2015-01-16 Cekirge Neustart in Istanbul · 6 6 verdienen als in Deutschland... Selbst wenn man nach...

22
1 1 DEUTSCHLANDFUNK Redaktion Hintergrund Kultur / Hörspiel Redaktion: Ulrike Bajohr Neustart in Istanbul Warum Deutsch-Türken auswandern Von Emine Cekirge Sendedatum: 16.01.2015, 19.15 Uhr Produktion: 12./13.01. 2015 Sprecher: Demet Fey (Autorin) Sprecherin 2: Sylvia Systermans Sprecher: Christoph Wittelsbürger URHEBERRECHTLICHER HINWEIS Dieses Manuskript ist urheberrechtlich geschützt und darf vom Empfänger ausschließlich zu rein privaten Zwecken genutzt werden. Jede Vervielfältigung, Verbreitung oder sonstige Nutzung, die über den in §§ 45 bis 63 Urheberrechtsgesetz geregelten Umfang hinausgeht, ist unzulässig. DeutschlandRadio MUSIK Tarkan „Istanbul agliyor“ O-TON Ayse Demiroglu:

Transcript of 2015-01-16 Cekirge Neustart in Istanbul · 6 6 verdienen als in Deutschland... Selbst wenn man nach...

1

1

DEUTSCHLANDFUNK

Redaktion Hintergrund Kultur / Hörspiel

Redaktion: Ulrike Bajohr

Neustart in Istanbul

Warum Deutsch-Türken auswandern

Von Emine Cekirge

Sendedatum: 16.01.2015, 19.15 Uhr

Produktion: 12./13.01. 2015

Sprecher: Demet Fey (Autorin)

Sprecherin 2: Sylvia Systermans

Sprecher: Christoph Wittelsbürger

URHEBERRECHTLICHER HINWEIS

Dieses Manuskript ist urheberrechtlich geschützt und darf vom Empfänger ausschließlich zu rein privaten Zwecken genutzt werden. Jede Vervielfältigung, Verbreitung oder sonstige Nutzung, die über den in §§ 45 bis 63 Urheberrechtsgesetz geregelten Umfang hinausgeht, ist unzulässig.

DeutschlandRadio

MUSIK Tarkan „Istanbul agliyor“

O-TON Ayse Demiroglu:

2

2

...... ist Istanbul lebenswert – ja oder nein? Weil viele schwärmen ja von Istanbul.

Istanbul ist die beste Stadt auf der Welt… Ist es so?

MUSIK Tarkan „Istanbul agliyor“

O-TON Sener Azak:

Istanbul ist eine anstrengende Stadt, schöne Stadt, aber riesig. Ist eine Mega-City

mit 17 Millionen Menschen, alles ist weit auseinander, Verkehr ist anstrengend, es ist

eine teure Stadt. Und wenn du hier einigermaßen gut leben willst, brauchst du

dementsprechend ein Einkommen. Sonst ist einfach nur schwer.

MUSIK Tarkan „Istanbul agliyor“

O-TON Nesrin Altintop:

... Istanbul, vor allem Moda ... Hat einen ganz besonderen Zauber – dieser Stadtteil.

Also man kann es, glaube ich, wenn man es nicht erlebt hat, gar nicht mit Worten

wiedergeben. ... ja, ich habe mich einfach verliebt in diesen wunderbaren Fleck der

Erde.

MUSIK Tarkan „Istanbul agliyor“

O-TON Musa Akinci :

Ich bin das erst Mal im Jahr 2000 nach Istanbul gekommen. Und hatte schon – wie

sagt man – so eine Liebesbeziehung mit der Stadt.

MUSIK Tarkan „Istanbul agliyor“

Sprecher:

Neustart in Istanbul

Warum Deutsch-Türken auswandern

Von Emine Cekirge

ATMO: Straßenlärm mit Folkloreband und Tambourinklängen

AUTORIN:

3

3

Istanbul, Künstlerviertel Cihangir. Hier wohnen und arbeiten Schauspieler,

Regisseure, Maler und jede Menge Medienleute. Einer von ihnen ist Sener

Azak. Mit ihm bin ich vor einem Studenten-Café vera bredet. Als ich eintreffe,

pünktlich, kommt mir ein sympathischer Mann mit Gla tze entgegen. Lässig

trägt der 41-Jährige Jeans und Sneaker.

ATMO: Begrüßung:

Sener: ...Emine Cekirge?

Emine: Merhaba.....

Sener: Merhaba, ja hallo, herzlich Willkommen...

AUTORIN:

Sener Azak hat über 30 Jahre in Deutschland gelebt, zuletzt in Frankfurt am

Main. Entdeckt habe ich ihn im Internet, im Busines sportal Xing, Stichwort

„Rückkehrerstammtisch in der Türkei“. Ein Netzwerk, in dem sich

Gleichgesinnte über Auswandererthemen und das Leben in der Türkei

austauschen. So bin ich mit Sener in Kontakt gekomm en. Nun sitze ich neben

ihm, auf einer Spielplatzbank mit Blick über den Bo sporus. Sener erinnert sich

an seine Ankunft in Istanbul, das war 2008.

O-TON Sener Azak:

...ich kam hier an mit einem großen Koffer. … Da brauchst du erst einmal eine Wohnung, du

kennst die Preise nicht. Dann hast du eine Wohnung. Dann brauchst du Möbel, du

vergleichst und suchst, musst dich aber auch im Job zurechtfinden. Das ist schon eine

Herausforderung, die jeder Türke aus Deutschland oder egal wer, zu bewältigen hat.

MUSIK Tarkan „Istanbul agliyor“

SPRECHER :

2013 lebten in Deutschland rund 730 Tausend Türken im Alter zwischen 25 und

50 Jahren. Im selben Jahr verließen 14 658 Türken d ieser Altersgruppe

Deutschland und lediglich 11 910 sind zugezogen.

AUTORIN:

4

4

Es seien oft hochqualifizierte Deutsch-Türken, die die Bundesrepublik

verließen, höre ich immer wieder. Doch tatsächlich gibt es keine

Untersuchungen, die das belegen, erfahre ich von de r Pressestelle des

Statistischen Bundesamtes in Wiesbaden. Genauso wen ig könne man

nachweisen, wie viele der deutschen Staatsbürger , die in Richtung Türkei

auswandern, einen türkischen Migrationshintergrund hätten. Auch würden die

Gründe für die Ein- und Auswanderung nicht erfasst.

Sener weiß genau, warum er Frankfurt verlassen hat, um in Istanbul neu

durchzustarten.

O-TON Sener Azak:

Ich kam in die Türkei, weil ich als Türke das Gefühl hatte, obwohl ich in den Ferien und

später im Urlaub etc. immer wieder hier war, mein Heimatland – und ich bin ja doch noch in

der Türkei geboren - nicht genug oder kaum zu kennen. Das ist so ein komisches Gefühl.

Weißt du irgendwie: Du hast die türkische Staatsbürgerschaft, bist dort geboren, aber dein

Türkisch ist nicht richtig gut und wenn du in dem Land nicht wirklich gelebt hast, dann… da

konnte ich nicht behaupten, dass ich das Land kenne. Und… und diese Lücke quasi in

meinem – wie soll ich sagen – Dasein, die wollte ich füllen.

AUTORIN:

Zwei Jahre wollte er eigentlich nur bleiben, aber m ittlerweile seien es fast

sechs Jahre, erzählt Sener. Er habe den Schritt bis her nicht bereut.

O-TON Sener Azak:

Seltsam … ich bin erst seit fünfeinhalb Jahren hier in der Türkei und habe mehr das Gefühl

zur Türkei zu gehören, als ich je das Gefühl hatte, zu Deutschland zu gehören. Also das

verwundert mich auch … ich war ja nicht nur integriert in Deutschland. Ich war ja teilweise

fast schon assimiliert in Deutschland, ja. Und trotzdem habe ich nie das Gefühl gehabt,

tatsächlich so ein Deutscher zu sein. Ja, ab und zu lässt man dich so ein bisschen (schippst

mit dem Finger in die Luft) das spüren, du bist … egal, ob dein Deutsch besser ist als oder,

oder du die deutsche Geschichte besser kannst als der Deutsche an sich vielleicht – das ist

nicht so wichtig. Ab und zu lässt man dich spüren, dass du halt doch irgendwie ein Ausländer

bist.

Atmo Stadt/Imam

5

5

AUTORIN:

Ausländer! Ich muss schlucken. Bin ich als Deutsche mit türkischen Wurzeln

eine Ausländerin? Ein hartes Wort auch für einen Tü rken wie Sener, der als

Gastarbeiterkind in Günzburg, Schwaben, aufwuchs, s päter in Ulm lebte und in

Wiesbaden Medienwirtschaft studierte.

Und 30 Jahre später verlässt er Deutschland - ohne besonderen Anlass. Für

mich wäre so ein Leben in Istanbul unvorstellbar. U nd warum nicht, fragt

Sener. Hey, es geht hier nicht um mich, denke ich, und zucke mit den

Schultern. Bin ich vielleicht zu Deutsch, um eine T ürkin zu sein? Oder bin ich

einfach zu wenig mit dem Land und der Kultur vertra ut? Vielleicht habe ich

bisher nie wirklich darüber nachgedacht.

O-TON Sener Azak:

... was bist du jetzt? Bist Du Türke? Bist du Deutscher? Wo gehörst du hin? Und ich meine,

alle machen das mehr oder weniger durch, dass man halt … sich selbst fragt, wo man

hingehört, weil man merkt, man ist anders und man gehört nicht wirklich zu diesem Land.

Und … aber zur Türkei gehörst du auch nicht. Dieses „zur Türkei gehörst du auch nicht“ –

das habe ich Jahre später nachholen wollen oder müssen.

AUTORIN:

Seine Worte berühren mich und machen mich nachdenkl ich. Sener schiebt die

Hände unter seine Oberschenkel und wippt erwartungs voll vor und zurück. Er

lächelt kurz, wendet schnell den Blick von mir ab u nd schaut auf das weite

Meer. Ich folge seinem Blick. Die Sonne scheint auf das blaugrüne Wasser. Es

ist schön hier. Leben in einer Stadt, wo andere Url aub machen. Ist schon

irgendwie verlockend.

O-TON Sener Azak:

Das ist schwierig, hier Fuß zu fassen, weil manche denken ja, ich kann jetzt Türkisch, ich

kann Deutsch – damit habe ich einen gewissen Wettbewerbsvorteil und ich hab da und dort

dies und jenes studiert. Keine Firma wartet auf …Neulinge im Job, auf Absolventen... Was

die Leute hier suchen sind Menschen mit Know-how. Klar, kannst du auch als Absolvent

hierherkommen und hier als Einsteiger anfangen. Du findest schon einen Job. Aber mit

einem Gehalt, dass es dir halt schwer macht. Du hast nicht den gleichen Lebensstandard

wie in Deutschland als Berufseinsteiger. Definitiv nicht. Aber, wenn du eine gewisse

Berufserfahrung hast oder spezialisiert bist, dann kannst du hier sogar weitaus mehr Geld

6

6

verdienen als in Deutschland... Selbst wenn man nach zwei Jahren zurückkehrt – wie es

viele machen – dann ist es eine wunderbare Erfahrung, wunderbar.

AUTORIN:

Ich und die Türkei – das würde nicht gut gehen, den ke ich. Ich bin

freiberufliche Journalistin. In Deutschland. Um in der Türkei erfolgreich sein zu

können, müsste ich zuallererst gewandter in der tür kischen Sprache sein.

Einen einfachen Satz wie „die Wirtschaft ist im Auf schwung“ ins Türkische zu

übersetzen, fällt mir schwer. Die Vokabeln fehlen. Kein Wunder. Schließlich

habe ich die Sprache meiner Eltern in keiner Schule gelernt, auch wenn sie mir

vertraut klingt. Ich könnte also höchstens für ein deutsches Unternehmen tätig

sein. So wie Sener Azak. Er arbeitet in Istanbul re daktionell und technisch für

einen deutschen Rundfunksender. In Deutschland war der Diplom-Medienwirt

in der Werbebrache tätig. Noch von Frankfurt aus ha t er sich in Istanbul

beworben und zuerst ein Angebot als Kameraassistent erhalten. Und obwohl

das für ihn beruflich ein Rückschritt gewesen sei, hat er diesen Job

angenommen.

O-TON Sener Azak:

... hätte man mich vor zehn Jahren gefragt, wirst du in die Türkei auswandern? Hätte

ich gesagt „nö“ wahrscheinlich. Da sah ich keinen Grund dazu und heute sage ich,

ich habe keinen Grund nach Deutschland zurückzukehren. Aber man weiß ja nicht,

wie das Leben so spielt. Kismet – sagen wir Türken dazu.

AUTORIN:

Noch genießt Sener die Millionenmetropole am Bospor us, die abendlichen

Treffen mit Freunden in der Kneipe bei Rake und kal ten Vorspeisen. In Istanbul

wohnen seine Schwester und zwei Tanten. Freunde hat te er keine, als er

hierherkam. Aber Istanbul sei nun mal schöner, span nender, moderner als

seine Geburtsstadt Rize am Schwarzen Meer. Dahin wä re Sener nicht

zurückgekehrt. So geht es den meisten, die sich bei m

„Rückkehrerstammtisch“ kennenlernen. Einmal im Monat treffen sich Deutsch-

Türken in wechselnden Cafés oder Restaurants.

ATMO: Stadt. Taksim....

7

7

O-TON Sener Azak:

Network, einfach ein paar Leute kennenlernen und …ein Austausch. Weil die Probleme und

die Herausforderungen sind ja immer die Gleichen. Dass wir Türken aus Deutschland sind –

das verbindet uns natürlich. Wir sind nicht so deutsch, wir sind irgendwie auch nicht wirklich

türkisch hier so wie der klassische Türke, der hier aufgewachsen ist, weil wir halt doch eine

andere Sozialisation hinter uns haben. Und deshalb geht man ab und zu zu dem

Rückkehrerstammtisch.

ATMO/SFX: Eingangssignal für Email

SPRECHERIN 2:

Hallo an die Gruppe,

viele nennen als Ziel Istanbul…Auch der Stammtisch trifft sich nur dort. Izmir

ist doch sicher ebenfalls attraktiv. Welche Erfahru ngen habt ihr als

Auswandernde in Izmir gemacht? Wie schwer war es, e ine Anstellung zu

finden? Gibt es Besonderheiten zu beachten? Ich fre u mich, von Euch zu

lesen. Eure Didem A. * (*Name von der Redaktion geändert)

Musik Tarkan

ATMO: Stadt/Bootsfahrt. Durchgang Gepiepe. Abfahrt. Kabatas.

AUTORIN:

Als nächstes bin ich auf der asiatischen Seite von Istanbul verabredet, in

Üsküdar. Cigdem Akkaya lebt seit 2004 am Bosporus.

Auf die Minute pünktlich erscheint sie - eine Tugen d, die sie offenbar in

Deutschland verinnerlicht hat, denn die Türken in d er Türkei verspäten sich

gern. Die typische Ausrede: Verkehrschaos! Cigdem t rägt Jeans, ein

gestreiftes Leinenhemd, kurze braune Locken, eine d unkelrote Brille, und

lächelt verschmitzt. Genauso wie auf dem Foto im In ternet. Ich schätze sie auf

um die 50. Sie ist Inhaberin einer PR- und Eventage ntur und – Gründerin des

Rückkehrer-Stammtisches. Seit dem Start der Onlineg ruppe 2007 sind im Netz

fast 1700 Mitglieder registriert.

8

8

O-TON Cigdem Akkaya:

Ich habe mittlerweile einen Verteiler von über 3000 Personen, die über Facebook

oder Xing oder über meinen Outlook- Verteiler schon integriert sind im

Verteilersystem. Ich bekomme so viele Danksagungen und alles, dass ich so eine

Plattform biete, weil sie am Anfang gar nicht wissen, ja, wohin soll ich denn gehen?

Sie haben nur die Verwandten. Aber die Verwandten haben völlig andere Welten,

auch mental gesehen, und dass sie dann wieder Deutsch sprechen können und mit

gleichen Leute, mit gleichen Problemen zusammenkommen können, das ist für sie

wirklich so ein… so eine tolle Sache.

ATMO/SFX: Eingangssignal für Email

SPRECHERIN 2:

Hallo liebe Mitglieder,

wie habt ihr als deutsche Staatsbürger in der Türke i das mit der

Krankenversicherung geregelt? Seid Ihr weiterhin in Deutschland

krankenversichert oder in der Türkei? Mit wie viel .. Beitrag… im Monat muss

man rechnen? Was ist vorteilhafter? …Liebe Grüße, S ema D.* (*Name von der

Redaktion geändert)

O-TON Cigdem Akkaya:

Das ist schon wirklich ein breite Basis – das die Arbeitgeber, wenn sie jemand

deutsch-sozialisiert mit Deutschkenntnissen suchen, dann können sie das dort viel

schneller finden in der Gruppe. Genauso wenn jemand einen Job sucht, dann

schreibt, ja, ich habe dies und jenes studiert. Kennt ihr denn jemanden oder

irgendwelche Firma?

SPRECHER:

Nach Mitteilung der türkischen Arbeitsagentur ISKUR gab es im ersten

Halbjahr 2014 in 2940 verschiedenen Berufen knapp 2 00 000 freie Stellen. Am

meisten gesucht seien: Näherinnen, Verkaufsberater, Schweißer, Kraftfahrer,

Dekorateure, Buchhalter, Reinigungskräfte und Kelln er. Für Akademiker gäbe

es kaum Angebote.

9

9

ATMO/SFX: Eingangssignal für Email

SPRECHER:

Hallo zusammen,

ich bin Jurist und Unternehmensberater und suche na ch einer neuen

Herausforderung in der Türkei. Da jedoch Berater-Po sitionen für deutsche

Juristen auch in der Türkei Mangelware sind, brauch e ich Eure Unterstützung.

Kennt Ihr türkische Headhunter, die international a gieren? Oder habt Ihr

andere Tipps, wie man auf diesem Arbeitsmarkt in Is tanbul was finden könnte.

Das wäre sehr schön. …Selam, Erkan C.* (*Name von der Redaktion geändert)

Atmo/SFX: Eingangssignal für Email

SPRECHERIN 2:

Hallo liebe Freunde, die deutsch-türkische Industri e- und Handelskammer in

Istanbul sucht eine juristische Sachbearbeiterin. I nfos stehen unten. Ich bin

nur gebeten worden, die Anzeige zu posten. Bei Frag en wendet Euch bitte an

die zuständige Person in der Anzeige. Schöne Grüße, Cigdem Akkaya.

ATMO: Handy klingelt. Cigdem Akkaya geht ran....Allo, Mehmet...

AUTORIN:

Cigdem Akkaya nickt mir entschuldigend zu, während sie mit dem Anrufer

spricht. Sie legt auf, lacht, zündet sich eine Ziga rette an, zieht kräftig und atmet

tief ein.

O-TON Cigdem Akkaya:

...ich versuche, soweit ich kann zu helfen. Aber ich sage jedes Mal, ich mache keine

Jobvermittlung, ich bin keine Rückkehrer-Beraterin, aber okay… Mein Ziel ist es, dass sich

die Leute, die Gleichgesinnte finden, und auch wenn sie was wissen wollen, dann über die

anderen erfahren. Also ich biete nur diese Plattform und das mache ich komplett

ehrenamtlich und kontinuierlich seit … wie vielen Jahren jetzt? Mittlerweile seit acht oder

neun Jahren.

AUTORIN:

10

10

Jeden Monat Treffen organisieren, Gastredner aus Po litik, Wirtschaft oder

Medizin einladen, Emails verschicken, soziale Netzw erke aktualisieren, ständig

neue Kontakte ins Adressbuch einpflegen koste viel Zeit. Es mache aber auch

Spaß, Anderen Gutes zu tun. Und dafür wurde sie auc h schon belohnt. Das

erwähnt Cigdem Akkaya eher beiläufig.

SPRECHER:

„Am 22. Mai 2014 verlieh Generalkonsulin Jutta Wolk e Frau Cigdem Akkaya als

Würdigung ihrer großen Verdienste um die Förderung der deutsch-türkischen

Beziehungen das Bundesverdienstkreuz am Bande. Sie rief u.a. ehrenamtlich

den Rückkehrerstammtisch ins Leben. Er ist ein wich tiges Bindeglied

zwischen Deutschland und der Türkei und ein gesucht er Gesprächspartner

auch für offizielle Delegationen.“

AUTORIN:

…meldet das deutsche Generalkonsulat Istanbul auf s einer Website.

Cigdem Akkaya organisierte schon für viele Politike r Treffen mit Deutsch-

Türken in Istanbul. Ex-Bundespräsident Christian Wu lff war da oder auch die

frühere Staatsministerin für Integration, Maria Böh mer. Cigdem Akkaya

möchte, dass Politiker aus erster Hand erfahren, wa rum gutausgebildete

Menschen aus Deutschland weggehen. Ihr ist besonder s wichtig, dass

gegenseitige Vorurteile abgebaut werden.

SPRECHER:

Das Bundesverdienstkreuz ist die höchste Anerkennun g, die die

Bundesrepublik in- und ausländischen Bürgerinnen un d Bürgern verleiht, die

auf politischem, wirtschaftlich-sozialem, kulturell em, geistigem und

ehrenamtlichem Gebiet Besonderes geleistet haben. S eit Bestehen der Stiftung

im Jahre 1951 wurde der Orden bisher rund 248 400 M al vergeben. Darunter

sind 611 Ordensträger mit türkischer Staatsbürgersc haft.

AUTORIN:

11

11

Dazu zählt Cigdem Akkaya nicht, sie hat einen deuts chen Pass.

Migrationshintergrund werde bei der Vergabe des Bun desverdienstkreuzes

nicht erfasst, teilt mir die Pressestelle des Bunde spräsidenten mit.

In diesem Punkt gehört Cigdem Akkaya also zu den De utschen. Als sie in

Deutschland gelebt habe, sei das nicht so selbstver ständlich gewesen.

O-TON Cigdem Akkaya:

Also zum Beispiel es gab immer wieder – egal, welches Publikum es war – immer eine

gewisse Frage oder gewisse Fragen im Zusammenhang der Integration der Türken oder

Integrierbarkeit der Türken. Beispielsweise: Die türkischen Väter erlauben nicht, dass ihre

Töchter zum Beispiel mit Deutschen heiraten. Und für mich ist es natürlich immer

interessant, die Gegenfrage zu stellen: Wie ist es mit deutschen Vätern, ob sie ihren

Töchtern erlauben, mit Türken zu heiraten? Also das war zum Beispiel die typische Frage,

weil viele begreifen es irgendwie das Ablehnen für sich normal, aber für die türkischen Leute

nicht. Oder sehr oft die Bemerkung: Ach, Sie als Türkin, haben Sie auch studiert. Oder: Sie

haben sicherlich ihre Emanzipation in Deutschland erreicht, Sie müssen ja in Deutschland

nicht Kopftuch tragen. Wenn es sich immer bei einem anhäuft und kombiniert, dann nervt es

irgendwann nach einer Weile. Immer die Annahme, wenn sie nur als Muslim geboren sind,

dass sie dann Muslimexpertin sind. Also normalerweise jeder Christ ist auch nicht christlicher

Experte, aber man erwartet so etwas von uns in einer fremden Gesellschaft.

AUTORIN:

Aber wie muss eine Integration in Deutschland ausse hen, frage ich sie.

Schließlich hat sie 15 Jahre lang in Essen gearbeit et, im Zentrum für

Türkeistudien und türkische Migration, zuletzt als stellvertretende Direktorin.

Das wisse sie bis heute nicht, antwortet sie zu mei ner Überraschung.

O-TON Cigdem Akkaya:

… also in den Gesellschaften… ich meine…ich habe wirklich diese Frage nicht verstanden,

was meint man denn mit Integration und was ich noch zusätzlich machen muss, um als

integriert angesehen zu werden, das weiß ich immer noch nicht. Aber man hat mich sowieso

immer in solche Kreisen, wo solche Diskussionen hatten, ausgeschlossen: „Sie

ausgenommen, aber die anderen... Wir meinen sie ja nicht. Sie sind ja in Ordnung. Aber die

anderen.“ Aber was die anderen, welche Merkmale sie haben und weswegen man sie als

unintegriert betrachtet, war die Meinung ganz unterschiedlich.

12

12

AUTORIN:

Cigdem Akkaya studierte Wirtschaftswissenschaften a n der Ruhr-Universität

Bochum. Sie kam als 17-Jährige nach Deutschland und blieb 25 Jahre. Ich

frage sie, ob sie sich jemals in Deutschland zu Hau se gefühlt habe. Sie drückt

ihre Zigarette aus und packt die Schachtel in ihre braune Leder-Handtasche,

bevor sie mir antwortet.

O-TON Cigdem Akkaya:

… Heimat ist für mich ein Ort, wo man sich erstens wohlfühlt, wo man denkt, okay, hier bin

ich zu Hause. Aber auch die Gewissheit hat, dass man in der Gesellschaft sich darüber einig

ist, dass es da ein Konsensus ist, dass ich dazugehöre. Also das es nicht hinterfragt wird.

Also dieser Konsensus, gesellschaftlicher Konsensus, allgemeine Annahme - egal, ob sie

kriminelle sind oder nicht – also sie gehören zu dieser Gesellschaft, auch wenn man mit

denen nichts zu tun haben will oder so – das ist schon ein wichtiger Merkmal als Gefühl, als

Heimatgefühl. Und in Deutschland habe ich leider dieses Gefühl, dass dieser allgemeine

Konsensus vorherrscht, nicht gespürt.

Musik Tarkan

ATMO/SFX: Eingangssignal für Email

SPRECHER 2:

Hallo an die Gruppe,

meine Frau besitzt die blaue Karte für die Türkei. Ich bin deutscher

Staatsbürger ohne die blaue Karte. Wie bekomme ich einfach eine Aufenthalts-

und Arbeitserlaubnis für die Türkei? Grüße, Metin A .* (* Name von der Redaktion

geändert).

ATMO: Metrobahn Ansage: Next Station Osmanbey

AUTORIN:

Es dauert noch einige Stationen, ehe ich im Stadtte il Zeytinburnu ankomme.

Dort in einem Hochhaus, siebter Stock, lebt Familie Akinci. Als ich das

Wohnzimmer betrete, spielt die sechsjährige Tochter mit einem sprechenden

Pony.

13

13

ATMO: Tochter Chiara spielt mit einem sprechenden Pony...

O-TON Chiara (6 Jahre):

...kann sogar singen und sprechen. ...(Pony singt .)..hast du es gehört...(Pony zählt Farben

auf)...

AUTORIN:

Die Kleine trägt ihre langen dunklen Haare mit bunt en Bändern zum Zopf

geflochten. Sie lächelt mich an, ihre Zahnlücke kom mt zum Vorschein. Sie ist

lebhaft und aufgeweckt, ihr neunjähriger Bruder Mal ik dagegen eher

schüchtern. Er beobachtet genau, wie ich mich zu se iner Schwester Chiara

beuge.

Ich muss schon etwas schmunzeln: ein deutsch sprech endes Spielzeug mitten

in Istanbul. Es braucht wohl seine Zeit, bis sich d ie Kinder an das neue Land

gewöhnt haben. Sie sind erst seit acht Monaten weg aus ihrer alten Heimat

Stuttgart. Als ich Malik frage: bist du gerne in de r Türkei, antwortet er: nö.

O-TON Malik (9 Jahre):

Eigentlich machen wir nicht so viel hier...In Deutschland würde ich jeden Tag rausgehen …

hier nicht mehr so arg.

Hier ist ein Park, aber niemand geht mit mir raus und wenn ich alleine da bin, habe ich gar

keine Lust, da was zu machen… In Deutschland finde ich es besser, da weil … weil ich da

auch in Deutschland … nach Deutschland gehöre. Ich kann auch deutsch. Ich kann mich mit

jedem verstehen da. Ich kann meinen Freund rufen und dann können wir immer zum

Spielplatz dahin gehen.

AUTORIN:

Um Malik auf andere Gedanken zu bringen, zeige ich auf die Gitarre, die an der

Wand lehnt. Ich bitte ihn, mir etwas vorzuspielen.

Atmo Malik:

Ich mache mal irgendwas, was ich kenne. ...zupft etwas an der Gitarre ...bisschen

verstimmt.......Gitarrenklänge... bisschen vergessen…

AUTORIN:

14

14

Ein eingespieltes Team sind die Geschwister Chiara und Malik. Sie sprechen

Deutsch miteinander, Türkisch können sie nicht so g ut. Das lernen sie im

Einzelunterricht zu Hause. Darauf legten der IT-Ber ater Musa Akinci und seine

Frau viel wert, als sie beschlossen, nach Istanbul zu ziehen. Der Grund für die

Auswanderung war ein Jobangebot des deutschen Arbei tgebers. Musa Akinci

soll die hiesige Niederlassung aufbauen.

Atmo Chiara:

Ich kann es auch....dä, dä, dä, to....

O-TON Musa Akinci:

Die Voraussetzung für mich war, dass die Kinder gut versorgt sind, dass die Kinder schulisch

nicht benachteiligt werden. Das war meine größte Sorge und ich denke, das haben wir jetzt

ganz gut im Griff...

O-TON Arzu Akinci:

Wir sind an einem Punkt angekommen, die Kinder können sich jetzt verständigen, ja. Nicht

so perfekt wie die anderen Kinder hier, ja. Aber die können sich verständigen und wir

müssen weiter machen...

AUTORIN:

Ich blicke auf eine große Anrichte mit Familienfoto s. Auf dem Tisch steht eine

Obstschale voller Trauben und knackiger roter Äpfel . Die seien vom

Wochenmarkt, sagt Arzu Akinci, und lädt mich ein, d avon zu nehmen. Ich lehne

dankend ab und will wissen, wie es ihr in Istanbul ergeht.

O-TON Arzu Akinci:

Also ich habe das Gefühl, dass man hier nicht der Türke ist, der aus Deutschland kommt,

sondern der Tourist, der aus Deutschland kommt und dementsprechend sich die Preise auch

ändern können – auf dem Markt oder sonst wo... Also man sagt, ich würde nicht auffallen.

Aber ich habe trotzdem das Gefühl, ich falle auf... Weil mir manche Wörter einfach nicht

einfallen oder ich noch so ein bisschen Dialekt von meinen Eltern sprech und manche Wörter

einfach vom Deutschen noch mit reinmische. Es ist einfach nur … ja,…also wenn ich

Taschentücher möchte, sage ich immer noch: Ich will Tempo. Dann gucken die mich an und

fragen, was ist Tempo? Solche Sachen.

15

15

ATMO/SFX: Eingangssignal für Email

SPRECHERIN 2:

Hallo Miteinander,

Ich habe eine vier Monate alte Tochter und suche Mü tter zum Gründen einer

Krabbelgruppe. Nach Möglichkeit auf der asiatischen Seite, weil wir dort

wohnen. Filiz K.* (* Name von der Redaktion geändert).

AUTORIN:

Arzu Akinci ist ausgebildete Groß- und Außenhandels kauffrau. Sie war nach

der Geburt ihrer Kinder acht Jahre zu Hause und ist erst seit einem Jahr wieder

berufstätig. Sie arbeitet in Istanbul in demselben Unternehmen wie ihr Mann .

Musa Akinci fühlt sich hier wohler als seine Frau.

O-TON Musa Akinci:

Hier falle ich nicht auf. Also ich falle nicht einmal sprachlich auf, weil viele Deutsch-Türken

fallen hier sprachlich auf, weil sie einfach in ihrer Grammatik, in ihrem Satzbau nicht so fit

sind. Ich falle da ja eher weniger auf. Aber wenn ich z.B. E-Mail-Verkehr hab, da sehen sie

meine deutschen Nummern und meine Signatur und dann wissen sie schon, ich komme eher

aus Deutschland. Ich fühle mich auch nicht hier wirklich als Ausländer. Hier habe ich nicht so

das Problem.

AUTORIN:

Anders erging es Musa Akinci in Deutschland. Nach e iner Banklehre studierte

er Wirtschaftsinformatik – aber danach bekam er lan ge Zeit nur Angebote als

Sachbearbeiter. Richtig interessant wurde er für se inen Arbeitgeber erst dank

seiner Türkischkenntnisse. Er habe für alles hart k ämpfen müssen. Wäre er in

Deutschland geblieben, hätte er nicht so schnell Ka rriere machen können wie

in Istanbul.

O-TON Musa Akinci:

Irgendjemand hat mal einen Satz gesagt: Der Italiener ist für mich der Ausländer, der

Grieche ist für mich der Ausländer, der Türke ist für mich der Ausländer-Ausländer. Also das

ist schon eine Steigerung. Es ist einfach so. Die Türken sind einfach von ihrer Kultur, von

16

16

ihren Wurzeln her nicht europäisch. ..man wird dort anders wahrgenommen in der

Gesellschaft, in der deutschen Gesellschaft.

AUTORIN:

Mein Mund ist ganz trocken. Ausländer. Das Wort ver vielfacht sich in meinen

Kopf. Ich bin froh, dass mir Arzu Akinci Wasser ein schenkt. Ich frage ihren

Mann, als was er sich denn sehe.

O-TON Musa Akinci:

So wirklich Deutscher bin ich nicht. So wirklich Türke bin ich auch nicht. Der Begriff Deutsch-

Türke - na ja, hört sich ziemlich komisch an. Man experimentiert ja mit den Begriffen

„Deutscher mit türkischen Migrationshintergründen“ – das sind alles so schreckliche Begriffe.

Ich weiß nicht. Ich bin eigentlich Deutscher. Nur bin ich mit der türkischen Kultur

aufgewachsen, habe die türkische Mentalität mitbekommen, habe etwas von der türkisch

geprägten Religion – ich sage mal vom Islam – was mitbekommen, aber eigentlich bin ich

Deutscher. Ich bin im Denken bin ich Deutscher, im Handeln bin ich Deutscher, auch am

Arbeitsplatz und das ist auch so, dass ich von meinen Mitarbeitern – ich sage mal – die

gleichen Praktiken, die gleiche Disziplin und alles so erwarte … das ist… das merkt man

erst, wenn man hier ist, wie deutsch man eigentlich ist.

AUTORIN:

Jetzt ist die Familie Akinci also hier in Istanbul - mit der Option, wieder nach

Deutschland zurückzukehren. Ob das in zwei Jahren s ein werde oder erst in

20, wolle er sich offenhalten, sagt Musa Akinci.

Musik Tarkan

AUTORIN:

Die Zeit drängt. Mein Flug geht in vier Stunden. Ic h muss los. Mit der Bahn

werde ich bis zum Flughafen bestimmt 40 Minuten bra uchen. Musa Akinci fährt

mich ein Stück, bis zur nächsten Haltestelle der Me tro.

ATMO: Autofahrt mit deutschem Navi und türkischer Musik, Verabschiedung und

Auto fährt weg.

17

17

AUTORIN:

Ich bin zurück, in meiner Wahlheimat Hamburg. Seit 15 Jahren lebe und arbeite

ich in der wunderschönsten Stadt der Welt. Meine Te xte schreibe ich auf

Deutsch, in der Sprache, die ich studiert habe und mit der ich aufgewachsen

bin. Für mich ganz selbstverständlich, schließlich bin ich in Bremen geboren,

als Tochter türkischer Einwanderer.

Die Stille hier an der Alster, mitten in der Woche, irritiert mich noch ein wenig -

nach den Tagen in der lauten, vollen, Riesenmetropo le Istanbul.

Atmofahne Imam

Lieber bin ich in Deutschland, zuhause in Hamburg. Hier kann ich Fahrrad

fahren und bin in nur wenigen Minuten auf der gegen überliegenden Alsterseite.

Dort wartet, in ihrer Altbauwohnung, die Juristin N esrin Altintop auf mich,

geboren 1978 in Bamberg. Vor knapp drei Jahren beka m ihr Mann ein

Arbeitsangebot aus der Türkei. Sie kündigte ihren J ob und gemeinsam zogen

sie nach Istanbul. Zwei Jahre hielten sie es dort a us.

O-TON Nesrin Altintop:

Wir haben die Veränderung in der Türkei Schritt für Schritt miterlebt, die nicht so mit unserer

Lebenseinstellung einherging. Man muss sich aber auch ganz klar bewusst machen, dass es

eine neue Türkei ist, das ist nicht mehr die Türkei, die ich von meinen Eltern kennengelernt

habe oder gehört habe, gelebt habe, sondern: Die Religion steht viel mehr im Fokus. Wir

hatten einige Projekte mit dem Staat, das bedeutet wir waren da im engen Kontakt mit

Staatsoberhäuptern und diesbezüglich waren die Meetings natürlich auch sehr männerlastig

und es gab teilweise dann auch Herren, die eher zögernd dann Frauen da im Meeting

akzeptiert haben – sei es die Hand zu reichen oder sei es zu fragen, ob es okay sei, dass die

Frau von Istanbul nach Ankara alleine reisen kann, darf, sollte. Allein diese Fragen, die so in

den Raum gestellt wurden (holt tief Luft) oder wenn wir Meetings bei uns im Büro hatten, da

kamen dann Fragen, ob wir eine Gebetsecke hätten und all das, was mir eigentlich nicht

vertraut war, nahm von Tag zu Tag eigentlich zu.

AUTORIN:

Während Nesrin erzählt, schaue ich über den reich g edeckten Tisch, an dem

wir sitzen: verschiedene Sorten Baklava und andere Süßspeisen heißen mich

18

18

willkommen. Türkische Gastfreundschaft eben. Mir fä llt ein Sprichwort ein:

„Wer süß isst, der süß spricht“. Und das tut Nesrin .

O-TON Nesrin Altintop:

..ich habe eine neue Kultur kennengelernt, ich habe ein neues Arbeiten kennengelernt, ich

habe bezaubernde Menschen kennengelernt, es war eine aufregende Zeit, ich durfte

beruflich wirklich vieles erleben, wahrnehmen, große Projekte betreuen, die hätte ich in

Deutschland wahrscheinlich erst mit 50 betreuen dürfen. Ich bin sehr dankbar, es war eine

ganz tolle Zeit und ich würde es immer wieder machen.

AUTORIN:

Für Nesrin und ihren Mann Haluk waren die Positione n in einer deutschen

Niederlassung in Istanbul definitiv ein Karrierebes chleuniger, auch für ihren

weiteren Berufsweg in Deutschland. Er als Architekt war verantwortlich für

Qualitätsprüfungen im Bauwesen. Sie hat in derselbe n Firma die Personal- und

Rechtsabteilung geleitet. Dafür musste Nesrin aller dings vieles neu lernen.

O-TON Nesrin Altintop:

Gerade die juristische Sprache – das ist im Deutschen eigentlich genauso - ist so eine

Sprachwelt für sich und die türkische juristische Sprache, die hat so viele osmanische

Wörter, alte türkische Wörter, die der normale Mensch auf der Straße gar nicht versteht. Also

ich hatte eigentlich immer so ein kleines Wörterbuch neben mir liegen, um juristische Texte

zu verstehen. Das war sehr, sehr schwierig am Anfang.

AUTORIN:

In Istanbul, sagt Nesrin, habe sie durch das Arbeit en und Leben unter Türken

erst gemerkt, wie deutsch sie eigentlich ist.

O-TON Nesrin Altintop:

Das war ganz lustig, unser Chef hat immer gesagt, wenn ihr eine echte deutsche Meinung

hören wollt, geht zu Frau Altintop. Und das war so der „Runnig Gag“ bei uns im

Unternehmen, weil er ja eigentlich der Deutsche ist …

Warum bin ich deutsch? Warum fühle ich mich deutsch? Es sind viele Kleinigkeiten- sei es

Pünktlichkeit, Ehrlichkeit, Zuverlässigkeit, dieses Demokratiedenken, dieses

Miteinanderdenken, dieses Teamdenken – das ist für mich deutsch. Das habe ich so gelebt,

vorgelebt bekommen und wenn das deutsch ist, dann bin ich deutsch.

19

19

AUTORIN:

Das würde schon rein äußerlich niemand bezweifeln – Nesrin Altintop hat

grüne Augen und trägt einen blonden Zopf. Aussprech en will ich das nicht.

Nesrin kommt mir zuvor.

O-TON Nesrin Altintop:

Ich habe helle Haut, ich habe helle Augen, ich habe helle Haare - das ist nicht das, was man

gleich mit einem Türken in Verbindung bringt.

AUTORIN:

Sobald sie ihren Namen nennt, sieht die Situation a uch schon wieder ganz

anders aus. Sie erzählt, wie sie per Telefon auf ei n Wohnungs-Inserat

antwortete.

O-TON Nesrin Altintop:

Ich habe mich dann vorgestellt: Mein Name ist Nesrin Altintop. Ich rufe wegen dem Inserat

an und da meinte er, ja, Moment. Ihr Name bitte noch mal. Ich meinte Nesrin Altintop. Ja, der

hört sich ja nicht Deutsch an. Woher kommen sie denn? Und da meinte ich, ja, ich habe

türkische Wurzeln. Fand ich jetzt noch okay, die Frage, ist ja nicht schlimm. Aber es ging

dann noch weiter... Ja, darf ich sie fragen, was für eine Staatsbürgerschaft sie haben?

Meinte ich, ja, ich habe die deutsche Staatsbürgerschaft... Und dann meinte er so, ja, aber

entschuldigen sie die Frage. Ich muss jetzt noch weiter fragen, bevor wir zu den Infos

kommen. Kochen sie denn sehr gewürzhaltig? Mein Mann und ich arbeiten sehr viel, wir sind

kaum zu Hause, wir kommen kaum zum Kochen und wen wir kochen, dann kochen wir

wahrscheinlich ähnlich wie sie auch zu Hause kochen. Und fand die Frage schon sehr

seltsam. Dann ging es aber noch weiter. Da meinte er so, ja, kriegen sie denn auch viel

Besuch? Ist es bei Ihnen dann oft auch laut, weil das kennt man ja quasi aus dem türkischen

Kulturkreis …Und da war ich auch schockiert. Weil diese Fragen hat mir bis dato noch nie

jemand gestellt. Und ich meinte dann, wir sind neu im Hamburg, wir kennen hier niemanden.

Ich glaube nicht, dass es bei uns laut sein wird. Und man hat auf jeden Fall zwischen den

Zeilen lesen können, dass es für ihn schon sehr suspekt war, dass da jemand am Telefon

war, der türkischer Abstammung war und er am liebsten wahrscheinlich die Frage gestellt

hätte: Sind sie auch verschleiert? Oder wie sehen sie eigentlich aus? Das hat er sich dann

aber doch nicht getraut. Und er hat uns dann wirklich auch eingeladen und wir haben auch

20

20

die Wohnung bekommen. (lacht) Er wollte uns auch wirklich sehen und er hat sich dann

auch entschuldigt für diese Fragen.

Musik Tarkan: Hop de

SPRECHER:

Für die Studie „Diskriminierung am Ausbildungsmarkt “ ließ der

Sachverständigenrat deutscher Stiftungen für Integr ation und Migration* knapp

1800 fiktive Bewerbungen an Unternehmen verschicken : gleiche Noten, gleiche

Voraussetzungen, andere Namen. Ergebnis: Bewerber m it türkischem Namen

haben deutlich schlechtere Chancen auf dem Arbeitsm arkt als Bewerber mit

deutschem Namen. *Quelle: Sachverständigenrat deutscher Stiftungen für Integration und Migration (SVR), März 2014

AUTORIN:

Ayse Demiroglu, 36 Jahre alt, in Hamburg geboren, k ennt das Namens-

Problem. Nach ihrem Architektur-Studium habe sie an ihrer ersten Arbeitsstelle

eine Katastrophe erlebt, erzählt sie.

O-TON Ayse Demiroglu:

Da habe ich zum ersten Mal, muss ich ehrlich gesagt auch so sagen, sehr stark zu spüren

bekommen, dass ich einfach eine Ausländerin bin. Ich durfte zum Beispiel meinen

vollständigen Nachnamen am Telefon nicht aussprechen. Ich musste es anders abkürzen,

damit es sich nicht türkisch anhört.

AUTORIN:

Die Herkunft leugnen – das kommt für Ayse nicht meh r in Frage. Ganz im

Gegenteil. Sie will für sich herausfinden, wohin si e gehört.

O-TON Ayse Demiroglu:

Eigentlich fühle ich mich als Türkin, die wie eine Deutsche lebt. Ich bin eine Türkin in dem

Sinne, weil - zu Hause bei meiner Familie und …und bei meinen türkische Freunden weiß

ich, dass ich tatsächlich auch türkisch Witze reißen kann, türkische Lieder hören kann und

auch über die türkische Tradition reden kann und türkische Hochzeiten feiern kann usw. und

so fort. Da bin ich eine Türkin.

Aber wenn ich dann draußen bin, bin ich eine Deutsche. Ich gehe dann auch feiern, ich

21

21

trinke auch Alkohol, ich mache auch Witze mit meinen, meinen… deutschen Freunden wie

es auf Deutsch ist und so weiter und so fort. Es ist so ein Mix. Und deswegen ist es so ein

Mix–Kultur. Du bist weder rein türkisch, noch rein deutsch. Allerdings kann ich die Frage

nicht beantworten, was ich mehr bin 60% türkisch oder 40% deutsch oder umgekehrt. Kann

ich nicht sagen. Ich weiß es nicht. Deswegen ist es vielleicht gar nicht mal so schlecht, wenn

ich jetzt tatsächlich diese Entscheidung vollziehe und sage, okay, ich möchte mal gucken,

wie viel Prozent türkisch ich überhaupt bin. Wie sind die Türken überhaupt in der Türkei? Die

Türken in Deutschland kenne ich. Die sind genauso wie ich, zum größten Teil. Aber die

Türken in der Türkei kenne ich noch nicht. Und die würde ich gerne kennenlernen.

AUTORIN:

Noch eine Deutsche mit türkischen Wurzeln, die unbe dingt nach Istanbul will.

Vor drei Monaten hat Ayse Demiroglu ihren Job gekün digt, die Koffer und

Kartons sind gepackt, und in zwei Wochen soll es lo sgehen. Für immer?

O-TON Ayse Demiroglu:

Das steht alles in den Sternen. Ich habe mir nur, damit ich wirklich nicht so große Angst

davor habe, gesagt: Ayse, du wirst für ein Jahr dahin, dir das Ganze anschauen und

versuchen da dich anzupassen und du kommst nach einem Jahr – egal, was ist, egal wie in

welcher Form – zurück. Allerdings … ich halte mir alle Türen offen, dass ich diese

Endgültigkeit nicht in mir drin haben muss, das Gefühl, das ist die Angst davor.

Und wenn ich mich da wirklich sehr schlecht fühlen sollte, als Frau und unter dieser

Regierung leiden sollte, dann werde ich definitiv wieder zurück zu meiner Heimat

wiederkehren.

AUTORIN:

Als ich sie frage, ob Hamburg wirklich ihre Heimat sei, zuckt sie mit den

Schultern und lächelt verlegen.

ATMO: türkische Musik von Tarkan „Hop de“

AUTORIN:

Ich jogge um die Alster und kühler Nordwind weht mi r Nieselregen ins Gesicht.

Hamburger Wetter, daran bin ich gewöhnt. Auf meinen Kopfhörern der Beat

türkischer Musik. Die habe ich mir aus Istanbul mit gebracht: die neueste Single

vom einzigen Weltstar der Türkei: Tarkan. Auch er i st Einwandererkind, 1972

22

22

als Sohn von türkischen Gastarbeitern in Reinhessen geboren. Mit 15 Jahren

ist er zusammen mit seiner Familie in die Türkei au sgewandert. Seine Musik ist

die einzige türkische Musik, die auch in Deutschlan d von Deutschen ohne

Migrationshintergrund akzeptiert und gehört wird. M an muss also erst berühmt

sein, damit die Herkunft unwichtig wird.

Ich werde auf meinen Migrationshintergrund ständig angesprochen. Ich bin

Deutsche mit einem türkischen Namen, der deutsch ge sprochen wird: Zekirge.

Nicht Cekirge. Das passt vielleicht einigen Türken genauso wenig wie einigen

Deutschen, doch zu mir passt das wunderbar.

MUSIK: türkische Musik von Tarkan „Hop de“ (Iskender Paydas feat. Tarkan)

Sprecher:

Neustart in Istanbul

Warum Deutsch-Türken auswandern

Sie hörten eine Sendung von Emine Cekirge

Es sprachen: Demet Fey, Sylvia Systermans und Chris toph Wittelsbürger

Ton und Technik: Eva Pöpplein und Beate Braun

Redaktion und Regie: Ulrike Bajohr

Eine Produktion des Deutschlandfunks 2015

MUSIK: türkische Musik von Tarkan „Hop de“ (Iskender Paydas feat. Tarkan)