FNF International News 1-2013

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www.freiheit.org FNF International News Das Magazin des Bereiches Internationale Politik Thema: Freiheit in Transition AUSGABE 1 / 2013

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Es war eine denkwürdige Entscheidung: 1963 be-schlossen Kuratorium und Vorstand der Friedrich- Naumann-Stiftung, mit der Errichtung eines Zentrums für Erwachsenenbildung in Tunis/Tunesien das erste Projekt außerhalb Deutschlands zu starten. Mittlerweile arbeitet die Stiftung weltweit mit sieben Regionalbüros und Projekten in über 70 Ländern. Grund genug, 2013 unter dem Motto „Wandel verstehen – Rechte schützen – Zukunft gestalten“ auf 50 erfolgreiche Jahre internationaler Zusammenarbeit zurückzuschauen – aber auch den Blick nach vorn zu richten. Genau diesem Anspruch folgt die vorliegende Ausgabe der FNF International News. Unsere Kolleginnen und Kollegen in den Projektländern berichten über Transitionsprozesse, die beispielsweise in Myanmar und Senegal zu einem Mehr an Freiheit führen. Doch es sind auch gegenläufige Entwicklungen zu schildern, manchmal sogar Anzeichen einer „Transition rückwärts“ wie etwa in Teilen Mittel– und Osteuropas.

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FNF International News

Das Magazin des Bereiches Internationale Politik

Thema: Freiheit in Transition

AUSGABE 1 / 2013

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Editorial

www.freiheit.org

Inhalt

2

Sehr geehrte Damen und Herren,

liebe Freunde der Friedrich-Naumann-Stiftung für

die Freiheit,

es war eine denkwürdige Entscheidung: 1963 be-

schlossen Kuratorium und Vorstand der Friedrich-

Naumann-Stiftung, mit der Errichtung eines Zentrums

für Erwachsenenbildung in Tunis/Tunesien das erste

Projekt außerhalb Deutschlands zu starten. Mittler-

weile arbeitet die Stiftung weltweit mit sieben Regio-

nalbüros und Projekten in über 70 Ländern. Grund ge-

nug, 2013 unter dem Motto „Wandel verstehen –

Rechte schützen – Zukunft gestalten“ auf 50 erfolg-

reiche Jahre internationaler Zusammenarbeit zurück-

zuschauen – aber auch den Blick nach vorn zu rich-

ten.

Genau diesem Anspruch folgt die vorliegende Ausgabe

der FNF International News. Unsere Kolleginnen und

Kollegen in den Projektländern berichten über Transi-

tionsprozesse, die beispielsweise in Myanmar und Se-

negal zu einem Mehr an Freiheit führen. Doch es sind

auch gegenläufige Entwicklungen zu schildern,

manchmal sogar Anzeichen einer „Transition rück-

wärts“ wie etwa in Teilen Mittel– und Osteuropas.

Die Stiftung wird daher auch in den nächsten Jahren

einen wichtigen Beitrag für eine Welt in Freiheit zu

leisten haben.

Ich wünsche Ihnen eine anregende Lektüre.

Ulrich Niemann

Bereichsleiter Internationale Politik

Freiheit in Transition

Demokratische Transformation

und die Interdependenz der Ord-

nungen

Transition schafft Freiheit: Fallbei-

spiele aus Südost– und Ostasien

Transition rückwärts in Mittel-,

Südost– und Osteuropa?

Welche Freiheit nach dem Früh-

ling? Anmerkungen zu den

historischen Umbrüchen in

Tunesien, Ägypten und Syrien

Zurück auf die Insel? Großbritanni-

en setzt auf Distanz zu Europa

Transition in Lateinamerika:

Ein Kontinent der Widersprüche

Strengthening the democratic

process in Bhutan

Demokratische Transitionen in Se-

negal und Côte d'Ivoire – Lehrstü-

cke für Stabilität in Westafrika?

Politische Berichte online

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Freiheit in Transition

Ein allgemeines und immer gültiges liberales Transfor-

mationsmodell kann es aufgrund der Vielzahl histori-

scher, kultureller, geographischer und politischer Un-

terschiede auf dieser Welt nicht geben, wohl aber eine

Sammlung von Erkenntnissen, die auf den Einzelfall

angewendet werden können. Zu diesen Erkenntnissen

gehört die Einsicht von Walter Eucken, dass Ordnun-

gen immer aufeinander bezogen sind. Die politische

Ordnung, die Rechtsordnung und die Wirtschaftsord-

nung sind unabhängig voneinander nicht zu denken.

Zwischen diesen einzelnen Ordnungen besteht eine

Interdependenz, eine gegenseitige Beeinflussung, die

bei allen Transformationsansätzen berücksichtigt wer-

den sollte.

Eucken machte das in seinem

Buch „Grundsätze der Wirt-

schaftspolitik“ etwa an dem

Beispiel fest, welche Wirkun-

gen die Einführung einer Frei-

handelspolitik in ein planwirt-

schaftliches System zeitigt.

Freihandelspolitik führt zu

höherem Wohlstand, wenn sie

aber in ein System eingeführt

wird, dessen Wirtschaft dar-

über hinaus ganz anderen

Prinzipien folgt, wird sie auch

Krisen innerhalb dieses Sys-

tems auslösen. Auf diese Kri-

sen gibt es dann zwei Mög-

lichkeiten zu antworten: Der Freihandel kann wieder

abgeschafft werden, oder das System muss schritt-

weise weiter in Richtung wirtschaftliche Freiheit re-

formiert werden. Diese Interdependenz der Ordnungen

spricht dagegen, dass sich wirtschaftliche und politi-

sche Freiheit dauerhaft voneinander trennen lassen,

wie China es heute versucht. Sie erklärt auch, warum

Reformen oft mit Krisen einhergehen können oder in

vielen Fällen sogar einhergehen müssen, bevor ein

neuer stabiler Zustand erreicht wird. Das zeigt sich

insbesondere auf dem steinigen Weg zur Demokrati-

sierung.

Es gilt als empirisch gesichert, dass Demokratien in

der Regel miteinander keine Kriege führen, doch es

besteht ebenso eine gewisse empirische Basis für die

Annahme, dass im Übergang von einem diktatorischen

Regime zu einem demokratischen System Staaten be-

sonders anfällig für außenpolitische Konflikte sind.

Der Weg von einer mehr oder weniger stabilen Dikta-

tur zu einer stabilen Demokratie ist also in vielen Fäl-

len mit einer Phase größerer innen- und außenpoliti-

scher Instabilität verbunden. Die Demokratisierung

kann dann dazu führen, dass in der Diktatur über

Jahrzehnte durch Repression verdeckte Konflikte auf-

brechen. Dann fehlt es in vielen Fällen noch an dem

funktionierenden institutionellen Rahmen, in dem die-

se Konflikte friedlich und lösungsorientiert ausgetra-

gen werden können. Nach Ralf Dahrendorf ist es aber

genau dieser geordnete Prozess der Konfliktbewälti-

gung, der die Stärke westlicher Demokratien aus-

macht.

Demokratische Transformation und die Interdependenz der Ordnungen

Walter Eucken

(Foto: Walter Eucken

Institut /Wikipedia)

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FNF International News 2-2012

Freiheit in Transition

Gerade aus den Erfahrungen der letzten zehn Jahre

heraus muss daher betont werden, dass Demokratisie-

rung nicht auf eine möglichst zügig durchgeführte

Abstimmung und die Einführung des Mehrheitsprin-

zips reduziert werden darf. Demokratie ist mehr als

nur die Anwendung des Mehrheitsprinzips für die Bil-

dung einer Regierung und das Zustandekommen von

politischen Entscheidungen. Sie steht als Begriff nicht

nur für freie Wahlen, sondern zugleich auch für eine

Verfassung, die Grundrechte garantiert, und einen

Rechtsstaat, der vor Willkür schützt. Demokratie ist

nicht eine Diktatur der Mehrheit, erst recht nicht,

wenn sich diese Mehrheit aus der zahlenmäßigen Do-

minanz einer ethnischen oder religiösen Gruppe

ergibt. Friedrich August von Hayek hat deshalb nicht

von ungefähr einem parlamentarischen Zweikammer-

system den Vorzug gegeben. Ein Senat oder eine föde-

rale Vertretung ist ein zusätzlicher Sicherheitspuffer

gegen Mehrheitsentscheidung auf Kosten von Minder-

heiten und kann die Interessen von Landesteilen oder

Minderheiten sichern, die bei nationalen Wahlen un-

ter die Räder zu geraten drohen. Dass die Schaffung

funktionierender Institutionen und einer stabilen

Marktordnung für die Dauerhaftigkeit einer Demokra-

tie von zentraler Bedeutung sind, zeigt auch das deut-

sche Beispiel.

Nachkriegsdeutschland wurde u. a. von der Regierung

Bush als Beispiel für eine erfolgreiche Demokratisie-

rung und als Vorbild für die Demokratisierung im Irak

herangezogen, zu einer Zeit als die Bush-Regierung

noch mit einem schnellen Abzug nach dem Einmarsch

rechnete. Dabei ist die Erfolgsgeschichte der west-

deutschen Demokratie das genaue Gegenteil einer

überhasteten Einführung des Mehrheitsprinzips. Die

Bundesrepublik Deutschland ist auch deshalb zu ei-

nem Erfolgsmodell geworden, weil die demokratischen

Spielregeln definiert wurden, bevor die ersten freien

Wahlen auf Bundesebene stattfanden. Die Weichen

für das Grundgesetz und die Soziale Marktwirtschaft

waren bereits gestellt. Unter den Besatzungsmächten

hatten sich die neuen demokratischen Parteien etab-

liert und auf Gemeinde- und Landesebene wurden die

demokratischen Prozesse bereits eingeübt. Es gab ein

politisches Personal, das schon vor 1933 in demokra-

tischen Parteien Verantwortung getragen hatte. Mit

Persönlichkeiten wie Adenauer, Heuss und Schuma-

cher konnten deshalb erfahrene Politiker an die Spitze

treten, die den Umgang mit Parteien und demokrati-

schen Institutionen nicht erst zu erlernen brauchten.

Daraus lassen sich die Schlussfolgerunen ziehen, dass

die Schaffung geeigneter Institutionen, das Heranzie-

hen des politischen Personals mit praktischen politi-

schen Erfahrungen und demokratischer Einstellung

und die Etablierung einer Marktordnung, die eine kon-

tinuierliche wirtschaftliche Entwicklung erlaubt, für

dem Demokratisierungsprozess ebenso wichtig sind,

wie die Durchführung der freien Wahlen selbst. Eine

freie Wirtschaft bringt die Mittelschicht hervor, die

die Basis des modernen Parteienwesens und der For-

derung nach Partizipation bildet. Insoweit sind wirt-

schaftliche Reformen als Katalysator für Demokrati-

sierungsprozesse zu sehen. Verbände, Gewerkschaf-

ten, Interessenvertretungen bilden unabhängige Orga-

nisationseinheiten, aus denen Parteien Personal rekru-

tieren und sich den Rückhalt der wichtigsten wirt-

schaftlichen und sozialen Akteure sichern können. Von

großer Bedeutung ist auch der Aufbau demokratischer

Strukturen auf kommunaler und regionaler Ebene,

weil die lokalen Vertretungen und Organisationsfor-

men so etwas wie Schulen für die politische Arbeit auf

nationaler Ebene darstellen.

Die Einführung der Demokratie lässt sich damit nicht

auf einen einzelnen Wahlakt reduzieren, sondern

schließt – soll sie denn langfristig erfolgreich und

dauerhaft sein – eine ganze Reihe institutioneller,

rechtlicher und wirtschaftlicher Reformen mit ein, da

die politische Ordnung nicht getrennt von der Rechts-

und Wirtschaftsordnung behandelt werden kann.

Dr. Gérard Bökenkamp

Liberales Institut

Bildnachweis Titel: Gerd Altmann/Pixlio

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FNF International News 2-2012

Freiheit in Transition

Transition schafft Freiheit: Fallbeispiele aus Südost– und Ostasien

Ein brenzliger Moment: „Wir übergingen die Behörde

und veranstalteten das Filmfestival im Januar 2012

ohne eine Genehmigung, weil wir nicht wollten, dass

auch nur eine einzige Szene der Kurzfilme zensiert

wird. Die Zensurbehörde schritt nicht ein. Es kamen

Tausende von Besuchern“, so Zarganar, der Initiator

des Freedom Film Festivals. Das war eine riskante Ent-

scheidung, denn der bekannteste politische Komiker

und Satiriker Myanmars wurde erst im Oktober 2011

aus der Haft entlassen. Insgesamt hatte er elf Jahre in

politischer Gefangenschaft verbracht. Die Stiftung für

die Freiheit unterstütze die Gewinner des Festivals

durch die Möglichkeit weitere Filme zu produzieren.

Die schrittweise Lockerung der Pressefreiheit seit

2011 bietet ein gutes Beispiel für den Transformati-

onsprozess des Landes, der noch am Anfang steht. Im

August 2012 wurde das Mandat der Zensurbehörde

beschnitten, Ende Januar 2013 wurde die Behörde

nun abgeschafft. Die Erleichterung der Medienfreiheit

ist ein bedeutender Schritt in die richtige Richtung, es

müssen aber weitere folgen. Die Tatsache, dass die

alten repressiven Mediengesetze weiterhin bestehen,

führt bei vielen noch zur Selbstzensur.

Myanmar galt bis vor kurzem als eines der unfreisten

Länder weltweit. Seit der gewaltsamen Niederschla-

gung der demokratischen Bewegung 1988 wurden

Tausende von Sympathisanten verhaftet und gefoltert.

Bei politischem Engagement ist das Risiko nicht uner-

heblich und wie bei jeder politischen Transition ist

Unsicherheit ein Hauptmerkmal.1 Umstritten sind

nicht nur politische Inhalte, sondern auch das Regel-

werk, nach denen sie ausgehandelt werden. Es ist un-

klar, wie weit man das Regime herausfordern kann,

ohne ernsthafte Konsequenzen befürchten zu müssen.

Genau wie Zarganar testen seit der Öffnung Myan-

mars im Jahr 2011 viele Akteure die Grenzen der neu

gewährten Freiheiten und helfen dabei, sie zu weiten.

Seien es Journalisten, friedliche Demonstranten, Par-

In Myanmar die Grenzen der Freiheit testen

1 Larry Diamond: The Need for a Political Pact. In: The Opening in

Burma, Journal of Democracy, Volume 23, Number 4, October

2012. Der Künstler Zarganar—nach seiner Freilassung—

zu Besuch im FNF-Büro Bangkok (Foto: FNF)

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FNF International News 2-2012

Freiheit in Transition

lamentarier, Gründer von Organisationen der politi-

schen Bildung oder von Gewerkschaften.

Zusammen mit Zarganar wurden zunächst lediglich

die bekanntesten politischen Häftlinge entlassen.

Mittlerweile sind es über 1.500. Dennoch sind nach

unterschiedlichen Schätzungen und Definitionen noch

immer zwischen rund 100 und 700 politische Gefan-

gene inhaftiert. Ihre Entlassung stellt einen der wich-

tigsten Beweise für die Ernsthaftigkeit der Reform-

bemühungen dar. Es ist aber nur eine von zahlreichen

Veränderungen seit der wegweisenden Antrittsrede

von Präsident Thein Sein im März 2011. In einem von

vielen Beobachtern als historisch bezeichneten Pro-

zess treibt er parallele sowohl politische als auch

wirtschaftliche Reformen voran. Nach fast 50 Jahren

Militärherrschaft, deren Abschottung gegenüber der

Welt zunächst selbst gewählt und seit ihrem langsa-

men Öffnungsprozess Anfang der 90er Jahre durch

Sanktionen des Westen forciert war, ist der Reformbe-

darf enorm. In Myanmar müssen sehr viele Fragen neu

ausgehandelt werden. Larry Diamond, einer der füh-

renden Demokratieforscher, geht deshalb davon aus,

dass der Transitionsprozess mindestens so schwer

werden wird wie in Südafrika und schwerer als die der

letzten 40 Jahre in Südeuropa oder Lateinamerika.

Es ist eine von oben gelenkte Transformation, deren

Ausgang noch nicht ausgemacht ist. Sie wurde einge-

leitet vom späten Militärdiktator Than Shwe, im Jahr

2008 begonnen mit einem absurden Verfassungsrefe-

rendum und 2010 zutiefst unfairen und unfreien Par-

lamentswahlen. Keiner hätte erwartet, dass Than

Shwes Generäle, die er an Schlüsselpositionen setzte,

die Ambiguitäten des neuen Systems so reformfreudig

interpretieren würden. Auch sie gehen ein hohes poli-

tisches und persönliches Risiko ein. Der Rücktritt des

reformkritischen Vizepräsidenten im Mai diesen Jahres

und die Kabinettsumbildung Ende August stärken

ihnen zwar den Rücken, dennoch bleiben nach wie vor

auch Hardliner in wichtigen Funktionen.

In Myanmar fehlen zwar viele Faktoren, die bislang

mit erfolgreichen Demokratisierungsprozessen ver-

bunden werden, dennoch gibt es deutliche Lichtblicke:

Erstens hat das Land mit der Nobelpreisträgerin Aung

San Suu Kyi eine außergewöhnliche Oppositionsführe-

rin. Zweitens schufen fast fünf Jahrzehnte der Militär-

diktatur eine starke Sehnsucht nach politischen Ver-

änderungen. Die Nachwahlen zum Parlament im April

2012 zeigten dies deutlich. Es waren die ersten relativ

freien und fairen Wahlen seit 1960, deren Ergebnis

von der Regierung anerkannt wurde. Selbst die Beam-

ten der Hauptstadt wählten mit großer Mehrheit Aung

San Suu Kyis Partei, die National League for De-

mocracy (NLD). Drittens wächst gerade eine mutige

und passionierte Zivilgesellschaft heran, die versucht

auf die Entstehung des neuen Regelwerkes Einfluss zu

nehmen und eine kritische Diskussionskultur zu erwe-

cken.

Die Kultur des Aushandelns politischer Kompromisse

ist vielen in Myanmar noch fremd. Jetzt besteht die

Möglichkeit, jenseits von Schwarz-weiß-denken die

vielen Grautöne des politischen Dialogs kennen zu

lernen und zu beeinflussen. Min Ko Naing, der 1988

den Studentenaufstand anführte und als einer der

einflussreichsten Oppositionsfiguren gilt, sagte im Au-

gust 2012 auf einer öffentlichen Veranstaltung in

Myanmar hat noch viele Probleme: Kinderarbeit beim

Straßenbau in Manday (Foto: M. Kleine-Brockhoff)

Aung San Suu Kyi, die Generalsekretärin

der NLD, mit Anhängern (Foto: NLD)

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FNF International News 2-2012

Freiheit in Transition

Yangon: „Wir haben eine Revolution vorbereitet, aber

waren nie auf eine Transition vorbereitet. Heute ver-

stehen wir, dass wir an einer Transition mitwirken

müssen, aber wir wissen nicht welche Rolle wir spie-

len.“2

In Seminaren der Stiftungspartner diskutieren Men-

schen teils zum ersten Mal, wie sie die aktuellen Ver-

änderungen einschätzen. Die Bildungsveranstaltungen

finden zunehmend auch in ländlichen Gebieten statt,

wo ca. 70% der Bevölkerung leben. Die Angst ist heu-

te vielerorts der Hoffnung oder geradezu der Euphorie

gewichen. Aber ganz ohne Risikobereitschaft ist die

Arbeit noch immer nicht zu machen. Im Juni dieses

Jahres wurden beispielsweise Seminarleiter im Chin-

Staat von der Polizei festgehalten. Als die Stiftung für

die Freiheit zusammen mit ihrem Partner Myanmar

Egress im Jahr 2009 erste bildungspolitische Seminare

veranstaltete, war es ebenfalls ungewiss, ob die Be-

hörden den Partner gewähren lassen würden. Die

Gründer von Egress gingen ein hohes Risiko ein, doch

das Wagnis lohnte sich. Sie schufen einen bislang un-

denkbaren Platz für politische Diskussionen, die vor

der Parlamentswahl 2010 viele motivierten, die zwar

geringen, aber neuen politischen Spielräume zu nut-

zen. Zuvor war dies undenkbar, wurde doch jegliche

öffentliche politische Diskussion als Bedrohung der

nationalen Sicherheit wahrgenommen und entspre-

chend hart geahndet.

Solche Wagnisse einzugehen ist längst noch nicht

überall möglich. Zahlreiche bewaffnete Gruppen

kämpften teils seit der Gründung Myanmars gegen die

Zentralregierung. Elf von ihnen sollen im Laufe des

letzten Jahres vorläufigen Waffenstillstandsabkom-

men zugestimmt haben. Diese laufen aber Gefahr zu

brechen, wenn keine politischen Lösungen gefunden

werden. Zwischen dem Militär und der Kachin Inde-

pendence Army, eine der wichtigsten Gruppen, sind

allerdings seit Februar 2011 wieder Gewalthandlun-

gen ausgebrochen. In Rakhine brach im Juni 2012 Ge-

walt aus, die zu mehr als 75.000 Vertriebenen führte.

Menschen, die in diesen Regionen leben, spüren we-

nig von den Veränderungen im Landesinneren. Den-

noch bietet der Reformprozess im Zentrum auch für

diese Gebiete eine Chance und andersherum. Der be-

kannte Konfliktforscher Norbert Ropers unterstreicht,

dass die Komplexität der verschiedenen Lager den

Verhandlungsprozess im Zentrum positiv beeinflussen

kann, weil sie kreativere Lösungen erfordert.

Viele Hoffnungen ruhen auf der NLD, von der erwartet

wird, dass sie die nächsten Parlamentswahlen im Jahr

2015 mit überwiegender Mehrheit gewinnen wird.

Aung San Suu Kyi könnte dann – nach einer Verfas-

sungsänderung - Präsidentin werden. Viele bezwei-

feln, dass das Militär dies zulassen würde und sehen

die Wahlen 2015 als entscheidenden Test für die

Wahrhaftigkeit des Demokratisierungswillens. Das ist

aber zu kurz gegriffen. Die entscheidende Phase, um

diesen Test zu bewältigen, hat schon jetzt begonnen.

Denn die Verfassung verbietet nicht nur Personen wie

Aung San Suu Kyi, die Verwandte mit ausländischem

Pass haben, das oberste Amt des Staates auszufüllen.

Sie beinhaltet auch zahlreiche Garantien zum Macht-

erhalt des Militärs, die dem Demokratisierungsprozess

ernsthafte Schranken bieten: ein Viertel der Parla-

mentssitze sind für Militärangehörige reserviert, die

Besetzung der Positionen des Innen-, Verteidigungs-

und Grenzsicherheitsministers werden vom Oberbe-

fehlshaber der Armee bestimmt und das Militär unter-

steht keiner parlamentarischen oder judikativen Kon-

trolle. Außerdem dominiert das Militär den Nationalen

Verteidigung- und Sicherheitsrat, der unter recht

schwammigen Bedingungen den Ausnahmezustand

ausrufen kann.

Entscheidend für den Demokratisierungsprozess wird

also sein, ob die Opposition es schafft, diese Regelun-

gen neu auszuhandeln. Sicherlich wäre es zu viel zu

2 Min Ko Naing: Strengthening Civil Society. In: The Opening in

Burma, Journal of Democracy, Volume 23, Number 4, October

2012.

Der deutsche Menschenrechtsbeauftragte Markus Löning

während der Wahlbeobachtung in Myanmar im April 2012

(Foto: M. Kleine-Brockhoff)

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Freiheit in Transition

erwarten, dass eine komplette Demilitarisierung der

Politik in absehbarer Zeit zu erreichen ist. Zu diesem

Zeitpunkt muss aber Vertrauen zwischen Kräften der

Opposition und der militärnahen Regierung geschaf-

fen werden, um Kompromisse in dieser komplexen

Gemengelage zu finden. Außerdem müssen institutio-

nelle Vorkehrungen geschaffen werden, um einen

Machtwechsel ohne zu starken Gesichtsverlust der

aktuellen Regierung zu ermöglichen.

Präsident Thein Sein und Aung San Suu Kyi scheinen

eine gemeinsame Basis gefunden zu haben. Ihre Zu-

sammenarbeit ist zentral für diesen Übergangsprozess.

Auch die Parteien, die sich 2010 zur Wahl stellten,

sind kompromissbereit. Dennoch muss noch viel Ver-

trauen aufgebaut werden, um auch über schwierige

Themen reden zu können. Hier können Programme der

politischen Stiftungen eine Rolle spielen. So brachte

die Stiftung für die Freiheit direkt nach den Nachwah-

len die erste gemeinsame Delegation von Parlamenta-

riern der Regierungspartei Union Solidarity Develop-

ment Party (USDP), ethnischer Parteien und der NLD

nach Deutschland. Hauptsächlich lernten sie an Bei-

spielen kennen, wie Demokratie und Föderalismus in

Deutschland funktionieren. Das Programm erlaubte

ihnen aber auch über Parteigrenzen hinweg enge Kon-

takte untereinander zu knüpfen.

Mit der Konstituierung des Parlaments und der Bil-

dung einer semi-zivilen Regierung gibt es seit März

2011 zumindest formal ein Institutionengefüge, das

ein gewisses Maß an gegenseitiger Machtkontrolle

erlaubt. Das Parlament wirkt auf dem Papier aber zu-

nächst zahnlos. Die militärnahe Regierungspartei

USDP besitzt zusammen mit den 25% der für das Mi-

litär reservierten Mandate in beiden Kammern des

Parlamentes eine erdrückende Mehrheit. Zur Überra-

schung vieler findet sich innerhalb der USDP-Fraktion

aber eine Reihe von reformfreudigen Abgeordneten,

die ihr Mandat als Gegengewicht zur Exekutive sehr

ernst nehmen. Das Unterhaus, allen voran sein Spre-

cher Shwe Mann, und die Ausschüsse beider Häuser

konnten sich mittlerweile als eine eigenständige Re-

formkraft profilieren. So wurde bei einer Sitzung zum

Staatshaushalt auch das gewaltige Militärbudget dis-

kutiert, was bis vor kurzem noch nicht denkbar gewe-

sen wäre. Auch einige der vom Militär nominierten

Abgeordneten sorgten für Überraschungen, als sie

beispielsweise zusammen mit anderen Parteien für

eine generelle Amnestie politischer Häftlinge stimm-

ten.

Miteinander reden ist allerdings erst der erste Schritt.

Die ehemalige Militärjunta hat schwere Menschen-

rechtsverletzungen zu verantworten. Auch heute noch

wird von Kriegsverbrechen, Folter, Vergewaltigungen

und Zwangsarbeit berichtet und einer systematischen

Straflosigkeit für die Täter. Für eine dauerhafte Kon-

fliktransformation ist eine juristische und gesell-

schaftliche Aufarbeitung dieser Gräueltaten unab-

dingbar. Dies ist ein langwieriger Prozess, der Akteure

auf allen Ebenen einschließen muss, die ihn selber

anstoßen und formen müssen. Ansonsten läuft er Ge-

fahr Legitimität zu entbehren. Werden die neuen poli-

tischen Akteure es schaffen, hier einen Prozess zu de-

finieren, der zur Achtung von Menschenrechten,

Rechtstaatlichkeit und Versöhnung führt? Der Um-

gang der Regierung und Opposition mit der Krise in

Rakhine stimmt wenig optimistisch.

Neue Spielräume nutzen, mutig ihre Grenzen zu tes-

ten und vielleicht zu erweitern, Regelwerke neu be-

stimmen: Die politische Ordnung befinden sich mo-

mentan im Umbruch; dies versuchen alle Reformkräfte

zu ihren Gunsten zu nutzen. Es gibt aber auch viele,

die verunsichert sind und abwarten, wie sich der Wind

dreht. Zu Recht trauen sie dem Militär und seinen fi-

nanzstarken Verbündeten noch zu, das Lenkrad wieder

an sich zu reißen. Die Rolle der Stiftung ist indes, den

Reformern den Rücken zu stärken – innerhalb der Re-

gierung, mit reformfreudigen Parlamentariern, den

Medien und der Zivilgesellschaft.

Noch ist die Zahl der zivilgesellschaftlichen Organisa-

tionen gering. Einige von ihnen haben aber in den

letzten Monaten stark an Einfluss gewonnen, nicht

zuletzt wegen ihrer ausgezeichneten Kontakte zu Ex-

perten im Exil. Die meisten müssen aber noch Exper-

tise aufbauen und ihren Platz in einem sich stark

wandelnden Gefüge suchen. Zusammen mit Medien-

vertretern und Parlamentariern müssen sie es schaf-

fen, für die Regierung und für das Militär erstzuneh-

mende Ansprechpartner zu werden, auch um sich in

Zukunft in einen zivil-militärischen Dialog einbringen

zu können.

Katrin Bannach

Projektleiterin Malaysia, Myanmar und Kambodscha

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Freiheit in Transition

Die Aktion „Es dreht sich alles um die Freiheit“ („It’s

All About Freedom“) richtet sich an die Jugend, Akti-

vistinnen und Aktivisten – und mögliche Befürworter

– politischer Parteien und NROs. Mit einem Durch-

schnittsalter von 23,4 Jahren ist die philippinische

Bevölkerung relativ jung. Die heutige Generation hat

sich in sozialer Hinsicht weiterentwickelt, ist aufge-

klärter und engagierter. Dementsprechend macht sich

die Aktion Programme zunutze, die Mitwirkung her-

beiführen, Nachhaltigkeit implizieren, und sich all-

mählich ausbreiten. Zusätzlich zielen diese darauf ab,

die Diskussion über verschiedene Themen zu fördern,

die mit dem Konzept der Freiheit in Zusammenhang

stehen, soziale und legislative Beeinträchtigungen

identifizieren, und Politiken entwickeln und fördern,

die die politische und wirtschaftliche Freiheit erwei-

tern.

Die vier Hauptaktivitäten, die in 2011 Teil der Aktion

gewesen sind, waren:

Ein Lauf für die Freiheit (Freedom Run), durch

den Antikorruptionsmaßnahmen „in“ gemacht

werden sollten, mit mehr als 2.000 Läufern in

2011 und mehr als 3.000 Teilnehmern in 2012,

sowie ein Freiheitsfußballturnier mit mehr als

600 Spielern. Die Läufer und Spieler trugen die

populären „Ich bin frei–von Korruption“ T-Shirts.

Die Vorstellung von „Ako’y Malaya“ („Ich bin

frei“), einem Lied des bekannten Liedermachers

Noel Cabangon, das Freiheit als ein zum Nach-

denken anregendes Thema zum Inhalt hat.

Das Freiheitsprojekt, ein Wettbewerb, der die

besten liberalen Praktiken auszeichnet, mit über

siebzig in 2011 und 2012 nominierten Projekten

von Institutionen, Organisationen, Gemeinderä-

ten und Ministerien des ganzen Landes, und in

jedem dieser Jahre mit mehr als 10.000 teilneh-

menden Internetwählern, und

Die Freiheitsrede (Freedom Speech), eine jährli-

che Rede, die von einer bekannten Persönlich-

keit gehalten wird und den Status der Freiheit

im Land analysiert. Die Antrittsrede wurde vom

Präsidenten der Freiheitlichen Partei (und ge-

genwärtigem Finanzminister der Aquino-

Regierung) Florencio „Butch“ Abad gehalten.

Der Erfolg der Projekte veranlasste das philippinische

Büro, diese weiterzuführen und durch die Miteinbe-

ziehung von Partnern – aus öffentlichem und pri-

vatem Sektor, und internationalen Organisationen,

darunter auch der Rat der Asiatischen Liberalen und

Demokraten (CALD) und die Allianz der Liberalen und

Demokraten für Europa (ALDE) – zu verbessern. Diese

Initiativen verwenden Top-Bottom- und Bottom-Up-

Ansätze, da diese nicht nur Entscheidungsträger und

Führungskräfte einbeziehen, sondern sich auch an

Studenten, Medien und Gruppierungen der Zivilgesell-

schaft wenden. Der jährliche öffentliche „Mabuhay

Germany“-Markt zum Beispiel, der von der Deutsch-

Philippinischen Handelskammer organisiert wird, be-

inhaltet einen Stand der Friedrich-Naumann-Stiftung

für die Freiheit, an dem tausende Passanten an Spie-

len teilnehmen, die die Diskussion über die Bedeutung

der Freiheit fördern. Bei anderen Veranstaltungen und

Diskussionen werden Teilnehmer dazu eingeladen, ihre

persönliche Freiheitsbotschaft auf eine Freiheitswand

zu schreiben (Titelfoto).

Mittels audiovisueller Produktionen und über soziale

Medien und das Internet werden diese Aktivitäten

verbreitet, und um die Aktion zu veranschaulichen

wurde ein Maskottchen mit einem verspielten Lächeln

vorgestellt das „Fredo“ heißt. Der Name leitet sich

vom Englischen freedom für Freiheit ab und würde in

Deutschland auf Friedrich lauten. Fredo trägt ein „I am

free“ T-Shirt, das sein Eintreten dafür zum Ausdruck

Die Philippinische Aktion „It‘s all about

freedom“

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Freiheit in Transition

bringt von all dem frei zu sein, was ihn und die Ge-

sellschaft davon abhält Leistung zu erbringen. Fredo

steht für die Freiheit zur eignenden Entscheidung und

Verwirklichung und ist ein Vorkämpfer für die Freiheit

von Korruption und Armut. Er ist ebenfalls die Haupt-

figur eines Kurzfilms, der die Grundlagen des Libera-

lismus erklärt.

„Freiheit“ ist die Grundbotschaft der Friedrich-

Naumann-Stiftung für die Freiheit. Auf den Philippi-

nen ist der Begriff der Freiheit tief in der Kultur ver-

wurzelt. Ein oft zitiertes Wort des Vorsitzenden der

FNF, Dr. Wolfgang Gerhardt, lautet: „Freiheit ist Kultur

und Charakter“. Oft bezeichnet man die Philippinen

als eine natürlich und kulturell freiheitsliebende Nati-

on. Die Geschichte des Landes, die bis in 15. Jhd. zu-

rückreicht, ist voll von Aufständen, Rebellionen und

Erhebungen gegen die Misshandlungen diktatorischer

Eroberer.

In fast vier Jahrhunderten (1521-1898) spanischer

Besatzung entstanden zahlreiche Unabhängigkeitsbe-

wegungen in verschiedenen Teilen der Philippinen.

Durch Unterdrückung in sozialen, wirtschaftlichen

und politischen Bereichen in der Form missbräuchli-

cher Steuereintreibung, Zwangsarbeit, Landraub und

Rassendiskriminierung in verschiedenem Ausmaß wur-

den Filipinos ihrer Menschenwürde und Grundrechte

beraubt. José Rizal, der Volksheld der Philippinen,

machte durch seine Veröffentlichungen, die er geheim

auf den Philippinen in unterschiedlichen Zirkeln in

Umlauf setzte, die Menschen auf ihre Rechte auf-

merksam. Das gab wiederum Ansporn zu zahlreichen

Aufständen im ganzen Land.

In weiterer Folge übernahmen die Amerikaner, nach-

dem sie eingangs die endgültige Befreiung von den

Spaniern lenkten und förderten, die Macht. Zwischen

1898 und 1912 verhinderte der amerikanische Koloni-

alismus, dass Filipinos ihre eigene Regierung wählen

und Souveränität praktizieren konnten. Philippinische

Führungspersönlichkeiten zeigten jedoch den Ameri-

kanern, dass sie sehr wohl die Fähigkeit besaßen, ihre

eigene souveräne Regierung zu führen.

Währen der kurzen japanischen Besetzung von 1942

und 1945 erzielten gut organisierte Guerillagruppie-

rungen überall auf den Philippinen Erfolge in der Be-

kämpfung der Japaner. In 1946 erhielten die Filipinos

ihre hart umkämpfte Freiheit und entwickelten eine

revolutionäre Kultur der Freiheit, Überzeugungen und

Prinzipien, die heute fest in der philippinischen Ge-

sellschaft verwurzelt ist.

Die „People Power“ Revolution gegen das Marcos-

Regime in 1986 führte zu dem gewaltfreien Sturz ei-

nes Diktators. Dieses Ereignis machte die Philippinen

als eine Nation bekannt, die die Demokratie vertei-

digt, und rief nicht nur Gruppierungen der Zivilgesell-

schaft und NROs, sondern auch Einzelpersonen auf

den Plan, die durch gemeinsame demokratische Werte

zusammengeführt wurden.

114 Jahre nach der ersten Unabhängigkeitserklärung

von 1898 erholt sich die philippinische Nation noch

immer von der korrupten Regierung, die von 2001 bis

2009 von Gloria Macapagal-Arroyo geführt wurde. Die

Präsidentschaft Arroyos war von einigen wenigen Op-

portunisten geprägt, deren korrupte Methoden die

Filipinos ihrer Freiheiten beraubten. Einmal mehr ent-

Der Freedom Run (Foto: FNF)

Die Freedom Speech mit Florencio „Butch“ Abad (Foto: FNF)

Page 11: FNF International News 1-2013

11

FNF International News 2-2012

Freiheit in Transition

schieden sich die Filipinos, nachdem sie die dreisten

Praktiken der Regierung Arroyos über Jahre hindurch

toleriert hatten, dieser neuerlichen Unterdrückung in

den Präsidentschaftswahlen von 2010 einen Riegel

vorzuschieben. Der getreue Vertreter der Freiheit, Be-

nigno „Noy-Noy“ Aquino III, gab den Filipinos neue

Hoffnung.

Jetzt im zweiten Jahr seiner Amtszeit ist Präsident

Aquino tonangebend in der Aufhebung des Status Quo

in der Bürokratie, die von Korruption und mangelhaf-

ter Regierungsführung geplagt ist.

Freiheit bedeutet die Möglichkeit der Ausübung per-

sönlicher Rechte und Berechtigungen, sowie die Ab-

wesenheit unzulässiger Einschränkungen. Freiheit be-

tont jene Gelegenheiten, die für die Ausübung persön-

licher Rechte, Berechtigungen und Begehren und der-

gleichen bestimmt sind. Hervorzuheben sind hierbei

die Gewissens- und Bewegungsfreiheit.

Das Konzept der Freiheit, das das philippinische Büro

der Friedrich-Naumann-Stiftung für die Freiheit ver-

tritt, zielt auf Veränderungen ab die durch die Mitwir-

kungsmöglichkeit von Menschen bewirkt werden. Das

Leitbild der einzelnen Programme der Aktion „Es dreht

sich alles um die Freiheit“ ist die Umsetzung der kom-

plexen Konzepte von Freiheit in die Alltagssprache,

um neben bestehenden Gruppierungen neue Zielgrup-

pen zu erreichen. Es besteht so die Notwendigkeit,

persönliche Freiheit in persönliche Mitwirkungsmög-

lichkeit und die Verantwortung, die mit bürgerlichen

Freiheiten und Menschenrechten einhergeht, in ein

Wertesystem umzuwandeln.

Jules Maaten

Projektleiter Philippinen

Wie wird Thailand in zehn Jahren aussehen? Welche

Entwicklungen sieht die thailändische Jugend hin-

sichtlich Politik, Wirtschaft und Gesellschaft? Um die-

ser Frage auf den Grund zu gehen, veranstaltete die

Stiftung in Kooperation mit dem Asian Knowledge In-

stitute, dem Rundfunksender Thai PBS, dem Magazin

happening, dem Bangkok Art and Culture Centre und

dem Eventkoordinator Bioscope das Roadshow-Projekt

Dream Thailand.

Die Jugend ist die Zukunft der Gesellschaft. Ihre Stim-

me soll ernst genommen und ihr ein Forum gegeben

werden, in dem sie ihre Ansichten und Ideen präsen-

tieren kann. Daher lud die Stiftung Jugendliche ver-

schiedener Regionen Thailands ein, an Dream Thailand

teilzunehmen und in einem öffentlichen Diskurs zu

erörtern, in welche Richtung sich Thailand in den

nächsten zehn Jahren entwickeln sollte. In sieben Pro-

vinzen Thailands nahmen mehr als 1.200 Schüler und

Studenten an der Dream Thailand-Veranstaltungsreihe

teil und brachten offen ihre Träume, Hoffnungen, und

Wünsche, aber auch konkrete Zukunftspläne für ihr

Heimatland zum Ausdruck.

In Bezug auf ihren Aufbau lehnten sich die Dream

Thailand-Veranstaltungen an die “Future Search”-

Methodologie an: Die Teilnehmer wurden aufgefor-

dert, sich mit geschlossenen Augen die derzeitige po-

litische, gesellschaftliche, wirtschaftliche und kultu-

relle Situation vorzustellen, und dann daran anknüp-

Dream Thailand—Träume einer jungen

Generation

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12

FNF International News 2-2012

Freiheit in Transition

fend ihre persönlichen Wünsche und Vorschläge für

die Entwicklung Thailands der nächsten zehn Jahre

aufzuschreiben. Diese wurden dann entsprechend ka-

tegorisiert, und die prägnantesten Ergebnisse gebün-

delt vorgestellt und diskutiert. Erwartungsgemäß wa-

ren die Resultate der Veranstaltungen von Provinz zu

Provinz oftmals deutlich verschieden.

Während zum Beispiel der Kampf um Identität und

nationale Sicherheit ein wichtiges Thema in Songkhla

- einer südlichen Provinz mit hohem muslimischem

Bevölkerungsanteil - war, wurde in anderen Provinzen

wie Chonburi, Chiang Mai oder Nakhon Phanom das

Hauptaugenmerk auf Bildungschancen gelegt. Viele

Studenten wünschten sich ein Bildungssystem, das

dem Europas und der Vereinigten Staaten gleichwertig

ist.

Ein interessantes Thema, das in vielen Provinzen an-

gesprochen wurde, betraf das ausgeprägte hierarchi-

sche System Thailands. Hierarchische Strukturen sind

überall in der thailändischen Gesellschaft zu finden.

Es ist zum Beispiel üblich, Personen mit höherem sozi-

alem Status, sei es aufgrund ihres Alters, Rangs oder

Vermögens, mit sehr großem Respekt zu begegnen.

Dies ist ein Stück Kultur, das in der Vergangenheit

selten bis gar nicht hinterfragt wurde. Nun aber

scheint es von jungen Menschen als Einschränkung

ihrer persönlichen Freiheit und als Ursache für die

Festigung sozialer Ungleichheiten empfunden zu wer-

den. In diesem Zusammenhang wurde die Notwendig-

keit, Höhergestellten Respekt zu zollen - selbst wenn

diese ihn nicht verdienen - in Frage gestellt.

Ungleichheiten sind auf verschiedenen Ebenen prä-

sent. Auf einen Aspekt wurde besonderer Schwerpunkt

von Studenten aus Nakhon Phanom gelegt. Diese

prangerten die starken regionalen Unterschiede und

die innerhalb des Landes schlecht verteilten Einkom-

mens- und Bildungschancen an. Auch mit dem Prob-

lem der Ungleichheit verbunden, aber bezogen auf das

Thema der Rechtsstaatlichkeit, wurde besonders von

Studenten aus Phitsanulok und Khon Kaen auf Miss-

stände im Rechtssystem verwiesen. Es wurde aus-

drücklich gefordert, dass alle, unabhängig von Vermö-

gen oder Status, Gleichheit vor der Justiz erfahren.

Einige Aspekte, die man überall antraf, schienen den

Teilnehmern besonders wichtig zu sein. Dies betraf

besonders die Frage der nationalen Einigkeit. "Ich will,

dass die Thais sich lieben" war wohl der durch alle

Veranstaltungen hindurch am weitesten verbreitete

Wunsch. Aber ist es für eine funktionierende Gesell-

schaft wirklich notwendig, auf Liebe aufzubauen? Wie

soll das überhaupt möglich sein? Vielleicht bedeutet

der Wunsch eher, dass man lernt, sich gegenseitig

zuzuhören und erkennt, dass es förderlich ist, andere

Meinungen und Ansichten als ebenso legitim anzuer-

kennen wie die eigenen.

Deshalb betrachten wir "Dream Thailand" als Beitrag

zur Verbesserung der Kommunikation in der thailändi-

schen Gesellschaft. Unser Ziel war es, so viele junge

Menschen wie möglich zu erreichen, damit sie ihre

eigene Meinung frei äußern und am Prozess der Zu-

kunftsgestaltung teilhaben können. Durch die Veröf-

fentlichung der Ergebnisse von Dream Thailand in

Fernsehen und Radio, Zeitungen sowie im Internet soll

unsere Kampagne dazu beitragen, dass die Stimmen

dieser Menschen auch gehört werden.

Zum Abschluss der Veranstaltungsreihe fand im Bang-

kok Art and Culture Center eine mehrtägige Ausstel-

lung statt. Im Beisein von hochrangigen Politikern wie

zum Beispiel Oppositionsführer und ehemaliger Premi-

erminister Abhisit Vejjajiva wurden, dem Aufbau der

einzelnen Veranstaltungen folgend, in drei zusam-

menhängenden Teilen (Traum, Realität und Zukunfts-

planung) die Ergebnisse der Dream Thailand-

Kampagne vorgestellt.

Traum, der erste Teil, konzentrierte sich auf die Dar-

stellung der wichtigsten Themen, die im Rahmen der

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13

FNF International News 2-2012

Freiheit in Transition

Veranstaltungsreihe hindurch gesammelt werden

konnten und zeigte eine Auswahl der über 1.200 Post-

it-Notizen mit den Wünschen der Studenten. Dazu

kontrastierend regte der Bereich Realität Besucher

dazu an, sich die reale Situation vor Augen zu führen.

Bei vielen Träumen handelt es sich um den Wunsch,

eine momentane reale Situation zum Besseren zu keh-

ren. Diese Idee des Wandels wurde im Ausstellungsbe-

reich Zukunftsplanung dazu genutzt, konkrete Lö-

sungsvorschläge zu präsentieren, die die Wünsche des

Traum-Teils wahr werden lassen sollen. Die Besucher

der Ausstellung waren hier auch dazu eingeladen, die

Ausstellung mit ihren eigenen Träumen, Visionen und

Ideen zu bereichern.

Dies ist jedoch noch lange nicht das Ende von "Dream

Thailand". In einem weiteren Prozess der Datenaus-

wertung werden alle Ergebnisse aus Veranstaltungs-

reihe und Ausstellung zusammen mit unseren Partner

erneut bearbeitet. Ein abschließender Bericht soll

dann Entscheidungsträgern in Politik und Wirtschaft

sowie diversen Bildungseinrichtungen vorgelegt wer-

den. Zusätzlich ist, auf dem Erfolg von Dream Thailand

aufbauend, eine Dream Bangkok-Kampagne in Vorbe-

reitung.

Dr. Rainer Adam

Regionalbüroleiter Südost– und Ostasien

Miklos Romandy

Regionaler Projektkoordinator Südost– und Ostasien

http://www.freedombarometer.org

IP-Publikations-Abo

Unsere Mitarbeiter arbeiten in über 60 Ländern die-

ser Erde. Das macht es ihnen möglich, fundierte

Analysen und Reports aus den verschiedensten Regi-

onen zu erstellen. Unsere Policy Papers bieten regio-

nale Analysen zur politischen Situation ausgewählter

Regionen, zur Lage der dortigen Wirtschaft und zur

jeweiligen Sozialstruktur. Unsere Hintergrundpapiere

dienen der Vertiefung und beschäftigen sich jeweils

mit einem ausgewählten Thema, dass auch mittel-

fristig noch aktuell ist. Unsere Berichte aus aktuel-

lem Anlass berichten zeitnah über eine aktuelles Er-

eignis von besonderer Bedeutung (Parlaments-

wahlen, Aufstände, Umstürze, aufkeimende Bürger-

kriege). Sie werden von den Mitarbeitern aus der

jeweiligen Region erstellt.

Pressevertreter können gerne auf die Expertise unse-

rer Mitarbeiter vor Ort zurückgreifen. Wenden Sie

sich bitte an unsere Pressebetreuung.

Erstellen Sie Ihr individuelles Abonnement nach Pub-

likation und Themenbereich. Der Bezug ist kostenlos:

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Lateinamerika

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Nordamerika

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FNF International News 2-2012

Freiheit in Transition

Als im Februar 1991 die damaligen zukunftsorientier-

ten Staats- und Regierungschefs Vaclav Havel, Lech

Walesa und Jozsef Antall die Visegrad-Gruppe (heute

Tschechien, Slowakei, Polen und Ungarn) aus der Tau-

fe hoben, hatten sie ein klares Ziel vor den Augen: Die

Kooperation sollte diesen mitteleuropäischen Ländern

die Integration in die europäischen Strukturen und

den Aufbau freier, demokratischer Gesellschaften er-

leichtern. Auch nach der Aufnahme in die NATO

(Tschechien, Polen und Ungarn im März 1999, die Slo-

wakei fünf Jahre später) und dem gemeinsamen EU-

Beitritt (Mai 2004) war eine Fortsetzung der Koopera-

tion vorgesehen, die den vier Staaten innerhalb Euro-

pas mehr Gewicht verleihen sollte. Doch die nationa-

len Interessen der einzelnen Mitglieder der Gruppe,

die häufig denen der anderen widersprachen, gerieten

immer stärker in den Vordergrund. Heute ziehen

Tschechien, die Slowakei und Ungarn politisch und

wirtschaftlich an ihrem eigenen Strang. Der polnische

Außenminister Radoslaw Sikorski, der zuletzt im Som-

mer 2012 versucht hatte, die anderen drei Partnerlän-

der für die gemeinsame Stärkung ihres Images inner-

halb der EU zu gewinnen, stieß auf taube Ohren.

Tschechien: Staatschef Klaus infizierte die Bürger

mit Euroskeptizismus

Die Tschechen, die mehrheitlich den EU-Beitritt ihres

Landes begrüßt hatten, bewerten heute die Mitglied-

schaft in der Union zumeist negativ, was nicht nur

mit der Euro-Krise zusammenhängt. Einer im April

2012 vom staatlichen Prager Meinungsforschungs-

institut CVVM durchgeführten repräsentativen Umfra-

ge zufolge sind heute 82 Prozent der tschechischen

Bürger überzeugt, dass die EU-Mitgliedschaft einen

Anstieg der Bürokratie und die Errichtung unnötiger

Behörden mit sich gebracht hat. Zudem teilten 73

Prozent der Befragten die Ansicht, ihr Leben würde

durch die europäischen Richtlinien eingeengt. Gelobt

wurde mehrheitlich (72 Prozent) nur die Personenfrei-

zügigkeit.

Die öffentliche Meinung bezüglich Europa wird in

Tschechien allerdings stark von Staatspräsident Vaclav

Klaus geprägt, dessen überzogener Euroskeptizismus

bekannt ist und der am liebsten nur eine Freihandels-

zone aus dem Kontinent machen würde. Am Gängel-

band von Klaus, dessen politisches Gewicht auch nach

seinem zu Jahresbeginn 2013 anstehenden Ausschei-

den aus dem höchsten Staatsamt nicht zu unterschät-

zen ist, hängt gleichfalls die Mitte-Rechts-Koalition

von Ministerpräsident Petr Necas. Dass sich Tschechi-

en als einziges unter den neuen EU-Mitgliedern nicht

dem Europäische Stabilitätsmechanismus (ESM)

angeschlossen hat und auch die vorgesehene

gemeinsame Bankenaufsicht ablehnt, wird auf den

Druck von Klaus zurückgeführt, der in Regierungschef

Necas einen fügsamen Adlatus gefunden hat.

Die Korruptionsbekämpfung bleibt vollkommen auf

der Strecke. Die neuesten Skandale reichen bis in die

höchsten politischen Etagen, wobei in einigen Fällen

die Kohäsionsfonds der EU angezapft wurden. Die

Transition rückwärts in Mittel-, Südost– und Osteuropa?

Jeder zieht an seinem Strang - Tschechien, Slowa-

kei und Ungarn gehen 23 Jahre nach der Wende

politisch und wirtschaftlich getrennte Wege

Page 15: FNF International News 1-2013

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FNF International News 2-2012

Freiheit in Transition

chaotisch vorbereiteten und sozial unausgewogenen

Reformen des Renten- und Steuersystems sowie des

Gesundheitswesens sind nicht wegen des sich meh-

renden Widerstands der Bevölkerung ins Stocken ge-

raten, sondern wegen zunehmender Konflikte zwi-

schen den Koalitionspartnern und vor allem innerhalb

der konservativen Bürgerpartei ODS als stärkster Re-

gierungspartei. Die nichtreformierten, orthodoxen

Kommunisten sind stark im Aufwind und werden sich

voraussichtlich erstmals wieder an der Macht beteili-

gen, wenn auch zunächst nur auf regionaler Ebene.

Die Politikverdrossenheit unter der Bevölkerung hat

indes Rekordwerte erreicht: Laut einer im September

2012 durchgeführten Erhebung sind nur drei Prozent

der Bürger mit der politischen Lage in Tschechien zu-

frieden. Der Regierung vertrauten im Gegensatz zu

den Gemeindevertretungen (54 Prozent) nur noch 14

Prozent der Probanden, der Abgeordnetenkammer des

Parlaments gar nur elf Prozent. Diese verabschiedete

zwar zahlreiche neue Gesetze, die allerdings zumeist

die Streichung von Sozialleistungen, die Erhöhung von

Abgaben sowie die Stärkung der Kompetenzen der

Behörden betrafen. Am aufgebauschten Staatsapparat

wurde nicht gerüttelt.

Slowakei: Das Versagen der bürgerlichen Parteien

macht Fico das Regieren leicht

Der slowakische Ministerpräsident Robert Fico konnte

bei den Neuwahlen im März 2012 mit seiner Linkspar-

tei Smer-Sozialdemokraten die absolute Mehrheit im

Parlament erringen.

Und wird dies voraus-

sichtlich bis 2016 tun,

denn die uneinige Op-

position macht ihm

das Regieren leicht.

Widerpart bietet ihm

lediglich die liberale

Partei SaS (Sloboda a

solidarita – Freiheit

und Solidarität), deren

Ablehnung der Lösung

der Euro-Krise mittels

des Europäischen Krisenfonds „Europäische

Finanzstabilisierungsfazilität“ kurz EFSF (European

Financial Stability Facility) zum Sturz der

liberalkonservativen Regierung Radicova und zu

vorgezogenen Wahlen geführt hatte.

Ministerpräsident Fico hat nun jedoch erhebliche

Schwierigkeiten, seine populistischen Wahlverspre-

chen mit den Sparvorgaben der Euro-Zone in Einklang

zu bringen. Die Slowakei muss nämlich die öffentli-

chen Finanzen sanieren und bereits 2013 das Defizit

unter drei Prozent des Bruttoinlandsprodukts drücken,

was im Widerspruch zu den von ihm im Wahlkampf

versprochenen sozialen Sicherheiten steht. Die von der

bürgerlich-liberalen Regierung eingeführte Flat-Tax

von 19 Prozent wird für Firmen auf 23 Prozent erhöht.

Auch Mehrverdienende müssen nunmehr mit einer

progressiven Besteuerung rechnen. Mit der Abschaf-

fung der Einheitssteuer wird die Slowakei einen ihrer

größten Wettbewerbsvorteile gegenüber anderen Län-

dern verlieren, das Wirtschaftswachstum geht bereits

deutlich zurück. Die hohe Arbeitslosigkeit von 14,2

Prozent (August 2012) will Fico durch den Einsatz von

EU-Mitteln senken. Der für seinen autoritären Füh-

rungsstil bekannte Ministerpräsident, der bereits von

2006 bis 2010 an der Spitze der Regierung in Bratisla-

va stand, hatte in seiner ersten Regierungszeit die

durchgreifenden Reformen seines konservativen Vor-

gängers Mikulas Dzurinda gestoppt oder abge-

schwächt, obwohl diese Umgestaltungen die Voraus-

setzung für die Anfang 2009 erfolgte Einführung des

Euro in der Slowakei schufen.

Robert Fico (Foto: Xmetov/Wikipedia )

Logo der Partei SaS

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FNF International News 2-2012

Freiheit in Transition

Dagegen will Fico weitere Steuererhöhungen durch-

setzen: So sollen die in den regulierten Sektoren Ener-

giewirtschaft, Telekommunikation und Postdienste

tätigen Unternehmen in diesem und im nächsten Jahr

eine außerordentliche Gewinnsteuer von 4,2 Prozent

bezahlen. Ähnlich wie Ungarn will die Slowakei somit

die Sektoren mit einem hohen Anteil an ausländischen

Investoren mit einer Sondersteuer belegen. Der politi-

schen Stabilität der Slowakei kommt dies auf jeden

Fall zugute. Ob dies auch für den weiteren Demokrati-

sierungsprozess gilt, bleibt abzuwarten.

Ungarn: Vom Musterschüler zum Sorgenkind Euro-

pas

Seitdem in Ungarn Ministerpräsident Viktor Orban und

seine im Parlament über die Verfassungsmehrheit ver-

fügende nationalkonservative Partei FIDESZ regieren,

hat sich der einstige Musterschüler zum Sorgenkind

Europas entwickelt. Orban hat seit Mai 2010 emsig

seine Macht ausgebaut und den Kurs in Richtung

Zentralisierung verstärkt. Das belegen neben der An-

fang 2012 in Kraft getretenen neuen Verfassung auch

hunderte Gesetze, die im Eiltempo durch das Parla-

ment gepeitscht wurden, darunter das umstrittene

Zentralbankgesetz. Eingeführt wurde eine einheitliche

16-prozentige Einkommenssteuer, die Vergabe von EU

-Geldern wurde neu organisiert, um sie kleinen und

mittelständischen Unternehmen besser zugänglich zu

machen und gezielt Branchen zu fördern. Auf der an-

deren Seite wurde den Staatsfinanzen ein rigider

Sparkurs verordnet. Die Verschuldungsrate soll inner-

halb von vier Jahren von 81 % des BIP auf 65 % und

nachfolgend auf 50 % gesenkt werden, wie sie auch

in der neuen Verfassung als Obergrenze festgelegt

worden ist.

Um dieses Ziel zu erreichen, scheute Orban u. a. nicht

davor zurück, fast zeitgleich mit der erstmaligen

Übernahme der EU-Ratspräsidentschaft durch Ungarn

zu Jahresbeginn 2011 mit einer „Rentenreform“ in die

Eigentumsrechte der Bürger einzugreifen, die einer

realsozialistischen Enteignung gleichkam. Die seit 1.

Januar 2011 gültige Flat Tax hat zudem nicht wie be-

absichtigt zu einer Zunahme der Steuereinnahmen

geführt, sondern zu ihrem Rückgang. Der Anteil der

nach UN-Maßstäben „in Armut lebenden“ Menschen

stieg auf 1,5 Millionen. Das sind rund 15 Prozent der

Gesamtbevölkerung Ungarns. Weitere 30 Prozent gel-

ten als „akut armutsgefährdet“. Die Kreditwürdigkeit

des Landes sank weiter und wurde letztlich von der

Ratingagentur Moody’s auf Ramsch-Niveau herabge-

setzt, nachdem die Staatsverschuldung 2011 wieder

von 75 auf 82 Prozent des BIP gestiegen war.

Die zunehmenden nationalistischen Ausfälle des un-

garischen Regierungschefs gehen dabei mit dem all-

mählichen Niedergang seiner Partei FIDESZ einher.

Einer aktuellen Umfrage zufolge würden heute nur

noch 14 bis 19 Prozent der Wähler für Orbans Partei

stimmen. Rund 52 Prozent der Ungarn würden laut

der Erhebung des Meinungsforschungsinstituts Ipsos

jedoch überhaupt nicht mehr wählen gehen.

Erstmals scheint sich auch die zersplitterte Opposition

zusammengerauft zu haben: Ihr Hoffnungsträger

heißt Gordon Bajnai. Der parteilose Volkswirt stand in

den Jahren 2009/2010 an der Spitze der damaligen

Übergangsregierung. Bajnai hat zwar seine Rückkehr

in die Politik angekündigt, weiß jedoch genau, dass er

bei den 2014 anstehenden Parlamentswahlen auch als

potenzieller Spitzenkandidat der Opposition keine

Chance gegen Orban haben wird.

Von einem Stimmungsumschwung kann in Ungarn

trotz der langsam erwachenden Opposition deshalb

noch nicht die Rede sein. Den Erhebungen nach wür-

Gordon Bajnai während eines Besuchs in Jerusalem

(Foto: Itzike/Wikipedia )

Page 17: FNF International News 1-2013

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FNF International News 2-2012

Freiheit in Transition

den enttäuschte Wähler gegenwärtig fast ausschließ-

lich ins Nichtwählerlager oder zu extremistischen

Gruppierungen wechseln. Die einzige Alternative

rechts von FIDESZ ist die rechtsradikale Partei

„Jobbik“, deren Popularität vor allem auf ihrer aggres-

siven Anti-Roma-Rhetorik basiert. Rechtsextremisti-

sche und rassistisch motivierte Aktionen haben in der

letzten Zeit dem Image Ungarns erheblich geschadet.

Blockierte Transformation

Nach 23 Jahren scheint in Tschechien, der Slowakei

und in Ungarn eine Etappe der Transformation zu En-

de zu gehen. Die globale Finanzkrise, deren Folgen die

postkommunistischen Staaten besonders hart getrof-

fen haben, hat nicht nur in allen drei Ländern zu har-

ten Sparmaßnahmen und Kürzungen im sozialen Be-

reich geführt, sondern auch dem Populismus und Na-

tionalismus neuen Auftrieb gegeben. Es genügt der

geringste Anlass, um die sich aus der Vergangenheit

herrührenden Animositäten und Antipathien zwischen

den drei aus der Habsburger Monarchie hervorgegan-

genen Staaten aufleben zu lassen. Dadurch wird die

gesellschaftliche Transformation um Jahre zurückge-

worfen.

Die wirtschaftliche Transformation war in allen drei

Ländern zunächst auf bestem Wege. Heute kann sie

nur in Tschechien als weitgehend abgeschlossen gel-

ten. Das Bankwesen, der Energie- und Telekommuni-

kationssektor und auch die Medien befinden sich in

privaten Händen, keine einzige Bank wurde in die Fi-

nanzkrise hineingezogen. Dagegen sind in der Slowa-

kei und in Ungarn starke Renationalisierungstenden-

zen in den sog. strategischen Bereichen der Volkswirt-

schaft bemerkbar, staatliche Eingriffe in die Unabhän-

gigkeit der Medien nehmen zu. In der Slowakei sollen

die privaten Krankenkassen verstaatlicht und zu einer

öffentlichen Kasse zusammengefügt werden. Damit ist

auch der Wettbewerb zu Ende. In Ungarn sollen An-

teile an großen Energieunternehmen vom Staat zu-

rück gekauft werden.

Ebenso bleibt der Ausbau einer unabhängigen und

funktionsfähigen Justiz auf der Strecke. Eine für die

mitteleuropäischen Länder eigentlich unvermutete

Korruptionsmentalität bereitet allen drei Ländern

ebenfalls erhebliche Probleme. Die Rechtssicherheit ist

für die Bürger und Unternehmen weiterhin nicht ge-

währleistet. Das einzige, was bisher unangetastet

bleibt, sind die individuellen Freiheiten. Die Bürger

haben sie sich 1989 schwer erkämpft, und sie genie-

ßen sie voll. Doch wenn die Politikverdrossenheit wei-

terhin zunimmt und das Handeln machthungrigen Au-

tokraten und Populisten überlassen wird, kann auch

die persönliche Freiheit schneller eingeschränkt wer-

den, als man denkt. Die politische Kultur der drei

Kernländer Mitteleuropas ist nach wie vor diejenige

von Transformationsgesellschaften. Die gesicherte

Verankerung einer offenen, pluralistischen, demokra-

tischen und partizipativen Bürgergesellschaft ist

längst nicht abgeschlossen, sondern bleibt auf abseh-

bare Zeit die politische und gesellschaftliche Kernauf-

gabe.

Borek Severa

Repräsentant Baltische Staaten und Mitteleuropa

Durch die hohen Einnahmen aus dem Öl- und Gasge-

schäft hat Russland sein Bruttoinlandsprodukt seit der

existenziellen Krise im Jahre 1998 auf das 2,6-fache

gesteigert. Pro Kopf der Bevölkerung wurde damit ein

Wert erreicht, der ungefähr den EU-Ländern Polen

und Ungarn entspricht. Große Teile der Bevölkerung

haben von dem Aufschwung durch steigende Gehälter

Russland: Reformstau bremst Wirtschafts-

wachstum

Industrie in der Oblast Wolgograd

(Foto: www.volganet.ru/Wikipedia )

Page 18: FNF International News 1-2013

18

FNF International News 2-2012

Freiheit in Transition

und Renten profitiert. Das gilt insbesondere für die

Angestellten staatlicher Einrichtungen sowie für Ar-

mee, Polizei und Sicherheitsdienste. Die Arbeitslosig-

keit konnte auf 6 Prozent gesenkt werden, und die

Inflationsrate beträgt nur noch 6,1 Prozent. Im Jahre

2011 konnte ein Haushaltsüberschuss von 0,8 Prozent

erwirtschaftet werden, und die Staatsverschuldung

beträgt insgesamt nur 11 Prozent des Bruttoinlands-

produkts.

Die russische Wirtschaft beteiligt sich inzwischen ak-

tiv an der internationalen Arbeitsteilung. Die Elite des

Landes war noch nie in der Geschichte mit dem Wes-

ten so vernetzt wie heute. Wohlhabende Russen in-

vestieren massiv in westlichen Staaten. Dazu gehören

Beteiligungen und Immobilien genauso wie das Studi-

um des akademischen Nachwuchses an Universitäten

in Westeuropa und den USA.

Kein freier Zugang zu Wirtschaft und Politik

Diese Ergebnisse wurden mit dem nach wie vor beste-

henden postsowjetischen politischen System erreicht,

das auf einem Bündnis zwischen den Sicherheitsorga-

nen, örtlichen Clans und sog. "Oligarchen" besteht. In

diesem System ist der Zugang zu den Märkten und zur

Politik nur für ausgewählte Mitglieder der herrschen-

den Elite möglich. Korruption ist systemimmanent und

wird de facto als legitimes Instrument zur Organisati-

on der Gesellschaft verstanden. In vielen Bereichen

von Wirtschaft und Politik werden Entscheidungen

von einflussreichen Persönlichkeiten ohne Rücksicht

auf die bestehende Rechtsordnung getroffen. Gesetze

und Verordnungen lassen den staatlichen Entschei-

dungsträgern oft große Gestaltungsfreiheit und unter-

stützen damit indirekt die Korruption. Die unangemes-

senen Preise für Lebensmittel und technische Kon-

sumgüter im Vergleich zu Westeuropa sind das Ergeb-

nis einer vom Staat geförderten Monopolbildung so-

wie hoher Barrieren für den Import.

Der Reformstau hat inzwischen dazu geführt, dass die

Wachstumsraten zurückgehen (1. Halbjahr 2012 nur

noch 4,4 Prozent BIP-Wachstum). Gleichzeitig wird

immer massiver vom Europarat angemahnt, dass

Russland die vereinbarten Reformverpflichtungen

nicht erfüllt. Der "arabische Frühling" und die orange-

nen Revolutionen in drei Nachbarstaaten haben dar-

über hinaus zur Verunsicherung der russischen Füh-

rung beigetragen.

Autoritäre Machtstrukturen und Ideologien

Vor diesem Hintergrund hat Präsident Putin die Rede-

und Versammlungsfreiheit im Lande weiter einge-

schränkt. Ausdruck dafür waren Ergänzungen zum

Demonstrations- und NGO-Gesetz sowie neue Regu-

lierungen für Publikationen im Internet. Außerdem

wurden strafrechtliche Konsequenzen für Verleum-

dung in der Öffentlichkeit wieder in die Gesetzgebung

aufgenommen. Diese Tendenzen gipfelten Ende Okto-

ber 2012 in der Verabschiedung eines neuen Gesetzes,

in dem der Straftatbestand des Hochverrats neu ge-

fasst wurde; künftig können Kooperation mit und Be-

ratung von NGO's, die ausländische Finanzhilfe erhal-

ten, als Hochverrat gelten, wenn dies als "gegen die

Sicherheit Russlands gerichtet" eingestuft wird. Mit

den neuen Gesetzen soll vor allem die zunehmende

Protestbewegung in den russischen Großstädten ge-

troffen werden. Weiterhin geht es darum, die opposi-

tionellen Kräfte der Möglichkeit zu berauben, Sponso-

ren im Ausland zu suchen, wenn sie sich nicht offiziell

als ausländische Agenten brandmarken lassen wollen.

Auch ehemalige Reformer haben die Hoffnungen auf

einen schnellen Erfolg ihrer Bemühungen aufgegeben.

Sie sprechen jetzt mit Verweis auf den Nobelpreisträ-

ger Douglass North davon, dass in Russland zunächst

die Voraussetzungen für den Übergang zu einem mo-

Der Wirtschaftsaufschwung der vergangenen Jahre spiegelt sich

auch in der Skyline Moskaus wider (Foto: NVO/Wikipedia )

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FNF International News 2-2012

Freiheit in Transition

dernen demokratischen Staat geschaffen werden

müsse. Dies könne Jahrzehnte in Anspruch nehmen.

Sie fordern vor allem den Aufbau von langlebigen In-

stitutionen, die nicht mehr von Einzelpersonen abhän-

gig sind und setzen sich für ein zunächst nur für die

Eliten zugängiges Rechtssystem sowie unabhängige

Gerichte ein.

Einflussreiche Kreise versuchen inzwischen, undemo-

kratische und antiliberale Ideen zu popularisieren.

Ernsthaft in Erwägung gezogen wird eine Verfas-

sungsänderung mit dem Ziel einer durch die orthodo-

xe Kirche legitimierten autoritären Staatsmacht.

Ebenfalls im Gespräch ist die offene Propagierung des

Polizeistaates unter Bezug auf den radikal-

konservativen deutschen Staatsrechtler Carl Schmitt.

Opposition schwach und gespalten

Keine entscheidenden Impulse sind in naher Zukunft

von der russischen Opposition zu erwarten. Die Mei-

nungsverschiedenheiten zwischen einzelnen Gruppen

sind einfach zu groß, und man kann den Eindruck ge-

winnen, dass in den vergangenen Monaten die libera-

len Kräfte in der Opposition an Einfluss verloren ha-

ben. Es wird schwer sein, die regelmäßigen Demonst-

rationen in den großen Städten aufrechtzuerhalten.

Einziges gemeinsames Ziel der Opposition ist es inzwi-

schen, Präsident Putin zu ersetzen und endlich freie

und gleiche Präsidentschafts- und Parlamentswahlen

durchzuführen. Die Masse der Bürger wird mit diesem

Programm nicht erreicht. Mit Blick auf die neuen Rah-

menbedingungen für die Arbeit von Nichtregierungs-

organisationen in Russland gibt es auch nur sehr be-

schränkte Möglichkeiten, die Opposition durch den

internationalen Dialog für liberale Positionen und eine

stärker sachbezogene Argumentation zu gewinnen.

Liberale Parteien wie die Russian United Democratic

Party (YABLOKO) und die People's Freedom Party

(PARNAS) werden in ihrer Tätigkeit massiv behindert

und haben nur sehr begrenzte Möglichkeiten, liberale

Werte zu propagieren.

Stimmen wirtschaftlicher Vernunft

Ein Hoffnungszeichen war hingegen der Beitritt Russ-

lands zur WTO. Als dessen Ergebnis kann erwartet

werden, dass in Zukunft die Entwicklung des freien

Handels und die Integration Russlands in den Welt-

handel mehr Aufmerksamkeit finden. Zumindest ver-

bal wird von Premierminister Medwedjew inzwischen

anerkannt, dass eine erfolgreiche Entwicklung Russ-

lands ohne die Verbesserung der politischen Rahmen-

bedingungen für in- und ausländische Investoren

nicht denkbar ist. Russland will sich - so der Premier-

minister - in den nächsten Jahren einen deutlich bes-

seren Platz im internationalen Wettbewerb erkämpfen

und konsequent gegen die Korruption vorgehen. Ein

weiteres Ziel sei die Entwicklung des Hochtechnolo-

giesektors und die stärkere Teilnahme Russlands an

der internationalen Arbeitsteilung.

Immer noch geduldet werden deshalb Nichtregie-

rungsorganisationen, die sich aktiv für die Ideale des

klassischen Liberalismus einsetzen. Ein breites Ange-

bot an Literatur und Diskussionsveranstaltungen wie

die traditionellen "Adam Smith Lectures" bieten für

die russischen Liberalen Möglichkeiten, sich zu Wort

zu melden. Mit regelmäßig stattfindenden Liberalen

Klubs in verschiedenen Landesteilen hat hierzu das

"Forum Freier Bürger" mit Unterstützung der Friedrich

-Naumann-Stiftung für die Freiheit in den vergange-

nen Jahren beispielhafte Arbeit geleistet.

Perspektiven der Stiftungsarbeit

Die Friedrich-Naumann-Stiftung für die Freiheit ist

von dem neuen NGO-Gesetz nicht direkt betroffen.

Aus dem Gesetz ergeben sich jedoch für die Stiftung

Anti-Putin-Proteste Anfang 2012 (Foto: Soloschenko)

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FNF International News 2-2012

Freiheit in Transition

Konsequenzen, die aus der Verschlechterung der Be-

dingungen für die Arbeit der politischen Partner gene-

rell resultieren.

Keine der mit der Stiftung kooperierenden NGO's wird

bereit sein, sich als "Auslandsagent" registrieren zu

lassen. Aus dem neuen Gesetz ergibt sich, dass diese

NGO's dann auch keinerlei finanzielle Unterstützung

seitens der Stiftung oder sonstige geldwerte Vorteile

annehmen dürfen. Das hat zur Folge, dass in Zukunft

keine gemeinsamen Veranstaltungen mit diesen Part-

nern mehr durchgeführt werden können. Es wird je-

doch sicher möglich sein, Vertreter der Partner auch

weiterhin zu den Veranstaltungen der Stiftung einzu-

laden. Ebenfalls wenig ermutigend ist die Tatsache,

dass offensichtlich in einigen Landesteilen auch staat-

liche Einrichtungen, die offiziell vom Gesetz nicht be-

troffen sind, angewiesen worden sind, ihre Kontakte

mit ausländischen Partnern einzuschränken.

Inhaltlich wird die Stiftung in den kommenden Mona-

ten ausloten müssen, was unter den neuen Bedingun-

gen noch machbar ist. Bereits jetzt ist abzusehen,

dass Veranstaltungen über die Demokratieentwicklung

im Lande und die Wahrung der Menschenrechte mit

großer Wahrscheinlichkeit zu Konflikten mit den Be-

hörden führen werden. Denkbar ist die Duldung von

Aktivitäten zu wirtschaftspolitischen Themen. Eben-

falls toleriert würde sicher das Engagement zu Fragen

der Kommunalpolitik und der Dialog zwischen ver-

schiedenen ethnischen Gruppen in den Regionen.

Die Optionen für die Stiftungsarbeit werden in hohem

Maße davon abhängen, wie sich in den kommenden

Monaten die innenpolitische Lage in Russland entwi-

ckelt und ob es eine weitere Zuspitzung der Konflikte

mit NATO-Staaten auf der internationalen Ebene gibt.

Bei einer Stabilisierung der Lage ist denkbar, dass die

neuen gesetzlichen Regelungen nur als Drohkulisse

aufrechterhalten und nicht in vollem Umfang umge-

setzt werden.

Zu hoffen ist, dass Russland im eigenen Interesse den

gegenwärtigen Reformstau überwindet und sein in

Teilen beeindruckendes Wirtschaftswachstum fort-

setzt. Dies ist die entscheidende Voraussetzung, um zu

einer der führenden Industrienationen der Welt aufzu-

steigen. Da die Überwindung des Reformstaus aber

aus Sicht des Regimes gesellschaftspolitisch die

"Gefahr" der Öffnung, Pluralisierung und Demokrati-

sierung birgt, verbunden mit der Option des Macht-

verlusts der gegenwärtig herrschenden Eliten, bleiben

große Fragezeichen. Die Maßnahmen der vergangenen

Monate zur Einhegung und Gängelung von Opposition

und Zivilgesellschaft deuten darauf hin, dass die herr-

schenden Eliten dieses Szenario weiterhin mit allen

Mitteln bekämpfen werden.

Dr. Wolfgang John

Interimsprojektleiter Russland (bis 31. Okt. 2012)

FNF Diskussion am 30. Oktober 2012 in Moskau

v.l.n.r. Lilia Schibanova, Gründerin von Golos; Leonid B.,

Dolmetscher; Dr. Rene Klaff, Dr. Wolfgang John,

Julius von Freytag-Loringhoven, FNF

Grafik: TUBS/Wikimedia Commons )

Page 21: FNF International News 1-2013

21

FNF International News 2-2012

Freiheit in Transition

Vieles weist darauf hin, dass die Bezeichnung

„Arabischer Frühling“ für die historischen Umbrüche

am Süd- und Ostrand des Mittelmeers womöglich ein

wenig voreilig war. Das Begriffspaar impliziert eine

fortschrittliche und positive Richtung, die anfänglich

– in der Stunde des Überschwangs – womöglich ange-

messen erschien, heute, bald zwei Jahre nach dem

Auftakt dieses für die Region beispiellosen Vorgangs,

indes keineswegs ein zutreffendes Attribut darstellt.

Keiner weiß, wo die politische Entwicklung hingehen

wird, erst in Umrissen werden die neuen politischen

Strukturen erkennbar.

Wo Licht ist, fällt auch Schatten. Diese Regel gilt auch

für die arabische Welt. Das wird in den folgenden Bei-

trägen schnell deutlich: während die revolutionären

Veränderungen in Tunesien in eine Richtung gehen,

die – zumindest aus liberaler Sicht – durchaus positive

Züge trägt, ist das Bild in Ägypten – wiederum aus

liberaler Sicht – weitaus weniger rosig. Nur als grau-

sam sind die Entwicklungen in Syrien zu bezeichnen,

die längst zu einem Konflikt mit regionalen und weit-

reichenden internationalen Dimensionen eskaliert

sind.

Welche Freiheit nach dem Frühling? Dies fragen unse-

re Autoren auf den folgenden Seiten. Die kommentie-

renden Anmerkungen zu Tunesien stammen aus der

Feder von Alexander Knipperts in Tunis, mit der Lage

in Syrien setzt sich Ralf Erbel in Amman auseinander

und die Entwicklungen in Ägypten beschreibt Dr.

Ronald Meinardus in Kairo, bei dem auch die Gesamt-

redaktion des folgenden Abschnitts lag.

Am 23. Oktober 2012 jährten sich erstmals die viel

beachteten, ersten freien und fairen Wahlen in Tune-

sien - dem Ursprungsland des regionalen politischen

Wandlungsprozesses, der weltweit bald als „arabischer

Frühling“ mit Spannung – und zunehmend auch mit

Sorge - verfolgt wurde. Auch für die Tunesier selber

war dieser erste Jahrestag ein Moment der Bestands-

aufnahme.

Die Frustration und das „ras-le-bol“ vor allem der jun-

gen Menschen war in seinem Ursprung ein Protest

gegen die wirtschaftliche Aussichtslosigkeit. In den

„vergessenen“ Regionen des Südens und im Landesin-

nern aber bald auch in den Städten begaben sich nach

und nach immer mehr vormals unpolitische oder poli-

tikferne Menschen auf die Straße, um gegen die er-

drückende Perspektivlosigkeit der Diktatur des altern-

den Präsidenten Ben Ali zu demonstrieren. Viele der

Protestierenden waren arbeitslose Akademiker, die an

den Universitäten des Landes gleichsam „geparkt“

wurden – ohne realistische Aussicht auf ein angemes-

senes Auskommen.

Es war aber auch ein „Basta!“ der Intelligentia und der

urbanen Eltern sowie der gebildeten Mittelschicht des

Landes, die sich die geistige und intellektuelle Gänge-

lung durch das Regime nicht länger gefallen lassen

wollte. Sie wollten nicht länger akzeptieren, dass ein-

geführte Bücher strengsten Zollkontrollen unterlagen

und eine offener Diskurs über Politik selbst innerhalb

Welche Freiheit nach dem Frühling? Anmerkungen zu den

historischen Umbrüchen in Tunesien, Ägypten und Syrien

Tunesien im Wandel, oder: Ein Prozess der

kollektiven Ernüchterung

Page 22: FNF International News 1-2013

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FNF International News 2-2012

Freiheit in Transition

von Familien nicht möglich war. Man wollte die Dinge

endlich beim Namen nennen können, über das Land

und seine Probleme frei sprechen können – und dabei

nicht den offiziell vorgegebenen Diskurs nachspre-

chen, der – das kam erschwerend hinzu – so offen-

sichtlich an den Realitäten Tunesiens und seiner Men-

schen vorbei ging.

In den tumultösen ersten Wochen und Monaten nach

der Flucht des Diktators, in denen eine Übergangsre-

gierung der anderen folgte, bis am Ende das alte Re-

gime tatsächlich auch aus den Führungsetagen ver-

schwunden und die Einheitspartei RCD aufgelöst war,

waren tausend Träume erlaubt. Und jeder konnte hof-

fen, dass seine ganz persönliche Idee vom neuen Tu-

nesien Wirklichkeit würde: Die jungen Rapper, die aus

der Enttäuschung Musik machten; die Internet-Freaks,

die sich daran machten, die totale Transparenz aller

Informationen zu fordern; die Unternehmer, die das

Ende der Korruption nahen sahen; die Arbeiter, die

endlich einen Job mit Sozialversicherung erhofften;

die Gewerkschaftler, die endlich bessere Löhne sehen

wollten; aber auch die alten (und gelegentlich auch

jungen) Männer, die sich auf die Wiedereinführung

der Vielehe freuten; die Religiösen, die eine freiere

Ausübung ihres Glaubens kommen sahen und eine

strikte Durchsetzung der islamischen Identität erhoff-

ten; die moderne Mittelschicht, die sich eine Öffnung

des Landes und bessere Bildungschancen für ihre Kin-

der wünschte; die Anhänger des ehemaligen Präsiden-

ten Habib Bouguiba, den Ben Ali weiland vom Thron

gestoßen hatte – all diese Menschen mit ihren dispa-

raten Vorstellungen sahen nun die Chance, an die

Macht zu kommen. Und nicht zu vergessen: Dazwi-

schen hofften die vielen Günstlinge des ancien re-

gime, die Mitläufer und Geheimpolizisten, die Spitzel

und die Blockwarte, dass die Revolutionäre sich nicht

an ihnen rächen würden, ja, dass sie womöglich auch

in der neuen Ordnung einen Platz finden würden.

Natürlich war von Anfang an klar, dass sich nicht alle

diese Träume gleichzeitig würden realisieren lassen,

noch mit all den Widersprüchen nebeneinander beste-

hen konnten, weder für das Land als Ganzes, noch für

jeden einzelnen Bürger. In gewisser Weise war der

schönste Tag nach der Revolution der erste Tag nach

dem Umsturz, bevor die harte Arbeit am Kompromiss

begann und die nüchternen und unerbittlichen Gren-

zen der Wirklichkeit – allen voran die widersprüchli-

chen Pläne – dem Machbaren enge Grenzen setzen.

Seitdem „setzt“ sich gleichsam das Land und eine

neue Situation festigt sich, in der viele Träume ent-

täuscht und viele Wünsche weiter nicht realisiert wer-

den.

Im tunesischen Falle heißt das vor allem, dass die

Träume der meisten jungen Menschen unerfüllt ge-

blieben sind. Träume von einer wirtschaftlich erfolg-

reicheren Zukunft sind bislang eher noch zahlreicher

geworden, während das Land immer weiter in eine

wirtschaftliche Schieflage gerät. Auch die totale Öff-

nung ist ein Traum geblieben, wenngleich die Geset-

zestexte ein exemplarisches „Informationsfreiheits-

gesetz“ mit beinhalten, sind die Behörden stur wie eh

und je.

Und langsam schleicht sich die Zensur wieder ein, als

Schere im Kopf, von der islamistischen Regierung und

ihrem Umfeld geschickt geschärft durch direkte und

indirekte Angriffe und Übergriffe auf die Künstler und

die Intellektuellen, die emanzipierten Frauen und die

lebensfrohe Jugend. Manchmal auf der großen Lein-

wand, wenn Medienschaffende und Künstler wegen

„Blasphemie“ öffentlich angefeindet werden, aber viel

öfter im Kleinen, wenn die neuen Herrscher sich den

weiter intakten Apparat der Diktatur zunutze machen,

um Wohltätigkeiten nun an ihre eigenen Anhänger zu

verteilen und der Lebenswandel zum (vorge-

schobenen) Verteilungskriterium wird.

Besonders enttäuscht wurden auch viele Frauen, die

Proteste gegen Ben Ali Januar 2011 (Foto: VOA/Wikipedia)

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FNF International News 2-2012

Freiheit in Transition

sich den Erhalt ihrer umfangreichen gesellschaftlichen

Freiheiten erhofft hatten und nun doch immer öfter

gezwungen sind, einem Bild zu genügen, dass sie lan-

ge abgelegt hatten und überwunden glaubten.

Dieser langsame Prozess vom freien Träumen zur Her-

ausbildung der „Gewinner und Verlierer“ der Revoluti-

on hat auf der politischen Bühne zu einer nachhalti-

gen Polarisierung der Akteure geführt. Waren bei den

Wahlen noch 120 Parteien zugelassen, sind inzwi-

schen drei große Blöcke um die Islamisten (Ennahda),

die Traditionalisten (Nida Tounes) und die Modernis-

ten (Joumhouri, Le Front Populaire) entstanden, von

denen die beiden letzteren sich anschicken, den Is-

lamisten in letzter Minute doch noch die neu gewon-

nene Macht aus den Händen zu reißen. Ob dies ge-

lingt – und auf welche Art und Weise, durch Wahlen,

eine friedliche oder eine gewaltsame Machtübernah-

me –, das ist in zunehmendem Maße Gegenstand von

Spekulationen (und Hoffnungen) all derjenigen, die

sich in dem islamistischen Gesellschaftsmodell nicht

wiederfinden oder schlicht von der gegenwärtigen

Regierung enttäuscht sind.

So bleibt die Transition in Tunesien vor allem ein Pro-

zess der kollektiven Ernüchterung, des Wandels von

Hoffnung zu Sorge und dem schwierigen Lernprozess

hin zur Erkenntnis, dass Freiheit kein einfacher Zu-

stand ist – und vor allem kein dauerhafter. Wenn

nämlich immer mehr Menschen sich enttäuscht von

ihr abwenden und gleichzeitig andere die Gunst der

Stunde für ihre ganz eigenen Interessen nutzen.

Ägypten ist das mit Abstand bevölkerungsreichste

Land der arabischen Welt. Die Menschen am Nil nen-

nen ihre Heimat durchaus unbescheiden Oum al Do-

unia, Mutter der Welt, was heißen soll Bezugs- und

Angelpunkt für alle anderen. In der arabischen Nach-

barschaft ist Ägypten dann auch traditionell nicht zu-

letzt wegen seiner Größe der Trendsetter. Daher ist es

lohnend, nach Kairo zu blicken, wenn die großen Li-

nien der arabischen Entwicklungen sichtbar werden

sollen.

Anderthalb Jahre nach dem Sturz von Hosni Mubarak,

den Journalisten gerne als den letzten Pharao im Land

der Pyramiden bezeichnen, werden die ersten Umrisse

des neuen, post-revolutionären Ägyptens erkennbar.

Das soll keineswegs heißen, der historische Prozess,

der mit der „Revolution vom 25. Januar“ begonnen

hat, sei abgeschlossen; um diesen Endpunkt zu errei-

chen, werden noch Jahre, wenn nicht Jahrzehnte ver-

gehen, meinen die Kenner. Gleichwohl sind, wie ge-

sagt, erste Umrisse, Elemente, Strukturmerkmale der

neuen Ordnung da. Das neue Ägypten ist eindeutig

demokratischer als das alte. Die neuen Machthaber –

sie sind Islamisten und stammen aus dem Schoße der

lange verfemten Muslimbruderschaft – sind durch

freie und faire Wahlen demokratisch legitimiert. De-

mokratie und Dominanz der Islamisten – so lautet auf

den Punkt gebracht die neue politische Gleichung in

Ägypten. Die Nagelprobe, und hier richtet sich der

Blick schon in die Zukunft, steht dem Land noch be-

vor. Es gilt zu beweisen, dass politischer Islamismus

und Demokratie keine Widersprüche sind. Die mit er-

drückender zwei Drittel-Mehrheit regierenden Islamis-

ten müssen in der Praxis erst noch beweisen, dass sie

den Pluralismus respektieren und im neuen Ägypten

Platz sein wird für bürgerliche Freiheiten und Anders-

denkende.

Ein sensibleres Barometer als die wohlklingenden Lip-

penbekenntnisse sind hier die Vorlagen der verfas-

sungsgebenden Versammlung, in der eine Koalition

von Muslimbrüdern und Salafisten den Ton angeben.

Wenn die Ägypten-Kennerin Marina Ottaway vom

Carnegie Endowment in einem Kommentar nun

schreibt, Ägypten kehre nach 18 Monaten langsam zu

„normaler Politik“ zurück, so meint sie die Politisie-

rung der politischen Konflikte, das Ende der Straßen-

politik, die häufig in gewalttätige Straßenkämpfe es-

kaliert ist – mit vielen Dutzenden Toten. Womöglich

ist es verfrüht, in diesem Sinne schon jetzt von einer

Normalisierung der ägyptischen Politik zu sprechen:

die Quasi-Monopolisierung des politischen Entschei-

dungsprozesses durch die Islamisten lässt den Nicht-

Religiösen kaum eine andere Wahl, als auf die Straße

zu gehen. Noch immer finden beinahe jeden Freitag

auf dem Tahrir-Platz Demonstrationen statt. Die Ver-

anstalter nennen diese Kundgebungen großmundig

„Millyonaia“ (Millionen-Marsch); dass in der Tat nur

Ägypten: Noch keine Normalität im Land

am Nil

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FNF International News 2-2012

Freiheit in Transition

einige Tausend sich versammeln, zeigt zum einen den

fehlenden Realitätssinn, vor allem aber die Politikver-

drossenheit der großen Mehrheit der Menschen.

„Normal“ ist ägyptische Politik auch deshalb nicht –

zumindest nicht in einem demokratischen Sinne –, da

es weder eine gültige Verfassung, noch ein Parlament

gibt. Die von Islamisten dominierte Volksversammlung

hatte der Oberste Militärrat nach einem entsprechen-

den Beschluss des Verfassungsgerichtes kurzerhand

aufgelöst. Seither regiert der Präsident quasi allmäch-

tig per Dekret.

Neben den Islamisten (und ihrem Präsidenten) sowie

dem Militär spielt im Ägypten der unmittelbaren Post-

Mubarak-Phase die Justiz eine wichtige Rolle. Der

Reihe nach: Im Zuge des Sieges der Freiheits- und Ge-

rechtigkeitspartei der Muslimbrüder zunächst bei den

Parlamentswahlen und sodann – im Frühsommer die-

sen Jahres – bei den Präsidentschaftswahlen und der

dann von Mohamed Mursi in einem Überraschungs-

coup vollzogenen Kaltstellung des Militärrates ist ak-

tuell die Judikative die einzige konsolidierte Kraft, die

den Islamisten die Stirn bietet – und das totale

Machtmonopol verhindert.

Die vielen Richter mit samt ihrer Gerichte haben einen

großen Makel. Ihre Macht geht auf die Mubarak-Zeit

zurück, sie gelten mithin als Feloul (Wendehälse) und

sind für viele Revolutionäre der ersten Stunde nicht

bündnisfähig. Für die Islamisten ist die Judikative ein

Dorn im Auge, sie lassen keinen Zweifel, dass sie de-

ren Einfluss zurecht stutzen wollen – zunächst mit der

versuchten, aber alsdann gescheiterten Entmachtung

des Generalstaatsanwaltes, alsdann mit Formulierun-

gen im Verfassungsentwurf, die auf eine Unterstellung

des Verfassungsgerichtes unter den Präsidenten hin-

weisen. Gegen diese Gleichschaltungsbemühungen

regt sich der Widerstand vor allem der säkularen Op-

position. Es ist zur Stunde offen, ob die Islamisten ihre

Macht nutzen werden, um die illiberale Politik notfalls

ohne Konsens durchzupeitschen.

Im Fokus der Aufmerksamkeit (und der politischen

Diskussionen) steht die neue Verfassung, die – so sieht

es der Fahrplan der Transition vor – noch in diesem

Jahr in einem Referendum dem Volk zur Abstimmung

vorgelegt werden soll. Noch ist der Volltext nicht ver-

öffentlicht, doch die umfangreichen Passagen, die in

den Medien dokumentiert sind, lassen eine durchaus

„islamistische“ Handschrift erkennen. Auf jeden Fall ist

der tunesische Verfassungsentwurf, das lässt bereits

ein oberflächlicher Vergleich erkennen, wesentlich

liberaler als der ägyptische Text.

Dass an Artikel 2 der ägyptischen Verfassung von

1971 festgehalten werden würde, demzufolge „der

Islam die Staatsreligion ist, Arabisch die offizielle

Sprache und die Prinzipien der islamischen Scharia die

Hauptquelle der Gesetzgebung (sind)“, daran bestand

niemals ein Zweifel. Selbst die liberalen Parteien

„bekannten“ ich zu diesem Artikel, der die „Identität“

Ägyptens konstitutionell festschreibt. Doch neben die-

sem Eingangsartikel, der die normative Kraft des Fak-

tischen in dieser in hohem Maße islamisierten Gesell-

schaft reflektiert, sind es andere Punkte im Verfas-

sungsentwurf, mit denen sich die nicht-religiösen

Kräfte ganz und gar nicht abfinden wollen – etwa bei

so wichtigen Fragen wie den Frauenrechten, den

Rechten religiöser Minderheiten und der Presse- und

Meinungsfreiheit. In liberaler Sicht leidet der Text da-

runter, dass Grundrechte an mehr als einer Stelle un-

ter den Vorbehalt der Kompatibilität mit der Scharia

gestellt werden. Während all dies für „Liberale“ – un-

ter diesem Sammelbegriff werden im politischen Lexi-

kon des Post-Mubarak-Ägyptens alle nicht-religiösen

Parteien zusammengefasst – nicht akzeptabel ist, hat

die ganz große Mehrheit der Ägypter mit diesen For-

mulierungen und den Bezügen zum göttlichen Recht

des Koran überhaupt kein Problem. Die prinzipielle

Gültigkeit der Scharia ist bei diesen Menschen – und

möglicherweise auch jenseits der Wählerschaft der

islamistischen Parteien – nicht umstritten. Das liegt

vor allem an der tiefen Religiosität der Menschen in

Ägypten (und in weiten Teilen der arabischen Welt),

mit der viele Menschen im säkularisierten, ja geradezu

religionsfeindlichen Westen nicht zurecht kommen.

In der Konsequenz bedeutet dies, dass für die ägypti-

schen „Liberalen“ (in dem oben genannten Sinne), das

Religionsthema dann auch nicht der Angriffspunkt

gegen die Islamisten ist. Hier haben die religiösen Par-

teien die Nase vorne. Der Schwachpunkt, wenn nicht

gar die Achillesverse der regierenden Islamisten ist die

Wirtschaftspolitik. Auch Ägyptens Revolution wurde

angetrieben durch die hungrigen und entrechteten

Massen, die für sich und ihre Kinder ein besseres Aus-

kommen erhofften.

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FNF International News 2-2012

Freiheit in Transition

Die Revolution hat hohe Erwartungen in der Bevölke-

rung geweckt. Diese sind im Zuge der demokratischen

Wahlkämpfe durch die Versprechen der Politiker in

unrealistische Höhen getrieben worden. Der Populis-

mus der Muslimbrüder ist heute, da sie quasi alle

Macht in den Händen halten, eine schwere Hypothek.

Die Besonnenen wissen, dass die Versprechen niemals

erfüllt werden können. Die Frage, die sich stellt: Wie

lange wird es dauern, ehe die um sich greifende Ent-

täuschung in Protest und eventuell gar offene Gewalt

umschlagen wird?

In einem wichtigen Punkt hat die Revolution das Land

und seine Menschen verändert: Die Ägypter haben

ihre Angst, ihren Respekt vor der einst allmächtigen

Staatsmacht verloren. Kaum ein Tag vergeht ohne

Streiks, ohne Aktionen des zivilen Ungehorsams. Diese

Energie in demokratische Bahnen zu leiten und neue

Explosionen der Gewalt zu verhindern, ist die größte

Herausforderung im dem Land, das sich – aus arabi-

scher Sicht nicht unberechtigt – als die „Mutter der

Welt“ versteht.

Syriens Tragödie: Die gescheiterte Transition

Der „Arabische Frühling“ – in keinem Land am südli-

chen und östlichen Rand des Mittelmeeres sind die

mit dieser positiven Titulierung ausgedrückten Hoff-

nungen auf einen friedlichen und demokratischen

Wandel so dramatisch enttäuscht worden wie in Syri-

en: Nirgendwo anders in der arabischen Welt verläuft

der politische Umbruch derart blutig. Die internatio-

nale Gemeinschaft ist sich in Bezug auf die Behand-

lung des Konflikts uneins, die syrische Opposition zer-

splittert. Der Krieg in Syrien entwickelt sich zuneh-

mend zu einem regionalen, ja internationalen Stell-

vertreterkrieg. Bashar Al Assad und seine Unterstützer

kämpfen derweil ums Überleben – in einem Krieg ge-

gen die eigene Bevölkerung.

Syrien steckt in einem Bürgerkrieg. Zehntausende ha-

ben ihn bereits mit dem Leben bezahlt, Hunderttau-

sende sind geflohen, zahlreiche Stätten des Weltkur-

erbes in Aleppo und Damaskus sind zerstört oder be-

schädigt. Von der Arabischen Liga suspendiert, inter-

national weitgehend isoliert und mit Sanktionen be-

legt, innenpolitisch von einer sich zunehmend radika-

lisierenden Opposition bedrängt, begegnen die re-

gimetreuen syrischen Sicherheitskräfte dem Aufstand

des eigenen Volkes mit umso grausamerer Brutalität.

Es ist schwer vorstellbar, dass Präsident Bashar Al As-

sad – trotz des Einsatzes seiner Luftwaffe gegen die

Aufständischen im eigenen Land – die Kontrolle über

Syrien wiedererlangen und sich nach diesen Verbre-

chen am eigenen Volk dauerhaft an der Macht halten

kann.

Nach Ende dieses Konflikts dürfte es Jahre dauern, die

physischen Schäden im Land wieder aufzubauen, noch

schwieriger wird es jedoch sein, die tiefen Gräben in

der Bevölkerung zu überwinden und ein neues, tragfä-

higes und inklusives politisches System zu errichten.

Eine der zentralen Fragen, deren Ausgang maßgeblich

den Charakter des neuen Syriens bestimmen dürfte,

wird die nach einer Dezentralisierung des bislang

zentralistisch regierten Landes sein.

Denn anders als etwa in Ägypten und Tunesien ist das

syrische Volk in zunehmendem Maße entlang gesell-

schaftlicher und konfessioneller Bruchlinien gespal-

ten, die weite Teile der Levante durchziehen. Die

Mehrheit der Syrer sind sunnitische Muslime; das Re-

gime hingegen wird seit dem Putsch von Hafez Al As-

sad im Jahr 1970 von Anhängern der alawitischen

Minderheit dominiert. Unter vielen Alawiten, aber

auch etlichen Christen des Landes, herrscht existenzi-

elle Angst vor der Zukunft ihrer Religionsgemein-

schaften in einem Syrien nach Assad. Das Szenario

einer zukünftigen, von der sunnitischen Bevölkerungs-

mehrheit Syriens dominierten Herrschaft, gegebenen-

falls gar unter Leitung der vielerorts gefürchteten

Muslimbrüder, verbreitet bei diesen Menschen Angst

und Schrecken.

Derweil setzen Syriens Kurden darauf, in einem neuen

Syrien in großer Autonomie in einer eigenen Region

leben zu können, vergleichbar mit ihren kurdischen

Nachbarn im Irak. Hier liegt weiteres Konfliktpotenzi-

al, da türkische Interessen direkt berührt sind.

Indessen nimmt der Konflikt in Syrien zunehmend Zü-

ge eines regionalen Stellvertreterkriegs an. Während

die sunnitischen Ölmonarchien am Persisch-

Arabischen Golf – und ihre Verbündeten in der Türkei

und im Westen – die Opposition unterstützen, kann

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FNF International News 2-2012

Freiheit in Transition

sich das syrische Regime (noch) auf den Beistand des

Iran und der libanesischen Hisbollah verlassen – und

auf diplomatischer Ebene und im Sicherheitsrat der

Vereinten Nationen auch auf die Vetomächte Russ-

land und China.

Sämtliche internationale Vermittlungen sind im Lichte

dieser politischen Gemengelage gescheitert: Zunächst

war es Kofi Annan, der im Auftrag der Vereinten Nati-

onen und der Arabischen Liga vermittelte, nun ist Al

Akhdar Al Ibrahimi an der Reihe, sein diplomatisches

Geschick zu beweisen.

Derweilen wächst die Angst vor einem regionalen Flä-

chenbrand. Grund zur Sorge gaben im Oktober 2012

zunächst die militärischen Auseinandersetzungen an

der syrisch-türkischen Grenze, nachdem zum wieder-

holten Mal Granaten auf türkischem Gebiet einge-

schlagen waren und Zivilisten ums Leben kamen. We-

nig verwunderlich ist, dass bei all der Gewalt die

Flüchtlingsströme aus Syrien in die Nachbarländer

dramatisch angeschwollen sind. Hunderttausende Sy-

rer sind in die Türkei, nach Jordanien und in den Liba-

non geflohen. Im Flüchtlingslager Zaatari nahe der

jordanisch-syrischen Grenze ist das menschliche Elend

derart eklatant und bedrückend sichtbar, dass der Na-

me zu einem Synonym für die humanitäre Katastrophe

geworden ist.

Auch auf den Libanon strahlt der Konflikt aus: am 19.

Oktober 2012 starb in Beirut bei einem Anschlag der

Chef des libanesischen Polizeigeheimdienstes, ein ein-

flussreicher Assad-Gegner. Beobachtern zufolge trägt

das Attentat die Handschrift des syrischen Regimes,

das seit Jahrzehnten die Politik im Libanon erheblich

zu steuern vermag, auch nach seinem militärischen

Abzug aus dem Land 2005.

Angesichts der Gewalt forderten syrische Oppositio-

nelle eine Flugverbotszone und Militärhilfe im Kampf

gegen Präsident Al-Assad. Doch ein weiterreichendes

militärisches Engagement wie etwa in Libyen lehnt die

internationale Gemeinschaft bislang ab. Dies mag da-

mit zusammenhängen, dass die syrische Opposition

zersplittert ist und sich – anders als während des Auf-

standes in Libyen – keine geographisch zusammen-

hängende Region unter der Kontrolle von Aufständi-

schen herausgebildet hat, die zu unterstützen relativ

einfach wäre. Es mag aber auch mit der Sorge vor ei-

nem Flächenbrand in der Region verbunden sein, so-

wie mit innenpolitischen Erwägungen in Zeiten des US

Wahlkampfs.

Die syrische Opposition soll unterdessen von Al-Qaida

nahestehenden Kämpfern unterwandert worden sein.

Am 21. Oktober 2012 veröffentlichten die Behörden

Jordaniens, das bisher seine Grenze zu Syrien gemein-

sam mit Damaskus genau kontrollierte, die Festnahme

von elf Terroristen, die mit Al-Qaida in Verbindung

gebracht werden. Sie sollen in Jordanien massive An-

schläge geplant und die Waffen dazu über die syrische

Grenze geschmuggelt haben. Der Vorfall ist noch mit

einigen Fragezeichen versehen, zeigt aber, dass das

wachsende Chaos in Syrien gefährliche Folgen für die

gesamte Region haben könnte.

Syrien – die Tragödie nimmt ihren Lauf.

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FNF International News 2-2012

Freiheit in Transition

Europa ist im Umbruch und viele europäische Politiker

formulieren große Ideen für die Zukunft der EU. Sie

setzen die Segel in Richtung einer immer enger wer-

denden politischen Union. Rückenwind für diesen Kurs

kommt vom Friedensnobelpreis-Komitee, das die EU

kürzlich mit der höchsten Auszeichnung für den Frie-

den geehrt hat. Führende Abgeordnete des Europäi-

schen Parlaments werben für ihre Vision der Vereinig-

ten Staaten von Europa. Während, so scheint es, die

Europäer auf dem Kontinent näher zusammenrücken,

gefällt sich ein EU-Mitgliedstaat in der Rolle des ewi-

gen Outsiders, indem er auf Distanz zu Europa setzt:

Großbritannien hat vor kurzem angekündigt, aus der

europäischen Innen- und Rechtspolitik auszusteigen.

Zuvor war in der Presse von einem möglichen EU-

Austritt der Briten zu lesen gewesen, insbesondere die

Regierungspartei Camerons wurde mit derartigen For-

derungen zitiert.1 Seither spielen die Medien nicht

mehr mit dem Austritt Griechenlands, dem „Grexit“,

sondern spekuliere über den „Brexit“. Unnötige Dra-

matik oder realistisches Szenario?

Traditionelle Europaskepsis

Dass die Briten zu den tendenziell integrationskriti-

scheren Nationen zählen, ist nichts Neues. Seit 1984

gibt es den „Britenrabatt“ im EU-Haushalt, den die

damalige Premierministerin Margaret Thatcher unter

dem Motto „I want my money back“ aushandelte und

der im Zuge der Verhandlungen über den Mehrjähri-

gen Finanzrahmen immer wieder zur Sprache kam.2

Später hielten sich die Briten häufig zurück, wenn es

um ein Mehr an politischer Integration in Europa ging.

So traten sie weder dem Schengen-Abkommen, noch

der Eurozone bei. Die euro(pa)skeptische Stimme der

Briten ist in Brüssel erfolgreich institutionalisiert, ins-

besondere im Europäischen Parlament. Seit 2009 gibt

es dort die Allianz der Europäischen Konservativen

und Reformisten (ECR), die mit 52 Abgeordneten nach

den Grünen die fünftgrößte (oder drittkleinste) Frakti-

on bildet. Bezeichnenderweise gehören 25 der ECR-

Abgeordneten den britischen Tories an und waren vor

2009 noch Mitglied der konservativen EPP-Fraktion.

Die Tories stellen auch den ECR-Vorsitzenden Michael

Callanan. Callanan, der im Frühjahr auf einem Podium

der Friedrich-Naumann-Stiftung für die Freiheit kon-

struktive Positionen zum Mehrjährigen Finanzrahmen

vertrat, machte kürzlich von sich reden, als er den No-

belpreis für die EU als „völlig realitätsfremd“ bezeich-

nete.3 Die zur ECR gehörige Parteistiftung, die New

Direction Foundation, steht unter Schirmherrschaft

der „Eisernen Lady“, Margaret Thatcher.4

Die einschlägige Literatur wartet mit psychologischen,

historischen und ökonomischen Erklärungen für das

Phänomen der britischen Europaskepsis auf. Aktuell

hat Roderick Parkes, Leiter des Polnischen Instituts für

Internationale Angelegenheiten in Warschau und vor-

mals Leiter des Brüsseler Büros der SWP, eine lesens-

werte makrosoziologische Analyse vorgelegt. Darin

erklärt er, wie beide Seiten des Ärmelkanals seit Jahr-

zehnten dazu beitragen, ausgerechnet die Briten (und

nicht etwa die Polen oder die Bulgaren) als ewige

Zurück auf die Insel?

Großbritannien setzt auf Distanz zu Europa

1 http://www.economist.com/debate/overview/220 2 Vgl. für die Diskussion um den MFR im Jahr 2005, Stern.de vom

15. Juni 2005 http://www.stern.de/politik/ausland/eu-finanzplan

-finanzstreit-spaltet-ramponierte-eu-541808.html und für die

aktuelle Debatte Welt.de vom 24. September 2012 http://

www.welt.de/wirtschaft/article109436340/EU-Nettozahler-

begehren-gegen-Briten-Rabatt-auf.html

3 Zum Veranstaltungsbericht vom 22. Mai 2012 vgl. http://fnf-

europe.org/2012/05/22/and-when-the-money-keeps-rolling-out

-you-should-ask-how/ und zum Statement zum Nobelpreis vom

12.10.2012 vgl. http://ecrgroup.eu/?p=7289 4 http://newdirectionfoundation.org/content/patron-and-board

Page 28: FNF International News 1-2013

28

FNF International News 2-2012

Freiheit in Transition

Outsider zu konstruieren. Auch geschichtliche Überle-

gungen spielen dabei eine Rolle. Für viele osteuropäi-

sche Mitgliedstaaten bedeutete die EU-

Vollmitgliedschaft die erfolgreiche Aufnahme in die

demokratische Familie und damit einen Prestigege-

winn. Demgegenüber mussten sich viele Briten mit

dem EU-Beitritt endgültig von ihrem ehemaligen Sta-

tus als Großmacht verabschieden.5

Seit Mai 2010 übt in Großbritannien eine konservativ-

liberale Regierung den permanenten Spagat zwischen

tendenziell europaskeptischen Tories und weitgehend

europafreundlichen Liberal Democrats. Nachdem das

Regierungsbündnis etwa eineinhalb Jahre im Amt war,

wurde es auf eine harte Probe gestellt. David Came-

ron, der damals bereits unter dem erheblichen Druck

des europakritischen Flügels seiner Partei stand, sagte

in Brüssel „No“ zum europäischen Fiskalpakt. Dies kam

nach allgemeiner Ansicht der europapolitischen Isolie-

rung gleich, worüber sich der liberale Koalitions-

partner unter Führung von Nick Clegg wenig erfreut

zeigte. Als Cameron am Montag nach dem EU-Gipfel

vor das House of Commons trat, um seine Politik zu

rechtfertigen, glänzte der stellvertretende Premier de-

monstrativ mit Abwesenheit. Cleggs leerer Stuhl zeug-

te nicht nur von bitterer Enttäuschung, er gab auch

sofort Anlass für Spekulationen über ein mögliches

Ende des konservativ-liberalen Bündnisses. In den

kommenden Monaten bemühte sich die britische Re-

gierung die Wogen zu glätten, doch seither rumort es

hörbar in der Koalition. Dabei scheiden sich die Geis-

ter stets an der Haltung gegenüber der Europäischen

Union.

Referendum über EU-Austritt?

Im Sommer 2012 wurden

erstmals Überlegungen

über einen möglichen EU-

Austritt Großbritanniens

laut. Hintergrund ist der

im Dezember 2009 in Kraft

getretene Vertrag von Lis-

sabon, der in Artikel 50

erstmals explizit vorsieht,

dass jeder Mitgliedstaat beschließen kann, aus der

Europäischen Union auszutreten. Cameron selbst hat

diese Diskussion beflügelt, indem er verlauten ließ:

„Ich bin nicht gegen Volksabstimmungen in Europa.

[…] Für mich können die beiden Worte ‚Europa‘ und

‚Referendum‘ zusammen gehen.“6 Dabei steckte der

Premier in einem unglücklichen Zwiespalt: Knapp 100

konservative Abgeordnete hatten ihn im Sommer

2012 schriftlich gebeten, eine Volksabstimmung über

den Verbleib der Briten in der Europäischen Union ab-

zuhalten. Davon profitiert im Zweifelsfall natürlich

auch die Labour-Partei, die ihren Teil dazu beiträgt,

das Thema auf der politischen Agenda zu halten. An-

dererseits ist klar, dass die Londoner Finanzindustrie

um ihren Zugang zum Binnenmarkt bangt und daher

einen EU-Austritt unbedingt vermeiden möchte. In

einer europapolitischen Rede am 23. Januar 2013

kündigte Cameron dann ein Referendum im Falle sei-

ner Wiederwahl bis 2017 an. Dies hat die Debatte im

Land und auch auf der europäischen Bühne noch ein-

mal richtig angeheizt. Die öffentliche Meinung ist in

GB aktuell so europaskeptisch, dass die Austrittsbe-

fürworter eine reelle Chance haben könnten.

Ein neuer Deal für London

Eine vergleichsweise neue Besonderheit der britischen

Gesetzgebung ist der so genannte European Union

Act7, der am 19. Juli 2011 mit königlicher Einwilli-

Nick Clegg und David Cameron (Foto: Office of Nick Clegg)

5 Parkes, Roderick 2012: Stuck in the Exit: the Dynamics of Bri-

tish-EU Relations, in: European Policy Analysis, Swedish Insti-

tute for European Policy Studies, 11/2012.

6 http://www.telegraph.co.uk/news/politics/david-

cameron/9367479/David-Cameron-We-need-to-be-clear-about

-the-best-way-of-getting-what-is-best-for-Britain.html

Foto: Holger Lang/Pixelio

Page 29: FNF International News 1-2013

29

FNF International News 2-2012

Freiheit in Transition

gung wirksam wurde. Kurz gesagt sieht dieser vor,

dass jede weitere Abgabe britischer Souveränität auf

die europäische Ebene nicht mehr nur durch Parla-

mentsbeschluss wirksam werden kann. Sie muss von

nun an über eine Volksabstimmung legitimiert wer-

den. Vor diesem Hintergrund wird die öffentliche Mei-

nung in Großbritannien zu einer Einflussgröße, mit

der künftig ernsthaft zu rechnen ist. Camerons Strate-

gie scheint aktuell darauf abzuzielen, die europaskep-

tischen bis regelrecht -feindlichen Stimmen zu beru-

higen, indem er einen „neuen Deal“ Londons mit der

EU einfordert. Er will das Verhältnis zur EU neu aus-

handeln und hat dabei neben der Innen- und Rechts-

politik insbesondere die Landwirtschafts- und Fische-

reipolitik im Blick. Der britische Außenminister Willi-

am Hague kündigte in diesem Zusammenhang ein

Mammutprojekt an, das die britische Regierung in den

kommenden zwei Jahren beschäftigen wird: Bis Ende

2014 soll unter Zuarbeit aller Ministerien ein Katalog

erarbeitet werden, der auflistet, welche Kompetenzen

die EU an Großbritannien zurückgeben sollte. Dazu

äußerte sich der Präsident des Europäischen Parla-

ments Martin Schulz: „Wenn Cameron im geltenden

Vertragsrecht beginnt Rosinen zu picken, dann müs-

sen wir uns überlegen, welche Konsequenzen das für

uns als Institution hat. Wer an bestimmten Politiken

nicht mehr teilnimmt, der nimmt auch an der Gesetz-

gebung nicht mehr teil. Wenn man sich zurückzieht,

muss man sich ganz zurückziehen.“8 Noch undiploma-

tischer formulierte der polnische Außenminister seine

Kritik in einer Rede vom 21. September 2012. Bemer-

kenswert unverblümt zerpflückte Sikorski im altehr-

würdigen Blenheim Palace – vor britischem Publikum!

– acht „Mythen über die EU“, die seiner Ansicht die

britische Gesellschaft „verletzlich“ machen.9

Mögliche Szenarien

In einer Studie untersucht der britische, marktwirt-

schaftliche Think Tank Open Europe, wie so ein neuer

Deal für Großbritannien aussehen könnte. Die Autoren

Stephen Booth und Christopher Howard spielen ver-

schiedene Modelle nach dem Vorbild der Schweiz,

Norwegens und der Türkei durch, kommen aber zu

dem Schluss, dass keines dieser Modelle den briti-

schen Bedürfnissen gerecht werde. Die EU-

Mitgliedschaft liege im nationalen Interesse Großbri-

tanniens, aber es lohne, sie neu zu verhandeln. „The

UK should pick and mix“: Die Briten sollten innerhalb

der Zollunion bleiben und sich den Zugang zum Bin-

nenmarkt und den Dienstleistungen bewahren, aber

die „non-trade costs of the EU“ senken. Dazu gehören

alle Zahlungen, welche die gemeinsame Agrar- und

Kohäsionspolitik betreffen (also die größten Posten

des EU-Budgets), sowie der Bereich der Innen- und

Rechtspolitik. Es entbehrt nicht einer gewissen Ironie

und legt den Vorwurf der Rosinenpickerei abermals

nahe, dass im Schlusskapitel als Handlungsempfeh-

lung ausgesprochen wird: „The UK should increase its

presence in the EU institutions at all levels.“

Wenn Europa langfristig zu einem Bundesstaat fort-

entwickelt würde, kommt man nicht um eine Ausei-

nandersetzung mit Großbritannien herum. Die Briten

müssen daher ernsthaft in die Finalitätsdebatte einbe-

zogen werden. Der britische Europaabgeordnete und

erklärte Föderalist Andrew Duff hat dieses Problem

erkannt und schlägt daher von sich aus eine assoziier-

te Mitgliedschaft für die Briten vor. Dafür wäre eine

kleine Vertragsänderung nötig – zwischen Artikel 49

EUV, der den Beitritt zur EU regelt, und Artikel 50, der

sich mit dem Austritt befasst, könnte ein Artikel 49a

stehen, der eine assoziierte Mitgliedschaft definiert.

Der Begriff erinnert an die privilegierte Partnerschaft,

die konservative Kreise schon vor Jahren für die Türkei

in die Debatte einbrachten, um die EU-Voll-

mitgliedschaft vermeintlich elegant zu umgehen. Duff 7 http://www.fco.gov.uk/en/global-issues/european-union/eu-act/ 8 Vgl. Interview vom 17.10.2012 http://www.welt.de/politik/

ausland/article109920107/EU-Parlamentschef-nimmt-die-Briten-

ins-Visier.html

9 http://www.londyn.polemb.net/files/pdf/The%20Blenheim%

20Palace%20Speech-ENG.pdf

Page 30: FNF International News 1-2013

30

FNF International News 2-2012

Freiheit in Transition

schlägt vor, die Bedin-

gungen für eine solche

Mitgliedschaft zwi-

schen den EU-

Mitgliedern und dem

jeweiligen Bewerber

auszuhandeln. Duffs

Modell – und hier

liegt wohl der ent-

scheidende Unter-

schied zu den von O-

pen Europe favorisier-

ten Lösungen – impli-

ziert aber nicht unbe-

dingt eine Vertretung in den Europäischen Institutio-

nen: „[O]ne might envisage instead twice yearly mee-

tings of a joint parliamentary committee of the Euro-

pean and Westminster parliaments“, schreibt der Ab-

geordnete.10

Last but not least

Die bestehende Ordnung der Europäischen Union ist

nicht sakrosankt. Stimmen, die das institutionelle

Setup hinterfragen, können und sollen eine Rolle als

Impulsgeber spielen. Wenn die Krise für eine europäi-

sche Finalitätsdiskussion genutzt wird, sollte auch

darüber nachgedacht werden, welche Zuständigkeiten

künftig besser auf nationaler Ebene aufgehoben sind.

So ist insbesondere die aktuelle Form der gemeinsa-

men europäischen Landwirtschaftspolitik und der Ko-

häsionspolitik überdenkenswert. Diese Gedanken fin-

den sich z.B. auch in dem gerade ausgehandelten Koa-

litionsvertrag der liberalen VVD mit der sozialdemo-

kratischen PVdA in den Niederlanden. Die Ideen aus

Großbritannien, sofern sie einer sachlichen Debatte

dienlich und nicht ideologisch überfrachtet sind, soll-

ten daher konstruktiv aufgegriffen werden. Die Speku-

lationen über den Verbleib der Briten in der EU führen

aber zu nichts. Sie mögen die Europaskeptiker kurz-

fristig beruhigen – bei allen anderen verursachen sie

unnötige Panik. Das Thema Volksabstimmung kommt

jetzt, wo Europa nach langer Zeit wieder eine veritab-

le Finalitätsdebatte anpackt, zur Unzeit. Die Briten

manövrieren sich damit ins Aus, während die Europäer

auf dem Kontinent näher zusammenrücken und kon-

struktiv über die Fortentwicklung der politischen Uni-

on nachdenken. Vielleicht kommt die Verleihung des

Friedensnobelpreises in dieser Hinsicht genau zum

richtigen Zeitpunkt und appelliert an das noch beste-

hende Gefühl von Europazugehörigkeit unter den Bri-

ten.

Dr. Ellen Madeker

Director Policy Analysis and Dialogue (bis 31.12.2012) Dialogprogramm Brüssel

10 Duff, Andrew 2012: On Governing Europe, Policy Network and

ALDE, http://www.spinelligroup.eu/wp-content/uploads/2012/09/

A5-On-Governing-Europe-v9FINAL.pdf

Andrew Duff MEP

(Foto: andrewduff.eu)

In eigener Sache: Neuer Webauftritt

Seit 2012 ist das Brüsseler Büro der Friedrich-

Naumann-Stiftung für die Freiheit mit einem neuen,

modernen Webauftritt präsent. Auf www.fnf-

europe.org informieren wir Sie stets aktuell über un-

sere Aktivitäten in der europäischen Hauptstadt und

den Mitgliedstaaten der EU. Darüber hinaus finden Sie

dort Hintergrundpapiere, Berichte aus aktuellem An-

lass und eine Vorstellung des FNF-Teams in Brüssel.

Werden Sie doch auch unser Facebook-Freund unter

FNF Europe!

Page 31: FNF International News 1-2013

31

FNF International News 2-2012

Freiheit in Transition

Die Geschichte hat gezeigt, dass Transitionsprozesse

vorwärts und rückwärts/reversiv/rückwärtig verlaufen

können. Nach einer Ära turbulenter Diktaturen,

Staatsstreiche und der Einschränkung jeglicher Frei-

heiten, traten die meisten Länder Lateinamerikas vor

30 Jahren den Weg zurück zur Demokratie an. Zuletzt

hatten marxistisch geprägte Guerrillas eine Region

destabilisiert, die bis dahin nicht in der Lage gewesen

war, solide institutionelle Grundlagen zu festigen.

Aber nun erlaubten skeptisch anerkannte politische

Institutionen die Etablierung liberaler Demokratien,

die die Erwartungen der Bürger nach Schutz ihrer

Freiheiten zu erfüllen vermochten.

Gleiches in der Wirtschaft: Die meisten lateinamerika-

nischen Nationen brachten den politischen Willen zu

wirtschaftliche Reformen auf, die Stabilität und

Wachstum förderten, die Sanierung der Haushalte

erlaubten und ausländische Investitionen begünstig-

ten. Für kurze Zeit verspürte man Hoffnung und Opti-

mismus. Rechtsstaatliche Strukturen und die demo-

kratischen Ordnungen konsolidierten sich. Jedoch

wehten in einigen Ländern bald auch wieder andere

Winde, wirtschaftliche Stagnation kehrte zurück.

Paradoxerweise setzten die ersten Veränderungen und

Einschränkungen der Freiheiten in einem der Länder

mit den solidesten demokratischen Institutionen ein,

in Venezuela. Dem Militär Hugo Chávez gelang zwar

der erste Versuch der Machtübernahme 1992 noch

nicht, er verstand es aber, in den Folgejahren Wähler

anzusprechen, die der wirtschaftlichen Misserfolge

überdrüssig waren: Staat und Politiker hatten sich am

Erdöl bereichert. Der erwartete Wohlstand in der Ge-

sellschaft blieb aus. Armut konnte nicht reduziert

werden. Chávez musste lediglich eine Wahl wirklich

gewinnen (1998) und hatte schon die absolute Kon-

trolle über die Staatsgewalten in Händen; in der Folge

etablierte er ein personalisiertes Regime, in dem Ge-

setze beliebig modifiziert werden können und mittels

dessen er auch das Wahlsystem zu seinen Gunsten

manipulieren konnte. So hat Chávez es geschafft, sich

bis heute an der Macht zu halten, „demokratisch“

wiedergewählt wie schon die Caudillos des XIX. Jahr-

hunderts, die hinter demokratischer Fassade autoritär

regierten und keiner gesetzlichen Kontrolle unterla-

gen. Das Drehbuch Chávez‘ umfasst willkürliche Fest-

nahmen (auch von Richtern und Polizeichefs), Enteig-

nungen von Fincas, Gebäuden und Unternehmen, Ein-

schränkungen der Presse- und Meinungsfreiheit ein-

schließlich der Enteignung eines Fernsehsenders, dem

die Erneuerung seiner Lizenzen versagt wurde; dazu

sukzessive Verfassungsreformen, die nunmehr die un-

eingeschränkte Wiederwahl und die Manipulierung

der Wählerverzeichnisse (incl. Zwei Millionen „Geister

-wähler“- „electores fantasmas“) ermöglichen.

Transition in Lateinamerika:

Ein Kontinent der Widersprüche

Transition rückwärts - Der Verlust politi-

scher Freiheiten in Lateinamerika

Wahlplakat Chávez (Foto: Carolina Gómez, ICP Colombia)

Page 32: FNF International News 1-2013

32

FNF International News 2-2012

Freiheit in Transition

Gegenwärtig breitet sich Chávez‘ autoritärer Sozialis-

mus des XXI. Jahrhunderts in Ländern wie Bolivien,

Ecuador und Nicaragua aus. Die demokratische Wahl

autoritärer Regierungschefs scheint unaufhaltsam.

Wie Chávez sind auch seine Amtskollegen Morales,

Correa und Ortega Populisten, die sich an der Macht

festsetzen, Presse- und Meinungsfreiheit, wirtschaft-

liche Freiheit und die Unabhängigkeit der Justiz ein-

schränken, Justiz und den Erziehungssektor gleich-

schalten. Ähnliches geschieht in Argentinien. Aber es

besteht Hoffnung, dass die chavistische Transformati-

on zum Stillstand kommen wird. Denn die Demagogen

sind nicht in der Lage, den versprochenen Wohlstand

zu schaffen und sie können sich lediglich durch dikta-

torisches Handeln an der Macht halten.

Es bleibt zu hoffen, dass die Bevölkerungen aller la-

teinamerikanischen Länder – Kuba inklusive – es ver-

mögen, politische Handlungsmöglichkeiten und bür-

gerliche Freiheiten wiederzugewinnen, um ihr Poten-

tial auszuschöpfen und die Entwicklung ihrer Länder

im Sinne von Demokratie, Rechtsstaatlichkeit und

Marktwirtschaft vorantreiben zu können.

Prof. Dr. Carlos Sabino Soziologe und Historiker. Leiter des Masterstudiengangs

„Geschichte“ an der Universität Francisco Marroquín in Guate-

mala, Mitglied des Ehrenvorstandes RELIAL.

In 28 Staaten Lateinamerikas und der Karibik leben

derzeit rund 580 Millionen Menschen. Die G20-

Staaten Brasilien und Mexiko sind die relevanten Ak-

teure in der internationalen Politik. Das wirtschaftli-

che Panorama des Kontinents hat sich längst differen-

ziert. Länder entwickeln sich verschieden und unter-

schiedlich schnell, wir erleben einen Wettbewerb der

Systeme und Modelle.

Wir erleben ein Lateinamerika der „drei Geschwindig-

keiten“: Die Staatengruppe um Venezuelas Präsiden-

ten Chávez hat sich einem „ökonomischen Populis-

mus“ verschrieben, der einer ineffizienten Staatswirt-

schaft huldigt und Unternehmertum entmutigt und

allein von hohen Rohstoffeinnahmen lebt. Eine zweite

Gruppe wird dieses Extrem vermeiden, aber auch nicht

zu mutigen Strukturreformen finden. Eine dritte Grup-

pe wird eindeutiger Gewinner im Wettbewerb der Sys-

teme sein, nämlich die Länder mit hoher wirtschaftli-

cher Freiheit wie Chile, Panama, Costa Rica, El Salva-

dor und Peru. Erfolgreiche wirtschaftspolitische Trans-

formation korreliert mit dem Grad wirtschaftlicher

Freiheit. Aber viele Länder leiden weiterhin unter bü-

rokratischer Schwerfälligkeit, Protektionismus, fehlen-

der Wettbewerbsfähigkeit und der Ineffizienz schwa-

cher Institutionen.

Lateinamerika im “Economic Freedom of the World

Report” des Fraser Institute

Das kanadische Fraser Institute misst in seinem jährli-

chen „Economic Freedom of the World Report“ in 42

Variablen den Grad wirtschaftlicher Freiheit. Der Be-

richt analysiert die Komponenten 1. Staatsgröße ge-

messen an Staatsausgaben und Steuern, 2. Rechts-

staat und Eigentumsrechte, 3. Währungspolitik und

Preisstabilität, 4. Freiheit im Außenhandel und 5. Re-

gulierung von Arbeitsmarkt und Unternehmen.

Der Bericht von 2012 misst wirtschaftliche Freiheit in

144 Ländern, wobei die Länder Lateinamerikas und

der Karibik mit 6,77 Punkten leicht unter dem welt-

Wirtschaftliche Freiheit – Schlüssel zur er-

folgreichen marktwirtschaftlichen Transiti-

on in Lateinamerika

Page 33: FNF International News 1-2013

33

FNF International News 2-2012

Freiheit in Transition

weiten Durchschnittswert (6,81 Punkte) liegen. Den-

noch gibt es Länder, die einen Fortschritt erzielen

konnten, Chile (Platz 11), Peru (Platz 26) und Panama

(Platz 34). Zehn weitere Länder der Region genießen

mit Einschränkungen wirtschaftliche Freiheit und vier

weitere (Guyana, Argentinien, Ecuador und Venezuela)

gehören zu den Ländern mit der geringsten wirt-

schaftlichen Freiheit.

Seit 2011 steht Chile an der Spitze der Länderwertung

Lateinamerikas: das Land betreibt eine nachhaltige

Wirtschaftspolitik. Diese basiert auf individuellen Frei-

heiten, offenen Märkten, Reformen des Justizsystems,

dem Schutz von Eigentumsrechten, makroökonomisch

und fiskalisch verantwortungsvolle Politik sichert

langfristig niedrige Inflationsraten und achtet auf fi-

nanzierbare Haushaltsdefizite.

Nach den Befunden des Fraser Institute sind die Län-

der Lateinamerikas mit der besten wirtschaftlichen

Leistung diejenigen, die gemessen am BIP einen nied-

rigen Konsum aufweisen, die wenig in private Ent-

scheidungen eingreifen, die Rechtssicherheit in der

Schlichtung von Auseinandersetzungen zwischen pri-

vaten Akteuren garantieren und die effizient regulie-

ren; dies gilt insbesondere für Panama, Costa Rica,

Chile, Peru, El Salvador, Honduras und - was über-

rascht - Nicaragua. Die folgende Ländergruppe zeich-

net sich durch ein wirtschaftliche Freiheit umfassend

sicherndes Rechtssystem, geschützte und garantierte

Eigentumsrechte, eine unabhängige Judikative aus:

Bahamas, Barbados, Chile, Costa Rica und Uruguay.

Auch weisen sie eine mit der Preisstabilität vereinbare

Währungspolitik auf (besonders Guatemala, Hondu-

ras, Peru, El Salvador und Dominikanische Republik).

Gleichzeitig garantieren sie Freiheiten im Außenhan-

del, haben sie eine frei konvertible Währung und kon-

trollieren nur bedingt Kapitalflüsse und Humankapital

– wie besonders Costa Rica, Chile, Guatemala, Pana-

ma, Peru und Uruguay. Schließlich gibt es in diesen

Ländern nur wenige regulierende Einschränkungen auf

dem Kredit-, Arbeits- und Konsumgütermarkt.

Die Länder Lateinamerikas mit der schlechtesten wirt-

schaftlichen Leistung sind diejenigen mit einer über-

bordenden Staatsquote, einem der wirtschaftlichen

Freiheit und dem Schutz von Eigentumsrechten wenig

angemessenen rechtlichen Rahmen, einer Regierung,

welche die individuellen Freiheiten und Entscheidun-

gen einschränkt, einer mit Preisstabilität nicht verein-

baren Währungspolitik sowie Einschränkungen im Au-

ßenhandel. Regulierungen schränken individuelle, aber

auch unternehmerische Freiheiten und Entscheidun-

gen ein, dadurch steigen jegliche Transaktionskosten.

Deshalb liegen Argentinien, Brasilien, Bolivien, Ecua-

dor, Guyana, Haiti und Venezuela im „Economic Free-

dom of the World Report 2012“ auf Plätzen jenseits

der 100.

Dr. Luz María de la Mora Direktorin von LMM Consulting in Mexiko-Stadt, ehemalige

Staatssekretärin im mexikanischen Wirtschaftsministerium und

Handelsattaché an der Botschaft Mexikos bei der Europäischen

Union. Derzeit Gastdozentin am Centro de Investigación y

Docencia Económicas (CIDE, Mexiko-Stadt) im Bereich

“Internationale Studien”.

Grupo de Países1. Tamaño

del Gobierno

2. Sistema Legal

y Derechos de

Propiedad

3. Política

Monetaria

Sana

4. Libertad en

el Comercio

Internacional

5. Regulación ILEM

América Latina y el Caribe 7.14 4.70 8.13 7.19 6.70 6.77

Mundo 6.42 5.60 8.08 7.02 6.96 6.81

Los 36 mejores del mundo 6.27 7.44 9.37 8.11 7.82 7.80

Fuente: Elaboración propia con información del Economic Freedom of the World, 2012 Annual Report

http://www.freetheworld.com/datasets_efw.html, 2012 dataset [Excel 8.7 MB], (Updated and Revised as of Oct 4, 2012)

Economic Freedom of the World Report, Durchschnitt nach Komponenten und Ländergruppen

Zementfabrik in der Región II de Antofagasta, Chile

(Foto: Matt Hintsa/Flickr)

Page 34: FNF International News 1-2013

34

FNF International News 2-2012

Freiheit in Transition

Die Brasilianer haben allen Grund zu feiern – aus-

nahmsweise geht es nicht um Karneval und auch

nicht um Fußball. Es geht um viel mehr: 30 Jahre nach

Beendigung der Militärdiktatur und Verabschiedung

der neuen demokratischen Verfassung gewinnt der

brasilianische Rechtsstaat im „größten Korruptions-

skandal in der Geschichte Brasiliens“ (General-

staatsanwalt Gurgel) erstmals die Oberhand über Kor-

ruption und Straflosigkeit. Die unabhängige Presse

und die Zivilgesellschaft sind ihm dabei wichtige Ver-

bündete. Dieser spektakuläre Akt der Herrschaft des

Rechts ist ein Meilenstein in der Transition und Kon-

solidierung der noch jungen Demokratie Brasiliens.

Der Skandal

Der Korruptionsskandal innerhalb der Regierung von

Präsident Luiz Ignácio Lula da Silva und seiner Partei

„Partido dos Trabalhadores” (PT) war bereits 2005 be-

kannt geworden. Es handelte sich dabei um den syste-

matischen Stimmenkauf von Abgeordneten im Bun-

deskongress in den Jahren 2003-2005 zur Sicherung

politischer Mehrheiten für wichtige Gesetzesvorhaben

und damit zur Machtsicherung der PT-Minderheiten-

regierung.

Die monatlichen Zuwendungen („mensalão“) sollen bis

zu 20.000 Reais (ca. 8.000 Euro) pro Abgeordneten

betragen haben, insgesamt sollen mindestens 101,6

Millionen Reais (mehr als 25 Millionen Euro) an Kor-

ruptionsgeldern geflossen sein. Andere Quellen nen-

nen eine Höhe von 55 Millionen Euro. Die Beste-

chungsgelder sollen aus den Gewinnen von Staatsbe-

trieben und öffentlichen Kassen stammen. Sie wurden

über Banken in fiktiven finanziellen Transaktionen ge-

waschen, um Herkunft und Ziel zu verschleiern, und

dann in das Korruptionsnetz geleitet. Dabei waren die

Banco Rural und die Banco do Brasil federführend.

Politisches Erdbeben

Das nach Bekanntwerden ausgelöste politische Erbe-

ben überlebte die Lula-Regierung nur knapp. Mehrere

Abgeordnete und hohe Regierungsmitglieder mussten

ihren Hut nehmen, darunter auch Lulas Kabinettschef

und aussichtsreichster Kandidat für seine Nachfolge,

José Dirceu. Er wurde beschuldigt, Kopf und Drahtzie-

her des Korruptionsnetzwerkes zu sein. Lula selbst

konnte sich nur mit Mühe aus der Schusslinie retten,

wurde aber nur ein Jahr später mit einer komfortabeln

Mehrheit wiedergewählt.

Der Rechtsstaat zeigt seine Zähne

Die Ermittlungen zu dem Korruptionsskandal dauerten

sieben Jahre. Rund 600 Zeugen wurden verhört und

die Anklageschrift wuchs auf stattliche 50.000 Seiten

mit 1.089 Anklagepunkte an. Erst am 2. August 2012

wurde schließlich vor dem Obersten Bundesgericht

Brasiliens (Supremo Tribunal Federal, STF) gegen 38

Personen der politischen und wirtschaftlichen Elite

Brasiliens Anklage erhoben, darunter frühere Minister,

Parlamentarier, Unternehmer und Banker. Niemals

vorher in seiner Geschichte hat das STF gegen führen-

de Vertreter des Landes Anklage erhoben, geschweige

denn, sie verurteilt.

Die Schlüsselfiguren im „Mensalão“-Prozess“ sind das

damalige Führungstrio der PT: José Dirceu

(Kabinettschef von Präsident Lula und dessen recht

Hand), José Genoino (PT-Vorsitzender) sowie Delubio

Soares (PT-Schatzmeister). Alle drei wurden inzwi-

schen von den Richtern des STF für schuldig befunden.

Das Strafmaß beträgt bis zu 23 Jahre betragen. Ex-

Präsident Lula selbst ist nicht angeklagt.

Mensalão: Brasiliens Jahrhundertprozess

Oberstes Bundesgericht, Brasilia

(Foto: Archiv FNF-Brasilien)

Page 35: FNF International News 1-2013

35

FNF International News 2-2012

Freiheit in Transition

Unterstützung bei der Auflärung

Obwohl acht der insgesamt elf Mitglieder des

Oberstes Bundesgerichtes von Präsident Lula

und Dilma Rousseff berufen worden sind, ließen

sie sich dadurch nicht in ihrem unabhängigen

juristischen Urteil beeinträchtigen und befanden

die PT-Vertreter für schuldig. Allerdings nahm

das STF davon Abstand, Zeugen zu vernehmen,

die den ehemaligen brasilianischen Präsidenten

Lula selbst hätten belasten können.

Als am 3. September im Oberstes Bundesgericht

wegen Pensionierung eines Richters eine Stelle

neu zu besetzen war, widerstand Präsidentin

Dilma Roussef dem Druck aus den Reihen der PT

und vergab den Posten nicht nach politischen,

sondern nach Leistungskriterien an den sehr er-

fahrenen Teori Zavascki, einem langjährigen

Richter am Obersten Gerichtshof.

Die führenden Presseorgane des Landes haben

einen entscheidenden Beitrag zur Aufdeckung

des Skandals geleistet. Trotz heftiger Angriffe

aus den „Mensalão“-Kreisen ließen sie sich

nicht einschüchtern und setzten ihre Recher-

chen und Veröffentlichungen unermüdlich fort.

Die Zivilgesellschaft verfolgt den „Mensalão-

Prozess“ intensiv in den Medien und sorgt für

neue Einschaltrekorde. Die Plenarsitzungen des

STF können auf dessen eigenen Fernseh- und

Radiokanal (TV Justiça und Rádio Justiça) live

mitverfolgt werden. In Demonstrationen vor

dem STF aber auch anderswo wird ihr Ruf nach

Aufklärung unüberhörbar. Dank ihrer Mobilisie-

rung ist inzwischen auch das sog. „Lei de ficha

limpa“ (Gesetz der sauberen Weste) in Kraft, das

allen rechtskräftig verurteilten Kandidaten das

passive Wahlrecht entzieht. Davon waren bei

den Kommunalwahlen im Oktober 2012 auch

einige der „Mensalistas“ betroffen.

Schwächen im politischen System

Der Prozess offenbart auch einige eklatante Schwä-

chen im politischen System Brasiliens, die die Prakti-

ken des „Mensalão“ befördert haben und die Notwen-

digkeit politischer Reformen offenbaren. Hier nur drei

Beispiele:

Das aktuelle Wahlrecht und die unübersichtli-

che Parteienlandschaft führen dazu, dass im

Parlament keine klaren Mehrheiten zustande

kommen und Bündnisse von 20 und mehr Par-

teien notwendig werden.

Es ist Bestandteil der politischen Kultur Brasili-

ens, dass wichtige Posten in der Bundesbehör-

den sowie in den staatlichen und halbstaatli-

chen Unternehmen nach politischen Kriterien

und nicht nach Leistung vergeben werden. Der-

zeit schätzt man die Zahl dieser sog.

„Vertrauensposten“ auf ca. 22.000 von über ei-

ner Million.

Korruption hat in Brasilien systemischen Cha-

rakter, der weit über die PT und den Mensalão

hinausgeht.

Die politische und historische Bedeutung des

"Jahrhundertprozesses“

Der „Mensalão“-Prozess

wird in Brasilien als Test-

fall dafür angesehen, in-

wiefern die demokrati-

schen Institutionen inzwi-

schen stark und unabhän-

gig genug sind, um auch

hochrangige Vertreter der

Elite des Landes zur Re-

chenschaft zu ziehen.

Noch vor 20 Jahren war

dies nicht der Fall: gegen

den damaligen Präsiden-

ten Color de Mello wurde

zwar im Herbst 1992 im

Kongress ein Amtsenthe-

bungsverfahren wegen

Korruption eingeleitet, das als historischer Schritt zur

Konsolidierung der noch jungen Demokratie galt, ei-

nem Gerichtsverfahren musste er sich jedoch nicht

stellen. Die Zeiten haben sich geändert.

Mit Hinblick darauf, dass erstmals eine umfassende

gerichtliche Aufarbeitung stattfindet und die Ange-

klagten tatsächlich mit einer Gefängnisstrafe zu rech-

nen haben, verdient der „Mensalão“-Prozess“ schon

Die Justizia (Bildhauer Alfredo

Ceschiatti) vor dem Oberstem

Bundesgericht, Brasilia

(Foto: Archiv FNF-Brasilien)

Page 36: FNF International News 1-2013

36

FNF International News 2-2012

Freiheit in Transition

jetzt die Auszeichnung „Meilenstein in der Geschichte

Brasiliens bei der Bekämpfung von Korruption und

Straflosigkeit“. Ihm kommt historische Bedeutung für

die Stärkung und Legitimität der Demokratie und des

Rechtsstaats in Brasilien zu. Glückwunsch!!!

Dr. Gabriele Reitmeier

Projektleiterin Brasilien

Nachdem die Regierung im Oktober 2011 mit 54% in

ihre zweite Amtszeit gewählt wurde, und die Opposi-

tion mit fast 20 Prozentpunkten auf der Strecke blieb,

hat sich die politische Kultur am Rio de la Plata ver-

ändert. Das Demokratieverständnis der Kirchner-

Administration folgt seitdem dem Motto: „Demokratie

ist die Diktatur der Mehrheit“, sie schränkt die Rechte

von Minderheiten immer mehr ein, geht vehement

gegen jegliche Kritiker vor, indem sie die individuellen

wie auch wirtschaftlichen Freiheitsrechte einschränkt.

Besonders eklatant sind die Verletzungen im Bereich

der Presse und Meinungsfreiheit. Dies wird mittlerwei-

le nicht nur von der Opposition kritisiert, fast täglich

finden Demonstrationen statt, an denen sich immer

mehr Bürger beteiligen, auch solche, die bisher der

Kirchner-Administration wohlwollend gegenüberstan-

den. Inwieweit die Opposition aber aus diesem stei-

genden sozialen Protest politisches Kapital schlagen-

und ihn auch organisatorisch nutzen kann, wird die

entscheidende Frage der nächsten Monate sein.

Individuelle Freiheiten sind bedroht

Meinungsfreiheit – Bedrängte Presse und Organisatio-

nen der Zivilgesellschaft

Dem Halbjahresbericht der Organisation „Fundación

Libertad de Expresión + Democracia“ zufolge wurden

im ersten Halbjahr 2012 161 Einschränkungen in der

Ausübung der Meinungsfreiheit verzeichnet. Diese

Einschränkungen umfassen „Übergriffe, Gewalt, Dro-

hungen oder Einschüchterungen gegenüber Journalis-

ten oder Medieneinrichtungen, der eingeschränkte

Zugang zu öffentlichen Informationen sowie von ver-

schiedenen Organisationen beklagte Zensur“. Hinzu

kommen Einschüchterungsversuche gegenüber Orga-

nisationen der Zivilgesellschaft, die Wirtschaftsdaten

- wie etwa die Inflationsrate - analysieren und denen

bei Veröffentlichung ihrer Forschungsergebnisse mit

Geldbußen gedroht wird.

Wirtschaftliche Freiheit: eingeschränkter Zugang zu

Devisen, starke Zollkontrollen und „Steuerverfolgung“

Mittels der „Devisenfessel“ schränkt die Regierung den

Zugang zu ausländischen Devisen für den argentini-

schen Bürger nicht nur ein, sondern hat ihn in Einzel-

fällen auch völlig untersagt – unabhängig davon, ob

das Geld einen kommerziellen Nutzen haben wird oder

zur Anlage gedacht ist. Der nationalen Steuerbehörde

(„Agencia Recaudadora de Impuestos Federal“) wurde

die Aufsicht und die Entscheidungshoheit über den

Devisenkauf zugesprochen. Hinzu kommt, dass die

Regierung versucht, die Ausreise bzw. den Aufenthalt

im Ausland von argentinischen Bürgern einzuschrän-

Argentinien zwischen Hoffnung und

Realität

Demonstration (Foto: Gustavo Ortiz, Clarín)

Cristina Fernández de Kirchner (Foto: Telam)

Page 37: FNF International News 1-2013

37

FNF International News 2-2012

Freiheit in Transition

ken, indem auf im Ausland mit Kreditkarten getätigte

Einkäufe zusätzliche Gebühren erhoben werden. Wei-

terhin werden die Zollkontrollen immer weiter ver-

schärft, was das Einführen selbst persönlicher Artikel

erschwert. Die nationale Steuerbehörde ist durch

Überraschungskontrollen auch häufig Regierungs-

instrument zur Einschüchterung und politischen Ver-

folgung von Unternehmen oder Bürgern.

Steigende soziale Unzufriedenheit und Empörung

Massive Proteste gegen die Regierung: der 13. Septem-

ber 2012

Wie eingangs erwähnt, fühlt sich die Zivilgesellschaft

in ihren Freiheiten immer stärker eingeschränkt. Ge-

gen den Verlust ihrer Freiheiten, aber auch gegen Kor-

ruption in der Politik und die intransparente und nicht

korrekte Nutzung öffentlicher Gelder protestierten im

September 2012 bereits zahlreiche Bürger Argentini-

ens in massiven Kundgebungen, zu denen über die

neuen sozialen Medien aufgerufen worden war.

Gleichzeitig, und als Folge der Erschöpfung des Wirt-

schaftsmodells durch hohe Inflationsraten (20 – 25%

jährlich), sorgten die Tarifkonflikte, Entschleunigung

der Wirtschaft und Entlassungen (besonders in der

Automobilindustrie) für immer häufigere Proteste der

Oppositionellen, die in vielen Fällen von der Regierung

unterbunden wurden. Das markanteste Ereignis war

der Generalstreik am 20. November 2012, an dem sich

viele Arbeiter beteiligten.

Die Zukunft und der 7D: kontinuierlicher Druck auf

die Justiz

Am 7. Dezember 2012 (von der Regierung und den

Medien als „7D“ bezeichnet), hätte die Mediengruppe

Clarín laut dem neuen Mediengesetz der Regierung

den Prozess des „Rückgangs der Investitionen“ begin-

nen und sich von einem Teil des Unternehmens tren-

nen müssen. Zwar veranstaltete die Regierung eine

große Kampagne zum 7D, den sie als einen grundle-

genden Meilenstein für die argentinische Demokratie

und als Erfolg ihrer Führung darstellte, jedoch konnte

sie die gerichtliche Auseinandersetzung mit der Medi-

engruppe nicht für sich entscheiden. Denn Clarín war

zuvor eine Verlängerung der Frist zur Umsetzung des

Rückgangs der Investitionen zugesprochen worden.

Die Regierung hatte sich in dieser Angelegenheit die

Unterstützung der öffentlichen Meinung gegen die

Justiz erhofft. Der permanente Versuch der Regierung,

Druck auf die Justiz auszuüben, blieb bis dato erfolg-

los.

Gewaltsames Jahresende: die Rückkehr der Plünde-

rungen

Schließlich muss darauf hingewiesen werden, dass an

verschiedenen Orten des Landes eine Reihe gewaltsa-

mer Plünderungen stattfanden, die wegen ihres Aus-

maßes an Gewalt überraschten und von der Regierung

als Ereignisse verurteilt wurden, die von der Oppositi-

on und Gruppierungen der Regierungspartei organi-

siert worden seien. Diese schweren Beschuldigungen

von Seiten der Regierung schürten politische Ausei-„Fuck you“ (Foto: Fabián Marelli, La Nación)

Demonstration (Foto: Mauro V. Rizzi, La Nación)

Page 38: FNF International News 1-2013

38

FNF International News 2-2012

Freiheit in Transition

nandersetzungen. So wehrte sich insbesondere der

Gouverneur der Provinz Buenos Aires, Daniel Scioli,

gegen Aussagen der Regierung, er wolle damit nur

seine Differenzen mit der Präsidentin aufzeigen und

sich als einer der wichtigsten möglichen Nachfolger

im Jahre 2015 in Position bringen.

Schlussfolgerung und Perspektiven für 2013

Das politische Leben wird 2013 durch die Parlaments-

wahlen und das politische Ringen innerhalb der Re-

gierungspartei um die Nachfolge der Präsidentin ge-

prägt sein. Bevölkerung und Wirtschaft leiden an der

auf fast 30% gestiegenen Inflation und an den drasti-

schen Devisenbeschränkungen. Es bleibt freilich der

anhaltende industrielle Aufschwung, der - auch wenn

von allein externen Faktoren begünstigt - die Hoff-

nungen der Regierung auf wirtschaftliche Stabilität

und politische Kontinuität am Leben halten kann.

Die Politik und die politische Klasse in Argentinien

stehen einer Zivilgesellschaft gegenüber, die die Be-

drohung ihrer Freiheiten deutlich spürt, die schlechte

Regierungsführung immer stärker ablehnt und von der

politischen Opposition die baldige Gestaltung einer

demokratischen Alternative erwartet. Bei den Parla-

mentswahlen im Oktober 2013 wird Argentinien am

Scheideweg stehen. Vertieft sich die Autokratie mit-

tels einer Verfassungsreform, die u.a. die uneinge-

schränkte Wiederwahl festschreibt oder vermag es die

Opposition, den Vormarsch gegen die Freiheit zu blo-

ckieren und sich als eigenständige und vor allem rea-

listische demokratische Alternative zu etablieren, um

aus den Präsidentschaftswahlen 2015 als Sieger her-

vorzugehen?

Juan Manuel Agüero

Projektkoordinator Argentinien, FNF

unter Mitarbeit von Marcelo Duclos

Projektassistent Argentinien, FNF

Page 39: FNF International News 1-2013

39

FNF International News 2-2012

Freiheit in Transition

Bhutan’s Tryst with Democracy

At a time when countries, especially in parts of Mid-

dle-East Asia and South Asia, were facing severe chal-

lenges in adoption and transition to democracy, Bhu-

tan stood out as an exception. The year 2008 heralded

an era for democratic Bhutan with its first parliamen-

tary elections taking place in March and the Constitu-

tion being signed in July. To rest of the world 2008

appeared as the starting point for Bhutan’s transition

to democracy; however, the institutional processes

towards empowerment of the people began as far

back as the 1980s with the creation of local govern-

ments to manage and implement their own plans and

programs. In the 1990s this process of decentraliza-

tion was taken a notch further from the dzongkhag

(district) level local governments to the gewog (block)

level.1 Following this was the devolution of executive

powers of the Monarch in 1998 to a Council of Minis-

ters elected by the Parliament. And in 2001 a Royal

Edict was issued to draft a Constitution for Bhutan to

pave the way for the transformation of Bhutan’s form

of government from absolute monarchy to a demo-

cratic constitutional monarchy. It is these strategic

democratization processes that ensured the build-up

to the smooth and efficient transition to democracy in

2008. Unlike most other democracies, there was an

absence of a revolution or even a clash of ideologies

in Bhutan, and it was the monarchy that voluntarily

gave up its absolute powers and advocated the adop-

tion of democracy. The monarchy was established in

1907 and prior to that Zhabdrung Ngawang Namgyal

(a political and religious leader) unified the country in

the mid-17th century and he instituted the dual sys-

tem of government - the civil administration was led

by the Druk Desi and the religious affairs by the Je

Khenpo (Chief Abbot). Both were to be under the au-

thority of the Zhabdrung though in practice after his

death in 1651, his reincarnates were under the con-

trol of the Desis and Penlops (regional governors). The

latter would often administer their own districts in

defiance of the authority of the Desis and the country

evolved into semi-independent provinces under the

Penlops. The country during that time was divided in-

to three provinces - East, Central and West with an

appointed Penlop. The districts were headed by

Dzongpons (District Officers). The rise of the

Wangchuk dynasty in 1907 united a fragmented

country and brought it under one unified command

that laid the foundations for peace, stability and se-

curity by ending internal feuding.

Hopes and Reality

A few years prior to 2008, the monarch accompanied

by a few representatives of the Constitution Drafting

Committee held public consultations with people in

each of the 20 dzongkhags—clarifying and answering

Strengthening the democratic process in Bhutan

1 The lowest unit of administration in Bhutan is the gewog/block

level and there are 205 gewogs. Each gewog elects a Gup/head.

There are 20 dzongkhags/districts in the country and each con-

sists of a certain number of gewogs. In each gewogs there is a

Gewog Yargay Tshogchhung (GYT)/Block Development Commit-

tee. The dzongkhags/districts are headed by Governors appointed

by the King on recommendation of the Prime Minister. Amongst

the Gups of a dzongkhag, a Chairperson is elected to head the

Dzongkhag Yargay Tshogdu (DYT)/District Development Commit-

tee and the Governors are members in the DYT. The responsibility

for the development of the districts lies with the Dzongkhag

Yargay Tshogdu. The development planning process in Bhutan

has been decentralised and starts from the gewogs to the dzong-

khags and then to the Central Government for budgetary approv-

al. The planning process is co-ordinated by Gross National Hap-

piness Commission the then erstwhile Planning Commission.

Page 40: FNF International News 1-2013

40

FNF International News 2-2012

Freiheit in Transition

various questions. A constant issue that propped up in

almost all the public consultations was “Why the need

to democratize?”. This question was raised within the

contexts of the prevalent situation where people were

happy with the monarchy and that the country and its

people were not yet ready for democracy. His Majes-

ty’s answer to that was the current peaceful situation

was precisely the best time to transition to democra-

cy, and also for the future sustenance of the country

democracy was perhaps the best option of govern-

ance. So in this sense, there was no specific ‘hope’ for

democratic Bhutan before 2008. In fact, rather than

‘hope’ it was with great ‘concern’ and ‘trepidation’

that Bhutan adopted democracy.

In its few years of democracy, Bhutan has had many

positive experiences as well as some challenges. The

fundamental principles of democracy such as the right

to vote were exercised. Through the Election Commis-

sion of Bhutan the citizens were educated of the vot-

ing process, and 80 percent of the registered voters

turned up to vote on the day of the election. The EU

Election Observation Mission stood watch of the 2008

elections in Bhutan as an international observer. In its

final report the EU Mission lauded Bhutan for its suc-

cessful and fair electoral system. There have also been

no conflicting values as a result of democracy. Inher-

ent in the Bhutanese value systems such as aspiration

for freedom and respect for life resonate well with the

fundamental values propagated by democracy. Anoth-

er important criterion of democracy is clear separation

of powers in order to ensure healthy checks and bal-

ances in the system. Since the introduction of democ-

racy, Bhutan has been able to strengthen the process

of establishing and delineating the roles of the execu-

tive, judiciary and legislature, which were created as

entities in the 1960s.

The challenges that Bhutan’s nascent political system

faces can be overcome. One of the hangovers from the

previous system is its overt dependence on individual

personalities for its leaders. While Bhutan’s leaders

have been selfless in their services to the nation, for

democracy to thrive in Bhutan the role of institutions

must be given prominence over individuals. The other

challenge that Bhutan faces is making democracy

participatory. Quite clearly the present government in

Bhutan is grappling with a population questioning its

policies. Within the last few years the government

had to retract or amend some of its policies, for ex-

ample, the ban of tobacco sale and increasing taxes

for import of foreign vehicles. Democratic Bhutan also

witnessed its first peaceful protest from citizens ob-

jecting to the dismal response of the government’s

rescue operation when a couple of school children

were washed away by floods. Part of the government’s

authoritarian behaviour is explainable through the

history of Bhutan’s development. One of the results of

Bhutan’s late entry into development in the 1960s

meant that only a small proportion of its population

had access to Western education. This resulted in the

creation of a centralized public sector with a cohort

of educated elites. Although the public sector in Bhu-

tan played a pivotal role in transforming Bhutan from

one of the least developed countries to a middle-

income country, the bureaucracy has over the years

developed a benevolent attitude towards the larger

uneducated population. Thus an area that Bhutan’s

new democratic system needs to build up is that of

making the processes in decision-making inclusive.

New Political Parties and Issues of the First-Past-

the-Post System (FPTP)

There were only two political parties during the first

democratic elections in 2008, the Druk Phuensum

Tshogpa (DPT) and the People’s Democratic Party

(PDP). But in preparation for the next general elec-

tions in 2013, there is a potential for four new politi-

cal parties to join the fray. As of November 2012 two

new political parties have already registered with the

König Jigme Khesar Namgyel Wangchuck

(Photo: Royal Family of Bhutan/Wikipedia)

Page 41: FNF International News 1-2013

41

FNF International News 2-2012

Freiheit in Transition

Election Commission of Bhutan. Such a development

is expected as democracy evolves and provides citi-

zens with the choice of parties with differing mani-

festos. Bhutan has also adopted a first-past-the-post

electoral system (FPTP). Despite its inherent problem

of discouraging the emergence of third parties, Bhu-

tan’s adoption of the FPTP was largely designed not to

keep third parties out of the political process but to

prevent a hung parliament and avoid coalition gov-

ernments. Whether or not the decision to adopt such

a system was the right one remains to be proven, but

based on the first elections, the FPTP has faced some

issues. In the 2008 general elections although PDP

won close to one-third of the popularity votes, how-

ever, in Parliament the party only has two seats

against the 45 seats won by the ruling DPT party. The

FPTP distorted the relationship between seats and the

number of votes and created a highly unrepresenta-

tive Parliament leading to a weak opposition.

The Constitution of Bhutan also provides for two

rounds of elections: the primary round where the two

parties with the highest votes will be selected to con-

test for the general elections at the constituency lev-

el. The elections in 2008 did not provide an oppor-

tunity to determine the advantages or disadvantages

of the two rounds of elections since there were only

two parties eligible to contest. The upcoming elec-

tions in 2013, however, provide Bhutan a test to the

wisdom in having two rounds of elections with more

than two parties vying to run the government. The

main concern at this stage remains largely logistics,

that is, in fielding the candidates for the parties from

the limited supply pool of candidates from the civil

service. Once the first round of elections has been

conducted, tensions are likely to emerge with horse-

trading of candidates between the parties and the

candidates jostling for their constituency’s vote.

Stakeholders in Bhutan’s Democratic Governance

Participative Democracy

In recent times there has been a move towards more

Page 42: FNF International News 1-2013

42

FNF International News 2-2012

Freiheit in Transition

participatory forms of decision-making and policy for-

mulation in the advanced democratic countries. Its

advocates argue that deliberative governance process-

es promote collaboration among multiple stakeholders

and public agencies. And that such processes help in

the identification of concerns and objectives, main-

tain accountability, educate citizens and foster under-

standing of competing interests. This interactive gov-

ernance process differs from the traditional public

policy processes where stakeholder participation oc-

curs only after the development of a policy. The stake-

holders often consist of a network of government of-

ficials, businesses representatives, civil society organi-

sations and citizens. These actors operate through in-

formal and formal institutions interdependently to

achieve objectives by collaborating with each other.

In Bhutan the public appears to have been empow-

ered by democracy. There is a certainty in the de-

meanour of the Bhutanese populace that projects a

sense of awareness of their fundamental rights. There

still remains, however, an issue of a fairly low adult

literacy rate in the country. While this may not be an

issue in the next few decades with the increasing en-

rolment and literacy rate amongst the younger seg-

ment of the population, for now a large number of

the rural population rely on their urban network of

friends and relatives for dissemination of information

regarding socio-economic and political developments

in the capital and its implications throughout the

country. Besides the low adult literacy rates, such re-

liance on friends and relatives could also be caused by

the fact that Bhutan is in the early stages of evolution

of democracy. In other countries that are in a similar

phase of transition the role of kith and kin in the

democratic decision making is also dominant. The

other prominent stakeholder is the Bhutanese media.

Although young the independent and privately owned

media agencies are asserting their presence as a cen-

tral source of information on policies and political

issues. Here again, the media is dependent on the

government for its financial sustainability as a major

component of the revenue is through government ad-

vertisements. Topping the dependence on the govern-

ment is the over-bearing attitude of the civil service.

It remains a challenge for other players within the

domain of public policy to grow out of the shadows of

the relatively higher qualified civil servants.

Role of Oversight Agencies and the Gross National

Happiness Commission (GNHC)

The monarchy appoints the Chairperson of the Anti

Corruption Commission and the Election Commission-

er of the Election Commission of Bhutan. These are

constitutional bodies that were established to provide

oversight to the democratic process of Bhutan. These

bodies have demonstrated their autonomous func-

tioning by being non-partisan while dealing with high

profile cases during the elections and while investi-

gating cases that involved politically well-connected

people.

The erstwhile Planning Commission was renamed as

GNHC and is responsible for the planning, co-

ordination and monitoring of the country’s five-year

development planning process in consultation with

government agencies at the central and regional lev-

els including the elected local government units. The

planning process starts from the grassroots at the

block level, gets consolidated at the district level and

at the centre the approval of the national plans, pro-

grammes and budgets are decided. The decentralised

planning process though empowering the grassroots

level still requires capacity and institutional building

support as these are weak due to lack of experience,

education and professional support during the plan-

ning process. The GNHC conducts a mid-term review

of the planning period to assess progress and change

plans and programmes for implementation. The over-

riding development objective of the Government is the

achievement of Gross National Happiness and GNHC

is entrusted with the task of planning and working

towards it.

The relevance of GNHC in the democratic process is

found in its decentralised planning approach. Alt-

hough there are problems of capacity and under-

standing the consultative process right now, in the

long-term with a larger educated populace joining the

local government and with more experience the de-

centralised planning process will be essential for the

evolution and acceptance of the democratic process

in Bhutan by providing a voice and stake in the na-

tional planning for all citizens. GNHC could act as a

catalyst for positive evolution of democracy.

Page 43: FNF International News 1-2013

43

FNF International News 2-2012

Freiheit in Transition

Role of Think Tanks in Bhutan

In an ideal democratic system, the public through a

deliberative setting will choose the policies that suit

their needs the best, and will ensure through the elec-

toral process that a government is elected which will

deliver its promises. In the midst of the input-output

policy process, systems of checks and balances such

as the judiciary, legislature and other regulatory au-

thorities have been put into place to guarantee that

governments in power do not abuse their position. The

systems of checks and balances that are put in place

in most democracies, however, are not designed to

ascertain that the right policies are always imple-

mented. Governments can, and often do, get carried

away in implementing policies based on the falsified

assumption that it knows what is best for the public.

The public can use its prerogative to penalize the gov-

ernment by denying them their votes in the next

round of elections. But by then it is often too late, for

the public as well as the government, since the wrong

policies have already been implemented. Therefore for

the government to implement the policies that are

desirable, objective reviews of the policies have to be

made at all stages of the policy process. In addition to

the role of the public and the government in the deci-

sion-making process, this is where the other key

stakeholders - think tanks and media - in democracy

play a crucial role. It is the role of the think tanks and

the media to act as the nation’s conscience and criti-

cally review the government’s actions and inform the

public accordingly.

Except for a fledgling media industry in Bhutan that is

still seeking to establish its role in the public policy

sphere amidst its own set of problems (for example,

financial woes, newsworthiness, management issues),

there is a dearth of other formal channels of express-

ing critical reviews of the government’s policy. To fill

in this void, there is an imminent need for credible

and independent think tanks to be established in the

country. Think tanks play a crucial role in the overall

governance of the country by taking on some of the

following roles and responsibilities. Firstly, they serve

as an informed and independent voice in policy de-

bates through the identification of current domestic

and related-international policy issues. Secondly, they

provide a platform for discourse to take place that

generate various policy-options for the government to

consider and also inform the public through means of

information dissemination.

QED’s2 Role and Input from Potential Partners

As the country treads the path of democracy, Bhutan

has reached a point of its economic and social devel-

opment where the situation now warrants independ-

ent think tanks. The right legislative and policy envi-

ronment has already been facilitated through the

passing of the Civil Society Organization Act in 2008.

All that remains is to put into place think tanks that

seek the betterment of the country through its capa-

bility of bringing to the forefront issues and concepts

of national importance and providing critical and ben-

eficial analysis. It is to fill in this void that QED, one

of the first think tanks in the country, was formed by

a group of diverse, qualified and experienced profes-

sionals and entrepreneurs. It seeks to pursue evidence

-based research, advocate alternate solutions to topi-

cal policies and engage in constructive dialogue to-

wards a consensus on issues that affect the economy,

society and global cooperation. Barely a year old, QED

has made its mark as a credible research organization.

A case to illustrate this point is its appointment as the

advisor to the Bhutan Chamber of Commerce and In-

dustries (BCCI). In its capacity as advisor to BCCI, QED

2QED is a newly established Bhutanese think tank that seeks to

pursue evidence-based research, advocate alternate solutions to

topical policies and engage in constructive dialogue towards a

consensus on issues that affect the economy, society and global

cooperation.

Tashichoedzong, Thimphu, seat of the Bhutanese government

(Photo: Christopher J. Fynn/Wikipedia)

Page 44: FNF International News 1-2013

44

FNF International News 2-2012

Freiheit in Transition

conducted a critical review of the currency crisis that

the country faced in the year 2012. Presentations of

the findings were made to the Cabinet Ministers and

private newspapers ran articles based on QED’s find-

ings.

Despite QED’s initial successes there have been chal-

lenges. In its pursuit of providing objective and well-

researched analysis of government policies QED has

strived to maintain its financial independence and

sustainability. A consulting branch within QED has

been created to sustain the not-for-profit think tank

branch of QED. However, opportunities for consultan-

cy firms are limited in the country. Consulting jobs are

offered only by a handful of international institutions

such as the World Bank, ADB and the UN. Where QED

has received support from are its international part-

ners such as the Friedrich-Naumann-Stiftung für die

Freiheit (FNF). It has provided support to help QED

grow into its role as a potential and prominent think

thank in Bhutan. FNF’s critical assistance in the areas

of capacity building and rendering expertise has been

crucial for QED. It is such support from well-

intentioned and reputed international think tanks that

will equip Bhutan’s think tanks to rise up to the role

as an important ingredient in the democratic system. Lhawang Ugyel Lhawang Ugyel is a Founding Partner of QED and is currently

completing his PhD in Public Policy at the Australian National

University in Australia. Sonam Tashi is also a Founding Partner

of QED and completed his Masters in International Development

Studies at Cornell University.

Page 45: FNF International News 1-2013

45

FNF International News 2-2012

Freiheit in Transition

Nach zwölf Jahren im Amt wurde der senegalesische

Präsident Abdoulaye Wade von seinem einstigen

Schützling und zugleich größtem Widersacher Macky

Sall als Präsident abgelöst. Die Wahl des liberalen Op-

positionspolitikers im April 2012 steht sinnbildlich für

den Aufschwung des Landes, das ähnlich wie das ang-

lophone Ghana abermals eine demokratische Transiti-

on vollbrachte. Welche Faktoren bilden das Funda-

ment des positiven Wandels im Senegal? Eine detail-

lierte Auseinandersetzung mit dem historischen Pro-

zess, der in Senegal zu einer nachhaltigen Stärkung

der politischen Institutionen führte, ist in zweierlei

Hinsicht hilfreich: Sie offenbart wertvolle Anhalts-

punkte für die Bedingungen erfolgreicher demokrati-

scher Transitionen auf dem afrikanischen Kontinent

und regt dazu an, gegenwärtige politische Entwick-

lungen in Westafrika in Frage zu stellen.

Ähnlich wie Senegal galt Côte d'Ivoire jahrzehntelang

als Beispiel für politische und ökonomische Stabilität.

Ein überraschender Militärputsch am 24. Dezember

1999 beendete den Optimismus und stieß das Land in

einen Bürgerkrieg, an dessen Wunden die westafrika-

nische Nation bis dato leidet.

Als führende Exportnation im frankophonen Westafri-

ka ist die politische Stabilität in Côte d'Ivoire für die

anliegenden Staaten von existentieller ökonomischer

Bedeutung. Die Amtsübernahme von Alassane Drama-

ne Ouattara als vierter Präsident nach der Unabhän-

gigkeitserklärung des Landes im Mai 2011 beendete

de facto den offenen Konflikt zwischen Rebellengrup-

pen aus dem Norden und der Zentralregierung unter

dem ehemaligen Präsidenten Laurent Gbagbo im Sü-

den der Republik.

Zwar wurde die blutige post-elektorale Krise durch die

Überstellung des ehemaligen Präsidenten Laurent

Gbagbo an den Internationalen Gerichtshof in Den

Haag beendet, jedoch hat das Land auch gegenwärtig

noch mit den Folgen der politischen Unruhen zu

kämpfen. Eine Analyse dieser kritischen Situation

muss früher in der Geschichte ansetzen, um die Ursa-

chen der missglückten demokratischen Transition in

Côte d'Ivoire zu beleuchten.

Was sind nun die tieferen Ursachen der gescheiterten

demokratischen Transition in Côte d'Ivoire? Die De-

konstruktion der wertvollen Erfahrungen des Beispiel

Senegal geben Denkanstöße für einen Wandel der

Hierarchie der ivorischen Institutionen. Vor dem Hin-

tergrund, dass die Stabilität des gesamten westafrika-

nischen Subkontinents von der sicherheitspolitischen

und sozialen Stabilität in Côte d'Ivoire abhängt, er-

scheint ein Hinterfragen der gegenwärtigen soziopoli-

tischen Herausforderungen des weltweit führenden

Kakaoexporteurs umso relevanter.

Der wirtschaftliche Boom der Côte d'Ivoire und sei-

ne Folgen

Die Betrachtung der jüngeren Geschichte von Côte

d'Ivoire bis hin zum Militärputsch im Dezember 1999

verdeutlicht, dass die Eliten es nach dem Tode des

langjährigen Präsidenten Felix Houphouet-Boigny im

Jahre 1993 nicht vermocht haben, entstehende politi-

sche Spannungen in einem institutionellen Rahmen zu

kanalisieren. Mit dem Fall des Regimes von Houphou-

et-Boigny brach das System existierender politischer

und ökonomischer Netzwerke teilweise wie ein Kar-

tenhaus zusammen.

Demokratische Transitionen in Senegal und Côte d'Ivoire –

Lehrstücke für Stabilität in Westafrika?

Page 46: FNF International News 1-2013

46

FNF International News 2-2012

Freiheit in Transition

In den ersten Jahrzehnten nach der Unabhängigkeit

des Landes baute Präsident Houphouet-Boigny ein

Netzwerk auf, das vor allem auf den Export von Ka-

kaoerzeugnissen gestützt war. Das ivorische Wirt-

schaftswunder, das zwischen 1960 und 1979 seine

Blütezeit erlebte, veränderte die sozioökonomischen

Verhältnisse im Land. Die weltweit steigende Nachfra-

ge nach Kakao und die schier unendlichen Bodenres-

sourcen des Landes veranlassten die damalige Regie-

rung zu einer Förderung der Mobilität von Arbeitskräf-

ten aus den Nachbarländern – vor allem aus Burkina

Faso, Mali und Guinea. Jenes führte dazu, dass bis

1979 rund fünfzehn Prozent der ivorischen Bevölke-

rung eine ausländische Staatsbürgerschaft hatten.

Die Expansion der Kakaoproduktion wurde durch die

Änderung des bäuerlichen Bodenrechts im Jahre 1963

weiter vertieft. Durch die Entkoppelung von Erb- und

Eigentumsrecht wurde ruralen Gemeinschaften verbo-

ten, sich dem Verkauf von Ländereien entgegenzustel-

len. Tatsächlich gab es im Gewohnheitsrecht vieler

Gemeinden bis dato keine Möglichkeit, Ländereien

anders zu übertragen als im Wege der Erbfolge. Der

Bruch mit diesen historischen Traditionen führte sehr

früh zu Spannungen innerhalb dieser ländlichen Ge-

meinden. Besonders im Westen des Landes, entlang

der ivorisch-liberianischen Grenze in der Region um

die Stadt Man, aber auch in anderen Teilen des Landes

führte die Rechtsunsicherheit bezüglich des Bodenei-

gentums zu sporadischen lokalen Gewaltausbrüchen.

Der wirtschaftliche Aufschwung, beschleunigt durch

die Expansion der Kakaoproduktion, und der daraus

resultierende erweiterte finanzielle Spielraum der Re-

gierung, erlaubte es Präsident Houphouet-Boigny, die

steigende Intensität der Rivalitäten, die sich auf länd-

licher Ebene immer stärker herauskristallisierten, ef-

fektiv zu unterdrücken. Ethnische Antagonismen wur-

den zu dieser Zeit bewusst durch enge Kooperation

mit einflussreichen lokalen Körperschaften vermin-

dert. Besonders Allianzen mit politischen Persönlich-

keiten und einflussreichen Unternehmern aus den

nördlichen Provinzen des Landes waren der politischen

Elite, die vornehmlich von der ethnischen Gruppe der

Baoulé dominiert war, ein wichtiges Element, um eine

effektive politische Kontrolle über das Staatsgebiet

aufzubauen.

Die Kräfteverhältnisse im Land änderten sich erst, als

der wirtschaftliche Aufschwung durch die Rezession

im Jahre 1979 jäh gestoppt wurde – wovon sich das

Land in der Folge nur schwer erholen sollte. In dieser

Zeit durchlebte die ivorische Gesellschaft einen Um-

bruch. Durch den wirtschaftlichen Aufschwung verän-

derte sich nicht nur die Art des Wirtschaftens in länd-

lichen Gebieten, sondern auch die Lebensweise in vie-

len Gemeinden.

Die allmähliche Industrialisierung von Côte d'Ivoire

hatte nachhaltige Auswirkungen auf die Veränderung

der sozialen Dynamik innerhalb des Landes. Individuen

zog es nun vermehrt in die industriellen Ballungsräu-

me. Durch die erhöhte Mobilität verwischten traditio-

nelle Lebensweisen zusehends, was in vielerlei Hin-

sicht zu einer tiefgreifenden Identitätskrise bei vielen

Individuen führte. Auf der Suche nach neuen sozialen

Anhaltspunkten wurden die verschiedenen Bevölke-

rungsteile mit einem Mangel an Institutionen kon-

frontiert, die als ordnende Akteure der Erosion der so-

zialen Strukturen hätten entgegenwirken können.

Hierbei kommt dem Begriff der Autorität eine beson-

dere Bedeutung zu. Die Präsenz einer Autorität im

Sinne einer dynamischen Zivilgesellschaft hätte das

Potential gehabt, genau die Lücke zu füllen, die durch

die kollektive Identitätskrise in manchen Regionen

aufgerissen wurde. Einflussreiche lokale Körperschaf-

ten versäumten es aber letztlich, als Mediatoren in-

terkommunale Konflikte zu schlichten. Nachdem auch

die materiellen Mittel vieler lokaler Würdenträger

durch die fallenden Rohstoffpreise auf dem Weltmarkt

Félix Houphouët-Boigny

Page 47: FNF International News 1-2013

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FNF International News 2-2012

Freiheit in Transition

beschnitten wurden, zerfielen vielerorts die Arrange-

ments, die die schwelenden Konflikte über lange Zeit

erfolgreich gedämpft hatten.

Die gesellschaftliche Instabilität wurde weiterhin ver-

stärkt, als zum Ende der 1980er und zu Beginn der

1990er Jahre eine Welle von gewaltsamen Zusam-

menstößen zwischen Polizeikräften und aufstrebenden

Studentenverbindungen der Opposition die Campus

der ivorischen Universitäten erreichte. Die Kombinati-

on von ländlichen Unruhen, gewaltsamen Universi-

tätsprotesten und dem harten Konkurrenzkampf zwi-

schen Houphouet-Boigny's Nachfolgern Henri Konan

Bédié, Alassane Dramane Ouattara und Laurent Gbag-

bo war der Nährboden für die schleichende Brutalisie-

rung des öffentlichen Lebens.

Da im selben Zeitraum der politische Wettbewerb

durch die Einführung des Mehrparteiensystems ver-

stärkt wurde, befand sich das Land ab 1993 vor der

Implosion. Houphouet-Boigny's Nachfolger Bédié sah

sich vor der Herausforderung, die Machtstellung der

historischen Regierungspartei PDCI konsolidieren zu

müssen und zugleich dem schleichenden Prozess der

Erosion des staatlichen Gewaltmonopols zu begegnen.

Ein tieferes Verständnis der historischen sozialen und

politischen Entwicklungen ist der Schlüssel, um die

gegenwärtige Krise des Landes einordnen zu können.

Die Einführung des Mehrparteiensystems führte

schlussendlich zur Spaltung der Regierungspartei

PDCI. Ein erbitterter Machtkampf zwischen Präsident

Bédié und dem aufstrebenden damaligen Premiermi-

nister Alassane Ouattara, der ein langjähriger Garant

für die Stabilität der Allianz zwischen der PDCI und

den nördlichen, vorwiegend muslimischen Bevölke-

rungsgruppen war, ebnete den Weg in eine blutige

Krise.

Ouattara und weitere einflussreiche Politiker aus dem

Norden des Landes entschlossen sich, die liberale Par-

tei RDR zu gründen, um sich im Vorfeld der Präsident-

schaftswahlen von 1995 von der historischen Regie-

rungspartei PDCI zu emanzipieren. Ferner bildete sich

unter der Führung des Universitätsprofessors Laurent

Gbagbo eine einflussreiche Gruppierung, die vorwie-

gend von Angehörigen des Bété-Volkes dominiert war

und der Front Populaire Ivoirien, einer erst 1990 aner-

kannten sozialistischen Partei, nahe stand. Als Erbe

des blutig niedergeschlagenen Aufstands unter dem

politischen Aktivisten Kragbé Gnabé, der im Jahre

1970 die unabhängige Republik Eburnie ausgerufen

hatte, wurden die politischen Forderungen der Kru-

Bevölkerung im Süden des Landes immer dringlicher.

Die politische Landschaft der Côte d'Ivoire wurde im-

mer stärker zwischen den verschiedenen ethnisch-

legitimierten Gruppierungen aufgerieben.

Das schleichende Zerbröckeln der Vormachtstellung

der Regierungspartei innerhalb des Landes brachte

Präsident Bédié in eine missliche Lage: Wie sollte er

seine eigene Machtposition ausbauen, wenn gleich-

zeitig der globale Fall der Kakaopreise den finanziellen

Spielraum der Partei einschränkten und regionale An-

tagonismen vermehrt zu Tage traten?

Die destruktive Wirkung der 'Ivoirité'-Politik

Die Strategie, die Präsident Bédié anwandte, um den

immensen politischen Druck auf die PDCI abzuwen-

den, war ein Wendepunkt für die gescheiterte Transi-

tion in Côte d'Ivoire. Die Partei verfolgte fortan eine

Politik der Exklusion rivalisierender Gruppen. Dieser

Ansatz wurde nachhaltig von dem Konzept der Ivoirité

geprägt, womit eine Debatte über die 'wahre' Natur

der ivorischen Nation auf die politische Agenda ge-

setzt wurde. Willentlich wurden die Machtstrukturen,

die von Felix Houphouet-Boigny kultiviert wurden,

beseitigt. Präsident Henri Konan Bédié entschied sich

gegen die Konsolidierung der Allianzen mit den ein-

Marktszene in Abidjan

(Foto: Zenman/Wikipedia)

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FNF International News 2-2012

Freiheit in Transition

flussreichen Teilen der nördlichen Provinzen und rich-

tete den Fokus verstärkt auf die Mobilisierung der

südlichen Bevölkerungsgruppen.

Hierbei stehen zwei Dinge sinnbildlich für den durch

Präsident Bédié angestoßenen gesellschaftlichen und

politischen Wandel: Im Jahre 1994 verabschiedete die

ivorische Nationalversammlung eine Reform des

Wahlgesetzes, das die Präsidentschaftskandidatur nur

Personen ermöglichte, deren Eltern ivorischer Her-

kunft waren („Ivorité“). Im Endeffekt zielte dies auf

den Ausschluss Alassane Ouattaras von der Präsident-

schaftswahl 1995. Parallel verfestigte die Wahlrechts-

reform die Polarisierung zwischen den Bevölke-

rungsteilen aus den nördlichen und den südlichen

Provinzen. Diese wurde im Jahre 1998 durch die Re-

form des Bodenrechts sogar weiter gefördert. Die

Wiederherstellung des Prinzips des Erbrechts in Bezug

auf die Übertragung von Landrechten war das letzte

Signal, das den Bruch mit der Ära von Präsident Hou-

phouet-Boigny besiegelte. Die kommunalen Spannun-

gen, die seit Jahrzehnten sporadisch in gewaltsamen

Zusammenstößen aufgebrochen waren, konnten nun-

mehr nur noch schwer von der Regierung kanalisiert

werden.

Die kommunalen Spannungen übertrugen sich auch

unmittelbar auf die ivorischen Streitkräfte. In Zeiten

erhitzter gesellschaftlicher Interaktionen wurden die

steigenden Rivalitäten zwischen verschiedenen ethni-

schen Gruppen auch in der Armee des Landes mani-

fest. Diese Entwicklung wurde weiter dadurch be-

stärkt, dass die drei politischen Hauptakteure Präsi-

dent Bédié und die beiden Herausforderer Alassane

Ouattara und Laurent Gbagbo jeweils versuchten, sich

Sympathien in der Militärhierarchie zu sichern. Allen

war bewusst, dass die Brutalisierung des politischen

Raumes so weit vorangeschritten war, dass das Militär

ein ausschlaggebender Faktor in der Wiederherstel-

lung der politischen Kontrolle über weite Teile des

Landes war.

Die steigenden Spannungen innerhalb der Streitkräfte

alarmierten die Führungsriege der PDCI. Als Reaktion

auf die als ungewiss empfundene Loyalität der hohen

militärischen Hierarchie ordnete Präsident Bédié einen

Wechsel an der Spitze der Armee an. Der Bruch zwi-

schen der Armeeführung und der Regierung wurde vor

allem durch die Degradierung des langjährigen Gene-

ralstabschefs General Robert Guei komplettiert. Guei

hatte sich geweigert, seine Soldaten im Vorfeld der

Präsidentschaftswahlen im Jahre 1995 zur Unterstüt-

zung der Polizeikräfte für die Eindämmung von

(Studenten-)Protesten abzustellen. Letztlich spielte

dann auch das Militär die entscheidende Rolle im

Sturz der Regierung von Präsident Henri Konan Bédié.

Was am 23. Dezember 1999 als vereinzelte Meuterei-

en in Abidjan, Korhogo und Bouaké begann, entwi-

ckelte sich unter der Führung von General Robert Guei

zu einem Militärputsch, der nicht nur die Präsident-

schaft von Henri Konan Bédié beendete, sondern auch

das Ende der 39jährigen Vormachtstellung der Regie-

rungspartei PDCI bedeutete. Im Nachhinein lässt sich

feststellen, dass das Ende der Ära der PDCI auch die

Ursachen für den Ausbruch der Rebellion im Jahre

2002 offenbarte. Die politischen Eliten vermochten es

nicht, die durch die Einführung eines Mehrparteien-

systems zu Beginn der 1990er Jahre aufkommenden

politischen Forderungen und die soziale Mobilisation

in einem institutionellen Rahmen zu kanalisieren.

Deutlich wurde das Scheitern durch die Verrohung der

politischen Kultur in Côte d'Ivoire. Eine wichtige Rolle

spielten die sehr aktiven Studentenvereinigungen, die

sich einer konsequenten Repression ausgesetzt sahen.

Interessanterweise bestand die Militärjunta, die den

Militärputsch maßgeblich vorangetrieben hatte, vor-

nehmlich aus Soldaten, die in den frühen 1990er Jah-

ren in jenen Studentenvereinigungen politisiert wur-

den. Die Tatsache, dass die polizeilichen und rechtli-

chen Repressionsmaßnahmen mit dem Versuch des

Ausschlusses einflussreicher Führungspersönlichkeiten

der Opposition vom politischen Wettbewerb einher-

gingen, löste einen Flächenbrand aus, der sich auf

verschiedenste gesellschaftliche Bereiche auswirkte.

Die geglückte demokratische Transition im Senegal

Ein Vergleich mit der demokratischen Transition im

Senegal ermöglicht es, mehrere Faktoren herauszu-

stellen, die als Erklärung für das gescheiterte Demo-

kratieprojekt in Côte d'Ivoire dienen können. Aus-

gangspunkt der senegalesischen Erfolgsstory ist ein

versuchter Putschversuch im Jahre 1962. Vor dem

Hintergrund eines harten Konkurrenzkampfes zwi-

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FNF International News 2-2012

Freiheit in Transition

schen Präsident Leopold Sedar Senghor und dem da-

maligen Premierminister Mamadou Dia stand die Re-

gierung der erst kürzlich unabhängigen Nation vor

dem Sturz. Erst die Intervention hochrangiger Armee-

funktionäre verhinderte den Sturz der Regierung. Prä-

sident Senghor reagierte prompt auf die fragile politi-

sche Lage und die offensichtlich ungeklärten Macht-

verhältnisse im Land, indem er einen autoritären An-

satz wählte. Fortan existierte im Senegal de facto nur

die Regierungspartei; oppositionelle Bewegungen

wurden konsequent verboten. Die immer intensiver

werdenden Oppositionsproteste zu Beginn der 1970er

Jahre führten jedoch zu einem Umdenken. Die Furcht

vor einem unhaltbaren Ausbruch der politischen Ge-

walt führte 1975 zu einer fundamentalen Neuausrich-

tung des politischen Systems.

Die Einführung des Mehrparteiensystems im Senegal

wurde im Gegensatz zu Côte d'Ivoire somit bereits in

den 1970er Jahren vom damaligen Präsidenten Leo-

pold Sedar Senghor aktiv vorangetrieben. Ohne das

politische Feld des westafrikanischen Staats gänzlich

zu liberalisieren, wurde den politischen Parteien kon-

tinuierlich immer ein wenig mehr Spielraum zuge-

standen. Die kontinuierliche Liberalisierung der politi-

schen Landschaft wurde auch unter Senghors Nach-

folger Abdou Diouf verfolgt. Ohne die Machtstellung

der Regierungspartei Part Socialiste in Frage zu stel-

len, entschied sich Präsident Diouf dazu, die größten

Oppositionsparteien – vor allem die PDS unter Füh-

rung von Abdoulaye Wade – an der Reform des Wahl-

rechts zu Beginn der 1990er Jahre teilhaben zu lassen.

Auch den Medien des Landes wurde kontinuierlich

mehr Freiraum gelassen, kritische Beiträge zu senden.

Diese Maßnahmen führten zu einer merklichen Redu-

zierung politisch motivierter Gewalt im Lande. Ferner

half ein für die senegalesische Politik typisches Instru-

ment die Mobilisierung von oppositionellen Gruppie-

rungen einzudämmen. Es handelte sich um die Koop-

tation von einflussreichen Oppositionsmitgliedern.

Indem aufstrebende Oppositionspolitiker temporär in

den Staatsapparat integriert wurden, gelang es der

sozialistischen Regierungspartei PS unter Abdou Di-

ouf, politischen Widerstand zumindest zeitweise ab-

zumildern. Ein positiver Nebeneffekt, der oftmals ver-

nachlässigt wird, ist die Tatsache, dass die temporäre

Integration von Oppositionspolitikern das politische

Feld zumindest scheinbar offen gehalten hat. Noch

wichtiger erscheint jedoch, dass hierdurch der Opposi-

tion nicht gänzlich der Zugang zu materiellen Res-

sourcen verwehrt blieb.

Nichtsdestotrotz sind die Gründe für die Konsolidie-

rung der politischen Institutionen und vor allem die

Stabilisierung des gesellschaftlichen Zusammenlebens

nicht ausschließlich auf der politischen Ebene zu su-

chen. Ein weiterer Faktor für den geglückten demokra-

tischen Transformationsprozess ist die Rolle der musli-

mischen Sufi-Bruderschaften, die in dem westafrika-

nischen Land eine ungemein wichtige Rolle als soziale

Mediatoren spielen. Die senegalesische Bevölkerung

wurde ähnlich wie die ivorische Gesellschaft ebenfalls

von Modernisierungsprozessen geprägt, die zum Aus-

einanderdriften von traditionellen Lebensräumen

führten. Ein stetiger Zuwachs in urbanen Ballungsräu-

men und der zunehmende Fokus auf industrielle Zen-

tren wie die Hauptstadt Dakar ließen traditionelle

Bindungen aufbrechen und neue entstehen. Diese

strukturellen Veränderungen in der Gesellschaft, die

mit einem Verlust von traditionellen Bezugspunkten

einhergingen, wurden in Senegal jedoch durch andere

Mechanismen begleitet als in Côte d'Ivoire.

Präsident Leopold Sedar Senghor

(Foto: photo(C)ErlingMandelmann.ch)

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FNF International News 2-2012

Freiheit in Transition

Sufi-Bruderschaften als sozioökonomische Mediato-

ren

Anders als in Côte d'Ivoire existiert im Senegal ein im-

plizites System von 'Checks and balances', das als

Auffangnetz für etwaige Spannungen diente. Es han-

delte sich hierbei um eine klare Rollenverteilung zwi-

schen der Regierung, dem Militär und den lokalen

Körperschaften. Die Beziehungen zwischen politi-

schen, militärischen und zivilen Eliten ruhten dem-

nach auf einem Fundament, das die Kompetenzen

zwischen den drei Akteuren klar abgrenzte. Neben den

üblichen Aufgabenbereichen, die auch in anderen

Staaten von der Regierung übernommen wurden,

zeichneten sich im Senegal besondere Aufgabenberei-

che für die Streitkräfte und die lokalen Körperschaften

ab.

Unmittelbar nach der institutionellen Krise zwischen

Präsident Senghor und dem damaligen Premierminis-

ter Mamadou Dia bildete sich in Elitekreisen ein ver-

breiteter Konsens, das Militär aus der Sphäre des poli-

tischen Wettbewerbs gänzlich auszuschließen. So

wurde den Mitgliedern der Streitkräfte das Wahlrecht

entzogen, jedoch parallel Anstrengungen unternom-

men, das Aufgabenfeld des Militärs zu vervielfältigen

und das Prestige des Militärs als Institution hoch zu

halten.

Die vier größten Sufi-Bruderschaften spielen in die-

sem Kontext eine nicht zu unterschätzende Rolle als

strukturierende Elemente innerhalb der Gesellschaft,

aber auch im Verhältnis zur Regierung und zum Mili-

tär. Hierbei sind die wirtschaftlichen Interessen, die

diese religiösen Gruppen besonders im Transportsektor

und in der Erdnuss- und Baumwollindustrie haben,

von besonderer Bedeutung. Daraus resultierte ein vi-

tales Interesse an stabilen politischen Verhältnissen.

Ob ihres weitreichenden Einflusses innerhalb der Ge-

sellschaft waren die Bruderschaften in der Lage, eine

gesellschaftliche Hierarchie in ländlichen Gegenden

zu konsolidieren und darüber hinaus als Mediatoren

von der Regierung sowie von den Streitkräften aner-

kannt zu werden.

Besonders in Bezug auf die sozialpsychologische Sta-

bilität erscheint eine Analyse der Rolle der religiösen

Gruppen im Senegal äußerst interessant. Die sukzessi-

ven Regierungen des Landes haben es weitestgehend

den Sufi-Bruderschaften überlassen, der steigenden

individuellen Unsicherheit in der Gesellschaft zu be-

gegnen. Durch die Einführung von hierarchischen

Strukturen auf der lokalen Ebene wurde in Senegal

erreicht, dass zerfallende traditionelle Verbindungen

aufgefangen und den Bevölkerungen eine stabile al-

ternative Ordnung geboten wurden. Dies führte vor

allem dazu, dass Landstreitigkeiten sich nicht zu Flä-

chenbränden zwischen verschiedenen Gemeinden ent-

wickelten, weil auf lokaler Ebene durchgehend allge-

mein anerkannte Formen von Autorität präsent waren.

Die Stabilität auf lokaler Ebene spielte indirekt auch

eine wichtige Rolle in der Stabilisierung des Militärs.

Ausgehend von der These, dass Mitglieder der Streit-

kräfte keineswegs apolitische und neutrale Akteure

sind, kann man davon ausgehen, dass die sozioökono-

mischen Bedingungen in den Heimatgemeinden der

Soldaten einen ungeahnt großen Einfluss auf die Ko-

häsion innerhalb der Truppe haben. Ohne die Wichtig-

keit von Klientelpolitik für den Senegal zu negieren,

wird doch deutlich, dass die Abtretung von spezifi-

schen Kompetenzen durch die Regierung an nicht-

staatliche Akteure ein bedeutendes Element für die

Stabilisierung einer sich im Umbruch befindenden Ge-

sellschaft war.

Genau in diesem Zusammenhang unterscheiden sich

Côte d'Ivoire und Senegal. Während in Senegal vor

allem nicht-staatliche Akteure den sozialen Moderni-

sierungsprozess begleiteten, entschloss sich der ivori-

sche Präsident Henri Konan Bédié mit Einführung des

'Ivoirité'-Konzepts dazu, diese Lücke durch parteipoli-

tisches Kalkül zu füllen. Die individuelle Unsicherheit,

die vornehmlich in ländlichen Gegenden durch schwe-

lende ethnische und kommunale Konflikte verstärkt

wurde, wurde demnach nicht durch einen dritten Ak-

teur begleitet, sondern zum Zwecke der Machterhal-

tung von politischen Eliten instrumentalisiert.

Das Ergebnis dieser Entwicklung war eine verstärkte

politische und soziale Mobilisierung entlang ethni-

scher Kriterien, die sich über Jahrzehnte langsam auf-

baute und im Dezember 1999 mit dem Sturz von Hen-

ri Konan Bédié auch auf dem obersten Level deutlich

wurde. Die fragile soziale Lage von Côte d'Ivoire ist

somit geprägt durch eine Abwesenheit starker nicht-

staatlicher Akteure, die als Katalysatoren aufkommen-

de Spannungen innerhalb der Bevölkerung entgegen-

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FNF International News 2-2012

Freiheit in Transition

wirken können, ohne in den Verdacht zu kommen,

sich in den Dienst einer bestimmte Bevölkerungsgrup-

pe oder Partei zu stellen.

Côte d'Ivoire zwischen ökonomischer Aufbruchs-

stimmung und Zukunftsängsten

Quo vadis, Côte

d'Ivoire? Die Lehren

aus der Vergangenheit

sollten als Warnung

für den aktuellen Kurs

des Präsidenten

Ouattara dienen. Der

ivorische Präsident

befindet sich in einer

ähnlichen Situation

wie sein Vorgänger

Henri Konan Bédié. Da

ein wirtschaftlicher Aufschwung nur durch eine ge-

wisse politische Stabilität zu erreichen ist, bleibt

Ouattara darauf erpicht, die Rolle seiner Partei, der

RDR, kontinuierlich zu stärken. Zu groß scheint der

Graben zwischen der Regierungspartei und den Anhä-

ngern des geschassten Präsidenten Laurent Gbagbo.

Ein Blick auf die administrativen Strukturen des Lan-

des verdeutlicht jedoch, dass die Regierung unter Prä-

sident Ouattara das Nord-Süd-Gefälle aufrechterhält.

Dieser Ansatz ist nicht ungefährlich. Die jüngsten At-

tacken auf militärische Stützpunkte in der Wirt-

schaftsmetropole Abidjan und entlang der ghanai-

schen Grenze in Noé dienen als alarmierende Beispiele

für die fragile Sicherheitslage des Landes. Einflussrei-

che regierungskritische Hardliner vor allem aus dem

Exil in Ghana und Liberia koordinieren gezielte Atta-

cken, doch fehlen ihnen gegenwärtig die finanziellen

Mittel, um eine groß angelegte Offensive gegen die

Regierung zu starten. Ohne die Einbindung gemäßig-

ter Oppositionsakteure aus dem Süden wird es Präsi-

dent Ouattara schwer haben, den westafrikanischen

Staat nachhaltig zu stabilisieren. Das Land steht somit

vor einem Wendepunkt: Schafft es Präsident Ouattara

den Versöhnungsprozess auch gegen den Willen ehe-

maliger Rebellenführer aus dem Norden durchzuset-

zen, oder verschärft sich das Gefälle zwischen den

beiden Lagern, was langfristig in einem Teufelskreis-

lauf der Gewalt enden könnte? Die Suspendierung von

sieben pro-Gbagbo-Zeitungen im September 2012

beweist, dass die Demokratisierung der Côte d'Ivoire

noch einen langen Weg vor sich hat.

Positiver ist dagegen der Ausblick für den Senegal. Die

gegenwärtig zu beobachtende kontinuierliche Stabili-

sierung der politischen Institutionen gibt allen Anlass

zur Hoffnung, dass nun die Bedingungen für einen

wirtschaftlichen Aufschwung gelegt sind.

Malick Diedhiou ist Absolvent der London School of

Oriental and African Studies (SOAS). Der vorliegende

Text ist eine Zusammenfassung der Ergebnisse seiner

Dissertation vom September 2012.

Übersetzt aus dem Englischen. Alassane Ouattara

(Foto: VOA News, L. Ramirez )

Grafik: Martin23230 /Wikipedia

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FNF International News 2-2012

Freiheit in Transition

Politische Berichte aus aktuellem Anlass

Unsere Berichte aus aktuellem Anlass berichten zeitnah über eine aktuelles Ereignis

von besonderer Bedeutung (Wahlen, politische und soziale Krisen etc). Sie werden

von den Mitarbeitern der FNF aus der jeweiligen Region in deutscher (in Ausnahme-

fällen auch englischer oder spanischer) Sprache erstellt.

Download unter: http://baaa.freiheit.org

Hintergrundpapiere

Unsere Hintergrundpapiere dienen der Vertiefung und beschäftigen sich jeweils mit

einem ausgewählten Thema, dass auch mittelfristig noch aktuell ist.

Download unter: http://hintergrundpapiere.freiheit.org

Policy Papers der Regionen

Unsere Policy Papers bieten regionale Analysen zur politischen Situation ausgewähl-

ter Regionen, zur Lage der dortigen Wirtschaft und zur jeweiligen Sozialstruktur.

Download unter: http://policypapers.freiheit.org

IMPRESSUM

Herausgeber Friedrich-Naumann-Stiftung für die Freiheit Redaktion, Layout: Johannes Issmer Bereich Internationale Politik E-Mail: [email protected]

Referat für Querschnittsaufgaben Karl-Marx-Str. 2 14482 Potsdam-Babelsberg Telefon: +49(331) 7019-520

Fax: +49(331) 7019-132/133 Bildnachweis Titel: Moritz Kleine-Brockhoff/FNF

Weitere Publikationen aus den Bereich Internationale Politik der

Friedrich-Naumann-Stiftung für die Freiheit finden Sie unter www.freiheit.org

Politische Berichte des Bereichs Internationale Politik online