2015-07-06 Heiner Flassbeck - Bravo Griechenland

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1 flassbeck-economics Kritische Analysen und Kommentare zu Wirtschaft und Politik Bravo Griechenland! Heiner Flassbeck · Montag den 6. Juli 2015 Die Griechen haben sich nicht verängstigen lassen. Sie haben mit einer beachtlichen Mehrheit das Angebot, das ihrer Regierung bis 25. Juni von der Troika und den Gläubigerstaaten vorgelegt wurde, abgelehnt. Es scheint, dass auch große Bevölkerungsgruppen den einfachen Punkt verstehen können, der da heißt, dass man eine Medizin, die nicht nur nicht angeschlagen, sondern den Zustand des Patienten verschlechtert hat, wieder absetzen muss. Das ist auch deswegen beindruckend, weil man in den Gläubigerstaaten ja gerne gesagt hat, diese griechische Regierung habe eigentlich keine Mehrheit im Volk mehr, folglich auch kein Mandat, schwerwiegende Entscheidungen zu treffen. Richtig ist, dass diese Entscheidung allein für die Gläubigerländer noch keine Änderung ihrer Position erzwingt. Wer für was ein Mandat hat, muss man jetzt aber schon sehr genau überlegen. Es wird ja gerne gesagt, die demokratische Entscheidung der griechischen Bevölkerung müsse man respektieren, aber man müsse auch die Entscheidungen der demokratisch gewählten Regierungen der anderen 18 Länder respektieren. Nur, gibt es das Mandat wirklich, von dem in den Gläubigerstaaten immer die Rede ist? Hat die deutsche Regierung ein Mandat von der Mehrheit der Bevölkerung, das es erlaubt, die Bevölkerung eines kleinen europäischen Landes in großer Radikalität und ohne Rücksicht auf die Ergebnisse in eine neoliberale Radikalkur zu zwingen? Wir erinnern uns: Angela Merkel hatte keine Mehrheit nach der letzten Parlamentswahl, und nur der Willfährigkeit der Sozialdemokraten ist es zuzuschreiben, dass sie wieder Bundeskanzlerin wurde. Kann man unterstellen, dass die Mehrheit der Wähler, die damals SPD gewählt haben, es auch getan hätten, wenn sie gewusst hätten, was das im Rahmen der großen Koalition für Griechenland bedeutet? Gibt es in anderen Gläubigerstaaten das Mandat der Regierung, in internationalen und europäischen Verhandlungen ein solches Ausmaß an Ignoranz zu zeigen, wie das in den vergangenen fünf Monaten im Fall Griechenland gezeigt wurde? Hat Präsident Hollande ein Mandat seiner Bevölkerung, sich über ein griechisches Votum hinwegzusetzen und weiter auf einem Austeritätskurs zu beharren? Mit Sicherheit nicht. Hat Matteo Renzi, der ja immer noch Ministerpräsident ist, ohne vom Volk gewählt zu sein, das Mandat, sein Nachbarland gegen den erklärten Willen der dortigen Bevölkerung in eine Fortsetzung der Austeritätspolitik zu zwingen? Hat die Copyright © 2015 flassbeck-economics - 1 / 3 - 06.07.2015

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2015-07-06 Heiner Flassbeck: Bravo Griechenland.

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  • 1flassbeck-economicsKritische Analysen und Kommentare zu Wirtschaft und Politik

    Bravo Griechenland!Heiner Flassbeck Montag den 6. Juli 2015

    Die Griechen haben sich nicht verngstigen lassen. Sie haben mit einer beachtlichenMehrheit das Angebot, das ihrer Regierung bis 25. Juni von der Troika und denGlubigerstaaten vorgelegt wurde, abgelehnt. Es scheint, dass auch groeBevlkerungsgruppen den einfachen Punkt verstehen knnen, der da heit, dass maneine Medizin, die nicht nur nicht angeschlagen, sondern den Zustand des Patientenverschlechtert hat, wieder absetzen muss.

    Das ist auch deswegen beindruckend, weil man in den Glubigerstaaten ja gernegesagt hat, diese griechische Regierung habe eigentlich keine Mehrheit im Volk mehr,folglich auch kein Mandat, schwerwiegende Entscheidungen zu treffen.

    Richtig ist, dass diese Entscheidung allein fr die Glubigerlnder noch keinenderung ihrer Position erzwingt. Wer fr was ein Mandat hat, muss man jetzt aberschon sehr genau berlegen. Es wird ja gerne gesagt, die demokratischeEntscheidung der griechischen Bevlkerung msse man respektieren, aber manmsse auch die Entscheidungen der demokratisch gewhlten Regierungen deranderen 18 Lnder respektieren.

    Nur, gibt es das Mandat wirklich, von dem in den Glubigerstaaten immer die Redeist? Hat die deutsche Regierung ein Mandat von der Mehrheit der Bevlkerung, das eserlaubt, die Bevlkerung eines kleinen europischen Landes in groer Radikalitt undohne Rcksicht auf die Ergebnisse in eine neoliberale Radikalkur zu zwingen? Wirerinnern uns: Angela Merkel hatte keine Mehrheit nach der letzten Parlamentswahl,und nur der Willfhrigkeit der Sozialdemokraten ist es zuzuschreiben, dass sie wiederBundeskanzlerin wurde. Kann man unterstellen, dass die Mehrheit der Whler, diedamals SPD gewhlt haben, es auch getan htten, wenn sie gewusst htten, was dasim Rahmen der groen Koalition fr Griechenland bedeutet?

    Gibt es in anderen Glubigerstaaten das Mandat der Regierung, in internationalenund europischen Verhandlungen ein solches Ausma an Ignoranz zu zeigen, wie dasin den vergangenen fnf Monaten im Fall Griechenland gezeigt wurde? Hat PrsidentHollande ein Mandat seiner Bevlkerung, sich ber ein griechisches Votumhinwegzusetzen und weiter auf einem Austerittskurs zu beharren? Mit Sicherheitnicht. Hat Matteo Renzi, der ja immer noch Ministerprsident ist, ohne vom Volkgewhlt zu sein, das Mandat, sein Nachbarland gegen den erklrten Willen derdortigen Bevlkerung in eine Fortsetzung der Austerittspolitik zu zwingen? Hat die

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  • 2spanische Regierung, die um ihre Existenz ringt und vermutlich im Dezember vomVolk in die Wste geschickt wird, das Mandat ihrer Bevlkerung, an Griechenland einneoliberales Exempel zu statuieren?

    Kann es berhaupt ein Mandat fr Unvernunft geben? Hatte Heinrich Brning vor 80Jahren das Mandat, dem deutschen Volk Austerittspolitik aufzuzwingen, die scheiternmusste? Kann irgendeine demokratisch gewhlte und sich an demokratischeRegelungen haltende Regierung der Welt ein Mandat der Bevlkerung beanspruchenfr die Fortsetzung einer Politik, die offenkundig gescheitert ist und nur ausideologischen Grnden verteidigt werden muss?

    Aber das Geld des eigenen Steuerzahlers zu verteidigen, das Mandat hat doch jedeRegierung oder? Ja, aber auch das bedeutet, dass die eigene und die einem anderenLand aufgezwungene Politik Erfolgschancen haben muss. Dafr spricht aber im Falleder Austerittspolitik nichts. Auch Merkantilismus hat aus logischen Grnden keineErfolgschancen, wenn er auf viele Lnder angewendet werden soll. Wer Griechenlandweiter in den Abgrund reit, der wird sein Geld nie wieder sehen. Genau andersherumals blicherweise vertreten, ist es richtig: Wer dem Land eine Chance gibt, sich zuerholen, schont den deutschen Steuerzahler.

    Aber an die Regeln mssen sich doch alle halten? Ja, aber auch nur an die, die eineChance auf Erfolg beinhalten. Regeln, die gegen jede Vernunft aufgestellt wordensind, knnen nicht gegen jede Vernunft verteidigt werden. Auerdem geht es um alleRegeln, auch um diejenigen, gegen die Deutschland verstoen hat oder die es zuseinen Gunsten von vorneherein so gedreht hat, dass ein Versto wenigerwahrscheinlich ist. Insgesamt gesehen ist der Hinweis auf die Einhaltung von Regelnin einer Whrungsunion, die so aus dem Ruder gelaufen ist wie die europische,ohnehin nicht zielfhrend. Es spricht alles dafr, dass die Regeln von Anfang anunvollstndig waren oder an der falschen Stelle griffen, so dass Verste gegen dieRegeln einer wirklich funktionierenden Whrungsunion gar nicht erkannt wurden. Indem Fall hilft der Hinweis auf die Regeln gar nichts.

    Wenn man das alles bedenkt, muss man zu dem Ergebnis kommen, dass Griechenlandsptestens nach seinem Votum einen Neuanfang verdient. Es verdient Verhandlungenin einem anderen Geiste (und vermutlich auch mit anderen Personen, wie es leidernur Yanis Varoufakis erkannt hat) und in einem anderen politischen Klima.Griechenland muss eine Chance gegeben werden, seine Wirtschaft zu stimulieren, dieRezession zu beenden und die Fremdherrschaft ber sein Regierungshandelnabzulegen.

    Ist es wahrscheinlich, dass das heute oder in den nchsten Tagen passiert? Nein, eswerden auf Glubigerseite die gleichen kleingeistigen Politiker (die eigentlich httenzurcktreten mssen) sitzen wie zuvor und sie werden die gleichen kleingeistigen undkonomisch falschen Forderungen stellen. Einen Staatsmann (oder eine Staatsfrau),die jetzt aufstehen wrden, um ultimativ ein Ende der Hetze gegen Griechenland undein Ende des Austerittswahns zu fordern, hat Europa leider nicht. So ist zubefrchten, dass schon in wenigen Tagen der Katzenjammer in Griechenland so grosein wird, dass danach die Mehrheit der Bevlkerung endgltig den Glauben in dieDemokratie verloren hat.

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  • 3Dieser Beitrag wurde publiziert am Montag den 6. Juli 2015 um 09:54in der Kategorie: Allgemeine Politik, Europa, Wirtschaftspolitik.Kommentare knnen ber den Kommentar (RSS) Feed verfolgt werden.Kommentare und Pings sind momentan geschlossen.

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