FNF International News 1-2013
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www.freiheit.org
FNF International News
Das Magazin des Bereiches Internationale Politik
Thema: Freiheit in Transition
AUSGABE 1 / 2013
Editorial
www.freiheit.org
Inhalt
2
Sehr geehrte Damen und Herren,
liebe Freunde der Friedrich-Naumann-Stiftung für
die Freiheit,
es war eine denkwürdige Entscheidung: 1963 be-
schlossen Kuratorium und Vorstand der Friedrich-
Naumann-Stiftung, mit der Errichtung eines Zentrums
für Erwachsenenbildung in Tunis/Tunesien das erste
Projekt außerhalb Deutschlands zu starten. Mittler-
weile arbeitet die Stiftung weltweit mit sieben Regio-
nalbüros und Projekten in über 70 Ländern. Grund ge-
nug, 2013 unter dem Motto „Wandel verstehen –
Rechte schützen – Zukunft gestalten“ auf 50 erfolg-
reiche Jahre internationaler Zusammenarbeit zurück-
zuschauen – aber auch den Blick nach vorn zu rich-
ten.
Genau diesem Anspruch folgt die vorliegende Ausgabe
der FNF International News. Unsere Kolleginnen und
Kollegen in den Projektländern berichten über Transi-
tionsprozesse, die beispielsweise in Myanmar und Se-
negal zu einem Mehr an Freiheit führen. Doch es sind
auch gegenläufige Entwicklungen zu schildern,
manchmal sogar Anzeichen einer „Transition rück-
wärts“ wie etwa in Teilen Mittel– und Osteuropas.
Die Stiftung wird daher auch in den nächsten Jahren
einen wichtigen Beitrag für eine Welt in Freiheit zu
leisten haben.
Ich wünsche Ihnen eine anregende Lektüre.
Ulrich Niemann
Bereichsleiter Internationale Politik
Freiheit in Transition
Demokratische Transformation
und die Interdependenz der Ord-
nungen
Transition schafft Freiheit: Fallbei-
spiele aus Südost– und Ostasien
Transition rückwärts in Mittel-,
Südost– und Osteuropa?
Welche Freiheit nach dem Früh-
ling? Anmerkungen zu den
historischen Umbrüchen in
Tunesien, Ägypten und Syrien
Zurück auf die Insel? Großbritanni-
en setzt auf Distanz zu Europa
Transition in Lateinamerika:
Ein Kontinent der Widersprüche
Strengthening the democratic
process in Bhutan
Demokratische Transitionen in Se-
negal und Côte d'Ivoire – Lehrstü-
cke für Stabilität in Westafrika?
Politische Berichte online
S. 3
S. 5
S. 14
S. 21
S. 27
S. 31
S. 39
S. 45
S. 52
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FNF International News 2-2012
Freiheit in Transition
Ein allgemeines und immer gültiges liberales Transfor-
mationsmodell kann es aufgrund der Vielzahl histori-
scher, kultureller, geographischer und politischer Un-
terschiede auf dieser Welt nicht geben, wohl aber eine
Sammlung von Erkenntnissen, die auf den Einzelfall
angewendet werden können. Zu diesen Erkenntnissen
gehört die Einsicht von Walter Eucken, dass Ordnun-
gen immer aufeinander bezogen sind. Die politische
Ordnung, die Rechtsordnung und die Wirtschaftsord-
nung sind unabhängig voneinander nicht zu denken.
Zwischen diesen einzelnen Ordnungen besteht eine
Interdependenz, eine gegenseitige Beeinflussung, die
bei allen Transformationsansätzen berücksichtigt wer-
den sollte.
Eucken machte das in seinem
Buch „Grundsätze der Wirt-
schaftspolitik“ etwa an dem
Beispiel fest, welche Wirkun-
gen die Einführung einer Frei-
handelspolitik in ein planwirt-
schaftliches System zeitigt.
Freihandelspolitik führt zu
höherem Wohlstand, wenn sie
aber in ein System eingeführt
wird, dessen Wirtschaft dar-
über hinaus ganz anderen
Prinzipien folgt, wird sie auch
Krisen innerhalb dieses Sys-
tems auslösen. Auf diese Kri-
sen gibt es dann zwei Mög-
lichkeiten zu antworten: Der Freihandel kann wieder
abgeschafft werden, oder das System muss schritt-
weise weiter in Richtung wirtschaftliche Freiheit re-
formiert werden. Diese Interdependenz der Ordnungen
spricht dagegen, dass sich wirtschaftliche und politi-
sche Freiheit dauerhaft voneinander trennen lassen,
wie China es heute versucht. Sie erklärt auch, warum
Reformen oft mit Krisen einhergehen können oder in
vielen Fällen sogar einhergehen müssen, bevor ein
neuer stabiler Zustand erreicht wird. Das zeigt sich
insbesondere auf dem steinigen Weg zur Demokrati-
sierung.
Es gilt als empirisch gesichert, dass Demokratien in
der Regel miteinander keine Kriege führen, doch es
besteht ebenso eine gewisse empirische Basis für die
Annahme, dass im Übergang von einem diktatorischen
Regime zu einem demokratischen System Staaten be-
sonders anfällig für außenpolitische Konflikte sind.
Der Weg von einer mehr oder weniger stabilen Dikta-
tur zu einer stabilen Demokratie ist also in vielen Fäl-
len mit einer Phase größerer innen- und außenpoliti-
scher Instabilität verbunden. Die Demokratisierung
kann dann dazu führen, dass in der Diktatur über
Jahrzehnte durch Repression verdeckte Konflikte auf-
brechen. Dann fehlt es in vielen Fällen noch an dem
funktionierenden institutionellen Rahmen, in dem die-
se Konflikte friedlich und lösungsorientiert ausgetra-
gen werden können. Nach Ralf Dahrendorf ist es aber
genau dieser geordnete Prozess der Konfliktbewälti-
gung, der die Stärke westlicher Demokratien aus-
macht.
Demokratische Transformation und die Interdependenz der Ordnungen
Walter Eucken
(Foto: Walter Eucken
Institut /Wikipedia)
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FNF International News 2-2012
Freiheit in Transition
Gerade aus den Erfahrungen der letzten zehn Jahre
heraus muss daher betont werden, dass Demokratisie-
rung nicht auf eine möglichst zügig durchgeführte
Abstimmung und die Einführung des Mehrheitsprin-
zips reduziert werden darf. Demokratie ist mehr als
nur die Anwendung des Mehrheitsprinzips für die Bil-
dung einer Regierung und das Zustandekommen von
politischen Entscheidungen. Sie steht als Begriff nicht
nur für freie Wahlen, sondern zugleich auch für eine
Verfassung, die Grundrechte garantiert, und einen
Rechtsstaat, der vor Willkür schützt. Demokratie ist
nicht eine Diktatur der Mehrheit, erst recht nicht,
wenn sich diese Mehrheit aus der zahlenmäßigen Do-
minanz einer ethnischen oder religiösen Gruppe
ergibt. Friedrich August von Hayek hat deshalb nicht
von ungefähr einem parlamentarischen Zweikammer-
system den Vorzug gegeben. Ein Senat oder eine föde-
rale Vertretung ist ein zusätzlicher Sicherheitspuffer
gegen Mehrheitsentscheidung auf Kosten von Minder-
heiten und kann die Interessen von Landesteilen oder
Minderheiten sichern, die bei nationalen Wahlen un-
ter die Räder zu geraten drohen. Dass die Schaffung
funktionierender Institutionen und einer stabilen
Marktordnung für die Dauerhaftigkeit einer Demokra-
tie von zentraler Bedeutung sind, zeigt auch das deut-
sche Beispiel.
Nachkriegsdeutschland wurde u. a. von der Regierung
Bush als Beispiel für eine erfolgreiche Demokratisie-
rung und als Vorbild für die Demokratisierung im Irak
herangezogen, zu einer Zeit als die Bush-Regierung
noch mit einem schnellen Abzug nach dem Einmarsch
rechnete. Dabei ist die Erfolgsgeschichte der west-
deutschen Demokratie das genaue Gegenteil einer
überhasteten Einführung des Mehrheitsprinzips. Die
Bundesrepublik Deutschland ist auch deshalb zu ei-
nem Erfolgsmodell geworden, weil die demokratischen
Spielregeln definiert wurden, bevor die ersten freien
Wahlen auf Bundesebene stattfanden. Die Weichen
für das Grundgesetz und die Soziale Marktwirtschaft
waren bereits gestellt. Unter den Besatzungsmächten
hatten sich die neuen demokratischen Parteien etab-
liert und auf Gemeinde- und Landesebene wurden die
demokratischen Prozesse bereits eingeübt. Es gab ein
politisches Personal, das schon vor 1933 in demokra-
tischen Parteien Verantwortung getragen hatte. Mit
Persönlichkeiten wie Adenauer, Heuss und Schuma-
cher konnten deshalb erfahrene Politiker an die Spitze
treten, die den Umgang mit Parteien und demokrati-
schen Institutionen nicht erst zu erlernen brauchten.
Daraus lassen sich die Schlussfolgerunen ziehen, dass
die Schaffung geeigneter Institutionen, das Heranzie-
hen des politischen Personals mit praktischen politi-
schen Erfahrungen und demokratischer Einstellung
und die Etablierung einer Marktordnung, die eine kon-
tinuierliche wirtschaftliche Entwicklung erlaubt, für
dem Demokratisierungsprozess ebenso wichtig sind,
wie die Durchführung der freien Wahlen selbst. Eine
freie Wirtschaft bringt die Mittelschicht hervor, die
die Basis des modernen Parteienwesens und der For-
derung nach Partizipation bildet. Insoweit sind wirt-
schaftliche Reformen als Katalysator für Demokrati-
sierungsprozesse zu sehen. Verbände, Gewerkschaf-
ten, Interessenvertretungen bilden unabhängige Orga-
nisationseinheiten, aus denen Parteien Personal rekru-
tieren und sich den Rückhalt der wichtigsten wirt-
schaftlichen und sozialen Akteure sichern können. Von
großer Bedeutung ist auch der Aufbau demokratischer
Strukturen auf kommunaler und regionaler Ebene,
weil die lokalen Vertretungen und Organisationsfor-
men so etwas wie Schulen für die politische Arbeit auf
nationaler Ebene darstellen.
Die Einführung der Demokratie lässt sich damit nicht
auf einen einzelnen Wahlakt reduzieren, sondern
schließt – soll sie denn langfristig erfolgreich und
dauerhaft sein – eine ganze Reihe institutioneller,
rechtlicher und wirtschaftlicher Reformen mit ein, da
die politische Ordnung nicht getrennt von der Rechts-
und Wirtschaftsordnung behandelt werden kann.
Dr. Gérard Bökenkamp
Liberales Institut
Bildnachweis Titel: Gerd Altmann/Pixlio
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FNF International News 2-2012
Freiheit in Transition
Transition schafft Freiheit: Fallbeispiele aus Südost– und Ostasien
Ein brenzliger Moment: „Wir übergingen die Behörde
und veranstalteten das Filmfestival im Januar 2012
ohne eine Genehmigung, weil wir nicht wollten, dass
auch nur eine einzige Szene der Kurzfilme zensiert
wird. Die Zensurbehörde schritt nicht ein. Es kamen
Tausende von Besuchern“, so Zarganar, der Initiator
des Freedom Film Festivals. Das war eine riskante Ent-
scheidung, denn der bekannteste politische Komiker
und Satiriker Myanmars wurde erst im Oktober 2011
aus der Haft entlassen. Insgesamt hatte er elf Jahre in
politischer Gefangenschaft verbracht. Die Stiftung für
die Freiheit unterstütze die Gewinner des Festivals
durch die Möglichkeit weitere Filme zu produzieren.
Die schrittweise Lockerung der Pressefreiheit seit
2011 bietet ein gutes Beispiel für den Transformati-
onsprozess des Landes, der noch am Anfang steht. Im
August 2012 wurde das Mandat der Zensurbehörde
beschnitten, Ende Januar 2013 wurde die Behörde
nun abgeschafft. Die Erleichterung der Medienfreiheit
ist ein bedeutender Schritt in die richtige Richtung, es
müssen aber weitere folgen. Die Tatsache, dass die
alten repressiven Mediengesetze weiterhin bestehen,
führt bei vielen noch zur Selbstzensur.
Myanmar galt bis vor kurzem als eines der unfreisten
Länder weltweit. Seit der gewaltsamen Niederschla-
gung der demokratischen Bewegung 1988 wurden
Tausende von Sympathisanten verhaftet und gefoltert.
Bei politischem Engagement ist das Risiko nicht uner-
heblich und wie bei jeder politischen Transition ist
Unsicherheit ein Hauptmerkmal.1 Umstritten sind
nicht nur politische Inhalte, sondern auch das Regel-
werk, nach denen sie ausgehandelt werden. Es ist un-
klar, wie weit man das Regime herausfordern kann,
ohne ernsthafte Konsequenzen befürchten zu müssen.
Genau wie Zarganar testen seit der Öffnung Myan-
mars im Jahr 2011 viele Akteure die Grenzen der neu
gewährten Freiheiten und helfen dabei, sie zu weiten.
Seien es Journalisten, friedliche Demonstranten, Par-
In Myanmar die Grenzen der Freiheit testen
1 Larry Diamond: The Need for a Political Pact. In: The Opening in
Burma, Journal of Democracy, Volume 23, Number 4, October
2012. Der Künstler Zarganar—nach seiner Freilassung—
zu Besuch im FNF-Büro Bangkok (Foto: FNF)
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FNF International News 2-2012
Freiheit in Transition
lamentarier, Gründer von Organisationen der politi-
schen Bildung oder von Gewerkschaften.
Zusammen mit Zarganar wurden zunächst lediglich
die bekanntesten politischen Häftlinge entlassen.
Mittlerweile sind es über 1.500. Dennoch sind nach
unterschiedlichen Schätzungen und Definitionen noch
immer zwischen rund 100 und 700 politische Gefan-
gene inhaftiert. Ihre Entlassung stellt einen der wich-
tigsten Beweise für die Ernsthaftigkeit der Reform-
bemühungen dar. Es ist aber nur eine von zahlreichen
Veränderungen seit der wegweisenden Antrittsrede
von Präsident Thein Sein im März 2011. In einem von
vielen Beobachtern als historisch bezeichneten Pro-
zess treibt er parallele sowohl politische als auch
wirtschaftliche Reformen voran. Nach fast 50 Jahren
Militärherrschaft, deren Abschottung gegenüber der
Welt zunächst selbst gewählt und seit ihrem langsa-
men Öffnungsprozess Anfang der 90er Jahre durch
Sanktionen des Westen forciert war, ist der Reformbe-
darf enorm. In Myanmar müssen sehr viele Fragen neu
ausgehandelt werden. Larry Diamond, einer der füh-
renden Demokratieforscher, geht deshalb davon aus,
dass der Transitionsprozess mindestens so schwer
werden wird wie in Südafrika und schwerer als die der
letzten 40 Jahre in Südeuropa oder Lateinamerika.
Es ist eine von oben gelenkte Transformation, deren
Ausgang noch nicht ausgemacht ist. Sie wurde einge-
leitet vom späten Militärdiktator Than Shwe, im Jahr
2008 begonnen mit einem absurden Verfassungsrefe-
rendum und 2010 zutiefst unfairen und unfreien Par-
lamentswahlen. Keiner hätte erwartet, dass Than
Shwes Generäle, die er an Schlüsselpositionen setzte,
die Ambiguitäten des neuen Systems so reformfreudig
interpretieren würden. Auch sie gehen ein hohes poli-
tisches und persönliches Risiko ein. Der Rücktritt des
reformkritischen Vizepräsidenten im Mai diesen Jahres
und die Kabinettsumbildung Ende August stärken
ihnen zwar den Rücken, dennoch bleiben nach wie vor
auch Hardliner in wichtigen Funktionen.
In Myanmar fehlen zwar viele Faktoren, die bislang
mit erfolgreichen Demokratisierungsprozessen ver-
bunden werden, dennoch gibt es deutliche Lichtblicke:
Erstens hat das Land mit der Nobelpreisträgerin Aung
San Suu Kyi eine außergewöhnliche Oppositionsführe-
rin. Zweitens schufen fast fünf Jahrzehnte der Militär-
diktatur eine starke Sehnsucht nach politischen Ver-
änderungen. Die Nachwahlen zum Parlament im April
2012 zeigten dies deutlich. Es waren die ersten relativ
freien und fairen Wahlen seit 1960, deren Ergebnis
von der Regierung anerkannt wurde. Selbst die Beam-
ten der Hauptstadt wählten mit großer Mehrheit Aung
San Suu Kyis Partei, die National League for De-
mocracy (NLD). Drittens wächst gerade eine mutige
und passionierte Zivilgesellschaft heran, die versucht
auf die Entstehung des neuen Regelwerkes Einfluss zu
nehmen und eine kritische Diskussionskultur zu erwe-
cken.
Die Kultur des Aushandelns politischer Kompromisse
ist vielen in Myanmar noch fremd. Jetzt besteht die
Möglichkeit, jenseits von Schwarz-weiß-denken die
vielen Grautöne des politischen Dialogs kennen zu
lernen und zu beeinflussen. Min Ko Naing, der 1988
den Studentenaufstand anführte und als einer der
einflussreichsten Oppositionsfiguren gilt, sagte im Au-
gust 2012 auf einer öffentlichen Veranstaltung in
Myanmar hat noch viele Probleme: Kinderarbeit beim
Straßenbau in Manday (Foto: M. Kleine-Brockhoff)
Aung San Suu Kyi, die Generalsekretärin
der NLD, mit Anhängern (Foto: NLD)
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FNF International News 2-2012
Freiheit in Transition
Yangon: „Wir haben eine Revolution vorbereitet, aber
waren nie auf eine Transition vorbereitet. Heute ver-
stehen wir, dass wir an einer Transition mitwirken
müssen, aber wir wissen nicht welche Rolle wir spie-
len.“2
In Seminaren der Stiftungspartner diskutieren Men-
schen teils zum ersten Mal, wie sie die aktuellen Ver-
änderungen einschätzen. Die Bildungsveranstaltungen
finden zunehmend auch in ländlichen Gebieten statt,
wo ca. 70% der Bevölkerung leben. Die Angst ist heu-
te vielerorts der Hoffnung oder geradezu der Euphorie
gewichen. Aber ganz ohne Risikobereitschaft ist die
Arbeit noch immer nicht zu machen. Im Juni dieses
Jahres wurden beispielsweise Seminarleiter im Chin-
Staat von der Polizei festgehalten. Als die Stiftung für
die Freiheit zusammen mit ihrem Partner Myanmar
Egress im Jahr 2009 erste bildungspolitische Seminare
veranstaltete, war es ebenfalls ungewiss, ob die Be-
hörden den Partner gewähren lassen würden. Die
Gründer von Egress gingen ein hohes Risiko ein, doch
das Wagnis lohnte sich. Sie schufen einen bislang un-
denkbaren Platz für politische Diskussionen, die vor
der Parlamentswahl 2010 viele motivierten, die zwar
geringen, aber neuen politischen Spielräume zu nut-
zen. Zuvor war dies undenkbar, wurde doch jegliche
öffentliche politische Diskussion als Bedrohung der
nationalen Sicherheit wahrgenommen und entspre-
chend hart geahndet.
Solche Wagnisse einzugehen ist längst noch nicht
überall möglich. Zahlreiche bewaffnete Gruppen
kämpften teils seit der Gründung Myanmars gegen die
Zentralregierung. Elf von ihnen sollen im Laufe des
letzten Jahres vorläufigen Waffenstillstandsabkom-
men zugestimmt haben. Diese laufen aber Gefahr zu
brechen, wenn keine politischen Lösungen gefunden
werden. Zwischen dem Militär und der Kachin Inde-
pendence Army, eine der wichtigsten Gruppen, sind
allerdings seit Februar 2011 wieder Gewalthandlun-
gen ausgebrochen. In Rakhine brach im Juni 2012 Ge-
walt aus, die zu mehr als 75.000 Vertriebenen führte.
Menschen, die in diesen Regionen leben, spüren we-
nig von den Veränderungen im Landesinneren. Den-
noch bietet der Reformprozess im Zentrum auch für
diese Gebiete eine Chance und andersherum. Der be-
kannte Konfliktforscher Norbert Ropers unterstreicht,
dass die Komplexität der verschiedenen Lager den
Verhandlungsprozess im Zentrum positiv beeinflussen
kann, weil sie kreativere Lösungen erfordert.
Viele Hoffnungen ruhen auf der NLD, von der erwartet
wird, dass sie die nächsten Parlamentswahlen im Jahr
2015 mit überwiegender Mehrheit gewinnen wird.
Aung San Suu Kyi könnte dann – nach einer Verfas-
sungsänderung - Präsidentin werden. Viele bezwei-
feln, dass das Militär dies zulassen würde und sehen
die Wahlen 2015 als entscheidenden Test für die
Wahrhaftigkeit des Demokratisierungswillens. Das ist
aber zu kurz gegriffen. Die entscheidende Phase, um
diesen Test zu bewältigen, hat schon jetzt begonnen.
Denn die Verfassung verbietet nicht nur Personen wie
Aung San Suu Kyi, die Verwandte mit ausländischem
Pass haben, das oberste Amt des Staates auszufüllen.
Sie beinhaltet auch zahlreiche Garantien zum Macht-
erhalt des Militärs, die dem Demokratisierungsprozess
ernsthafte Schranken bieten: ein Viertel der Parla-
mentssitze sind für Militärangehörige reserviert, die
Besetzung der Positionen des Innen-, Verteidigungs-
und Grenzsicherheitsministers werden vom Oberbe-
fehlshaber der Armee bestimmt und das Militär unter-
steht keiner parlamentarischen oder judikativen Kon-
trolle. Außerdem dominiert das Militär den Nationalen
Verteidigung- und Sicherheitsrat, der unter recht
schwammigen Bedingungen den Ausnahmezustand
ausrufen kann.
Entscheidend für den Demokratisierungsprozess wird
also sein, ob die Opposition es schafft, diese Regelun-
gen neu auszuhandeln. Sicherlich wäre es zu viel zu
2 Min Ko Naing: Strengthening Civil Society. In: The Opening in
Burma, Journal of Democracy, Volume 23, Number 4, October
2012.
Der deutsche Menschenrechtsbeauftragte Markus Löning
während der Wahlbeobachtung in Myanmar im April 2012
(Foto: M. Kleine-Brockhoff)
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FNF International News 2-2012
Freiheit in Transition
erwarten, dass eine komplette Demilitarisierung der
Politik in absehbarer Zeit zu erreichen ist. Zu diesem
Zeitpunkt muss aber Vertrauen zwischen Kräften der
Opposition und der militärnahen Regierung geschaf-
fen werden, um Kompromisse in dieser komplexen
Gemengelage zu finden. Außerdem müssen institutio-
nelle Vorkehrungen geschaffen werden, um einen
Machtwechsel ohne zu starken Gesichtsverlust der
aktuellen Regierung zu ermöglichen.
Präsident Thein Sein und Aung San Suu Kyi scheinen
eine gemeinsame Basis gefunden zu haben. Ihre Zu-
sammenarbeit ist zentral für diesen Übergangsprozess.
Auch die Parteien, die sich 2010 zur Wahl stellten,
sind kompromissbereit. Dennoch muss noch viel Ver-
trauen aufgebaut werden, um auch über schwierige
Themen reden zu können. Hier können Programme der
politischen Stiftungen eine Rolle spielen. So brachte
die Stiftung für die Freiheit direkt nach den Nachwah-
len die erste gemeinsame Delegation von Parlamenta-
riern der Regierungspartei Union Solidarity Develop-
ment Party (USDP), ethnischer Parteien und der NLD
nach Deutschland. Hauptsächlich lernten sie an Bei-
spielen kennen, wie Demokratie und Föderalismus in
Deutschland funktionieren. Das Programm erlaubte
ihnen aber auch über Parteigrenzen hinweg enge Kon-
takte untereinander zu knüpfen.
Mit der Konstituierung des Parlaments und der Bil-
dung einer semi-zivilen Regierung gibt es seit März
2011 zumindest formal ein Institutionengefüge, das
ein gewisses Maß an gegenseitiger Machtkontrolle
erlaubt. Das Parlament wirkt auf dem Papier aber zu-
nächst zahnlos. Die militärnahe Regierungspartei
USDP besitzt zusammen mit den 25% der für das Mi-
litär reservierten Mandate in beiden Kammern des
Parlamentes eine erdrückende Mehrheit. Zur Überra-
schung vieler findet sich innerhalb der USDP-Fraktion
aber eine Reihe von reformfreudigen Abgeordneten,
die ihr Mandat als Gegengewicht zur Exekutive sehr
ernst nehmen. Das Unterhaus, allen voran sein Spre-
cher Shwe Mann, und die Ausschüsse beider Häuser
konnten sich mittlerweile als eine eigenständige Re-
formkraft profilieren. So wurde bei einer Sitzung zum
Staatshaushalt auch das gewaltige Militärbudget dis-
kutiert, was bis vor kurzem noch nicht denkbar gewe-
sen wäre. Auch einige der vom Militär nominierten
Abgeordneten sorgten für Überraschungen, als sie
beispielsweise zusammen mit anderen Parteien für
eine generelle Amnestie politischer Häftlinge stimm-
ten.
Miteinander reden ist allerdings erst der erste Schritt.
Die ehemalige Militärjunta hat schwere Menschen-
rechtsverletzungen zu verantworten. Auch heute noch
wird von Kriegsverbrechen, Folter, Vergewaltigungen
und Zwangsarbeit berichtet und einer systematischen
Straflosigkeit für die Täter. Für eine dauerhafte Kon-
fliktransformation ist eine juristische und gesell-
schaftliche Aufarbeitung dieser Gräueltaten unab-
dingbar. Dies ist ein langwieriger Prozess, der Akteure
auf allen Ebenen einschließen muss, die ihn selber
anstoßen und formen müssen. Ansonsten läuft er Ge-
fahr Legitimität zu entbehren. Werden die neuen poli-
tischen Akteure es schaffen, hier einen Prozess zu de-
finieren, der zur Achtung von Menschenrechten,
Rechtstaatlichkeit und Versöhnung führt? Der Um-
gang der Regierung und Opposition mit der Krise in
Rakhine stimmt wenig optimistisch.
Neue Spielräume nutzen, mutig ihre Grenzen zu tes-
ten und vielleicht zu erweitern, Regelwerke neu be-
stimmen: Die politische Ordnung befinden sich mo-
mentan im Umbruch; dies versuchen alle Reformkräfte
zu ihren Gunsten zu nutzen. Es gibt aber auch viele,
die verunsichert sind und abwarten, wie sich der Wind
dreht. Zu Recht trauen sie dem Militär und seinen fi-
nanzstarken Verbündeten noch zu, das Lenkrad wieder
an sich zu reißen. Die Rolle der Stiftung ist indes, den
Reformern den Rücken zu stärken – innerhalb der Re-
gierung, mit reformfreudigen Parlamentariern, den
Medien und der Zivilgesellschaft.
Noch ist die Zahl der zivilgesellschaftlichen Organisa-
tionen gering. Einige von ihnen haben aber in den
letzten Monaten stark an Einfluss gewonnen, nicht
zuletzt wegen ihrer ausgezeichneten Kontakte zu Ex-
perten im Exil. Die meisten müssen aber noch Exper-
tise aufbauen und ihren Platz in einem sich stark
wandelnden Gefüge suchen. Zusammen mit Medien-
vertretern und Parlamentariern müssen sie es schaf-
fen, für die Regierung und für das Militär erstzuneh-
mende Ansprechpartner zu werden, auch um sich in
Zukunft in einen zivil-militärischen Dialog einbringen
zu können.
Katrin Bannach
Projektleiterin Malaysia, Myanmar und Kambodscha
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FNF International News 2-2012
Freiheit in Transition
Die Aktion „Es dreht sich alles um die Freiheit“ („It’s
All About Freedom“) richtet sich an die Jugend, Akti-
vistinnen und Aktivisten – und mögliche Befürworter
– politischer Parteien und NROs. Mit einem Durch-
schnittsalter von 23,4 Jahren ist die philippinische
Bevölkerung relativ jung. Die heutige Generation hat
sich in sozialer Hinsicht weiterentwickelt, ist aufge-
klärter und engagierter. Dementsprechend macht sich
die Aktion Programme zunutze, die Mitwirkung her-
beiführen, Nachhaltigkeit implizieren, und sich all-
mählich ausbreiten. Zusätzlich zielen diese darauf ab,
die Diskussion über verschiedene Themen zu fördern,
die mit dem Konzept der Freiheit in Zusammenhang
stehen, soziale und legislative Beeinträchtigungen
identifizieren, und Politiken entwickeln und fördern,
die die politische und wirtschaftliche Freiheit erwei-
tern.
Die vier Hauptaktivitäten, die in 2011 Teil der Aktion
gewesen sind, waren:
Ein Lauf für die Freiheit (Freedom Run), durch
den Antikorruptionsmaßnahmen „in“ gemacht
werden sollten, mit mehr als 2.000 Läufern in
2011 und mehr als 3.000 Teilnehmern in 2012,
sowie ein Freiheitsfußballturnier mit mehr als
600 Spielern. Die Läufer und Spieler trugen die
populären „Ich bin frei–von Korruption“ T-Shirts.
Die Vorstellung von „Ako’y Malaya“ („Ich bin
frei“), einem Lied des bekannten Liedermachers
Noel Cabangon, das Freiheit als ein zum Nach-
denken anregendes Thema zum Inhalt hat.
Das Freiheitsprojekt, ein Wettbewerb, der die
besten liberalen Praktiken auszeichnet, mit über
siebzig in 2011 und 2012 nominierten Projekten
von Institutionen, Organisationen, Gemeinderä-
ten und Ministerien des ganzen Landes, und in
jedem dieser Jahre mit mehr als 10.000 teilneh-
menden Internetwählern, und
Die Freiheitsrede (Freedom Speech), eine jährli-
che Rede, die von einer bekannten Persönlich-
keit gehalten wird und den Status der Freiheit
im Land analysiert. Die Antrittsrede wurde vom
Präsidenten der Freiheitlichen Partei (und ge-
genwärtigem Finanzminister der Aquino-
Regierung) Florencio „Butch“ Abad gehalten.
Der Erfolg der Projekte veranlasste das philippinische
Büro, diese weiterzuführen und durch die Miteinbe-
ziehung von Partnern – aus öffentlichem und pri-
vatem Sektor, und internationalen Organisationen,
darunter auch der Rat der Asiatischen Liberalen und
Demokraten (CALD) und die Allianz der Liberalen und
Demokraten für Europa (ALDE) – zu verbessern. Diese
Initiativen verwenden Top-Bottom- und Bottom-Up-
Ansätze, da diese nicht nur Entscheidungsträger und
Führungskräfte einbeziehen, sondern sich auch an
Studenten, Medien und Gruppierungen der Zivilgesell-
schaft wenden. Der jährliche öffentliche „Mabuhay
Germany“-Markt zum Beispiel, der von der Deutsch-
Philippinischen Handelskammer organisiert wird, be-
inhaltet einen Stand der Friedrich-Naumann-Stiftung
für die Freiheit, an dem tausende Passanten an Spie-
len teilnehmen, die die Diskussion über die Bedeutung
der Freiheit fördern. Bei anderen Veranstaltungen und
Diskussionen werden Teilnehmer dazu eingeladen, ihre
persönliche Freiheitsbotschaft auf eine Freiheitswand
zu schreiben (Titelfoto).
Mittels audiovisueller Produktionen und über soziale
Medien und das Internet werden diese Aktivitäten
verbreitet, und um die Aktion zu veranschaulichen
wurde ein Maskottchen mit einem verspielten Lächeln
vorgestellt das „Fredo“ heißt. Der Name leitet sich
vom Englischen freedom für Freiheit ab und würde in
Deutschland auf Friedrich lauten. Fredo trägt ein „I am
free“ T-Shirt, das sein Eintreten dafür zum Ausdruck
Die Philippinische Aktion „It‘s all about
freedom“
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Freiheit in Transition
bringt von all dem frei zu sein, was ihn und die Ge-
sellschaft davon abhält Leistung zu erbringen. Fredo
steht für die Freiheit zur eignenden Entscheidung und
Verwirklichung und ist ein Vorkämpfer für die Freiheit
von Korruption und Armut. Er ist ebenfalls die Haupt-
figur eines Kurzfilms, der die Grundlagen des Libera-
lismus erklärt.
„Freiheit“ ist die Grundbotschaft der Friedrich-
Naumann-Stiftung für die Freiheit. Auf den Philippi-
nen ist der Begriff der Freiheit tief in der Kultur ver-
wurzelt. Ein oft zitiertes Wort des Vorsitzenden der
FNF, Dr. Wolfgang Gerhardt, lautet: „Freiheit ist Kultur
und Charakter“. Oft bezeichnet man die Philippinen
als eine natürlich und kulturell freiheitsliebende Nati-
on. Die Geschichte des Landes, die bis in 15. Jhd. zu-
rückreicht, ist voll von Aufständen, Rebellionen und
Erhebungen gegen die Misshandlungen diktatorischer
Eroberer.
In fast vier Jahrhunderten (1521-1898) spanischer
Besatzung entstanden zahlreiche Unabhängigkeitsbe-
wegungen in verschiedenen Teilen der Philippinen.
Durch Unterdrückung in sozialen, wirtschaftlichen
und politischen Bereichen in der Form missbräuchli-
cher Steuereintreibung, Zwangsarbeit, Landraub und
Rassendiskriminierung in verschiedenem Ausmaß wur-
den Filipinos ihrer Menschenwürde und Grundrechte
beraubt. José Rizal, der Volksheld der Philippinen,
machte durch seine Veröffentlichungen, die er geheim
auf den Philippinen in unterschiedlichen Zirkeln in
Umlauf setzte, die Menschen auf ihre Rechte auf-
merksam. Das gab wiederum Ansporn zu zahlreichen
Aufständen im ganzen Land.
In weiterer Folge übernahmen die Amerikaner, nach-
dem sie eingangs die endgültige Befreiung von den
Spaniern lenkten und förderten, die Macht. Zwischen
1898 und 1912 verhinderte der amerikanische Koloni-
alismus, dass Filipinos ihre eigene Regierung wählen
und Souveränität praktizieren konnten. Philippinische
Führungspersönlichkeiten zeigten jedoch den Ameri-
kanern, dass sie sehr wohl die Fähigkeit besaßen, ihre
eigene souveräne Regierung zu führen.
Währen der kurzen japanischen Besetzung von 1942
und 1945 erzielten gut organisierte Guerillagruppie-
rungen überall auf den Philippinen Erfolge in der Be-
kämpfung der Japaner. In 1946 erhielten die Filipinos
ihre hart umkämpfte Freiheit und entwickelten eine
revolutionäre Kultur der Freiheit, Überzeugungen und
Prinzipien, die heute fest in der philippinischen Ge-
sellschaft verwurzelt ist.
Die „People Power“ Revolution gegen das Marcos-
Regime in 1986 führte zu dem gewaltfreien Sturz ei-
nes Diktators. Dieses Ereignis machte die Philippinen
als eine Nation bekannt, die die Demokratie vertei-
digt, und rief nicht nur Gruppierungen der Zivilgesell-
schaft und NROs, sondern auch Einzelpersonen auf
den Plan, die durch gemeinsame demokratische Werte
zusammengeführt wurden.
114 Jahre nach der ersten Unabhängigkeitserklärung
von 1898 erholt sich die philippinische Nation noch
immer von der korrupten Regierung, die von 2001 bis
2009 von Gloria Macapagal-Arroyo geführt wurde. Die
Präsidentschaft Arroyos war von einigen wenigen Op-
portunisten geprägt, deren korrupte Methoden die
Filipinos ihrer Freiheiten beraubten. Einmal mehr ent-
Der Freedom Run (Foto: FNF)
Die Freedom Speech mit Florencio „Butch“ Abad (Foto: FNF)
11
FNF International News 2-2012
Freiheit in Transition
schieden sich die Filipinos, nachdem sie die dreisten
Praktiken der Regierung Arroyos über Jahre hindurch
toleriert hatten, dieser neuerlichen Unterdrückung in
den Präsidentschaftswahlen von 2010 einen Riegel
vorzuschieben. Der getreue Vertreter der Freiheit, Be-
nigno „Noy-Noy“ Aquino III, gab den Filipinos neue
Hoffnung.
Jetzt im zweiten Jahr seiner Amtszeit ist Präsident
Aquino tonangebend in der Aufhebung des Status Quo
in der Bürokratie, die von Korruption und mangelhaf-
ter Regierungsführung geplagt ist.
Freiheit bedeutet die Möglichkeit der Ausübung per-
sönlicher Rechte und Berechtigungen, sowie die Ab-
wesenheit unzulässiger Einschränkungen. Freiheit be-
tont jene Gelegenheiten, die für die Ausübung persön-
licher Rechte, Berechtigungen und Begehren und der-
gleichen bestimmt sind. Hervorzuheben sind hierbei
die Gewissens- und Bewegungsfreiheit.
Das Konzept der Freiheit, das das philippinische Büro
der Friedrich-Naumann-Stiftung für die Freiheit ver-
tritt, zielt auf Veränderungen ab die durch die Mitwir-
kungsmöglichkeit von Menschen bewirkt werden. Das
Leitbild der einzelnen Programme der Aktion „Es dreht
sich alles um die Freiheit“ ist die Umsetzung der kom-
plexen Konzepte von Freiheit in die Alltagssprache,
um neben bestehenden Gruppierungen neue Zielgrup-
pen zu erreichen. Es besteht so die Notwendigkeit,
persönliche Freiheit in persönliche Mitwirkungsmög-
lichkeit und die Verantwortung, die mit bürgerlichen
Freiheiten und Menschenrechten einhergeht, in ein
Wertesystem umzuwandeln.
Jules Maaten
Projektleiter Philippinen
Wie wird Thailand in zehn Jahren aussehen? Welche
Entwicklungen sieht die thailändische Jugend hin-
sichtlich Politik, Wirtschaft und Gesellschaft? Um die-
ser Frage auf den Grund zu gehen, veranstaltete die
Stiftung in Kooperation mit dem Asian Knowledge In-
stitute, dem Rundfunksender Thai PBS, dem Magazin
happening, dem Bangkok Art and Culture Centre und
dem Eventkoordinator Bioscope das Roadshow-Projekt
Dream Thailand.
Die Jugend ist die Zukunft der Gesellschaft. Ihre Stim-
me soll ernst genommen und ihr ein Forum gegeben
werden, in dem sie ihre Ansichten und Ideen präsen-
tieren kann. Daher lud die Stiftung Jugendliche ver-
schiedener Regionen Thailands ein, an Dream Thailand
teilzunehmen und in einem öffentlichen Diskurs zu
erörtern, in welche Richtung sich Thailand in den
nächsten zehn Jahren entwickeln sollte. In sieben Pro-
vinzen Thailands nahmen mehr als 1.200 Schüler und
Studenten an der Dream Thailand-Veranstaltungsreihe
teil und brachten offen ihre Träume, Hoffnungen, und
Wünsche, aber auch konkrete Zukunftspläne für ihr
Heimatland zum Ausdruck.
In Bezug auf ihren Aufbau lehnten sich die Dream
Thailand-Veranstaltungen an die “Future Search”-
Methodologie an: Die Teilnehmer wurden aufgefor-
dert, sich mit geschlossenen Augen die derzeitige po-
litische, gesellschaftliche, wirtschaftliche und kultu-
relle Situation vorzustellen, und dann daran anknüp-
Dream Thailand—Träume einer jungen
Generation
12
FNF International News 2-2012
Freiheit in Transition
fend ihre persönlichen Wünsche und Vorschläge für
die Entwicklung Thailands der nächsten zehn Jahre
aufzuschreiben. Diese wurden dann entsprechend ka-
tegorisiert, und die prägnantesten Ergebnisse gebün-
delt vorgestellt und diskutiert. Erwartungsgemäß wa-
ren die Resultate der Veranstaltungen von Provinz zu
Provinz oftmals deutlich verschieden.
Während zum Beispiel der Kampf um Identität und
nationale Sicherheit ein wichtiges Thema in Songkhla
- einer südlichen Provinz mit hohem muslimischem
Bevölkerungsanteil - war, wurde in anderen Provinzen
wie Chonburi, Chiang Mai oder Nakhon Phanom das
Hauptaugenmerk auf Bildungschancen gelegt. Viele
Studenten wünschten sich ein Bildungssystem, das
dem Europas und der Vereinigten Staaten gleichwertig
ist.
Ein interessantes Thema, das in vielen Provinzen an-
gesprochen wurde, betraf das ausgeprägte hierarchi-
sche System Thailands. Hierarchische Strukturen sind
überall in der thailändischen Gesellschaft zu finden.
Es ist zum Beispiel üblich, Personen mit höherem sozi-
alem Status, sei es aufgrund ihres Alters, Rangs oder
Vermögens, mit sehr großem Respekt zu begegnen.
Dies ist ein Stück Kultur, das in der Vergangenheit
selten bis gar nicht hinterfragt wurde. Nun aber
scheint es von jungen Menschen als Einschränkung
ihrer persönlichen Freiheit und als Ursache für die
Festigung sozialer Ungleichheiten empfunden zu wer-
den. In diesem Zusammenhang wurde die Notwendig-
keit, Höhergestellten Respekt zu zollen - selbst wenn
diese ihn nicht verdienen - in Frage gestellt.
Ungleichheiten sind auf verschiedenen Ebenen prä-
sent. Auf einen Aspekt wurde besonderer Schwerpunkt
von Studenten aus Nakhon Phanom gelegt. Diese
prangerten die starken regionalen Unterschiede und
die innerhalb des Landes schlecht verteilten Einkom-
mens- und Bildungschancen an. Auch mit dem Prob-
lem der Ungleichheit verbunden, aber bezogen auf das
Thema der Rechtsstaatlichkeit, wurde besonders von
Studenten aus Phitsanulok und Khon Kaen auf Miss-
stände im Rechtssystem verwiesen. Es wurde aus-
drücklich gefordert, dass alle, unabhängig von Vermö-
gen oder Status, Gleichheit vor der Justiz erfahren.
Einige Aspekte, die man überall antraf, schienen den
Teilnehmern besonders wichtig zu sein. Dies betraf
besonders die Frage der nationalen Einigkeit. "Ich will,
dass die Thais sich lieben" war wohl der durch alle
Veranstaltungen hindurch am weitesten verbreitete
Wunsch. Aber ist es für eine funktionierende Gesell-
schaft wirklich notwendig, auf Liebe aufzubauen? Wie
soll das überhaupt möglich sein? Vielleicht bedeutet
der Wunsch eher, dass man lernt, sich gegenseitig
zuzuhören und erkennt, dass es förderlich ist, andere
Meinungen und Ansichten als ebenso legitim anzuer-
kennen wie die eigenen.
Deshalb betrachten wir "Dream Thailand" als Beitrag
zur Verbesserung der Kommunikation in der thailändi-
schen Gesellschaft. Unser Ziel war es, so viele junge
Menschen wie möglich zu erreichen, damit sie ihre
eigene Meinung frei äußern und am Prozess der Zu-
kunftsgestaltung teilhaben können. Durch die Veröf-
fentlichung der Ergebnisse von Dream Thailand in
Fernsehen und Radio, Zeitungen sowie im Internet soll
unsere Kampagne dazu beitragen, dass die Stimmen
dieser Menschen auch gehört werden.
Zum Abschluss der Veranstaltungsreihe fand im Bang-
kok Art and Culture Center eine mehrtägige Ausstel-
lung statt. Im Beisein von hochrangigen Politikern wie
zum Beispiel Oppositionsführer und ehemaliger Premi-
erminister Abhisit Vejjajiva wurden, dem Aufbau der
einzelnen Veranstaltungen folgend, in drei zusam-
menhängenden Teilen (Traum, Realität und Zukunfts-
planung) die Ergebnisse der Dream Thailand-
Kampagne vorgestellt.
Traum, der erste Teil, konzentrierte sich auf die Dar-
stellung der wichtigsten Themen, die im Rahmen der
13
FNF International News 2-2012
Freiheit in Transition
Veranstaltungsreihe hindurch gesammelt werden
konnten und zeigte eine Auswahl der über 1.200 Post-
it-Notizen mit den Wünschen der Studenten. Dazu
kontrastierend regte der Bereich Realität Besucher
dazu an, sich die reale Situation vor Augen zu führen.
Bei vielen Träumen handelt es sich um den Wunsch,
eine momentane reale Situation zum Besseren zu keh-
ren. Diese Idee des Wandels wurde im Ausstellungsbe-
reich Zukunftsplanung dazu genutzt, konkrete Lö-
sungsvorschläge zu präsentieren, die die Wünsche des
Traum-Teils wahr werden lassen sollen. Die Besucher
der Ausstellung waren hier auch dazu eingeladen, die
Ausstellung mit ihren eigenen Träumen, Visionen und
Ideen zu bereichern.
Dies ist jedoch noch lange nicht das Ende von "Dream
Thailand". In einem weiteren Prozess der Datenaus-
wertung werden alle Ergebnisse aus Veranstaltungs-
reihe und Ausstellung zusammen mit unseren Partner
erneut bearbeitet. Ein abschließender Bericht soll
dann Entscheidungsträgern in Politik und Wirtschaft
sowie diversen Bildungseinrichtungen vorgelegt wer-
den. Zusätzlich ist, auf dem Erfolg von Dream Thailand
aufbauend, eine Dream Bangkok-Kampagne in Vorbe-
reitung.
Dr. Rainer Adam
Regionalbüroleiter Südost– und Ostasien
Miklos Romandy
Regionaler Projektkoordinator Südost– und Ostasien
http://www.freedombarometer.org
IP-Publikations-Abo
Unsere Mitarbeiter arbeiten in über 60 Ländern die-
ser Erde. Das macht es ihnen möglich, fundierte
Analysen und Reports aus den verschiedensten Regi-
onen zu erstellen. Unsere Policy Papers bieten regio-
nale Analysen zur politischen Situation ausgewählter
Regionen, zur Lage der dortigen Wirtschaft und zur
jeweiligen Sozialstruktur. Unsere Hintergrundpapiere
dienen der Vertiefung und beschäftigen sich jeweils
mit einem ausgewählten Thema, dass auch mittel-
fristig noch aktuell ist. Unsere Berichte aus aktuel-
lem Anlass berichten zeitnah über eine aktuelles Er-
eignis von besonderer Bedeutung (Parlaments-
wahlen, Aufstände, Umstürze, aufkeimende Bürger-
kriege). Sie werden von den Mitarbeitern aus der
jeweiligen Region erstellt.
Pressevertreter können gerne auf die Expertise unse-
rer Mitarbeiter vor Ort zurückgreifen. Wenden Sie
sich bitte an unsere Pressebetreuung.
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Nordamerika
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FNF International News 2-2012
Freiheit in Transition
Als im Februar 1991 die damaligen zukunftsorientier-
ten Staats- und Regierungschefs Vaclav Havel, Lech
Walesa und Jozsef Antall die Visegrad-Gruppe (heute
Tschechien, Slowakei, Polen und Ungarn) aus der Tau-
fe hoben, hatten sie ein klares Ziel vor den Augen: Die
Kooperation sollte diesen mitteleuropäischen Ländern
die Integration in die europäischen Strukturen und
den Aufbau freier, demokratischer Gesellschaften er-
leichtern. Auch nach der Aufnahme in die NATO
(Tschechien, Polen und Ungarn im März 1999, die Slo-
wakei fünf Jahre später) und dem gemeinsamen EU-
Beitritt (Mai 2004) war eine Fortsetzung der Koopera-
tion vorgesehen, die den vier Staaten innerhalb Euro-
pas mehr Gewicht verleihen sollte. Doch die nationa-
len Interessen der einzelnen Mitglieder der Gruppe,
die häufig denen der anderen widersprachen, gerieten
immer stärker in den Vordergrund. Heute ziehen
Tschechien, die Slowakei und Ungarn politisch und
wirtschaftlich an ihrem eigenen Strang. Der polnische
Außenminister Radoslaw Sikorski, der zuletzt im Som-
mer 2012 versucht hatte, die anderen drei Partnerlän-
der für die gemeinsame Stärkung ihres Images inner-
halb der EU zu gewinnen, stieß auf taube Ohren.
Tschechien: Staatschef Klaus infizierte die Bürger
mit Euroskeptizismus
Die Tschechen, die mehrheitlich den EU-Beitritt ihres
Landes begrüßt hatten, bewerten heute die Mitglied-
schaft in der Union zumeist negativ, was nicht nur
mit der Euro-Krise zusammenhängt. Einer im April
2012 vom staatlichen Prager Meinungsforschungs-
institut CVVM durchgeführten repräsentativen Umfra-
ge zufolge sind heute 82 Prozent der tschechischen
Bürger überzeugt, dass die EU-Mitgliedschaft einen
Anstieg der Bürokratie und die Errichtung unnötiger
Behörden mit sich gebracht hat. Zudem teilten 73
Prozent der Befragten die Ansicht, ihr Leben würde
durch die europäischen Richtlinien eingeengt. Gelobt
wurde mehrheitlich (72 Prozent) nur die Personenfrei-
zügigkeit.
Die öffentliche Meinung bezüglich Europa wird in
Tschechien allerdings stark von Staatspräsident Vaclav
Klaus geprägt, dessen überzogener Euroskeptizismus
bekannt ist und der am liebsten nur eine Freihandels-
zone aus dem Kontinent machen würde. Am Gängel-
band von Klaus, dessen politisches Gewicht auch nach
seinem zu Jahresbeginn 2013 anstehenden Ausschei-
den aus dem höchsten Staatsamt nicht zu unterschät-
zen ist, hängt gleichfalls die Mitte-Rechts-Koalition
von Ministerpräsident Petr Necas. Dass sich Tschechi-
en als einziges unter den neuen EU-Mitgliedern nicht
dem Europäische Stabilitätsmechanismus (ESM)
angeschlossen hat und auch die vorgesehene
gemeinsame Bankenaufsicht ablehnt, wird auf den
Druck von Klaus zurückgeführt, der in Regierungschef
Necas einen fügsamen Adlatus gefunden hat.
Die Korruptionsbekämpfung bleibt vollkommen auf
der Strecke. Die neuesten Skandale reichen bis in die
höchsten politischen Etagen, wobei in einigen Fällen
die Kohäsionsfonds der EU angezapft wurden. Die
Transition rückwärts in Mittel-, Südost– und Osteuropa?
Jeder zieht an seinem Strang - Tschechien, Slowa-
kei und Ungarn gehen 23 Jahre nach der Wende
politisch und wirtschaftlich getrennte Wege
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FNF International News 2-2012
Freiheit in Transition
chaotisch vorbereiteten und sozial unausgewogenen
Reformen des Renten- und Steuersystems sowie des
Gesundheitswesens sind nicht wegen des sich meh-
renden Widerstands der Bevölkerung ins Stocken ge-
raten, sondern wegen zunehmender Konflikte zwi-
schen den Koalitionspartnern und vor allem innerhalb
der konservativen Bürgerpartei ODS als stärkster Re-
gierungspartei. Die nichtreformierten, orthodoxen
Kommunisten sind stark im Aufwind und werden sich
voraussichtlich erstmals wieder an der Macht beteili-
gen, wenn auch zunächst nur auf regionaler Ebene.
Die Politikverdrossenheit unter der Bevölkerung hat
indes Rekordwerte erreicht: Laut einer im September
2012 durchgeführten Erhebung sind nur drei Prozent
der Bürger mit der politischen Lage in Tschechien zu-
frieden. Der Regierung vertrauten im Gegensatz zu
den Gemeindevertretungen (54 Prozent) nur noch 14
Prozent der Probanden, der Abgeordnetenkammer des
Parlaments gar nur elf Prozent. Diese verabschiedete
zwar zahlreiche neue Gesetze, die allerdings zumeist
die Streichung von Sozialleistungen, die Erhöhung von
Abgaben sowie die Stärkung der Kompetenzen der
Behörden betrafen. Am aufgebauschten Staatsapparat
wurde nicht gerüttelt.
Slowakei: Das Versagen der bürgerlichen Parteien
macht Fico das Regieren leicht
Der slowakische Ministerpräsident Robert Fico konnte
bei den Neuwahlen im März 2012 mit seiner Linkspar-
tei Smer-Sozialdemokraten die absolute Mehrheit im
Parlament erringen.
Und wird dies voraus-
sichtlich bis 2016 tun,
denn die uneinige Op-
position macht ihm
das Regieren leicht.
Widerpart bietet ihm
lediglich die liberale
Partei SaS (Sloboda a
solidarita – Freiheit
und Solidarität), deren
Ablehnung der Lösung
der Euro-Krise mittels
des Europäischen Krisenfonds „Europäische
Finanzstabilisierungsfazilität“ kurz EFSF (European
Financial Stability Facility) zum Sturz der
liberalkonservativen Regierung Radicova und zu
vorgezogenen Wahlen geführt hatte.
Ministerpräsident Fico hat nun jedoch erhebliche
Schwierigkeiten, seine populistischen Wahlverspre-
chen mit den Sparvorgaben der Euro-Zone in Einklang
zu bringen. Die Slowakei muss nämlich die öffentli-
chen Finanzen sanieren und bereits 2013 das Defizit
unter drei Prozent des Bruttoinlandsprodukts drücken,
was im Widerspruch zu den von ihm im Wahlkampf
versprochenen sozialen Sicherheiten steht. Die von der
bürgerlich-liberalen Regierung eingeführte Flat-Tax
von 19 Prozent wird für Firmen auf 23 Prozent erhöht.
Auch Mehrverdienende müssen nunmehr mit einer
progressiven Besteuerung rechnen. Mit der Abschaf-
fung der Einheitssteuer wird die Slowakei einen ihrer
größten Wettbewerbsvorteile gegenüber anderen Län-
dern verlieren, das Wirtschaftswachstum geht bereits
deutlich zurück. Die hohe Arbeitslosigkeit von 14,2
Prozent (August 2012) will Fico durch den Einsatz von
EU-Mitteln senken. Der für seinen autoritären Füh-
rungsstil bekannte Ministerpräsident, der bereits von
2006 bis 2010 an der Spitze der Regierung in Bratisla-
va stand, hatte in seiner ersten Regierungszeit die
durchgreifenden Reformen seines konservativen Vor-
gängers Mikulas Dzurinda gestoppt oder abge-
schwächt, obwohl diese Umgestaltungen die Voraus-
setzung für die Anfang 2009 erfolgte Einführung des
Euro in der Slowakei schufen.
Robert Fico (Foto: Xmetov/Wikipedia )
Logo der Partei SaS
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FNF International News 2-2012
Freiheit in Transition
Dagegen will Fico weitere Steuererhöhungen durch-
setzen: So sollen die in den regulierten Sektoren Ener-
giewirtschaft, Telekommunikation und Postdienste
tätigen Unternehmen in diesem und im nächsten Jahr
eine außerordentliche Gewinnsteuer von 4,2 Prozent
bezahlen. Ähnlich wie Ungarn will die Slowakei somit
die Sektoren mit einem hohen Anteil an ausländischen
Investoren mit einer Sondersteuer belegen. Der politi-
schen Stabilität der Slowakei kommt dies auf jeden
Fall zugute. Ob dies auch für den weiteren Demokrati-
sierungsprozess gilt, bleibt abzuwarten.
Ungarn: Vom Musterschüler zum Sorgenkind Euro-
pas
Seitdem in Ungarn Ministerpräsident Viktor Orban und
seine im Parlament über die Verfassungsmehrheit ver-
fügende nationalkonservative Partei FIDESZ regieren,
hat sich der einstige Musterschüler zum Sorgenkind
Europas entwickelt. Orban hat seit Mai 2010 emsig
seine Macht ausgebaut und den Kurs in Richtung
Zentralisierung verstärkt. Das belegen neben der An-
fang 2012 in Kraft getretenen neuen Verfassung auch
hunderte Gesetze, die im Eiltempo durch das Parla-
ment gepeitscht wurden, darunter das umstrittene
Zentralbankgesetz. Eingeführt wurde eine einheitliche
16-prozentige Einkommenssteuer, die Vergabe von EU
-Geldern wurde neu organisiert, um sie kleinen und
mittelständischen Unternehmen besser zugänglich zu
machen und gezielt Branchen zu fördern. Auf der an-
deren Seite wurde den Staatsfinanzen ein rigider
Sparkurs verordnet. Die Verschuldungsrate soll inner-
halb von vier Jahren von 81 % des BIP auf 65 % und
nachfolgend auf 50 % gesenkt werden, wie sie auch
in der neuen Verfassung als Obergrenze festgelegt
worden ist.
Um dieses Ziel zu erreichen, scheute Orban u. a. nicht
davor zurück, fast zeitgleich mit der erstmaligen
Übernahme der EU-Ratspräsidentschaft durch Ungarn
zu Jahresbeginn 2011 mit einer „Rentenreform“ in die
Eigentumsrechte der Bürger einzugreifen, die einer
realsozialistischen Enteignung gleichkam. Die seit 1.
Januar 2011 gültige Flat Tax hat zudem nicht wie be-
absichtigt zu einer Zunahme der Steuereinnahmen
geführt, sondern zu ihrem Rückgang. Der Anteil der
nach UN-Maßstäben „in Armut lebenden“ Menschen
stieg auf 1,5 Millionen. Das sind rund 15 Prozent der
Gesamtbevölkerung Ungarns. Weitere 30 Prozent gel-
ten als „akut armutsgefährdet“. Die Kreditwürdigkeit
des Landes sank weiter und wurde letztlich von der
Ratingagentur Moody’s auf Ramsch-Niveau herabge-
setzt, nachdem die Staatsverschuldung 2011 wieder
von 75 auf 82 Prozent des BIP gestiegen war.
Die zunehmenden nationalistischen Ausfälle des un-
garischen Regierungschefs gehen dabei mit dem all-
mählichen Niedergang seiner Partei FIDESZ einher.
Einer aktuellen Umfrage zufolge würden heute nur
noch 14 bis 19 Prozent der Wähler für Orbans Partei
stimmen. Rund 52 Prozent der Ungarn würden laut
der Erhebung des Meinungsforschungsinstituts Ipsos
jedoch überhaupt nicht mehr wählen gehen.
Erstmals scheint sich auch die zersplitterte Opposition
zusammengerauft zu haben: Ihr Hoffnungsträger
heißt Gordon Bajnai. Der parteilose Volkswirt stand in
den Jahren 2009/2010 an der Spitze der damaligen
Übergangsregierung. Bajnai hat zwar seine Rückkehr
in die Politik angekündigt, weiß jedoch genau, dass er
bei den 2014 anstehenden Parlamentswahlen auch als
potenzieller Spitzenkandidat der Opposition keine
Chance gegen Orban haben wird.
Von einem Stimmungsumschwung kann in Ungarn
trotz der langsam erwachenden Opposition deshalb
noch nicht die Rede sein. Den Erhebungen nach wür-
Gordon Bajnai während eines Besuchs in Jerusalem
(Foto: Itzike/Wikipedia )
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FNF International News 2-2012
Freiheit in Transition
den enttäuschte Wähler gegenwärtig fast ausschließ-
lich ins Nichtwählerlager oder zu extremistischen
Gruppierungen wechseln. Die einzige Alternative
rechts von FIDESZ ist die rechtsradikale Partei
„Jobbik“, deren Popularität vor allem auf ihrer aggres-
siven Anti-Roma-Rhetorik basiert. Rechtsextremisti-
sche und rassistisch motivierte Aktionen haben in der
letzten Zeit dem Image Ungarns erheblich geschadet.
Blockierte Transformation
Nach 23 Jahren scheint in Tschechien, der Slowakei
und in Ungarn eine Etappe der Transformation zu En-
de zu gehen. Die globale Finanzkrise, deren Folgen die
postkommunistischen Staaten besonders hart getrof-
fen haben, hat nicht nur in allen drei Ländern zu har-
ten Sparmaßnahmen und Kürzungen im sozialen Be-
reich geführt, sondern auch dem Populismus und Na-
tionalismus neuen Auftrieb gegeben. Es genügt der
geringste Anlass, um die sich aus der Vergangenheit
herrührenden Animositäten und Antipathien zwischen
den drei aus der Habsburger Monarchie hervorgegan-
genen Staaten aufleben zu lassen. Dadurch wird die
gesellschaftliche Transformation um Jahre zurückge-
worfen.
Die wirtschaftliche Transformation war in allen drei
Ländern zunächst auf bestem Wege. Heute kann sie
nur in Tschechien als weitgehend abgeschlossen gel-
ten. Das Bankwesen, der Energie- und Telekommuni-
kationssektor und auch die Medien befinden sich in
privaten Händen, keine einzige Bank wurde in die Fi-
nanzkrise hineingezogen. Dagegen sind in der Slowa-
kei und in Ungarn starke Renationalisierungstenden-
zen in den sog. strategischen Bereichen der Volkswirt-
schaft bemerkbar, staatliche Eingriffe in die Unabhän-
gigkeit der Medien nehmen zu. In der Slowakei sollen
die privaten Krankenkassen verstaatlicht und zu einer
öffentlichen Kasse zusammengefügt werden. Damit ist
auch der Wettbewerb zu Ende. In Ungarn sollen An-
teile an großen Energieunternehmen vom Staat zu-
rück gekauft werden.
Ebenso bleibt der Ausbau einer unabhängigen und
funktionsfähigen Justiz auf der Strecke. Eine für die
mitteleuropäischen Länder eigentlich unvermutete
Korruptionsmentalität bereitet allen drei Ländern
ebenfalls erhebliche Probleme. Die Rechtssicherheit ist
für die Bürger und Unternehmen weiterhin nicht ge-
währleistet. Das einzige, was bisher unangetastet
bleibt, sind die individuellen Freiheiten. Die Bürger
haben sie sich 1989 schwer erkämpft, und sie genie-
ßen sie voll. Doch wenn die Politikverdrossenheit wei-
terhin zunimmt und das Handeln machthungrigen Au-
tokraten und Populisten überlassen wird, kann auch
die persönliche Freiheit schneller eingeschränkt wer-
den, als man denkt. Die politische Kultur der drei
Kernländer Mitteleuropas ist nach wie vor diejenige
von Transformationsgesellschaften. Die gesicherte
Verankerung einer offenen, pluralistischen, demokra-
tischen und partizipativen Bürgergesellschaft ist
längst nicht abgeschlossen, sondern bleibt auf abseh-
bare Zeit die politische und gesellschaftliche Kernauf-
gabe.
Borek Severa
Repräsentant Baltische Staaten und Mitteleuropa
Durch die hohen Einnahmen aus dem Öl- und Gasge-
schäft hat Russland sein Bruttoinlandsprodukt seit der
existenziellen Krise im Jahre 1998 auf das 2,6-fache
gesteigert. Pro Kopf der Bevölkerung wurde damit ein
Wert erreicht, der ungefähr den EU-Ländern Polen
und Ungarn entspricht. Große Teile der Bevölkerung
haben von dem Aufschwung durch steigende Gehälter
Russland: Reformstau bremst Wirtschafts-
wachstum
Industrie in der Oblast Wolgograd
(Foto: www.volganet.ru/Wikipedia )
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FNF International News 2-2012
Freiheit in Transition
und Renten profitiert. Das gilt insbesondere für die
Angestellten staatlicher Einrichtungen sowie für Ar-
mee, Polizei und Sicherheitsdienste. Die Arbeitslosig-
keit konnte auf 6 Prozent gesenkt werden, und die
Inflationsrate beträgt nur noch 6,1 Prozent. Im Jahre
2011 konnte ein Haushaltsüberschuss von 0,8 Prozent
erwirtschaftet werden, und die Staatsverschuldung
beträgt insgesamt nur 11 Prozent des Bruttoinlands-
produkts.
Die russische Wirtschaft beteiligt sich inzwischen ak-
tiv an der internationalen Arbeitsteilung. Die Elite des
Landes war noch nie in der Geschichte mit dem Wes-
ten so vernetzt wie heute. Wohlhabende Russen in-
vestieren massiv in westlichen Staaten. Dazu gehören
Beteiligungen und Immobilien genauso wie das Studi-
um des akademischen Nachwuchses an Universitäten
in Westeuropa und den USA.
Kein freier Zugang zu Wirtschaft und Politik
Diese Ergebnisse wurden mit dem nach wie vor beste-
henden postsowjetischen politischen System erreicht,
das auf einem Bündnis zwischen den Sicherheitsorga-
nen, örtlichen Clans und sog. "Oligarchen" besteht. In
diesem System ist der Zugang zu den Märkten und zur
Politik nur für ausgewählte Mitglieder der herrschen-
den Elite möglich. Korruption ist systemimmanent und
wird de facto als legitimes Instrument zur Organisati-
on der Gesellschaft verstanden. In vielen Bereichen
von Wirtschaft und Politik werden Entscheidungen
von einflussreichen Persönlichkeiten ohne Rücksicht
auf die bestehende Rechtsordnung getroffen. Gesetze
und Verordnungen lassen den staatlichen Entschei-
dungsträgern oft große Gestaltungsfreiheit und unter-
stützen damit indirekt die Korruption. Die unangemes-
senen Preise für Lebensmittel und technische Kon-
sumgüter im Vergleich zu Westeuropa sind das Ergeb-
nis einer vom Staat geförderten Monopolbildung so-
wie hoher Barrieren für den Import.
Der Reformstau hat inzwischen dazu geführt, dass die
Wachstumsraten zurückgehen (1. Halbjahr 2012 nur
noch 4,4 Prozent BIP-Wachstum). Gleichzeitig wird
immer massiver vom Europarat angemahnt, dass
Russland die vereinbarten Reformverpflichtungen
nicht erfüllt. Der "arabische Frühling" und die orange-
nen Revolutionen in drei Nachbarstaaten haben dar-
über hinaus zur Verunsicherung der russischen Füh-
rung beigetragen.
Autoritäre Machtstrukturen und Ideologien
Vor diesem Hintergrund hat Präsident Putin die Rede-
und Versammlungsfreiheit im Lande weiter einge-
schränkt. Ausdruck dafür waren Ergänzungen zum
Demonstrations- und NGO-Gesetz sowie neue Regu-
lierungen für Publikationen im Internet. Außerdem
wurden strafrechtliche Konsequenzen für Verleum-
dung in der Öffentlichkeit wieder in die Gesetzgebung
aufgenommen. Diese Tendenzen gipfelten Ende Okto-
ber 2012 in der Verabschiedung eines neuen Gesetzes,
in dem der Straftatbestand des Hochverrats neu ge-
fasst wurde; künftig können Kooperation mit und Be-
ratung von NGO's, die ausländische Finanzhilfe erhal-
ten, als Hochverrat gelten, wenn dies als "gegen die
Sicherheit Russlands gerichtet" eingestuft wird. Mit
den neuen Gesetzen soll vor allem die zunehmende
Protestbewegung in den russischen Großstädten ge-
troffen werden. Weiterhin geht es darum, die opposi-
tionellen Kräfte der Möglichkeit zu berauben, Sponso-
ren im Ausland zu suchen, wenn sie sich nicht offiziell
als ausländische Agenten brandmarken lassen wollen.
Auch ehemalige Reformer haben die Hoffnungen auf
einen schnellen Erfolg ihrer Bemühungen aufgegeben.
Sie sprechen jetzt mit Verweis auf den Nobelpreisträ-
ger Douglass North davon, dass in Russland zunächst
die Voraussetzungen für den Übergang zu einem mo-
Der Wirtschaftsaufschwung der vergangenen Jahre spiegelt sich
auch in der Skyline Moskaus wider (Foto: NVO/Wikipedia )
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FNF International News 2-2012
Freiheit in Transition
dernen demokratischen Staat geschaffen werden
müsse. Dies könne Jahrzehnte in Anspruch nehmen.
Sie fordern vor allem den Aufbau von langlebigen In-
stitutionen, die nicht mehr von Einzelpersonen abhän-
gig sind und setzen sich für ein zunächst nur für die
Eliten zugängiges Rechtssystem sowie unabhängige
Gerichte ein.
Einflussreiche Kreise versuchen inzwischen, undemo-
kratische und antiliberale Ideen zu popularisieren.
Ernsthaft in Erwägung gezogen wird eine Verfas-
sungsänderung mit dem Ziel einer durch die orthodo-
xe Kirche legitimierten autoritären Staatsmacht.
Ebenfalls im Gespräch ist die offene Propagierung des
Polizeistaates unter Bezug auf den radikal-
konservativen deutschen Staatsrechtler Carl Schmitt.
Opposition schwach und gespalten
Keine entscheidenden Impulse sind in naher Zukunft
von der russischen Opposition zu erwarten. Die Mei-
nungsverschiedenheiten zwischen einzelnen Gruppen
sind einfach zu groß, und man kann den Eindruck ge-
winnen, dass in den vergangenen Monaten die libera-
len Kräfte in der Opposition an Einfluss verloren ha-
ben. Es wird schwer sein, die regelmäßigen Demonst-
rationen in den großen Städten aufrechtzuerhalten.
Einziges gemeinsames Ziel der Opposition ist es inzwi-
schen, Präsident Putin zu ersetzen und endlich freie
und gleiche Präsidentschafts- und Parlamentswahlen
durchzuführen. Die Masse der Bürger wird mit diesem
Programm nicht erreicht. Mit Blick auf die neuen Rah-
menbedingungen für die Arbeit von Nichtregierungs-
organisationen in Russland gibt es auch nur sehr be-
schränkte Möglichkeiten, die Opposition durch den
internationalen Dialog für liberale Positionen und eine
stärker sachbezogene Argumentation zu gewinnen.
Liberale Parteien wie die Russian United Democratic
Party (YABLOKO) und die People's Freedom Party
(PARNAS) werden in ihrer Tätigkeit massiv behindert
und haben nur sehr begrenzte Möglichkeiten, liberale
Werte zu propagieren.
Stimmen wirtschaftlicher Vernunft
Ein Hoffnungszeichen war hingegen der Beitritt Russ-
lands zur WTO. Als dessen Ergebnis kann erwartet
werden, dass in Zukunft die Entwicklung des freien
Handels und die Integration Russlands in den Welt-
handel mehr Aufmerksamkeit finden. Zumindest ver-
bal wird von Premierminister Medwedjew inzwischen
anerkannt, dass eine erfolgreiche Entwicklung Russ-
lands ohne die Verbesserung der politischen Rahmen-
bedingungen für in- und ausländische Investoren
nicht denkbar ist. Russland will sich - so der Premier-
minister - in den nächsten Jahren einen deutlich bes-
seren Platz im internationalen Wettbewerb erkämpfen
und konsequent gegen die Korruption vorgehen. Ein
weiteres Ziel sei die Entwicklung des Hochtechnolo-
giesektors und die stärkere Teilnahme Russlands an
der internationalen Arbeitsteilung.
Immer noch geduldet werden deshalb Nichtregie-
rungsorganisationen, die sich aktiv für die Ideale des
klassischen Liberalismus einsetzen. Ein breites Ange-
bot an Literatur und Diskussionsveranstaltungen wie
die traditionellen "Adam Smith Lectures" bieten für
die russischen Liberalen Möglichkeiten, sich zu Wort
zu melden. Mit regelmäßig stattfindenden Liberalen
Klubs in verschiedenen Landesteilen hat hierzu das
"Forum Freier Bürger" mit Unterstützung der Friedrich
-Naumann-Stiftung für die Freiheit in den vergange-
nen Jahren beispielhafte Arbeit geleistet.
Perspektiven der Stiftungsarbeit
Die Friedrich-Naumann-Stiftung für die Freiheit ist
von dem neuen NGO-Gesetz nicht direkt betroffen.
Aus dem Gesetz ergeben sich jedoch für die Stiftung
Anti-Putin-Proteste Anfang 2012 (Foto: Soloschenko)
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FNF International News 2-2012
Freiheit in Transition
Konsequenzen, die aus der Verschlechterung der Be-
dingungen für die Arbeit der politischen Partner gene-
rell resultieren.
Keine der mit der Stiftung kooperierenden NGO's wird
bereit sein, sich als "Auslandsagent" registrieren zu
lassen. Aus dem neuen Gesetz ergibt sich, dass diese
NGO's dann auch keinerlei finanzielle Unterstützung
seitens der Stiftung oder sonstige geldwerte Vorteile
annehmen dürfen. Das hat zur Folge, dass in Zukunft
keine gemeinsamen Veranstaltungen mit diesen Part-
nern mehr durchgeführt werden können. Es wird je-
doch sicher möglich sein, Vertreter der Partner auch
weiterhin zu den Veranstaltungen der Stiftung einzu-
laden. Ebenfalls wenig ermutigend ist die Tatsache,
dass offensichtlich in einigen Landesteilen auch staat-
liche Einrichtungen, die offiziell vom Gesetz nicht be-
troffen sind, angewiesen worden sind, ihre Kontakte
mit ausländischen Partnern einzuschränken.
Inhaltlich wird die Stiftung in den kommenden Mona-
ten ausloten müssen, was unter den neuen Bedingun-
gen noch machbar ist. Bereits jetzt ist abzusehen,
dass Veranstaltungen über die Demokratieentwicklung
im Lande und die Wahrung der Menschenrechte mit
großer Wahrscheinlichkeit zu Konflikten mit den Be-
hörden führen werden. Denkbar ist die Duldung von
Aktivitäten zu wirtschaftspolitischen Themen. Eben-
falls toleriert würde sicher das Engagement zu Fragen
der Kommunalpolitik und der Dialog zwischen ver-
schiedenen ethnischen Gruppen in den Regionen.
Die Optionen für die Stiftungsarbeit werden in hohem
Maße davon abhängen, wie sich in den kommenden
Monaten die innenpolitische Lage in Russland entwi-
ckelt und ob es eine weitere Zuspitzung der Konflikte
mit NATO-Staaten auf der internationalen Ebene gibt.
Bei einer Stabilisierung der Lage ist denkbar, dass die
neuen gesetzlichen Regelungen nur als Drohkulisse
aufrechterhalten und nicht in vollem Umfang umge-
setzt werden.
Zu hoffen ist, dass Russland im eigenen Interesse den
gegenwärtigen Reformstau überwindet und sein in
Teilen beeindruckendes Wirtschaftswachstum fort-
setzt. Dies ist die entscheidende Voraussetzung, um zu
einer der führenden Industrienationen der Welt aufzu-
steigen. Da die Überwindung des Reformstaus aber
aus Sicht des Regimes gesellschaftspolitisch die
"Gefahr" der Öffnung, Pluralisierung und Demokrati-
sierung birgt, verbunden mit der Option des Macht-
verlusts der gegenwärtig herrschenden Eliten, bleiben
große Fragezeichen. Die Maßnahmen der vergangenen
Monate zur Einhegung und Gängelung von Opposition
und Zivilgesellschaft deuten darauf hin, dass die herr-
schenden Eliten dieses Szenario weiterhin mit allen
Mitteln bekämpfen werden.
Dr. Wolfgang John
Interimsprojektleiter Russland (bis 31. Okt. 2012)
FNF Diskussion am 30. Oktober 2012 in Moskau
v.l.n.r. Lilia Schibanova, Gründerin von Golos; Leonid B.,
Dolmetscher; Dr. Rene Klaff, Dr. Wolfgang John,
Julius von Freytag-Loringhoven, FNF
Grafik: TUBS/Wikimedia Commons )
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FNF International News 2-2012
Freiheit in Transition
Vieles weist darauf hin, dass die Bezeichnung
„Arabischer Frühling“ für die historischen Umbrüche
am Süd- und Ostrand des Mittelmeers womöglich ein
wenig voreilig war. Das Begriffspaar impliziert eine
fortschrittliche und positive Richtung, die anfänglich
– in der Stunde des Überschwangs – womöglich ange-
messen erschien, heute, bald zwei Jahre nach dem
Auftakt dieses für die Region beispiellosen Vorgangs,
indes keineswegs ein zutreffendes Attribut darstellt.
Keiner weiß, wo die politische Entwicklung hingehen
wird, erst in Umrissen werden die neuen politischen
Strukturen erkennbar.
Wo Licht ist, fällt auch Schatten. Diese Regel gilt auch
für die arabische Welt. Das wird in den folgenden Bei-
trägen schnell deutlich: während die revolutionären
Veränderungen in Tunesien in eine Richtung gehen,
die – zumindest aus liberaler Sicht – durchaus positive
Züge trägt, ist das Bild in Ägypten – wiederum aus
liberaler Sicht – weitaus weniger rosig. Nur als grau-
sam sind die Entwicklungen in Syrien zu bezeichnen,
die längst zu einem Konflikt mit regionalen und weit-
reichenden internationalen Dimensionen eskaliert
sind.
Welche Freiheit nach dem Frühling? Dies fragen unse-
re Autoren auf den folgenden Seiten. Die kommentie-
renden Anmerkungen zu Tunesien stammen aus der
Feder von Alexander Knipperts in Tunis, mit der Lage
in Syrien setzt sich Ralf Erbel in Amman auseinander
und die Entwicklungen in Ägypten beschreibt Dr.
Ronald Meinardus in Kairo, bei dem auch die Gesamt-
redaktion des folgenden Abschnitts lag.
Am 23. Oktober 2012 jährten sich erstmals die viel
beachteten, ersten freien und fairen Wahlen in Tune-
sien - dem Ursprungsland des regionalen politischen
Wandlungsprozesses, der weltweit bald als „arabischer
Frühling“ mit Spannung – und zunehmend auch mit
Sorge - verfolgt wurde. Auch für die Tunesier selber
war dieser erste Jahrestag ein Moment der Bestands-
aufnahme.
Die Frustration und das „ras-le-bol“ vor allem der jun-
gen Menschen war in seinem Ursprung ein Protest
gegen die wirtschaftliche Aussichtslosigkeit. In den
„vergessenen“ Regionen des Südens und im Landesin-
nern aber bald auch in den Städten begaben sich nach
und nach immer mehr vormals unpolitische oder poli-
tikferne Menschen auf die Straße, um gegen die er-
drückende Perspektivlosigkeit der Diktatur des altern-
den Präsidenten Ben Ali zu demonstrieren. Viele der
Protestierenden waren arbeitslose Akademiker, die an
den Universitäten des Landes gleichsam „geparkt“
wurden – ohne realistische Aussicht auf ein angemes-
senes Auskommen.
Es war aber auch ein „Basta!“ der Intelligentia und der
urbanen Eltern sowie der gebildeten Mittelschicht des
Landes, die sich die geistige und intellektuelle Gänge-
lung durch das Regime nicht länger gefallen lassen
wollte. Sie wollten nicht länger akzeptieren, dass ein-
geführte Bücher strengsten Zollkontrollen unterlagen
und eine offener Diskurs über Politik selbst innerhalb
Welche Freiheit nach dem Frühling? Anmerkungen zu den
historischen Umbrüchen in Tunesien, Ägypten und Syrien
Tunesien im Wandel, oder: Ein Prozess der
kollektiven Ernüchterung
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FNF International News 2-2012
Freiheit in Transition
von Familien nicht möglich war. Man wollte die Dinge
endlich beim Namen nennen können, über das Land
und seine Probleme frei sprechen können – und dabei
nicht den offiziell vorgegebenen Diskurs nachspre-
chen, der – das kam erschwerend hinzu – so offen-
sichtlich an den Realitäten Tunesiens und seiner Men-
schen vorbei ging.
In den tumultösen ersten Wochen und Monaten nach
der Flucht des Diktators, in denen eine Übergangsre-
gierung der anderen folgte, bis am Ende das alte Re-
gime tatsächlich auch aus den Führungsetagen ver-
schwunden und die Einheitspartei RCD aufgelöst war,
waren tausend Träume erlaubt. Und jeder konnte hof-
fen, dass seine ganz persönliche Idee vom neuen Tu-
nesien Wirklichkeit würde: Die jungen Rapper, die aus
der Enttäuschung Musik machten; die Internet-Freaks,
die sich daran machten, die totale Transparenz aller
Informationen zu fordern; die Unternehmer, die das
Ende der Korruption nahen sahen; die Arbeiter, die
endlich einen Job mit Sozialversicherung erhofften;
die Gewerkschaftler, die endlich bessere Löhne sehen
wollten; aber auch die alten (und gelegentlich auch
jungen) Männer, die sich auf die Wiedereinführung
der Vielehe freuten; die Religiösen, die eine freiere
Ausübung ihres Glaubens kommen sahen und eine
strikte Durchsetzung der islamischen Identität erhoff-
ten; die moderne Mittelschicht, die sich eine Öffnung
des Landes und bessere Bildungschancen für ihre Kin-
der wünschte; die Anhänger des ehemaligen Präsiden-
ten Habib Bouguiba, den Ben Ali weiland vom Thron
gestoßen hatte – all diese Menschen mit ihren dispa-
raten Vorstellungen sahen nun die Chance, an die
Macht zu kommen. Und nicht zu vergessen: Dazwi-
schen hofften die vielen Günstlinge des ancien re-
gime, die Mitläufer und Geheimpolizisten, die Spitzel
und die Blockwarte, dass die Revolutionäre sich nicht
an ihnen rächen würden, ja, dass sie womöglich auch
in der neuen Ordnung einen Platz finden würden.
Natürlich war von Anfang an klar, dass sich nicht alle
diese Träume gleichzeitig würden realisieren lassen,
noch mit all den Widersprüchen nebeneinander beste-
hen konnten, weder für das Land als Ganzes, noch für
jeden einzelnen Bürger. In gewisser Weise war der
schönste Tag nach der Revolution der erste Tag nach
dem Umsturz, bevor die harte Arbeit am Kompromiss
begann und die nüchternen und unerbittlichen Gren-
zen der Wirklichkeit – allen voran die widersprüchli-
chen Pläne – dem Machbaren enge Grenzen setzen.
Seitdem „setzt“ sich gleichsam das Land und eine
neue Situation festigt sich, in der viele Träume ent-
täuscht und viele Wünsche weiter nicht realisiert wer-
den.
Im tunesischen Falle heißt das vor allem, dass die
Träume der meisten jungen Menschen unerfüllt ge-
blieben sind. Träume von einer wirtschaftlich erfolg-
reicheren Zukunft sind bislang eher noch zahlreicher
geworden, während das Land immer weiter in eine
wirtschaftliche Schieflage gerät. Auch die totale Öff-
nung ist ein Traum geblieben, wenngleich die Geset-
zestexte ein exemplarisches „Informationsfreiheits-
gesetz“ mit beinhalten, sind die Behörden stur wie eh
und je.
Und langsam schleicht sich die Zensur wieder ein, als
Schere im Kopf, von der islamistischen Regierung und
ihrem Umfeld geschickt geschärft durch direkte und
indirekte Angriffe und Übergriffe auf die Künstler und
die Intellektuellen, die emanzipierten Frauen und die
lebensfrohe Jugend. Manchmal auf der großen Lein-
wand, wenn Medienschaffende und Künstler wegen
„Blasphemie“ öffentlich angefeindet werden, aber viel
öfter im Kleinen, wenn die neuen Herrscher sich den
weiter intakten Apparat der Diktatur zunutze machen,
um Wohltätigkeiten nun an ihre eigenen Anhänger zu
verteilen und der Lebenswandel zum (vorge-
schobenen) Verteilungskriterium wird.
Besonders enttäuscht wurden auch viele Frauen, die
Proteste gegen Ben Ali Januar 2011 (Foto: VOA/Wikipedia)
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FNF International News 2-2012
Freiheit in Transition
sich den Erhalt ihrer umfangreichen gesellschaftlichen
Freiheiten erhofft hatten und nun doch immer öfter
gezwungen sind, einem Bild zu genügen, dass sie lan-
ge abgelegt hatten und überwunden glaubten.
Dieser langsame Prozess vom freien Träumen zur Her-
ausbildung der „Gewinner und Verlierer“ der Revoluti-
on hat auf der politischen Bühne zu einer nachhalti-
gen Polarisierung der Akteure geführt. Waren bei den
Wahlen noch 120 Parteien zugelassen, sind inzwi-
schen drei große Blöcke um die Islamisten (Ennahda),
die Traditionalisten (Nida Tounes) und die Modernis-
ten (Joumhouri, Le Front Populaire) entstanden, von
denen die beiden letzteren sich anschicken, den Is-
lamisten in letzter Minute doch noch die neu gewon-
nene Macht aus den Händen zu reißen. Ob dies ge-
lingt – und auf welche Art und Weise, durch Wahlen,
eine friedliche oder eine gewaltsame Machtübernah-
me –, das ist in zunehmendem Maße Gegenstand von
Spekulationen (und Hoffnungen) all derjenigen, die
sich in dem islamistischen Gesellschaftsmodell nicht
wiederfinden oder schlicht von der gegenwärtigen
Regierung enttäuscht sind.
So bleibt die Transition in Tunesien vor allem ein Pro-
zess der kollektiven Ernüchterung, des Wandels von
Hoffnung zu Sorge und dem schwierigen Lernprozess
hin zur Erkenntnis, dass Freiheit kein einfacher Zu-
stand ist – und vor allem kein dauerhafter. Wenn
nämlich immer mehr Menschen sich enttäuscht von
ihr abwenden und gleichzeitig andere die Gunst der
Stunde für ihre ganz eigenen Interessen nutzen.
Ägypten ist das mit Abstand bevölkerungsreichste
Land der arabischen Welt. Die Menschen am Nil nen-
nen ihre Heimat durchaus unbescheiden Oum al Do-
unia, Mutter der Welt, was heißen soll Bezugs- und
Angelpunkt für alle anderen. In der arabischen Nach-
barschaft ist Ägypten dann auch traditionell nicht zu-
letzt wegen seiner Größe der Trendsetter. Daher ist es
lohnend, nach Kairo zu blicken, wenn die großen Li-
nien der arabischen Entwicklungen sichtbar werden
sollen.
Anderthalb Jahre nach dem Sturz von Hosni Mubarak,
den Journalisten gerne als den letzten Pharao im Land
der Pyramiden bezeichnen, werden die ersten Umrisse
des neuen, post-revolutionären Ägyptens erkennbar.
Das soll keineswegs heißen, der historische Prozess,
der mit der „Revolution vom 25. Januar“ begonnen
hat, sei abgeschlossen; um diesen Endpunkt zu errei-
chen, werden noch Jahre, wenn nicht Jahrzehnte ver-
gehen, meinen die Kenner. Gleichwohl sind, wie ge-
sagt, erste Umrisse, Elemente, Strukturmerkmale der
neuen Ordnung da. Das neue Ägypten ist eindeutig
demokratischer als das alte. Die neuen Machthaber –
sie sind Islamisten und stammen aus dem Schoße der
lange verfemten Muslimbruderschaft – sind durch
freie und faire Wahlen demokratisch legitimiert. De-
mokratie und Dominanz der Islamisten – so lautet auf
den Punkt gebracht die neue politische Gleichung in
Ägypten. Die Nagelprobe, und hier richtet sich der
Blick schon in die Zukunft, steht dem Land noch be-
vor. Es gilt zu beweisen, dass politischer Islamismus
und Demokratie keine Widersprüche sind. Die mit er-
drückender zwei Drittel-Mehrheit regierenden Islamis-
ten müssen in der Praxis erst noch beweisen, dass sie
den Pluralismus respektieren und im neuen Ägypten
Platz sein wird für bürgerliche Freiheiten und Anders-
denkende.
Ein sensibleres Barometer als die wohlklingenden Lip-
penbekenntnisse sind hier die Vorlagen der verfas-
sungsgebenden Versammlung, in der eine Koalition
von Muslimbrüdern und Salafisten den Ton angeben.
Wenn die Ägypten-Kennerin Marina Ottaway vom
Carnegie Endowment in einem Kommentar nun
schreibt, Ägypten kehre nach 18 Monaten langsam zu
„normaler Politik“ zurück, so meint sie die Politisie-
rung der politischen Konflikte, das Ende der Straßen-
politik, die häufig in gewalttätige Straßenkämpfe es-
kaliert ist – mit vielen Dutzenden Toten. Womöglich
ist es verfrüht, in diesem Sinne schon jetzt von einer
Normalisierung der ägyptischen Politik zu sprechen:
die Quasi-Monopolisierung des politischen Entschei-
dungsprozesses durch die Islamisten lässt den Nicht-
Religiösen kaum eine andere Wahl, als auf die Straße
zu gehen. Noch immer finden beinahe jeden Freitag
auf dem Tahrir-Platz Demonstrationen statt. Die Ver-
anstalter nennen diese Kundgebungen großmundig
„Millyonaia“ (Millionen-Marsch); dass in der Tat nur
Ägypten: Noch keine Normalität im Land
am Nil
24
FNF International News 2-2012
Freiheit in Transition
einige Tausend sich versammeln, zeigt zum einen den
fehlenden Realitätssinn, vor allem aber die Politikver-
drossenheit der großen Mehrheit der Menschen.
„Normal“ ist ägyptische Politik auch deshalb nicht –
zumindest nicht in einem demokratischen Sinne –, da
es weder eine gültige Verfassung, noch ein Parlament
gibt. Die von Islamisten dominierte Volksversammlung
hatte der Oberste Militärrat nach einem entsprechen-
den Beschluss des Verfassungsgerichtes kurzerhand
aufgelöst. Seither regiert der Präsident quasi allmäch-
tig per Dekret.
Neben den Islamisten (und ihrem Präsidenten) sowie
dem Militär spielt im Ägypten der unmittelbaren Post-
Mubarak-Phase die Justiz eine wichtige Rolle. Der
Reihe nach: Im Zuge des Sieges der Freiheits- und Ge-
rechtigkeitspartei der Muslimbrüder zunächst bei den
Parlamentswahlen und sodann – im Frühsommer die-
sen Jahres – bei den Präsidentschaftswahlen und der
dann von Mohamed Mursi in einem Überraschungs-
coup vollzogenen Kaltstellung des Militärrates ist ak-
tuell die Judikative die einzige konsolidierte Kraft, die
den Islamisten die Stirn bietet – und das totale
Machtmonopol verhindert.
Die vielen Richter mit samt ihrer Gerichte haben einen
großen Makel. Ihre Macht geht auf die Mubarak-Zeit
zurück, sie gelten mithin als Feloul (Wendehälse) und
sind für viele Revolutionäre der ersten Stunde nicht
bündnisfähig. Für die Islamisten ist die Judikative ein
Dorn im Auge, sie lassen keinen Zweifel, dass sie de-
ren Einfluss zurecht stutzen wollen – zunächst mit der
versuchten, aber alsdann gescheiterten Entmachtung
des Generalstaatsanwaltes, alsdann mit Formulierun-
gen im Verfassungsentwurf, die auf eine Unterstellung
des Verfassungsgerichtes unter den Präsidenten hin-
weisen. Gegen diese Gleichschaltungsbemühungen
regt sich der Widerstand vor allem der säkularen Op-
position. Es ist zur Stunde offen, ob die Islamisten ihre
Macht nutzen werden, um die illiberale Politik notfalls
ohne Konsens durchzupeitschen.
Im Fokus der Aufmerksamkeit (und der politischen
Diskussionen) steht die neue Verfassung, die – so sieht
es der Fahrplan der Transition vor – noch in diesem
Jahr in einem Referendum dem Volk zur Abstimmung
vorgelegt werden soll. Noch ist der Volltext nicht ver-
öffentlicht, doch die umfangreichen Passagen, die in
den Medien dokumentiert sind, lassen eine durchaus
„islamistische“ Handschrift erkennen. Auf jeden Fall ist
der tunesische Verfassungsentwurf, das lässt bereits
ein oberflächlicher Vergleich erkennen, wesentlich
liberaler als der ägyptische Text.
Dass an Artikel 2 der ägyptischen Verfassung von
1971 festgehalten werden würde, demzufolge „der
Islam die Staatsreligion ist, Arabisch die offizielle
Sprache und die Prinzipien der islamischen Scharia die
Hauptquelle der Gesetzgebung (sind)“, daran bestand
niemals ein Zweifel. Selbst die liberalen Parteien
„bekannten“ ich zu diesem Artikel, der die „Identität“
Ägyptens konstitutionell festschreibt. Doch neben die-
sem Eingangsartikel, der die normative Kraft des Fak-
tischen in dieser in hohem Maße islamisierten Gesell-
schaft reflektiert, sind es andere Punkte im Verfas-
sungsentwurf, mit denen sich die nicht-religiösen
Kräfte ganz und gar nicht abfinden wollen – etwa bei
so wichtigen Fragen wie den Frauenrechten, den
Rechten religiöser Minderheiten und der Presse- und
Meinungsfreiheit. In liberaler Sicht leidet der Text da-
runter, dass Grundrechte an mehr als einer Stelle un-
ter den Vorbehalt der Kompatibilität mit der Scharia
gestellt werden. Während all dies für „Liberale“ – un-
ter diesem Sammelbegriff werden im politischen Lexi-
kon des Post-Mubarak-Ägyptens alle nicht-religiösen
Parteien zusammengefasst – nicht akzeptabel ist, hat
die ganz große Mehrheit der Ägypter mit diesen For-
mulierungen und den Bezügen zum göttlichen Recht
des Koran überhaupt kein Problem. Die prinzipielle
Gültigkeit der Scharia ist bei diesen Menschen – und
möglicherweise auch jenseits der Wählerschaft der
islamistischen Parteien – nicht umstritten. Das liegt
vor allem an der tiefen Religiosität der Menschen in
Ägypten (und in weiten Teilen der arabischen Welt),
mit der viele Menschen im säkularisierten, ja geradezu
religionsfeindlichen Westen nicht zurecht kommen.
In der Konsequenz bedeutet dies, dass für die ägypti-
schen „Liberalen“ (in dem oben genannten Sinne), das
Religionsthema dann auch nicht der Angriffspunkt
gegen die Islamisten ist. Hier haben die religiösen Par-
teien die Nase vorne. Der Schwachpunkt, wenn nicht
gar die Achillesverse der regierenden Islamisten ist die
Wirtschaftspolitik. Auch Ägyptens Revolution wurde
angetrieben durch die hungrigen und entrechteten
Massen, die für sich und ihre Kinder ein besseres Aus-
kommen erhofften.
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FNF International News 2-2012
Freiheit in Transition
Die Revolution hat hohe Erwartungen in der Bevölke-
rung geweckt. Diese sind im Zuge der demokratischen
Wahlkämpfe durch die Versprechen der Politiker in
unrealistische Höhen getrieben worden. Der Populis-
mus der Muslimbrüder ist heute, da sie quasi alle
Macht in den Händen halten, eine schwere Hypothek.
Die Besonnenen wissen, dass die Versprechen niemals
erfüllt werden können. Die Frage, die sich stellt: Wie
lange wird es dauern, ehe die um sich greifende Ent-
täuschung in Protest und eventuell gar offene Gewalt
umschlagen wird?
In einem wichtigen Punkt hat die Revolution das Land
und seine Menschen verändert: Die Ägypter haben
ihre Angst, ihren Respekt vor der einst allmächtigen
Staatsmacht verloren. Kaum ein Tag vergeht ohne
Streiks, ohne Aktionen des zivilen Ungehorsams. Diese
Energie in demokratische Bahnen zu leiten und neue
Explosionen der Gewalt zu verhindern, ist die größte
Herausforderung im dem Land, das sich – aus arabi-
scher Sicht nicht unberechtigt – als die „Mutter der
Welt“ versteht.
Syriens Tragödie: Die gescheiterte Transition
Der „Arabische Frühling“ – in keinem Land am südli-
chen und östlichen Rand des Mittelmeeres sind die
mit dieser positiven Titulierung ausgedrückten Hoff-
nungen auf einen friedlichen und demokratischen
Wandel so dramatisch enttäuscht worden wie in Syri-
en: Nirgendwo anders in der arabischen Welt verläuft
der politische Umbruch derart blutig. Die internatio-
nale Gemeinschaft ist sich in Bezug auf die Behand-
lung des Konflikts uneins, die syrische Opposition zer-
splittert. Der Krieg in Syrien entwickelt sich zuneh-
mend zu einem regionalen, ja internationalen Stell-
vertreterkrieg. Bashar Al Assad und seine Unterstützer
kämpfen derweil ums Überleben – in einem Krieg ge-
gen die eigene Bevölkerung.
Syrien steckt in einem Bürgerkrieg. Zehntausende ha-
ben ihn bereits mit dem Leben bezahlt, Hunderttau-
sende sind geflohen, zahlreiche Stätten des Weltkur-
erbes in Aleppo und Damaskus sind zerstört oder be-
schädigt. Von der Arabischen Liga suspendiert, inter-
national weitgehend isoliert und mit Sanktionen be-
legt, innenpolitisch von einer sich zunehmend radika-
lisierenden Opposition bedrängt, begegnen die re-
gimetreuen syrischen Sicherheitskräfte dem Aufstand
des eigenen Volkes mit umso grausamerer Brutalität.
Es ist schwer vorstellbar, dass Präsident Bashar Al As-
sad – trotz des Einsatzes seiner Luftwaffe gegen die
Aufständischen im eigenen Land – die Kontrolle über
Syrien wiedererlangen und sich nach diesen Verbre-
chen am eigenen Volk dauerhaft an der Macht halten
kann.
Nach Ende dieses Konflikts dürfte es Jahre dauern, die
physischen Schäden im Land wieder aufzubauen, noch
schwieriger wird es jedoch sein, die tiefen Gräben in
der Bevölkerung zu überwinden und ein neues, tragfä-
higes und inklusives politisches System zu errichten.
Eine der zentralen Fragen, deren Ausgang maßgeblich
den Charakter des neuen Syriens bestimmen dürfte,
wird die nach einer Dezentralisierung des bislang
zentralistisch regierten Landes sein.
Denn anders als etwa in Ägypten und Tunesien ist das
syrische Volk in zunehmendem Maße entlang gesell-
schaftlicher und konfessioneller Bruchlinien gespal-
ten, die weite Teile der Levante durchziehen. Die
Mehrheit der Syrer sind sunnitische Muslime; das Re-
gime hingegen wird seit dem Putsch von Hafez Al As-
sad im Jahr 1970 von Anhängern der alawitischen
Minderheit dominiert. Unter vielen Alawiten, aber
auch etlichen Christen des Landes, herrscht existenzi-
elle Angst vor der Zukunft ihrer Religionsgemein-
schaften in einem Syrien nach Assad. Das Szenario
einer zukünftigen, von der sunnitischen Bevölkerungs-
mehrheit Syriens dominierten Herrschaft, gegebenen-
falls gar unter Leitung der vielerorts gefürchteten
Muslimbrüder, verbreitet bei diesen Menschen Angst
und Schrecken.
Derweil setzen Syriens Kurden darauf, in einem neuen
Syrien in großer Autonomie in einer eigenen Region
leben zu können, vergleichbar mit ihren kurdischen
Nachbarn im Irak. Hier liegt weiteres Konfliktpotenzi-
al, da türkische Interessen direkt berührt sind.
Indessen nimmt der Konflikt in Syrien zunehmend Zü-
ge eines regionalen Stellvertreterkriegs an. Während
die sunnitischen Ölmonarchien am Persisch-
Arabischen Golf – und ihre Verbündeten in der Türkei
und im Westen – die Opposition unterstützen, kann
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FNF International News 2-2012
Freiheit in Transition
sich das syrische Regime (noch) auf den Beistand des
Iran und der libanesischen Hisbollah verlassen – und
auf diplomatischer Ebene und im Sicherheitsrat der
Vereinten Nationen auch auf die Vetomächte Russ-
land und China.
Sämtliche internationale Vermittlungen sind im Lichte
dieser politischen Gemengelage gescheitert: Zunächst
war es Kofi Annan, der im Auftrag der Vereinten Nati-
onen und der Arabischen Liga vermittelte, nun ist Al
Akhdar Al Ibrahimi an der Reihe, sein diplomatisches
Geschick zu beweisen.
Derweilen wächst die Angst vor einem regionalen Flä-
chenbrand. Grund zur Sorge gaben im Oktober 2012
zunächst die militärischen Auseinandersetzungen an
der syrisch-türkischen Grenze, nachdem zum wieder-
holten Mal Granaten auf türkischem Gebiet einge-
schlagen waren und Zivilisten ums Leben kamen. We-
nig verwunderlich ist, dass bei all der Gewalt die
Flüchtlingsströme aus Syrien in die Nachbarländer
dramatisch angeschwollen sind. Hunderttausende Sy-
rer sind in die Türkei, nach Jordanien und in den Liba-
non geflohen. Im Flüchtlingslager Zaatari nahe der
jordanisch-syrischen Grenze ist das menschliche Elend
derart eklatant und bedrückend sichtbar, dass der Na-
me zu einem Synonym für die humanitäre Katastrophe
geworden ist.
Auch auf den Libanon strahlt der Konflikt aus: am 19.
Oktober 2012 starb in Beirut bei einem Anschlag der
Chef des libanesischen Polizeigeheimdienstes, ein ein-
flussreicher Assad-Gegner. Beobachtern zufolge trägt
das Attentat die Handschrift des syrischen Regimes,
das seit Jahrzehnten die Politik im Libanon erheblich
zu steuern vermag, auch nach seinem militärischen
Abzug aus dem Land 2005.
Angesichts der Gewalt forderten syrische Oppositio-
nelle eine Flugverbotszone und Militärhilfe im Kampf
gegen Präsident Al-Assad. Doch ein weiterreichendes
militärisches Engagement wie etwa in Libyen lehnt die
internationale Gemeinschaft bislang ab. Dies mag da-
mit zusammenhängen, dass die syrische Opposition
zersplittert ist und sich – anders als während des Auf-
standes in Libyen – keine geographisch zusammen-
hängende Region unter der Kontrolle von Aufständi-
schen herausgebildet hat, die zu unterstützen relativ
einfach wäre. Es mag aber auch mit der Sorge vor ei-
nem Flächenbrand in der Region verbunden sein, so-
wie mit innenpolitischen Erwägungen in Zeiten des US
Wahlkampfs.
Die syrische Opposition soll unterdessen von Al-Qaida
nahestehenden Kämpfern unterwandert worden sein.
Am 21. Oktober 2012 veröffentlichten die Behörden
Jordaniens, das bisher seine Grenze zu Syrien gemein-
sam mit Damaskus genau kontrollierte, die Festnahme
von elf Terroristen, die mit Al-Qaida in Verbindung
gebracht werden. Sie sollen in Jordanien massive An-
schläge geplant und die Waffen dazu über die syrische
Grenze geschmuggelt haben. Der Vorfall ist noch mit
einigen Fragezeichen versehen, zeigt aber, dass das
wachsende Chaos in Syrien gefährliche Folgen für die
gesamte Region haben könnte.
Syrien – die Tragödie nimmt ihren Lauf.
27
FNF International News 2-2012
Freiheit in Transition
Europa ist im Umbruch und viele europäische Politiker
formulieren große Ideen für die Zukunft der EU. Sie
setzen die Segel in Richtung einer immer enger wer-
denden politischen Union. Rückenwind für diesen Kurs
kommt vom Friedensnobelpreis-Komitee, das die EU
kürzlich mit der höchsten Auszeichnung für den Frie-
den geehrt hat. Führende Abgeordnete des Europäi-
schen Parlaments werben für ihre Vision der Vereinig-
ten Staaten von Europa. Während, so scheint es, die
Europäer auf dem Kontinent näher zusammenrücken,
gefällt sich ein EU-Mitgliedstaat in der Rolle des ewi-
gen Outsiders, indem er auf Distanz zu Europa setzt:
Großbritannien hat vor kurzem angekündigt, aus der
europäischen Innen- und Rechtspolitik auszusteigen.
Zuvor war in der Presse von einem möglichen EU-
Austritt der Briten zu lesen gewesen, insbesondere die
Regierungspartei Camerons wurde mit derartigen For-
derungen zitiert.1 Seither spielen die Medien nicht
mehr mit dem Austritt Griechenlands, dem „Grexit“,
sondern spekuliere über den „Brexit“. Unnötige Dra-
matik oder realistisches Szenario?
Traditionelle Europaskepsis
Dass die Briten zu den tendenziell integrationskriti-
scheren Nationen zählen, ist nichts Neues. Seit 1984
gibt es den „Britenrabatt“ im EU-Haushalt, den die
damalige Premierministerin Margaret Thatcher unter
dem Motto „I want my money back“ aushandelte und
der im Zuge der Verhandlungen über den Mehrjähri-
gen Finanzrahmen immer wieder zur Sprache kam.2
Später hielten sich die Briten häufig zurück, wenn es
um ein Mehr an politischer Integration in Europa ging.
So traten sie weder dem Schengen-Abkommen, noch
der Eurozone bei. Die euro(pa)skeptische Stimme der
Briten ist in Brüssel erfolgreich institutionalisiert, ins-
besondere im Europäischen Parlament. Seit 2009 gibt
es dort die Allianz der Europäischen Konservativen
und Reformisten (ECR), die mit 52 Abgeordneten nach
den Grünen die fünftgrößte (oder drittkleinste) Frakti-
on bildet. Bezeichnenderweise gehören 25 der ECR-
Abgeordneten den britischen Tories an und waren vor
2009 noch Mitglied der konservativen EPP-Fraktion.
Die Tories stellen auch den ECR-Vorsitzenden Michael
Callanan. Callanan, der im Frühjahr auf einem Podium
der Friedrich-Naumann-Stiftung für die Freiheit kon-
struktive Positionen zum Mehrjährigen Finanzrahmen
vertrat, machte kürzlich von sich reden, als er den No-
belpreis für die EU als „völlig realitätsfremd“ bezeich-
nete.3 Die zur ECR gehörige Parteistiftung, die New
Direction Foundation, steht unter Schirmherrschaft
der „Eisernen Lady“, Margaret Thatcher.4
Die einschlägige Literatur wartet mit psychologischen,
historischen und ökonomischen Erklärungen für das
Phänomen der britischen Europaskepsis auf. Aktuell
hat Roderick Parkes, Leiter des Polnischen Instituts für
Internationale Angelegenheiten in Warschau und vor-
mals Leiter des Brüsseler Büros der SWP, eine lesens-
werte makrosoziologische Analyse vorgelegt. Darin
erklärt er, wie beide Seiten des Ärmelkanals seit Jahr-
zehnten dazu beitragen, ausgerechnet die Briten (und
nicht etwa die Polen oder die Bulgaren) als ewige
Zurück auf die Insel?
Großbritannien setzt auf Distanz zu Europa
1 http://www.economist.com/debate/overview/220 2 Vgl. für die Diskussion um den MFR im Jahr 2005, Stern.de vom
15. Juni 2005 http://www.stern.de/politik/ausland/eu-finanzplan
-finanzstreit-spaltet-ramponierte-eu-541808.html und für die
aktuelle Debatte Welt.de vom 24. September 2012 http://
www.welt.de/wirtschaft/article109436340/EU-Nettozahler-
begehren-gegen-Briten-Rabatt-auf.html
3 Zum Veranstaltungsbericht vom 22. Mai 2012 vgl. http://fnf-
europe.org/2012/05/22/and-when-the-money-keeps-rolling-out
-you-should-ask-how/ und zum Statement zum Nobelpreis vom
12.10.2012 vgl. http://ecrgroup.eu/?p=7289 4 http://newdirectionfoundation.org/content/patron-and-board
28
FNF International News 2-2012
Freiheit in Transition
Outsider zu konstruieren. Auch geschichtliche Überle-
gungen spielen dabei eine Rolle. Für viele osteuropäi-
sche Mitgliedstaaten bedeutete die EU-
Vollmitgliedschaft die erfolgreiche Aufnahme in die
demokratische Familie und damit einen Prestigege-
winn. Demgegenüber mussten sich viele Briten mit
dem EU-Beitritt endgültig von ihrem ehemaligen Sta-
tus als Großmacht verabschieden.5
Seit Mai 2010 übt in Großbritannien eine konservativ-
liberale Regierung den permanenten Spagat zwischen
tendenziell europaskeptischen Tories und weitgehend
europafreundlichen Liberal Democrats. Nachdem das
Regierungsbündnis etwa eineinhalb Jahre im Amt war,
wurde es auf eine harte Probe gestellt. David Came-
ron, der damals bereits unter dem erheblichen Druck
des europakritischen Flügels seiner Partei stand, sagte
in Brüssel „No“ zum europäischen Fiskalpakt. Dies kam
nach allgemeiner Ansicht der europapolitischen Isolie-
rung gleich, worüber sich der liberale Koalitions-
partner unter Führung von Nick Clegg wenig erfreut
zeigte. Als Cameron am Montag nach dem EU-Gipfel
vor das House of Commons trat, um seine Politik zu
rechtfertigen, glänzte der stellvertretende Premier de-
monstrativ mit Abwesenheit. Cleggs leerer Stuhl zeug-
te nicht nur von bitterer Enttäuschung, er gab auch
sofort Anlass für Spekulationen über ein mögliches
Ende des konservativ-liberalen Bündnisses. In den
kommenden Monaten bemühte sich die britische Re-
gierung die Wogen zu glätten, doch seither rumort es
hörbar in der Koalition. Dabei scheiden sich die Geis-
ter stets an der Haltung gegenüber der Europäischen
Union.
Referendum über EU-Austritt?
Im Sommer 2012 wurden
erstmals Überlegungen
über einen möglichen EU-
Austritt Großbritanniens
laut. Hintergrund ist der
im Dezember 2009 in Kraft
getretene Vertrag von Lis-
sabon, der in Artikel 50
erstmals explizit vorsieht,
dass jeder Mitgliedstaat beschließen kann, aus der
Europäischen Union auszutreten. Cameron selbst hat
diese Diskussion beflügelt, indem er verlauten ließ:
„Ich bin nicht gegen Volksabstimmungen in Europa.
[…] Für mich können die beiden Worte ‚Europa‘ und
‚Referendum‘ zusammen gehen.“6 Dabei steckte der
Premier in einem unglücklichen Zwiespalt: Knapp 100
konservative Abgeordnete hatten ihn im Sommer
2012 schriftlich gebeten, eine Volksabstimmung über
den Verbleib der Briten in der Europäischen Union ab-
zuhalten. Davon profitiert im Zweifelsfall natürlich
auch die Labour-Partei, die ihren Teil dazu beiträgt,
das Thema auf der politischen Agenda zu halten. An-
dererseits ist klar, dass die Londoner Finanzindustrie
um ihren Zugang zum Binnenmarkt bangt und daher
einen EU-Austritt unbedingt vermeiden möchte. In
einer europapolitischen Rede am 23. Januar 2013
kündigte Cameron dann ein Referendum im Falle sei-
ner Wiederwahl bis 2017 an. Dies hat die Debatte im
Land und auch auf der europäischen Bühne noch ein-
mal richtig angeheizt. Die öffentliche Meinung ist in
GB aktuell so europaskeptisch, dass die Austrittsbe-
fürworter eine reelle Chance haben könnten.
Ein neuer Deal für London
Eine vergleichsweise neue Besonderheit der britischen
Gesetzgebung ist der so genannte European Union
Act7, der am 19. Juli 2011 mit königlicher Einwilli-
Nick Clegg und David Cameron (Foto: Office of Nick Clegg)
5 Parkes, Roderick 2012: Stuck in the Exit: the Dynamics of Bri-
tish-EU Relations, in: European Policy Analysis, Swedish Insti-
tute for European Policy Studies, 11/2012.
6 http://www.telegraph.co.uk/news/politics/david-
cameron/9367479/David-Cameron-We-need-to-be-clear-about
-the-best-way-of-getting-what-is-best-for-Britain.html
Foto: Holger Lang/Pixelio
29
FNF International News 2-2012
Freiheit in Transition
gung wirksam wurde. Kurz gesagt sieht dieser vor,
dass jede weitere Abgabe britischer Souveränität auf
die europäische Ebene nicht mehr nur durch Parla-
mentsbeschluss wirksam werden kann. Sie muss von
nun an über eine Volksabstimmung legitimiert wer-
den. Vor diesem Hintergrund wird die öffentliche Mei-
nung in Großbritannien zu einer Einflussgröße, mit
der künftig ernsthaft zu rechnen ist. Camerons Strate-
gie scheint aktuell darauf abzuzielen, die europaskep-
tischen bis regelrecht -feindlichen Stimmen zu beru-
higen, indem er einen „neuen Deal“ Londons mit der
EU einfordert. Er will das Verhältnis zur EU neu aus-
handeln und hat dabei neben der Innen- und Rechts-
politik insbesondere die Landwirtschafts- und Fische-
reipolitik im Blick. Der britische Außenminister Willi-
am Hague kündigte in diesem Zusammenhang ein
Mammutprojekt an, das die britische Regierung in den
kommenden zwei Jahren beschäftigen wird: Bis Ende
2014 soll unter Zuarbeit aller Ministerien ein Katalog
erarbeitet werden, der auflistet, welche Kompetenzen
die EU an Großbritannien zurückgeben sollte. Dazu
äußerte sich der Präsident des Europäischen Parla-
ments Martin Schulz: „Wenn Cameron im geltenden
Vertragsrecht beginnt Rosinen zu picken, dann müs-
sen wir uns überlegen, welche Konsequenzen das für
uns als Institution hat. Wer an bestimmten Politiken
nicht mehr teilnimmt, der nimmt auch an der Gesetz-
gebung nicht mehr teil. Wenn man sich zurückzieht,
muss man sich ganz zurückziehen.“8 Noch undiploma-
tischer formulierte der polnische Außenminister seine
Kritik in einer Rede vom 21. September 2012. Bemer-
kenswert unverblümt zerpflückte Sikorski im altehr-
würdigen Blenheim Palace – vor britischem Publikum!
– acht „Mythen über die EU“, die seiner Ansicht die
britische Gesellschaft „verletzlich“ machen.9
Mögliche Szenarien
In einer Studie untersucht der britische, marktwirt-
schaftliche Think Tank Open Europe, wie so ein neuer
Deal für Großbritannien aussehen könnte. Die Autoren
Stephen Booth und Christopher Howard spielen ver-
schiedene Modelle nach dem Vorbild der Schweiz,
Norwegens und der Türkei durch, kommen aber zu
dem Schluss, dass keines dieser Modelle den briti-
schen Bedürfnissen gerecht werde. Die EU-
Mitgliedschaft liege im nationalen Interesse Großbri-
tanniens, aber es lohne, sie neu zu verhandeln. „The
UK should pick and mix“: Die Briten sollten innerhalb
der Zollunion bleiben und sich den Zugang zum Bin-
nenmarkt und den Dienstleistungen bewahren, aber
die „non-trade costs of the EU“ senken. Dazu gehören
alle Zahlungen, welche die gemeinsame Agrar- und
Kohäsionspolitik betreffen (also die größten Posten
des EU-Budgets), sowie der Bereich der Innen- und
Rechtspolitik. Es entbehrt nicht einer gewissen Ironie
und legt den Vorwurf der Rosinenpickerei abermals
nahe, dass im Schlusskapitel als Handlungsempfeh-
lung ausgesprochen wird: „The UK should increase its
presence in the EU institutions at all levels.“
Wenn Europa langfristig zu einem Bundesstaat fort-
entwickelt würde, kommt man nicht um eine Ausei-
nandersetzung mit Großbritannien herum. Die Briten
müssen daher ernsthaft in die Finalitätsdebatte einbe-
zogen werden. Der britische Europaabgeordnete und
erklärte Föderalist Andrew Duff hat dieses Problem
erkannt und schlägt daher von sich aus eine assoziier-
te Mitgliedschaft für die Briten vor. Dafür wäre eine
kleine Vertragsänderung nötig – zwischen Artikel 49
EUV, der den Beitritt zur EU regelt, und Artikel 50, der
sich mit dem Austritt befasst, könnte ein Artikel 49a
stehen, der eine assoziierte Mitgliedschaft definiert.
Der Begriff erinnert an die privilegierte Partnerschaft,
die konservative Kreise schon vor Jahren für die Türkei
in die Debatte einbrachten, um die EU-Voll-
mitgliedschaft vermeintlich elegant zu umgehen. Duff 7 http://www.fco.gov.uk/en/global-issues/european-union/eu-act/ 8 Vgl. Interview vom 17.10.2012 http://www.welt.de/politik/
ausland/article109920107/EU-Parlamentschef-nimmt-die-Briten-
ins-Visier.html
9 http://www.londyn.polemb.net/files/pdf/The%20Blenheim%
20Palace%20Speech-ENG.pdf
30
FNF International News 2-2012
Freiheit in Transition
schlägt vor, die Bedin-
gungen für eine solche
Mitgliedschaft zwi-
schen den EU-
Mitgliedern und dem
jeweiligen Bewerber
auszuhandeln. Duffs
Modell – und hier
liegt wohl der ent-
scheidende Unter-
schied zu den von O-
pen Europe favorisier-
ten Lösungen – impli-
ziert aber nicht unbe-
dingt eine Vertretung in den Europäischen Institutio-
nen: „[O]ne might envisage instead twice yearly mee-
tings of a joint parliamentary committee of the Euro-
pean and Westminster parliaments“, schreibt der Ab-
geordnete.10
Last but not least
Die bestehende Ordnung der Europäischen Union ist
nicht sakrosankt. Stimmen, die das institutionelle
Setup hinterfragen, können und sollen eine Rolle als
Impulsgeber spielen. Wenn die Krise für eine europäi-
sche Finalitätsdiskussion genutzt wird, sollte auch
darüber nachgedacht werden, welche Zuständigkeiten
künftig besser auf nationaler Ebene aufgehoben sind.
So ist insbesondere die aktuelle Form der gemeinsa-
men europäischen Landwirtschaftspolitik und der Ko-
häsionspolitik überdenkenswert. Diese Gedanken fin-
den sich z.B. auch in dem gerade ausgehandelten Koa-
litionsvertrag der liberalen VVD mit der sozialdemo-
kratischen PVdA in den Niederlanden. Die Ideen aus
Großbritannien, sofern sie einer sachlichen Debatte
dienlich und nicht ideologisch überfrachtet sind, soll-
ten daher konstruktiv aufgegriffen werden. Die Speku-
lationen über den Verbleib der Briten in der EU führen
aber zu nichts. Sie mögen die Europaskeptiker kurz-
fristig beruhigen – bei allen anderen verursachen sie
unnötige Panik. Das Thema Volksabstimmung kommt
jetzt, wo Europa nach langer Zeit wieder eine veritab-
le Finalitätsdebatte anpackt, zur Unzeit. Die Briten
manövrieren sich damit ins Aus, während die Europäer
auf dem Kontinent näher zusammenrücken und kon-
struktiv über die Fortentwicklung der politischen Uni-
on nachdenken. Vielleicht kommt die Verleihung des
Friedensnobelpreises in dieser Hinsicht genau zum
richtigen Zeitpunkt und appelliert an das noch beste-
hende Gefühl von Europazugehörigkeit unter den Bri-
ten.
Dr. Ellen Madeker
Director Policy Analysis and Dialogue (bis 31.12.2012) Dialogprogramm Brüssel
10 Duff, Andrew 2012: On Governing Europe, Policy Network and
ALDE, http://www.spinelligroup.eu/wp-content/uploads/2012/09/
A5-On-Governing-Europe-v9FINAL.pdf
Andrew Duff MEP
(Foto: andrewduff.eu)
In eigener Sache: Neuer Webauftritt
Seit 2012 ist das Brüsseler Büro der Friedrich-
Naumann-Stiftung für die Freiheit mit einem neuen,
modernen Webauftritt präsent. Auf www.fnf-
europe.org informieren wir Sie stets aktuell über un-
sere Aktivitäten in der europäischen Hauptstadt und
den Mitgliedstaaten der EU. Darüber hinaus finden Sie
dort Hintergrundpapiere, Berichte aus aktuellem An-
lass und eine Vorstellung des FNF-Teams in Brüssel.
Werden Sie doch auch unser Facebook-Freund unter
FNF Europe!
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FNF International News 2-2012
Freiheit in Transition
Die Geschichte hat gezeigt, dass Transitionsprozesse
vorwärts und rückwärts/reversiv/rückwärtig verlaufen
können. Nach einer Ära turbulenter Diktaturen,
Staatsstreiche und der Einschränkung jeglicher Frei-
heiten, traten die meisten Länder Lateinamerikas vor
30 Jahren den Weg zurück zur Demokratie an. Zuletzt
hatten marxistisch geprägte Guerrillas eine Region
destabilisiert, die bis dahin nicht in der Lage gewesen
war, solide institutionelle Grundlagen zu festigen.
Aber nun erlaubten skeptisch anerkannte politische
Institutionen die Etablierung liberaler Demokratien,
die die Erwartungen der Bürger nach Schutz ihrer
Freiheiten zu erfüllen vermochten.
Gleiches in der Wirtschaft: Die meisten lateinamerika-
nischen Nationen brachten den politischen Willen zu
wirtschaftliche Reformen auf, die Stabilität und
Wachstum förderten, die Sanierung der Haushalte
erlaubten und ausländische Investitionen begünstig-
ten. Für kurze Zeit verspürte man Hoffnung und Opti-
mismus. Rechtsstaatliche Strukturen und die demo-
kratischen Ordnungen konsolidierten sich. Jedoch
wehten in einigen Ländern bald auch wieder andere
Winde, wirtschaftliche Stagnation kehrte zurück.
Paradoxerweise setzten die ersten Veränderungen und
Einschränkungen der Freiheiten in einem der Länder
mit den solidesten demokratischen Institutionen ein,
in Venezuela. Dem Militär Hugo Chávez gelang zwar
der erste Versuch der Machtübernahme 1992 noch
nicht, er verstand es aber, in den Folgejahren Wähler
anzusprechen, die der wirtschaftlichen Misserfolge
überdrüssig waren: Staat und Politiker hatten sich am
Erdöl bereichert. Der erwartete Wohlstand in der Ge-
sellschaft blieb aus. Armut konnte nicht reduziert
werden. Chávez musste lediglich eine Wahl wirklich
gewinnen (1998) und hatte schon die absolute Kon-
trolle über die Staatsgewalten in Händen; in der Folge
etablierte er ein personalisiertes Regime, in dem Ge-
setze beliebig modifiziert werden können und mittels
dessen er auch das Wahlsystem zu seinen Gunsten
manipulieren konnte. So hat Chávez es geschafft, sich
bis heute an der Macht zu halten, „demokratisch“
wiedergewählt wie schon die Caudillos des XIX. Jahr-
hunderts, die hinter demokratischer Fassade autoritär
regierten und keiner gesetzlichen Kontrolle unterla-
gen. Das Drehbuch Chávez‘ umfasst willkürliche Fest-
nahmen (auch von Richtern und Polizeichefs), Enteig-
nungen von Fincas, Gebäuden und Unternehmen, Ein-
schränkungen der Presse- und Meinungsfreiheit ein-
schließlich der Enteignung eines Fernsehsenders, dem
die Erneuerung seiner Lizenzen versagt wurde; dazu
sukzessive Verfassungsreformen, die nunmehr die un-
eingeschränkte Wiederwahl und die Manipulierung
der Wählerverzeichnisse (incl. Zwei Millionen „Geister
-wähler“- „electores fantasmas“) ermöglichen.
Transition in Lateinamerika:
Ein Kontinent der Widersprüche
Transition rückwärts - Der Verlust politi-
scher Freiheiten in Lateinamerika
Wahlplakat Chávez (Foto: Carolina Gómez, ICP Colombia)
32
FNF International News 2-2012
Freiheit in Transition
Gegenwärtig breitet sich Chávez‘ autoritärer Sozialis-
mus des XXI. Jahrhunderts in Ländern wie Bolivien,
Ecuador und Nicaragua aus. Die demokratische Wahl
autoritärer Regierungschefs scheint unaufhaltsam.
Wie Chávez sind auch seine Amtskollegen Morales,
Correa und Ortega Populisten, die sich an der Macht
festsetzen, Presse- und Meinungsfreiheit, wirtschaft-
liche Freiheit und die Unabhängigkeit der Justiz ein-
schränken, Justiz und den Erziehungssektor gleich-
schalten. Ähnliches geschieht in Argentinien. Aber es
besteht Hoffnung, dass die chavistische Transformati-
on zum Stillstand kommen wird. Denn die Demagogen
sind nicht in der Lage, den versprochenen Wohlstand
zu schaffen und sie können sich lediglich durch dikta-
torisches Handeln an der Macht halten.
Es bleibt zu hoffen, dass die Bevölkerungen aller la-
teinamerikanischen Länder – Kuba inklusive – es ver-
mögen, politische Handlungsmöglichkeiten und bür-
gerliche Freiheiten wiederzugewinnen, um ihr Poten-
tial auszuschöpfen und die Entwicklung ihrer Länder
im Sinne von Demokratie, Rechtsstaatlichkeit und
Marktwirtschaft vorantreiben zu können.
Prof. Dr. Carlos Sabino Soziologe und Historiker. Leiter des Masterstudiengangs
„Geschichte“ an der Universität Francisco Marroquín in Guate-
mala, Mitglied des Ehrenvorstandes RELIAL.
In 28 Staaten Lateinamerikas und der Karibik leben
derzeit rund 580 Millionen Menschen. Die G20-
Staaten Brasilien und Mexiko sind die relevanten Ak-
teure in der internationalen Politik. Das wirtschaftli-
che Panorama des Kontinents hat sich längst differen-
ziert. Länder entwickeln sich verschieden und unter-
schiedlich schnell, wir erleben einen Wettbewerb der
Systeme und Modelle.
Wir erleben ein Lateinamerika der „drei Geschwindig-
keiten“: Die Staatengruppe um Venezuelas Präsiden-
ten Chávez hat sich einem „ökonomischen Populis-
mus“ verschrieben, der einer ineffizienten Staatswirt-
schaft huldigt und Unternehmertum entmutigt und
allein von hohen Rohstoffeinnahmen lebt. Eine zweite
Gruppe wird dieses Extrem vermeiden, aber auch nicht
zu mutigen Strukturreformen finden. Eine dritte Grup-
pe wird eindeutiger Gewinner im Wettbewerb der Sys-
teme sein, nämlich die Länder mit hoher wirtschaftli-
cher Freiheit wie Chile, Panama, Costa Rica, El Salva-
dor und Peru. Erfolgreiche wirtschaftspolitische Trans-
formation korreliert mit dem Grad wirtschaftlicher
Freiheit. Aber viele Länder leiden weiterhin unter bü-
rokratischer Schwerfälligkeit, Protektionismus, fehlen-
der Wettbewerbsfähigkeit und der Ineffizienz schwa-
cher Institutionen.
Lateinamerika im “Economic Freedom of the World
Report” des Fraser Institute
Das kanadische Fraser Institute misst in seinem jährli-
chen „Economic Freedom of the World Report“ in 42
Variablen den Grad wirtschaftlicher Freiheit. Der Be-
richt analysiert die Komponenten 1. Staatsgröße ge-
messen an Staatsausgaben und Steuern, 2. Rechts-
staat und Eigentumsrechte, 3. Währungspolitik und
Preisstabilität, 4. Freiheit im Außenhandel und 5. Re-
gulierung von Arbeitsmarkt und Unternehmen.
Der Bericht von 2012 misst wirtschaftliche Freiheit in
144 Ländern, wobei die Länder Lateinamerikas und
der Karibik mit 6,77 Punkten leicht unter dem welt-
Wirtschaftliche Freiheit – Schlüssel zur er-
folgreichen marktwirtschaftlichen Transiti-
on in Lateinamerika
33
FNF International News 2-2012
Freiheit in Transition
weiten Durchschnittswert (6,81 Punkte) liegen. Den-
noch gibt es Länder, die einen Fortschritt erzielen
konnten, Chile (Platz 11), Peru (Platz 26) und Panama
(Platz 34). Zehn weitere Länder der Region genießen
mit Einschränkungen wirtschaftliche Freiheit und vier
weitere (Guyana, Argentinien, Ecuador und Venezuela)
gehören zu den Ländern mit der geringsten wirt-
schaftlichen Freiheit.
Seit 2011 steht Chile an der Spitze der Länderwertung
Lateinamerikas: das Land betreibt eine nachhaltige
Wirtschaftspolitik. Diese basiert auf individuellen Frei-
heiten, offenen Märkten, Reformen des Justizsystems,
dem Schutz von Eigentumsrechten, makroökonomisch
und fiskalisch verantwortungsvolle Politik sichert
langfristig niedrige Inflationsraten und achtet auf fi-
nanzierbare Haushaltsdefizite.
Nach den Befunden des Fraser Institute sind die Län-
der Lateinamerikas mit der besten wirtschaftlichen
Leistung diejenigen, die gemessen am BIP einen nied-
rigen Konsum aufweisen, die wenig in private Ent-
scheidungen eingreifen, die Rechtssicherheit in der
Schlichtung von Auseinandersetzungen zwischen pri-
vaten Akteuren garantieren und die effizient regulie-
ren; dies gilt insbesondere für Panama, Costa Rica,
Chile, Peru, El Salvador, Honduras und - was über-
rascht - Nicaragua. Die folgende Ländergruppe zeich-
net sich durch ein wirtschaftliche Freiheit umfassend
sicherndes Rechtssystem, geschützte und garantierte
Eigentumsrechte, eine unabhängige Judikative aus:
Bahamas, Barbados, Chile, Costa Rica und Uruguay.
Auch weisen sie eine mit der Preisstabilität vereinbare
Währungspolitik auf (besonders Guatemala, Hondu-
ras, Peru, El Salvador und Dominikanische Republik).
Gleichzeitig garantieren sie Freiheiten im Außenhan-
del, haben sie eine frei konvertible Währung und kon-
trollieren nur bedingt Kapitalflüsse und Humankapital
– wie besonders Costa Rica, Chile, Guatemala, Pana-
ma, Peru und Uruguay. Schließlich gibt es in diesen
Ländern nur wenige regulierende Einschränkungen auf
dem Kredit-, Arbeits- und Konsumgütermarkt.
Die Länder Lateinamerikas mit der schlechtesten wirt-
schaftlichen Leistung sind diejenigen mit einer über-
bordenden Staatsquote, einem der wirtschaftlichen
Freiheit und dem Schutz von Eigentumsrechten wenig
angemessenen rechtlichen Rahmen, einer Regierung,
welche die individuellen Freiheiten und Entscheidun-
gen einschränkt, einer mit Preisstabilität nicht verein-
baren Währungspolitik sowie Einschränkungen im Au-
ßenhandel. Regulierungen schränken individuelle, aber
auch unternehmerische Freiheiten und Entscheidun-
gen ein, dadurch steigen jegliche Transaktionskosten.
Deshalb liegen Argentinien, Brasilien, Bolivien, Ecua-
dor, Guyana, Haiti und Venezuela im „Economic Free-
dom of the World Report 2012“ auf Plätzen jenseits
der 100.
Dr. Luz María de la Mora Direktorin von LMM Consulting in Mexiko-Stadt, ehemalige
Staatssekretärin im mexikanischen Wirtschaftsministerium und
Handelsattaché an der Botschaft Mexikos bei der Europäischen
Union. Derzeit Gastdozentin am Centro de Investigación y
Docencia Económicas (CIDE, Mexiko-Stadt) im Bereich
“Internationale Studien”.
Grupo de Países1. Tamaño
del Gobierno
2. Sistema Legal
y Derechos de
Propiedad
3. Política
Monetaria
Sana
4. Libertad en
el Comercio
Internacional
5. Regulación ILEM
América Latina y el Caribe 7.14 4.70 8.13 7.19 6.70 6.77
Mundo 6.42 5.60 8.08 7.02 6.96 6.81
Los 36 mejores del mundo 6.27 7.44 9.37 8.11 7.82 7.80
Fuente: Elaboración propia con información del Economic Freedom of the World, 2012 Annual Report
http://www.freetheworld.com/datasets_efw.html, 2012 dataset [Excel 8.7 MB], (Updated and Revised as of Oct 4, 2012)
Economic Freedom of the World Report, Durchschnitt nach Komponenten und Ländergruppen
Zementfabrik in der Región II de Antofagasta, Chile
(Foto: Matt Hintsa/Flickr)
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FNF International News 2-2012
Freiheit in Transition
Die Brasilianer haben allen Grund zu feiern – aus-
nahmsweise geht es nicht um Karneval und auch
nicht um Fußball. Es geht um viel mehr: 30 Jahre nach
Beendigung der Militärdiktatur und Verabschiedung
der neuen demokratischen Verfassung gewinnt der
brasilianische Rechtsstaat im „größten Korruptions-
skandal in der Geschichte Brasiliens“ (General-
staatsanwalt Gurgel) erstmals die Oberhand über Kor-
ruption und Straflosigkeit. Die unabhängige Presse
und die Zivilgesellschaft sind ihm dabei wichtige Ver-
bündete. Dieser spektakuläre Akt der Herrschaft des
Rechts ist ein Meilenstein in der Transition und Kon-
solidierung der noch jungen Demokratie Brasiliens.
Der Skandal
Der Korruptionsskandal innerhalb der Regierung von
Präsident Luiz Ignácio Lula da Silva und seiner Partei
„Partido dos Trabalhadores” (PT) war bereits 2005 be-
kannt geworden. Es handelte sich dabei um den syste-
matischen Stimmenkauf von Abgeordneten im Bun-
deskongress in den Jahren 2003-2005 zur Sicherung
politischer Mehrheiten für wichtige Gesetzesvorhaben
und damit zur Machtsicherung der PT-Minderheiten-
regierung.
Die monatlichen Zuwendungen („mensalão“) sollen bis
zu 20.000 Reais (ca. 8.000 Euro) pro Abgeordneten
betragen haben, insgesamt sollen mindestens 101,6
Millionen Reais (mehr als 25 Millionen Euro) an Kor-
ruptionsgeldern geflossen sein. Andere Quellen nen-
nen eine Höhe von 55 Millionen Euro. Die Beste-
chungsgelder sollen aus den Gewinnen von Staatsbe-
trieben und öffentlichen Kassen stammen. Sie wurden
über Banken in fiktiven finanziellen Transaktionen ge-
waschen, um Herkunft und Ziel zu verschleiern, und
dann in das Korruptionsnetz geleitet. Dabei waren die
Banco Rural und die Banco do Brasil federführend.
Politisches Erdbeben
Das nach Bekanntwerden ausgelöste politische Erbe-
ben überlebte die Lula-Regierung nur knapp. Mehrere
Abgeordnete und hohe Regierungsmitglieder mussten
ihren Hut nehmen, darunter auch Lulas Kabinettschef
und aussichtsreichster Kandidat für seine Nachfolge,
José Dirceu. Er wurde beschuldigt, Kopf und Drahtzie-
her des Korruptionsnetzwerkes zu sein. Lula selbst
konnte sich nur mit Mühe aus der Schusslinie retten,
wurde aber nur ein Jahr später mit einer komfortabeln
Mehrheit wiedergewählt.
Der Rechtsstaat zeigt seine Zähne
Die Ermittlungen zu dem Korruptionsskandal dauerten
sieben Jahre. Rund 600 Zeugen wurden verhört und
die Anklageschrift wuchs auf stattliche 50.000 Seiten
mit 1.089 Anklagepunkte an. Erst am 2. August 2012
wurde schließlich vor dem Obersten Bundesgericht
Brasiliens (Supremo Tribunal Federal, STF) gegen 38
Personen der politischen und wirtschaftlichen Elite
Brasiliens Anklage erhoben, darunter frühere Minister,
Parlamentarier, Unternehmer und Banker. Niemals
vorher in seiner Geschichte hat das STF gegen führen-
de Vertreter des Landes Anklage erhoben, geschweige
denn, sie verurteilt.
Die Schlüsselfiguren im „Mensalão“-Prozess“ sind das
damalige Führungstrio der PT: José Dirceu
(Kabinettschef von Präsident Lula und dessen recht
Hand), José Genoino (PT-Vorsitzender) sowie Delubio
Soares (PT-Schatzmeister). Alle drei wurden inzwi-
schen von den Richtern des STF für schuldig befunden.
Das Strafmaß beträgt bis zu 23 Jahre betragen. Ex-
Präsident Lula selbst ist nicht angeklagt.
Mensalão: Brasiliens Jahrhundertprozess
Oberstes Bundesgericht, Brasilia
(Foto: Archiv FNF-Brasilien)
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FNF International News 2-2012
Freiheit in Transition
Unterstützung bei der Auflärung
Obwohl acht der insgesamt elf Mitglieder des
Oberstes Bundesgerichtes von Präsident Lula
und Dilma Rousseff berufen worden sind, ließen
sie sich dadurch nicht in ihrem unabhängigen
juristischen Urteil beeinträchtigen und befanden
die PT-Vertreter für schuldig. Allerdings nahm
das STF davon Abstand, Zeugen zu vernehmen,
die den ehemaligen brasilianischen Präsidenten
Lula selbst hätten belasten können.
Als am 3. September im Oberstes Bundesgericht
wegen Pensionierung eines Richters eine Stelle
neu zu besetzen war, widerstand Präsidentin
Dilma Roussef dem Druck aus den Reihen der PT
und vergab den Posten nicht nach politischen,
sondern nach Leistungskriterien an den sehr er-
fahrenen Teori Zavascki, einem langjährigen
Richter am Obersten Gerichtshof.
Die führenden Presseorgane des Landes haben
einen entscheidenden Beitrag zur Aufdeckung
des Skandals geleistet. Trotz heftiger Angriffe
aus den „Mensalão“-Kreisen ließen sie sich
nicht einschüchtern und setzten ihre Recher-
chen und Veröffentlichungen unermüdlich fort.
Die Zivilgesellschaft verfolgt den „Mensalão-
Prozess“ intensiv in den Medien und sorgt für
neue Einschaltrekorde. Die Plenarsitzungen des
STF können auf dessen eigenen Fernseh- und
Radiokanal (TV Justiça und Rádio Justiça) live
mitverfolgt werden. In Demonstrationen vor
dem STF aber auch anderswo wird ihr Ruf nach
Aufklärung unüberhörbar. Dank ihrer Mobilisie-
rung ist inzwischen auch das sog. „Lei de ficha
limpa“ (Gesetz der sauberen Weste) in Kraft, das
allen rechtskräftig verurteilten Kandidaten das
passive Wahlrecht entzieht. Davon waren bei
den Kommunalwahlen im Oktober 2012 auch
einige der „Mensalistas“ betroffen.
Schwächen im politischen System
Der Prozess offenbart auch einige eklatante Schwä-
chen im politischen System Brasiliens, die die Prakti-
ken des „Mensalão“ befördert haben und die Notwen-
digkeit politischer Reformen offenbaren. Hier nur drei
Beispiele:
Das aktuelle Wahlrecht und die unübersichtli-
che Parteienlandschaft führen dazu, dass im
Parlament keine klaren Mehrheiten zustande
kommen und Bündnisse von 20 und mehr Par-
teien notwendig werden.
Es ist Bestandteil der politischen Kultur Brasili-
ens, dass wichtige Posten in der Bundesbehör-
den sowie in den staatlichen und halbstaatli-
chen Unternehmen nach politischen Kriterien
und nicht nach Leistung vergeben werden. Der-
zeit schätzt man die Zahl dieser sog.
„Vertrauensposten“ auf ca. 22.000 von über ei-
ner Million.
Korruption hat in Brasilien systemischen Cha-
rakter, der weit über die PT und den Mensalão
hinausgeht.
Die politische und historische Bedeutung des
"Jahrhundertprozesses“
Der „Mensalão“-Prozess
wird in Brasilien als Test-
fall dafür angesehen, in-
wiefern die demokrati-
schen Institutionen inzwi-
schen stark und unabhän-
gig genug sind, um auch
hochrangige Vertreter der
Elite des Landes zur Re-
chenschaft zu ziehen.
Noch vor 20 Jahren war
dies nicht der Fall: gegen
den damaligen Präsiden-
ten Color de Mello wurde
zwar im Herbst 1992 im
Kongress ein Amtsenthe-
bungsverfahren wegen
Korruption eingeleitet, das als historischer Schritt zur
Konsolidierung der noch jungen Demokratie galt, ei-
nem Gerichtsverfahren musste er sich jedoch nicht
stellen. Die Zeiten haben sich geändert.
Mit Hinblick darauf, dass erstmals eine umfassende
gerichtliche Aufarbeitung stattfindet und die Ange-
klagten tatsächlich mit einer Gefängnisstrafe zu rech-
nen haben, verdient der „Mensalão“-Prozess“ schon
Die Justizia (Bildhauer Alfredo
Ceschiatti) vor dem Oberstem
Bundesgericht, Brasilia
(Foto: Archiv FNF-Brasilien)
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FNF International News 2-2012
Freiheit in Transition
jetzt die Auszeichnung „Meilenstein in der Geschichte
Brasiliens bei der Bekämpfung von Korruption und
Straflosigkeit“. Ihm kommt historische Bedeutung für
die Stärkung und Legitimität der Demokratie und des
Rechtsstaats in Brasilien zu. Glückwunsch!!!
Dr. Gabriele Reitmeier
Projektleiterin Brasilien
Nachdem die Regierung im Oktober 2011 mit 54% in
ihre zweite Amtszeit gewählt wurde, und die Opposi-
tion mit fast 20 Prozentpunkten auf der Strecke blieb,
hat sich die politische Kultur am Rio de la Plata ver-
ändert. Das Demokratieverständnis der Kirchner-
Administration folgt seitdem dem Motto: „Demokratie
ist die Diktatur der Mehrheit“, sie schränkt die Rechte
von Minderheiten immer mehr ein, geht vehement
gegen jegliche Kritiker vor, indem sie die individuellen
wie auch wirtschaftlichen Freiheitsrechte einschränkt.
Besonders eklatant sind die Verletzungen im Bereich
der Presse und Meinungsfreiheit. Dies wird mittlerwei-
le nicht nur von der Opposition kritisiert, fast täglich
finden Demonstrationen statt, an denen sich immer
mehr Bürger beteiligen, auch solche, die bisher der
Kirchner-Administration wohlwollend gegenüberstan-
den. Inwieweit die Opposition aber aus diesem stei-
genden sozialen Protest politisches Kapital schlagen-
und ihn auch organisatorisch nutzen kann, wird die
entscheidende Frage der nächsten Monate sein.
Individuelle Freiheiten sind bedroht
Meinungsfreiheit – Bedrängte Presse und Organisatio-
nen der Zivilgesellschaft
Dem Halbjahresbericht der Organisation „Fundación
Libertad de Expresión + Democracia“ zufolge wurden
im ersten Halbjahr 2012 161 Einschränkungen in der
Ausübung der Meinungsfreiheit verzeichnet. Diese
Einschränkungen umfassen „Übergriffe, Gewalt, Dro-
hungen oder Einschüchterungen gegenüber Journalis-
ten oder Medieneinrichtungen, der eingeschränkte
Zugang zu öffentlichen Informationen sowie von ver-
schiedenen Organisationen beklagte Zensur“. Hinzu
kommen Einschüchterungsversuche gegenüber Orga-
nisationen der Zivilgesellschaft, die Wirtschaftsdaten
- wie etwa die Inflationsrate - analysieren und denen
bei Veröffentlichung ihrer Forschungsergebnisse mit
Geldbußen gedroht wird.
Wirtschaftliche Freiheit: eingeschränkter Zugang zu
Devisen, starke Zollkontrollen und „Steuerverfolgung“
Mittels der „Devisenfessel“ schränkt die Regierung den
Zugang zu ausländischen Devisen für den argentini-
schen Bürger nicht nur ein, sondern hat ihn in Einzel-
fällen auch völlig untersagt – unabhängig davon, ob
das Geld einen kommerziellen Nutzen haben wird oder
zur Anlage gedacht ist. Der nationalen Steuerbehörde
(„Agencia Recaudadora de Impuestos Federal“) wurde
die Aufsicht und die Entscheidungshoheit über den
Devisenkauf zugesprochen. Hinzu kommt, dass die
Regierung versucht, die Ausreise bzw. den Aufenthalt
im Ausland von argentinischen Bürgern einzuschrän-
Argentinien zwischen Hoffnung und
Realität
Demonstration (Foto: Gustavo Ortiz, Clarín)
Cristina Fernández de Kirchner (Foto: Telam)
37
FNF International News 2-2012
Freiheit in Transition
ken, indem auf im Ausland mit Kreditkarten getätigte
Einkäufe zusätzliche Gebühren erhoben werden. Wei-
terhin werden die Zollkontrollen immer weiter ver-
schärft, was das Einführen selbst persönlicher Artikel
erschwert. Die nationale Steuerbehörde ist durch
Überraschungskontrollen auch häufig Regierungs-
instrument zur Einschüchterung und politischen Ver-
folgung von Unternehmen oder Bürgern.
Steigende soziale Unzufriedenheit und Empörung
Massive Proteste gegen die Regierung: der 13. Septem-
ber 2012
Wie eingangs erwähnt, fühlt sich die Zivilgesellschaft
in ihren Freiheiten immer stärker eingeschränkt. Ge-
gen den Verlust ihrer Freiheiten, aber auch gegen Kor-
ruption in der Politik und die intransparente und nicht
korrekte Nutzung öffentlicher Gelder protestierten im
September 2012 bereits zahlreiche Bürger Argentini-
ens in massiven Kundgebungen, zu denen über die
neuen sozialen Medien aufgerufen worden war.
Gleichzeitig, und als Folge der Erschöpfung des Wirt-
schaftsmodells durch hohe Inflationsraten (20 – 25%
jährlich), sorgten die Tarifkonflikte, Entschleunigung
der Wirtschaft und Entlassungen (besonders in der
Automobilindustrie) für immer häufigere Proteste der
Oppositionellen, die in vielen Fällen von der Regierung
unterbunden wurden. Das markanteste Ereignis war
der Generalstreik am 20. November 2012, an dem sich
viele Arbeiter beteiligten.
Die Zukunft und der 7D: kontinuierlicher Druck auf
die Justiz
Am 7. Dezember 2012 (von der Regierung und den
Medien als „7D“ bezeichnet), hätte die Mediengruppe
Clarín laut dem neuen Mediengesetz der Regierung
den Prozess des „Rückgangs der Investitionen“ begin-
nen und sich von einem Teil des Unternehmens tren-
nen müssen. Zwar veranstaltete die Regierung eine
große Kampagne zum 7D, den sie als einen grundle-
genden Meilenstein für die argentinische Demokratie
und als Erfolg ihrer Führung darstellte, jedoch konnte
sie die gerichtliche Auseinandersetzung mit der Medi-
engruppe nicht für sich entscheiden. Denn Clarín war
zuvor eine Verlängerung der Frist zur Umsetzung des
Rückgangs der Investitionen zugesprochen worden.
Die Regierung hatte sich in dieser Angelegenheit die
Unterstützung der öffentlichen Meinung gegen die
Justiz erhofft. Der permanente Versuch der Regierung,
Druck auf die Justiz auszuüben, blieb bis dato erfolg-
los.
Gewaltsames Jahresende: die Rückkehr der Plünde-
rungen
Schließlich muss darauf hingewiesen werden, dass an
verschiedenen Orten des Landes eine Reihe gewaltsa-
mer Plünderungen stattfanden, die wegen ihres Aus-
maßes an Gewalt überraschten und von der Regierung
als Ereignisse verurteilt wurden, die von der Oppositi-
on und Gruppierungen der Regierungspartei organi-
siert worden seien. Diese schweren Beschuldigungen
von Seiten der Regierung schürten politische Ausei-„Fuck you“ (Foto: Fabián Marelli, La Nación)
Demonstration (Foto: Mauro V. Rizzi, La Nación)
38
FNF International News 2-2012
Freiheit in Transition
nandersetzungen. So wehrte sich insbesondere der
Gouverneur der Provinz Buenos Aires, Daniel Scioli,
gegen Aussagen der Regierung, er wolle damit nur
seine Differenzen mit der Präsidentin aufzeigen und
sich als einer der wichtigsten möglichen Nachfolger
im Jahre 2015 in Position bringen.
Schlussfolgerung und Perspektiven für 2013
Das politische Leben wird 2013 durch die Parlaments-
wahlen und das politische Ringen innerhalb der Re-
gierungspartei um die Nachfolge der Präsidentin ge-
prägt sein. Bevölkerung und Wirtschaft leiden an der
auf fast 30% gestiegenen Inflation und an den drasti-
schen Devisenbeschränkungen. Es bleibt freilich der
anhaltende industrielle Aufschwung, der - auch wenn
von allein externen Faktoren begünstigt - die Hoff-
nungen der Regierung auf wirtschaftliche Stabilität
und politische Kontinuität am Leben halten kann.
Die Politik und die politische Klasse in Argentinien
stehen einer Zivilgesellschaft gegenüber, die die Be-
drohung ihrer Freiheiten deutlich spürt, die schlechte
Regierungsführung immer stärker ablehnt und von der
politischen Opposition die baldige Gestaltung einer
demokratischen Alternative erwartet. Bei den Parla-
mentswahlen im Oktober 2013 wird Argentinien am
Scheideweg stehen. Vertieft sich die Autokratie mit-
tels einer Verfassungsreform, die u.a. die uneinge-
schränkte Wiederwahl festschreibt oder vermag es die
Opposition, den Vormarsch gegen die Freiheit zu blo-
ckieren und sich als eigenständige und vor allem rea-
listische demokratische Alternative zu etablieren, um
aus den Präsidentschaftswahlen 2015 als Sieger her-
vorzugehen?
Juan Manuel Agüero
Projektkoordinator Argentinien, FNF
unter Mitarbeit von Marcelo Duclos
Projektassistent Argentinien, FNF
39
FNF International News 2-2012
Freiheit in Transition
Bhutan’s Tryst with Democracy
At a time when countries, especially in parts of Mid-
dle-East Asia and South Asia, were facing severe chal-
lenges in adoption and transition to democracy, Bhu-
tan stood out as an exception. The year 2008 heralded
an era for democratic Bhutan with its first parliamen-
tary elections taking place in March and the Constitu-
tion being signed in July. To rest of the world 2008
appeared as the starting point for Bhutan’s transition
to democracy; however, the institutional processes
towards empowerment of the people began as far
back as the 1980s with the creation of local govern-
ments to manage and implement their own plans and
programs. In the 1990s this process of decentraliza-
tion was taken a notch further from the dzongkhag
(district) level local governments to the gewog (block)
level.1 Following this was the devolution of executive
powers of the Monarch in 1998 to a Council of Minis-
ters elected by the Parliament. And in 2001 a Royal
Edict was issued to draft a Constitution for Bhutan to
pave the way for the transformation of Bhutan’s form
of government from absolute monarchy to a demo-
cratic constitutional monarchy. It is these strategic
democratization processes that ensured the build-up
to the smooth and efficient transition to democracy in
2008. Unlike most other democracies, there was an
absence of a revolution or even a clash of ideologies
in Bhutan, and it was the monarchy that voluntarily
gave up its absolute powers and advocated the adop-
tion of democracy. The monarchy was established in
1907 and prior to that Zhabdrung Ngawang Namgyal
(a political and religious leader) unified the country in
the mid-17th century and he instituted the dual sys-
tem of government - the civil administration was led
by the Druk Desi and the religious affairs by the Je
Khenpo (Chief Abbot). Both were to be under the au-
thority of the Zhabdrung though in practice after his
death in 1651, his reincarnates were under the con-
trol of the Desis and Penlops (regional governors). The
latter would often administer their own districts in
defiance of the authority of the Desis and the country
evolved into semi-independent provinces under the
Penlops. The country during that time was divided in-
to three provinces - East, Central and West with an
appointed Penlop. The districts were headed by
Dzongpons (District Officers). The rise of the
Wangchuk dynasty in 1907 united a fragmented
country and brought it under one unified command
that laid the foundations for peace, stability and se-
curity by ending internal feuding.
Hopes and Reality
A few years prior to 2008, the monarch accompanied
by a few representatives of the Constitution Drafting
Committee held public consultations with people in
each of the 20 dzongkhags—clarifying and answering
Strengthening the democratic process in Bhutan
1 The lowest unit of administration in Bhutan is the gewog/block
level and there are 205 gewogs. Each gewog elects a Gup/head.
There are 20 dzongkhags/districts in the country and each con-
sists of a certain number of gewogs. In each gewogs there is a
Gewog Yargay Tshogchhung (GYT)/Block Development Commit-
tee. The dzongkhags/districts are headed by Governors appointed
by the King on recommendation of the Prime Minister. Amongst
the Gups of a dzongkhag, a Chairperson is elected to head the
Dzongkhag Yargay Tshogdu (DYT)/District Development Commit-
tee and the Governors are members in the DYT. The responsibility
for the development of the districts lies with the Dzongkhag
Yargay Tshogdu. The development planning process in Bhutan
has been decentralised and starts from the gewogs to the dzong-
khags and then to the Central Government for budgetary approv-
al. The planning process is co-ordinated by Gross National Hap-
piness Commission the then erstwhile Planning Commission.
40
FNF International News 2-2012
Freiheit in Transition
various questions. A constant issue that propped up in
almost all the public consultations was “Why the need
to democratize?”. This question was raised within the
contexts of the prevalent situation where people were
happy with the monarchy and that the country and its
people were not yet ready for democracy. His Majes-
ty’s answer to that was the current peaceful situation
was precisely the best time to transition to democra-
cy, and also for the future sustenance of the country
democracy was perhaps the best option of govern-
ance. So in this sense, there was no specific ‘hope’ for
democratic Bhutan before 2008. In fact, rather than
‘hope’ it was with great ‘concern’ and ‘trepidation’
that Bhutan adopted democracy.
In its few years of democracy, Bhutan has had many
positive experiences as well as some challenges. The
fundamental principles of democracy such as the right
to vote were exercised. Through the Election Commis-
sion of Bhutan the citizens were educated of the vot-
ing process, and 80 percent of the registered voters
turned up to vote on the day of the election. The EU
Election Observation Mission stood watch of the 2008
elections in Bhutan as an international observer. In its
final report the EU Mission lauded Bhutan for its suc-
cessful and fair electoral system. There have also been
no conflicting values as a result of democracy. Inher-
ent in the Bhutanese value systems such as aspiration
for freedom and respect for life resonate well with the
fundamental values propagated by democracy. Anoth-
er important criterion of democracy is clear separation
of powers in order to ensure healthy checks and bal-
ances in the system. Since the introduction of democ-
racy, Bhutan has been able to strengthen the process
of establishing and delineating the roles of the execu-
tive, judiciary and legislature, which were created as
entities in the 1960s.
The challenges that Bhutan’s nascent political system
faces can be overcome. One of the hangovers from the
previous system is its overt dependence on individual
personalities for its leaders. While Bhutan’s leaders
have been selfless in their services to the nation, for
democracy to thrive in Bhutan the role of institutions
must be given prominence over individuals. The other
challenge that Bhutan faces is making democracy
participatory. Quite clearly the present government in
Bhutan is grappling with a population questioning its
policies. Within the last few years the government
had to retract or amend some of its policies, for ex-
ample, the ban of tobacco sale and increasing taxes
for import of foreign vehicles. Democratic Bhutan also
witnessed its first peaceful protest from citizens ob-
jecting to the dismal response of the government’s
rescue operation when a couple of school children
were washed away by floods. Part of the government’s
authoritarian behaviour is explainable through the
history of Bhutan’s development. One of the results of
Bhutan’s late entry into development in the 1960s
meant that only a small proportion of its population
had access to Western education. This resulted in the
creation of a centralized public sector with a cohort
of educated elites. Although the public sector in Bhu-
tan played a pivotal role in transforming Bhutan from
one of the least developed countries to a middle-
income country, the bureaucracy has over the years
developed a benevolent attitude towards the larger
uneducated population. Thus an area that Bhutan’s
new democratic system needs to build up is that of
making the processes in decision-making inclusive.
New Political Parties and Issues of the First-Past-
the-Post System (FPTP)
There were only two political parties during the first
democratic elections in 2008, the Druk Phuensum
Tshogpa (DPT) and the People’s Democratic Party
(PDP). But in preparation for the next general elec-
tions in 2013, there is a potential for four new politi-
cal parties to join the fray. As of November 2012 two
new political parties have already registered with the
König Jigme Khesar Namgyel Wangchuck
(Photo: Royal Family of Bhutan/Wikipedia)
41
FNF International News 2-2012
Freiheit in Transition
Election Commission of Bhutan. Such a development
is expected as democracy evolves and provides citi-
zens with the choice of parties with differing mani-
festos. Bhutan has also adopted a first-past-the-post
electoral system (FPTP). Despite its inherent problem
of discouraging the emergence of third parties, Bhu-
tan’s adoption of the FPTP was largely designed not to
keep third parties out of the political process but to
prevent a hung parliament and avoid coalition gov-
ernments. Whether or not the decision to adopt such
a system was the right one remains to be proven, but
based on the first elections, the FPTP has faced some
issues. In the 2008 general elections although PDP
won close to one-third of the popularity votes, how-
ever, in Parliament the party only has two seats
against the 45 seats won by the ruling DPT party. The
FPTP distorted the relationship between seats and the
number of votes and created a highly unrepresenta-
tive Parliament leading to a weak opposition.
The Constitution of Bhutan also provides for two
rounds of elections: the primary round where the two
parties with the highest votes will be selected to con-
test for the general elections at the constituency lev-
el. The elections in 2008 did not provide an oppor-
tunity to determine the advantages or disadvantages
of the two rounds of elections since there were only
two parties eligible to contest. The upcoming elec-
tions in 2013, however, provide Bhutan a test to the
wisdom in having two rounds of elections with more
than two parties vying to run the government. The
main concern at this stage remains largely logistics,
that is, in fielding the candidates for the parties from
the limited supply pool of candidates from the civil
service. Once the first round of elections has been
conducted, tensions are likely to emerge with horse-
trading of candidates between the parties and the
candidates jostling for their constituency’s vote.
Stakeholders in Bhutan’s Democratic Governance
Participative Democracy
In recent times there has been a move towards more
42
FNF International News 2-2012
Freiheit in Transition
participatory forms of decision-making and policy for-
mulation in the advanced democratic countries. Its
advocates argue that deliberative governance process-
es promote collaboration among multiple stakeholders
and public agencies. And that such processes help in
the identification of concerns and objectives, main-
tain accountability, educate citizens and foster under-
standing of competing interests. This interactive gov-
ernance process differs from the traditional public
policy processes where stakeholder participation oc-
curs only after the development of a policy. The stake-
holders often consist of a network of government of-
ficials, businesses representatives, civil society organi-
sations and citizens. These actors operate through in-
formal and formal institutions interdependently to
achieve objectives by collaborating with each other.
In Bhutan the public appears to have been empow-
ered by democracy. There is a certainty in the de-
meanour of the Bhutanese populace that projects a
sense of awareness of their fundamental rights. There
still remains, however, an issue of a fairly low adult
literacy rate in the country. While this may not be an
issue in the next few decades with the increasing en-
rolment and literacy rate amongst the younger seg-
ment of the population, for now a large number of
the rural population rely on their urban network of
friends and relatives for dissemination of information
regarding socio-economic and political developments
in the capital and its implications throughout the
country. Besides the low adult literacy rates, such re-
liance on friends and relatives could also be caused by
the fact that Bhutan is in the early stages of evolution
of democracy. In other countries that are in a similar
phase of transition the role of kith and kin in the
democratic decision making is also dominant. The
other prominent stakeholder is the Bhutanese media.
Although young the independent and privately owned
media agencies are asserting their presence as a cen-
tral source of information on policies and political
issues. Here again, the media is dependent on the
government for its financial sustainability as a major
component of the revenue is through government ad-
vertisements. Topping the dependence on the govern-
ment is the over-bearing attitude of the civil service.
It remains a challenge for other players within the
domain of public policy to grow out of the shadows of
the relatively higher qualified civil servants.
Role of Oversight Agencies and the Gross National
Happiness Commission (GNHC)
The monarchy appoints the Chairperson of the Anti
Corruption Commission and the Election Commission-
er of the Election Commission of Bhutan. These are
constitutional bodies that were established to provide
oversight to the democratic process of Bhutan. These
bodies have demonstrated their autonomous func-
tioning by being non-partisan while dealing with high
profile cases during the elections and while investi-
gating cases that involved politically well-connected
people.
The erstwhile Planning Commission was renamed as
GNHC and is responsible for the planning, co-
ordination and monitoring of the country’s five-year
development planning process in consultation with
government agencies at the central and regional lev-
els including the elected local government units. The
planning process starts from the grassroots at the
block level, gets consolidated at the district level and
at the centre the approval of the national plans, pro-
grammes and budgets are decided. The decentralised
planning process though empowering the grassroots
level still requires capacity and institutional building
support as these are weak due to lack of experience,
education and professional support during the plan-
ning process. The GNHC conducts a mid-term review
of the planning period to assess progress and change
plans and programmes for implementation. The over-
riding development objective of the Government is the
achievement of Gross National Happiness and GNHC
is entrusted with the task of planning and working
towards it.
The relevance of GNHC in the democratic process is
found in its decentralised planning approach. Alt-
hough there are problems of capacity and under-
standing the consultative process right now, in the
long-term with a larger educated populace joining the
local government and with more experience the de-
centralised planning process will be essential for the
evolution and acceptance of the democratic process
in Bhutan by providing a voice and stake in the na-
tional planning for all citizens. GNHC could act as a
catalyst for positive evolution of democracy.
43
FNF International News 2-2012
Freiheit in Transition
Role of Think Tanks in Bhutan
In an ideal democratic system, the public through a
deliberative setting will choose the policies that suit
their needs the best, and will ensure through the elec-
toral process that a government is elected which will
deliver its promises. In the midst of the input-output
policy process, systems of checks and balances such
as the judiciary, legislature and other regulatory au-
thorities have been put into place to guarantee that
governments in power do not abuse their position. The
systems of checks and balances that are put in place
in most democracies, however, are not designed to
ascertain that the right policies are always imple-
mented. Governments can, and often do, get carried
away in implementing policies based on the falsified
assumption that it knows what is best for the public.
The public can use its prerogative to penalize the gov-
ernment by denying them their votes in the next
round of elections. But by then it is often too late, for
the public as well as the government, since the wrong
policies have already been implemented. Therefore for
the government to implement the policies that are
desirable, objective reviews of the policies have to be
made at all stages of the policy process. In addition to
the role of the public and the government in the deci-
sion-making process, this is where the other key
stakeholders - think tanks and media - in democracy
play a crucial role. It is the role of the think tanks and
the media to act as the nation’s conscience and criti-
cally review the government’s actions and inform the
public accordingly.
Except for a fledgling media industry in Bhutan that is
still seeking to establish its role in the public policy
sphere amidst its own set of problems (for example,
financial woes, newsworthiness, management issues),
there is a dearth of other formal channels of express-
ing critical reviews of the government’s policy. To fill
in this void, there is an imminent need for credible
and independent think tanks to be established in the
country. Think tanks play a crucial role in the overall
governance of the country by taking on some of the
following roles and responsibilities. Firstly, they serve
as an informed and independent voice in policy de-
bates through the identification of current domestic
and related-international policy issues. Secondly, they
provide a platform for discourse to take place that
generate various policy-options for the government to
consider and also inform the public through means of
information dissemination.
QED’s2 Role and Input from Potential Partners
As the country treads the path of democracy, Bhutan
has reached a point of its economic and social devel-
opment where the situation now warrants independ-
ent think tanks. The right legislative and policy envi-
ronment has already been facilitated through the
passing of the Civil Society Organization Act in 2008.
All that remains is to put into place think tanks that
seek the betterment of the country through its capa-
bility of bringing to the forefront issues and concepts
of national importance and providing critical and ben-
eficial analysis. It is to fill in this void that QED, one
of the first think tanks in the country, was formed by
a group of diverse, qualified and experienced profes-
sionals and entrepreneurs. It seeks to pursue evidence
-based research, advocate alternate solutions to topi-
cal policies and engage in constructive dialogue to-
wards a consensus on issues that affect the economy,
society and global cooperation. Barely a year old, QED
has made its mark as a credible research organization.
A case to illustrate this point is its appointment as the
advisor to the Bhutan Chamber of Commerce and In-
dustries (BCCI). In its capacity as advisor to BCCI, QED
2QED is a newly established Bhutanese think tank that seeks to
pursue evidence-based research, advocate alternate solutions to
topical policies and engage in constructive dialogue towards a
consensus on issues that affect the economy, society and global
cooperation.
Tashichoedzong, Thimphu, seat of the Bhutanese government
(Photo: Christopher J. Fynn/Wikipedia)
44
FNF International News 2-2012
Freiheit in Transition
conducted a critical review of the currency crisis that
the country faced in the year 2012. Presentations of
the findings were made to the Cabinet Ministers and
private newspapers ran articles based on QED’s find-
ings.
Despite QED’s initial successes there have been chal-
lenges. In its pursuit of providing objective and well-
researched analysis of government policies QED has
strived to maintain its financial independence and
sustainability. A consulting branch within QED has
been created to sustain the not-for-profit think tank
branch of QED. However, opportunities for consultan-
cy firms are limited in the country. Consulting jobs are
offered only by a handful of international institutions
such as the World Bank, ADB and the UN. Where QED
has received support from are its international part-
ners such as the Friedrich-Naumann-Stiftung für die
Freiheit (FNF). It has provided support to help QED
grow into its role as a potential and prominent think
thank in Bhutan. FNF’s critical assistance in the areas
of capacity building and rendering expertise has been
crucial for QED. It is such support from well-
intentioned and reputed international think tanks that
will equip Bhutan’s think tanks to rise up to the role
as an important ingredient in the democratic system. Lhawang Ugyel Lhawang Ugyel is a Founding Partner of QED and is currently
completing his PhD in Public Policy at the Australian National
University in Australia. Sonam Tashi is also a Founding Partner
of QED and completed his Masters in International Development
Studies at Cornell University.
45
FNF International News 2-2012
Freiheit in Transition
Nach zwölf Jahren im Amt wurde der senegalesische
Präsident Abdoulaye Wade von seinem einstigen
Schützling und zugleich größtem Widersacher Macky
Sall als Präsident abgelöst. Die Wahl des liberalen Op-
positionspolitikers im April 2012 steht sinnbildlich für
den Aufschwung des Landes, das ähnlich wie das ang-
lophone Ghana abermals eine demokratische Transiti-
on vollbrachte. Welche Faktoren bilden das Funda-
ment des positiven Wandels im Senegal? Eine detail-
lierte Auseinandersetzung mit dem historischen Pro-
zess, der in Senegal zu einer nachhaltigen Stärkung
der politischen Institutionen führte, ist in zweierlei
Hinsicht hilfreich: Sie offenbart wertvolle Anhalts-
punkte für die Bedingungen erfolgreicher demokrati-
scher Transitionen auf dem afrikanischen Kontinent
und regt dazu an, gegenwärtige politische Entwick-
lungen in Westafrika in Frage zu stellen.
Ähnlich wie Senegal galt Côte d'Ivoire jahrzehntelang
als Beispiel für politische und ökonomische Stabilität.
Ein überraschender Militärputsch am 24. Dezember
1999 beendete den Optimismus und stieß das Land in
einen Bürgerkrieg, an dessen Wunden die westafrika-
nische Nation bis dato leidet.
Als führende Exportnation im frankophonen Westafri-
ka ist die politische Stabilität in Côte d'Ivoire für die
anliegenden Staaten von existentieller ökonomischer
Bedeutung. Die Amtsübernahme von Alassane Drama-
ne Ouattara als vierter Präsident nach der Unabhän-
gigkeitserklärung des Landes im Mai 2011 beendete
de facto den offenen Konflikt zwischen Rebellengrup-
pen aus dem Norden und der Zentralregierung unter
dem ehemaligen Präsidenten Laurent Gbagbo im Sü-
den der Republik.
Zwar wurde die blutige post-elektorale Krise durch die
Überstellung des ehemaligen Präsidenten Laurent
Gbagbo an den Internationalen Gerichtshof in Den
Haag beendet, jedoch hat das Land auch gegenwärtig
noch mit den Folgen der politischen Unruhen zu
kämpfen. Eine Analyse dieser kritischen Situation
muss früher in der Geschichte ansetzen, um die Ursa-
chen der missglückten demokratischen Transition in
Côte d'Ivoire zu beleuchten.
Was sind nun die tieferen Ursachen der gescheiterten
demokratischen Transition in Côte d'Ivoire? Die De-
konstruktion der wertvollen Erfahrungen des Beispiel
Senegal geben Denkanstöße für einen Wandel der
Hierarchie der ivorischen Institutionen. Vor dem Hin-
tergrund, dass die Stabilität des gesamten westafrika-
nischen Subkontinents von der sicherheitspolitischen
und sozialen Stabilität in Côte d'Ivoire abhängt, er-
scheint ein Hinterfragen der gegenwärtigen soziopoli-
tischen Herausforderungen des weltweit führenden
Kakaoexporteurs umso relevanter.
Der wirtschaftliche Boom der Côte d'Ivoire und sei-
ne Folgen
Die Betrachtung der jüngeren Geschichte von Côte
d'Ivoire bis hin zum Militärputsch im Dezember 1999
verdeutlicht, dass die Eliten es nach dem Tode des
langjährigen Präsidenten Felix Houphouet-Boigny im
Jahre 1993 nicht vermocht haben, entstehende politi-
sche Spannungen in einem institutionellen Rahmen zu
kanalisieren. Mit dem Fall des Regimes von Houphou-
et-Boigny brach das System existierender politischer
und ökonomischer Netzwerke teilweise wie ein Kar-
tenhaus zusammen.
Demokratische Transitionen in Senegal und Côte d'Ivoire –
Lehrstücke für Stabilität in Westafrika?
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FNF International News 2-2012
Freiheit in Transition
In den ersten Jahrzehnten nach der Unabhängigkeit
des Landes baute Präsident Houphouet-Boigny ein
Netzwerk auf, das vor allem auf den Export von Ka-
kaoerzeugnissen gestützt war. Das ivorische Wirt-
schaftswunder, das zwischen 1960 und 1979 seine
Blütezeit erlebte, veränderte die sozioökonomischen
Verhältnisse im Land. Die weltweit steigende Nachfra-
ge nach Kakao und die schier unendlichen Bodenres-
sourcen des Landes veranlassten die damalige Regie-
rung zu einer Förderung der Mobilität von Arbeitskräf-
ten aus den Nachbarländern – vor allem aus Burkina
Faso, Mali und Guinea. Jenes führte dazu, dass bis
1979 rund fünfzehn Prozent der ivorischen Bevölke-
rung eine ausländische Staatsbürgerschaft hatten.
Die Expansion der Kakaoproduktion wurde durch die
Änderung des bäuerlichen Bodenrechts im Jahre 1963
weiter vertieft. Durch die Entkoppelung von Erb- und
Eigentumsrecht wurde ruralen Gemeinschaften verbo-
ten, sich dem Verkauf von Ländereien entgegenzustel-
len. Tatsächlich gab es im Gewohnheitsrecht vieler
Gemeinden bis dato keine Möglichkeit, Ländereien
anders zu übertragen als im Wege der Erbfolge. Der
Bruch mit diesen historischen Traditionen führte sehr
früh zu Spannungen innerhalb dieser ländlichen Ge-
meinden. Besonders im Westen des Landes, entlang
der ivorisch-liberianischen Grenze in der Region um
die Stadt Man, aber auch in anderen Teilen des Landes
führte die Rechtsunsicherheit bezüglich des Bodenei-
gentums zu sporadischen lokalen Gewaltausbrüchen.
Der wirtschaftliche Aufschwung, beschleunigt durch
die Expansion der Kakaoproduktion, und der daraus
resultierende erweiterte finanzielle Spielraum der Re-
gierung, erlaubte es Präsident Houphouet-Boigny, die
steigende Intensität der Rivalitäten, die sich auf länd-
licher Ebene immer stärker herauskristallisierten, ef-
fektiv zu unterdrücken. Ethnische Antagonismen wur-
den zu dieser Zeit bewusst durch enge Kooperation
mit einflussreichen lokalen Körperschaften vermin-
dert. Besonders Allianzen mit politischen Persönlich-
keiten und einflussreichen Unternehmern aus den
nördlichen Provinzen des Landes waren der politischen
Elite, die vornehmlich von der ethnischen Gruppe der
Baoulé dominiert war, ein wichtiges Element, um eine
effektive politische Kontrolle über das Staatsgebiet
aufzubauen.
Die Kräfteverhältnisse im Land änderten sich erst, als
der wirtschaftliche Aufschwung durch die Rezession
im Jahre 1979 jäh gestoppt wurde – wovon sich das
Land in der Folge nur schwer erholen sollte. In dieser
Zeit durchlebte die ivorische Gesellschaft einen Um-
bruch. Durch den wirtschaftlichen Aufschwung verän-
derte sich nicht nur die Art des Wirtschaftens in länd-
lichen Gebieten, sondern auch die Lebensweise in vie-
len Gemeinden.
Die allmähliche Industrialisierung von Côte d'Ivoire
hatte nachhaltige Auswirkungen auf die Veränderung
der sozialen Dynamik innerhalb des Landes. Individuen
zog es nun vermehrt in die industriellen Ballungsräu-
me. Durch die erhöhte Mobilität verwischten traditio-
nelle Lebensweisen zusehends, was in vielerlei Hin-
sicht zu einer tiefgreifenden Identitätskrise bei vielen
Individuen führte. Auf der Suche nach neuen sozialen
Anhaltspunkten wurden die verschiedenen Bevölke-
rungsteile mit einem Mangel an Institutionen kon-
frontiert, die als ordnende Akteure der Erosion der so-
zialen Strukturen hätten entgegenwirken können.
Hierbei kommt dem Begriff der Autorität eine beson-
dere Bedeutung zu. Die Präsenz einer Autorität im
Sinne einer dynamischen Zivilgesellschaft hätte das
Potential gehabt, genau die Lücke zu füllen, die durch
die kollektive Identitätskrise in manchen Regionen
aufgerissen wurde. Einflussreiche lokale Körperschaf-
ten versäumten es aber letztlich, als Mediatoren in-
terkommunale Konflikte zu schlichten. Nachdem auch
die materiellen Mittel vieler lokaler Würdenträger
durch die fallenden Rohstoffpreise auf dem Weltmarkt
Félix Houphouët-Boigny
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FNF International News 2-2012
Freiheit in Transition
beschnitten wurden, zerfielen vielerorts die Arrange-
ments, die die schwelenden Konflikte über lange Zeit
erfolgreich gedämpft hatten.
Die gesellschaftliche Instabilität wurde weiterhin ver-
stärkt, als zum Ende der 1980er und zu Beginn der
1990er Jahre eine Welle von gewaltsamen Zusam-
menstößen zwischen Polizeikräften und aufstrebenden
Studentenverbindungen der Opposition die Campus
der ivorischen Universitäten erreichte. Die Kombinati-
on von ländlichen Unruhen, gewaltsamen Universi-
tätsprotesten und dem harten Konkurrenzkampf zwi-
schen Houphouet-Boigny's Nachfolgern Henri Konan
Bédié, Alassane Dramane Ouattara und Laurent Gbag-
bo war der Nährboden für die schleichende Brutalisie-
rung des öffentlichen Lebens.
Da im selben Zeitraum der politische Wettbewerb
durch die Einführung des Mehrparteiensystems ver-
stärkt wurde, befand sich das Land ab 1993 vor der
Implosion. Houphouet-Boigny's Nachfolger Bédié sah
sich vor der Herausforderung, die Machtstellung der
historischen Regierungspartei PDCI konsolidieren zu
müssen und zugleich dem schleichenden Prozess der
Erosion des staatlichen Gewaltmonopols zu begegnen.
Ein tieferes Verständnis der historischen sozialen und
politischen Entwicklungen ist der Schlüssel, um die
gegenwärtige Krise des Landes einordnen zu können.
Die Einführung des Mehrparteiensystems führte
schlussendlich zur Spaltung der Regierungspartei
PDCI. Ein erbitterter Machtkampf zwischen Präsident
Bédié und dem aufstrebenden damaligen Premiermi-
nister Alassane Ouattara, der ein langjähriger Garant
für die Stabilität der Allianz zwischen der PDCI und
den nördlichen, vorwiegend muslimischen Bevölke-
rungsgruppen war, ebnete den Weg in eine blutige
Krise.
Ouattara und weitere einflussreiche Politiker aus dem
Norden des Landes entschlossen sich, die liberale Par-
tei RDR zu gründen, um sich im Vorfeld der Präsident-
schaftswahlen von 1995 von der historischen Regie-
rungspartei PDCI zu emanzipieren. Ferner bildete sich
unter der Führung des Universitätsprofessors Laurent
Gbagbo eine einflussreiche Gruppierung, die vorwie-
gend von Angehörigen des Bété-Volkes dominiert war
und der Front Populaire Ivoirien, einer erst 1990 aner-
kannten sozialistischen Partei, nahe stand. Als Erbe
des blutig niedergeschlagenen Aufstands unter dem
politischen Aktivisten Kragbé Gnabé, der im Jahre
1970 die unabhängige Republik Eburnie ausgerufen
hatte, wurden die politischen Forderungen der Kru-
Bevölkerung im Süden des Landes immer dringlicher.
Die politische Landschaft der Côte d'Ivoire wurde im-
mer stärker zwischen den verschiedenen ethnisch-
legitimierten Gruppierungen aufgerieben.
Das schleichende Zerbröckeln der Vormachtstellung
der Regierungspartei innerhalb des Landes brachte
Präsident Bédié in eine missliche Lage: Wie sollte er
seine eigene Machtposition ausbauen, wenn gleich-
zeitig der globale Fall der Kakaopreise den finanziellen
Spielraum der Partei einschränkten und regionale An-
tagonismen vermehrt zu Tage traten?
Die destruktive Wirkung der 'Ivoirité'-Politik
Die Strategie, die Präsident Bédié anwandte, um den
immensen politischen Druck auf die PDCI abzuwen-
den, war ein Wendepunkt für die gescheiterte Transi-
tion in Côte d'Ivoire. Die Partei verfolgte fortan eine
Politik der Exklusion rivalisierender Gruppen. Dieser
Ansatz wurde nachhaltig von dem Konzept der Ivoirité
geprägt, womit eine Debatte über die 'wahre' Natur
der ivorischen Nation auf die politische Agenda ge-
setzt wurde. Willentlich wurden die Machtstrukturen,
die von Felix Houphouet-Boigny kultiviert wurden,
beseitigt. Präsident Henri Konan Bédié entschied sich
gegen die Konsolidierung der Allianzen mit den ein-
Marktszene in Abidjan
(Foto: Zenman/Wikipedia)
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FNF International News 2-2012
Freiheit in Transition
flussreichen Teilen der nördlichen Provinzen und rich-
tete den Fokus verstärkt auf die Mobilisierung der
südlichen Bevölkerungsgruppen.
Hierbei stehen zwei Dinge sinnbildlich für den durch
Präsident Bédié angestoßenen gesellschaftlichen und
politischen Wandel: Im Jahre 1994 verabschiedete die
ivorische Nationalversammlung eine Reform des
Wahlgesetzes, das die Präsidentschaftskandidatur nur
Personen ermöglichte, deren Eltern ivorischer Her-
kunft waren („Ivorité“). Im Endeffekt zielte dies auf
den Ausschluss Alassane Ouattaras von der Präsident-
schaftswahl 1995. Parallel verfestigte die Wahlrechts-
reform die Polarisierung zwischen den Bevölke-
rungsteilen aus den nördlichen und den südlichen
Provinzen. Diese wurde im Jahre 1998 durch die Re-
form des Bodenrechts sogar weiter gefördert. Die
Wiederherstellung des Prinzips des Erbrechts in Bezug
auf die Übertragung von Landrechten war das letzte
Signal, das den Bruch mit der Ära von Präsident Hou-
phouet-Boigny besiegelte. Die kommunalen Spannun-
gen, die seit Jahrzehnten sporadisch in gewaltsamen
Zusammenstößen aufgebrochen waren, konnten nun-
mehr nur noch schwer von der Regierung kanalisiert
werden.
Die kommunalen Spannungen übertrugen sich auch
unmittelbar auf die ivorischen Streitkräfte. In Zeiten
erhitzter gesellschaftlicher Interaktionen wurden die
steigenden Rivalitäten zwischen verschiedenen ethni-
schen Gruppen auch in der Armee des Landes mani-
fest. Diese Entwicklung wurde weiter dadurch be-
stärkt, dass die drei politischen Hauptakteure Präsi-
dent Bédié und die beiden Herausforderer Alassane
Ouattara und Laurent Gbagbo jeweils versuchten, sich
Sympathien in der Militärhierarchie zu sichern. Allen
war bewusst, dass die Brutalisierung des politischen
Raumes so weit vorangeschritten war, dass das Militär
ein ausschlaggebender Faktor in der Wiederherstel-
lung der politischen Kontrolle über weite Teile des
Landes war.
Die steigenden Spannungen innerhalb der Streitkräfte
alarmierten die Führungsriege der PDCI. Als Reaktion
auf die als ungewiss empfundene Loyalität der hohen
militärischen Hierarchie ordnete Präsident Bédié einen
Wechsel an der Spitze der Armee an. Der Bruch zwi-
schen der Armeeführung und der Regierung wurde vor
allem durch die Degradierung des langjährigen Gene-
ralstabschefs General Robert Guei komplettiert. Guei
hatte sich geweigert, seine Soldaten im Vorfeld der
Präsidentschaftswahlen im Jahre 1995 zur Unterstüt-
zung der Polizeikräfte für die Eindämmung von
(Studenten-)Protesten abzustellen. Letztlich spielte
dann auch das Militär die entscheidende Rolle im
Sturz der Regierung von Präsident Henri Konan Bédié.
Was am 23. Dezember 1999 als vereinzelte Meuterei-
en in Abidjan, Korhogo und Bouaké begann, entwi-
ckelte sich unter der Führung von General Robert Guei
zu einem Militärputsch, der nicht nur die Präsident-
schaft von Henri Konan Bédié beendete, sondern auch
das Ende der 39jährigen Vormachtstellung der Regie-
rungspartei PDCI bedeutete. Im Nachhinein lässt sich
feststellen, dass das Ende der Ära der PDCI auch die
Ursachen für den Ausbruch der Rebellion im Jahre
2002 offenbarte. Die politischen Eliten vermochten es
nicht, die durch die Einführung eines Mehrparteien-
systems zu Beginn der 1990er Jahre aufkommenden
politischen Forderungen und die soziale Mobilisation
in einem institutionellen Rahmen zu kanalisieren.
Deutlich wurde das Scheitern durch die Verrohung der
politischen Kultur in Côte d'Ivoire. Eine wichtige Rolle
spielten die sehr aktiven Studentenvereinigungen, die
sich einer konsequenten Repression ausgesetzt sahen.
Interessanterweise bestand die Militärjunta, die den
Militärputsch maßgeblich vorangetrieben hatte, vor-
nehmlich aus Soldaten, die in den frühen 1990er Jah-
ren in jenen Studentenvereinigungen politisiert wur-
den. Die Tatsache, dass die polizeilichen und rechtli-
chen Repressionsmaßnahmen mit dem Versuch des
Ausschlusses einflussreicher Führungspersönlichkeiten
der Opposition vom politischen Wettbewerb einher-
gingen, löste einen Flächenbrand aus, der sich auf
verschiedenste gesellschaftliche Bereiche auswirkte.
Die geglückte demokratische Transition im Senegal
Ein Vergleich mit der demokratischen Transition im
Senegal ermöglicht es, mehrere Faktoren herauszu-
stellen, die als Erklärung für das gescheiterte Demo-
kratieprojekt in Côte d'Ivoire dienen können. Aus-
gangspunkt der senegalesischen Erfolgsstory ist ein
versuchter Putschversuch im Jahre 1962. Vor dem
Hintergrund eines harten Konkurrenzkampfes zwi-
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FNF International News 2-2012
Freiheit in Transition
schen Präsident Leopold Sedar Senghor und dem da-
maligen Premierminister Mamadou Dia stand die Re-
gierung der erst kürzlich unabhängigen Nation vor
dem Sturz. Erst die Intervention hochrangiger Armee-
funktionäre verhinderte den Sturz der Regierung. Prä-
sident Senghor reagierte prompt auf die fragile politi-
sche Lage und die offensichtlich ungeklärten Macht-
verhältnisse im Land, indem er einen autoritären An-
satz wählte. Fortan existierte im Senegal de facto nur
die Regierungspartei; oppositionelle Bewegungen
wurden konsequent verboten. Die immer intensiver
werdenden Oppositionsproteste zu Beginn der 1970er
Jahre führten jedoch zu einem Umdenken. Die Furcht
vor einem unhaltbaren Ausbruch der politischen Ge-
walt führte 1975 zu einer fundamentalen Neuausrich-
tung des politischen Systems.
Die Einführung des Mehrparteiensystems im Senegal
wurde im Gegensatz zu Côte d'Ivoire somit bereits in
den 1970er Jahren vom damaligen Präsidenten Leo-
pold Sedar Senghor aktiv vorangetrieben. Ohne das
politische Feld des westafrikanischen Staats gänzlich
zu liberalisieren, wurde den politischen Parteien kon-
tinuierlich immer ein wenig mehr Spielraum zuge-
standen. Die kontinuierliche Liberalisierung der politi-
schen Landschaft wurde auch unter Senghors Nach-
folger Abdou Diouf verfolgt. Ohne die Machtstellung
der Regierungspartei Part Socialiste in Frage zu stel-
len, entschied sich Präsident Diouf dazu, die größten
Oppositionsparteien – vor allem die PDS unter Füh-
rung von Abdoulaye Wade – an der Reform des Wahl-
rechts zu Beginn der 1990er Jahre teilhaben zu lassen.
Auch den Medien des Landes wurde kontinuierlich
mehr Freiraum gelassen, kritische Beiträge zu senden.
Diese Maßnahmen führten zu einer merklichen Redu-
zierung politisch motivierter Gewalt im Lande. Ferner
half ein für die senegalesische Politik typisches Instru-
ment die Mobilisierung von oppositionellen Gruppie-
rungen einzudämmen. Es handelte sich um die Koop-
tation von einflussreichen Oppositionsmitgliedern.
Indem aufstrebende Oppositionspolitiker temporär in
den Staatsapparat integriert wurden, gelang es der
sozialistischen Regierungspartei PS unter Abdou Di-
ouf, politischen Widerstand zumindest zeitweise ab-
zumildern. Ein positiver Nebeneffekt, der oftmals ver-
nachlässigt wird, ist die Tatsache, dass die temporäre
Integration von Oppositionspolitikern das politische
Feld zumindest scheinbar offen gehalten hat. Noch
wichtiger erscheint jedoch, dass hierdurch der Opposi-
tion nicht gänzlich der Zugang zu materiellen Res-
sourcen verwehrt blieb.
Nichtsdestotrotz sind die Gründe für die Konsolidie-
rung der politischen Institutionen und vor allem die
Stabilisierung des gesellschaftlichen Zusammenlebens
nicht ausschließlich auf der politischen Ebene zu su-
chen. Ein weiterer Faktor für den geglückten demokra-
tischen Transformationsprozess ist die Rolle der musli-
mischen Sufi-Bruderschaften, die in dem westafrika-
nischen Land eine ungemein wichtige Rolle als soziale
Mediatoren spielen. Die senegalesische Bevölkerung
wurde ähnlich wie die ivorische Gesellschaft ebenfalls
von Modernisierungsprozessen geprägt, die zum Aus-
einanderdriften von traditionellen Lebensräumen
führten. Ein stetiger Zuwachs in urbanen Ballungsräu-
men und der zunehmende Fokus auf industrielle Zen-
tren wie die Hauptstadt Dakar ließen traditionelle
Bindungen aufbrechen und neue entstehen. Diese
strukturellen Veränderungen in der Gesellschaft, die
mit einem Verlust von traditionellen Bezugspunkten
einhergingen, wurden in Senegal jedoch durch andere
Mechanismen begleitet als in Côte d'Ivoire.
Präsident Leopold Sedar Senghor
(Foto: photo(C)ErlingMandelmann.ch)
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FNF International News 2-2012
Freiheit in Transition
Sufi-Bruderschaften als sozioökonomische Mediato-
ren
Anders als in Côte d'Ivoire existiert im Senegal ein im-
plizites System von 'Checks and balances', das als
Auffangnetz für etwaige Spannungen diente. Es han-
delte sich hierbei um eine klare Rollenverteilung zwi-
schen der Regierung, dem Militär und den lokalen
Körperschaften. Die Beziehungen zwischen politi-
schen, militärischen und zivilen Eliten ruhten dem-
nach auf einem Fundament, das die Kompetenzen
zwischen den drei Akteuren klar abgrenzte. Neben den
üblichen Aufgabenbereichen, die auch in anderen
Staaten von der Regierung übernommen wurden,
zeichneten sich im Senegal besondere Aufgabenberei-
che für die Streitkräfte und die lokalen Körperschaften
ab.
Unmittelbar nach der institutionellen Krise zwischen
Präsident Senghor und dem damaligen Premierminis-
ter Mamadou Dia bildete sich in Elitekreisen ein ver-
breiteter Konsens, das Militär aus der Sphäre des poli-
tischen Wettbewerbs gänzlich auszuschließen. So
wurde den Mitgliedern der Streitkräfte das Wahlrecht
entzogen, jedoch parallel Anstrengungen unternom-
men, das Aufgabenfeld des Militärs zu vervielfältigen
und das Prestige des Militärs als Institution hoch zu
halten.
Die vier größten Sufi-Bruderschaften spielen in die-
sem Kontext eine nicht zu unterschätzende Rolle als
strukturierende Elemente innerhalb der Gesellschaft,
aber auch im Verhältnis zur Regierung und zum Mili-
tär. Hierbei sind die wirtschaftlichen Interessen, die
diese religiösen Gruppen besonders im Transportsektor
und in der Erdnuss- und Baumwollindustrie haben,
von besonderer Bedeutung. Daraus resultierte ein vi-
tales Interesse an stabilen politischen Verhältnissen.
Ob ihres weitreichenden Einflusses innerhalb der Ge-
sellschaft waren die Bruderschaften in der Lage, eine
gesellschaftliche Hierarchie in ländlichen Gegenden
zu konsolidieren und darüber hinaus als Mediatoren
von der Regierung sowie von den Streitkräften aner-
kannt zu werden.
Besonders in Bezug auf die sozialpsychologische Sta-
bilität erscheint eine Analyse der Rolle der religiösen
Gruppen im Senegal äußerst interessant. Die sukzessi-
ven Regierungen des Landes haben es weitestgehend
den Sufi-Bruderschaften überlassen, der steigenden
individuellen Unsicherheit in der Gesellschaft zu be-
gegnen. Durch die Einführung von hierarchischen
Strukturen auf der lokalen Ebene wurde in Senegal
erreicht, dass zerfallende traditionelle Verbindungen
aufgefangen und den Bevölkerungen eine stabile al-
ternative Ordnung geboten wurden. Dies führte vor
allem dazu, dass Landstreitigkeiten sich nicht zu Flä-
chenbränden zwischen verschiedenen Gemeinden ent-
wickelten, weil auf lokaler Ebene durchgehend allge-
mein anerkannte Formen von Autorität präsent waren.
Die Stabilität auf lokaler Ebene spielte indirekt auch
eine wichtige Rolle in der Stabilisierung des Militärs.
Ausgehend von der These, dass Mitglieder der Streit-
kräfte keineswegs apolitische und neutrale Akteure
sind, kann man davon ausgehen, dass die sozioökono-
mischen Bedingungen in den Heimatgemeinden der
Soldaten einen ungeahnt großen Einfluss auf die Ko-
häsion innerhalb der Truppe haben. Ohne die Wichtig-
keit von Klientelpolitik für den Senegal zu negieren,
wird doch deutlich, dass die Abtretung von spezifi-
schen Kompetenzen durch die Regierung an nicht-
staatliche Akteure ein bedeutendes Element für die
Stabilisierung einer sich im Umbruch befindenden Ge-
sellschaft war.
Genau in diesem Zusammenhang unterscheiden sich
Côte d'Ivoire und Senegal. Während in Senegal vor
allem nicht-staatliche Akteure den sozialen Moderni-
sierungsprozess begleiteten, entschloss sich der ivori-
sche Präsident Henri Konan Bédié mit Einführung des
'Ivoirité'-Konzepts dazu, diese Lücke durch parteipoli-
tisches Kalkül zu füllen. Die individuelle Unsicherheit,
die vornehmlich in ländlichen Gegenden durch schwe-
lende ethnische und kommunale Konflikte verstärkt
wurde, wurde demnach nicht durch einen dritten Ak-
teur begleitet, sondern zum Zwecke der Machterhal-
tung von politischen Eliten instrumentalisiert.
Das Ergebnis dieser Entwicklung war eine verstärkte
politische und soziale Mobilisierung entlang ethni-
scher Kriterien, die sich über Jahrzehnte langsam auf-
baute und im Dezember 1999 mit dem Sturz von Hen-
ri Konan Bédié auch auf dem obersten Level deutlich
wurde. Die fragile soziale Lage von Côte d'Ivoire ist
somit geprägt durch eine Abwesenheit starker nicht-
staatlicher Akteure, die als Katalysatoren aufkommen-
de Spannungen innerhalb der Bevölkerung entgegen-
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FNF International News 2-2012
Freiheit in Transition
wirken können, ohne in den Verdacht zu kommen,
sich in den Dienst einer bestimmte Bevölkerungsgrup-
pe oder Partei zu stellen.
Côte d'Ivoire zwischen ökonomischer Aufbruchs-
stimmung und Zukunftsängsten
Quo vadis, Côte
d'Ivoire? Die Lehren
aus der Vergangenheit
sollten als Warnung
für den aktuellen Kurs
des Präsidenten
Ouattara dienen. Der
ivorische Präsident
befindet sich in einer
ähnlichen Situation
wie sein Vorgänger
Henri Konan Bédié. Da
ein wirtschaftlicher Aufschwung nur durch eine ge-
wisse politische Stabilität zu erreichen ist, bleibt
Ouattara darauf erpicht, die Rolle seiner Partei, der
RDR, kontinuierlich zu stärken. Zu groß scheint der
Graben zwischen der Regierungspartei und den Anhä-
ngern des geschassten Präsidenten Laurent Gbagbo.
Ein Blick auf die administrativen Strukturen des Lan-
des verdeutlicht jedoch, dass die Regierung unter Prä-
sident Ouattara das Nord-Süd-Gefälle aufrechterhält.
Dieser Ansatz ist nicht ungefährlich. Die jüngsten At-
tacken auf militärische Stützpunkte in der Wirt-
schaftsmetropole Abidjan und entlang der ghanai-
schen Grenze in Noé dienen als alarmierende Beispiele
für die fragile Sicherheitslage des Landes. Einflussrei-
che regierungskritische Hardliner vor allem aus dem
Exil in Ghana und Liberia koordinieren gezielte Atta-
cken, doch fehlen ihnen gegenwärtig die finanziellen
Mittel, um eine groß angelegte Offensive gegen die
Regierung zu starten. Ohne die Einbindung gemäßig-
ter Oppositionsakteure aus dem Süden wird es Präsi-
dent Ouattara schwer haben, den westafrikanischen
Staat nachhaltig zu stabilisieren. Das Land steht somit
vor einem Wendepunkt: Schafft es Präsident Ouattara
den Versöhnungsprozess auch gegen den Willen ehe-
maliger Rebellenführer aus dem Norden durchzuset-
zen, oder verschärft sich das Gefälle zwischen den
beiden Lagern, was langfristig in einem Teufelskreis-
lauf der Gewalt enden könnte? Die Suspendierung von
sieben pro-Gbagbo-Zeitungen im September 2012
beweist, dass die Demokratisierung der Côte d'Ivoire
noch einen langen Weg vor sich hat.
Positiver ist dagegen der Ausblick für den Senegal. Die
gegenwärtig zu beobachtende kontinuierliche Stabili-
sierung der politischen Institutionen gibt allen Anlass
zur Hoffnung, dass nun die Bedingungen für einen
wirtschaftlichen Aufschwung gelegt sind.
Malick Diedhiou ist Absolvent der London School of
Oriental and African Studies (SOAS). Der vorliegende
Text ist eine Zusammenfassung der Ergebnisse seiner
Dissertation vom September 2012.
Übersetzt aus dem Englischen. Alassane Ouattara
(Foto: VOA News, L. Ramirez )
Grafik: Martin23230 /Wikipedia
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FNF International News 2-2012
Freiheit in Transition
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von den Mitarbeitern der FNF aus der jeweiligen Region in deutscher (in Ausnahme-
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