beim Besuch in der Amtsstube - von Willkür geprägt ist und die persönliche Freiheit Schaden nimmt. Und doch ist die Korruption ein weitverbreitetes Phänomen, welches beileibe nicht nur die sog. Entwicklungs– und Schwellenländern betrifft. Auch beispielsweise in Europa und Nordamerika führt Korruption zu volkswirtschaftlichen Schäden und gesellschaftlichen Rissen. Wie reagieren Politik, Wirtschaft und Gesellschaft weltweit auf Korruption? Welchen Beitrag leisten die Friedrich-Naumann-Stiftung für die Freiheit und ihre Partner bei der Korruptionsbekämpfung? Lesen Sie hierzu über Beispiele aus unserer weltweiten Arbeit sowie weitere interessante Beiträge unserer Auslandsmitarbeiter.

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FNF International News

Das Magazin des Bereiches Internationale Politik

Thema: Freiheit vs. Korruption

AUSGABE 1 / 2012

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Editorial

www.freiheit.org

Inhalt

2

Sehr geehrte Damen und Herren,

liebe Freunde der Friedrich-Naumann-Stiftung für

die Freiheit,

Korruption wirkt zersetzend. Nicht nur politische Sys-

teme geraten ins Wanken, wenn das Vertrauen der

Bürgerinnen und Bürger in staatliche Autoritäten und

in den Rechtsstaat verloren geht. Auch Gesellschaften

reißen auseinander, wenn das tägliche Leben - etwa

beim Arztbesuch oder beim Besuch in der Amtsstube -

von Willkür geprägt ist und die persönliche Freiheit

Schaden nimmt.

Und doch ist die Korruption ein weitverbreitetes Phä-

nomen, welches beileibe nicht nur die sog. Entwick-

lungs– und Schwellenländern betrifft. Auch beispiels-

weise in Europa und Nordamerika führt Korruption zu

volkswirtschaftlichen Schäden und gesellschaftlichen

Rissen.

Wie reagieren Politik, Wirtschaft und Gesellschaft

weltweit auf Korruption? Welchen Beitrag leisten die

Friedrich-Naumann-Stiftung für die Freiheit und ihre

Partner bei der Korruptionsbekämpfung? Lesen Sie

hierzu über Beispiele aus unserer weltweiten Arbeit

sowie weitere interessante Beiträge unserer Auslands-

mitarbeiter.

Ich wünsche Ihnen eine anregende Lektüre!

Ulrich Niemann

Bereichsleiter Internationale Politik

Freiheit vs. Korruption

Korruption gegen Recht und Frei-

heit - eine Einführung

Transparenz ist der Schlüssel:

Korruption in Lateinamerika

Trotzt die Korruption der Revoluti-

on im Mittelmeerraum?

Afrika: Ein Kontinent im Würgegriff

der Korruption

Der Korruptionswahrnehmungsin-dex von Transparency International

The Dynamics of Corruption in

India

Nur Freiheit und Demokratie wirken

gegen Korruption: Zwei Fallbeispie-

le aus der Region Südost– und Ost-

asien

Zwischen Versprechungen, Enttäu-

schungen und Hoffnungen: Der

schwierige Kampf gegen die Kor-

ruption in Osteuropa

Wehrhafte Demokratie? Korruption

in Europa und in den USA

Politische Berichte online

S. 3

S. 5

S. 11

S. 19

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Freiheit vs. Korruption

Zum ordnungspolitischen Rahmen von Märkten gehört

die Sicherung des Eigentums und die garantierte Ver-

tragsfreiheit und Vertragssicherheit. Eine funktionie-

rende Marktwirtschaft ist also immer ein System, das

sich nach allgemeinen und transparenten Rechts-

grundsätzen richtet. Konflikte werden von neutralen

Rechtsinstanzen entschieden, die diese Rechtsgrund-

sätze auf den konkreten Konfliktfall anwenden. Eine

solche Marktordnung bringt positive Ergebnisse her-

vor: Menschen treten mit anderen Menschen in den

Austausch von Waren und Dienstleistungen, der Wett-

bewerb zwischen den Anbietern führt zu fallenden

Preisen und einer besseren Versorgung und Konflikte

werden entweder durch die Geltungsansprüche des

Eigentums oder die Einigung über die Vertragsrege-

lung vermieden oder von einem unabhängigen Gericht

geprüft und entschieden.

Das Übel der Korruption besteht darin, dass durch sie

die Markt- und die Rechtsordnung außer Kraft gesetzt

werden. Die Korruption gedeiht aber auch da beson-

ders, wo diese Markt- und Rechtsordnung ohnehin in

erheblichem Maße eingeschränkt oder sogar nicht

vorhanden sind. Sie gedeiht zum Beispiel dort beson-

ders, wo politisch geschaffene Knappheit vorherrscht.

In einem Marktsystem wird Knappheit durch den

Preismechanismus geregelt. Der Preis für ein knappes

Gut steigt, was die Nachfrage senkt und das Angebot

erhöht. Wo Leistungen staatlich rationiert werden,

besteht dieser Ausgleichmechanismus nicht. Egal ob

es sich dabei um die Beantragung einer Baugenehmi-

gung, eines Visums oder um den Zugang zu einer me-

dizinischen Leistung handelt, wenn der Zugang zu

diesen Gütern extrem rationiert ist, besteht ein Anreiz

neben dem offiziellen Preis, etwa einer festgesetzten

Gebühr, einen zweiten Preis in Form von Bestechungs-

geld festzulegen. Die Höhe des Bestechungsgeldes re-

gelt dann den Zugang zu knappen Ressourcen.

Ein korruptes politisches System schafft damit jene

sozialen Verwerfungen, die Marktkritiker gemeinhin

der Marktwirtschaft an sich zuschreiben. Die transpa-

rente Wettbewerbsordnung ist aber das Gegenteil des

politischen Faustrechts. Walter Eucken beschrieb

Wettbewerbspolitik als die beste Sozialpolitik. Der

Wettbewerb zwischen Unternehmen führt dazu, dass

ohne zusätzliche Innovation die Gewinne von Unter-

nehmen in der Regel eher abnehmen und die Preise

von Gütern und Dienstleistungen für die Konsumenten

sinken. Nicht der Wettbewerb führt zu sozialen Ver-

werfungen, sondern die Kartellbildung und Monopol-

bildung. Diese Vermachtung von Märkten wird durch

Korruption – gerade auch in der subtilen Form des

politischen Lobbyismus – erst ermöglicht. Wenn der

Marktzugang durch die Bestechung politischer Instan-

zen, etwa durch die Beeinflussung von Genehmi-

gungsverfahren, Manipulation von Ausschreibungen

und anderen Marktbarrieren beschränkt wird, dann

zahlen die Konsumenten dafür in Form höherer Preise.

Der Bestechende und der Bestochene schließen quasi

einen Vertrag auf Kosten Dritter. Der Vorteil des Be-

stechenden besteht darin, dass er sich einen Vorteil

gegenüber dem verschafft, der nicht besticht, und der

Vorteil des Bestochenen besteht darin, dass er die

Ressourcen anderer veruntreut. Der Staatsbeamte, der

einem Antragsteller einen Vorteil zu kommen lässt,

um von diesem Zuwendungen zu erhalten, nutzt sei-

nen Zugang zu staatlichen Ressourcen, die ihm nicht

gehören, und verwendet diese Ressourcen entgegen

der Interessen der Eigentümer – der öffentlichen Kör-

perschaft bzw. der Steuerzahler.

Korruption gegen Recht und Freiheit - eine Einführung

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Freiheit vs. Korruption

In keinem Bereich ist Bestechlichkeit so gefährlich wie

im Bereich der Justiz. Die Unabhängigkeit der Justiz

und die Gleichheit vor dem Gesetz ist die Grundlage

für den inneren Frieden einer Gesellschaft und für die

Entwicklung einer Marktordnung. Wenn ein Richter

sich bestechen lässt, dann ist die Neutralität der

Rechtsinstanz nicht mehr gewährleistet. Das heißt,

dass es kein faires Verfahren mehr gibt, nach dem

Konflikte entsprechend der allgemeinen Rechtsprinzi-

pien gelöst werden können. Wenn man Korruption in

einem politischen System bekämpfen will, dann steht

die Schaffung einer unabhängigen und neutralen Jus-

tiz an erster Stelle. Recht und Freiheit sind eng mitei-

nander verbunden. Korruption wuchert immer dort,

wo die Freiheit im Übermaß eingeschränkt ist und das

für alle verbindliche Recht unterlaufen wird.

Dr. Gérard Bökenkamp

Liberales Institut

Bildnachweis Titel: Gerd Altmann/Pixlio

Foto: Thorben Wengert/Pixelio

In eigener Sache:

Neuer Imagefilm des Bereichs

Internationale Politik online

Die Friedrich-Naumann-Stiftung für die Freiheit setzt

sich weltweit für den Liberalismus ein. Ein wichtiger

Pfeiler ist dabei die Arbeit des Bereichs Internationale

Politik, was dieser alles leistet, können Sie in diesem

Imagefilm sehen:

http://goo.gl/dqPqs

Die Friedrich-Naumann-Stiftung für

die Freiheit im Web 2.0:

www.freiheit.org

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Freiheit vs. Korruption

Transparenz ist der Schlüssel: Korruption in Lateinamerika

Korruption in Lateinamerika – das Phänomen

Bereits 1656 schrieb der portugiesische Jesuit, Padre

Antônio Vieira, in seinem Buch „Die Kunst zu entwen-

den” über die Machenschaften der Repräsentanten der

portugiesischen Krone in Brasilien, die sich an öffent-

lichen Geldern bereicherten. Dies zeigt, dass das Prob-

lem der Korruption, in Brasilien wie in allen anderen

Ländern Lateinamerikas, ein sehr altes ist – und es hat

seine Aktualität bis heute nicht verloren.

Vor allem die politische Klasse Lateinamerikas wird

regelmäßig von Korruptionsskandalen erschüttert.

Über die Medien, insbesondere das Fernsehen und das

Video-Portal YouTube, bekommt der erstaunte Zu-

schauer immer wieder versteckt aufgenommene Vi-

deos vorgeführt, die zeigen, wie Regierungsmitglieder

und Abgeordnete dicke Geldbündel in Empfang neh-

men und in ihren Hosentaschen, Unterhosen, Strümp-

fen oder Handtaschen verstauen bzw. wie Vertreter

von Unternehmen, die an Regierungsaufträgen inte-

ressiert sind, Geldpakete zur Verteilung überreichen,

um die Ausschreibungen zu gewinnen. Selbst die Jus-

tiz bleibt nicht von Korruptionsskandalen verschont.

Brasilianische Richter stehen derzeit unter dem Ver-

dacht, unerlaubt Einfluss auf den Ausgang von Pro-

zessen genommen zu haben. Aber auch bei anderen

Behörden, wie z.B. bei Polizei und Zoll, treten immer

wieder Fälle von unerlaubter Einflussnahme und dem

Austausch von Gefälligkeiten auf.

Korruption wird in den Staaten Lateinamerikas in un-

terschiedlichem Maße toleriert und akzeptiert. Der

venezolanische Psychologe Axel Capriles analysiert

dieses Phänomen für sein Land so: Der Venezolaner

vereinige in sich eine Mischung aus anarchischem In-

dividualismus und kollektivistischer Ethik, er suche

seinen individuellen Vorteil, ohne die Rechte anderer

zu achten. Er betrachte die öffentlichen Ressourcen

als Besitz aller Venezolaner, die eben dem jeweils

Stärksten zur Verfügung stehen. Armut könne nur

überwunden werden, wenn umverteilt werde, was die

Reichen oder der Staat dem Volk „weggenommen“

haben. Öffentliches und privates Eigentum sind nach

Staatsideologie und Verfassung nicht getrennt – ein

Einfallstor für Willkür und Korruption. Wie anders –

und korruptionsmindernd – die Auffassung in zumeist

westlichen Rechtsstaaten, die Kontrollen für den Ge-

„Ich glaube, ich bitte Elsa gleich, die Kiste zu suchen… die Zeitung lass hier…“

„Und nächstes Mal machen wir es wie beim letzten Mal... obwohl, Du siehst ja, jetzt ist das Ganze weni-ger sperrig..."

„... dann dort zu unterschiedlichen Zeitpunkten... dieses gebe ich Dir... schau mal...“

Fotos: Auszug aus einem versteckt aufgezeichnetem Video von öffentlichen Amtsträgern, die einander Geld übergeben, eine Ermittlung

gegen sie aber nur zu kurzen Gefängnisstrafen führt und deren Fall in unübersichtlichen Justizsystemen schnell in Vergessenheit gerät.

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Freiheit vs. Korruption

brauch von Staatseigentum vorsehen und das private

Eigentum schützen und garantieren.

Ländertabelle der Korruption

Der Corruption Perceptions Index 2011 (CPI) von

Transparency International bewertet 182 Länder auf

einer Skala von 0 bis 10 Punkten, 0 Punkte erhalten

dabei die Länder mit der höchsten Korruptionsrate, 10

Punkte diejenigen mit der geringsten Korruptionsrate.1

In Lateinamerika sind Chile (7,2 Punkte, Platz 22) und

Uruguay (7 Punkte, Platz 25) Spitzenreiter. Auch Costa

Rica (4,8 Punkte, Platz 50) und selbst Kolumbien (3,4

Punkte, Platz 80) schneiden im Vergleich zu anderen

lateinamerikanischen Ländern noch gut ab. Die G-20

Mitglieder Brasilien (3,8 Punkte, Platz 73), Argentinien

und Mexiko (beide mit 3 Punkten auf Platz 100) liegen

in der Bewertung alle schon unterhalb des lateiname-

rikanischen Durchschnitts; ihnen folgen Länder wie

Guatemala und Ecuador (beide mit 2,7 Punkten auf

Platz 120), Honduras (2,6 Punkte, Platz 129), Nicara-

gua (2,5 Punkte, Platz 134), Paraguay (2,2 Punkte,

Platz 154). Schlusslicht ist Venezuela mit 1,9 Punkten

auf Platz 172. „Die meisten Länder Lateinamerikas

schneiden in diesem Index so schlecht ab, weil ihre

Institutionen schwach sind, die Regierung bzw. die

wichtigsten politischen Akteure zu stark sind und es

keine balance of power gibt“, sagt der für Nord- und

Südamerika zuständige Leiter von Transparency Inter-

national, Alejandro Salas.

Wahrnehmung von Korruption in der Zivilgesell-

schaft

Die Bevölkerung Lateinamerikas verhält sich traditio-

nell fatalistisch und resigniert gegenüber dem Phäno-

men und wählt als korrupt bekannte Politiker nicht

selten wieder. Auch in Argentinien gehört das Thema

trotz zahlreicher und gravierender Fälle von Korrupti-

on etwa im ländlichen staatlichen Sektor Argentiniens

nicht zu den von der Gesellschaft prioritär beklagten

Missständen. Nach Daten von Poder Ciudadano, dem

argentinischen Zweig von Transparency International,

ist das Problem lediglich für 6% der Bürger relevant,

den anderen erscheint das Problem schlicht nicht lös-

bar.

Im Gegensatz hierzu ist Korruption in Brasilien

„sichtbarer“ geworden und hat an Beachtung gewon-

nen. Dies dank der aufmerksamer gewordenen brasili-

anischen Zivilgesellschaft und der Pressefreiheit, die

zwar immer wieder bedroht wird, aber doch recht gut

funktioniert. Die Medien – als eine Art vierte Gewalt –

prangern Korruptionsfälle mittlerweile systematisch in

der Öffentlichkeit an. Und auch Politiker haben Kor-

ruptionsfälle als wirksame Waffe entdeckt, um politi-

sche Gegner durch Vorwürfe wie Veruntreuung und

Stimmenkauf zu schwächen oder ganz auszuschalten.

Auch ein Wandel in der brasilianischen Gesellschaft

spielt eine Rolle: Mit wachsendem Bildungsstand und

breiterem Zugang zu Informationen interessieren sich

immer mehr Brasilianer für Korruptionsfälle und ma-

chen sich für deren Bekämpfung stark.

So mussten in Brasilien seit Mitte 2011 allein sechs

Minister aufgrund von Korruptionsvorwürfen in der

Regierung ihren Hut nehmen. Sicherlich eine deutliche

Geste der amtierenden Staatspräsidentin Dilma

Rousseff, deren „Säuberungsaktion“ von den Medien

und der Öffentlichkeit lobend anerkannt wurde. Den-

noch wird es wohl bei einer Geste bleiben. Denn so-

lange die Ministerien in Händen der immer selben

Parteien bleiben, wird sich wenig ändern. Die brasilia-

nische Zivilgesellschaft, wie z.B. die Bewegung gegen

Korruption, Movimento Contra a Corrupção, organi-

“Koffer-Skandal 800 000 USD Mittel für Santa Cruz 390 Mio. USD

Pensionen 30 Mrd. USD Dies alles zu tun und dass keiner reagiert... priceless”

Das Plakat spricht - in ironischer Anlehnung an eine

Kreditkartenwerbung - von diversen Korruptionsskandalen in

Argentinien und klagt an, dass keiner hiergegen protestiert.

Foto: Leila / arteyfotografia.com.ar

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Freiheit vs. Korruption

sierte anlässlich der Korruptionsfälle in den Ministe-

rien im September und Oktober 2011 Protestmärsche

in insgesamt 18 verschiedenen Städten Brasiliens, an

denen sich Tausende Menschen beteiligten. Sie war-

ben für die Säuberung der Ministerien, für die gesetz-

liche Erschwerung einer erneuten Kandidatur korrup-

ter Politiker und für transparentere Entscheidungspro-

zesse in den Parlamenten. Vor allem über die Neuen

Sozialen Medien wurde zur Teilnahme an Anti-

Korruptions-Demonstrationen aufgerufen. Dabei war

die Zahl der virtuell Protestierenden um ein Vielfaches

höher als die der physisch Protestierenden.

Nicaragua ist aufgrund der autoritären Regierung Or-

tegas in gewisser Weise ein Sonderfall. Die Bevölke-

rung, NGOs und Medien sind sich der Korruption im

Land zwar bewusst und klagen diese öffentlich an,

müssen dafür aber mit Repressalien rechnen. Die Re-

gierung steht hinter Übergriffen auf Journalisten, sie

droht mit der Kürzung von Mittelzuweisungen aus

dem Bereich der internationalen Entwicklungshilfe an

Organisationen wie Ética y Transparencia, den nicara-

guanischen Zweig von Transparency International,

wenn diese beklagen, dass etwa die Nutzung der ve-

nezolanischen Petrodollars nicht transparent darge-

legt werde und fordern, dass diese Mittel in die

Staatskasse einfließen müssen und nicht, wie bisher,

für dubiose populistische Vorhaben von Staat und

Sandinistenpartei genutzt werden dürften.

Auch in Venezuela, wo Staat und Regierung dank der

Erdölförderung umfangreiche Einnahmen haben, über

deren Verwendung sie keinerlei Rechenschaft ablegen,

berichten die Medien über zahlreiche Korruptionsfälle

in Ministerien, Gerichten, Katasterämtern, Zollbehör-

den, staatlichen und privaten Unternehmen, Polizei,

Heer und sozialen Projekten. Medien und Opposition

beklagen das Fehlen jeglicher Kontrolle des öffentli-

chen Handelns seitens der Justiz.

Politisierung des Staates als Ursache der Korruption

Korruption liegt in Brasilien im politischen und Regie-

rungssystem begründet und entsteht dort, wo sich die

administrative und die politische Ebene mischen. Das

Schmieden politischer und persönlicher Allianzen in

einem Land mit einem so stark zersplitterten Parteien-

system wie Brasilien verspricht Pfründe und verlangt

finanzielle Schmiermittel. Allein Brasiliens Regierung,

die sich auf 17 Parteien stützen muss, leistet sich zur

Sicherung ihrer Machtbasis fast 25.000 politische

Mitarbeiter auf sog. „Vertrauensposten“ (Tendenz stei-

gend) in der Regierung, ihren Institutionen und staat-

lichen sowie halbstaatlichen Unternehmen. Das ist

etwa das achtfache der USA (8.000) und mehr als 40

Mal so viel wie in der Bundesrepublik Deutschland

(500). Diese Vertrauensposten dürfen beliebig besetzt,

ihre Inhaber frei ausgetauscht werden, ohne einen

Nachweis über die fachliche Qualifikation der Perso-

nen führen oder ihre Anwesenheit am Arbeitsplatz

belegen zu müssen.

Komplizierte Gesetzesregelungen, die in den Ländern

der Region viel Spielraum für Interpretationen und

willkürliche Anwendung lassen, sowie mehrstufige,

unklare bürokratische Verfahren fördern Korruption.

So mag z.B. Mexikos Verschlechterung im Corruption Perceptions Index 2011 auch der Tatsache geschuldet

sein, dass zwischen 2000 und 2010 im Regierungsap-

parat die Zahl der öffentlichen Ämter um knapp 20%

zugenommen hatten. Hinzukommt, dass Korruptions-

fälle vor allem in den Bundesstaaten mit ihren noch

feudalen Herrschaftsstrukturen nicht hinreichend ver-

folgt und bestraft werden. So z.B. eine innerhalb von

sechs Jahren versteckt aufgebaute Staatsverschuldung

des Bundesstaates Coahuila in Höhe von rund 3 Mrd.

Euro oder der Bau eines Denkmals in Mexico-City an-

lässlich des Bicentenario, dessen Kosten innerhalb

zweier Jahre von 30 auf 85 Mio. USD angestiegen wa-

ren.

Was tun? Maßnahmen zur Korruptionsbekämpfung

Juristen und Politikwissenschaftler sind sich darin ei-

nig, dass es illusorisch ist, Korruption mit höheren Ge-

fängnisstrafen bekämpfen zu wollen. Dagegen spricht

allein schon die in Lateinamerika vorherrschende

Straflosigkeit, denn Latinos – insbesondere reiche –

Facebook-Seite „Stop Corruption Brasil“ (Quelle: facebook.com)

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Freiheit vs. Korruption

gehen gewöhnlich gar nicht oder nur für kurze Zeit ins

Gefängnis. Ein wesentlicher Ansatz, um Korruption

effektiv zu bekämpfen, sei daher eine Strafrechtsre-

form nach dem Modell der USA, Italiens oder

Deutschlands. Dies mit den Elementen einer öffentli-

chen, Transparenz und Kontrolle schaffenden Haupt-

verhandlung sowie der Möglichkeit einer Strafmaßre-

duzierung im Falle einer Kooperation mit der Staats-

anwaltschaft. Zudem müsse die Zahl öffentlicher Äm-

ter und Funktionen abgebaut werden, Verwaltungs-

prozesse müssten vereinfacht und transparent und

bürgerfreundlich gestaltet werden – denn Bürokratie-

abbau ist Korruptionsbekämpfung.

Überhaupt ist Transparenz der Schlüssel: Je mehr In-

formationen die Bürger haben, je professioneller damit

Politiker ihre Kontrollaufgaben etwa gegenüber der

lokalen Verwaltung wahrnehmen können, desto klei-

ner werden Spielräume für Korruption. Eine brasiliani-

sche Studie zeigt ganz klar und einfach: Je intensiver

die Aufsichts- und Kontrollbehörden in einem brasilia-

nischen Bundesstaat arbeiten, desto langsamer wer-

den die dortigen Politiker reich, desto geringer sind

die Personalkosten im öffentlichen Dienst und desto

niedriger ist die Verschuldung des Bundesstaates ge-

genüber dem Bund.

Was wird nun getan im Kampf gegen die Korrupti-

on?

Brasilien setzt computergestützte Programme zur

Überwachung und zum „Cross-Checking“ von Infor-

mationen ein; damit sind Verwaltungsvorgänge we-

sentlich transparenter geworden, so etwa durch die

elektronischen Steuererklärungen, den Einsatz eines

elektronischen Verzollungssystems, der elektronischen

Rechnungserstellung für Waren und Dienstleistungen

sowie durch die Offenlegung von öffentlichen Ausga-

ben im Internet, was die Stadtregierung von São Paulo

praktiziert. Auch arbeiten die zuständigen Kontrollbe-

hörden professioneller und besser zusammen. Den-

noch hat der Bundesrechnungshof allein im Jahr 2011

Entwendungen in Höhe von 770 Mio. Euro nachwei-

sen können – seit 2002 summiert sich der Betrag auf

stolze 3,3 Mrd. Euro, wovon jährlich nur ca. 8% den

öffentlichen Haushalten wieder zurückgeführt werden

können. Wie hoch der volkswirtschaftliche Schaden

Brasiliens tatsächlich ist, ist nur schwer zu bemessen.

Der Industrieverband von São Paulo (Fiesp) schätzt,

dass er zwischen 21 Mrd. und 36 Mrd. Euro liegt, das

wären ca. 2% des BIP.

Argentiniens Präsident Fernando de la Rúa rief 1999

eine in die Regierung eingegliederte Antikorruptions-

behörde ins Leben, welche die Aufgabe hat, Program-

me zur Korruptionsbekämpfung auszuarbeiten; die

Behörde arbeitet auf der Grundlage eines „Gesetzes

für Ethik“. Präsident Néstor C. Kirchner erließ zwi-

schen 2003 und 2007 das Dekret über den Zugang zur

öffentlichen Information aus dem Bereich der Natio-

nalen Exekutive und schuf einen neuen Mechanismus

zur Auswahl der Obersten Richter.

Mexikos Parlament verabschiedete Transparenzgeset-

ze, die den Bürgern ein Auskunftsrecht in Verwal-

tungsverfahren einräumen; die Justiz hat eine interne

Disziplinarstelle eingerichtet. Dazu ist in den letzten

15 Jahren ein verstärkter Wechsel in öffentlichen Äm-

tern und Funktionen zu beobachten. Jedoch hat sich

die Korruption nicht verringert, sondern eher erhöht.

Zwischen 2004 und 2011 ist Mexiko im CPI 2011 von

Platz 64 (von 145) auf Platz 100 (von 183) gefallen.

Sowohl in Guatemala als auch in Honduras und Ni-

caragua existieren Leyes de Acceso a la Información Pública, Gesetze über den Zugang zu öffentlichen In-

formationen. Die neue Regierung Guatemalas hat zur

Vermeidung von Korruption beschlossen, dass NGOs

ab 2012 nicht mehr an öffentlichen Ausschreibungen

zum Bau und Ausbau von Infrastruktur teilnehmen

dürfen. In Honduras existiert eine Sonderbehörde für Graffiti „Beschmutzt nicht die Kunst durch Eure Korruption!“

in Campo Grande, Brasilien (Foto: ceruleo/Flickr)

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Freiheit vs. Korruption

staatliche Beschaffungen, deren Beirat sich aus Ver-

tretern der Unternehmerverbände und der Zivilgesell-

schaft zusammensetzt und deren Aufgabe die Über-

wachung öffentlicher Ausschreibungen ist. In Costa

Rica besteht die Staatsanwaltschaft seit dem Jahre

2010 auf Ausgleichszahlungen seitens der in Korrupti-

onsfälle verwickelten Amts- und Mandatsträger bzw.

Unternehmen. Diese Ausgleichszahlungen werden

dann eingefordert, wenn durch die Korruption Schä-

den für die Allgemeinheit entstanden sind. Sie fließen

direkt in die Staatskasse.

Beispielhaft seien an dieser Stelle auch die gegen zwei

ehemalige costaricanische Präsidenten geführten

Strafverfahren genannt. 2009 und 2011 wurden zwei

ehemalige Präsidenten des Landes wegen Korruption

angeklagt und verurteilt: Rafael Ángel Calderón des

Partido Unidad Social Cristiana hatte im Rahmen ei-

ner Ausschreibung für die Installation von mobilen

Telefonnetzen der französischen Firma Alcatel Beste-

chungsgelder erhalten und Miguel Ángel Rodríguez

derselben Partei ließ sich beim Kauf von Medizintech-

nik korrumpieren; beides sind in Costa Rica Präze-

denzfälle, da Präsidenten bis dahin Straffreiheit ge-

nossen hatten. Sowohl die Staatsanwaltschaft als

auch die Exekutive Costa Ricas haben in den letzten

Jahren ihre Anstrengungen zur Aufdeckung von Kor-

ruptionsfällen intensiviert. Eine Sonderabteilung der

Staatsanwaltschaft hat Korruptionsfälle in zehn Ge-

meinden aufgedeckt, in denen die Bürgermeister bei

Ausschreibungen bestochen wurden oder Geld für die

Ausübung ihrer Mandate annahmen.

Eine der bekanntesten Wochenzeitschriften Brasiliens,

Veja, veröffentlichte anlässlich des letzten Welt-Anti-

Korruptionstags auf ihrer Website ein „Netz der Kor-

ruptionsskandale“. Interessierte Leser können sich dort

leicht und ausführlich über alle öffentlich bekannt

gewordenen Korruptionsfälle der vergangenen Jahre

informieren.1

Transparency International Brazil2 misst nicht nur die

Korruption und den Stimmenkauf, sondern evaluiert

auch die Arbeit von Mandatsträgern, wie z.B. die der

brasilianischen Bundesabgeordneten und Bundesrich-

ter, um good governance zu fördern.

Aktuell schaut die brasilianische Bevölkerung mit

größter Sorge auf die drohende Kostenexplosion durch

die stark in Verzug geratenen Bauvorhaben für die

Fußballweltmeisterschaft 2014. Nach Meinung des

ehemaligen Fußballnationalspielers und amtierenden

Bundesabgeordneten „Romário“ wird die Fußballwelt-

meisterschaft „der größte Klau der Geschichte Brasili-

ens“. Denn Brasilien hat zwar Gesetze – sogar relativ

strenge – zur Korruptionsvermeidung bei öffentlichen

Ausschreibungen, jedoch werden diese in dringenden

Fällen außer Kraft gesetzt – was einem Freibrief für

alle Beteiligten gleichkommt.

Aktivitäten der lateinamerikanischen Stiftungs-

partner zur Korruptionsbekämpfung

Kernaufgabe der Stiftungsarbeit ist und bleibt es, in

Lateinamerika eine Kultur der Begrenzung der Staats-

macht, eine Kultur der Transparenz und Rechen-

schaftslegung sowie Bürgerpartizipation im Sinne ei-

ner Wächterfunktion und Kontrolle öffentlichen Han-

delns zu fördern. Die Stiftung will mit ihren Partnern

damit langfristig dazu beitragen, Denkweisen zu ver-

ändern und die einer transparenten Verwaltung zu-

grunde liegenden Werte und Haltungen zu fördern

und zu stärken.

In Argentinien fördert die Stiftung in Zusammenarbeit

mit dem Think-Tank Libertad y Progreso die Veröffent-

lichung eines Index zur Qualität der Institutionen, der

u.a. Transparenz und Vereinfachung von Prozessen der

öffentlichen Verwaltung misst.

In Zentralamerika fördert die Stiftung über die Verei-

nigung liberaler Bürgermeister Zentralamerikas den

Austausch von best practices aus dem Bereich der Ge-

meindeverwaltung (NPM, Transparenz, Bürgerpartizi-

pation) und trägt damit zur Aus- und Fortbildung von

Kommunalpolitikern bei, die ihre Aufgaben noch ge-

wissenhafter wahrnehmen sollen.

Die FNF Brasilien leistet in ihren Bildungsveranstal-

tungen mit ihren Partnern zu Themen wie NPM

(Entbürokratisierung, Subsidiaritätsprinzip), Liberalis-

mus, Demokratie, Presse- und Meinungsfreiheit, Mo-

bilisierung und Organisation von Aktionen, strategi-

sche Kommunikation sowie der Schulung im Umgang

mit modernen elektronischen Medien für politische

1 http://veja.abril.com.br/infograficos/rede-escandalos/rede-

escandalos.shtml 2 http://www.transparencia.org.br/

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Freiheit vs. Korruption

Zwecke und zur Imagekontrolle einen Beitrag zur Kor-

ruptionsbekämpfung.

Eine Twitter-Aktion der brasilianischen Juventude De-mocratas forderte den Parteiausschluss eines korrup-

ten Mandatsträgers: Als der Gouverneur des Bundes-

distrikts Brasilia, José Arruda, von der Partei der De-

mokraten in einen massiven Korruptionsfall verwickelt

war, wurde er dafür nicht nur von der Presse angegrif-

fen, sondern vor allem auch von der mit der FNF ko-

operierenden Parteijugend, Juventude Democratas. Die

forderte unter Nutzung der elektronischen Medien,

insbesondere Twitter: (#ForaArruda), öffentlich Arru-

das bedingungslosen Parteiausschluss und eine mora-

lisch einwandfreie Politik. Damit stellte sich die

Parteijugend der Demokraten an die Spitze der Bewe-

gung gegen Arruda, was in hohem Maße ungewöhn-

lich war, da in Brasilien Jugendverbände öffentlich

fast nie Kritik an der Führung der eigenen Partei üben.

Dieser massive Druck der Parteijugend fiel sogar den

Medien positiv auf, die in führenden Tageszeitungen

und Blogs über die Kritik der jungen Liberalen an ihrer

Mutterpartei berichteten. Die Partei nutzte die Gunst

der Stunde und schloss den der Korruption angeklag-

ten Mandatsträger tatsächlich aus der Partei aus.

Auf Initiative der Demokraten und insbesondere mit

Unterstützung ihres Jugendverbands wurde 2010 ein

unterschriftengestützter Gesetzesentwurf (1,3 Mio.

Unterschriften), genannt „Ficha Limpa“ („sauberes Be-

werbungsformular“), verabschiedet, der es Politikern,

die in zweiter Instanz wegen Amtsmissbrauch, Stim-

menkauf, Veruntreuung oder anderer Rechtsverstöße

verurteilt wurden, untersagt, während der nächsten

acht Jahre wieder zu kandidieren. Das Gesetz verhin-

dert dieser Tage, dass Politiker, denen es bislang im-

mer wieder gelungen war, trotz strafrechtlicher Verur-

teilung wiedergewählt zu werden (was Immunität zur

Folge hatte), bei den kommenden Kommunalwahlen

2012 erneut antreten dürfen.

Die brasilianischen Demokraten verstehen sich als ver-

antwortungsvolle und überwachende Opposition. Bei

allen in der Öffentlichkeit und zumeist durch die Me-

dien bekannt gewordenen Korruptionsfällen setzen sie

und insbesondere ihre Jugendorganisationen sich

stets für die Einrichtung einer parlamentarischen Un-

tersuchungskommission ein und fordern die bedin-

gungslose Aufklärung der Korruptionsfälle und die

Bestrafung der Schuldigen.

Der Stiftungspartner CEDICE Libertad ist Mitglied von

RELIAL, Red Liberal de América Latina und Mitbegrün-

der der NGO Transparencia Venezuela, mit deren Hilfe

die Regierung des Bundesstaates Miranda – in dem

die Hauptstadt Caracas liegt – Programme und best

practices in den Bereichen accountability und Trans-

parenz von Staatsausgaben umsetzt und anwendet.

Auch einige Abgeordnete des nationalen Parlaments

lassen sich von dieser NGO beraten, um Rechenschaft

über ihre Amtshandlungen ablegen zu können. Selbst

wenn es sich hier um Ausnahmefälle, um von Opposi-

tionsparteien geführte Regionalregierungen und Ab-

geordnete der Opposition handelt, sind dies erste

wichtige Schritte im Bereich der Korruptionsbekämp-

fung. Die Organisation hat zudem ein Beratungspro-

gramm in Korruptionsfällen (ALAC - Asistencia Legal Anticorrupción)3 eingerichtet, das Opfer von Korrupti-

on bei rechtlichen Schritten berät. CEDICE Libertad

führt darüber hinaus Seminare und Konferenzen zu

den Themen Verantwortlichkeit und Transparenz in

der Verwaltung und Verwendung von öffentlichen

Mitteln durch.

Mit Beiträgen der Projektleiter und -koordinatoren

sowie Vertretern von RELIAL-Partnern

Endredaktion: Elisabeth Maigler und Ulrich Wacker

Parlamentarier der Opposition, angeführt von den

Demokraten, rufen zur Unterstützung für die Einrichtung einer

„Parlamentarischen Untersuchungskommission der Korruption“

im Kongress auf, Dezember 2011 (Foto: G1)

3 http://www.alacvenezuela.org/view/home

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FNF International News 1-2012

Freiheit vs. Korruption

Die „Revolution vom 25. Januar“, die im vergangenen

Frühjahr die dreißigjährige Herrschaft von Ägyptens

ehemaligem Präsidenten Hosni Mubarak zu Ende

brachte, wurde auch angefacht von der Wut der Mas-

sen über die täglichen Ungerechtigkeiten und Demüti-

gungen, die Korruption des Regimes im Kleinen wie im

Großen. Die Ägypter waren der Gier des aufgeblähten

Staatsapparates nach „Bakschisch“ bei mehr oder we-

niger jeder sich bietenden Gelegenheit ohnmächtig

ausgesetzt. Die Kehrseite der täglich erfahrenen Kor-

ruption und finanziellen Nötigung der verarmten Mas-

sen ist die große Korruption der politischen und wirt-

schaftlichen Eliten: Eine kleptokratische Ordnung bil-

dete die sozioökonomische Basis des Mubarak-

Regimes. Im Zuge einer so genannten wirtschaftlichen

Liberalisierungspolitik akkumulierte eine kleine Grup-

pe von Ägyptern – in kurzer Zeit – gewaltige Vermö-

gen. Das System folgte einem relativ einfachen Mus-

ter: Unter Aussetzung rechtsstaatlicher und markt-

wirtschaftlicher Grundsätze versilberte die Regierung

riesige Ländereien und Staatsbetriebe an politische

Gewährsleute, Freunde der Familie Mubarak und an-

dere Günstlinge, die ihre politischen Patrone mit der

Zahlung von hohen Kommissionen bei Laune hielten.

In den Listen von Transparency International hat das

Land am Nil traditionell einen hinteren Platz. Zwar

hatte es in den späten Jahren des Mubarak-Regimes

Bemühungen gegeben, das schlechte Image zu korri-

gieren. Doch die entsprechende Gesetzgebung konnte

– und durfte – schon aus den beschriebenen systemi-

schen Gründen keinen Erfolg haben. Wer gehofft hat-

te, nach der Revolution würde alles besser, sah sich

auch in diesem Bereich enttäuscht. Tatsächlich ist

Ägypten in der TI-Tabelle im Revolutionsjahr 2011 um

weitere 14 Ränge auf Platz 112 zurückgefallen. Der

glücklos operierenden Militärjunta, die Hosni Mubarak

aus dem Amt gedrängt hat, ist es nicht gelungen, in

der Transparenz-Frage Zeichen zu setzen – von neuen

Standards ganz zu schweigen. Wie in vielen anderen

Fragen, die mit Menschenrechten und Demokratie zu-

sammenhängen, hat die Militärjunta in den Augen

weiter Kreise der Öffentlichkeit enttäuscht. Zwar ist es

2011 zu spektakulären Strafprozessen gegen die alten

politischen Herrscher gekommen – die Bilder von Hos-

ni Mubarak im Käfig gingen um die Welt – und der im

Volk verhasste ehemalige Innenminister Habib al Adly

wurde zu zwölf Jahren Haft für Geldwäsche verurteilt.

Doch das große Reinemachen im Sinne einer systema-

tischen Aufarbeitung der Korruptionsfälle ist bisher

ausgeblieben. Das mag auch daran liegen, dass es kei-

nen Konsens darüber gibt, wo man anfangen und wo

man bei dieser Rosskur aufhören sollte. Verbreitet ist

die Einsicht, dass alle Ägypter, die irgendwie zu Geld

gekommen sind, natürlich – geradezu nolens volens –

mit korrupten Praktiken in Berührung gekommen sind.

Angesichts des wirtschaftlichen Niedergangs im Zuge

der Revolution fehlte den Generälen offenkundig die

Kraft, sich auf breiter Front mit dem Unternehmertum

– ja praktisch der gesamten produktiven Klasse – an-

zulegen. Man beließ es bei einigen wenigen

(politischen) Fällen.

Eine neue Situation ist potenziell nach dem Sieg der

islamistischen Parteien bei den Parlamentswahlen

entstanden. Die Ägypter haben diesen Gruppen und

ihren Kandidaten große Mehrheiten gegeben, weil sie

als unkorrupt gelten und die Bekämpfung der Korrup-

Trotzt die Korruption der Revolution im Mittelmeerraum?

Ägypten – Trotz Revolution, kein Durchbruch

im Kampf gegen die Korruption

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FNF International News 1-2012

Freiheit vs. Korruption

tion zu einer Priorität deklariert haben. Insofern be-

steht eine hohe Erwartung. Gleichwohl wird es in

Ägypten – wie in anderen Ländern der Region – nicht

damit getan sein, neue Anti-Korruptionsrichtlinien

oder Gesetze zu verabschieden. Es geht um tief ver-

wurzelte Verhaltensweisen, die auf einem System von

Beziehungen, Netzwerken und Seilschaften aufbauen,

das als „Wasta“ bekannt ist. Kaum verbreitet ist die

Einsicht in den Massen – und bei den Eliten –, dass

Korruption in hohem Maße Gift für die wirtschaftliche

Entwicklung und somit unsozial ist, von der morali-

schen Seite, die die Islamisten ins Feld führen, einmal

abgesehen. Es gibt zivilgesellschaftliche Gruppen, die

sich den Kampf gegen die Korruption auf die Fahnen

geschrieben haben. Zu den vielen Rückschlägen im

Jahr zwei der Revolution gehört, dass sie geschwächt

sind, nachdem sie ins Fadenkreuz der regierenden Jun-

ta geraten sind.

Ein zentraler Indikator für die demokratischen Stan-

dards eines Staates ist die Rechtsstaatlichkeit resp. die

Frage, inwieweit diese durch Korruption unterminiert

wird. Laut CPI 2011 von Transparency International

hat sich die Situation in Israel diesbezüglich in den

letzten Jahren verschlechtert. Während das Land im

Jahre 2005 noch auf Rang 28, im Jahre 1997 sogar

auf Platz 18 (von damals erfassten 52 Staaten) ran-

gierte, ist Israel derweil auf Platz 36 (unter 183 gelis-

teten Staaten) zurückgefallen; in einer Werteskala von

0-10 hat es im Jahre 2011 mit nur 5.8 Punkten das

schlechteste Ergebnis seit seiner Einbeziehung in den

Index erzielt. Zu beachten ist allerdings, dass 70% der

indexierten Staaten hinter Israel platziert sind, darun-

ter eine Reihe osteuropäischer Länder sowie Italien,

Griechenland und die Türkei; mehr als zwei Drittel der

Staaten figurieren dabei mit weniger als fünf Punkten

auf der Werteskala. Im Kreise der 34 OECD-

Mitgliedsstaaten findet man das junge Mitglied Israel

erst im letzten Drittel mit Rang 25.

Da der CPI sich in erster Linie aus Meinungsumfragen

speist, spielt die öffentliche Meinung des jeweiligen

Landes beim Ranking eine entscheidende Rolle. Hier

zeigt sich für Israel die Wirkung spektakulärer Korrup-

tionsskandale

der letzten

Jahre, allen

voran der

Skandal um

den ehemali-

gen Premier-

minister Ehud

Olmert, dem

in nicht weni-

ger als vier

Fällen Betrug

und Untreue vorgeworfen wird, darunter die so ge-

nannte „Holyland-Affäre“, einer der gravierendsten

Korruptionsfälle in der Geschichte Israels. In seiner

Zeit als Bürgermeister Jerusalems soll Olmert im Kon-

text eines ohnehin hoch umstrittenen Bauprojekts fast

eine Million Dollar für die Erteilung zweifelhafter

Baugenehmigungen erhalten haben. Dieser Skandal

bestärkte zusätzlich den ohnehin weit verbreiteten

Eindruck in der israelischen Bevölkerung, dass die po-

litische Elite des Landes in hohem Maße korrumpiert

sei. Lässt man die diversen Spitzenpolitiker Revue pas-

sieren, die in Israels Gefängnissen Haftstrafen auf-

grund von Korruptionstatbeständen verbüßen oder

verbüßt haben, darunter ein ehemaliger Innenminis-

ter, ein Finanz- und ein Gesundheitsminister, dann

fällt es in der Tat nicht schwer, diese Einschätzung

nachzuvollziehen. Auch in einer 2010 von der Stiftung

durchgeführten Meinungsumfrage wird die klare Ver-

urteilung der Korruption durch Israels Öffentlichkeit

deutlich: Fast 90% der Befragten stimmten der Aussa-

ge zu, dass die Korruption eine Gefahr für die Demo-

Israel

Ein ägyptischer Demonstrant während der „Arabellion“ 2011

(Foto: Hossam el-Hamalawy/Flickr)

Foto: Möller Marco-Ken/Flickr

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FNF International News 1-2012

Freiheit vs. Korruption

kratie Israels darstelle.

Experten sehen die Korruption in der politischen

Sphäre von dem Faktum begünstigt, dass es sich bei

Israel – mit knapp acht Mio. Einwohnern – um ein

kleines Land handelt, d.h. die politische Elite ist sehr

überschaubar, jeder kennt jeden – eine gute Voraus-

setzung für florierende Vetternwirtschaft. Als weiterer

Grund für den Anstieg der Korruption in Israel wird

das Proporz-Wahlsystem mit seiner reinen Listenwahl

genannt. Dies führe zu einer Verkümmerung des Un-

rechtsbewusstseins der Politiker, da sie sich nur be-

dingt zur Rechenschaft verpflichtet sehen – ein Um-

stand, der die Anfälligkeit für Bestechungsversuche

begünstigt. Viele Bürger sehen die Autorität des Staa-

tes und die Solidität der Rechtsordnung in Frage ge-

stellt, auf die man sich lange Zeit so viel zu Gute hielt.

Zu diesen bedenklichen Entwicklungen gesellt sich der

Missstand chronischer personeller Unterbesetzung der

mit der Durchsetzung von Recht und Ordnung betrau-

ten Institutionen.

Diese Sachverhalte stellen zweifellos eine Gefahr für

Ansehen und Stabilität der israelischen Demokratie

und zugleich eine große Herausforderung für den

Rechtsstaat dar. Andererseits deutet jedoch die Tatsa-

che, dass hochrangige Spitzenpolitiker in Israels Ge-

fängnissen einsitzen, auf Transparenz und ein hohes

Niveau an Rechtsstaatlichkeit hin. Demokratieexper-

ten unterstreichen, dass Gesetze und Verfahren gegen

Personen unter Korruptionsverdacht in Israel heutzu-

tage teilweise schärfer ausfallen als in Europa. Nach-

dem man in Israel Bestechlichkeit lange Zeit als ein

notwendiges Übel beim Aufbau des Staates toleriert

hatte, begann man in den 90er Jahren, der Korruption

endlich entschieden den Kampf anzusagen – ausweis-

lich des Korruptionsindexes allerdings noch nicht mit

hinreichendem Erfolg. Die über Wochen anhaltenden

sozialen Proteste, die Israel im Sommer 2011 beweg-

ten, legten nicht nur Zeugnis über die fundamentale

Kritik der Bevölkerung mit Blick auf die im Lande herr-

schenden Missstände ab, sondern auch über das hohe

Maß an bürgerlichen Freiheiten. Soziale Gerechtigkeit

war das Stichwort bei den Protesten. Dabei wurde so-

wohl auf die ungleiche Verteilung des Wohlstandes als

auch auf die unmoralische und kriminelle Verzahnung

von Politik und Wirtschaftskartellen verwiesen.

Die israelische Demokratie steht vor gewaltigen Her-

ausforderungen, zu denen gerade auch die konse-

quente Bekämpfung etablierter Korruptionspraktiken

gehört. Dies ist den verantwortlichen, rechtsstaatli-

chen Kontrollinstanzen, aber auch den Bürgern des

Landes sehr wohl bewusst. Dieses positive Faktum

lässt darauf hoffen, dass auch in Israel die Erkenntnis

wächst, dass Demokratie kein ein für allemal gesicher-

ter Zustand ist, sondern stete Erneuerung und Wach-

samkeit erfordert. Hierbei kommt gerade der Zivilge-

sellschaft als Voraussetzung demokratischer Kultur

eine wichtige Rolle zu. Dieser Verantwortung stellt

sich auch die Stiftung im Rahmen von Kooperations-

maßnahmen mit lokalen Partnern. Sie beteiligt sich

somit indirekt an der Korruptionsbekämpfung im Lan-

de, indem sie in Zusammenarbeit mit ihren Partnern u.

a. Rechtsstaatlichkeit und zivilgesellschaftliches Enga-

gement stärkt und zudem gezielt Transparenz in den

problematischen Feldern der Minderheitenrechte resp.

der Gleichstellung aller Bürger einfordert.

Eine Evaluierung des Standes der Korruption in den

palästinensischen Gebieten ist ein schwieriges Unter-

fangen. Dies hat mit dem Fehlen von allgemein gülti-

gen, nationalen Daten auf Grund der fortgesetzten

faktischen politischen Spaltung des Landes zu tun, wie

auch mit der Tatsache, dass Palästina über keine volle

Staatlichkeit verfügt bzw. zum Teil noch unter israeli-

scher Besatzung steht. Daher beziehen sich die meis-

ten der nachfolgenden Befunde ausschließlich auf die

West Bank, da hier ein freieres Informationsklima be-

steht. Palästina wird seit mehreren Jahren nicht mehr

im Korruptions-Index von Transparency Internationa-

lerfasst, weil die international verwendeten Messindi-

katoren nur bedingt auf Palästina übertragbar sind,

obwohl – mit dem Stiftungspartner Coalition for Ac-countability and Integrity AMAN – sogar ein nationa-

les Chapter von TI besteht.

Die Korruptionsphänomene in Palästina unterscheiden

Palästina

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FNF International News 1-2012

Freiheit vs. Korruption

sich nicht von den weltweit bekannten, wie z. B. der

Unterschlagung öffentlicher Mittel oder der Verun-

treuung von Ländereien im Staatsbesitz. In den Jahren

1995-2007 kam es insbe-

sondere zur Unterschlagung

von Geldern aus den Zu-

wendungen der internatio-

nalen Gebergemeinschaft.

Dies hat jedoch deutlich

nachgelassen, vor allem seit

der angesehene Ökonom Dr.

Salam Fayyad die Regie-

rungsgeschäfte in Ramallah

führt. Deutlich verbessert

hat sich auch das System

der öffentlichen Ausschrei-

bung von Regierungspro-

jekten und der Erteilung

von Staatsaufträgen, speziell im Bereich der Material-

beschaffung für den Regierungsapparat. Aber als pre-

kär gilt die Lage noch mit Blick auf die Anwendung

von „Wasta“ (Nepotismus) bei der Einstellung im öf-

fentlichen Dienst sowie auf die verbreitete Vettern-

wirtschaft. Regierungsbedienstete benötigen zur Ein-

stellung eine sicherheitsrelevante Unbedenklichkeits-

bescheinigung durch die nicht demokratisch kontrol-

lierten Sicherheitsapparate. Dies führt letztendlich zu

einer eindeutigen Bevorzugung der Parteigänger der

jeweils herrschenden Partei, d.h. jener der Fatah in der

West Bank und solcher der Hamas im Gazastreifen.

Dort hat die Hamas seit 2007 Tausende von Fatah-

Mitgliedern im öffentlichen Dienst suspendiert, vor

allem in den Sicherheitsapparaten, aber auch im Uni-

versitäts– und Schuldienst sowie im Gesundheitssek-

tor.

Trotz der Bemühungen staatlicher Stellen, die Korrup-

tion effektiv zu bekämpfen, stellt der Jahresbericht

2011 des Stiftungspartners AMAN fest, dass der poli-

tische Wille zur Entwicklung eines seriösen und um-

fassenden Maßnahmenkataloges zur Korruptionsbe-

kämpfung noch ausstehe. Positiv ist jedoch anzumer-

ken, dass im Jahre 2010 auf der Grundlage eines Anti-

Korruptions-Kommissionsgesetzes eine entsprechende

Institution ins Leben gerufen worden ist - ein Erfolg,

der ohne den öffentlichen Druck und die Lobbyarbeit

der palästinensischen Zivilgesellschaft nicht möglich

gewesen wäre. Der bekannteste Korruptionsfall ist der

des ehemaligen Ministers für Sicherheit und führen-

den Mitglieds des Fatah-Zentralkomitees, Mohammad

Dahlan. Ihm werden Unterschlagung, Betrug, Verun-

treuung öffentlicher Mittel sowie Erpressung vorge-

worfen. Auch mehrere andere, ehemals hohe Regie-

rungsbeamte und Minister werden auf Initiative der

Anti-Korruptionskommission von den Justizbehörden

strafrechtlich verfolgt.

Die Regierung in der West Bank hat seit 2010 das

Arab Agreement against Transnational Crime, das

Arab Agreement against Money Laundering and Fi-nancing Terrorism sowie das Arab Agreement against Corruption unterzeichnet. Um einen höheren Grad an

Transparenz im Regierungshandeln zu erreichen, be-

müht sich die Regierung um verstärkte Öffentlich-

keitsarbeit, z.B. in den elektronischen Medien. So ver-

öffentlicht etwa das Finanzministerium monatlich sei-

ne Finanzberichte und Ausschreibungen. Selbst die

Sicherheitskräfte treten immer öfter an die Öffentlich-

keit, um diese über eigene Aktivitäten sowie relevante

Maßnahmen für die Bevölkerung zu informieren; ein

Verhaltenskodex für das Personal der Sicherheits-

dienste ist in Bearbeitung.

Größtes Hindernis für eine effektive Korruptionsbe-

kämpfung ist jedoch die Aussetzung der Arbeit des

2006 gewählten Parlaments seit dem so genannten

„Hamas-Putsch“ und der Spaltung Palästinas im Jahre

2007. Das Parlament kann weder seine Gesetzge-

bungskompetenz noch seine Kontrollfunktion gegen-

über der Exekutive ausüben. Die Regierung ist nur

dem Präsidenten verantwortlich, dessen Amtsperiode

– ebenso wie die des Parlaments – bereits seit zwei

Jahren abgelaufen ist. Dem Präsidenten obliegt es

nun, die Geschicke des Landes mit Hilfe von ihm erlas-

sener Dekrete zu führen. Das Ausbleiben der überfälli-

gen Neuwahlen auf allen Ebenen tut ein Übriges, um

die notwendige Legitimation der staatlichen Instituti-

onen in Frage zu stellen. Dies verstärkt den – durch

verschiedene Umfragen von AMAN belegten – Ein-

druck breiter Bevölkerungsschichten, dass die politi-

sche Elite des Landes in hohem Maße korrumpiert sei.

Defizite bestehen auch im Bereich der innerparteili-

chen Demokratie in den politischen Gruppierungen,

wo seit vielen Jahren anstehende Wahlen wieder und

wieder hinausgezögert werden. Dies vertieft das ver-

breitete Misstrauen vieler Bürger in die Legitimation

politischer Führungspersönlichkeiten.

Dr. Salam Fayyad

(Foto: Decap / Wikipedia)

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FNF International News 1-2012

Freiheit vs. Korruption

Das Bewusstsein der Bevölkerung von der Notwendig-

keit aktiver Korruptionsbekämpfung ist jedoch mittler-

weile geschärft. Die relativ unabhängige Medienszene

sowie die Zivilgesellschaft leisten wichtige Arbeit, um

Korruptionsfälle und Missmanagement im Regie-

rungsapparat aufzudecken. Die Stiftung hat hier eine

gute Grundlage, um in der Zusammenarbeit mit den

Partnern Rechtsstaatlichkeit und zivilgesellschaftli-

ches Engagement zu fördern. Es besteht in Palästina

dabei kein Konflikt zwischen den traditionellen Wer-

ten und dem „westlichen“ Kampf gegen Korruption,

weil diese moderne Krankheit staatlicher und gesell-

schaftlicher Ordnungen von den Bürgern Palästinas

als Gefährdung sowohl des Aufbaus eines eigenen

Staates als auch der Schaffung einer persönlichen

Existenzgrundlage erkannt wird.

Im Zuge des „Arabischen Frühlings“ ist der Kampf ge-

gen Korruption und Vetternwirtschaft zu einem zent-

ralen Thema der politischen Debatte in Marokko avan-

ciert. Die Forderung nach mehr Transparenz war be-

reits eine Kernforderung der Protestbewegung des „20.

Februar“. Und auch dem Sieg der Islamisten bei den

Parlamentswahlen im November 2011 war deren Ver-

sprechen vorausgegangen, „Ehrlichkeit in der Politik“

mit „guter Regierungsführung“ zu verbinden.

Kampf gegen eine Kultur des Bakshish

Doch der Weg dorthin ist weit. Von Klientelismus und

Korruption geprägte Verhaltensweisen sind tief in der

marokkanischen Gesellschaft verankert. In nahezu al-

len Teilen des politischen und wirtschaftlichen Lebens

herrscht eine „Kultur des Bakshish“. Auf dem Index

von Transparency International erreichte Marokko

2010 nur 3,4 von 10 möglichen Punkten und landete

damit auf Platz 85 von 178 bewerteten Staaten. Die-

ser Mangel an Transparenz wird zunehmend auch in

Marokko als ein wesentliches strukturelles Hindernis

für die politische und ökonomische Transformation

erkannt.

Die „Moralisierung des öffentlichen Lebens“ steht in-

sofern schon seit Jahren auf

der Reformagenda des Kö-

nigs. In den vergangenen

Jahren war es verstärkt zu

(punktuellen) Initiativen der

Korruptionsbekämpfung ge-

kommen, mit dem Ziel das

angeschlagene Ansehen von Parteien und Staatsfüh-

rung zu heben und den Islamisten die Grundlage für

Kritik zu nehmen. Mit der Instance Centrale pour la Prévention de la Corruption (ICPC) wurde eine zentra-

le Behörde gegründet; der 6. Januar jeden Jahres zum

landesweiten Tag für die Bekämpfung der Korruption

ernannt. Doch viele Initiativen versandeten schnell –

zu weit ist die Vetternwirtschaft bereits in die etab-

lierten Machtstrukturen hineingewuchert.

Weiße Weste der Islamisten?

Und so erstaunt es nicht, dass der Erfolg der

„Bewegung des 20. Februar“ und der überraschend

deutliche Sieg der Islamisten bei den vergangenen

Wahlen vor allem auf der Anprangerung einer korrup-

ten politischen Klasse basier-

te. Zum ersten Mal Teil der

Regierung, trägt die moderat

-islamistische Parti de Justice et du Développement (PJD)

unter dem neuen Premiermi-

nister Abdelilah Benkriane für

viele Marokkaner noch die

weiße Weste einer nicht vom

politischen System korrum-

pierten Kraft. Mit geschick-

tem Bezug auf religiöse Prin-

zipien hat die PJD in den vergangenen Monaten kon-

krete und teils spektakuläre Maßnahmen der Korrupti-

onsbekämpfung ergriffen, die in der Öffentlichkeit

heftig diskutiert werden. So wurden Listen mit frag-

würdigen staatlichen Privilegien im Transportsektor

veröffentlicht und mit dem Abriss von tausenden ille-

gal gebauten Häusern begonnen – ohne Rücksicht auf

Status und Herkunft der Besitzer. Die kommenden

Monate werden zeigen, ob die neue Regierung diesen

riskanten Kurs halten kann. Denn was Marokko heute

braucht ist kein weiteres politisches Strohfeuer der

Korruptionsbekämpfung, sondern ein grundlegender

Mentalitätswandel von unten.

Marokko

Abdelilah Benkriane

(Foto: Lam19 / Wikipedia)

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FNF International News 1-2012

Freiheit vs. Korruption

Bis zur Revolution im Januar 2011, bei der der Frust

breiter Bevölkerungsteile über die Kleptokratie der

Familie des Präsidenten Ben Ali eine treibende Kraft

war, war Tunesien ein Land, das im Hinblick auf die

Verbreitung von Korruption zweigeteilt war. Auf der

einen Seite die große Zahl von Offshore- und interna-

tional exportierenden Unternehmen, die in Freizonen

produzierten und administrativ von den normalen

Steuer- und Zollbehörden getrennt waren – und damit

von der ‚normalen’ Korruption isoliert blieben – und

auf der anderen Seite tunesische Unternehmen (und

hier vor allem der Handel und KMUs), die erheblich

unter der flagranten Korruption litten. Vom Polizisten,

der die Hand aufhält, bis zur intransparenten Vergabe

von Großaufträgen und Importlizenzen war Korruption

weit verbreitet. Hinzu kam die Habgier der inzwischen

geschassten Präsidentenfamilie, deren Mitglieder sich

insbesondere in gut laufende Großunternehmen hin-

eindrängten und ihren „Trabelsi-Zehnt“ einforderten

(benannt nach der Ehefrau des Präsidenten Ben Ali

Layla Trabelsi), d.h. eine Beteiligung an den Einnah-

men gut laufender Unternehmungen.

Seit der Revolution ist die Korruption ‚von oben’, d.h.

die korrupten Praktiken der Familie um Ben Ali, vorbei.

Allerdings ist die Aufarbeitung der Korruptionsfälle

aus dieser Zeit auf einen sehr engen Kreis beschränkt

geblieben. Auch wenn eine ganze Reihe von mit dem

Familienclan verbundenen Unternehmern mit einem

Reiseverbot belegt wurde, vorgeblich um ihre Ge-

schäftspraktiken zu überprüfen, so ist es doch nicht zu

einer wirklichen, öffentlichen Aufklärung selbst der

flagrantesten Korruptionsfälle gekommen. Politische

Beobachter gehen nicht davon aus, dass dies in Zu-

kunft der Fall sein wird, denn die neue Regierung ist

auf die Unterstützung gerade der Wirtschaft angewie-

sen, um das enorme Problem der Arbeitslosigkeit in

den Griff zu bekommen. So ist das Reiseverbot dem

Vernehmen nach eher ein Druckmittel, zögerliche Un-

ternehmer zu einer Unterstützung der neuen Regie-

rung zu bewegen. Zwar wurde nach der Revolution

eigens eine Untersuchungskommission gegründet, die

den eklatantesten Fällen auf den Grund gehen sollte,

doch blieb sie zahnlos und kam nicht über das Sam-

meln von Informationen hinaus. Mehrere sehr glaub-

würdige Mitglieder der Kommission verließen das Gre-

mium unter Protest über ihre Ineffizienz, eine Juris-

tenvereinigung verklagte sie sogar.

Gleichzeitig blüht die so genannte „petty corruption“,

bei der vor allem bei Behörden und an Nadelöhren in

verschiedenen Bereichen der Wirtschaft abkassiert

wird (Rentenökonomie). Beispielsweise beim Zoll im

Frachthafen von Tunis, wo ein Transitspediteur auf die

Frage, was sich seit der Revolution im Hafen verändert

habe, trocken bemerkte: „Vor der Revolution gab es

eine Handvoll Trabelsis, die sich alles erlaubt haben,

jetzt haben wir 10 Millionen“. Dies ist teilweise darauf

zurückzuführen, dass Kontrollmechanismen, die früher

in den staatlichen Behörden das Korruptionsniveau

niedrig gehalten haben, nicht mehr funktionieren,

zum anderen liegt es auch daran, dass ein gewisser

Anspruch auf ein zusätzliches Einkommen besteht,

das, weil der Staat nun auch nicht besser bezahlt als

vor der Revolution, eben von den Bürgern eingefordert

wird. Es ist genau diese Art von Motivation, die eine

Korruptionskultur befördert, die schwer wieder zu-

rückzufahren ist, denn auch der minderbemittelte

Staat hat ein Interesse daran, seine Angestellten zu-

frieden zu stellen. Wenn kein Geld für Erhöhungen der

Besoldung vorhanden ist, wirkt die Korruption wie ei-

ne Steuer, gegen die der politische Widerstand jedoch

wegen der Kleinteiligkeit so diffus ist, dass ihr weniger

entschieden entgegen getreten wird, als eine Steuer-

erhöhung zur Finanzierung von Beamtengehältern. So

landet Tunesien auf dem CPI von Transparency Inter-

national zwar mit Platz 78 immer noch in der oberen

Hälfte, hat sich jedoch im Vergleich zu vorher um ei-

nige Plätze verschlechtert.

Seit dem Beginn der Demokratisierung Tunesiens sind

eine ganze Reihe von kleinen und größeren Antikor-

ruption-NGOs gegründet worden, die zum Teil aus Zu-

sammenschlüssen auf Facebook bestehen, zum Teil

Tunesien

Facebook-Seite „Anti-Corruption Initiative (Tunisia)“

(Quelle: facebook.com)

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FNF International News 1-2012

Freiheit vs. Korruption

aber auch über eigene Strukturen verfügen. Transpa-

rency International ist an mehreren Stellen in Tunesi-

en beratend tätig gewesen, ohne jedoch in Tunesien

eine eigene Präsenz zu haben. Obwohl Tunesien der

UN Convention against Corruption beigetreten ist,

können die daran geknüpften Bedingungen (z.B. die

Schaffung einer unabhängigen Korruptionsbekämp-

fungsinstanz) nicht als erfüllt gelten. Ob die neue Re-

gierung unter der islamischen Ennahda Partei es

schafft – wie ihr türkisches Vorbild AKP – mit der Kor-

ruption aufzuräumen, damit eine wesentliche Forde-

rung der Bevölkerung aus der Revolution zu erfüllen

und ihre Glaubwürdigkeit mit tatsächlichen Erfolgen

zu zementieren, bleibt abzuwarten.

Die Türkei rangiert in den Statistiken von Transparency

International in den Jahren 2009 bis 2011, die zwi-

schen 178 und 183 Länder untersucht hat, jeweils im

ersten Drittel zwischen Rang 56 und 61. Innerhalb der

zehn Kategorien zwischen „very clean“ (9,0 bis 10,0)

und „very corrupt“ (0,0 bis 0,9) befindet sich die Türkei

dagegen jedoch mit Einschätzungen zwischen 3,9 bis

4,4 in der unteren Hälfte. Transparency führt neben

dieser Rangordnung, die auf mehreren Kriterien ba-

siert, auch eine zweite Rangliste, welche die vom Bür-

ger „gefühlte“ (perceived) Korruption widerspiegelt.

Daraus geht hervor, dass die Bürger der Türkei ihrem

Land einen höheren Stand der Korruption nachsagen

(zwischen 4,5 und 5,0) und Korruption in der Bevölke-

rung als ein größeres Problem angesehen wird. Er-

staunlich ist aber, dass diese Einschätzung in der ver-

öffentlichten Meinung bzw. Presse nicht die entspre-

chende Berücksichtigung findet. In den einschlägigen

Zeitungen wurde im Zeitraum von 2009 bis 2011 sehr

selten über Korruptionsfälle oder Skandale berichtet.

Insbesondere die in Deutschland aufgedeckte und

rechtlich sanktionierte „Leuchtturmaffäre“, in die auch

AKP-Abgeordnete verwickelt sein sollen, fand nur ein

schwaches Medienecho. Auch über den jüngsten

Skandal im türkischen Fußball, in dem der renommier-

te Club Fenerbahce die Manipulation von Spielergeb-

nissen vorgenommen hat und der zum Ausschluss des

Clubs von den Spielen der Championsleague durch

die UEFA geführt hat, wird nur sehr unregelmäßig und

knapp berichtet.

Die mediale bzw. öffentliche Aufarbeitung von Kor-

ruptionsfällen hat in der Türkei keine hohe Priorität,

da andere Probleme wie „Rechtsstaatlichkeit“, „Presse-

und Meinungsfreiheit“, der „Ergenekon-Prozess“ oder

die „Verfassungsreform“ und das „Kurdenproblem“ die

öffentliche Diskussion dominieren. Zudem hat die re-

gierende AKP-Regierung, die als „Partei für Gerechtig-

keit und Entwicklung“ die Korruptionsbekämpfung als

eines ihrer wichtigsten Ziele ansieht, in den letzten

Jahren immer wieder dafür gesorgt, dass eine detail-

lierte Diskussion über staatliche Korruption nicht ge-

führt wurde.

Beinahe zeitgleich mit den Aufständen in Nordafrika

trat auch in Jordanien eine Protestbewegung zu Tage,

die – anders als in Tunesien oder Ägypten – nicht den

Sturz des Regimes forderte, sondern politische Refor-

men und die Eindämmung der Korruption im Land.

Manch internationalen Beobachter verwunderte dabei

anfänglich die auffallend bitter geführte Debatte um

Korruptionsanschuldigungen in Jordanien. Studien

und Berichte diverser NROs und internationaler Orga-

nisationen – darunter Transparency International und

Türkei

Jordanien

Foto: Todd Mecklem/Flickr

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FNF International News 1-2012

Freiheit vs. Korruption

die Weltbank – ließen vermuten, dass Jordanien in

punkto Korruption kein besonders problematisches

Land sei, besonders im regionalen Vergleich. Von 183

untersuchten Ländern rangierte das Haschemitische

Königreich beim CPI 2011 auf dem 56. Platz weltweit,

und schnitt damit besser ab als die EU-

Mitgliedsstaaten Italien (Platz 69) und Griechenland

(Platz 80).

Internationale Statistiken hin oder her: In der sprich-

wörtlichen jordanische Straße erhitzten sich die Ge-

müter bereits seit geraumer Zeit an unzähligen Ge-

rüchten über mutmaßliche, von der regierenden Elite

unter den Tisch gekehrte Korruptionsskandale. Hinter

vorgehaltener Hand wurde massive Kritik an der Poli-

tik unter dem noch jungen König geäußert. Man habe

Angst vor einem regelrechten „Ausverkauf“ des Landes

unter dem Deckmantel einer intransparenten, frag-

würdigen Privatisierungspolitik.

2011 fielen mit dem „arabischen Frühling“ alte Tabus

und auch die Zurückhaltung der Jordanier bei Kritik an

ihrem Staatsoberhaupt. König Abdullah II, dessen An-

sehen in weiten Kreisen der jordanischen Bevölkerung

durch die nun offener und lauter denn je geäußerten

Korruptionsanschuldigungen gegen enge Vertraute

Schaden zu nehmen drohte, reagierte prompt: Von

Medien wurde der Monarch mit der Aussage zitiert,

kein Jordanier stehe über dem Gesetz und alle, die

sich der Korruption und dem Diebstahl öffentlicher

Ressourcen schuldig gemacht hätten, seien zu bestra-

fen. Dieser Aufforderung folgte in den vergangenen

Monaten eine in der jüngeren jordanischen Geschichte

beispiellose Anklage- und Verhaftungswelle gegen

ehemals einflussreiche Politiker und Spitzenbeamte,

darunter auch der prominente frühere Ammaner Bür-

germeister Omar Maani, der zeitweilig als besonders

enger Vertrauter und Berater des Königs galt, und der

bis 2008 amtierende Geheimdienstchef Mohammad Al

-Dahabi.

Trotz dieser Worte (und Taten) geben sich Vertreter

der Protestbewegung bislang unbeeindruckt. So be-

mängelt die Islamische Aktionsfront, der politische

Arm der jordanischen Muslimbrüder, die sich taktisch

klug an die Spitze der lautstarken Anti-

Korruptionsbewegung gestellt hatten, Willkür und

mangelnden genuinen politischen Willen bei der Kor-

ruptionsbekämpfung.

Auch anerkannte politische Beobachter und Stiftungs-

partner sind skeptisch, ob die laufende Kampagne

nachhaltige Ergebnisse erzielen wird. Das Grundprob-

lem Jordaniens seien nicht individuelle Korruptionsfäl-

le, sondern der tief verankerte Rentierstaat, auf dem

der nicht mehr zeitgemäße Gesellschaftsvertrag in

Jordanien basiert. Der Nährboden für Korruption in

Jordanien ist dementsprechend nicht individueller Na-

tur, sondern systemimmanent. Dennoch: “Dass das

Grundübel im System begründet liegt, bedeutet nicht,

dass Entscheidungsträger kurzfristig nichts machen

können“, resümierte ein Zivilgesellschaftsaktivist im

Gespräch mit der Stiftung. Um Vertrauen in den Staat

und seine Institutionen zurückzuerlangen ist es von

entscheidender Bedeutung, dass nun substanzielle

politische Reformen beschlossen und umgesetzt wer-

den.

Das Thema Korruptionsbekämpfung und Förderung

guter Regierungsführung ist ein Schwerpunkt der Stif-

tungsarbeit in Jordanien.

Dr. Ronald Meinardus (Ägypten)

Regionalbüroleiter Mittelmeerländer

Anne Köhler (Israel)

Projektkoordinatorin Israel

Suleiman Abu-Dayyeh (Palästina)

Projektkoordinatorin Palästina

Sebastian Hempel (Marokko)

Projektleiter Marokko und Algerien

Alexander Knipperts (Tunesien)

Projektleiter Tunesien

Jörg Dehnert (Türkei)

Ehem. Projektleiter Türkei

Ralf Erbel (Jordanien)

Projektleiter Jordanien, Libanon, Syrien und Irak

Bildnachweis Titel: Chris De Bruyn/Flickr

Page 19: FNF International News 1-2012

19

FNF International News 1-2012

Freiheit vs. Korruption

Das Problem der Korruption in Afrika wird in den

deutschen Medien oft sehr polemisch dargestellt; vom

„Krebsgeschwür afrikanischer Demokratien“ ist dort

zum Beispiel zu lesen oder vom „Massenelend“ auf

den Straßen Afrikas, das dem Luxusleben in „Saus und

Braus“ der korrupten Eliten gegenüber gestellt wird.

Stellvertretend für die korrupten politischen und wirt-

schaftlichen Spitzen stehen einige afrikanische Präsi-

denten, die in 100 Mann starken Gefolgschaften um

die Welt reisen, Luxuslimousinen, Anwesen und riesige

Summen auf Bankkonten in Europa anhäufen und ihre

Frauen zum Shoppen nach London und Paris schicken,

während die Bevölkerung zu Hause hungert. Ferner

wird Korruption in Afrika oft als endemisch verstan-

den und nicht zuletzt mit kulturdeterministischen Ar-

gumenten erklärt. In Afrika selbst ist die Korruptions-

debatte nicht weniger bildhaft. Die Korruption sei das

„Monster”, das den Traum vom Aufstieg Afrikas zer-

störe, erklärte Südafrikas Ombudsfrau Thuli Madonse-

la kürzlich auf einer Antikorruptionskonferenz. Was

aber steckt hinter dieser Metapher?

Wie korrupt ist Afrika?

Tatsächlich gilt Afrika weithin als eine der korruptes-

ten Regionen der Welt. Laut dem Korruptions-Index

CPI von Transparency International lagen 2011 neun

der zwanzig Staaten, die weltweit als am korruptesten

eingeschätzt werden, in Afrika: Somalia an erster Stel-

le, gefolgt von Sudan, Äquatorialguinea, Burundi,

Libyen, Demokratische Republik Kongo, Tschad, Ango-

la und Guinea. Es ist unmöglich absolute Korruption-

swerte zu messen, da Korruption per Definition ille-

gitime und daher meist versteckte Transaktionen um-

fasst. Ferner variieren weltweit sowohl die Definition

als auch die Wahrnehmung von Korruption. Was in

einem Kontext klar als Bestechung gilt, wird in an-

deren Situationen als Ausgleichszahlung oder harm-

loses Geschenk zum Aufbau von Geschäftsbezi-

ehungen verstanden. Die große Mehrheit der afrikan-

ischen Bevölkerung schätzt ihre Staaten jedoch als

höchst korrupt ein.

Botsuana, das Land, in dem afrikaweit am wenigsten

Korruption wahrgenommen wird, lag 2011 auf einer

Skala von 0 (sehr korrupt) bis 10 (nicht bestechlich)

bei 6.1 Punkten auf Weltrang 32.1 In einer ganzen

Afrika: Ein Kontinent im Würgegriff der Korruption

Weltweite Verbreitung von Korruption

(Grafik: transparency.org)

1 Neuseeland wurde mit einer Punktzahl von 9.5 als das am

wenigsten korrupte Land aufgeführt, während Nordkorea und

Somalia mit jeweils 1 Punkt als die korruptesten Länder welt-

weit zusammen den letzten Platz in der Rangliste belegten.

Page 20: FNF International News 1-2012

20

FNF International News 1-2012

Freiheit vs. Korruption

Reihe afrikanischer Länder nahm die Wahrnehmung

von Korruption 2011 hingegen zu: Mauritius rutschte

von Rang 39 (5.4 Punkte) auf Rang 46 (5.1 Punkte) ab,

Südafrika fiel um 10 Plätze vom 54. (4.5 Punkte) auf

den 64. (4.1) Weltrang. Ghana verschlechterte sich um

0.2 auf 3.9 Punkte und steht nun auf Platz 69. Sim-

babwe steht mit 2.2 Punkten auf Rang 154, gegen-

über Rang 132 (2.4 Punkte) im Vorjahr. Senegal be-

hielt die Punktzahl 2.9 bei und rutschte dennoch von

Rang 105 auf Rang 112. In Ostafrika ist hinsichtlich

der Korruptionswahrnehmung eine positive Entwick-

lung zu verzeichnen: Tansania verbesserte sich von 2.7

auf 3 Punkte und damit von Rang 116 auf Rang 100,

während Kenia immerhin mit einem Anstieg von 2.1

auf 2.2 Punkte Platz 154 hielt.

Inwiefern ist Afrika korrupt?

Die Korruption in Afrika hat viele Gesichter und es

bestehen bedeutende regionale und auch interne Un-

terschiede. So reicht Korruption von Millionendeals in

den höchsten politischen Kreisen zu Schmiergeldern

für Verkehrspolizisten und Zollbeamte. Der fantastisch

anmutende Lebensstil des Diktatorensohns Teodoro

Nguema Obiang in Paris, London, Rio de Janeiro und

Malibu, welcher auf Korruptionsgeschäften mit den

Gas- und Ölreserven Äquatorialguineas beruht, lässt

sich quantitativ kaum mit den allgemein üblichen

Schmiergeldzahlungen an Verkehrspolizisten verglei-

chen. Das Grundprinzip ist jedoch dasselbe: Korruption

ist die Verletzung eines allgemeinen Interesses zu

Gunsten eines speziellen Vorteils und kann nur dort

gedeihen, wo ein gewisses Maß an Straflosigkeit

herrscht. Eine verheerende Wirkung übt die Bestech-

lichkeit der politischen Entscheidungsträger letztlich

auf das Vertrauen der Bevölkerung in den Gesell-

schaftsvertrag aus und zersetzt damit auf lange Sicht

– sofern vorhanden – die demokratische Kultur eines

Landes.

Die Korruption im öffentlichen Sektor afrikanischer

Länder reicht von der Vergabe von staatlichen Verträ-

gen ohne öffentliche Ausschreibungen, über die Modi-

fizierung der Höhe der Vergütung nach Vertragsab-

schluss und Mehrfachzahlungen für private Dienst-

leistungen, bis hin zur Beschäftigung von Scheinfir-

men – oder wie kürzlich in der südafrikanischen Pro-

vinz Kwazulu-Natal von Scheinlehrern. In Kenia kam

2004 ein Skandal ans Licht, in dem der Scheinfirma

Anglo Leasing, unter anderem für die Anschaffung

eines Kriegsschiffes und fälschungssicheren Personal-

ausweisen, Regierungsverträge in Höhe von US$ 1

Milliarde zugekommen waren. Einige Minister waren

in den Skandal involviert, doch die Justiz verweigerte

zunächst jegliche Untersuchung. Korruption im öf-

fentlichen Sektor – ob in Form der Veruntreuung von

Steuergeldern oder der Vergabe von begünstigten

Konzessionen für den Rohstoffabbau – ist Diebstahl

und zeugt von mangelndem Interesse der politischen

Elite am Wohlergehen ihrer Bürger. Eng verbunden

mit der Korruption sind verschwenderische Ausgaben.

So hält die südafrikanische Polizei für die vier First

Ladies Zumas (Zuma lebt als Angehöriger der ethni-

schen Gruppe der Zulu polygam) täglich landesweit

Luxuslimousinen bereit. Auch die Präsidentenresiden-

zen wurden jüngst in Millionenhöhe mit Steuergeldern

renoviert.

Zu einem korrupten Geschäft gehören immer zwei

Seiten. Im Fall von Regierungsverträgen sind dies ne-

ben Politikern lokale Dienstleister oder internationale

Firmen. Doch auch die Bürger tragen ihren Teil zum

Problem bei, wenn sie beispielsweise Verkehrspolizis-

ten und Zollbeamte bestechen. Besonders beunruhi-

gend ist jedoch, dass Korruption für die Bevölkerung

einiger afrikanischer Länder nicht nur bedeutet, dass

sie sich vor der Zahlung von Bußgeldern drücken kann,

sondern, dass sie sich vielmehr gezwungen sieht zu

bestechen, um Zugang zu grundlegenden staatlichen

Dienstleistungen zu erhalten. In einigen öffentlichen

Krankenhäusern müssen Patienten den Ärzten

Schmiergelder zahlen, bevor sie behandelt werden und

„Korruptionsfreie Zone“ in Nairobi, Kenia

(Foto: Erlend Aasland/Flickr)

Page 21: FNF International News 1-2012

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FNF International News 1-2012

Freiheit vs. Korruption

in vielen Schulen können Schüler Prüfungen nicht be-

stehen, ohne ihre Lehrer zu bestechen. Die Hälfte der

ostafrikanischen Befragten einer Studie von Transpar-

ency International zahlt Bestechungsgelder, um

Zugang zu öffentlichen Dienstleistungen zu bekom-

men, die ihnen eigentlich gratis zustehen sollten.

Was kostet Afrika die Korruption?

„Viele Entwicklungsländer sind arm, weil sie korrupt

sind.“ Diese Aussage vom Gründer von Transparency

International, Peter Eigen, trifft in besonderem Maße

auf die Region Subsahara-Afrika zu. Während Afrikas

Volkswirtschaften in den letzten Jahren trotz der

Weltwirtschaftskrise expandierten – laut der African Development Bank lagen die Wachstumsraten Afrikas

von 2001 bis 2010 trotz der Finanzkrise bei

durchschnittlich 4,8% jährlich – verblieben Ar-

beitslosigkeit und Armut auf einem problematisch ho-

hen Niveau. Noch immer lebt rund die Hälfte der

Bevölkerung Afrikas in extremer Armut. Der Haupt-

grund dafür, dass hohe Wachstumsraten nicht zur

Verbesserung des Lebensstandards der Menschen füh-

ren, ist die anhaltend undemokratische und korrupte

Regierungsführung in vielen Ländern. Die Teilhabe an

den wirtschaftlichen Wachstumsprozessen bleibt auf

die oberen, gut vernetzten Schichten afrikanischer

Gesellschaften beschränkt.

Korruption schwächt die Voraussetzungen für stabiles

wirtschaftliches Wachstum basierend auf marktwirt-

schaftlichen Prinzipien. Sie erhöht die Transaktions-

kosten beim Aushandeln von Preisen für Güter und

Dienstleistungen und verhindert somit eine marktkon-

forme Preisbildung. Wo Initiative und Engagement

gefordert wären, schafft Korruption Abhängigkeiten.

Statt eines gesunden Investitionsklimas, welches auf

Berechenbarkeit und Verlässlichkeit beruht, befördert

Korruption Unsicherheit und Misstrauen. In vielen

Ländern führt die ungenügende Trennung von Regie-

rungspartei und Staat dazu, dass nicht nur politische,

sondern auch verwaltungstechnische Posten als Be-

lohnung an loyale Parteigetreue vergeben werden, die

oft weder über das Fachwissen noch die relevante Er-

fahrung verfügen, um ihre Aufgaben zu erfüllen. Kor-

ruption und Vetternwirtschaft schaffen folglich eine

politische Kultur, die Mittelmäßigkeit und Inkompe-

tenz fördert. Damit der Staat seinen Aufgaben gerecht

wird, muss Südafrikas Regierung beispielsweise pri-

vate Dienstleister zusätzlich zu Staatsdienern be-

schäftigen, was die Haushaltsausgaben weiter in die

Höhe treibt.

Die Gesamtkosten der Korruption sind ebenso wenig

messbar wie absolute Korruptionswerte. Schätzungen

sind trotzdem nützlich, um die Tragweite des Prob-

lems zu veranschaulichen. Die absoluten Kosten von

Korruption beinhalten nicht nur die Summen verun-

treuter und somit für dringend notwendige öffentliche

Ausgaben verlorene Gelder – zum Beispiel in den Be-

reichen Gesundheit und Bildung – sondern auch die

Implikationen, die ein Klima der Korruption für die

wirtschaftliche und soziale Entwicklung eines Landes

hat. Die African Development Bank geht davon aus,

dass durch Korruption in Afrika bis zu 50% des

Steuereinkommens veruntreut wird. Ein Bericht der

Afrikanischen Union (AU) von 2002 schätzt die

direkten und indirekten Kosten der Korruption in Afri-

ka jährlich auf US$ 148 Milliarden, oder 25% des

gesamtafrikanischen Bruttoinlandsprodukts. Ferner

führe die Korruption zu einem unnötigen Kostenan-

stieg von in Afrika produzierten Gütern von 20%.2

Teufelskreis der Korruption

„Among a people generally corrupt, liberty cannot long exist.“

Edmund Burke 1777

Korruption ist ein Wesenszug schlechter Regierungs-

führung – der Weg zu unrechtmäßigem, aber vor al-

lem schnell „verdienten“ Geld für die Mächtigen. Sie

blüht überall dort, wo Zivilgesellschaft, Demokratie

und Rechtsstaatlichkeit geschwächt sind und Straflo-

sigkeit herrscht. Gleichzeitig beschleunigt voran-

schreitende Korruption die Erosion bereits angeschla-

gener demokratischer Institutionen. Viele afrikanische

Politiker streben Wahl und Wiederwahl um jeden Preis

an, da ihr Amt ihnen Zugang zu staatlichen Schatz-

kammern und den Schutz vor Strafverfolgung bietet.

Korruption pervertiert Politik, indem sie für das Ge-

meinwohl falsche Entscheidungen erkauft. Staatliche

Projekte und Aufträge werden nicht nach ihrer Wirt-

schaftlichkeit ausgesucht, sondern mit dem Hinterge-

danken, wie viel an ihnen für die korrupten Politiker

zu verdienen ist. Gleichzeitig müssen sie versuchen

2 Vgl. http://www.transparency.org.uk/corruption-data

Page 22: FNF International News 1-2012

22

FNF International News 1-2012

Freiheit vs. Korruption

Schlüsselfiguren in Justiz und Legislative zu kaufen,

um an der Macht zu bleiben – so zieht die Korruption

immer weitere Kreise, umfasst immer mehr Nutznie-

ßer und stellt Staat, Wirtschaft und Gesellschaft lang-

fristig vor große finanzielle Probleme. Und da die

meisten Politiker Afrikas direkt oder indirekt in illegale

Geschäfte involviert sind, ist „Korruptions-

bekämpfung“ in vielen Ländern Wahlkampfthema und

zugleich Druckmittel gegen oppositionelle Kräfte.

Politische Korruption ist Diebstahl an der Bevölkerung

eines Landes. Sie reduziert öffentliche Einnahmen zu

Gunsten privater Gewinne und führt zum Nichterbrin-

gen staatlicher Dienstleistungen. Die knappen Res-

sourcen, die in Infrastruktur, Bildung und das Gesund-

heitswesen fließen sollten, landen durch Korruption in

privaten Taschen. Wo Korruption herrscht, verlieren

Bürger Vertrauen in die Politik – und Politiker die Un-

terstützung der Bevölkerung. Da die Kosten beim Aus-

scheiden aus dem Amt, beziehungsweise die Gewinne

beim Verbleib im Amt, jedoch ausgesprochen hoch

sind, fühlen sich Kandidaten verleitet, Stimmen zu

kaufen und Wahlergebnisse zu fälschen, um sich ihre

Mandate zu sichern. Von hier ist der Schritt zur Be-

schneidung bürgerlicher Freiheiten und deren indivi-

dueller sowie kollektiver Wahrnehmung, wie der Mei-

nungs-, Rede-, Versammlungs- und Pressefreiheit und

der gewalttätigen Unterdrückung der Opposition,

nicht groß. In repressiven oder undemokratischen

Staaten führt die Unzufriedenheit der Bevölkerung mit

korrupten Regierungen entweder zu politischer Apa-

thie oder zu Unruhen (wie zum Beispiel im Fall von

Gemeinden im Nigerdelta in Nigeria, die nicht von der

Ölförderung profitieren, da die Gewinne von Regie-

rungsbeamten abgeschöpft werden).

Korruption zerstört demokratische politische Kultur –

oft geht es bei Wahlen nicht mehr um ideologische

Unterschiede, sondern um potentielle Gewinne und

Beutesicherung. Nicht selten geht dieser Prozess in

afrikanischen Ländern mit einer ethnischen Differen-

zierung einher. Die Gewalt, die in Kenia nach dem er-

klärten Wahlsieg von Präsident Mwai Kibaki 2007

ausbrach, lässt sich auf das Nullsummenspiel keniani-

scher Politik zurückführen; wenn die eigene ethnische

Gruppe nicht an der Macht ist, gibt es keinen Raum

für ökonomischen oder politischen Aufstieg. Wie Mi-

chela Wrong in ihrem Buch „It’s Our Turn to Eat”

erklärt, waren die Anhänger Kibakis, die ethnischen

Kikuyus, nicht bereit die Macht abzugeben. Odingas

Anhänger hingegen, in ihrer Mehrheit ethnische Luos,

waren der Meinung, dass sie an der Reihe seien, sich

am Trog öffentlicher Gelder zu nähren. Tatsächlich hat

politischer Klientelismus in Kenia zur regionaler Un-

gleichheit nach ethnischen Kriterien geführt.

Korruptionsbekämpfung

Die Mehrheit afrikanischer Länder verfügt über An-

tikorruptionsgesetzgebung und in den letzten zehn

Jahren haben viele afrikanische Regierungen Schritte

zur Korruptionsbekämpfung eingeleitet. Diese Reform-

bestrebungen sind in vielen Fällen zwar vorrangig auf

den Druck internationaler Geberländer3, in anderen

Fällen aber auch auf den Druck von Oppositionspartei-

en zurückzuführen. Leider bedeutet die öffentliche

Kriegserklärung an die Korruption nicht unbedingt,

dass es einer Regierung, oder den Heimatländern der

internationalen Geber, ernst mit der Korruptionsbe-

kämpfung ist. Nigeria, Kenia und Südafrika zum Bei-

3Die Rolle der Gebergemeinschaft in der Korruptionsentwicklung

Afrikas ist äußerst problematisch. In Deutschland war internati-

onale Korruption bis Ende der 1990er Jahre de facto als

„Zuwendungen im Geschäftsverkehr“ steuerlich absetzbar. Einige

afrikanische Ökonomen, wie der Gründer des Stiftungspartners

Inter Region Economic Network (IREN), James Shikwati, fordern

eine drastische Reduzierung von Hilfsgeldern, um Regierungen

dazu zu zwingen auf Steuergelder zu bauen, und so von ihren

Wählern in Rechenschaftspflicht genommen zu werden.

„Anti-Korruption-Mitteilungskasten“ in Kenia

(Foto: lauren_pressley/Flickr)

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FNF International News 1-2012

Freiheit vs. Korruption

spiel haben Antikorruptionsbehörden eingeführt, die

durch ihre unklare politische Stellung und Abhängig-

keit von der Exekutiven schlicht aufgelöst (wie im Fall

der unabhängigen Antikorruptionsbehörde Scorpions in Südafrika 2009) oder mit getreuen beziehungsweise

korrupten Verantwortlichen besetzt werden können.

Eine Zivilgesellschaft, die Transparenz und das Erbrin-

gen staatlicher Dienstleistungen einfordert, ist für ef-

fektive Korruptionsbekämpfung unerlässlich. Staaten,

in denen laut Transparency International wenig Kor-

ruption wahrgenommen wird, sind politisch stabile

Länder mit hohem Bildungsniveau sowie etablierten

rechtlichen und demokratischen Institutionen, in

denen Presse- und Informationsfreiheit herrschen.

Korruption ist potentiell ein universelles und nicht nur

ein in Afrika endemisches Problem. Die Versuchung,

Status und politische Macht zum Zwecke der persönli-

chen Bereicherung zu missbrauchen, besteht immer.

Nur gefestigte rechtsstaatliche Demokratien mit einer

aktiven Zivilgesellschaft können das „Monster“ der

Korruption bezwingen.

Fallbeispiel Südafrika: Korruptionsbekämpfung aus

Machtkalkül

Südafrika verzeichnet hinsichtlich der Korruptionsent-

wicklung in den letzten Jahren eine Negativentwick-

lung und fiel von 2010 auf 2011 im CPI um zehn Plät-

ze vom 54. (4.5 Punkte) auf den 64. (4.1 Punkte) Welt-

rang. Laut dem Vorsitzenden des südafrikanischen

Rechnungshofes, Terence Nombembe, wurden im Zeit-

raum 2010/11 20 Milliarden Rand (ca. 1,9 Milliarden

Euro) an nicht autorisierten Geldern ausgegeben. Nur

drei von 29 Ministerien und 106 von 272 staatlichen

Unternehmen erhielten 2011 einen anstandslosen

Prüfbericht. Willie Hofmeyr, entlassener Chef der An-

tikorruptionseinheit Special Investigating Unit, schätzt, dass die südafrikanische Regierung wegen

Korruption jährlich rund 30 Milliarden Rand (ca. 2,85

Milliarden Euro) einbüßt.

Auch in Südafrika reicht die Korruption bis in die

höchsten politischen Ämter. Im Armsgate-Skandal,

einem Waffengeschäft im Umfang von fünf Milliarden

US-Dollar, waren in den 1990er-Jahren unter ande-

rem zahlreiche Schmiergelder von einer französischen

Firma an den Geschäftsmann und engen Freund Zu-

mas, Schabir Shaik, gezahlt worden. Die Vermutung,

dass diese Gelder an Zuma (der nicht auf der Anklage-

bank saß) weiterflossen, sah der Richter, der Herrn

Shaik im Juni 2005 zu 15 Jahren Haft verurteilte, als

erwiesen an. Der damalige Präsident Mbeki entließ

Zuma daraufhin als Vizepräsidenten und dieser wurde

wegen Korruption, Begünstigung, Steuerhinterziehung

und Betrug in über 700 Fällen angeklagt. Im Septem-

ber 2008, nach der Entmachtung Mbekis, wurde das

Verfahren jedoch vorübergehend eingestellt und im

April 2009 – zwei Wochen vor der Wahl Zumas zum

Staatspräsidenten und nach Entlassung des Bundes-

staatsanwaltes – wegen angeblicher Manipulation des

Beweismaterials endgültig eingestellt. Seit dem Be-

ginn des Skandals drohte Zuma, dass er auch andere

hochrangige ANC-Politiker – unter ihnen Mbeki – zu

Fall bringen würde, sollte weiter gegen ihn ermittelt

werden.

Die Bestecher, die im Zusammenhang mit diesem

Skandal genannt werden, sind alle internationale Fir-

men: deutsche, britische, italienische und französische

Unternehmen werden verdächtigt oder sind bereits

überführt. Man möge sich an dieser Stelle auch daran

erinnern, dass es in eben jenen Ländern bis vor einigen

Jahren möglich war Bestechungsgelder in der Heimat

ganz legitim von der Steuer abzusetzen. Selbst der Teil

des Waffendeals, der öffentlich gemacht wurde, um

ihn in der Bevölkerung vertreten zu können, stimmt

sehr bedenklich: So sollten vertraglich zugesichert im

Gegenzug für die Waffengeschäfte unter anderem

65.000 Arbeitsplätze von den Rüstungsfirmen ge-

schaffen werden und 110 Milliarden Rand an Investi-

tionen zurück nach Südafrika fließen. Nun liegen gesi-

cherte Zahlen vor, wonach nur 13.690 von den oben-

genannten versprochenen Arbeitsplätzen entstanden

Appell an Besucher in Sierra Leone, das Land

nicht zu korrumpieren (Foto: rogoyski/Flickr)

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FNF International News 1-2012

Freiheit vs. Korruption

und rund 6 Milliarden Rand investiert wurden. Auch

Deutschland ist hier beteiligt: Offiziell sollte das deut-

sche Fregatten-Konsortium US$ 2.047.600.000 inves-

tieren, doch die eigentliche Investitionssumme lag

schlussendlich nur bei US$ 44.433.395. Gegen das

Konsortium ermittelt nun die deutsche Staatsanwalt-

schaft wegen Verdachts der Bestechung südafrikani-

scher politischer Entscheidungsträger.

Präsident Jacob Zuma sieht sich in Südafrika aller-

dings einer starken Zivilgesellschaft und mit dem

Partner der Friedrich-Naumann-Stiftung für die Frei-

heit, Democratic Alliance (DA), einer äußerst kompe-

tenten und kritischen Opposition gegenüber. Auch

innerhalb des regierenden ANC, vor allem im Alli-

anzpartner und Gewerkschaftsdachverband Congress of South African Trade Unions (COSATU), werden im-

mer wieder Stimmen gegen die grassierende Korrup-

tion auf allen Regierungsebenen laut. Zu den

unermüdlichen Kämpfern gegen die Korruption gehört

ferner Südafrikas Ombudsfrau Thuli Madonsela, der

man von Regierungsseite bis vor kurzem, im Gegen-

satz zu ihren Vorgängern, Personenschutz verweigerte.

Um sich vor dem Urteil unabhängiger Untersuchungen

zu schützen, betreibt Zuma vorgebliche Korrup-

tionsbekämpfung. Zyniker sprechen davon, dass Zuma

so sehr damit beschäftigt sei seine Leichen im Keller

(das englische sprichwörtliche „skeletons in the clos-et“) zu verbergen und seine Beute zu sichern, dass er

nicht zum Regieren komme.

Im Oktober 2011 stellte Zuma beispielsweise sein Ka-

binett um. Dabei rollten verdientermaßen die Köpfe

der Minister Shicelo Shiceka und Gwen Mahlangu-

Nkabinde. Auch der Polizeichef Bheki Cele wurde vom

Dienst suspendiert. Gegen Shiceka bestand der Ver-

dacht, rund 600.000 Rand (58.000 Euro) in Luxusrei-

sen in die Schweiz veruntreut zu haben, um eine

Freundin zu besuchen, die dort wegen Drogenhandels

inhaftiert ist. Nkabinde und Cele waren in einen milli-

ardenschweren Immobilienskandal verwickelt. Über

die Kabinettsumbildung hinaus rief Zuma Mitglieder

einer Untersuchungskommission für den Armsgate-

Skandal ein. Dies tat er vermutlich mit der Absicht,

einem richterlichen Beschluss zuvorzukommen, der

ihn zur Einrichtung einer solchen Kommission ge-

zwungen hätte. In diesem Fall hätte er weniger Mög-

lichkeiten gehabt, Einfluss auf die Besetzung der

Kommission und die Definition des Untersuchungsge-

genstands zu nehmen.

Gleichzeitig versucht Zuma politische Schlüsselpositi-

onen durch einen eisernen Ring aus Getreuen zu be-

setzen, die ihn schützen sollen. Hierzu gehören der

neue Chef der Antikorruptionseinheit Special Investi-gating Unit, der Bundesstaatsanwalt, der Justizminis-

ter und zunehmend auch die Mitglieder des Verfas-

sungsgerichts. Teil dieses Zuma-Schutzwalles ist wohl

auch die Verabschiedung der Protection of State In-formation Bill (Spitzname: Secrecy Bill), einem Gesetz

zur willkürlichen Klassifizierung von allen un-

liebsamen Informationen als Staatsgeheimnis mit An-

drohung wahrhaft drakonischer Strafen. Aber es gibt neben der Oppositionspartei DA auch an-

dere Gegenströmungen, die sich wehren: Anfang Ja-

nuar 2012 wurde auf Initiative von COSATU und Tei-

len der Zivilgesellschaft die unabhängige Organisation

Corruption Watch als Anlaufstelle für die Bürger bei

Korruptionsverdacht gegründet. Die Organisation soll

Informationen prüfen und an die staatlichen Antikor-

ruptionsorgane weiterleiten. Bisher mangelt es Cor-ruption Watch jedoch an einem klaren Rechtsstatus

und an Abkommen mit den staatlichen Institutionen.

Der südafrikanischen Regierung fehlt der politische

Wille, die Korruption auszumerzen, wo sie doch in

Teilen stark von dieser profitiert. Andernfalls würden

sie sich – wie eine englische Redensart besagt – den

Stock schnitzen mit dem sie verprügelt werden („They

are not cutting a rod for their own back.“)

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FNF International News 1-2012

Freiheit vs. Korruption

Das südafrikanische Beispiel lehrt allgemein, dass Kor-

ruptionsbekämpfung immer im gesamtpolitischen

Kontext demokratischer und freiheitlicher Entwicklun-

gen eines Landes beurteilt und nicht vorschnell für

bare Münze genommen werden darf. Der Friedrich-

Naumann-Stiftung für die Freiheit in Subsahara-

Afrika geht es in ihren Projektländern weiter darum,

durch die Zusammenarbeit mit zivilgesellschaftlichen

Organisationen und liberalen Partnerparteien Men-

schenrechte, Rechtsstaatlichkeit, Demokratie und das

Prinzip der freien Marktwirtschaft zu fördern – die

unabdingbaren Rahmenbedingungen für effektive

Korruptionsbekämpfung und verantwortungsvolle Re-

gierungsführung.

Feline Freier

Freie Mitarbeiterin der FNF Südafrika

Bildnachweis Titel: futureatlas.com/Flickr

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Der Korruptionswahrnehmungsindex von

Transparency International

Der Korruptionswahr-

nehmungsindex (engl.

Corruption Perceptions Index oder auch CPI) wird seit 1995 von der

nichtstaatlichen Orga-

nisation Transparency

International herausge-

geben, die sich welt-

weit in der volks– und

betriebswirtschaftli-

chen Korruptionsbe-

kämpfung engagiert.

Spiritus rector des Ver-

zeichnisses ist Johann

Graf Lambsdorff, Professor für Wirtschaftstheorie an

der Universität Passau, der den Index 1995 konzipierte

und seitdem im Auftrag von TI erstellt.

Der CPI gibt dabei die Wahrnehmung von Korruption

an. Er listet Länder nach dem Grad auf, in dem dort

Korruption bei Amtsträgern und Politikern wahrge-

nommen wird. Es ist ein zusammengesetzter Index, der

sich auf verschiedene Umfragen und Untersuchungen

stützt, die von mehr als zehn unabhängigen Institutio-

nen durchgeführt wurden. Es werden Geschäftsleute

sowie Länderanalysten befragt und Umfragen mit Ex-

perten im In- und Ausland miteinbezogen. Der Index

hat eine Skala von 0 bis 10, wobei 10 die geringste

Wahrnehmung von Korruption anzeigt und somit das

bestmögliche Ergebnis ist.

Transparency Inter-

national wurde 1993 in Berlin vom ehema-ligen Direktor der Weltbank für Ostafrika, Peter Eigen, und Mitstreitern aus aller Welt gegründet. Die Haupt-sitze von TI und TI Deutschland befinden sich in Berlin-Moabit bzw. Berlin-Mitte. TI verfügt über mehr als 90 nationale Ableger, zu denen auch TI Deutschland ge-hört.

Quellen: Wikipedia.org, cpi.transparency.org

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FNF International News 1-2012

Freiheit vs. Korruption

Introduction

India is listed as 95 out of 182 in Transparency Inter-

national’s 2011 list of countries graded from 1 to 10 –

with 10 being the least corrupt. India is graded at 3.1

out of 10 in terms of how clean it is from corruption,

and shares this position with Albania, Kiribati, Swazi-

land and Tonga. This statistic gives us a broad idea of

how Indians perceive corruption in their country, but

the story of corruption in India is a dynamic one, and

how it affects the freedom of Indians is complex.

It is vital to remember that India achieved freedom

from British rule in 1947, after almost two hundred

years of being ruled by an imperial power that valued

stability and profits far more than the freedom of the

people it ruled. This meant that the powerful elites at

the time of India’s independence were seen as deeply

complicit in an essentially corrupt order meant to ex-

ert control over the general population. The Indian

National Congress (INC) – which led the freedom

struggle and became the principal ruling party of in-

dependent India – identified this corrupt ruling order

as the source of Indian poverty. Post-independence

the INC, with a broad consensus from society except

for key liberal actors, used state power in a revolu-

tionary manner, stripping land and power from land

owning elites, and limiting land ownership rights. The

state was also given the task to lead in economic de-

velopment, occupying the “commanding heights” of

the economy with large public sector units (PSUs).

Corruption in Independent India

State-led economic growth was far from a success

story; instead it devolved into what is sarcastically

called the “License-Permit-Quota Raj”. As the govern-

ment controlled the permits and licenses for most

goods and industries, those that could access those

permits and monopolise them became fantastically

wealthy in an otherwise poor society. During the 70s

and 80s this process reached a peak, and the Indian

population – which had early seen their freedoms se-

verely restricted by foreign rule – now saw their free-

doms restricted by large scale and internal corruption

situated between the politicians and bureaucrats.

India’s deeply entrenched democratic politics meant

that electoral politics allowed marginalised sectors of

society to come to power. However, this often meant

that new actors became embroiled in corruption ra-

ther than corruption being combated by those who

had been negatively affected by it. Political power,

and a position in the bureaucracy, became a means to

exploit the state by different parts of the social spec-

trum, and positions in the state government or bu-

reaucracy were seen as a way to capture wealth by a

specific caste or class. Nevertheless the effects of cor-

ruption on the poor in India are catastrophic. Medi-

cines do not reach hospitals, roads are in disrepair,

buildings are built using unsafe construction material,

health inspections are not conducted, substandard

food is served in public projects for feeding the poor,

the food subsidy system is a hotbed of thievery. Each

and every day institutional corruption kills, or severely

limits the life chances of millions in the country.

Liberalisation and New Hopes

In 1991, faced by a severe balance-of-payment crisis,

India slowly started to dismantle its government con-

trols over the private sector, leading to a freer and

more vibrant economic sector. Its growth rate shot up

to 7 percent on average and has held that position for

most of the last two decades. During this time the

role of corruption in India has also become a greater

The Dynamics of Corruption in India

Page 27: FNF International News 1-2012

27

FNF International News 1-2012

Freiheit vs. Korruption

focus of attention. Liberalisation has done away with

some of the corruption engendered by the License-

Permit-Quota Raj. It also has led to a growth of a vi-

brant private sector that employs a larger middle class

which is frustrated by the endemic corruption, and

compares India’s state unfavourably with foreign

countries. At the same time some types of privatisa-

tion pursued during this process – the granting of

contract to exploit natural resources like coal, or the

sale of spectrum licenses to mobile phone companies

– are naturally open to corruption, as political actors

stood to gain a substantial profit by given preferential

deals through opaque processes to large private busi-

ness houses.

The most important political outcome of the twenty

years of liberalisation has been the growth of the

middle class. With the growth of this middle class – as

small as it may be in relative terms to the large 1.2

billion population of the country – have come im-

portant demands for information and accountability.

The Indian media industry has flourished, and it is one

of the few markets in the world where the newspaper

industry is actually expanding. The growth of next

generation technologies, such as internet connectivity

through the mobile phone, and the embrace of social

networking tools by wide sections of the Indian socie-

ty, have created a large pool of increasingly informed

citizens more aware of their rights, and the mistakes

or crimes of the powers-that-be. As two thirds of In-

dia’s population are below the age of thirty-five, this

means that up to 800 million are part of “young In-

dia”, which has the power to completely remould so-

ciety.

The Right to Information Act (RTI)

The Friedrich-Naumann-Stiftung für die Freiheit (FNF)

worked with the Commonwealth Human Rights Initia-

tive (CHRI) (http://www.humanrightsinitiative.org/) on

one of the most important legislative changes to em-

power Indians to demand accountability from the

state, and to limit corruption. This legislation, the

Right to Information Act (RTI), was passed in India in

2005 backed by a wide variety of NGOs and civil soci-

ety actors. CHRI, which had been lobbying for its pas-

sage, also worked to provide expert advice in making

the final Act a stronger piece of legislation than the

preliminary draft that was tabled. The RTI Act essen-

tially allows any Indian citizen to demand information

from any government agency about any project done

through public funding. The government agency – ex-

cept in few exceptions such as national security – has

to reply within 30 days of the request being submit-

ted. The cost of submitting a request is Rs. 10 or

€0.15, making it very cheap and accessible to the

common person. This legislation was aimed squarely

at parting the opaque curtain behind which dubious

deals could be conducted out of the view of the pub-

lic. Once it was passed, it was used aggressively by the

media and anti-corruption activists to draw attention

to the waste of public funds.

In recent years a series of scandals have surfaced, in-

cluding about the allotment of the media spectrum to

mobile phone companies (India’s Supreme Court has

now judged the previous contracts void, and to be re-

negotiated through an open auction), the 2010 Com-

monwealth Games held in New Delhi, coal-mining in

illegal areas, as well as a series of other, smaller

scams. Although the RTI Act has been able to draw

attention to some of these practices, it is not a risk

free enterprise as the killing of more than a dozen ac-

tivists has shown.

The Supreme Court has also come down heavily on

rapacious private-public ‘accommodations’ that have

deprived the poor tribal communities of their lands to

allow for mineral extractions. These practices have

„Complaint Box for Corruption“ in Leh, Jammun and Kashmir

(Photo: Miran Rijavec/Flickr)

Page 28: FNF International News 1-2012

28

FNF International News 1-2012

Freiheit vs. Korruption

already empowered and strengthened militant leftist

networks that attack the state and its institutions. The

poor, caught between a state complicit with crimes,

and a violent revolutionary movement, continue to

suffer in what is often referred to as India’s “Red Cor-

ridor” in the rural areas of the eastern part of the

country, the parts which have not benefitted much

from India’s liberalisation. Spanning parts of nine

provinces in India, this affects the politics of more

than a quarter of the country.

The 2011 Jan Lokpal Bill Movement

The combination of these events has led to a deeply

charged debate on corruption in the Indian political

space, and led to a massive campaign to promote a

Jan Lokpal (Public Ombudsman) Bill in 2011. Led by a

rural activist, who had also been part of the RTI

movement, Anna Hazare, and coordinated by Arvind

Kejriwal – who had also been part of the RTI movment

– this was seen as a citizen’s protest against an ex-

tremely corrupt political and bureaucratic class. It was

billed as “a second freedom struggle”. The Indian gov-

ernment initially dismissed the movement, despite the

fact that a Lokpal Bill has been debated in various

guises for decades in the Parliament. The Anna Hazare

-led movement gained considerable backing by both

the centre-right Bharatiya Janata Party (BJP), and the

communist parties. It also rallied the support of film

actors, religious leaders and some civil society actors.

A key part of civil society, though, kept its distance.

The Jan Lokpal Bill, as championed by the Anna Haza-

re-led movement, had certain key flaws that made it

difficult to accommodate. For example it envisaged

having both policing and adjudicatory powers concen-

trated in one body. The only oversight it envisaged

was from within the organisation. Additionally it

sought authority over everyone from the Prime Minis-

ter, to the Judiciary, to the lowest levels of the bu-

reaucracy. Such concentration of powers would have

violated the basis of the Indian Constitution, and the

basis of liberal democracy as such. Nevertheless the

incompetence of the way that the Indian government

handled the protests only stoked public resentment

against the status quo, and empowered the Anna

Hazare-led movement forcing the government into

negotiations.

In the end the Indian government agreed to table a

Lokpal Bill in Parliament before the end of the year.

When it was tabled, a combination of different agen-

das led to a standoff among the political parties, and

the Bill was withdrawn. The Anna Hazare-led move-

ment then campaigned during 2012 at province level

elections in five provinces against corrupt candidates.

This campaign did not gain as much traction as the

earlier campaign, possibly because one of the main

parties that had benefited from the campaign – the

principal opposition party, the BJP – accepted a

known corrupt politician in its party just before the

elections in Uttar Pradesh, India’s most populous

state.

Looking Forward

Although the anti-corruption movement did not have

much in the way of successes in Parliament so far or

in affecting the elections in the important provincial

elections of 2012, the anti-corruption language is

there to stay in the Indian polity. Every political party

in India has committed to ‘cleaner’ government, and a

number of powerful politicians have been arrested

and charged for corruption – a completely novel phe-

nomenon. The movement towards greater transparen-

cy and efficiency is facilitated by a more empowered

and knowledgeable citizenry. As the Indian middle

class grows, it will continue to pursue its freedom to

be able to work honestly and efficiently. It will remain

a difficult process to deal with this deeply embedded

problem without compromising on the key principles

of liberal democracy. FNF contributes to this work

„India Against Corruption Rally“ in Bangalore, 2011

(Photo: iHyd/Flickr)

Page 29: FNF International News 1-2012

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FNF International News 1-2012

Freiheit vs. Korruption

through helping initiatives such as the website

“Empowering India” created by the Liberty Institute to

bring details about politicians to citizens before elec-

tions, and with CHRI to strengthen the RTI network in

South Asia. All this aims to contribute to an India that

is able to pursue freedom for its citizens through free-

dom from corruption.

Omair Ahmad

Programme Executive, FNF India

Cover photos:

Pushkar V/Flickr

watchsmart/Flickr

iHyd/Flickr

Deepankar Raj/Flickr

Karte: TUBS/Wikipedia

Page 30: FNF International News 1-2012

30

FNF International News 1-2012

Freiheit vs. Korruption

Umfragen zeigen, dass für viele Indonesier die Korrup-

tion eines der zentralen Themen ist. Im weltweiten

Index wahrgenommener Korruption von Transparency

International nahm das wirtschaftlich aufstrebende

Land im Jahr 2011 Platz 100 (von 182 insgesamt) ein

und lag damit in etwa gleichauf mit Gabun und Mala-

wi, Argentinien und Mexiko. Das gerade neu von der

FNF vorgelegte Freedom Barometer Asia 20111 be-

zeichnet die Korruption in Indonesien als

„widespread“.

Korruption spielt sich in Indonesien auf sehr verschie-

denen Ebenen ab. Sie reicht vom Schmiergeld für den

kleinen Beamten, der den Führerschein ausstellt, über

die großzügige Gratifikation für den Leiter einer Ein-

wanderungsbehörde als Dank für einen falschen Pass

bis hin zur Selbstbereicherung von Politikern durch

Manipulation von öffentlichen Ausschreibungen für

Bauvorhaben.

Deregulierung und Bürokratieabbau würden die

Korruption bremsen

Für die Masse der Bevölkerung ist vor allem die Kor-

ruption auf den unteren Ebenen der Verwaltung lästig

und teuer. Dabei profitieren Gelder einfordernde Be-

amte von einer Vielzahl bürokratischer und freiheits-

feindlicher, oft auch realitätsfremder Gesetze und

Vorschriften, die es Menschen mit Unternehmergeist

schwer machen, aus der Armut und dem informellen

Sektor auszubrechen. Je mehr komplizierte Formulare

man ausfüllen muss, um ein Gewerbe anzumelden o-

der etwas importieren zu dürfen, desto mehr Türen

und Tore öffnen sich für öffentliche Bedienstete, die

„Beschleunigungsgeld“ verlangen. Anderseits dient

dieses Beschleunigungsgeld ja auch den Menschen, da

die Zahlung an den einfachen Beamten oft langwieri-

ge administrative Prozesse erspart. Es ist bezeichnend,

dass Indonesien nicht nur bei der Korruption einen

schlechten Platz einnimmt. Auch in Hinblick auf die

freie wirtschaftliche Betätigung hat das Land noch

viele Aufgaben vor sich. Im von der World Bank jähr-

lich herausgegebenen Index Doing Business liegt In-

donesien im laufenden Jahr nur auf Platz 129 (von

183 Ländern insgesamt). Nicht zufällig hebt daher die

FNF in Indonesien immer wieder die Notwendigkeit

von Deregulierung und Bürokratieabbau hervor. Beides

wäre auch ein wichtiger Beitrag zur Bekämpfung der

Korruption.

Korruption in Staat und Politik – der Fall Nazarud-

din

Mehr Aufmerksamkeit als die Korruption im Alltag

finden in den Medien und bei Nichtregierungsorgani-

sationen allerdings die Korruptionsfälle, in die Spit-

zenbeamte, Richter, Polizisten, Abgeordnete oder Re-

gierungsmitglieder involviert sind. Natürlich geht es

dabei um größere Summen als beim kleinen Beamten

am unteren Ende der Hierarchiekette. Aber es ist auch

besser für die Zeitungsauflage, über den gestrauchel-

ten Direktor einer öffentlichen Bank oder einen natio-

Nur Freiheit und Demokratie wirken gegen Korruption:

Zwei Fallbeispiele aus der Region Südost– und Ostasien

Korruption als Spektakel und Alltagserfah-

rung in Indonesien

1 http://www.freedombarometer.org

Page 31: FNF International News 1-2012

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FNF International News 1-2012

Freiheit vs. Korruption

nalen Abgeordneten zu berichten als über einen Be-

amten aus dem Gesundheitsministerium, der die Sau-

berkeit von Imbissständen vor Ort überwachen soll.

Wer sich in Indonesien kritisch mit dem Thema Kor-

ruption auf hoher Ebene befasst, wird praktisch täg-

lich Material in der Zeitung oder in den Fernsehnach-

richten finden. Seit mehr als einem halben Jahr erre-

gen vor allem die Vorgänge um den früheren Schatz-

meister der regierenden Demokratischen Partei, der

auch Staatspräsident Susilo Bambang Yudhoyono an-

gehört, die Medien und damit die Öffentlichkeit.

Muhammad Nazaruddin wird beschuldigt, für sich

selbst und seine Partei in Dollar oder Euro umgerech-

net hohe Millionenbeträge über ein weit verzweigtes

Netzwerk von (Schein-)Firmen aus der Staatskasse

abgezweigt zu haben. Die bisherigen Untersuchungen

und Verhöre zeigen, mit welch krimineller Energie der

erst 33 Jahre alte Politiker seine hochrangigen Kon-

takte zu nutzen wusste, um an öffentliche Aufträge zu

kommen. Er ist inzwischen aus den Reihen der Partei

ausgeschlossen worden und hat alle seine politischen

Ämter bei den Demokraten verloren.

Für alle indonesischen Parteien trifft mehr oder weni-

ger zu, dass in ihnen zu wenig gemeinsame Werte,

Ideen und Erfahrungen die Grundlage einer eigenen,

unverwechselbaren Identität bilden. Ideologisch und

programmatisch sind die indonesischen Parteien oft

zu austauschbar, zu beliebig. Zu leicht können sie da-

her von cleveren Trittbrettfahrern missbraucht wer-

den, die ohne eigentliche Bindung an die Partei, der

sie beigetreten sind, nur an ihren persönlichen Ge-

schäften interessiert sind. Wo nicht der Wunsch eine

Partei zusammenhält, die Zukunft des Landes entspre-

chend den eigenen Wertvorstellungen zum Wohle der

indonesischen Gesellschaft insgesamt zu gestalten, ist

es für Opportunisten leicht, Politik und Geschäft mit-

einander zu verbinden. Die Arbeit der Friedrich-

Naumann-Stiftung für die Freiheit in Indonesien ist

daher gerade darauf ausgerichtet, ihren politischen

Partnern die Wichtigkeit einer auf Werten basieren-

den, programmatisch stringenten Politik zu vermitteln

und mit ihnen über die richtige politische Lösung zu

konkreten Themen zu diskutieren. Auf der politischen

Ebene sind gemeinsame Ideale, Ideen und Inhalte

wichtige Elemente, um Korruption zu bekämpfen.

Indonesiens Kommission zur Beseitigung der Kor-

ruption (KPK) – ein gutes Modell

Indonesien ver-

fügt mit der KPK

über ein sehr

gutes Instrument

zur Aufdeckung

von Korruptions-

fällen. In den

vergangenen

Jahren ist es der KPK mit ihren rund 600 Mitarbeitern

gelungen, zahlreiche Fälle zu bearbeiten und viele ho-

he Beamte und Politiker der Korruption zu überführen.

Selbst in den sonst sehr kritisch eingestellten Medien

genießt die KPK hohes Ansehen und Vertrauen. Als

besonders hilfreich hat sich dabei das mehrfach ver-

bessertes Gesetz zur Bekämpfung der Geldwäsche er-

wiesen. Es gibt der KPK und den Strafverfolgungsbe-

hörden nicht nur Zugang zu den Konten der Beschul-

digten, sondern legt diesen die Beweislast für die Her-

kunft ihrer Vermögen und Vermögenswerte auf. Die

Beschuldigten müssen selbst nachweisen, woher die

Mittel für einen aufwendigen Lebensstil, üppigen Im-

mobilienbesitz oder gut dotierte Bankguthaben kom-

men. Auch im Fall Nazaruddin war das der Weg zu

wichtigen Beweisen und neuen Erkenntnissen.

Die Mühlen der KPK mahlen sorgfältig, aber langsam.

Auch die Vielzahl der Fälle verhindert rasche Entschei-

dungen. Doch die KPK leistet einen beispielhaften Bei-

trag zur Kriminalitätsbekämpfung in Indonesien auf

der oberen Ebene von Staat und Politik. Ihre Arbeit ist

Anti-Korruptionsaufkleber an einer Wand in Jakarta

(Foto: Mayu Shimizu/Flickr)

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FNF International News 1-2012

Freiheit vs. Korruption

aber nicht ohne Herausforderungen. So gibt es immer

wieder Versuche von Politikern, das Mandat der KPK

einzuschränken. Besonders eklatant war im Oktober

2011 der parteiübergreifende „Streik“ von Abgeordne-

ten im Haushaltsausschuss, die sich durch Blockierung

der Beratung des Staatshaushalts dagegen wehren

wollten, von der KPK zur Vernehmung vorgeladen zu

werden. Es bedurfte eines Machtworts der Parla-

mentsleitung, um den „streikenden“ Abgeordneten in

Erinnerung zu rufen, dass die KPK jederzeit gegen je-

den ermitteln und jeden vorladen kann. Die von den

Streikenden eingeforderte „Würde eines Parlamentari-

ers“ stehe dem nicht im Wege.

Sind einmal die Entscheidungen der KPK getroffen

und sind die Beschuldigten einmal von einem Korrup-

tionsgericht verurteilt worden, halten sich die politi-

schen Parteien allerdings an das Urteil und schließen

die Betroffenen von politischen Ämtern aus.

Indonesiens Justiz hat zu wenig Abschreckungsef-

fekt

Schwächen weisen die eigens eingerichteten regiona-

len Korruptionsgerichte auf. Ihnen wird immer wieder

in den Medien vorgehalten, Urteile ohne Abschre-

ckungseffekt zu fällen. So wurde im Februar 2012 ein

Bezirksrichter aus Jakarta, der in einem Insolvenzver-

fahren 20.000 Euro an Schmiergeldern angenommen

hatte (zum Vergleich: der Mindestlohn liegt bei etwa

120 Euro im Monat), lediglich zu einer Haftstrafe von

vier Jahren Haft verurteilt. Milde Urteile galten auch

für andere Fälle, in denen Richter vor Gericht standen.

Praktisch zeitgleich mit dem Urteil in Jakarta erregte

aber ein Verfahren gegen einen 15-Jährigen auf der

Insel Sulawesi Aufsehen, der von einem Polizisten

Schuhe im Wert von umgerechnet drei Euro gestohlen

hatte. Ihm wurden vom Staatsanwalt fünf Jahre Haft

angedroht. Erst das öffentliche Aufsehen und das Ein-

greifen des Obersten Gerichts ersparten dem Jugendli-

chen den langen Weg durch das Gefängnis.

Immerhin wurde der betroffenen Bezirksrichter aus

Jakarta verurteilt. In vielen Fällen, die vor den Korrup-

tionsgerichten behandelt werden, kommt es gar nicht

erst zu Urteilen, sondern die Angeklagten werden

mangels Beweisen frei gesprochen. Falls sie die aus

Sicht vieler Beobachter zu geringen Haftstrafen tat-

sächlich antreten müssen, habe sie eine gute Chance,

nach zwei Dritteln der Zeit wegen guter Führung aus

der Haft entlassen zu werden. Denn in der Regel sind

wegen Korruption verurteilte Beamte und Politiker

nicht vorbestraft. So können sie sich leicht für eine

vorzeitige Entlassung qualifizieren. Doch selbst die

eher kurze Zeit im Gefängnis kann man sich ver-

gleichsweise angenehm gestalten, wenn man über die

notwendigen Mittel und Beziehungen verfügt. Immer

wieder berichten die Medien darüber, dass im Gegen-

satz zu gewöhnlichen Kriminellen wegen Korruption

Verurteilte in Einzelzellen mit Fernsehgerät unterge-

bracht sind, über ein Handy verfügen, bessere Verpfle-

gung erhalten und viele Besucher empfangen können.

Sind die Indonesier zu geduldig mit der Korruption?

Indonesien ist trotz aller wohlmeinenden Verfassungs-

artikel in der Wirklichkeit keine auf der sozialen

Gleichheit aller Bürger aufgebaute Gesellschaft. In

weiten Teilen der indonesischen Gesellschaft ist man

daran gewöhnt, dass zwischen „oben“ und „unten“ in

der gesellschaftlichen Hierarchie klientelistische und

patrimoniale Beziehungen bestehen. Die Nutzung von

Privilegien oder die Annahme von persönlichen Vortei-

len werden nicht immer und überall als moralisch ver-

werflich angesehen wird, sondern gelten vielfach als

unvermeidlicher Teil des normalen Lebens. Ebenso we-

nig haben Firmen, Organisationen oder auch einfache

Bürger im Zweifelfall Hemmungen, Mitglieder der Par-

lamente darum zu bitten, zu ihren Gunsten in schwe-

bende Verfahren einzugreifen oder ihnen Vorteile oh-

ne Rücksicht auf gesetzlich festgelegte Vorschriften

Plakat in Gayo Lues, Indonesien

(Foto: Paul Keller/Flickr)

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FNF International News 1-2012

Freiheit vs. Korruption

und Verfahren zu verschaffen.

Die Korruption ist eine massive Bremse von Wachs-

tum, Rechtsstaat und Demokratie in Indonesien und

anderswo. Sie muss mit harter Hand bekämpft wer-

den. Allerdings gilt in Indonesien wie für andere Län-

der, dass die manchmal sehr heftigen Vorwürfe von

Journalisten, Rechtsanwälten oder Intellektuellen ge-

gen die Korruptionsanfälligkeit der politischen Eliten

nicht notwendigerweise die Prioritätenliste der Masse

der Bevölkerung widerspiegeln. Dort mag man sich

über korrupte Politiker ärgern, aber im Alltag arran-

giert man sich mit dem System und der herrschenden

politischen Kultur: Man versucht, bei einem durch-

schnittlichen Pro-Kopf-Einkommen von rund 300 US-

Dollar pro Monat das Beste aus seinem Leben unter

den bestehenden Bedingungen zu machen. Man la-

mentiert viel über Korruption, ohne aber wirklich an

die Chance auf Änderung zu glauben. Es steht zu er-

warten, dass sich diese Einstellung mit größerem

Wohlstand und wachsender Bildung allmählich än-

dern wird. Doch schon heute ist es ein Zeichen für den

Fortschritt der Demokratie in Indonesien, wie offen

Fälle von Korruption selbst an der politischen Spitze

aufgedeckt und kritisiert werden können. Das wäre

noch vor zwei Jahrzehnten undenkbar gewesen. Inso-

fern ist auch die weit verbreitete Meinung mit Vor-

sicht zu bewerten, dass es heute im demokratischen

Indonesien mehr Korruption geben soll als in den Zei-

ten des autoritär regierenden Präsidenten Suharto in

den achtziger oder neunziger Jahren des vergangenen

Jahrhunderts. Wo Pressefreiheit nicht existiert und

kritische Stimmen keine öffentliche Resonanz finden

können, wird Korruption unter den politisch Mächti-

gen nur selten aufgedeckt. Von solchen Zuständen ist

das demokratische Indonesien heute glücklicherweise

weit entfernt.

Rainer Erkens

Projektleiter Indonesien

Korruption auf allen Ebenen – sei es in Politik, Verwal-

tung, Justiz oder Wirtschaft ist eine der größten Her-

ausforderungen für Demokratie und Freiheit in den

Philippinen.

Der Kandidat der Liberal Party, Benigno S. Aquinos III,

führte seine Kampagne daher im Vorfeld der Wahlen

2010 unter dem Motto "kung walang corrupt, walang mahirap" („Keine Korruption bedeutet keine Armut“).

Aquino gab seinen Wählern zu verstehen, die Lage

sehr ernst zu nehmen und sicherzustellen, dass mit

seiner Wahl zum Präsidenten die Korruption ein Ende

haben wird. Mit über 40 Prozent aller Wählerstimmen

ging Aquino aus der Wahl am 10. Mai als klarer Sieger

hervor.

Die Herausforderungen, denen sich die neue Regie-

rung stellen musste, waren gewaltig. In ihrer neunjäh-

rigen Amtszeit als Präsidentin hat Aquinos Vorgänge-

rin Gloria Macapal Arroyo das Land regelrecht herun-

tergewirtschaftet. Korruption auf allen institutionellen

Ebenen war eher die Regel als die Ausnahme. Nach

Schätzungen des philippinischen Think Tanks Ibon Databank haben die Korruptionsskandale unter der

Arroyo-Administration einen wirtschaftlichen Schaden

von rund 7,3 Mrd philippinischen Pesos verursacht.

Arroyo selbst war in einen nicht unwesentlichen Teil

dieser Skandale direkt verwickelt.

Der neue Präsident Aquino nimmt seine Wahlverspre-

chen sehr ernst und hat es sich zur Aufgabe gemacht,

Mitglieder der Vorgängerregierung zur Verantwortung

zu ziehen. Keine einfache Aufgabe wie sich zeigen

sollte. Kurz vor ihrem Abtritt hat Gloria Arroyo in ei-

nem äußerst umstrittenen Eilverfahren – den so ge-

Aquinos Kampf gegen die Korruption auf

den Philippinen

Page 34: FNF International News 1-2012

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FNF International News 1-2012

Freiheit vs. Korruption

nannten „midnight appointments“ – ihr wohl geson-

nene Vertraute in Schlüsselpositionen von Justiz und

Verwaltung ernannt – darunter der Vorsitzende Rich-

ter des obersten Gerichtshofes. Präsident Aquino

konnte aber einen Amtsenthebungsprozess gegen die-

sen Richter erwirken und verschaffte sich damit weit

reichenden Respekt unter der philippinischen Bevölke-

rung.

Institutionalisierte Korruption

Korrupte Praktiken sind so tief in der philippinischen

Gesellschaft verwurzelt, dass vielen Menschen ihre

Unrechtshandlungen scheinbar gar nicht bewusst

sind. Aus Sicht vieler Experten liegt der Hauptgrund

für das Entstehen dieser „Kultur der Korruption“ in der

mangelnden Trennung und Überschneidung privater

Interessen und öffentlicher Aufgaben. Die US–

amerikanische Wirtschaftswissenschaftlerin Susan

Rose Ackermann von der renommierten Yale Universi-

tät fasste die Korruption als ein Ergebnis des Miss-

brauchs öffentlichen Vertrauens für private Interessen

zusammen. Professor Klitgaard von der Claremont

Universität in Kalifornien, Experte in Fragen der Kor-

ruptionsbekämpfung und seit kurzem Anti-

Korruptionsberater von Präsident Aquino, wurde unter

anderem bekannt für die Formulierung von C=M+D-A

(C=Corruption, M=Monopoly, D=Discretion,

A=Accountability). Demnach ist Korruption ein Ergeb-

nis von Monopolstellungen von Eliten und willkürli-

chen Entscheidungsprozessen bei gleichzeitiger Abwe-

senheit von Unrechtsbewusstsein und mangelnder Re-

chenschaftspflicht.

Die Transparenz staatlichen Handelns zur Wiederher-

stellung der öffentlichen Glaubwürdigkeit steht im

Zentrum von Präsident Aquinos Kampf gegen die Kor-

ruption auf den Philippinen. Nach Professor Klitgaard

hängt der Erfolg bei der Bekämpfung von Korruption

in hohem Masse davon ab, ob es gelingt, in der Bevöl-

kerung ein Bewusstsein dafür zu schaffen was Recht

bzw. Unrecht ist. Dass Unrechtshandlungen rechtlich

verfolgt und bestraft werden, ist für viele Filipinos

längst keine Selbstverständlichkeit.

Präsident Aquino ließ daher verlauten, dass er in sei-

nem Kampf gegen die Korruption hart durchgreifen

und dabei keine Ausnahmen machen werde und ließ

verlauten: „Es spielt keine Rolle ob es sich um eine

ehemalige Präsidentin oder einen einfachen Arbeiter

handle. Wer Unrecht begeht, muss dafür zur Verant-

wortung gezogen werden“. Zum Amt des Präsidenten der Philippinen gehören un-

ter anderem die Allokation des Staatsbudgets sowie

die Besetzung öffentlicher Ämter. Bei diesen Aufgaben

ist Transparenz für Präsident Aquino ganz besonders

wichtig um das öffentliche Vertrauen wiederherzu-

stellen. Dazu gehört es, Institutionen zu stärken und

Zuwiderhandlungen konsequent strafrechtlich zu ver-

folgen.

Freiheit und Korruptionsbekämpfung

Aus liberaler Sicht ist für die

Aquino-Regierung vor allem die

Förderung wirtschaftlicher Frei-

heiten wichtig. Eine zu starke

Stellung des Staates im Wirt-

schaftsgeschehen eines Landes

eröffnet Personen in wirt-

schaftspolitischen Schlüsselpo-

sitionen die Möglichkeit des

Amtsmissbrauchs zu eigenen

Gunsten und Interessen. Auch

hier kann Präsident Aquino be-

reits auf Erfolge verweisen. In

den jüngsten Datenbeständen

des Freedom Barometer Asia

spiegeln sich diese Veränderungen wieder. Das Free-

dom Barometer misst jährlich den Freiheitsgrad in

Südost- und Ostasien. Im Gegensatz zu anderen Indi-

„Tell the Truth“-Bewegung gegen Bestechung und Korruption

unter der damaligen philippinischen Präsidentin Gloria Arroyo

2008 (Foto: gmaresign/Flickr)

Grafik: heritage.org

Page 35: FNF International News 1-2012

35

FNF International News 1-2012

Freiheit vs. Korruption

zes will dieser die gesamte freiheitliche Entwicklung

in 17 Ländern messen, und sich nicht auf Teilbereiche

beschränken. Auch die Untersuchungen der amerika-

nischen Heritage Foundation, die jährlich einen Index

zur ökonomischen Freiheit von 184 Staaten weltweit

publiziert, zeigen die Philippinen 2012 einen Auf-

wärtstrend von 0,9 Prozentpunkten, was vor allem auf

Verbesserungen im Bereich der privatunternehmeri-

schen Freiheit zurückzuführen ist.

Damit liegen die Philippinen zwar noch immer auf

Platz 107 der 184 bewerteten Staaten, sollte es Aqui-

no aber gelingen, seinen eingeschlagenen Weg erfolg-

reich weiterzuverfolgen und die institutionalisierte

Korruption einzudämmen, so ist ein weiterer Auf-

wärtstrend in Bezug auf die wirtschaftliche und politi-

sche Freiheit sehr wahrscheinlich. Aquino selbst kann

dann von sich behaupten, seinem Wahlkampfslogan

“Sa kalayaan, may kasaganahan”, was so viel bedeutet

wie “Mit Freiheit kommt Wohlstand”, gerecht zu wer-

den.

Die Friedrich Naumann Stiftung für die Freiheit unter-

stützt die Anstrengungen Aquinos und der Liberal Par-

ty mit einer Kampagne namens „It’s all about Free-dom“. Durch die Teilnahme am vom Philippinen-Büro

der Stiftung organisierten Veranstaltungen sollen die

Menschen zur Teilhabe am Kampf gegen die Korrupti-

on ermutigt werden. Ein bemerkenswertes Ereignis

war der so genannte „Freedom Run“, an dem etwa

2.000 Menschen teilnahmen. Sogar die offizielle In-

ternetseite der philippinischen Regierung www.gov.ph

warb für die Teilnahme am Wettlauf gegen die Kor-

ruption.

Die Überquerung der Ziellinie des in der Hauptstadt

Manila stattfindenden Wettlaufs stand dabei symbo-

lisch für das erklärte Ziel, der Korruption im Land Herr

zu werden und wieder Teil einer echten freien Gesell-

schaft zu sein.

Weiterhin kooperiert die Stiftung mit der Kommission

für gute Regierungsführung Presidential Commission on Good Government (PCGG) und verschiedenen Ex-

perten auf dem Gebiet der Korruptionsbekämpfung. So

werden beispielsweise Ausstellungen und Diskussions-

runden an ausgewählten Schulen des Landes organi-

siert, bei denen die junge Generation ein Bewusstsein

für die Folgen korrupten Handelns entwickelt. Ein

ähnlicher Ansatz wird in Zusammenarbeit mit der so

genannten Kaya Natin! Bewegung der Ateneo-

Universität von Manila verfolgt. Mit Studenten ver-

schiedener philippinischer Universitäten werden die

Merkmale verantwortlicher Regierungsführung disku-

tiert und junge Leute ermutigt, selbst aktiv an der

Durchsetzung einer korruptionsfreien Gesellschaft

mitzuwirken.

Mit all diesen Aktivitäten will die Stiftung ein Be-

wusstsein dafür schaffen, dass die Wahl Aquinos zum

Präsidenten den Filipinos zwar ein großes Maß an

Freiheit beschert hat, zur Ausweitung und Aufrechter-

haltung dieser jedoch die Mithilfe aller Bürger gefragt

ist.

Dr. Julio C. Teehankee

Senior Fellow, National Institute of Policy Study

(NIPS)

Page 36: FNF International News 1-2012

36

FNF International News 1-2012

Freiheit vs. Korruption

Mit der Wende 1989 kam die Freiheit nach Mittel-

und Osteuropa. Die Freiheit war aber nicht umsonst:

Der Preis war mehr Kriminalität, mehr Armut und vor

allem mehr Korruption – und das viel massiver als zu-

vor im Sozialismus.

Mit Ausnahme von Estland und im Großen und Gan-

zen auch Litauen und Polen ist die Korruption in den

neuen EU-Ländern ein fester Bestandteil des politi-

schen Systems und der politischen Kultur. Die Men-

schen sind mit der Korruption aufgewachsen und be-

trachten sie als etwas ganz Normales, das zum tägli-

chen Leben gehört: Man zahlt für das Bett im Kran-

kenhaus, den Strafzettel bei der Polizei, den Studien-

platz, die Baugenehmigung, das Kfz-Zeichen nach

Wahl.

Viele Politiker sind nach 1989 nur der wirtschaftlichen

Vorteile wegen in die Politik eingestiegen. Politik ist

Business. Dabei gibt es keine Unterschiede zwischen

links, rechts oder liberal. Es gibt kaum öffentliche

Ausschreibungen ohne Bestechung und Schmiergeld.

Jede Partei hat ihre „Paten“, alle wissen es, die Medien

berichten darüber, nur passiert ist bislang nichts.

Selbst die EU guckt weg. Auch EP-Abgeordnete sind in

Korruptionsaffären verwickelt.

Es gibt in Tschechien oder der Slowakei nicht weniger

Korruption als in Bulgarien oder Rumänien, sie spielt

sich nur – gewissermaßen – zivilisierter und eleganter

ab. Durch die relativ stabile Wirtschaftsentwicklung

und den hohen Lebensstandard und nicht zuletzt

durch charismatische und international angesehene

Politiker wie Vaclav Havel wurde das Image Tschechi-

ens lange Zeit beschönigt. Auch Slowenien und Un-

garn profitierten lange Zeit von ihrem "window dres-

sing".

22 Jahre nach der Wende funktioniert in vielen post-

kommunistischen Ländern die Demokratie an der

Oberfläche. Darunter ist das System morsch, vor allem

mit Blick auf die Polizei und die Justiz. Der Normal-

bürger freut sich über die gewonnenen individuellen

Freiheiten (Reise- und Pressefreiheit, Marktwirtschaft,

etc.) und lebt in seinem Mikrokosmos. Die Politik ist

ihm egal – Wahlbeteiligung unter 50 Prozent. Die

Freiheit als universeller Grundwert tritt in den Hinter-

grund. Es wird vom Neofeudalismus gesprochen. Das

Einzige, was funktioniert, sind die Medien. Sie entwi-

ckelten sich nicht nur in Tschechien zu einem echten

Demokratiewächter und garantieren ein Mindestmaß

an öffentlicher Kontrolle. Ohne sie wären viele Kor-

ruptionsfälle nicht aufgedeckt worden.

Will man die Korruption ernsthaft und wirksam be-

kämpfen, muss man an den Wurzeln des Systems an-

setzen:

Die Polizei und die Justiz müssen wirklich unab-

hängig und von jeglicher politischer Einfluss-

nahme abgekoppelt werden.

Die EU muss die Korruption in den neuen EU

Ländern – nicht nur in Bulgarien und Rumänien

– zum Thema machen, zumal der Missbrauch

bei den Mitteln aus den europäischen Kohäsi-

Zwischen Versprechungen, Enttäuschungen und Hoffnungen:

Der schwierige Kampf gegen die Korruption in Osteuropa

Page 37: FNF International News 1-2012

37

FNF International News 1-2012

Freiheit vs. Korruption

onsfonds besonders hoch ist. Bei Nichteinhal-

tung von verbindlichen EU-Normen müssen ent-

sprechende Sanktionen folgen.

Das Korruptionsbewusstsein muss durch gezielte

Bildungsmaßnahmen in Schulen und Universitä-

ten erhöht werden.

Durch europaweite Ausschreibungen bei öffent-

lichen Aufträgen kann der Wettbewerb gestärkt

und die Korruptionsmöglichkeiten eingeschränkt

werden.

Dr. René Klaff

Regionalbüroleiter MSOE

Kurz nachdem am 22. Januar 2012 die Wahllokale in

Kroatien geschlossen worden waren, stand fest, dass

sich die Befürworter des EU-Beitritts mit einer Mehr-

heit von 2:1 durchzusetzen vermocht hatten. Zeichen

der Euphorie waren aber weder während der Kampag-

ne zum Referendum selbst, noch nach Bekanntgabe

des Ergebnisses im Rahmen der von den proeuropäi-

schen Kräften veranstalteten Feierlichkeiten zu be-

obachten. Es war eine überwiegend rationale Ent-

scheidung der Wähler gewesen, die zu diesem Ergeb-

nis führte. Emotionen blieben dabei weitgehend au-

ßen vor.

Die langen Jahre der Beitrittsverhandlungen hatten

die EU-Begeisterung der Kroaten spürbar gedämpft

und deren vordergründige Hoffnung auf die

„Segnungen“ der diversen EU-Fonds deutlich schwin-

den lassen. Diese waren in den zurückliegenden Jah-

ren von den politischen Akteuren oft genug als All-

heilmittel gegen die diversen Probleme der vom Trans-

formationsprozess gezeichneten kroatischen Wirt-

schaft gepriesen worden.

Für Beobachter des Referendums kristallisierte sich

deutlich ein Leitmotiv auf Seiten der Befürworter des

EU-Beitritts heraus. Dies erkannte man in deren zent-

ralen Erwartung, dass mit dem EU-Beitritt rechts-

staatliche Verhältnisse in Kroatien konsequenter

durchgesetzt werden würden, als das bis dahin im

Beitrittsprozess zu erkennen war. Diese Erwartung

stützte sich vor allem auf eine beispiellose Reihe von

auf Druck der EU in den Jahren 2010 und 2011 aufge-

deckter Affären, von Verhaftungen und Gerichtspro-

zessen hochrangiger Politiker, Beamter und Ge-

schäftsleute. Die Verfahren gegen einige der Hauptak-

teure waren mit rechtskräftigen Urteilen bereits been-

det worden. Der seitens der EU ausgeübte Druck war

die logische Konsequenz aus den Versäumnissen in

den Beitrittsverfahren mit Bulgarien und Rumänien.

Obgleich die kroatische Öffentlichkeit nicht unerfah-

ren mit der Aufdeckung von Korruptionsaffären –

auch solchen in Millionenhöhe – war, so wurde selbst

sie von den Ausmaßen der Welle überrascht, die der

Rücktritt des ehemaligen Premierministers Ivo Sana-

der am 1. Juli 2009 auslöste.

Nach wenigen Monaten wurden in einem atemberau-

benden Rhythmus Einzelheiten ihn belastender Straf-

taten aufgedeckt, die mit Hilfe anderer Spitzenpoliti-

ker, von Vorständen großer öffentlicher Unternehmen

sowie hoher Beamter

begangen worden wa-

ren. Im Ergebnis der

Ermittlungen der für

den Kampf gegen die

organisierte Kriminali-

tät zuständigen Poli-

zeieinheit (USKOK)

sprach die staatsan-

waltschaftliche Untersuchung von skrupellosen Ab-

machungen des ehemaligen Premiers mit politisch

abhängigen Vorständen, um liquide Mittel aus den

staatlichen Unternehmen systematisch abzuzweigen.

Damit wurden sowohl politische Vorhaben, wie z.B.

die Wahlkampagne der HDZ im Jahr 2007, als auch

die Aufwendungen für die eigene, nicht gerade be-

scheidene Lebensführung finanziert. Darüber hinaus

laufen noch weitere Prozesse gegen den ehemaligen

Premierminister wegen Betrugs und Veruntreuung mit

einem Schadensvolumen von mehr als 30 Millionen

Euro. Die Öffentlichkeit geht jedoch davon aus, dass

es sich wahrscheinlich um einen weitaus höheren Be-

trag handelt. Das „System Sanader“ wurde damit zum

Begriff für skrupellose Machenschaften von Teilen der

Kroatien

Page 38: FNF International News 1-2012

38

FNF International News 1-2012

Freiheit vs. Korruption

politischen Elite. Dies nicht nur in Kroatien, sondern

auch darüber hinaus, weil man auch in anderen Län-

dern der Region nicht ohne Grund ähnliche Vorgänge

in der Spitzenpolitik befürchtet.

Auch in diesen Ländern ruhen die Hoffnungen der

Verteidiger rechtsstaatlicher Normen auf den zu erfül-

lenden Anforderungen des EU-Beitrittsprozesses.

Welch massiver Druck von den Gremien der EU ausge-

hen kann, verdeutlicht u.a. auch die Tatsache, dass

erst nach Rücktritt von Ivo Sanader Kapitel 23 der

Beitrittsverhandlungen (Justiz und Grundrechte) mit

Kroatien geöffnet wurde mit den dann zuvor beschrie-

benen Auswirkungen.

Auch der ehemalige Präsident Kroatiens, Stipe Mesic

(2000-2010), ist wegen seiner Rolle beim Ankauf fin-

nischer Militärtechnik in das Visier der Staatsanwalt-

schaft geraten. Zudem ist es nicht ausgeschlossen,

dass auch seine guten Beziehungen zum ehemaligen

Regime Gaddafi im Zusammenhang mit der Finanzie-

rung seiner beiden erfolgreichen Präsidentschaftskam-

pagnen untersucht werden. Bisher verweigerte Stipe

Mesic darüber jedwede Auskünfte.

Insgesamt ist die Verärgerung der Bürger auf dem

Westbalkan über ihre demokratisch gewählten politi-

schen Repräsentanten nicht verwunderlich, zeigten sie

sich doch vielfach als Vertreter einer abgekoppelten

Klasse, die ihre Macht nicht nur in Zeiten wirtschaftli-

cher Rezession schamlos zur eigenen Bereicherung

und zur Stabilisierung der eigenen politischen Positio-

nen ausnutzen.

Es ist den politisch interessierten Wählern auf dem

Westbalkan keineswegs entgangen, dass der Rücktritt

von Ivo Sanader den Forderungen der EU an die kroa-

tischen Behörden, sich konsequenter im Kampf gegen

die organisierte Kriminalität zu zeigen, zeitlich sehr

nahe stand. Gefordert wurde, konkrete Ergebnisse zu

erzielen und nicht nur verbale Bekenntnisse abzuge-

ben. Daher überraschte es nicht, dass in der Zeit nach

dem Rücktritt von Sanader auch gegen mehrere Mi-

nister ermittelt und Anklage erhoben wurde.

Besonders große Erwartungen der Anrainerstaaten des

Westbalkans an den EU-Beitrittsprozess richten sich

deshalb eher nicht auf eine unrealistisch schnelle Bes-

serung der Wirtschaftslage, sondern darauf, dass unter

dem Einfluss der EU auch bei Ihnen der Korruptions-

sumpf trockener gelegt werden wird. Als ein beson-

ders großer Nutzen des EU-Beitritts wird deswegen in

diesen Ländern immer mehr die Durchsetzung der

Rechtsstaatlichkeit gesehen, um das dort unstrittig

vorhandene Potential für eine demokratische und freie

Entwicklung der Gesellschaft nutzbar zu machen.

Dusan Dinic

Projektkoordinator Westbalkan

Christian Christ-Thilo

Ehem. Projektleiter Westbalkan

Introduction

Corruption, as a clearly defined political, social and

economic problem, appeared in Bulgaria towards the

end of the 1990s. The most high profile cases of cor-

ruption were registered in the following areas: in the

administration, both national and local; in the process

of privatization; in public procurement, in the financ-

ing of political parties and in the judicial system. Or-

dinary citizens experience corruption in the health

system, in their relations with the police and in their

deals with the local authorities and it seems to be

Der kroatische Präsident Ivo Josipovic und die kroatische Minis-

terpräsidentin Jadranka Kosor unterzeichnen in Brüssel den EU-

Beitrittsvertrag, Dezember 2011 (Foto: Council of the EU/Flickr)

The Case of Bulgaria1

Page 39: FNF International News 1-2012

39

FNF International News 1-2012

Freiheit vs. Korruption

pervasive. As in other post-communist new democra-

cies, the struggle against corruption originated among

active citizens and is indicative of an emerging civil

society. Research on corruption in addition to promot-

ing awareness of corruption and its deeply negative

effects was part of the agenda of many different

NGOs, some of which were able to attract interna-

tional assistance for the purpose.

The special role of FNF projects has to be mentioned

in this connection. The Foundation has been working

in Bulgaria since 1990, supporting the difficult pro-

cess of transformation. Its objective throughout the

entire region of Central, Eastern and South-Eastern

Europe has been to strengthen liberal political parties

and NGOs and to promote specifically liberal concerns

in the process of building and consolidating democra-

cy and the rule of law.

The issue of corruption gradually became part of the

official agenda as a result of increasing public pres-

sure. Measures against corruption were discussed as a

matter of increasing concern within the civil service,

political parties and government. New anti-corruption

legislation, incorporating important principles of rule

of law, was introduced and approved by the liberal

Government of Simeon Saxe-Coburg in October 2001

as part of a National Anti-Corruption Strategy. The

strategy did not only include stiff sanctions but also

relied on active civil society involvement. However, in

spite of all these more or less systematic efforts, cor-

ruption remained endemic in most areas of Bulgarian

public life. Moreover, the National Anti-Corruption

Strategy focused only on low-level corruption and no

progress has been made in fighting corruption at the

level of Government and of Parliament, in political

parties and within the judiciary.

Between promises, disappointment and hope

It was hardly surprising that corruption was identified

by the European Commission as one of the most seri-

ous problems facing Bulgaria at the time of the coun-

try’s accession to the EU in 2007. An unprecedented

monitoring regime under the so-called Co-operation and Verification Mechanism (CVM) was established in

2007 for both Bulgaria and Romania. Neither country

was deemed worthy of a “clean bill of health” in terms

of how corruption was being tackled. The Commis-

sion's monitoring reports under the CVM are pub-

lished twice a year. The reports are based on contribu-

tions from the Bulgarian Government, the Commission

and its services, other EU member states and NGOs.

Many observers believed that the mere act of joining

the EU would allow Bulgaria to break with its past

and become a European state no longer associated

with crime and injustice. Five years later, however,

Bulgaria still has yet to deliver. Next to no action has

been taken against corrupt former ministers and judg-

es as well as against money launderers – despite some

legislative improvements and despite the launching of

a series of high-level corruption cases by state prose-

cutors.

The report published on 20 July 2011 highlighted Bul-

garia's commitment to pursue judicial reform, to

strengthen legislation on conflict of interest and to

reform the structure of the police and the criminal

court system. The report also noted the lack of results

in the struggle against high-level corruption. “The ju-

diciary in Bulgaria is too slow and often lets high level

Photo: ali eminov/Flickr

1In preparing this article, information from the European Com-

mission’s Site “Mechanism for Co-operation and Verification for

Bulgaria and Romania” http://ec.europa.eu/cvm/index_en.htm,

the annual report of Transparency International on the Corrup-

tion Perceptions Index http://cpi.transparency.org/cpi2011/ as

well as publications of leading Bulgarian analytical centers like

the Open Society Institute Sofia http://www.osf.bg/?

cy=100&lang=2 and the Center for Study of Democracy http://

www.csd.bg/ has been used. The original text of the National

Anti-Corruption Strategy adopted 2001 can be found at http://www.mvr.bg/NR/rdonlyres/F936D70E-34A5-44D5-AC5C-E7B409F1692E/0/01_NationalAntiCorruptionStrategy_Eng.pdf .

Page 40: FNF International News 1-2012

40

FNF International News 1-2012

Freiheit vs. Korruption

corruption cases drag on for so long that the suspects

walk free as their alleged deeds reach the statute of

limitations,” thus the EU Commission. The report con-

cluded that improvements in accountability and pro-

fessional practice within the judiciary and the investi-

gative authorities were required and underlined the

need for stronger legislation on asset forfeiture.

The conclusions of the latest reports of the European

Commission are corroborated by the disappointing

results of the 2011 Corruption Perceptions Index by

Transparency International. The report on the per-

ceived levels of public sector corruption was first re-

leased in 1995 and ranked countries on a scale of 0

(highly corrupt) to 10 (very clean). Bulgaria was first

included in the report published in 1998. Here it

scored 2.9. In 2010 its corruption perceptions index

score was 3.6. Only Greece had a lower score within

the EU. In 2011 the annual report Bulgaria was ranked

last in the EU with a score of 3.3. (The 2011 report

covered 183 countries. New Zealand scored 9.5 and,

together with Denmark and Finland, leads the list,

while North Korea, Afghanistan and Somalia are at

the bottom with a score of 1.)

The new Interim Report on Progress under the Co-

operation and Verification was published on 8 Febru-

ary 2012. It focuses on Bulgaria's response to the

Commission's recommendations included in the 2011

report – but does not contain yet a full assessment of

progress achieved. The overall assessment of progress

in Bulgaria since accession will be presented by the

Commission in summer this year.

What does the February report say? As usual, the re-

port points to areas in which further progress is ex-

pected in the coming months. These include passing

the legislation on asset forfeiture that has been draft-

ed, adopting a more comprehensive approach to re-

forming judicial and investigative practices, enhanc-

ing the role of the Supreme Judicial Council in the

reform of the judiciary and convincing visible results

in the fight against corruption and organized crime.

For the first time, however, the report draws attention

to a number of major developments in response to the

recommendations issued by the Commission in the

2011 report. For example, the new specialized court

and prosecution office for organized crime have start-

ed work, the Commission for the Identification and

Forfeiture of Criminal Assets has delivered significant

results and the newly established commission to iden-

tify and sanction conflicts of interest has taken its

first decisions. In addition, Bulgaria has initiated

measures to improve judicial practice, the organiza-

tion of the prosecution and cooperation between the

different authorities.

Despite such promising steps, further effort is required

during the coming months in order to convince the

Commission that substantial progress has been made

in meeting the country’s commitments since its ac-

cession to the EU. As the EU commission notes, "all

options will be on the table" in summer 2012: to end

the monitoring of both countries Bulgaria and Roma-

nia, just for one of them or to continue it for both.

Conclusion

After the accession of Bulgaria to the EU on 1 January

2007 certain weaknesses requiring urgent attention

remained in the areas of judicial reform and the fight

against corruption and organized crime. These weak-

nesses thwart the effective implementation of EU law,

policies and programs and prevent Bulgarians from

enjoying their full rights as EU citizens. Obviously, the

reforms initiated need to be carried through and per-

Bulgarian Anti-corruption Coordination Commission

ww.anticorruption.bg

Page 41: FNF International News 1-2012

41

FNF International News 1-2012

Freiheit vs. Korruption

severance is required both on the part of politicians

and civil society in order to ensure enduring and sub-

stantial results in combating corruption. The FNF sees

itself as part of this effort of promoting “political and

civic commitment.” FNF project activities in Bulgaria

were restructured after the accession to the EU. The

aim is to overcome existing shortcomings in adapting

to EU structures and rules using the tools of political

consultation, civic education, political dialogue and

publications. The focus is on leaders of the liberal par-

ties, the youth movements and movers and opinion

leaders in civil society initiatives.

The European Union seems to have no intention of

changing its approach towards Bulgaria. It will further

assist the country in remedying its shortcomings and

encouraging political, social and cultural develop-

ment. To be completely objective however and not

using double standards, the EU has to recognize that

not only Bulgaria and Romania are the "bad guys" in

the European family. In the last months a string of

different EU countries is also affected by spreading

allegations involving senior politicians and governing

parties. Political elites, former ministers and tradition-

al parties in countries like Austria, Slovakia, Croatia,

Czech Republic and Italy are embroiled in cash-for-

influence scandals that are exposing allegations of

corruption, triggering public revulsion and voters

backlash.

As for the Bulgarians: they do not like the idea of be-

coming a nation that is slowly getting used to injus-

tice. People’s real hopes and expectations resurface

during election campaigns – and are all too often

dashed afterwards. Unfortunately, the current Bulgar-

ian government’s ideas differ from the Western vision

of democracy – but people still hold out hope for the

future. And the next elections are knocking on the

door…

Asparuch Panov

Project coordinator for Bulgaria and Macedonia

Neuer Internetauftritt des Dialogprogramms

Brüssel: www.fnf-europe.org

Auf unserer neuen Webseite informieren wir stets ak-

tuell über unsere Veranstaltungen in Brüssel und den

Mitgliedstaaten der EU. Hier finden Sie auch aktuelle

politischen Analysen und Hintergrundberichte. Wir

möchten damit einen liberalen Beitrag zur Europakom-

munikation in Deutschland und bei unseren Stiftungs-

partnern weltweit leisten – in deutscher und engli-

scher Sprache. Schauen Sie vorbei und werden Sie

doch auch unser Facebook-Freund!

Newsletter aus Brüssel: Brussels Brief

Unser Brussels Brief informiert Sie regelmäßig über

politische Entwicklungen, Veranstaltungen und wichti-

ge Termine in der europäischen Hauptstadt. Der

Newsletter erscheint zwei Mal pro Monat mit Inhalten

auf Deutsch und Englisch. Wir nehmen Sie gerne in

unseren Verteiler auf. Schicken Sie uns einfach eine

kurze Mail an [email protected]. Karte: TUBS/Wikipedia

Page 42: FNF International News 1-2012

42

FNF International News 1-2012

Freiheit vs. Korruption

In Griechenland bieten mutige Bürgerinnen und Bür-

ger einem System die Stirn, das sich über Jahrzehnte

auf Kosten der kleinen Leute etabliert hat. Sie pran-

gern Korruption und Klientelismus an, die entschei-

dend dazu beigetragen haben, dass die Staatsschul-

denkrise diese enormen Ausmaße erreicht hat. Derzeit

entstehen zivilgesellschaftliche Organisationen, die im

Kleinen große Aufklärungsarbeit leisten. Ihrer enga-

gierten Stimme ist es zu verdanken, dass die politisier-

te griechische Öffentlichkeit nun fast täglich unbe-

queme Wahrheiten über die dortige Vetternwirtschaft

ans Licht bringt und mehr Transparenz fordert. Wäh-

rend man sich außerhalb Griechenlands – mal sensati-

onslüstern, mal heimlich bewundernd – für die

„innovativen“ Methoden der Steuerhinterziehung und

die Schlupflöcher der öffentlichen Verwaltung interes-

siert, ist es für viele Griechen eine Frage der Ehre, die

alltägliche Korruption in ihrem Heimatland aufzude-

cken und zu bekämpfen.

Bis zu 30.000 Euro für eine Operation

Allgemein spricht man in einem System von Korrupti-

on, wenn Machtpositionen ausgenutzt werden, um an

materielle oder immaterielle Vorteile zu gelangen, auf

die kein rechtlich begründeter Anspruch besteht. In

der Praxis heißt das, man „bezahlt“ für Leistungen, die

einem ohnehin zustehen oder „kauft“ sich kleine oder

große Gefälligkeiten mit Schmiergeldern. Für diese

Praxis gibt es in Griechenland einen stehenden Be-

griff. So sind fakelaki (φακελάκι) mit Bargeld gefüllte

Briefumschläge, die beim Arzt, Steuerbeamten oder

Elternsprechtag über den Tisch wandern. Fakelakia

wechseln auch in der Baubranche, in Parteien oder in

Beamtenapparaten regelmäßig die Besitzer.1 Transpa-

rency International hat im April 2012 die jährliche

Korruptionsstatistik zu Griechenland veröffentlicht.

Das Gesamtvolumen der Bestechung wird darin auf

554 Millionen Euro beziffert. Das ist immerhin fast 80

Millionen weniger als im Vorjahr. Besonders viel

„geschmiert“ wird in der Gesundheits- und der Bau-

branche. Auch die Steuerbeamten profitieren an ent-

scheidender Stelle vom System der Bestechung und

Bestechlichkeit. Der durchschnittliche Fakelaki ist

nach Angaben von Transparency International mit

1.406 Euro gefüllt. Für Operationen in Krankenhäusern

oder „Extrawünsche“, wie etwa eine zügige Behand-

lung, blättert man allerdings bis zu 30.000 Euro hin.2

Zum Vergleich: Im Jahr 2010 lag der durchschnittliche

Wert einer Bestechung noch bei 1.493 Euro. Gegen-

über dem Vorjahr sind also Durchschnittspreis und

Gesamtvolumen der Bestechungen leicht gesunken.

Dies ist aber vermutlich (noch?) nicht darauf zurück-

zuführen, dass ein Bewusstseinswandel stattgefunden

hat. Vielmehr scheinen aufgrund der Schuldenkrise

und der prekären Situation auf dem Arbeitsmarkt viele

Griechen schlicht nicht mehr in der Lage zu sein, solch

horrende Summen an Bestechungsgeldern zu zahlen.

Der aktuelle Economic Freedom of the World Report, an dem das Liberale Institut der Friedrich-Naumann-

Stiftung für Deutschland beteiligt ist, zeigt anhand

eines Rankings, welcher Grad wirtschaftlicher Freiheit

in den untersuchten Ländern gewährleistet ist. Grie-

Wehrhafte Demokratie? Korruption in Europa und in den USA

Eine Frage der Ehre - Griechische Zivilgesell-

schaft im Kampf gegen Korruption

1 Vgl. für eine ausführliche Darstellung des „Paradies des

Schmierens“ Spiegel-Online vom 27.9.2011. 2 Vgl. aktuell „The cost of a bribe“, http://www.transparency.org/

news_room/in_focus/2012/greece_the_cost_of_a_bribe und

zum Vorjahr http://www.publicissue.gr/en/1555/corruption-

2010/

Page 43: FNF International News 1-2012

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FNF International News 1-2012

Freiheit vs. Korruption

chenland bildet im EU-Vergleich das Schlusslicht und

rangiert auf Platz 81 (von insgesamt 141) noch hinter

Paraguay, Malaysia und der Dominikanischen Repub-

lik. Besonders negativ fallen die Bereiche Rechtssi-

cherheit, Unabhängigkeit der Justiz, Bürokratiekosten

und eben Korruption auf.

Verlängerung der Krise

Blühende Korruption führt nicht nur zu Ungerechtig-

keiten, sondern auch zu Effizienzverlusten, die das

Wirtschaftssystem lähmen. Schmiergelder, die Unter-

nehmen zahlen, um im System der öffentlichen Auf-

tragsvergabe zum Zug zu kommen, werden auf die

Preise umgelegt, die letztlich der Verbraucher zu zah-

len hat. Aggregiert man die Menge kleiner Gefälligkei-

ten, die tagtäglich stattfinden, steht unter dem Strich

ein enormer gesamtwirtschaftlicher Schaden. Die blü-

hende Korruption drohe daher, die Griechenlandkrise

zu verlängern, bedauert Costas Bakouris, der griechi-

sche TI-Vorsitzende. Er findet deutliche Worte: „Über

die Schuldenkrise wissen wir alle Bescheid. Aber Grie-

chenland steckt auch in einer Wertekrise. Das Land

verfügt über die richtigen Gesetze, aber es tut fast

nichts, um diese durchzusetzen“. Regierung, Privat-

wirtschaft und Verwaltung seien gleichermaßen Teil

des Systems. So gebe es zahllose Vorschriften im grie-

chischen Recht, die Korruption stillschweigend dulde-

ten und damit begünstigten. Ohne Genehmigung ge-

baute Häuser könnten im Nachhinein legalisiert wer-

den und selbst jetzt noch, inmitten der Schuldenkrise,

hätten viele Ministerien Geheimkonten, die sich der

Kontrolle von außen entzögen.3 Auf dem TI-

Korruptionsindex rangiert Griechenland auf Platz 80

hinter Staaten wie Ruanda (49), Cuba (61), Ghana (69)

und China (75). In einem National Integrity System Assessment untersuchte die Nichtregierungsorganisa-

tion auch die Einstellung der griechischen Bürger zu

Korruption und Klientelismus. An Problembewusstsein

mangelt es nicht: 98% der griechischen Bevölkerung

gibt an, Korruption stelle ein großes Problem dar.

Stimme der schweigenden Mehrheit

Die wenigen zahlungskräftigen Mitbürger haben na-

turgemäß weniger Probleme damit, dass sich Sonder-

behandlungen aller Art erkaufen lassen, ganz im Ge-

genteil. Petros Markaris, in Deutschland vielerorts be-

kannt als Krimiautor und Schöpfer des Kommissars

Kostas Charitos, prangert eine mitgliederstarke „Partei

der Profiteure“ an, die vom Klientelsystem der letzten

Jahrzehnte profitiert habe. Dazu gehörten vorneweg

die Baufirmen, aber auch Unternehmen, die staatliche

Organisationen belieferten – etwa jene, die öffentliche

Krankenhäuser mit Pharmaprodukten und Geräten

versorgten. Auch selbstständige Gutverdiener wie Ärz-

te und Rechtsanwälte gehörten dazu. Profiteure und

Steuerhinterzieher, so Markaris, spürten die Krise

kaum: „Noch bevor sie über uns hereinbrach, hatten

sie ihre Bankkonten schon ins Ausland verlegt.“4 Das

System geht leider zu Lasten der kleinen Leute. Dieje-

nigen mit weniger prall gefüllten Konten trifft es be-

sonders hart. Von Chancengleichheit kann in so einem

System keine Rede sein. Dabei geht die schweigende

Mehrheit der Griechen – oder mit Markaris: die „Partei

der Redlichen“ – völlig normal ihrer Arbeit nach.

Markaris schreibt: „Sie widerlegen die in Europa ver-

breitete Ansicht, die Griechen seien bequem und

scheuten die Arbeit. Sie alle arbeiten hart und zahlen

regelmäßig ihre Steuern.“

3 Vgl. National Integrity System Assessment, http://

www.transparency.org/news_room/latest_news/

press_releases_nc/2012/2012_02_29_tigreece_nisrelease

4 Vgl. Markaris, Petros: In Athen gehen die Lichter aus, Zeit Onli-

ne vom 1. Dezember 2011.

Graffiti mit dem Aufruf „Denkt endlich!“ (Foto: E. Madeker)

Page 44: FNF International News 1-2012

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FNF International News 1-2012

Freiheit vs. Korruption

Seit kurzem schließen sich nun diese Bürger in unter-

schiedlichen Gruppierungen zusammen, um dem Sys-

tem die Stirn zu bieten. Eine davon ist die im März

2012 neu gegründete Partei Dimiourgia Xana! (δημιουργία, ξανά, sinngemäß: „Lasst uns wieder

schöpferisch sein!“). Dimiourgia Xana! ist eine liberale,

proeuropäische Vereinigung. Für sie ist der Kampf ge-

gen Korruption eine Frage der Ehre. Nach eigener Aus-

kunft vereint sie „anständige Griechen, die nie poli-

tisch aktiv waren und daran glauben, dass man Erfolg

nur mit harter Arbeit erreichen kann“. Gründer der

neuen Bürgerbewegung ist Thanos Tsimeros, der einer

breiten Öffentlichkeit als Autor eines offenen Briefs

an Bundeskanzlerin Merkel bekannt wurde. Darin

stellt er die Korruption und Kriminalität in Griechen-

land als Kern des griechischen Übels heraus: „Wer sich

niemals in einer griechischen Behörde befunden hat,

um eine einfache Bestätigung zu erhalten, kann sich

das Ausmaß der Korruption und die Absurdität dieses

kafkaesken Mechanismus nicht vorstellen“, sagt er.

Tsimeros forderte die Kanzlerin auf, „keinen Euro“

mehr an die Griechen zu zahlen, sofern diese nicht

zusagten, Privilegien und „unglaubliche“ Gehälter für

Parteifreunde abzuschaffen. „Verpflichten Sie sie zur

Umsetzung der Regeln wirtschaftlicher Transparenz

der Parteien und jeder Transaktion der öffentlichen

Hand. Wenn Sie die Politiker nicht verpflichten, gibt

es keine Chance, dass sie es von sich aus tun.“5 Dimi-ourgia Xana! will bekannt machen, dass es auch ein

„anderes“ Griechenland gibt, das von Europa nicht nur

Geld verlangt und über die als Gegenleistung verlang-

ten Reformen schimpft, sondern das diese Reformen

aus wohlverstandenem Eigeninteresse unterstützt.

Familienclans und „Vitamin B“

Um zu verstehen, wie Korruption entsteht, was sie

begünstigt und was gegen sie unternommen werden

kann, ist es hilfreich, sich zunächst die in der ein-

schlägigen Literatur verwendete Arbeitsdefinition vor

Augen zu führen. Klitgaard formuliert folgende Glei-

chung: Corruption = Monopoly + Discretion – Ac-countability.6 Korruption entsteht also, wenn Ent-

scheidungsträger exklusiv über Macht verfügen, dabei

im Verborgenen tätig sind und voraussichtlich nicht

zur Rechenschaft gezogen werden. So eine Konstella-

tion ist prinzipiell in jedem System der Welt denkbar.

Füllen wir Klitgaards Gleichung mit Blick auf Grie-

chenland mit Leben. Seit Jahrzehnten gibt es dort ein

Netz aus Entscheidungsträgern, die eng miteinander

verwoben sind und die Geschicke des Landes von

oberster Stelle lenken (Monopoly). Gemeint sind die

starken Familienclans, die eine Art Staat im Staat bil-

den und nach ihren eigenen Regeln – und zu ihren

eigenen Gunsten – schalten und walten. So ist der

Name Papandreou auf das Engste verbunden mit der

sozialistischen Partei Pasok. Giorgos Andrea Papan-

dreou, der noch bis November 2011 griechischer Mi-

nisterpräsident war, ist Enkel von Georgios Papandre-

ou und Sohn von Andreas Papandreou. Sein Vater und

Großvater waren ebenfalls griechische Ministerpräsi-

denten. Der Karamanlis-Clan hat vergleichbare Ver-

bindungen: Der Vorgänger Papandreous, Kostas Kara-

manlis (Nea Dimokratia), der von 2004 bis 2009 Mi-

nisterpräsident war, ist ein Neffe des früheren Premi-

ers und späteren Staatspräsidenten Konstantinos Ka-

ramanlis. Nahtlos anschließen ließen sich die Histo-

rien der Dynastien Venizelos und Mitsotakis. Was die

Familienclans im Großen betreiben, findet sich spie-

gelbildlich auf allen Ebenen der Gesellschaft. Wer in

der griechischen Politik oder Wirtschaft etwas werden

will, ist auf „Vitamin B“ angewiesen. Gute Beziehun-

gen oder „soziales Kapital“, lässt sich, dem französi-

schen Soziologen Pierre Bourdieu folgend, direkt in

Geld, Status und Prestige umsetzen. So haben sich die

griechischen Eliten über die Jahre hinweg selbst re-

produziert.

Wahlkampf auf Pump

Ein aktuelles Beispiel dafür, wie das griechische Estab-

lishment in die eigene Tasche wirtschaftet, ist der

neueste Beschluss des Parlaments, die Parteien für

den anstehenden Wahlkampf mit 29 Millionen Euro

öffentlicher (!) Gelder auszustatten. Diesen Beschluss

verantworten an vorderster Stelle Pasok und Nea

Dimokratia, die seit den letzten Wahlen 2009 die

Mehrheit am Syntagma-Platz stellen. Der Vorsitzende

der europäischen Liberalen (ALDE) im Europäischen

Parlament, Guy Verhofstadt, stellte daraufhin das

zweite Rettungspaket für Griechenland in Frage. Er

sprach von einem veritablen Skandal: „Politische Par-

teien sollen den Bürgern dienen und ihnen nicht das

5 http://www.dimiourgiaxana.gr/intl/index.php/de/reden-

artikel/196-letter-to-merkel 6 Klitgaard, Robert 1988: Controlling Corruption, Berkeley.

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FNF International News 1-2012

Freiheit vs. Korruption

Geld aus den Taschen ziehen. Pasok und Nea Dimokra-

tia sind für alle strukturellen Probleme Griechenlands

verantwortlich und agieren wie Blutsauger.“7 In der

Tat verwundert der aktuelle Parlamentsbeschluss,

wenn man bedenkt, dass Griechenland seit nunmehr

zwei Jahren am finanziellen Tropf von EU und IWF

hängt. Nach ersten, bilateral gewährten 100 Milliar-

den Euro im Jahr 2010, haben EU-Finanzminister und

der Deutsche Bundestag inzwischen ein zweites Ret-

tungspaket in vergleichbarer Höhe genehmigt. Die

griechische Bevölkerung hat indes schwer zu schlu-

cken angesichts zurück gefahrener Mindestlöhne, aus-

gesetzter Gehaltserhöhungen, gekürzter Renten und

einer Rekordarbeitslosigkeit von über 20%. Umso

mehr Achtung sollte zivilgesellschaftlichen Organisa-

tionen entgegengebracht werden, die – exemplarisch

gezeigt an Dimiourgia Xana! und dem griechischen

Arm von Transparency International – unter schwieri-

gen Bedingungen Aufklärungs- und Überzeugungsar-

beit an den „Graswurzeln“ leisten.

Labyrinthische Bürokratie

Nepotismus und Korruption gibt es im Grunde überall

dort, wo die öffentlichen Hand auf den einzelnen Bür-

ger trifft, der als Arbeiter, Angestellter oder Unterneh-

mer auftritt. Wenn es hier an einer gut funktionieren-

den und transparenten Bürokratie fehlt, bleiben viele

Transaktionen im Verborgenen (Discretion). Thanos

Tzimeros beschreibt in seinem Brief an Angela Merkel

eindrucksvoll, wie er die griechische Bürokratie erlebt.

Er spricht von „Orgien der Illegalität“, von

„Gesetzeswirrwarr“ und „labyrinthischer Bürokratie“,

in der die Beamten von den Bürgern Schmiergelder

einzig und allein dafür verlangten, „dass sie ihre Ar-

beit tun“. Dort, wo Verfahrensabläufe und -regeln un-

verständlich, schwammig, willkürlich oder schlicht

nicht zugänglich sind, entsteht ein hervorragender

Nährboden für Korruption. In einem im Tagesspiegel

erschienen Bericht zur Vetternwirtschaft in Griechen-

land beschreibt der Musiker Giannis A. aus Kifissia,

wie dies in der Praxis gehandhabt wird: „Ich ging also

zum Amt, und als ich sagte, von wem ich komme,

wurde ich an den anderen Wartenden vorbei hinter

die Glasscheibe ins Büro zu den Sachbearbeitern geru-

fen. Ich wollte diskret sein, übergab den Umschlag mit

den Unterlagen, zwischen die ich das Fakelaki gescho-

ben hatte. Aber was macht dieser Typ? Vor aller Augen

zieht er das Geld raus, zählt die Scheine durch, sagt:

alles in Ordnung, und knallt gleich den fehlenden

Stempel auf den Antrag. Vor aller Augen!“8 Dieser per-

sönliche Erlebnisbericht lässt darauf schließen, dass

sich der genannte Beamte offenbar ziemlich sicher

sein konnte, dass sein Verhalten keinerlei Konsequen-

zen nach sich ziehen würde. Dies ist nicht verwunder-

lich in Abwesenheit starker staatlicher Strukturen,

also einer gut funktionierenden Polizei bzw. Steuer-

fahndung und eines verlässlichen Justizsystems

(Accountability).

Krise und Katharsis

Fassen wir kurz zusammen. Korruption entwickelt sich

besonders dort, wo exklusive Machtpositionen vorlie-

gen, die Schnittstelle von öffentlicher und privater

Hand intransparent bleibt und Gesetze unzulänglich

durchgesetzt werden. Dabei ist Korruption kein Makel,

den man durch Modernisierung oder gar

„Zivilisierung“ beseitigen könnte. Zu Unrecht werden

7 Vgl. Pressemitteilung der ALDE vom 11.4.2012 http://

www.alde.eu/press/press-and-release-news/press-release/article/

verhofstadt-calls-on-barroso-to-react-to-greek-political-party-

funding-scandal-38982/?

utm_source=feedburner&utm_medium=feed&utm_campaign=Fe

ed%253A+aldeadle%252Fnews-en+%28ALDEADLE+News+%

255BEN%255D%29

Bild: Klaus Brüheim/Pixelio

8 Vgl. Andreas Schäfer: Griechenland – Fehler im System vom

26.5.2010, Der Tagesspiegel: http://www.tagesspiegel.de/politik/

korruption-griechenland-fehler-im-system/1845986.html

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FNF International News 1-2012

Freiheit vs. Korruption

korrupte Gesellschaften mit weniger entwickelten Ge-

sellschaften gleichgesetzt. Entscheidend scheint zu

sein, um nochmals die obige Gleichung zu bemühen,

an den Faktoren Transparenz und Rechenschaft anzu-

setzen. Nur wenn Verfahren transparent und nachvoll-

ziehbar sowie Regeln klar und deutlich formuliert

sind, kann korrupten Praktiken der Nährboden entzo-

gen werden. Zudem müssen Rechtverstöße fühlbare

Folgen nach sich ziehen. Dafür kämpft etwa Dimiour-gia Xana!, aber auch die Europäische Union fühlt sich

verantwortlich: Die EU-Kommission hat eine Taskforce

eingesetzt, die den griechischen Verwaltungsapparat

transparenter und effizienter machen soll. Die Fried-

rich-Naumann-Stiftung für die Freiheit wird sich im

Rahmen ihres neuen, mindestens dreijährigen Engage-

ments in Griechenland ebenfalls dieser Aufgabe an-

nehmen. Verwaltungsreformen sind die Grundlage für

die Verankerung von Good Governance. Dies gilt ins-

besondere für Reformen bei Institutionen, die öffentli-

che Dienstleistungen erbringen wie Gesundheit, Bil-

dung und soziale Sicherheit. Die Stiftung für die Frei-

heit wird ihren Teil dazu beitragen, dass die Leistungs-

fähigkeit und die Transparenz insbesondere lokaler

Administrationen langfristig in Einklang mit europäi-

schen Standards gebracht werden. Auch Transparency

International möchte die griechische Bevölkerung

weiterhin im Kampf gegen Korruption bestärken. Die

Leiterin des EU-Büros von Transparency International,

Jana Mittermaier, betont, dass „es nicht nur darum

geht, strukturelle Reformen anzupacken, sondern auch

darum, die Zivilgesellschaft für die Problematik zu

sensibilisieren und die Griechen darin zu unterstützen,

korrupte Praktiken im täglichen Leben zu bekämpfen“.

Der Zeitpunkt dafür scheint sehr günstig. Die gegen-

wärtige Krise birgt die Chance, dass sich Wahrneh-

mungs- und Deutungsmuster radikal verändern. Die

Anzeichen dafür, dass dies von innen heraus ge-

schieht, mehren sich und stimmen optimistisch. So

könnte die Krise wie im altgriechischen Drama mit der

Katharsis überwunden werden.

Dr. Ellen Madeker

Director Policy Analysis and Dialogue,

Dialogprogramm Brüssel

Deutsche Unternehmen bekommen zunehmend Ärger

mit der US-amerikanischen Börsenaufsicht und dem

Justizministerium. In jüngster Zeit verfolgen die USA

verstärkt im Ausland begangene Korruptionsdelikte,

gerade auch von Unternehmen. Wie ist es dazu ge-

kommen?

Die USA versuchen die Korruption in der Wirtschaft

einzudämmen, auch weil sie im internationalen Ver-

gleich auf dem Korruptionswahrnehmungsindex CPI

der Organisation Transparency International einen e-

her bescheidenen 24. Rang (Stand: Dezember 2011)

einnehmen. Der Kampf gegen Korruption ist nicht nur

ein Gebot des Rechtsstaatsprinzips, sondern auch öko-

nomisch sinnvoll: Wirkungsvolle Gesetze gegen Be-

stechlichkeit sorgen für mehr Transparenz bei der

Vergabe von Aufträgen, lassen den effizientesten An-

bieter zum Zuge kommen und fördern Wachstum und

Wohlfahrt. Deshalb ist das härtere Vorgehen der ame-

rikanischen Behörden zu begrüßen. Im Geschäftsalltag

internationaler Unternehmen, die an der Wall Street

notiert sind, bedeuten die einschneidenden Gesetze

jedoch eine Herausforderung.

Für ausländische Firmen ist die Gesetzeslage seit 1977

eindeutig: Der Foreign Corrupt Practices Act (FCPA)

zwingt Unternehmen, die an der New Yorker Börse

gehandelt werden, die amerikanischen Bestimmungen

gegen Korruption einzuhalten. Die nationalen Vor-

schriften betreffen u.a. Geldzahlungen oder bloße

Zahlungsversprechen an einen Beamten oder Regie-

rungsvertreten, wenn sie darauf abzielen, die Ent-

scheidung des Hoheitsträgers zu beeinflussen (sog.

„Corrupt Purposes“). Der Kongress hat das Gesetz

1998 anlässlich der OECD-Antikorruptionskonvention

noch einmal verschärft. Seither droht sämtlichen bör-

sennotierten Konzernen Strafverfolgung für im Aus-

land begangene Delikte. Zuvor hatten sich amerikani-

sche Konzerne aus Furcht vor Wettbewerbsnachteilen

vehement für die Gleichbehandlung ausländischer Ka-

pitalgesellschaften eingesetzt.

Die Folgen des Gesetzes ziehen auch für deutsche Un-

ternehmen, die an der Wall Street gehandelt werden,

grenzüberschreitende Auswirkungen nach sich. Vor

allem Daimler und Siemens haben die Härte des FCPA

Verschärfte Korruptionsgesetzte in den USA

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FNF International News 1-2012

Freiheit vs. Korruption

bereits zu spüren bekommen. Manager beider Firmen

hatten wiederholt bei der Vergabe von Aufträgen in

Schwellen- und Entwicklungsländern mit

„Geldgeschenken“ nachgeholfen. Diese gängige und

zunächst „lukrative“ Praxis entwickelte sich nun aber

zum Bumerang. Ehemalige Siemens-Manager stehen

wegen Bestechung, Geldwäsche und Überweisungsbe-

trugs in den USA vor Gericht. Dass Führungskräfte

persönlich für ihr Fehlverhalten einstehen müssen,

schreibt der „Sarbanes Oxley Act“ fest. Der Stuttgarter

Autobauer schloss im Jahr 2010 mit den amerikani-

schen Behörden einen Vergleich über 185 Millionen

Dollar.1 Daimler bekannte sich schuldig, über Jahre

hinweg in mindestens 22 Ländern Regierungsbeamte

bestochen zu haben, um an lukrative Aufträge für

Lastwagen, Busse und Pkws zu gelangen. Als Folge des

Vergleichs bekam Daimler einen „Aufpasser“ ins Un-

ternehmen geschickt. Der ehemalige FBI-Chef Louis

Freeh, der als unnachgiebiger Kämpfer gegen Korrup-

tion gilt, soll überwachen, ob Daimler die Auflagen der

US-Regierung erfüllt. Kritiker sehen in Freeh einen

Interessenvertreter der amerikanischen Autoindustrie,

der Daimler schwächen soll.2 Inzwischen hat sich der

Fahrzeughersteller aus dem Handel an der Wall Street

zurückgezogen. Daimler entgeht damit dem strengen

Blick der amerikanischen Börsenaufseher.

Die strengere Gesetzeslage verändert auch die Unter-

nehmenskulturen. Daimler hat einen Vorstandsposten

für Integrität und Recht eingerichtet. Erste Inhaberin

wurde Christine Hohmann-Dennhardt, ehemalige

Richterin am Bundesverfassungsgericht. Sie soll dem

Stuttgarter Automobilhersteller einen neuen Verhal-

tenskodex auferlegen. Nach eigenem Bekunden möch-

te sie die Richtlinien gemeinsam mit den 360.000

Mitarbeitern erarbeiten. Auch Siemens hat sich einen

neuen „Unternehmens-Knigge“ verordnet. Das neue

Regelwerk untersagt den Mitarbeitern, einem Angehö-

rigen des öffentlichen Dienstes Sach- oder Geldwerte

anzubieten oder zu gewähren. Einladungen zu Unter-

haltungsveranstaltungen, Geschenke und Dienstessen

müssen künftig intern genehmigt werden. Ein Compu-

ter-Tool soll die angestrebte Transparenz garantieren3.

Auch im internationalen Geschäftsalltag verursachen

die Daumenschrauben aus Amerika beträchtliche Hür-

den: So wird die Erstattung von Reise- und Übernach-

tungskosten für ausländische Beamte, die eine Han-

delsvereinbarung beurkunden, zum unternehmeri-

schen Risiko. Eine höfliche Geste kann in umfangrei-

che Ermittlungen münden. Damit potenzielle Schmier-

gelder nicht verschleiert werden können, müssen die

Unternehmen zudem ihre Buchführung neu organisie-

ren.

Strenge Korruptionsgesetze und deren Durchsetzung

sind notwendig. Nur wenn sich der Bestechungsver-

such nicht mehr lohnt, kann es gelingen, lokale Ge-

schäftskulturen in weniger entwickelten Ländern

nachhaltig zu ändern. Schmiergelder dürfen nicht die

Eintrittskarte zum Markt sein. Von transparenten

Strukturen profitieren letztlich nicht nur die Unter-

nehmen, sondern auch Verbraucher in Form von nied-

rigeren Preisen. Im Kampf gegen Korruption sind je-

doch verkrustete staatliche Strukturen das größte

Hindernis. Wenn die Vergabe von öffentlichen Aufträ-

gen willkürlich abläuft, gedeihen Korruption und Vor-

teilsnahme. Transparente und funktionierende büro-

kratische Abläufe setzen dagegen marktwirtschaftli-

che Kräfte frei. Der weitreichende Eingriff der US-

Regierung in die Geschäftspolitik eines multinationa-

len Konzerns wirft zwar durchaus Fragen auf und be-

rührt die unternehmerische Freiheit einer Firma, die

außerhalb der Vereinigten Staaten ansässig ist. Den-

noch sind die Maßnahmen aus den USA grundsätzlich

zu gutzuheißen, weil sie den Anreiz mindern, Schmier-

geld zu zahlen und damit das marktwirtschaftliche

1 http://www.faz.net/aktuell/wirtschaft/unternehmen/vergleich-in

-schmiergeld-affaere-daimler-muss-138-millionen-euro-zahlen-

1952508.html 2 http://www.manager-magazin.de/fotostrecke/fotostrecke-

68872.html 3 http://www.siemens.com/sustainability/pool/cr-framework/

business_conduct_guidelines_d.pdf

Foto: Images of Money/Flickr

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FNF International News 1-2012

Freiheit vs. Korruption

Prinzip des Wettbewerbs schützen. Auf lange Sicht ist

die Zurückdrängung von Korruption förderlich für das

Engagement deutscher Firmen im Ausland.

Robert Stüwe

Praktikant TAD

Redaktion: Claus Gramckow

Repräsentant, USA und Kanada, Transatlantisches Dia-

logprogramm (TAD), Internationaler Politikdialog,

Washington D.C.

Iris Fröba

Wissenschaftliche Mitarbeiterin, TAD

Bildnachweise Titel:

Ellen Madeker/FNF

Images of Money/Flickr

B0nes/Flickr

www.liligraphie.de/Pixelio

Aktuelle Nachrichten vom

Transatlantischen Dialogpro-

gramm finden Sie in dem

Newsletter „Wahington brief“.

washingtonbrief.freiheit.org

Anmeldung unter

ip-abo.freiheit.org

24. September bis 02. Oktober 2012

„Social Media (R)EVOLUTIONS“

Ob bei Demonstrationen auf dem Tahrir-Platz in Kairo

oder auf dem Roten Platz in Moskau, ob bei Protesten

in Berlin, Stuttgart, New York oder Washington –

überall auf der Welt ist Social Media inzwischen der

Normalfall und nicht mehr die Ausnahme. Die Sozialen

Netzwerke haben die Art und Weise, in der sich Protes-

te organisieren, verschieben oder beeinflussen lassen,

enorm beschleunigt. Spontane Meinungsäußerungen

bei facebook, twitter und Co. können enorme Reich-

weiten erzielen. Gleichzeitig werden sie auch für die

Arbeit der traditionellen Medien immer wichtiger.

Welche Auswirkungen haben Soziale Medien auf die

Meinungsbildung und die Machtverhältnisse in einer

Gesellschaft? Führen sie zu mehr Meinungsvielfalt und

einer demokratischeren Öffentlichkeit? Oder droht die

„Diktatur der Gut-Vernetzten“? Geben Sie erstmals in

der Geschichte auch den Unterdrückten eine Stimme?

Oder können diese von autoritären Regimen und deren

Geheimdiensten nur noch besser überwacht und ver-

folgt werden?

In der kostenfreien Internationalen Online-Konferenz

der Virtuellen Akademie haben Sie die Möglichkeit,

sich über die aktuellen Entwicklungen in verschiede-

nen Ländern der Welt in Echtzeit auszutauschen. Tre-

ten Sie in den direkten Dialog mit Bloggern aus dem

arabischen, russischen und südostasiatischen Raum

und diskutieren die Chancen und Risiken Sozialer Me-

dien auf Gesellschaft und Demokratie.

Melden Sie sich jetzt kostenfrei an:

smr.virtuelle-akademie.de

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FNF International News 1-2012

Freiheit vs. Korruption

Politische Berichte aus aktuellem Anlass

Unsere Berichte aus aktuellem Anlass berichten zeitnah über eine aktuelles Ereignis

von besonderer Bedeutung (Wahlen, politische und soziale Krisen etc). Sie werden

von den Mitarbeitern der FNF aus der jeweiligen Region in deutscher (in Ausnahme-

fällen auch englischer oder spanischer) Sprache erstellt.

Download unter: http://baaa.freiheit.org

Hintergrundpapiere

Unsere Hintergrundpapiere dienen der Vertiefung und beschäftigen sich jeweils mit

einem ausgewählten Thema, dass auch mittelfristig noch aktuell ist.

Download unter: http://hintergrundpapiere.freiheit.org

Policy Papers der Regionen

Unsere Policy Papers bieten regionale Analysen zur politischen Situation ausgewähl-

ter Regionen, zur Lage der dortigen Wirtschaft und zur jeweiligen Sozialstruktur.

Download unter: http://policypapers.freiheit.org

IMPRESSUM

Herausgeber Friedrich-Naumann-Stiftung für die Freiheit Redaktion, Layout: Johannes Issmer Bereich Internationale Politik E-Mail: [email protected]

Referat für Querschnittsaufgaben Karl-Marx-Str. 2 14482 Potsdam-Babelsberg Telefon: +49(331) 7019-520

Fax: +49(331) 7019-132/133 Bildnachweis Titel: Toni Crisolli/FNF

Weitere Publikationen aus den Bereich Internationale Politik der

Friedrich-Naumann-Stiftung für die Freiheit finden Sie unter www.freiheit.org

Politische Berichte des Bereich Internationale Politik online