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1/4 2.5.12 Halbmikrobestimmung von Wasser – Karl-Fischer-Methode Kommentar zur Ph. Eur. 9.4 61. Lfg. 2018 2.5 Gehaltsbestim- mungsmethoden 9.4/2.05.12.00 2.5.12 Halbmikro- bestimmung von Wasser – Karl-Fischer- Methode Die wichtigste titrimetische Methode zur Bestim- mung von Wasser geht auf den deutschen Chemi- ker Karl Fischer zurück, der das grundsätzliche Verfahren 1935 publizierte 1) . Ursprünglich einge- setzte toxische Chemikalien wie Pyridin, Benzol oder Chloroform wurden in Laufe der Jahre durch unbedenklichere Chemikalien ersetzt 2) . Ebenso hat die Möglichkeit des Einsatzes Mikroprozessor- gesteuerter Titratoren dazu beigetragen, dass die Methode heute in praktisch jedem Labor durchge- führt werden kann. Die Karl-Fischer-Titration wird zur Bestimmung des Wassergehalts eingesetzt, wenn dieser nicht durch Trocknung ermittelt wer- den kann. Der Einsatz ist nicht auf die pharmazeu- tische Analytik beschränkt, sie dient auch der Er- mittlung des Wassergehalts in anorganischen und organischen Chemikalien, Lösungsmitteln, La- cken, Kunststoffen, petrochemischen Produkten, Kosmetika, Lebensmitteln und biologischen Pro- ben 3) . Grundlage des Verfahrens ist die bereits im 19. Jahr- hundert bekannte Bunsen-Reaktion (Gl. 1) 2) . Sulfit wird in wässriger Lösung durch Titration mit Iod zum Sulfat oxidiert. Karl Fischer führte die Titra- tion in einem organischen Lösungsmittel mit ei- nem Überschuss Schwefeldioxid durch. Als Lö- sungsmittel und zur Neutralisation der entstehen- den Protonen verwendete Fischer aufgrund der guten Lösungseigenschaften Pyridin. Dieses bildet mit Schwefeldioxid eine Additionsverbindung und hält das Gas trotz seines geringen Dampfdrucks in ausreichender Konzentration in Lösung. Zur besse- ren Lösung polarer Verbindungen wurde Methanol zugesetzt, wobei angenommen wurde, dass Me- thanol nicht an der Reaktion beteiligt ist. Daraus ergibt sich ein Verhältnis Wasser : Iod : Schwefel- dioxid von 2 : 1: 1 (Gl. 2). In späteren Untersu- chungen stellte sich heraus, dass Pyridin nur als Base fungiert und durch andere Basen ersetzt wer- den kann 4, 5) , Methanol aber in die Reaktion einbe- zogen wird 6) . Danach setzt sich im ersten Schritt Schwefeldioxid mit Methanol zum Monomethyl- sulfit um (Gl. 3). Dieses wird durch Iod in Gegen- wart von Wasser zum Monomethylsulfat oxidiert (Gl. 4). Der Zusatz einer Base (B) zur Neutralisa- tion der entstehenden Protonen ist für den quanti- tativen Ablauf der Reaktion erforderlich. Aus dem Reaktionsablauf (Gl. 3 und 4) ergibt sich ein Ver- hältnis Wasser : Iod : Schwelfeldioxid von 1 : 1 : 1. Dieses Verhältnis gilt jedoch nur für protische Lö- sungsmittel wie Methanol oder Ethanol. Wird die Reaktion in aprotischen Lösungsmitteln wie DMF durchgeführt, die nicht am Reaktionsgleichgewicht beteiligt sind, beträgt das Verhältnis Wasser : Iod 2 : 1. Ungerade Verhältnisse werden z. B. in Propa- nol oder Butanol aufgrund der unterschiedlichen Reaktivität der Alkohole beobachtet. So liegen in Methanol 100 % des Schwefeldioxid als Alkylsul- fit vor, in Propanol ca. 80 % und in Butanol nur noch ca. 50 % 3) . Die Reaktionsgeschwindigkeit ist abhängig vom pH-Wert 4, 5) . Sie ist im pH-Bereich 5 bis 8 optimal und nahezu konstant. Bei niedrigeren Werten ist die Reaktionsgeschwindigkeit sehr gering, bei hö- heren pH-Werten aufgrund von Nebenreaktionen erhöht. Die Reaktion folgt einer Kinetik erster Ordnung in Bezug auf Schwefeldioxid, Iod und Wasser 7, 8) . Grafik

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2.5.12 Halbmikro-bestimmung von Wasser – Karl-Fischer-Methode Die wichtigste titrimetische Methode zur Bestim-mung von Wasser geht auf den deutschen Chemi-ker Karl Fischer zurück, der das grundsätzliche Verfahren 1935 publizierte1). Ursprünglich einge-setzte toxische Chemikalien wie Pyridin, Benzol oder Chloroform wurden in Laufe der Jahre durch unbedenklichere Chemikalien ersetzt2). Ebenso hat die Möglichkeit des Einsatzes Mikroprozessor-gesteuerter Titratoren dazu beigetragen, dass die Methode heute in praktisch jedem Labor durchge-führt werden kann. Die Karl-Fischer-Titration wird zur Bestimmung des Wassergehalts eingesetzt, wenn dieser nicht durch Trocknung ermittelt wer-den kann. Der Einsatz ist nicht auf die pharmazeu-tische Analytik beschränkt, sie dient auch der Er-mittlung des Wassergehalts in anorganischen und organischen Chemikalien, Lösungsmitteln, La-cken, Kunststoffen, petrochemischen Produkten, Kosmetika, Lebensmitteln und biologischen Pro-ben3).

Grundlage des Verfahrens ist die bereits im 19. Jahr-hundert bekannte Bunsen-Reaktion (Gl. 1)2). Sulfit wird in wässriger Lösung durch Titration mit Iod zum Sulfat oxidiert. Karl Fischer führte die Titra-tion in einem organischen Lösungsmittel mit ei-nem Überschuss Schwefeldioxid durch. Als Lö-sungsmittel und zur Neutralisation der entstehen-den Protonen verwendete Fischer aufgrund der guten Lösungseigenschaften Pyridin. Dieses bildet

mit Schwefeldioxid eine Additionsverbindung und hält das Gas trotz seines geringen Dampfdrucks in ausreichender Konzentration in Lösung. Zur besse-ren Lösung polarer Verbindungen wurde Methanol zugesetzt, wobei angenommen wurde, dass Me-thanol nicht an der Reaktion beteiligt ist. Daraus ergibt sich ein Verhältnis Wasser : Iod : Schwefel-dioxid von 2 : 1: 1 (Gl. 2). In späteren Untersu-chungen stellte sich heraus, dass Pyridin nur als Base fungiert und durch andere Basen ersetzt wer-den kann4, 5), Methanol aber in die Reaktion einbe-zogen wird6). Danach setzt sich im ersten Schritt Schwefeldioxid mit Methanol zum Monomethyl-sulfit um (Gl. 3). Dieses wird durch Iod in Gegen-wart von Wasser zum Monomethylsulfat oxidiert (Gl. 4). Der Zusatz einer Base (B) zur Neutralisa-tion der entstehenden Protonen ist für den quanti-tativen Ablauf der Reaktion erforderlich. Aus dem Reaktionsablauf (Gl. 3 und 4) ergibt sich ein Ver-hältnis Wasser : Iod : Schwelfeldioxid von 1 : 1 : 1. Dieses Verhältnis gilt jedoch nur für protische Lö-sungsmittel wie Methanol oder Ethanol. Wird die Reaktion in aprotischen Lösungsmitteln wie DMF durchgeführt, die nicht am Reaktionsgleichgewicht beteiligt sind, beträgt das Verhältnis Wasser : Iod 2 : 1. Ungerade Verhältnisse werden z. B. in Propa-nol oder Butanol aufgrund der unterschiedlichen Reaktivität der Alkohole beobachtet. So liegen in Methanol 100 % des Schwefeldioxid als Alkylsul-fit vor, in Propanol ca. 80 % und in Butanol nur noch ca. 50 %3).

Die Reaktionsgeschwindigkeit ist abhängig vom pH-Wert4, 5). Sie ist im pH-Bereich 5 bis 8 optimal und nahezu konstant. Bei niedrigeren Werten ist die Reaktionsgeschwindigkeit sehr gering, bei hö-heren pH-Werten aufgrund von Nebenreaktionen erhöht. Die Reaktion folgt einer Kinetik erster Ordnung in Bezug auf Schwefeldioxid, Iod und Wasser7, 8).

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61. Lfg. 2018 Kommentar zur Ph. Eur. 9.4

Die Karl-Fischer-Titration ist nur spezifisch, wenn keine Nebenreaktionen auftreten, d. h. durch Ne-benreaktionen darf kein Wasser entstehen oder die Probe darf nicht mit Iod reagieren. Beispielsweise kann die im Verlauf der Reaktion gebildete Säure (Methylschwefelsäure und Iodwasserstoff) mit Carbonaten, Hydroxiden oder Oxiden der Alkali- und Erdalkalimetalle sowie weiteren Metalloxiden unter Freisetzung von Wasser reagieren. Aldehyde und Ketone können mit Methanol unter Wasserab-spaltung Acetale bzw. Ketale bilden. Diese Neben-reaktion kann durch die Verwendung von Alkoho-len wie 2-Methoxyethanol oder durch Titration bei tiefen Temperaturen minimiert werden3). Reduk-tionsmittel (u. a. Eisen(II)-salze, Ascorbinsäuren, Hydrazinderivate) täuschen aufgrund des Ver-brauchs von Iod Wasser vor.

Moderne Karl-Fischer-Lösungen verwenden neben Methanol und Ethanol auch 2-Methoxyethanol als Lösungsmittel sowie besonders Imidazol, 2-Me-thylimidazol oder Diethanolamin als Basenkom-ponenten. Bei Verwendung modifizierter Karl-Fischer-Lösungen für spezielle Anwendungen ist darauf zu achten, dass zwischen Hilfsbase und zu untersuchender Substanz keine Inkompatibilität besteht. Ebenso kann die Stöchiometrie der Reak-tion verändert sein (s. o.).

Die Wasserbestimmung nach Karl Fischer kann als volumetrische oder als coulometrische Titration er-folgen. Die volumetrische Titration kann mit Ein-Komponenten- oder Zwei-Komponenten-Reagen-zien erfolgen. Beim Ein-Komponenten-Reagenz befinden sich sowohl Alkylsulfit als auch Iod und die Hilfsbase in einer Lösung (in der Regel in Me-thanol, Ethanol oder Diethylenglycol). Die Probe wird in einem geeigneten Lösungsmittel gelöst und mit der Reagenzlösung titriert. Nachteil der Ein-Komponenten-Reagenzien ist der Abfall des Wirk-werts um ca. 5 % pro Jahr. Zwei-Komponenten-Reagenzien bestehen aus einer so genannten Sol-vent-Komponente, einer Lösung des Alkylsulfits und der Hilfsbase in einem Alkohol. Die Titrant-Komponente besteht aus einer alkoholischen Iod-Lösung. Die Analysensubstanz wird ggf. unter Ver-wendung eines zusätzlichen Lösungsmittels in der Solvent-Komponente gelöst und mit der alkoholi-schen Iod-Lösung (Titrant-Komponente) titriert. Zwei-Komponenten-Systeme zeichnen sich durch eine höhere Stabilität der Reagenzien sowie eine hohe Reaktionsgeschwindigkeit aus.

Die Endpunkterkennung erfolgt visuell/photome-trisch oder elektrochemisch. Nach dem Äquiva-lenzpunkt wird Iod nicht mehr reduziert und kann anhand seiner Eigenfarbe erkannt werden. Die visuelle Erkennung des Endpunkts erfordert aber einige Erfahrung (zum Vergleich kann eine 0,005 mol/l methanolische Iod-Lösung herangezo-gen werden). Eine weitere Möglichkeit ist die pho-tometrische Indikation bei 550 nm. Allerdings kann die Trübung/Eigenfärbung der Probe oder das durch langsame Nebenreaktion von Iodid und Schwefeldioxid gebildete gelbe SO2I⊖ die Erkenn-barkeit des Endpunkts verfälschen.

Etabliert hat sich die elektrochemische Indikation, entweder die amperometrische oder die voltam-metrische Indikation unter Verwendung von zwei polarisierbaren Elektroden, in der Regel zwei Platinelektroden (Biamperometrie bzw. Bivoltam-metrie). Das Arzneibuch erwähnt explizit beide Verfahren, die auch in den kommerziellen Titrato-ren Verwendung finden. Von den Reaktionspart-nern kann Iod an der Kathode reduziert werden, während an der Anode die Oxidation des Iodid er-folgen kann. Beide Spezies sind nur nach dem Äquivalenzpunkt in der Lösung vorhanden. Bei biamperometrischer Indikation wird nach Anlegen einer konstanten Spannung aufgrund der Polarisa-tion der Elektroden nur ein geringer Stromfluss beobachtet, der nach dem Erreichen des Äquiva-lenzpunkts steil ansteigt, wenn sowohl Oxidations- als auch Reduktionsreaktionen an den Elektroden ablaufen (siehe auch den Kommentar zu 2.2.19 Amperometrische Titration, Ph. Eur.). Bei bivol-tammetrischer Indikation wird zwischen den Elektroden ein konstanter Strom angelegt und die zu seiner Aufrechterhaltung nötige Spannung ge-messen. Diese fällt nach dem Äquivalenzpunkt stark ab, wenn anodische Oxidation und kathodi-sche Reduktion stattfinden (siehe auch den Kom-mentar zu 2.2.65 Voltametrie, Ph. Eur.). In den kommerziellen Titratoren erfolgt die Reagenzzu-gabe mikroprozessorgesteuert mittels Kolbenpum-pen. Nach dem Erreichen einer definierten End-punktsspannung oder eines Endpunktsstroms wird der Wassergehalt automatisch berechnet.

Die Qualifizierung der Titratoren erfolgt anhand etablierter Qualitätssicherungssysteme mit Hilfe geeigneter zertifizierter Referenzsubstanzen. Das Arzneibuch führt hierfür die CRS „Natriumamino-salicylat-Dihydrat zur Gerätequalifizierung“ an.

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Dieser Referenzstandard ersetzt die mit der Ph. Eur. 9.4 gestrichene CRS „Amoxicillin-Tri-hydrat zur Eignungsprüfung“. Eine Alternative wäre z. B. Dinatriumtartrat-Dihydrat. Bei kommer-ziellen Anbietern sind zahlreiche weitere Wasser-standards erhältlich. Für die Gerätequalifizierung von Karl-Fischer-Titratoren sollten Richtigkeit, Wiederholbarkeit und Linearität bestimmt werden. Diese Parameter werden bei der Installationsquali-fizierung ermittelt, für die Funktionsqualifizierung im Routinebetrieb sollten Wiederholbarkeit und Richtigkeit in geeigneten Zeitabständen kontrol-liert werden. Eine Leitlinie zur Gerätequalifizie-rung automatischer Titratoren wurde vom EDQM erstellt9).

Bei der coulometrischen Titration wird Iod elekt-rochemisch an der Generatorelektrode durch Oxi-dation von Iodid erzeugt. Der Wassergehalt ergibt sich gemäß der Faraday’schen Gesetze aus dem Produkt von Strom und Zeit, das direkt propor-tional zur erzeugten Iodmenge und damit der Was-sermenge ist. Karl-Fischer-Lösungen für die Coulometrie enthalten Alkylsulfit, Iodid und die Hilfsbase. Die Probe wird gegebenenfalls unter Verwendung eines weiteren Lösungsmittels in die-ser Lösung gelöst. Der Endpunkt wird wie in der volumetrischen Titration amperometrisch oder vol-tammetrisch indiziert. Kommerzielle Titratoren enthalten entweder eine diaphragmalose Genera-torelektrode, die sich im Reaktionsraum befindet, oder eine Generatorelektrode mit Diaphragma; in diesem Fall sind Generatorelektrode und Reak-tionsraum durch ein Diaphragma getrennt, durch welches das erzeugte Iod diffundiert. Die coulo-metrische Titration erlaubt die Bestimmung von Wassermengen im μg-Bereich (Präzision bei 400 μg typischerweise ca. 1 %) während die Volu-metrie für Wassermengen im mg-Bereich (Präzi-sion bei 5 mg typischerweise ca. 1 %) geeignet ist. Die coulometrische Wasserbestimmung ist eine Absolutmethode, die keine Einstellung des Wirk-werts der Reagenzlösung erfordert.

Der Wassergehalt kann auch mittels Head-Space-Gaschromatographie bestimmt werden10). Die Analyse erfolgt unter Verwendung einer mit einer ionischen Flüssigkeit belegten Kapillarsäule. Ioni-sche Flüssigkeiten werden auch als Head-Space-Lösungsmittel eingesetzt. Ein Vorteil des Ver-fahrens ist vor allem der geringe Substanzver-brauch.

Bestimmung des Wirkungswerts: In der Karl-Fischer-Titration wird der Wirkwert der Lösungen als Wasseräquivalent angegeben, da der mit Hilfe einer wasserhaltigen Referenzlösung bestimmte Wert nicht demjenigen entspricht, der aus der ein-gesetzten Menge Iod berechnet wird. Bei der Karl-Fischer-Titration gehen nicht nur Wägeungenauig-keit bei der Herstellung, sondern auch das in Reagenzien, Ansatzbehältern oder Luft enthaltene Wasser ein. Dadurch wird bereits bei der Herstel-lung ein Teil der Reagenzien umgesetzt2) bzw. der Wirkwert nimmt aufgrund von Luftfeuchtigkeit mit der Zeit ab. Aus diesem Grund ist die Bestim-mung des Wirkwerts der Lösungen besonders wichtig. Außerdem ist die tatsächliche Stöchio-metrie der Reaktion in der Praxis unerheblich, wenn der Wirkwert der Karl-Fischer-Lösungen und der Wassergehalt einer Substanz unter identi-schen Bedingungen ermittelt werden.

Methode A: Die direkte Titration der Probe ist das Standardverfahren des Arzneibuchs. Voraussetzung ist ein schneller Ablauf der Reaktion und die ein-deutige Erkennbarkeit des Endpunkts. Gegebenen-falls muss der Wassergehalt des Lösungsmittels zuvor ermittelt werden (Blindwert).

Methode B: Ist der Reaktionsablauf zu langsam oder der Endpunkt nicht eindeutig zu ermitteln, wird der Wassergehalt in einer Rücktitration be-stimmt. Der Überschuss des Titrationsmittels wird mit Hilfe eines Lösungsmittels (in der Regel Me-thanol), dessen Wassergehalt bekannt ist, zurück-titriert.

Eignungsprüfung: Da das Arzneibuch keine be-stimmten Lösungen oder Lösungsmittel vor-schreibt, muss sichergestellt werden, dass die ein-gesetzten Chemikalien geeignet sind und die rich-tige und präzise Bestimmung des Wassergehalts in der Substanz erlauben. Dabei wird zunächst der Wassergehalt der Substanz in einer direkten Titra-tion bestimmt. Anschließend wird mindestens 5-mal eine bekannte Menge Wasser im Bereich von 50 bis 100 % des gefundenen Wassergehalts zuge-geben und der Wassergehalt nach jeder Zugabe er-neut bestimmt. Die Auswertung erfolgt zum einen über die aus den jeweiligen Messpunkten be-stimmte Wiederfindung r, zum anderen über linea-re Regression des kumulativ erhaltenen Wasserge-

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halts. Die kumulative Wiederfindung darf um ma-ximal ± 2,5 % vom theoretischen Wert abweichen. Die theoretische Steigung der Regressionsgerade beträgt 1,000. Das Arzneibuch lässt sowohl für die Steigung b als auch für die Schnittpunkte mit der x- und y-Achse einen Fehler von ± 2,5 % zu. Durch diese Auswertung wird die Stöchiometrie

der Reaktion und auf die Anwesenheit inkompati-bler Substanzen geprüft, die mit Komponenten der Karl-Fischer-Lösungen reagieren. Zu generellen Angaben zur Validierung von Karl-Fischer-Titra-tionsverfahren siehe Lit.11).

G. Scriba

Literatur 1) K. Fischer, Angew. Chem. 48, 394–396 (1935). 2) K. Schöffski, Chem. Unserer Zeit 34, 170–175 (2000). 3) P. Bruttel, R. Schlink, Wasserbestimmung durch Karl-Fischer-Titration, Methom AG, Broschüre 8.026.5001 (2003). 4) J. C. Verhoef, E. Bahrendrecht, J. Electro-anal. Chem. 71, 305–315 (1976). 5) G. Wünsch, A. Seubert, Fresenius Z. Anal. Chem. 334, 16–21 (1989). 6) E. Scholz, Karl-Fischer-Titration, Springer, Berlin

1984. 7) A. Cedergren, Talanta 21, 265–271 (1974). 8) A. Cedergren, Anal. Chem. 68, 784–791 (1996). 9) www.edqm.eu/medias/fichiers/updated_annex_5_ qualification_of_automatic_titrato.pdf. 10) L. A. Frink, C. A. Weatherly, D. W. Armstrong, J. Pharm. Biomed. Anal. 94, 111–117 (2014). Qualification of Automatic Titrators, Dokument PA/PH/OMCL (07) 108 3R. 11) S. Kromidas, Handbuch Validierung in der Analytik, S. 281–284, Wiley-VCH, Weinheim 2000.

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Allgemeine Angaben Die Monographie wurde neu in die Ph. Eur. 9.4 aufgenommen. Definition Stammpflanze1): Der Teestrauch, Camellia sinen-sis (L.) Kuntze (Familie Theaceae) ist im Hoch-land Südostasiens (Assam, Hinterindien) beheima-tet und kam bereits im 3. Jahrtausend v. Chr. nach China. Infolge der getrennten Kultivierung entwi-ckelten sich zwei Varietäten: var. assamica (Mast.) Kitam und var. sinensis (L.) Kuntze. Erstere ist kälte- und trockenempfindlich und liefert den As-sam-Tee mit großen Blättern und hoher Ertrags-leistung, die var. chinensis ist weniger empfindlich und liefert den China-Tee mit kleineren, härteren Blättern; die Ertragsleistung ist geringer, das Aro-ma kräftiger. Die Ph. Eur. nennt bei der Stamm-pflanze nur Camellia sinensis (L.) Kuntze und verzichtet auf die Vorgabe der Varietät; somit sind beide Varietäten als Stammpflanze zugelassen, ebenso die verschiedenen weiteren Varietäten und Formen von C. sinensis, die in Kulturen im gemä-ßigten und tropischen Asien heute gezogen wer-den.

Die Teepflanze ist, wenn man sie natürlich wach-sen lässt, ein immergrüner Baum, der ohne Kul-turmaßnahmen zwischen 6 und 10 m hoch wird. In Kultur wird die Pflanze durch gezielten Schnitt strauchförmig gehalten, zum einen um die Blätter leichter ernten zu können und zum anderen um die Bildung von Seitentrieben anzuregen. Daran ste-hen wechselständig die kleinen, spatelförmigen oder lanzettlichen Blätter. Sie sind schwach ge-zähnt, etwas ledrig, 4 bis 10 cm lang und nur im jungen Zustand fein behaart. Die weißen Blüten sind 3 cm im Durchmesser und stehen zu eins bis vier in den Blattachseln. Nach der Befruchtung bilden sie rundliche Kapseln mit 1 bis 3 braunen, runden Samen von 1,5 cm im Durchmesser.

Geerntet werden die Teeblätter mehrmals im Jahr, in Tieflagen gibt es bis zu 30 Pflückungen pro Jahr; als hochwertig gelten nur die Endknospen (Pekoe-Spitze) mit den zwei oder drei nächsten Blättern („Feinpflücke“); die tiefer liegenden Blät-ter enthalten weniger Coffein und Gerbstoffe und gelten als „Grobpflücke“. Auf die speziellen Ern-temethoden der Teeblätter und auf die verschiede-nen Tee-Qualitäten soll hier nicht näher eingegan-gen werden. Zur Herstellung des „Grünen Tees“ siehe unter „Droge“.

Der „Schwarze Tee“ wird gewonnen, indem der Wassergehalt der frisch geernteten Blätter zu-nächst in luftigen Welkhäusern auf 30 bis 40 % re-duziert wird; danach werden die Blätter entweder maschinell traditionell oder mit dem CTC-Verfah-ren gerollt (crushing – tearing – curling). Dabei zerreißen die Zellen der Blätter mechanisch und die in den Vakuolen gespeicherten Polyphenole treffen auf die im Zytoplasma und in den Organel-len lokalisierten Enzyme (u. a. Phenoloxidasen). Bei Temperaturen zwischen 25 und 35 °C über 4 h erfolgt die Fermentierung, wobei komplizierte Re-aktionen ablaufen und sich das Inhaltsstoffspekt-rum deutlich verändert (u. a. Oxidation der Cate-chingerbstoffe, Bildung komplexer Verbindungen). Dabei werden die Teeblätter rotbraun bis schwarz und bilden auch das charakteristische Tee-Aroma. Die Fermentation wird durch thermische Zerstö-rung der Enzyme angehalten.

Droge1): Zur Herstellung des „Grünen Tees“ wer-den die Enzyme sofort nach der Ernte durch hei-ßen Dampf inaktiviert, eine Fermentation findet nicht statt; nach dem Erhitzen werden die Blätter gerollt (maschinell gequetscht) und getrocknet. Da die phenolischen Substanzen nicht oxidativ umge-setzt werden, bleiben die Blätter olivgrün.

Andere Drogennamen: Green tea (engl.); Thé vert (franz.); Tè verde (Ital.); Té verde (span.)

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Grüner Tee

Camelliae sinensis non fermentata folia

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Grüner Tee 2/4

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Inhaltsstoffe2, 3): Grüne Teeblätter enthalten Purin-alkaloide mit Coffein (1) als dominierendem Purin (2 bis 4 %; je höher am Strauch, desto höher der Coffeingehalt), daneben Theobromin (0,05 %) und Theophyllin (allenfalls in Spuren). Die Ph. Eur. fordert für Coffein einen Mindestgehalt von 1,5 %. Bei den polyphenolischen Inhaltsstoffen (bis zu 30 % enthalten) handelt es sich sowohl um mono-mere Flavan-3-ole, meist mit Gallussäure ve-restert, hauptsächlich (–)-Epigallocatechin-3-O-gallat (2; EGCG, bis 12 %) neben (–)-Epicatechin-3-O-gallat (3; ECG) sowie um dimere und trimere Proanthocyanidine (Catechingerbstoffe), die aus 4→8-verknüpften Catechin-, Epicatechin- und Epi-gallocatechin-Einheiten aufgebaut sind (Epicate-chin, siehe Formel 6). Auch diese liegen teilweise als Gallussäureester vor. Strukturell wird hier das Procyanidin B2-3′-O-gallat (4) und das Procyani-din B2-3,3′-di-O-gallat (5) beispielhaft dargestellt. In deutlich geringeren Konzentrationen kommen auch Gallotannine und Ellagitannine vor. Die Ph. Eur. fordert einen Gesamt-Catechingehalt von mindestens 8,0 %, berechnet als (–)-Epigallocate-chin-3-O-gallat (2).

Die Droge enthält außerdem Flavonole (Quercetin, Kämpferol, Myricetin) und deren Glykoside sowie Phenolcarbonsäuren (u. a. Chlorogensäure, Kaffee-säure). An flüchtigen Inhaltsstoffen wurden mittels GC bisher 75 verschiedene identifiziert, u. a. Gera-niol, Linalool, trans-Linalooloxid, Nerolidol und cis-Jasmon4, 5). Ein bedeutender Aromastoff ist au-ßerdem das aus Methylmethionin hervorgehende Dimethylsulfid6). Die für Teeblätter charakteristi-sche Aminosäure Theanin (5-N-Ethylglutamin) ist auch in den Grünteeblättern enthalten; sie gilt als Qualitätsmerkmal, weil junge Blätter einen hohen und alte einen niedrigen Theaningehalt aufweisen (2,5 bis 0,5 %)6). Die Droge enthält auch Ascorbin-säure, Triterpensaponine, Mineralstoffe und Fluo-ride. Prüfung auf Identität C. Die DC-Prüfung zielt auf den Nachweis der Ca-techine. Die Droge wird mit Wasser + Ethanol 96 % (20 + 80) extrahiert, der Extrakt wahlweise auf einer konventionellen Kieselgelschicht (Korn-größe 5 bis 40 μm) oder einer Hochleistungs-DC-

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en Platte (HPTLC, Korngröße 2 bis 10 μm) getrennt,

jeweils mit Fluoreszenzindikator F254; (–)-Epicate-chin (6) und (–)-Epigallocatechin-3-O-gallat (2) dienen als Referenzsubstanzen. Zum Nachweis der Catechine und Catechingerbstoffe wird die DC-Platte mit einer Lösung von Echtblausalz B (ein Diazoniumsalz) besprüht oder in die Lösung ge-taucht. Catechine und die Catechingerbstoffe kup-peln damit zu einem rotbraunen Azofarbstoff (Azokupplung). (–)-Epicatechin und (–)-Epicate-chin-3-O-gallat können im DC der Untersuchungs-lösung als rotbraune Zonen namentlich zugeordnet werden. Weitere rotbraune Zonen können vorhan-den sein; zwischen den Zonen der beiden Referen-zen liegen Epigallocatechin und Epicatechingallat. Abb. in Lit.7). Gehaltsbestimmung Der Gehalt an Coffein (1) und an Gesamt-Catechinen wird mittels HPLC bestimmt. Die Ph. Eur. fordert für Coffein einen Gehalt von min-destens 1,5 % und für die Gesamt-Catechine einen Mindestgehalt von mindestens 8,0 %. Die Droge wird mit Methanol 70 % bei 70 °C extrahiert, wo-bei zuletzt eine Stabilisatorlösung zugegeben wird, indem ein Anteil des Extrakts mit einer Lösung von Ethylendiamintetraessigsäure (EDTA) und As-corbinsäure versetzt wird. EDTA bildet mit Ca2⊕ und Mg2⊕ und verschiedenen Schwermetall-Ka-tionen stabile Chelatkomplexe; die Ascorbinsäure wirkt als Antioxidans und soll Oxidationsreaktio-nen während der Analyse verhindern. Der Extrakt wird auf einer durch Nachsilanisierung stabiler gemachten RP-18-Phase getrennt (enthält keine freien Silanolgruppen mehr; 3 μm). Als mobile Phase dient ein ameisensaurer Methanol-Acetoni-til-Gradient. Für die Detektion werden nicht die Absorptionsmaxima von Coffein und der Catechine im langwelligen UV-Licht (272 bzw. 276 nm) ge-nutzt, sondern deren Absorption im kurzwelligen UV-Licht bei 210 nm (unspezifisch, Endabsorp-tion). Die Referenzlösung a enthält Coffein (1)

und (–)-Epigallocatechin-3-O-gallat (2) als externe Standards; damit wird auch die Zuordnung des Coffein-Peaks in den Chromatogrammen der Un-tersuchungslösung und der Referenzlösung b vor-genommen. Diese enthält einen Extrakt aus au-thentischem Drogenmaterial (Grüner-Tee-Trocken-extrakt HRS). Das mitgelieferte Chromatogramm ermöglicht die Zuordnung von sieben Catechinen bzw. Gallocatechinen im Chromatogramm der Untersuchungslösung: (+)-Gallocatechin, (–)-Epi-gallocatechin, (+)-Catechin, (–)-Epigallocatechin-3-O-gallat, (–)-Epicatechin (6), (–)-Gallocatechin-3-O-gallat und (–)-Epicatechin-3-O-gallat (3). Re-ferenzlösung b dient auch zur Überprüfung der Trennfähigkeit der Säule. Die Auflösung zwischen den Peaks von (–)-Epigallocatechin-3-O-gallat (2) und (–)-Epicatechin (6) muss mindestens 1,5 be-tragen (gerade Basislinientrennung).

Die quantitative Auswertung der Gesamt-Cate-chine erfolgt durch Peakflächenvergleich (Berech-nungsformel 1), wobei die Peakflächensumme der sieben identifizierten Catechine/Gallocatechine (s. o.) im Chromatogramm der Referenzlösung a mit der Peakfläche von (–)-Epigallocatechin-3-O-gallat im Chromatogramm der Untersuchungslö-sung a ins Verhältnis gesetzt wird. Daraus ergibt sich die Formulierung „berechnet als (–)-Epigallo-catechin-3-O-gallat“ wie es die Ph. Eur. fordert. Der Gehalt an Coffein wird durch einen Vergleich der Peakfläche von Coffein im Chromatogramm der Referenzlösung a mit der entsprechenden Peakfläche im Chromatogramm der Untersu-chungslösung errechnet (Berechnungsformel 2). Der Faktor 0,32 im Nenner der beiden Berech-nungsformeln ergibt sich aus den unterschiedli-chen Verdünnungen der Einwaagen für Untersu-chungs- und Referenzlösung a: in 20 ml der Unter-suchungslösung a sind m1/10 g Droge enthalten, in 20 ml Referenzlösung nur m2/31,25 g Grüner-Tee-Trockenextrakt HRS.

E. Stahl-Biskup

Pharmakologische Eigenschaften2, 8) Wirkung und Anwendung: Grüner Tee wird in erster Linie als Lebensmittel verwendet. In der

Volksmedizin kommt die Droge zudem bei Ermü-dungserscheinungen, migräneartigen Kopfschmer-zen, zur Gewichtsreduktion sowie bei Durchfaller-krankungen und Magenbeschwerden zum Einsatz. Den Extrakten werden stimulierende, antioxidative,

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Grüner Tee 4/4

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antikarzinogene, antimutagene und schwach diure-tische Effekte zugeschrieben. Die stimulierende Wirkung des Inhaltsstoffs Coffein beruht auf dem Antagonismus an Adenosin-Rezeptoren und einer Hemmung der Phosphodiesterase. Zur weiteren pharmakologischen Eigenschaften von Coffein siehe den Kommentar zur Coffein (Ph. Eur.). Die antikarzinogenen und antimutagenen Effekte sol-len auf den in der Droge enthaltenen Gerbstoffe und anderen phenolischen Verbindungen wie Epi-gallocatechingallat beruhen. Als Wirkmechanismen werden eine Hemmung von Nitrosierungsreaktio-nen und von Signalwegen zur Kontrolle der Zellproliferation und des Tumorwachstums ange-nommen, ebenso eine Angiogenesehemmung und eine Inaktivierung von Metastasen-begünstigenden proteolytischen Enzymen. Diese Wirkungen wur-den bislang allerdings nur in Tierversuchen, teil-weise nach Einsatz hoher Dosen, nachgewiesen. Klinische Erfahrungen beschränken sich derzeit auf Einzelbefunde. Klinische Studien und Meta-analysen zur Prophylaxe von Schlaganfällen durch Grüntee-Extrakte, Polyphenol-Fraktionen oder

einzelne Inhaltsstoffen wie Epigallocatechingallat sind vielversprechend. Allerdings sind weitere Un-tersuchungen an größeren Patientenkollektiven zur Klärung der Befunde erforderlich. Dosierung: Zur Teebereitung wird pro Tasse je-weils ein Teelöffel Droge mit 70 °C warmem Was-ser übergossen und 2 bis 10 min ziehen gelassen. Wie bei schwarzem Tee wirken kürzer aufgebrühte Zubereitungen stärker stimulierend und weniger adstringierend. Daher empfehlen sich bei der An-wendung als Stimulans 2 bis 3 min als Einwir-kungszeit. Über den Tag verteilt können 2 bis 3 Tassen getrunken werden. Besondere Hinweise: Bislang konnte nicht geklärt werden, in welchem Ausmaß die Inhaltsstoffe von grünem Tee aus dem Magen-Darm-Trakt resorbiert werden und ob die in Tierversuchen eingesetzten hohen Dosierungen durch das Trinken von Tees überhaupt zu erreichen sind.

M. Neubeck/Mu

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1/8 Paracetamol

Kommentar zur Ph. Eur. 9.4 61. Lfg. 2019

P

Allgemeine Angaben Paracetamol (5) gehört zur Gruppe der Nichtopi-oid-Analgetika und wird als schmerzstillender und fiebersenkender Arzneistoff eingesetzt.

Paracetamol ist auch in der USP, JAP und INTERN beschrieben.

Im Nachtrag 9.4 wurden die UV-Bestimmung, die Farbreaktion mit Kaliumdichromat sowie die Iden-titätsreaktion auf „Acetyl“ gestrichen. In der Transparenzliste sind drei neue Verunreinigungen aufgeführt, die mit Hilfe einer modifizierten HPLC-Reinheitsprüfung ebenso wie alle bisher genannten Verunreinigungen erfasst werden. CAS-Nr.: 103–90–2

PubChem-Nr.: CID 1983 DrugBank-Nr.: DB00316

Darstellung1): 4-Nitrophenol (1, Verunreini-gung F), herstellbar neben 2-Nitrophenol durch Nitrieren von Phenol mit Salpetersäure oder durch Hydrolyse von 4-Chlornitrobenzol in alkalischer Lösung bei erhöhter Temperatur, wird mit Eisen oder Zinn in Gegenwart von Säure zu 4-Amino-phenol (2, K) reduziert, das bei Einwirkung von Eisessig oder Acetanhydrid in Paracetamol (5) übergeht. Zur Darstellung von 2 (K) kann auch Nitrobenzol katalytisch oder elektrolytisch partiell zu Phenylhydroxylamin (4) reduziert werden, das sich zu 2 (K) umlagert.

9.4/0049

Paracetamol

Paracetamolum

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Paracetamol 2/8

61. Lfg. 2019 Kommentar zur Ph. Eur. 9.4

Abb. 1: UV-Spektren von Paracetamol (c = 1 mg/100 ml); Dibbern

Abb. 2: IR-Spektrum von Paracetamol in KBr (0,17 mg in 305 mg) Stabilität/Lagerung: Paracetamol (5), das bei Temperaturen bis mindestens 45 °C stabil ist1), neigt beim Lagern zu Verfärbungen, ohne dass analytisch Veränderungen nachweisbar sind. Die in wässriger Lösung zu dem sehr oxidationsempfind-lichen 4-Aminophenol (2, K) führende Hydrolyse scheint sowohl säure- als auch basekatalysiert zu

sein. Das Stabilitätsoptimum liegt im Bereich von pH 5 bis 7. Für weitere Angaben siehe Lit.1).

Paracetamol ist in dicht verschlossenen Gefäßen zu lagern, da nach Feuchtigkeitsaufnahme Hydro-lyse zu 4-Aminophenol (2, K) eintreten kann. Au-ßerdem gilt die Substanz als schwach lichtemp-findlich1).

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3/8 Paracetamol

Kommentar zur Ph. Eur. 9.4 61. Lfg. 2019

P

Unverträglichkeiten: In handelsüblichen Paracet-amol-Acetylsalicylsäure-Tabletten wurde Diacetyl-4-aminophenol (DAPAP) nachgewiesen, dessen Bildung durch Magnesiumstearat anscheinend be-schleunigt wird2,3). Synonyme: p-Acetamidophenol, Acetaminophen, N-Acetyl-p-aminophenol, 4′-Hydroxyacetanilide, NAPAP, Termidor Arzneibuchnamen: Acetaminophen (USP, JAP), Paracetamol (INTERN) Eigenschaften Siehe auch Lit.1). Paracetamol (5) bildet farblose Kristalle, die dem monoklinen System angehören4) und sich im Habitus je nach dem beim Umkristal-lisieren verwendeten Lösungsmittel unterscheiden können (hexagonale Prismen oder rhomboedrische Nadeln)1). Von Paracetamol sind eine thermody-namisch stabile monokline und drei metastabile orthorhombische Polymorphe beschrieben, wobei Letztere besser verpressbar sind als die thermody-namisch stabilere monokline Form5, 6).

Paracetamol liegt in Lösung in Z-Konformation vor7), zeigt aufgrund der phenolischen Hydroxy-gruppe schwach saure Eigenschaften und löst sich daher in Alkalilaugen. In der Literatur sind pKa-Werte von 9,0 bis 9,551, 8) angegeben. Der pH-Wert einer gesättigten wässrigen Lösung liegt bei 25 °C im Bereich von 5,1 bis 6,5 (PubChem). Zum UV-Spektrum vgl. Abb. 1. Eine Auflistung der UV-Maxima in unterschiedlichen Lösungsmitteln findet sich in Lit.1).

1 Teil Substanz löst sich in etwa 70 Teilen Wasser, 20 Teilen siedendem Wasser, 7 Teilen Ethanol, 13 Teilen Aceton, 40 Teilen Glycerol, 10 Teilen 1,2 Propandiol oder 1100 Teilen Diethylether.

Prüfung auf Identität A. Ph. Eur. schreibt einen Vergleich der Schmelz-

temperatur der Prüfubstanz und deraus glei-chen Teilen der Prüf- und Referenzsubstanz (Paracetamol CRS) vor. Die Mischschmelz-temperatur darf max. um 2 °C im Vergleich zur Referenzsubstanz differieren.

Die JAP gibt ein Schmelzintervall von 169 bis 172 °C an. Die DTA lässt einen scharf ausge-

prägten Schmelzpeak bei 171 °C1) bzw. 169/ 170 °C9) erkennen. Für die erstarrte Schmelze sind exotherme Umwandlungen bei 67 °C1) bzw. 77 °C9) mit einem darauf folgenden Schmelzpeak bei 157 °C1) bzw. 159 °C9) ange-geben, der offenbar einer instabilen Modifika-tion10) entspricht.

B. Vgl. Abb. 2. Die Substanz weist im KBr-Press-ling die Carbonylbande bei 1659 cm–1, die NH-Bande bei 3330 cm–1 und eine breite OH-Bande auf.

Andere Identitätsprüfungen: Mit starken Oxi-dationsmitteln wird 4-Aminophenol (2, K), das durch Hydrolyse mit Salzsäure entsteht, quantita-tiv in gelbes p-Chinonimin (3) übergeführt (siehe unter „Gehaltsbestimmung“). Zur Identitätsreak-tion auf „Acetyl“ siehe im Kommentar zu 2.3.1 (Ph. Eur.).

Die eutektische Schmelztemperatur von Paracet-amol mit Phenacetin beträgt 115 °C, mit Benzanilid 136 °C11), mit Harnstoff 115 °C und mit Acetylsali-cylsäure 118,2 °C12).

In der Literatur sind zahlreiche Farbreaktionen be-schrieben1), ferner DC-Methoden13). Außerdem werden 1H- und 13C-NMR- und Massenspektren sowie für die kristalline Substanz die Röntgen-strahldiffraktion1) zum Identitätsnachweis einge-setzt. In organischen Proben kann Paracetamol mit Hilfe der LC-MS identifiziert werden14) Prüfung auf Reinheit Verwandte Substanzen: Die Ph. Eur. prüft mit der HPLC besonders auf 4-Aminophenol (2, K) und 4-Chloracetanilid (15, J) als spezifizierte Ver-unreinigungen sowie zusätzlich auf die Substanzen 7 bis 18 (die nicht spezifizierten Verunreinigun-gen A bis I, L bis N).

4-Chloracetanilid (15, J) kann als Verunreinigung vorkommen, wenn Paracetamol ausgehend von 4-Chlornitrobenzol hergestellt wird, wobei unvoll-ständige Substitution des Chlors über 4-Chlor-anilin zu 15 (J) führt. 4-(Acetamino)phenylacetat (13, H) entsteht durch weitergehende Acetylierung von Paracetamol. 4-Chloracetanilid und 4-Amino-phenol dienen gleichzeitig zur Überprüfung der Systemeignung und werden auf 10 bzw. 50 ppm begrenzt.

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Alle weiteren Verunreinigungen sind auf jeweils 0,05 % limitiert. In der Summe dürfen die Verun-reinigungen 0,2 % nicht überschreiten.

Die JAP begrenzt ohne Angabe spezieller Verun-reinigungen die Summe der Nebenprodukte auf 0,5 %. Die USP begrenzt 4-Chloracetanilid (15, J) ebenfalls auf 10 ppm; 7 (A), 8 (B) und 10 (D) werden hier auf jeweils 50 ppm limitiert und in der Summe dürfen die Verunreinigungen 0,1 % nicht überschreiten. Die INTERN prüft mit Hilfe der DC (Fließmittel Chloroform/Aceton/Toluol 65:25:10) auf Verunreinigungen. Sulfatasche: Die USP und JAP begrenzen eben-falls auf 0,1 %. Trocknungsverlust: Die USP begrenzt auf 0,5 % bei einer Trockentemperatur von 105 °C, die JAP

dagegen auf 0,3 % nach einer Trocknungszeit von 2 h (ebenfalls bei 105 °C).

Andere Reinheitsprüfungen: Die JAP limitiert Chlorid auf 140 ppm, Sulfat auf 190 ppm sowie Arsen auf 2 ppm.

Gehaltsbestimmung

Durch Erhitzen von Paracetamol mit verdünnter Schwefelsäure tritt Hydrolyse zu 4-Aminophenol (2, K) ein, das unter Verwendung von Ferroin als Redoxindikator mit Ammoniumcer(IV)-sulfat zu p-Chinonimin (3) oxidiert wird. Zur Endpunkt-indikation der cerimetrischen Bestimmung ist auch die Biamperometrie (Dead-stop-Methode) geeig-net15).

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5/8 Paracetamol

Kommentar zur Ph. Eur. 9.4 61. Lfg. 2019

P

Andere Bestimmungsmethoden: Die USP und JAP lassen den Gehalt spektrophotometrisch gegen einen Standard ermitteln. Paracetamol kann auch in DMF mit Tetrabutylammoniumhydroxid16) ti-triert werden. Die Anzahl analytischer Arbeiten zu Paracetamol und Analgetikagemischen ist unüber-

sehbar groß; bevorzugt werden in Arzneimitteln und biologischem Material kolorimetrische17–19) und polarographische20) Methoden sowie GC-21–23), HPLC-24–29) und CE-Verfahren30–33). Zur Bestim-mung aus biologischen Proben sind HPLC-34–36), GC-37–39) und CE-Methoden40, 41) beschrieben.

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Paracetamol 6/8

61. Lfg. 2019 Kommentar zur Ph. Eur. 9.4

Metabolisierung Paracetamol (5) unterliegt einem ausgeprägten First-Pass-Metabolismus. Ungefähr 90 bis 95 % der eingenommenen Dosis werden in der Leber mit Schwefelsäure zum Ester 19 (ca. 35 %) oder mit Glucuronsäure zum Glucuronid 20 (ca. 55 %) konjugiert. In geringem Umfang kommt es zur Desacetylierung und dabei zur Bildung des toxi-schen Metaboliten p-Aminophenol (Methämoglo-binbildner). Das bei mikrosomalen In-vitro-In-kubationen gefundene 3-Hydroxyparacetamol spielt klinisch keine Rolle. Darüber hinaus wird Paracetamol durch Cytochrom-P450-Enzyme zu 21 N-hydroxyliert, aus dem durch Wasserabspal-tung das toxische N-Acetyl-p-benzochinonimin

(22) entsteht. Bei ausreichender Kapazität der mikrosomalen Enzyme wird 22 durch die Übertra-gung eines SH-haltigen Substrats (Glutathion oder Cystein) z. B. durch das Enzym Glutathion-S-Transferase zum Konjugat 23 entgiftet42–45). Die Eliminierung der Metaboliten erfolgt ausschließ-lich renal. Nur ca. 2 bis 5 % der applizierten Dosis werden unverändert ausgeschieden42–45). Bei der Bioaktivierung zum Chinonimin 22 über das N-Hydroxyderivat 21 sind CYP2E1, CYP1A2, CYP3A4 und CYP2A6 beteiligt, wobei CYP3A4 und CYP2E1 nach In-vitro-Untersuchungen die höchste Konversionsrate aufweisen46).

P. Dziemba/Scr

Pharmakologische Eigenschaften47–49) Pharmakodynamik: Paracetamol wirkt analge-tisch und antipyretisch, wobei die Wirkstärke etwa der von Acetylsalicylsäure entspricht. Dagegen ist die geringe antiphlogistische Wirkung bei thera-peutischer Dosierung nicht relevant.

Es gibt Untersuchungen, die darauf hinweisen, dass die Wirkungen von Paracetamol über eine Hemmung der Prostaglandinsynthese zustande kommt. Der genaue molekulare Mechanismus, wie Paracetamol die Prostaglandinsynthese unter-drückt, ist bislang nicht vollständig geklärt. Ver-gleiche mit selektiven COX-2-Inhibitoren zeigen ein ähnliches Wirkprofil auch für Paracetamol. Die Dosis, um eine antiphlogistische Wirkung mit Paracetamol zu erzielen, liegt allerdings im toxi-schen Bereich. Neuere Forschungsergebnisse zei-gen, dass hohe Konzentrationen an Arachidon-säure und Peroxiden, wie sie in entzündetem Ge-webe vorliegen, die Wirksamkeit von Paracetamol beeinträchtigen; dies könnte der Grund für den ge-ringen antiinflammatorischen Effekt sein.

Ob Coffein die analgetische Wirksamkeit verbessert oder lediglich die missbräuchliche Anwendung ent-sprechender Kombinationspräparate fördert, wird in der Literatur kontrovers beurteilt. Pharmakokinetik50, 51): Die Resorption von Para-cetamol aus dem Magen-Darm-Trakt erfolgt rasch, wobei die höchsten Plasmakonzentrationen nach

30 bis 60 min auftreten. Die Bioverfügbarkeit liegt nach oraler Gabe bei 60 bis 70 %, nach rektaler Verabreichung bei 30 bis 40 %. Bei therapeutischer Dosierung beträgt die Eliminationshalbwertszeit 1 bis 4 h, die Wirkdauer 4 h.

Die Biotransformation erfolgt hauptsächlich in der Leber durch Konjugationsreaktionen; in Abhän-gigkeit von der Plasmakonzentration wird Par-acetamol jedoch auch teilweise am Stickstoff des-acetyliert oder hydroxyliert (siehe unter „Intoxika-tion“). Innerhalb von 24 h werden 90 bis 100 % der applizierten Dosis als Glucuronid (60 %), Sul-fat (35 %) oder Cysteinkonjugat (3 %) über die Niere ausgeschieden. Siehe auch unter „Metaboli-sierung“.

Paracetamol überwindet die Plazentaschranke. Die Konzentration in der Muttermilch entspricht dem entsprechenden Plasmaspiegel, unerwünschte Wir-kungen auf den Säugling sind jedoch nicht be-kannt. Indikationen: Paracetamol wird als Antipyreti-kum und Analgetikum bei leichten bis mäßig star-ken, akuten und chronischen Schmerzen einge-setzt. Im Gegensatz zu Acetylsalicylsäure (siehe den Kommentar zu Acetylsalicylsäure, Ph. Eur.) besitzt Paracetamol keinen nennenswerten Ein-fluss auf die Blutgerinnung und ist daher bei Pati-enten mit Blutgerinnungsstörungen oder unter Therapie mit Antikoagulanzien zu bevorzugen. Auch bei Patienten mit gastrointestinalen Ulkuser-krankungen ist Paracetamol das Analgetikum der

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7/8 Paracetamol

Kommentar zur Ph. Eur. 9.4 61. Lfg. 2019

P

Wahl, da es die Synthese magenschützender Prostaglandine nur unwesentlich beeinflusst. Dosierung: – Erwachsene: bis zu 4-mal täglich 500 bis

1000 mg oral; – Kinder (6 bis 12 Jahre): bis zu 3-mal täglich

250 mg oral oder 500 mg rektal; – Kinder (1 bis 5 Jahre): bis zu 3-mal täglich 60

bis 120 mg oral oder 250 mg rektal; – Säuglinge: bis zu 3-mal täglich 60 mg oral oder

125 mg rektal.

Bei Patienten mit Niereninsuffizienz ist eine Re-duktion der Dosis oder eine Verlängerung des Dosierungsintervalls auf bis zu 8 h erforderlich. Intoxikation51): Bei Einnahme von mehr als 10 bis 15 g Paracetamol kommt es zu einer akuten Vergif-tung mit Nekrosen im Bereich der Nierentubuli und vor allem in der Leber, die sich zunächst durch Übelkeit, Erbrechen und Bauchschmerzen äußern. Unbehandelt führt die so verursachte schwere Stoffwechselstörung zum Koma und häufig zum Tod. Verantwortlich für die schweren Schädigungen an den Nierentubuli und Leberzellen ist wahrschein-lich das N-Acetyl-p-benzochinonimin, das durch enzymatische N-Hydroxylierung und anschließen-de spontane Wasserabspaltung gebildet wird. Es entsteht in nennenswertem Ausmaß nur dann, wenn der Hauptmetabolisierungsweg von Par-acetamol aufgrund einer Entleerung der Speicher an aktiver Glucuronsäure und aktivem Sulfat nicht mehr beschritten werden kann. Die Entgiftung des toxischen Chinonimins erfolgt normalerweise durch nucleophilen Angriff von Glutathion in 3-Stellung und Ausscheidung als Cystein- oder Mer-captursäurederivat. Ist dieser Entgiftungsweg durch große Mengen an N-Acetyl-p-benzochinonimin überlastet, so reagiert dieses bevorzugt mit zellulä-ren Makromolekülen, was zu schweren, irreversi-blen Zellschädigungen führt. Therapie: Bei der Behandlung der akuten Vergif-tung ist eine frühzeitige Therapie von größter Be-deutung. Eingesetzt werden neben resorptionsver-hindernden Maßnahmen (Auslösen von Erbrechen, Magenspülung) meist Aminosäuren mit Thiolgrup-pen, die mit dem toxischen Chinonimin reagieren, bevor dieses kovalent an Zellbestandteile gebun-den wird. Besonders bewährt haben sich hierbei Cysteamin und N-Acetylcystein, die innerhalb der

ersten 8 bis 12 h nach Intoxikation verabreicht werden sollten.

Nebenwirkungen51): In den üblichen therapeuti-schen Dosierungen und bei kurzfristiger Anwen-dung ist Paracetamol meist gut verträglich. Gele-gentlich kommt es zu allergischen Reaktionen, die meist die Haut oder Schleimhaut betreffen, aber auch zu schwerer Hypotonie und Schock führen können. In wenigen Fällen scheint Paracetamol Neutropenien, Leukopenien oder Panzytopenien zu verursachen. Die Methämoglobinbildung durch Paracetamol ist gering und ohne klinische Bedeu-tung. Kontraindikationen: Paracetamol ist kontrain-diziert bei schweren Nieren- und Leberfunktions-störungen. Bei genetisch bedingtem Glucose-6-Phosphat-Dehydrogenasemangel besteht dagegen nach neueren Erkenntnissen bei therapeutischer Dosierung keine Gefährdung durch Bildung toxi-scher Metaboliten. Interaktionen: Arzneimittel, welche eine Enzym-induktion in der Leber verursachen (z. B. Pheno-barbital, Phenytoin, Carbamazepin, Rifampicin), können bei gleichzeitiger Einnahme die hepatoto-xische Wirkung von Paracetamol erhöhen, da sie die Entstehung des giftigen Chinonimins fördern. Dadurch sind auch bei ansonsten unschädlichen Dosen Leberschädigungen möglich. Gleiches gilt für übermäßigen Alkoholkonsum. Schwangerschaft und Stillzeit: Hinweise auf ein teratogenes Risiko bei Einnahme in der Schwan-gerschaft gibt es nach dem derzeitigen Erkenntnis-stand nicht. Bewertung52, 53): Das Anilinderivat Paracetamol ist ein nichtopioides Analgetikum der WHO-Stufe 1 und wird zur Behandlung leichter Schmerzen sowie bei Fieber verwendet. Der analgetische Ef-fekt von Paracetamol ist vorwiegend zentral be-dingt und in seiner Stärke ungefähr vergleichbar mit dem der Acetylsalicylsäure. Paracetamol wirkt gut antipyretisch. Bei Kindern, Patienten mit Ma-genbeschwerden, Blutgerinnungsstörungen oder gleichzeitiger Therapie mit oralen Antikoagulan-zien wird Paracetamol Acetylsalicylsäure vorge-zogen. Im Gegensatz zu nichtsteroidalen An-tirheumatika ist die antiphlogistische Wirkung von

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Paracetamol 8/8

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Paracetamol sehr gering. Bei degenerativen rheu-matischen Erkrankungen, die meist mit Entzün-dungsreaktionen einhergehen, ist Paracetamol nicht ausreichend wirksam. Bei Überdosierung von Paracetamol tritt Hepatotoxizität auf, daher

wurde die Substanz in den letzten Jahren teilweise durch Ibuprofen ersetzt. Ein Antidot bei Paracet-amol-Intoxikation ist Acetylcystein.

C. Gassner/Mu

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