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29 29 Blut Petro E. Petrides 29.1 Korpuskuläre Elemente des Bluts – 952 29.2 Erythrozyten – 953 29.2.1 Eigenschaften und Stoffwechsel der Erythrozyten – 953 29.2.2 Hämoglobin – 957 29.2.3 Erythrozyten-Antigene – 965 29.2.4 Pathobiochemie – 967 29.3 Leukozyten – 972 29.3.1 Funktion und Stoffwechsel der Leukozyten – 972 29.3.2 Pathobiochemie – 976 29.4 Thrombozyten – 976 29.5 Blutstillung – 979 29.5.1 Vaskuläre Blutstillung – 979 29.5.2 Zelluläre Blutstillung (Thrombozytenadhäsion) – 980 29.5.3 Plasmatische Vorgänge (Blutgerinnung) – 981 29.5.4 Fibrinolyse – 987 29.5.5 Pathobiochemie – 988 29.6 Plasmaproteine – 991 29.6.1 Konzentration, Biosynthese und Abbau von Plasmaproteinen – 991 29.6.2 Trennung von Plasmaproteinen in Einzelfraktionen – 991 29.6.3 Die einzelnen Proteinfraktionen des Serums – 994 29.6.4 Funktionen der Plasmaproteine – 996 29.6.5 Pathobiochemie – 996 Literatur – 999

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29 Blut

Petro E. Petrides

29.1 Korpuskuläre Elemente des Bluts – 952

29.2 Erythrozyten – 95329.2.1 Eigenschaften und Stoffwechsel der Erythrozyten – 95329.2.2 Hämoglobin – 95729.2.3 Erythrozyten-Antigene – 96529.2.4 Pathobiochemie – 967

29.3 Leukozyten – 97229.3.1 Funktion und Stoffwechsel der Leukozyten – 97229.3.2 Pathobiochemie – 976

29.4 Thrombozyten – 976

29.5 Blutstillung – 97929.5.1 Vaskuläre Blutstillung – 97929.5.2 Zelluläre Blutstillung (Thrombozytenadhäsion) – 98029.5.3 Plasmatische Vorgänge (Blutgerinnung) – 98129.5.4 Fibrinolyse – 98729.5.5 Pathobiochemie – 988

29.6 Plasmaproteine – 99129.6.1 Konzentration, Biosynthese und Abbau von Plasmaproteinen – 99129.6.2 Trennung von Plasmaproteinen in Einzelfraktionen – 99129.6.3 Die einzelnen Proteinfraktionen des Serums – 99429.6.4 Funktionen der Plasmaproteine – 99629.6.5 Pathobiochemie – 996

Literatur – 999

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952 Kapitel 29 · Blut

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>> Einleitung

Blut ist das Trägermedium für die humorale Kommunikation zwischen den einzelnen Geweben, die durch das Gefäßsystem ermöglicht wird. Aufgrund seiner ständigen Bewegung eignet sich Blut mit seinen korpuskulären Elementen, Transportprotei-nen und seiner wässrigen Phase zum Transport der verschiedensten Stoffe. Mit Hilfe der Erythrozyten werden Sauerstoff von den Lungen zu den Geweben und Kohlendioxid in umgekehrter Richtung transportiert. Blut befördert weiterhin im Magen-Darm-Trakt resorbierte Nahrungsstoffe in gelöster Form oder in Bindung an Transportproteine über die Pfortader in die Leber und von dort aus in die peripheren Organe. Von den Organen gelangen Endprodukte des Stoffwechsels zu den Ausscheidungs-organen (Nieren, Lungen, Haut und Darm). Hormone werden von den endokrinen Drüsen zu den Erfolgsorganen und Metabo-liten zwischen den verschiedenen Organen (z.B. Lactat und Alanin von der Muskulatur in die Leber, Ketonkörper von der Leber in die peripheren Organe) befördert. Im intrazellulären Stoffwechsel entstehende und an den Extrazellulärraum abgegebene Protonen und Kohlendioxid werden vom Blut wirksam abgepuffert und den Ausscheidungsorganen (Lungen und Nieren) zuge-leitet. Aufgrund dieser Eigenschaften eignet sich das Blut in hervorragender Weise zur Analyse des Funktionszustands verschie-dener Organe: die Untersuchung von durch Venenpunktion gewonnenem Blut erlaubt schnelle Rückschlüsse auf die Funktion von Nieren, Herz, Leber, Knochenmark und anderen Geweben. Gegen Viren und Bakterien kann Blut den Organismus durch den Besitz unspezifischer (Serumproteine wie C-reaktives Protein, Properdin, Faktoren des Komplements, Lysozym) und spezi-fischer (Antikörperproteine) Abwehrmechanismen schützen. Neutrophile Granulozyten sind durch ihre Fähigkeit, hochaktive Sauerstoffverbindungen zu erzeugen und Bakterien zu phagozytieren, entscheidender Bestandteil des zellulären Immunsy-stems. Aufgrund der hohen spezifischen Wärme von Wasser verteilt Blut die in einzelnen Organen gebildete Wärme (z.B. in der stoffwechselaktiven Leber) auf den Gesamtorganismus. Durch die Wasser anziehende Wirkung seiner Proteine nimmt Blut Einfluss auf den Austausch von Wasser und Stoffen zwischen der zirkulierenden und der Gewebeflüssigkeit. Zum Schutz vor dem Verlust dieses wichtigen Gewebes existiert ein komplexes Gerinnungssystem, das bei Gefäßverletzungen sofort aktiv wird. Eine Aktivierung dieses Systems ohne Verletzungen des Gefäßes kann zu Thrombosen führen.

29.1 Korpuskuläre Elemente des Bluts

Blut enthält eine Reihe korpuskulärer Elemente, die vorwie-gend im Knochenmark gebildet werden und an der Erfül-lung mehrerer Aufgaben des Bluts (Sauerstofftransport, Blutstillung, Abwehr) beteiligt sind. Dies sind die Erythro-zyten, Thrombozyten und Leukozyten. Zu Letzteren ge-hören neutrophile, eosinophile und basophile Granulo-zyten sowie Monozyten.

! Die Hämatopoese wird durch Cytokine reguliert.

Ausgangspunkt der Bildung der korpuskulären Elemente im Knochenmark sind die Stammzellen (wegen des Besitzes des Oberflächenmarkers CD34 als CD34-positive Zellen bezeichnet), die die Fähigkeit zur Selbstreplikation mit Bil-dung von Tochterstammzellen besitzen. CD34+ Zellen sind in sehr geringen Mengen auch im Blut nachweisbar; dassel-be gilt für die sog. CD34+/-R2-Stamm zellen, aus denen sich Endothelzellen entwickeln. Stammzellen sind pluripotent, d.h. sie können zu funktionell verschiedenen Zelltypen dif-ferenzieren. Dieser Vorgang läuft über mehrere Stufen ab, die mit einem schrittweisen Verlust der Pluripotenz einher-gehen (. Abb. 29.1). Die frühesten differenzierten Zellen werden als determinierte Vorläuferzellen bezeichnet, die in ihrer weiteren Entwicklung bereits auf ein oder zwei Zell-typen festgelegt sind. Die Vorläuferzellen besitzen jedoch ein ausgeprägtes proliferatives Potential und produzieren so Tochterzellen des entsprechenden reifen Zelltyps. In vitro überleben oder proliferieren Knochenmarkzellen nur in Ge-genwart regulatorischer Polypeptide. Da diese Experimente

in Agarkultursystemen durchgeführt werden, in denen die Zellen unter Bildung von Kolonien wachsen, werden die entstehenden Kolonien als CFU (colony forming units) und die Polypeptide mit Hormoncharakter als CSF (colony sti-mulating factors) bezeichnet (. Abb. 29.1). Den CSF wird ein Präfix vorangestellt (z.B. GM), das die Zellpopulation angibt (Granulozyten und Makrophagen), die unter dem stimulierenden Einfluss des betreffenden Proteins gebildet wird. T-Lymphozyten, Monozyten (und Makrophagen) und Stromazellen sind die Hauptquellen von Wachstumsfak-toren. Ausnahmen sind nur Erythropoietin (Nieren) und Thrombopoietin (Leber). Viele dieser auch als Cytokine be-zeichneten Polypeptide stehen heute in rekombinanter Form für die Therapie beim Menschen zur Verfügung (. Tabel-le 29.1). Sie finden vor allem bei der Stimulierung der häma-topoetischen Regeneration (nach Bestrahlung oder zytoto-xischen Medikamenten), der Rekrutierung von CD34-Zel-len in das Blut für die Stammzelltransplantation oder zur Verstärkung der Abwehr bei akuten Infektionen klinische Anwendung.

Nach Differenzierung im Knochenmark müssen die rei-fen Blutzellen auf einen adäquaten Reiz hin die Knochen-mark-Blut-Schranke überwinden, um Anschluss an die Blutbahn zu gewinnen. Diese Schranke stellt eine dreischich-tige Struktur dar, die aus Adventitiazellen (einer spezialisier-ten Fibroblastenart), einer Basalmembran und der Endothel-schicht besteht (. Abb. 29.2). Die Überwindung der Schranke wird den reifen Blutzellen wahrscheinlich durch die Freiset-zung von Proteasen wie Elastase oder MMPs (7 Kap. 9.3.3) ermöglicht, die dieses Gitter reversibel öffnen können.

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29.2 · Erythrozyten29953

29.2 Erythrozyten

29.2.1 Eigenschaften und Stoffwechsel der Erythrozyten

! Erythrozyten entstehen aus Erythroblasten durch den Verlust des Zellkerns.

Bei der Erythrozytenbildung (Erythropoiese) im Knochen-mark differenzieren sich Proerythroblasten unter dem Ein-

fluss des renalen Hormons Erythropoietin (molekularer Mechanismus, 7 Kap. 28.1.10) aus pluripotenten Stammzel-len und durchlaufen mehrere Zellteilungen. Die dabei ent-stehenden Erythroblasten sind in kleinen Inseln um eine zentrale Retikulumzelle angeordnet, die die Erythroblasten während des Reifungsprozesses mit notwendigen Stoffen versorgt. Während der Teilung der Proerythroblasten setzt die Biosynthese von Hämoglobin, des mengenmäßig be-deutendsten Proteins des Erythrozyten, ein. Gleichzeitig beginnt sich der Zellkern zusammenzuziehen, wird schließ-

. Tabelle 29.1. Rekombinante hämatopoietische Wachstumsfaktoren (Cytokine) beim Menschen (Beispiele)

Bezeichnung Synonym Molekulargewicht Produziert von Genetische Information des Glykoproteins

Interleukin-3 Multi-CSF1I-3

20–26 kDa T-Lymphozyten cDNA: 133 Aminosäuren enthaltendes Protein Chromosom 5

GM-CSF CSF- 14–35 kDa T-LymphozytenEndothelzellenFibroblasten

cDNA: 127 Aminosäuren enthaltendes ProteinGenstruktur: 4 ExonsChromosom 5

M-CSF CSF-1 70 kDa (Dimer) MonozytenFibroblastenEndothelzellen

cDNA: 189 Aminosäuren enthaltendes ProteinChromosom 5

G-CSF CSF- 20 kDa MonozytenFibroblasten

cDNA: 177 Aminosäuren enthaltendes ProteinGenstruktur: 5 ExonsChromosom 17

Erythropoietin Epo 34–39 kDa peritubuläre Nierenzellen

cDNA: 166 Aminosäuren enthaltendes ProteinGenstruktur: 5 ExonsChromosom 7

Thrombopoietin Tpo 35 kDa Leber-, Nieren-zellen

cDNA: 335 Aminosäuren enthaltendes ProteinGenstruktur: 5 ExonsChromosom 3q26–27

. Abb. 29.1. Entwicklung der einzelnen Blutzellen aus einer pluri potenten Stammzelle im Knochenmark unter dem Einfluss hämato-poetischer Wachstumsfaktoren

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954 Kapitel 29 · Blut

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. Abb. 29.2. Aufbau der Knochenmark-Blut-Schranke aus Endo-thelzellschicht, Basalmembran und den Adventitiazellen (grün), einer spezialisierten Fibroblastenart. Nach Stimulierung durch ein Signal S (wie z.B. Interleukin-8, grünes Dreieck), das entweder direkt auf

den Granulozyten oder indirekt über ein zweites Signal (rotes Viereck) wirkt, wandern reife Granulozyten über die Schranke in den Knochen-marksinus

. Abb. 29.3. Rasterelektronenoptische Aufnahme eines in einem Fibrinnetz liegenden Erythrozyten

lich aus der Zelle ausgestoßen und von der zentralen Reti-kulumzelle aufgenommen. Nach dem Verlust des Zellkerns tritt der Erythrozyt, der deshalb nicht mehr als Zelle, son-dern als korpuskuläres Element bezeichnet wird, in die Zir-kulation über, in der er als Scheibe mit einer zentralen Del-le erscheint (. Abb. 29.3).

Von den älteren Erythrozyten, die schon längere Zeit im Kreislauf zirkulieren, unterscheidet sich der junge Erythro-zyt durch den Besitz eines mit bestimmten Farbstoffen (z.B. Brilliantkresylblau) anfärbbaren Retikulums, das aus ribo-somaler RNA und anderen Zellorganellen besteht und in-nerhalb der ersten 48 Stunden verloren geht. In diesem

Stadium werden Erythrozyten als Reticulozyten (nicht zu verwechseln mit den Retikulumzellen) bezeichnet und die-nen als Indikator der Erythrozytenproduktion. Während der Reifung verlieren die Erythrozyten auch ihre Mito-chondrien und damit die mit diesem Zellorganell verbun-denen Stoffwechselleistungen (z.B. Pyruvatdehydrierung und oxidative Phosphorylierung). Übrig bleiben ihnen cy-tosolische Stoffwechselwege wie die Glycolyse und der Pen-tosephosphatweg.

! Zwischen Erythrozytenauf und -abbau besteht ein dynamisches Gleichgewicht.

Die Lebenszeit des Erythrozyten, von denen jeder Mikro-liter Blut 4–6 Millionen enthält, beträgt 110–130 Tage (. Ta belle 29.2). Warum Erythrozyten nicht länger überle-ben, ist unbekannt, könnte aber auf die Aktivitätsminde-rung erythrozytärer Enzyme zurückzuführen sein, da eine Enzymneusynthese nicht mehr möglich ist. Nach Ablauf

. Tabelle 29.2. Einige Lebensdaten des Erythrozyten

Lebensdauer 120 Tage (110–130 Tage)

Oberfläche aller Erythrozyten 3800 m2

Gesamtmenge 25 000 Milliarden

Täglicher Bedarf 208 Milliarden

Erythrozytenproduktion/s 2,4 Millionen

Zurückgelegter Weg während 120 Tagen

400 km

Gewicht eines Erythrozyten 3 × 10–11 g (= 30 pg)

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29.2 · Erythrozyten29955

ihrer Lebenszeit werden die Erythrozyten von Zellen des retikuloendothelialen Systems (in Milz, Knochenmark und Leber) durch Phagozytose aufgenommen und abgebaut.

Die beim Abbau des Porphyringerüsts entstehenden Gallenfarbstoffe werden ausgeschieden (7 Kap. 20.3), das frei werdende Eisen und die beim Globinabbau entstehen-den Aminosäuren werden erneut für die Biosynthese ver-wertet.

Die Erythrozytenzahl und damit die Hämoglobinkon-zentration im Blut werden in engen Grenzen konstant ge-halten. Beim erwachsenen Mann beträgt die Erythrozyten-zahl zwischen 4,5 und 6,0 Million/μl und die Hämoglobin-konzentration zwischen 14 und 18 g/100 ml (140 und 180 g/l entsprechend 8,7 und 11,2 mmol/l, wobei das Mo-lekulargewicht des Monomers zugrunde liegt), bei der er-wachsenen Frau zwischen 4,0 und 5,0 Millionen/μl bzw. 12 und 16 g/100 ml Blut. Störungen dieses Gleichgewichts können durch Änderungen von Abbau und/oder Biosyn-these verursacht werden. Der prozentuale Anteil der Ery-throzyten am Gesamtblut wird als Hämatokrit bezeichnet. Die Anzahl der Erythrozyten im strömenden Blut wird durch das renale Hormon Erythropoietin (7 u.) reguliert. Eine vermehrte Erythrozytenmenge im Blut wird als Poly-zythämie, die Abnahme der Erythrozytenmenge als Anä-mie bezeichnet. Der Verringerung der Konzentration kann eine Hämolyse, d.h. ein vermehrter Abbau von Erythro-zyten vor Erreichen des normalen Lebensalters (hämo-lytische Anämie) oder eine verringerte Biosynthese auf-grund eines Eisen- (7 Kap. 22.2.1) oder Vitamin-B12-Man-gels (7 Kap. 23.3.9) zugrunde liegen. Beim Eisenmangel sind die Erythrozyten zudem kleiner (mikrozytäre Anä-mie), beim Vitamin B12-Mangel vergrößert (makrozytäre Anämie). Ist eine Schädigung der Stammzellen im Kno-chenmark die Ursache, so liegt eine aplastische Anämie vor.

! Die Regulation der Erythropoiese erfolgt über das Cytokin Erythropoietin.

Erythropoietin ist ein 34 kDa-Glycoprotein, das beim Fetus in der Leber und beim Erwachsenen in den peritubulären Fibroblasten der Nieren synthetisiert wird. Es expandiert die Menge unreifer roter Vorläuferzellen im Knochenmark. Re-zeptoren für Erythropoietin finden sich nicht nur im Kno-chenmark, sondern auch in nicht-hämatopoietischen Zellen (ZNS, Endothelzellen, Leber, Uterus). Der Erythropoietinre-zeptor gehört in die Gruppe der Cytokinrezeptoren (7 Kap. 25.5.2, . Tab. 25.1). Jeder Verlust von Erythrozyten (z.B. durch Blutverlust oder Hämolyse) reduziert die Versorgung peri-pherer Gewebe mit Sauerstoff, wodurch es zu einer Stimu-lierung der Expression des durch Hypoxie induzierbaren Faktors (hypoxia induced factor, HIF-1) (7 Kap. 28.1.10) kommt, der die Erythropoietinproduktion reguliert.

Rekombinantes Erythropoietin wird zur Behandlung der Tumoranämie eingesetzt und von Sportlern als Doping-mittel verwendet.

! Für den Stoffwechsel des Erythrozyten stellt Glucose die wesentliche Energiequelle dar.

Nach Phosphorylierung zu Glucose-6-phosphat durch die Hexokinase beschreitet der weitere Abbau die beiden be-kannten Wege: Etwa 5–10% werden zur Bildung von NADPH/H+ dem Pentosephosphatweg zugeführt, die Hauptmenge (90–95%) wird zur Bildung von ATP in der Glycolyse herangezogen.

Eine Besonderheit des Erythrozytenstoffwechsels ist ein Nebenweg der Glycolyse, der bei 1,3-Bisphosphoglyce-rat abzweigt. Statt in der Phosphoglyceratkinasereaktion (. Abb. 29.4) ATP zu bilden, werden etwa 20% des 1,3-Bis-phosphoglycerats durch eine Mutase in 2,3-Bisphospho-glycerat umgewandelt, das durch Abspaltung des Phospha-trests am C-Atom 2 (jedoch ohne ATP-Gewinn!) wieder in die Glycolyse einmünden kann. Sinn dieses – als 2,3-Bis-phosphoglycerat-Nebenweg bezeichneten – Stoffwechsel-wegs ist die Bereitstellung von 2,3-Bisphosphoglycerat. Dieses kann an die -Ketten des Hämoglobins binden und damit – als Signalmetabolit – Einfluss auf die Sauerstoff-aufnahme und -abgabe nehmen (7 Kap. 3.3.5, 29.2.2).

! ATP wird zum Ionentransport und zur Glutathionsyn-these benötigt.

Das in der Glycolyse gebildete ATP wird für den aktiven Ionentransport benötigt, durch den der Erythrozyt Natri-um und Calcium eliminiert (die Natriumkonzentration beträgt in Erythrozyten etwa 10% des Plasmagehalts) und Kalium akkumuliert (die Konzentration beträgt etwa das Dreißigfache des Plasmagehalts).

Außerdem wird ATP für die Aufrechterhaltung der Form des Erythrozyten und für die Biosynthese von Gluta-thion benötigt. Dieses Tripeptid wird im Erythrozyten durch zwei jeweils ATP-abhängige Reaktionen aus Gluta-mat, Glycin und Cystein synthetisiert. Glutathion, das im Erythrozyten in hoher Konzentration vorliegt (etwa 2,5 μmol/ml) und dessen Halbwertszeit 3–4 Tage beträgt,

. Abb. 29.4. Entstehung des Signalmetaboliten 2,3-Bisphospho-glycerat in einem Nebenschritt der Glycolyse des Erythrozyten

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wird nicht im Erythrozyten abgebaut, sondern ins Plasma abgegeben. Die Funktion wird durch die Sulfhydrylgruppe von Cystein bestimmt, die SH-Gruppen von Enzymen (z.B. Hexokinase, Glycerinaldehydphosphat-Dehydrogenase und Glucose-6-phosphat-Dehydrogenase), von Proteinen der Erythrozytenmembran und von Hämoglobin, das 6 Sulfhydrylgruppen enthält, vor einer Oxidation schützt.

Oxidiertes und reduziertes Glutathion bilden ein Re-doxsystem, bei dem die reduzierte Form zu 98% vorliegt. Wegen des kontinuierlichen Verbrauchs von Glutathion muss das reduzierte Glutathion ständig durch eine Gluta-thionreduktase, die mit NADPH/H+ aus dem Pentose-phosphatweg arbeitet, regeneriert werden. Wasserstoffper-oxid, das im Erythrozyten unter dem Einfluss bestimmter Medikamente (7 unten) entstehen kann, oder unter Sauer-stoffeinfluss entstehende Lipidperoxide in Membranlipiden von Erythrozyten werden durch eine Selen-haltige Peroxi-dase, die mit Glutathion als Cosubstrat arbeitet, entgiftet. Oxidiertes Glutathion wird auch aus dem Erythrozyten heraustransportiert.

Da Erythrozyten dem Blut ständig Glucose für ihren Stoffwechsel entnehmen, muss Blut zur Glucosebestim-mung in Röhrchen mit Fluoridzusatz entnommen werden, da ansonsten der Wert bis zum Eintreffen der Blutprobe im Labor erniedrigt ist.

Von praktischer Bedeutung ist, dass schon eine gering-gradige Hämolyse, wie sie z.B. bei der langsamen Blutab-nahme aus einer Vene auftreten kann oder beim Stehen einer Blutprobe über Nacht, zum Austritt der in den Ery-throzyten enthaltenen Enzyme und Elektrolyte führt. Diese kann eine hohe LDH-Aktivität oder Kaliumkonzentra-tion im Serum verursachen.

! Erythrozyten müssen sich gut verformen können.

Da Erythrozyten einen Durchmesser von etwa 7,5 μm (ihre Dicke liegt bei etwa 1,5 μm), Kapillaren aber nur eine lichte Weite von 3 bis 5 μm aufweisen, ist eine Deformierbarkeit des Erythrozyten Voraussetzung für die ungehinderte Pas-sage der Kapillaren. Durch den Verlust des Zellkerns und die Flexibilität der Membran, die durch das veränderte Ver-hältnis Oberfläche zu Volumen des Erythrozyten erreicht wird, verformen sich rote Blutkörperchen mit Leichtigkeit und zwängen sich durch engste Kapillaren (. Abb. 29.5). Normalerweise müsste die Oberfläche eines Erythrozyten bei seinem Volumen von 90 μm3 (mittleres korpuskuläres Volumen, MCV) bei einer Kugelform 95 μm2 betragen; tat-sächlich ist die Oberfläche durch die bikonkave Scheiben-form auf 140 μm2 erhöht, was offenbar eine leichtere Defor-mierbarkeit zur Folge hat. Die in . Abb. 29.3 gezeigte Form gilt jedoch – das sei ausdrücklich betont – aufgrund der mechanischen Einflüsse, denen der Erythrozyt ständig aus-gesetzt ist, nur als Idealform, die intravital selten auftritt.

Die spezielle Erythrozytenform hat außerdem den Vor-teil, dass durch die Eindellungen die Diffusionsstrecken für den Sauerstoffaustausch reduziert sind.

! Die Architektur der Erythrozytenmembran wird durch den mechanischen Stress bestimmt.

Die Membran des Erythrozyten besteht wie die anderer Zellen aus der typischen Lipiddoppelschicht, in die Pro-teine eingebaut sind (7 Kap. 2.2.6), weist aber durch den zusätzlichen Besitz eines Membranskeletts eine Struktur-besonderheit auf, die auf die speziellen Funktionen des Erythrozyten zugeschnitten ist. Sie enthält etwa zehn Haupt-proteine, die durch SDS-Gelelektrophorese getrennt wer-den können (. Abb. 3.9, 7 Kap. 3.2.2). Die Bezeichnung der einzelnen Proteine beruht auf ihrer elektrophoretischen Mobilität in SDS-Gelen. Quantitativ bedeutsam sind Pro-teine, die Erythrozytenantigene tragen (7 Kap. 29.2.3), Re-zeptoren (z.B. Glycophorine A und B) oder Transportpro-teine (z.B. Protein 3, der Anionenkanal oder Aquaporin, der Wasser kanal). Diese Glycoproteine liegen an der äu-ßeren Membranoberfläche. Membranproteine ohne Kohlen hydratanteil befinden sich dagegen an der inneren Oberfläche. Dieser inneren Oberfläche liegen die sog. peri-pheren Membranproteine in Form eines zweidimensio-nalen Netzwerks an (. Abb. 29.6): dazu gehören Enzyme wie Glycerinaldehydphosphat-Dehydrogenase (Bande 6), Strukturproteine wie Spectrin (Banden 1 und 2) oder Ak-tin (Bande 5). Die peripheren Proteine sind mit der Mem-bran assoziiert, untereinander verbunden oder mit den eigentlichen Membranproteinen verankert. Die entschei-denden Komponenten dieses Membranskeletts sind Spec-trin, Aktin, Protein 4.1, Ankyrin (das aus den Proteinen 2.1, 2.2, 2.3 und 2.6 besteht) und die Bande 4.9. Spectrin ist ein Dimer aus zwei langen flexiblen Ketten (Protein 1 und 2), die parallel angeordnet und umeinander gewunden sind. An ihrem Kopfende bilden Spectrindimere durch Selbstassoziation Tetra- oder Oligomere, an ihrem Schwanz-ende binden die Spectrinmoleküle an kurze Aktinfila-mente. Diese Bindung wird durch Protein 4.1 verstärkt. Da ein Aktinfilament mit mehreren Spectrinmolekülen in

. Abb. 29.5. Verformung der Erythrozyten im Kapillarbereich. 1 Erythrozytenstrom; 2 Plasmasaum; 3 Kapillarlumen (etwa 5 μm Ø); 4 Endothelzelle; 5 Basalmembran; 6 kollagene Gitterfasern

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29.2 · Erythrozyten29957

Wechselwirkung tritt, entstehen Spectrinverzweigungen und damit ein molekulares Netzwerk. Das Membranskelett ist mit der Lipiddoppelschicht über Ankyrin verbunden, das im Bereich der Kopfregion des Spectrins bindet und selbst mit dem cytosolischen Ende von Protein 3 verbun-den ist.

29.2.2 Hämoglobin

! Hämoglobin macht etwa ein Drittel der Zellmasse des Erythrozyten aus.

Der rote Farbstoff der Wirbeltiererythrozyten ist das Hä-moglobin, ein zusammengesetztes Protein, das folgende Funktionen besitzt:4 Transport des Sauerstoffs im Blut4 Beteiligung am Transport des Kohlendioxids und Stick-

oxids im Blut4 Beteiligung an der Pufferung zur Aufrechterhaltung der

normalen Wasserstoffionenkonzentration im Extrazel-lulärraum

Der Hämoglobingehalt des einzelnen Erythrozyten kann aus Hb-Gehalt und Erythrozytenzahl errechnet werden: Bei einer Hämoglobinkonzentration von 160 g/l Blut, das 5000 Milliarden Erythrozyten enthält, beträgt der Hämo-globingehalt eines einzelnen Erythrozyten (mittleres kor-puskuläres Hämoglobin = MCH) 32 pg. Ausgehend von dem Durchschnittswert von 160 g/l Blut (16 g/100 ml oder 9,9 mmol/l) errechnet sich der Gesamtbestand an Hämo-

globin bei einem 70 kg schweren »Normalerwachsenen« mit einem Blutvolumen von 5 Litern zu 800 g. Davon wer-den pro Tag etwa 6,25 g, das ist rund 1%, synthetisiert und abgebaut.

Eine Verminderung der Hämoglobinkonzentration im Blut (beim Mann unter 14 g/100 ml, bei der Frau unter 12 g/100 ml) wird als Anämie bezeichnet. Hinweise auf mögliche Ursachen gibt der MCH-Wert:4 bei einem Abfall des MCH-Werts liegt eine hypo-

chrome Anämie vor: der ursächliche Eisen- (oder auch Kupfer- oder Vitamin B6-) mangel reduziert die Hämoglobinsynthese bei gleich bleibender Erythro-zytenbildung

4 bei einem Anstieg des MCH-Werts eine hyperchrome Anämien: der ursächliche Vitamin B12- (oder Fol säure)-Mangel reduziert die Erythrozytenbildung bei gleich bleibender Hämoglobinsynthese

4 Bei gleichzeitiger Verminderung von Hämoglobinkon-zentration und Erythrozytenzahl und damit normalem MCH-Wert liegt eine normochrome Anämie, die z.B. durch eine Hämolyse (siehe oben) verursacht sein kann.

! Hämoglobin ist ein Tetramer aus jeweils zwei - und -Ketten.

Hämoglobin ist ein kugelförmiges Molekül, das aus 4 Un-tereinheiten besteht, von denen jede etwa ein Molekularge-wicht von etwa 17 kD besitzt (7 Kap. 3.3.5). Jede Unterein-heit trägt in ihrem Inneren eine Hämgruppe, mit der sie über eine koordinative Bindung (Histidin) und hydropho-be Wechselwirkungen verbunden ist. Beim Sauerstofftrans-

. Abb. 29.6. Schematische Darstellung der Verteilung und mole-kularen Wechselwirkungen der wesentlichen Proteine der Ery-throzytenmembran. Bande 3 ist ein Tetramer und Bestandteil eines Chlorid-Hydrogencarbonat-Anionenaustauschers, der die Proteine 4,1 4,2 und 4,9 enthält und als Anker für andere Proteine dient. Hierzu

gehören Ankyrin (Bande 2,1), das an die β-Kette von Spectrin (Bande 2) bindet, Protein 4.2 und zahlreiche cytosolische Proteine wie Deso-xy-Hämoglobin, Glycerinaldehyddehydrogenase (Bande 6) und Aldo-lase. Protein 4.1 bindet ebenfalls an Spectrin und an Aktinmoleküle

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port wird der Sauerstoff reversibel an das Hämeisen an-gelagert (Oxygenierung), ohne dass Eisen im Schutz der koordinativen Bindung Fe-N (Histidin) oxidiert wird (7 Kap. 3.3.5).

Von den vier Polypeptidketten des Hämoglobins, die insgesamt als sein Globinanteil bezeichnet werden, sind je zwei identisch. Man unterscheidet zwischen jenen der - und der -Familie: So wird z.B. das normale Erwachsenen-hämoglobin aus 2 - und 2 -Ketten gebildet und als HbA (Adult) oder Hb 2ß2 bezeichnet.

Die Gene für die Globinketten liegen auf verschiedenen Chromosomen in der Reihenfolge, in der sie während der Ontogenie aktiviert werden (. Abb. 29.7). Die -ähnlichen Gene auf Chromosom 16 enthalten ein funktionelles em-bryonales -Gen, das die Information für die embryonalen

-Gene trägt, gefolgt von einem Pseudo- -Gen, dann - -Genen – die jeweils nicht exprimiert werden – und den ei-gentlichen -Genen, die für die -Kette des fetalen (HbF) und Erwachsenenhämoglobins (HbA) codieren. Die -Globingenfamilie auf Chromosom 11 enthält das embryo-nale -Globingen, zwei fetale Globingene (G und A ), ein

- -Gen und zwei Erwachsenenglobingene ( und ). Der prinzipielle Aufbau der einzelnen Gene der beiden Fami-lien ist praktisch identisch: Jedes Gen besteht aus drei Exons, die von zwei Introns unterbrochen werden. Die Se-quenz am 5’-Ende enthält die Promotorregion, mit hoch-

konservierten Regionen für die Biosynthese der mRNA, am 3’-Ende dienen andere Sequenzen als Signale für die Be-endigung der Transkription und Polyadenylierung der mRNA.

! Während der Embryofetalentwicklung sind andere Hämoglobine aktiv als in der Postnatalperiode.

Beim Embryo werden die Hämoglobine Gower 1 und 2 gebildet, die Tetramere aus jeweils zwei - und - bzw.

-Ketten darstellen (. Abb. 29.7). Im 3. Schwangerschafts-monat werden die embryonalen durch die fetalen Hämo-globine ersetzt. Das fetale Hämoglobin weist besondere Charakteristika der Sauerstoffanlagerung auf, was für die Koppelung des fetalen an den mütterlichen Kreislauf er-forderlich ist. Der Austausch von fetalem Hämoglobin HbF (F = fetal) gegen HbA (A = adult) beginnt durch Um-schaltung der Kettenbiosynthese schon vor der Geburt, sodass bei der Geburt nur noch 60–80% fetales Hämo-globin im Erythrozyten vorliegen. Der Kind- und Er-wachsenenerythrozyt enthält HbA (auch als HbA1 be-zeichnet) und daneben noch etwa 2,5% HbA2, ein Hämo-globin, bei dem die -Ketten durch -Ketten ersetzt sind ( 2 2). Diese Ketten bestehen ebenfalls aus 146 Amino-säuren, unterscheiden sich aber in 10 Positionen von der

-Kette, die für seine höhere Sauerstoffaffinität verant-wortlich sind.

. Abb. 29.7. Embryonales, fetales und Erwachsenen-Stadium der Hämoglobinbiosynthese beim Menschen. Die embryonalen Globinketten ( und ) werden in der frühen Embryonalentwicklung gebildet; zu diesem Zeitpunkt wer-den auch geringe Mengen der -Globinketten des Erwachse-nen synthetisiert. Mit der Anschaltung der -Globingene wird fetales Hämoglobin gebildet. Am Ende der Fetalperiode erfolgt die Umschaltung auf die Produktion des Erwachse-nenhämoglobins

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29.2 · Erythrozyten29959

! Unterschiedlich beladene Hämoglobine werden an-hand ihres Absorptionsspektrums unterschieden.

Alle Hämoglobine zeigen bei der Spektralanalyse eine cha-rakteristische Absorptionsbande, die sog. Soret-Bande bei 400 nm, die durch den Porphyrinanteil hervorgerufen wird. Durch die übrigen Banden können unterschiedliche Hämoglobinderivate voneinander unterschieden werden (. Abb. 29.8). Da die Spektralkurven von CO-Hämoglobin und mit Sauerstoff beladenem Hämoglobin (Oxyhämoglo-bin) sehr ähnlich sind, behandelt man eine Blutprobe bei Verdacht auf eine Kohlenmonoxidvergiftung mit einem leichten Reduktionsmittel (z.B. Natriumdithionit): dadurch gibt Oxyhämoglobin seinen Sauerstoff ab und zeigt die cha-rakteristische Absorptionsbande des desoxygenierten Hä-moglobins, während in Gegenwart von CO-Hb keine Än-derung der Absorptionsbande eintritt.

! Hämoglobin transportiert den im Blut schlecht lös-lichen Sauerstoff.

Da Sauerstoff in polaren Lösungsmitteln wie dem Plasma-wasser viel schlechter löslich ist als in unpolaren (1 l Blut löst und transportiert bei einem O2-Partialdruck von 100 mmHg gerade 3 ml Sauerstoff) und die Transportstre-cke von den Lungenalveolen, über die das Sauerstoffgas in den Organismus eintritt, zu den Gewebezellen sehr lang ist, könnten die Zellen durch einfache molekulare Diffusion des Sauerstoffs nicht ausreichend mit diesem lebensnot-wendigen Gas versorgt werden. Deshalb ist die Anlagerung an ein spezifisches Transportprotein – das Hämoglobin – erforderlich, das mit seinem hydrophoben Porphyringerüst und seiner hydrophilen Oberfläche als Lösungsvermittler zwischen dem unpolaren Sauerstoff und dem polaren Plas-mawasser wirkt. Den Vorgang der Anlagerung eines Sauer-stoffmoleküls an das Porphyrineisen der Hämoglobinun-

tereinheit bezeichnet man als Oxygenierung, die Abgabe des Sauerstoffs als Desoxygenierung.

Da die Konzentration des Hämoglobins im Vergleich zu anderen Blutproteinen mit etwa 160 g/l sehr hoch ist (im Vergleich dazu die Albumine mit 70 g/l), bietet die Verpa-ckung im Erythrozyten insofern einen Vorteil, als das Pro-tein dadurch kolloidosmotisch unwirksam wird und damit nicht den Wasseraustausch im Kapillarbereich beeinträch-tigen kann.

Durch die Vermittlung des Transportproteins Hämo-globin kann pro Liter Blut die 70-fache Menge Sauerstoff, also etwa 200–210 ml (bei einem Hämoglobingehalt von 160 g/l), befördert werden.

! Sauerstoffkapazität und -affinität des Bluts bestimmen den Sauerstoffaustausch.

Die Sauerstoffmenge, die vom Blut in den Lungen aufge-nommen und in den Geweben an die Zellen abgegeben werden kann, wird von der Sauerstoffkapazität und der Sauerstoffaffinität bestimmt. Unter der Sauerstoffkapazi-tät des Bluts versteht man seine maximale Aufnahmefähig-keit pro definierter Volumeneinheit (z.B. Liter). Sie hängt unter physiologischen O2-Druckbedingungen (also etwa 100 mmHg in den Lungenalveolen) und bei normalen Temperaturen (also etwa 37°C) nahezu ausschließlich von der Konzentration des Hämoglobins ab. Dabei ist jedoch allein das sauerstoffanlagerungsfähige Hämoglobin ent-scheidend, da z.B. CO-Hämoglobin (Raucher!) und Methä-moglobin keinen Sauerstoff transportieren können.

Als Sauerstoffaffinität des Bluts wird das Verhältnis zwischen O2-Druck (sei es im Bereich der Lungen oder der Gewebe) und der Beladung des Hämoglobinmoleküls (O2-Sättigung) mit Sauerstoff bezeichnet, d.h. sie gibt an, wie viel Prozent des Hämoglobins bei einem bestimmten Sau-erstoffangebot beladen sind. Ein Maß für die Affinität ist der O2-Druck, der eine Sättigung des Hämoglobins von 50% herbeiführt (Halbsättigungsdruck, P50). Er beträgt bei pH 7,4 und 37°C bei gesunden Erwachsenen 26,6 mmHg. Da bei der Sauerstoffanlagerung und -abgabe eine Farbän-derung des Hämoglobins auftritt (. Abb. 29.8), die für die unterschiedliche Färbung des Bluts in den Venen (dunkel-rot) und Arterien (hellrot) verantwortlich ist, lässt sich das Ausmaß der O2-Anlagerung mit Hilfe eines Spektralphoto-meters bequem quantitativ verfolgen. Man erhält dabei eine S-förmige Kurve (7 u.), die typisch für einen kooperativen Anlagerungsprozess ist. Das bedeutet, dass bei der Anlage-rung von vier Sauerstoffmolekülen an das Hämoglobinte-tramer das erste nur sehr langsam, das zweite und dritte schon wesentlich leichter und das vierte mehrere hundert Male schneller aufgenommen wird (»Der Appetit kommt beim Essen«.). Der biologische Vorteil des sigmoid(al)en Verlaufs der Sauerstoffanlagerungskurve liegt v.a. darin, dass Hämoglobin den Sauerstoff leicht bei dem im Bereich der Gewebezellen herrschenden niedrigen O2-Druck (15–30 mmHg im Kapillarbereich) abgeben kann. Im Fall einer

. Abb. 29.8. Spektralkurven menschlichen Hämoglobins. Links: Oxygeniertes Hämoglobin (rot), desoxygeniertes Hämoglobin (grün), Kohlenmonoxidhämoglobin (blau). Rechts: Oxygeniertes Hämoglobin (rot), Cyanmethämoglobin (grün) und Methämoglobin (blau)

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960 Kapitel 29 · Blut

29

hyperbolischen Anlagerungskurve (wie z.B. bei der iso-lierten -Kette) würde ein erheblicher Teil des transpor-tierten Sauerstoffs nicht an die Zellen abgegeben werden können.

! Temperatur, pH-Wert und CO2-Partial-Druck beeinflus-sen die Sauerstoffanlagerungskurve.

Die Sauerstoffanlagerungskurve wird durch die Tempera-tur, den pH-Wert, den CO2-Druck und andere Faktoren beeinflusst. Unter der Standard-O2-Kurve versteht man den Kurvenverlauf bei 37 bzw. 38°C (je nach Übereinkunft) und pH 7,4.4 Die Linksverlagerung dieser Kurve bedeutet eine Zu-

nahme der Sauerstoffaffinität, d.h. die O2-Aufnahme in den Lungen wird erleichtert, die O2-Abgabe in den Ge-weben erschwert

4 Die Rechtsverlagerung bedeutet Abnahme der Sauer-stoffaffinität, d.h. der Sauerstoff wird schwerer in den Lungen aufgenommen, aber besser in den Geweben abgegeben

Unter physiologischen Bedingungen stehen die Wirkungen von Änderungen des pH-Werts bzw. des CO2-Drucks im Blut auf die Sauerstoffaffinität des Hämoglobins im Vor-dergrund. Beide Einflüsse werden nach ihrem Entdecker Christian Bohr (dem Vater von Niels Bohr) als Bohr-Effekt zusammengefasst. Ob die nach CO2-Druckabnahme im Blut zu beobachtende Rechtsverlagerung der Sauerstoffan-lagerungskurve ausschließlich auf den gleichzeitig damit einhergehenden Abfall des pH-Werts (Henderson-Hassel-balch-Gleichung!, 7 Kap. 1.2.6) zurückzuführen ist oder ob außerdem eine spezifische Wirkung auf die O2-Affinität des Hämoglobins existiert, ist noch unklar. Die Erleichterung der O2-Abgabe im sauren und CO2-reichen Gewebebereich ist biologisch ebenso sinnvoll wie die verbesserte O2-Abga-be bei erhöhter Temperatur (z.B. beim arbeitenden Mus-kel). Typische Verlagerungen der O2-Anlagerungskurve des menschlichen Bluts können auch hervorgerufen wer-den durch4 infolge von Genmutationen veränderte Hämoglobine4 die Art des Hämoglobins (HbF oder HbA)4 die Hämoglobin- und Kationenkonzentrationen im

einzelnen Erythrozyten4 intraerythrozytäre Enzymdefekte (7 Kap. 29.2.4) sowie4 den Gehalt der Erythrozyten an 2,3-Bisphosphogylce-

rat, auf dessen Einfluss genauer eingegangen werden soll

! 2,3-Bisphosphoglycerat verlagert die Sauerstoffanlage-rungskurve nach rechts.

Die Sauerstoffaffinität des Hämoglobins nimmt nach Zu-satz von 2,3-Bisphosphoglycerat zu Hämoglobinlösungen zu; ebenso verlagert der Konzentrationsanstieg dieser Phosphate im Erythrozyten die Sauerstoffanlagerungs-kurve nach rechts (. Abb. 29.9). Erythrozyten enthalten

wesentlich mehr 2,3-Bisphosphoglycerat als andere Kör-perzellen. 2,3-Bisphosphoglycerat, das auf einem Neben-weg der Glycolyse gebildet und abgebaut wird (7 o.), ist im menschlichen Erythrozyten etwa in der gleichen mo-laren Kon zentration wie Hämoglobin und etwa in der vierfachen molaren Konzentration von ATP vorhanden. Durch Anlagerung des 2,3-Bisphosphoglyceratmoleküls an das desoxygenierte Hämoglobinmolekül wird die Sauerstoffaffinität von Hämoglobin herabgesetzt. Dies erleichtert die Sauerstoffabgabe in der peripheren Zirku-lation und gewährleistet eine bessere Sauerstoffversor-gung der Gewebe. 2,3-Bisphoglycerat besitzt die Funktion eines Signals und wird deshalb als Signalmetabolit be-zeichnet.

Der Erythrozyt besitzt mit diesem System einen Mecha-nismus zur Aufrechterhaltung der Sauerstoffversorgung der Gewebe unter veränderten äußeren Bedingungen: so kommt es beim Aufenthalt in Gebirgshöhen ab 4500 m zu einer erheblichen Steigerung der 2,3-Bisphosphoglycerat-konzentration, die sich etwa 50 Stunden nach Rückkehr ins Flachland wieder normalisiert. Gleichzeitig mit dieser 2,3-Bisphosphoglyceraterhöhung ist der Halbsättigungs-

. Abb. 29.9. Sauerstoffanlagerungskurven. Von links nach rechts: Hämoglobin in Abwesenheit von 2,3-Bisphosphoglycerat (BPG); Hämoglobin in Gegenwart von 40 mmHg CO2; Hämoglobin in Gegen-wart von 2,3-Bisphosphoglycerat; Hämoglobin in Anwesenheit von 2,3-Bisphosphoglycerat und CO2; Vollblut bei 40 mmHg CO2. Der pH-Wert der Hb-Lösung betrug 7,22 bei 50% O2-Sättigung. Der pH-Wert des Blutplasmas betrug 7,40 bei 50% O2-Sättigung, was einem pH-Wert von 7,22 innerhalb der Erythrozyten entspricht. (1 mmHg = 133,3 Pa)

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29.2 · Erythrozyten29961

druck erhöht, d.h. derjenige Sauerstoffpartialdruck im Blut, der Hämoglobin bei einem pH von 7,40 und einer Tempe-ratur von 37 bzw. 38°C zu 50% mit Sauerstoff sättigt (P50). Dies entspricht einer Rechtsverlagerung der Sauerstoff-anlagerungskurve. Der Organismus reagiert mit diesem Kompensationsmechanismus auch auf eine Änderung der zirkulierenden Erythrozytenmenge. Im Tierexperiment zeigen Affenerythrozyten bereits 24 Stunden nach Entnah-me von etwa 40% des Erythrozytenvolumens einen signifi-kanten 2,3-Bisphosphoglyceratanstieg mit entsprechender P50-Erhöhung. Die 2,3-Bisphosphoglyceraterhöhung bei Anämien soll – durch die dadurch bedingte Rechtsverlage-rung – zu einer Entlastung des Herzens führen, das sein Minutenvolumen (Lehrbücher der Physiologie) entspre-chend dem Hämoglobinverlust erhöhen müsste, um die Sauerstoffversorgung der Gewebe sicherzustellen. Mögli-cherweise führt aber weniger die Anämie als vielmehr eine intraerythrozytäre pH-Erhöhung zur 2,3-Bisphosphoglyce-ratvermehrung.

! Der intraerythrozytäre pH-Wert ist der wichtigste Regu-lator der 2,3-Bisphosphoglyceratkonzentration.

Bei den Änderungen des 2,3-Bisphosphoglyceratspiegels, die z.B. während einer Hypoxie (Sauerstoffmangel der Ge-webe), einer Alkalose (Zunahme des pH-Werts im Extra-zellulärraum) oder Azidose (Abfall des pH-Werts im Ex-trazellulärraum) auftreten, spielt der pH-Wert im Erythro-zyten die Schlüsselrolle (. Abb. 29.10).

Bei der Hypoxie führt der Sauerstoffmangel zu einer Hyperventilation mit vermehrtem Kohlendioxidverlust, sodass der pH-Wert des Bluts und der Erythrozyten an-steigt (Alkalose). Gleichzeitig bedingt die vermehrte Bil-dung von Desoxyhämoglobin mit der damit verbundenen Aufnahme von Protonen (7 Kap. 3.3.5) einen Anstieg des intraerythrozytären pH-Werts. Dies bewirkt die Abnahme der Konzentration von freiem 2,3-Bisphosphoglycerat, das bevorzugt an Desoxyhämoglobin bindet. Die Alkalisie-rung innerhalb des Erythrozyten führt über eine Akti-vierung der Phosphofructokinase zu einer Erhöhung der Glycolyserate, wodurch vermehrt 1,3-Bisphosphoglycerat entsteht. Demzufolge nimmt auch die Produktion von 2,3-Bisphosphoglycerat zu. Da die 2,3-Bisphosphoglycerat-

phosphatase durch einen pH-Anstieg gehemmt wird, tra-gen Hypoxie und Alkalose auch über eine Hemmung dieses Enzyms zu einem Konzentrationsanstieg bei. Auf der ande-ren Seite führt eine Azidose zu einer Erniedrigung der 2,3-Bisphosphoglyceratkonzentration.

Der durch diese Vorgänge vermittelte Anstieg der 2,3-Bisphosphoglyceratkonzentration während einer Hypoxie oder Alkalose wird offenbar durch einen Rückkoppelungs-prozess reguliert. Mit steigender Konzentration des nicht-permeablen 2,3-Bisphosphoglyceratanions sinkt der intra-erythrozytäre pH-Wert wieder ab. Der Abfall des pH-Werts wirkt also dem durch die Hypoxie hervorgerufenen pH-Anstieg entgegen, d.h. die erhöhte 2,3-Bisphosphoglycerat-biosyntheserate wird bei hohen 2,3-Bisphosphoglycerat-spiegeln wieder auf Normalwerte reduziert.

Wie oben dargelegt beeinflusst der Erythrozyten-pH-Wert nicht nur den 2,3-Bisphosphoglyceratstoffwechsel, sondern auch die Sauerstoffaffinität von Hämoglobin (Bohr-Effekt, 7 o., 7 Kap. 3.3.5). Ein Anstieg des pH-Werts verlagert die Sauerstoff-Anlagerungskurve nach links. Der gleiche Anstieg des pH-Werts verursacht jedoch einen An-stieg der 2,3-Bisphosphoglyceratkonzentration, der seiner-seits eine Verlagerung der Kurve in die Gegenrichtung, nämlich nach rechts, hervorruft. Es erscheint somit wahr-scheinlich, dass der 2,3-Bisphosphoglyceratmechanismus die pH-induzierte Änderung der Sauerstoffaffinität des Bluts bei chronischen Störungen des Säure-Basen-Haus-halts (7 Kap. 28.8.6) kompensiert.

! Im Bereich der Gewebekapillaren wird Kohlendioxid im Erythrozyten in Hydrogencarbonat überführt.

Das im Zellstoffwechsel produzierte Kohlendioxid gelangt in physikalischer Lösung in den interstitiellen Raum und diffundiert von dort in das Plasma der Gewebekapillaren. Unter Verwendung des molaren Löslichkeitskoeffizienten, der angibt, wie viel Millimol eines Gases sich in 1 Liter Flüs-sigkeit bei Einwirkung des Partialdrucks von 1 mmHg lö-sen, errechnet sich die physikalisch gelöste Konzentration bei einem CO2-Partialdruck im venösen (arteriellen) Be-reich von etwa 45 (39) mmHg mit 1,4 (1,2) mmol/l. Diese physikalisch gelöste Menge nimmt mit etwa 10% am Trans-port teil. Ein geringer Teil (etwa 0,1%) des Kohlendioxids wird zu Kohlensäure hydratisiert, die in Hydrogencarbonat

. Abb. 29.10. Mechanismus des Hypo-xie-induzierten Anstiegs des Erythro-zyten-2,3-Bisphosphoglyceratspiegels. BPG = Bisphosphoglycerat; PFK = Phos-phofructokinase. (Einzelheiten im Text)

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962 Kapitel 29 · Blut

29

und Protonen dissoziiert, wobei letztere von Plasmapuffern abgefangen werden. Die übrigen 90% werden in chemischer Bindung und als Hydrogencarbonat befördert. Aus dem Plasma diffundiert Kohlendioxid in den Erythrozyten und wird dort an Aminogruppen des Hämoglobins (wahr-scheinlich N-terminale Valylreste) in Form der Carbami-nobindung (10–15% des transportierten Kohlendioxids) gebunden. Die Reaktion verläuft nichtenzymatisch nach der Gleichung

Mit protonierten Aminogruppen (NH3+) bildet CO2 keine

Carbaminoverbindungen. Derartige Bindungen können auch mit Plasmaproteinen zustande kommen.

Der größere Teil des Kohlendioxids, der in die Erythro-zyten diffundiert ist, wird unter Katalyse der in den Ery-throzyten vorkommenden Enzyme Carboanhydrase I und II reversibel hydratisiert. Carboanhydrase II ist eines der schnellsten Enzyme: Pro Sekunde kann jedes Enzymmole-kül 106 CO2-Moleküle in Protonen und Hydrogencarbonat umwandeln. Da dadurch für Hydrogencarbonat ein Kon-zentrationsgefälle ins Plasma entsteht, diffundiert es aus dem Erythrozyten ins Plasma. Die frei werdenden Pro-tonen werden vom Hämoglobin aufgenommen, das bei der Sauerstoffabgabe in den Gewebekapillaren zu einer schwä-cheren Säure wird (Änderung des pK-Werts der Amino-gruppe von Valylresten und der Imidazolgruppe von His-tidylresten, 7 Kap. 3.3.5). Diese Abwanderung der Hydrogen-carbonatanionen als negative Ladungsträger würde die elektrische Neutralität zwischen Plasma und Erythrozyten stören, wenn nicht entweder die gleiche Menge Kationen ebenfalls aus dem Erythrozyten ins Plasma oder die gleiche Menge von Anionen aus dem Plasma in den Erythrozyten diffundieren würde. Da die Erythrozytenmembran für Kat-ionen im Gegensatz zu Anionen schlecht permeabel ist, muss ein Anion in den Erythrozyten diffundieren. Dazu bietet sich das im Plasma in hoher Konzentration vorlie-gende Chloridanion an. Dieser als Chloridverschiebung bezeichnete Austausch von Hydrogencarbonat- gegen Chloridionen erfolgt über den Anionenkanal, ein trans-membranäres Tetramer des Protein 3 (auch als Chlorid/Hydrogencarbonat-Anionen-Exchanger AE1 bezeichnet, . Abb. 29.6), und läuft bis zum Erreichen eines Gleichge-wichtes ab. Dadurch steigt im Plasma die Konzentration von Hydrogencarbonat an, das die wesentliche Transport-form (75–80%) von Kohlendioxid von den Geweben zu den Lungen darstellt. Die Carboanhydrasen bilden mit AE1 einen Komplex, sodass ein sog. Metabolon entsteht.

! Im Bereich der Lungenkapillaren wird Hydrogencarbo-nat über Kohlensäure zu Kohlendioxid überführt.

Im venösen Schenkel der Lungenkapillaren gerät das Blut mit dem CO2-Partialdruck der Alveolarluft in Kontakt, der durch das Atemzentrum (Lehrbücher der Physiologie) auf

40 mmHg eingestellt wird. Aus dem Blut diffundiert jetzt so viel CO2 in die Gasphase, bis die CO2-Konzentration wie-der 1,2 mmol/l beträgt. Das diffundierende Kohlendioxid stammt aus zwei Quellen: Zum einen werden aus den cova-lenten Carbaminobindungen der Plasmaproteine und des Hämoglobins wieder CO2-Moleküle freigesetzt, zum ande-ren laufen in den Erythrozyten die umgekehrten Vorgänge wie im Bereich der Gewebekapillaren ab: Die durch die Sauerstoffaufnahme stärkere Säure Oxyhämoglobin gibt Protonen ab, die mit Hydrogencarbonat zu Kohlensäure zusammentreten. Die Carboanhydrase beschleunigt die De-hydratisierung von Kohlensäure zu Kohlendioxid, das den Erythrozyten verlässt und durch das Plasma in den Alveo-larraum diffundiert. Da dadurch der Hydrogencarbonat-spiegel im Erythrozyten abfällt, diffundiert Hydrogen-carbonat aus dem Plasma nach, wobei die Erhaltung der Elektroneutralität wieder durch Chlorid, diesmal durch Abströmen durch den Anionenkanal ins Plasma, erfolgt.

Der größte Teil des CO2-Transports verläuft also unter Vermittlung des Erythrozyten, der durch den Besitz der Carboanhydrase im Bereich der Gewebekapillaren aus dem CO2 gut lösliches HCO3

– für das Plasma bereitstellt und im Bereich der Lungenkapillaren das Hydrogencarbonat wie-der in das auszuscheidende, gut diffusible Kohlendioxid zurückverwandelt. Da die Erythrozyten weniger als 1s in den Lungenkapillaren verweilen, würde diese Zeit für die nichtenzymatische Bereitstellung von CO2 nicht ausrei-chen.

! Täglich werden etwa 12 mol Kohlendioxid über die Lungen abgeatmet.

Unter Ruhebedingungen beträgt die Gesamtmenge Koh-lensäure in 1 Liter venösen Bluts 23,21 mmol, in derselben Menge arteriellen Bluts 21,53 mmol. Die Differenz von 1,68 mmol/l ist die Menge CO2, die in 1 Liter Blut von den Geweben zu den Lungen transportiert wird und dort aus dem Blut in die Lungenalveolen diffundiert. Da die Lungen von 5 Liter Blut/min durchströmt werden, werden in dieser Zeit 8,4 mmol CO2 abgegeben. Das bedeutet eine tägliche CO2-Abgabe von 12100 mmol unter Ruhebedingungen.

Wie die Gesamt-CO2-Menge im Blut auf Plasma und Erythrozyten verteilt ist, zeigt . Tabelle 29.3. Bei einem Hämatokrit von 40% (Plasma 60%, Erythrozyten 40%) beträgt die CO2-Konzentration in 600 ml venösen Plasmas 16,99 mmol, in derselben Menge arteriellen Plasmas 15,94 mmol. Die Differenz in Höhe von 1,05 mmol stellt die im Plasma von den Geweben zu den Lungen transportierte CO2-Menge dar. Sie beträgt 62% der transportierten Ge-samt-CO2-Menge (1,68 mmol). Von diesem Betrag werden nur 0,09 mmol in physikalischer Lösung und 0,96 mmol in Form von Hydrogencarbonationen transportiert.

Die Erythrozyten (400 ml) transportieren 0,63 mmol CO2 oder 38% der Gesamtmenge, d.h. der Großteil des CO2-Transports erfolgt im Plasma. Da aber die Hydrogen-carbonationen durch die intraerythrozytäre Carboanhy-

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29.2 · Erythrozyten29963

drase gebildet und die entstehenden Protonen durch Hä-moglobin abgepuffert werden, ist der Erythrozyt Vorausset-zung für den CO2-Transport.

Wie aus . Tabelle 29.3 weiterhin hervorgeht, ändert sich die negative Ladung der Plasmaproteine, da sie 0,09 mmol Protonen aufnehmen, die aus der im Plasma gebildeten Kohlensäure stammen. Die dabei gebildeten 0,09 mmol Hydrogencarbonationen verbleiben im Plasma. Weil die gesamte transportierte Hydrogencarbonationenmenge 0,96 mmol beträgt, müssen 0,87 mmol (0,96–0,09) aus den Erythrozyten ins Plasma übergetreten sein.

Die Bedeutung des Hämoglobins für den CO2-Trans-port ist aus dem unteren Teil von . Tabelle 29.3 zu ersehen: Da Hämoglobin 1,45 Einheiten negative Ladungen verliert, müssen in Erythrozyten 1,45 mmol Protonen gebildet und von Hämoglobinmolekülen aufgenommen worden sein. Davon entstehen 0,45 mmol bei der Bildung von Carbami-noverbindungen (R–NHCOO–+H+), der Rest bei der Hy-dratisierung von 1 mmol CO2 zu HCO3

– und Protonen. Die Protonen beider Gruppen werden von Hämoglobinmole-külen abgepuffert.

Da sich die Chloridkonzentration um 0,87 mmol än-dert, müssen von den 1 mmol entstandenen Hydrogencar-bonationen (7 oben) 87% ins Plasma übergetreten sein.

Das Entscheidende beim CO2-Transport ist, dass jedes CO2-Molekül, das zum Transport nicht physikalisch gelöst wird, nur unter Freisetzung von Protonen (durch Bildung von Hydrogencarbonationen und Carbaminoverbin-dungen) befördert werden kann. Die Funktion des Hämo-globins beim CO2-Transport liegt darin, dass es den we-sentlichen Teil der freigesetzten Protonen (1,45 mmol von 1,54 mmol; die restlichen 0,09 mmol werden von den Plas-maproteinen abgepuffert) aufnimmt.

Von den in . Tabelle 29.3 angegebenen Messgrößen sind nur der pH-Wert, die Gesamtmenge CO2 und der pCO2 messbar, während für die Bestimmung von Hydro-gencarbonationen und gelöstem CO2 keine direkten Mess-methoden existieren.

Sind die Gesamtmenge CO2 und der pH-Wert bekannt, so können nach der Gleichung von Henderson und Hassel-balch (7 Kap. 1.2.6) die Hydrogencarbonatkonzentration und der CO2-Partialdruck berechnet werden:

Da die Konzentration des gelösten CO2, die in der Glei-chung für die Summe aus CO2 und H2CO3 steht, dem CO2-Partialdruck direkt proportional ist, kann unter Verwen-dung des molaren Löslichkeitskoeffizienten für CO2 in der Gleichung statt [CO2]=[S·pCO2] gesetzt werden:

Da die Gesamtmenge CO2 im Plasma die Summe aus ge-löstem CO2 und Hydrogencarbonationen darstellt, kann bei bekannter Gesamt-CO2-Konzentration die Hydrogen-carbonatkonzentration folgendermaßen errechnet wer-den:

. Tabelle 29.3. Blutwerte des Probanden A.V.B. Konzentration des Hämoglobins = 8,93 mmol/l Blut (dieser Angabe liegt das Molekular-gewicht des Monomers mit 16,7 kD zugrunde), Hämatokrit = 40 %

Venös Artriell Differenz

Gesamt-CO2 [mmol/Blut] 23,21 21,53 + 1,68

Gesamt-CO2 im Plasma von 1 l Blut (= 600 ml) 16,99 15,94 + 1,05

davon: als gelöstes CO2 0,80 0,71 + 0,09

als HCO3–-Ionen 16,19 15,23 + 0,96

pH 7,429 7,455 – 0,026

Netto-negative Ladungen an Plasmaproteinen 7,80 7,89 – 0,09

Chloridionen 58,72 59,59 – 0,87

Gesamt-CO2 in der Erythrozyten von 1 l Blut (= 400 ml) 6,22 5,59 + 0,63

davon: als gelöstes CO2 0,39 0,34 + 0,05

als Carbamino- CO2 1,42 0,97 + 0,45

als HCO3–-Ionen 4,41 4,28 + 0,13

Netto-negative Ladungen am Hämoglobin 21,15 22,60 – 1,45

Chloridionen 18,98 18,11 + 0,87

Alle Angaben – mit Ausnahme des pH-Wertes (ohne Dimension) – in mmol/l.

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964 Kapitel 29 · Blut

29

Setzt man diesen Ausdruck für HCO3– in die obige Hender-

son-Hasselbalch-Gleichung ein, so entsteht:

Der pK-Wert, der von Bestimmungsmethode, Temperatur und pH-Wert abhängt, beträgt i. Allg. 6,10, der molare Lös-lichkeitskoeffizient für Plasma bei 37°C 0,0304.

Diese Gleichung enthält drei Unbekannte: den pH-Wert, die Gesamt-CO2-Konzentration im Plasma und den CO2-Partialdruck. Sind zwei dieser Größen bekannt, so kann die dritte berechnet werden. Da die Gesamtmenge CO2 im Plasma oft in Volumenprozent angegeben wird, muss sie unter Verwendung eines Umrechnungsfaktors vor Einset-zen in die Gleichung noch in mmol/l umgerechnet werden. Zur Berechnung der CO2-Verteilung im Plasma werden also in Plasmaproben arteriellen und venösen Bluts der pH-Wert und die Gesamtmenge CO2 bestimmt (. Tabel-le 29.4).

Nach der Umrechnung der Volumenprozente in mmol/l Gesamtmenge CO2 lassen sich aus der Henderson-Hassel-balch-Gleichung der CO2-Partialdruck und damit auch die Konzentration des gelösten Kohlendioxids sowie die Hy-drogencarbonatkonzentration errechnen oder aus speziel-len Nomogrammen (. Abb. 29.11) ablesen.

Da die Erythrozyten einen wesentlichen Anteil am CO2-Transport haben, kann auch die Verteilung des Koh-lendioxids im Gesamtblut, d.h. Plasma und Erythrozyten, durch einfache – an dieser Stelle nicht erwähnte – Berech-nungen ermittelt werden.

! Hämoglobin ist aufgrund seiner hohen Konzentration ein wichtiges Puffersystem im Blutplasma.

Nach dem Hydrogencarbonatpuffersystem (7 Kap. 1.2.6) ist das Hämoglobinprotein das wichtigste Puffersystem im

Blut, was auf die hohe Konzentration und die Histidylreste mit den günstigen pK-Werten (. Abb. 3.2, 7 Kap. 3.1.3) zu-rückzuführen ist. Wie bereits erwähnt (7 Kap. 3.3.5), führt die Oxygenierung des Hämoglobins zur Abgabe von Pro-tonen, die Desoxygenierung zu deren Aufnahme. Norma-lerweise kann das Hämoglobinprotein pro Mol abgege-benen Sauerstoff 0,7 mol Protonen aufnehmen. Das be-deutet, dass bei einem respiratorischen Quotienten (RQ, 7 Kap. 21.1.4) von 0,7 (Fettoxidation) alle durch den CO2-Abtransport anfallenden Protonen von Hämoglobinmole-külen aufgenommen werden können. Bei einem RQ von 1,0 (Kohlenhydratoxidation) können nur 70% gepuffert wer-den. Deshalb weist das venöse Blut bei normalem Stoff-wechsel (RQ>0,7) einen geringeren pH-Wert (= höhere Protonenkonzentration) als das arterielle auf.

! Hämoglobin kann auch mit Stickoxid reagieren.

Hämoglobin kann Stickoxid (NO) sowohl durch Bindung an das Hämeisen inaktivieren (unter Bildung von Methä-moglobin, siehe unten und Nitrat) oder reversibel an das Cystein in Position 93 der ß-Kette binden. Es wurde die Hypothese aufgestellt, dass NO bei fallender Sauerstoff-spannung in der Mikrozirkulation aus der Hämoglobin-bindung freigesetzt wird und die dadurch hervorgerufene

. Abb. 29.11. Nomogramm zur Ermittlung des CO2-Partial-drucks, des pH-Werts und der Plasmahydrogencarbonatkonzen-tration. Sind zwei dieser drei Größen bekannt, so kann die dritte abgelesen werden

. Tabelle 29.4. Berechnung von pCO2, [CO2]P und [HCO3–]P nach

Bestimmung des pH-Wertes und der Gesamtmenge CO2 in Plasma-proben arteriellen und venösen Blutes

Werte Venös Arteriell

Gemessen

pH-Wert 7,39 7,44

Gesamt-CO2 [Vol%] 62,0 59,4

Errechnet

Gesamt-COs [mmol/l] 27,8 26,7

pCO2 [mm Hg] 45 39

[CO2]P [mmol/l] 1,4 1,2

[HCO3–] [mmol/l] 26,4 25,5

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29.2 · Erythrozyten29965

Vasodilatation den Blutfluss in die Region des örtlichen Sauer stoffbedarfs dirigiert.

29.2.3 Erythrozyten-Antigene

! Die AB0- und Rhesussysteme sind die für Transfusionen wichtigsten Blutgruppenantigene.

Die Blutgruppenunterteilungen innerhalb einer Species kommen dadurch zustande, dass bestimmte Mitglieder der Species auf ihrer Erythrozytenoberfläche Antigene (7 Kap. 34.2.1) besitzen, die auf den Erythrozyten anderer Mitglieder derselben Species fehlen. Diese Antigene wer-den durch Serumantikörper entdeckt, die die Erythrozyten zur Agglutination (Zusammenballung) bringen. Die Blut-gruppenantigene kommen nicht nur auf Erythrozyten, sondern auch auf sehr vielen anderen Zelloberflächen und in Körperflüssigkeiten vor. Aber sie beschränken sich nicht nur auf den Menschen: Blutgruppen und blutgruppenähn-liche Verbindungen kommen bei allen Tieren und vielen Mikroorganismen vor. Deshalb werden diese Antigene als heterophile Antigene bezeichnet, d.h. es handelt sich um Antigene, die Affinität zu Antikörpern besitzen, die auf-grund ihrer Herkunft eigentlich nichts mehr mit dem be-treffenden Antigen zu tun haben dürften. So entwickeln z.B. Kaninchen, die mit Meerschweinchenniere immuni-siert wurden, hämolysierende Antikörper gegen Schafs-erythrozyten. Die Blutgruppenantigene heißen also nur deshalb so, weil sie zuerst an Erythrozyten entdeckt wor-den sind.

Beim Menschen sind vierzehn Blutgruppensysteme be-kannt, die aus mehr als hundert verschiedenen Blutgrup-penantigenen bestehen. Die am längsten bekannten sind das AB0-System (vor hundert Jahren entdeckt) und das Rhesussystem (vor fünfzig Jahren entdeckt).

Beim AB0-System werden Träger der Blutgruppe A, B oder AB unterschieden, in deren Serum die Antikörper Anti-B ( ), Anti-A ( ) bzw. keine Antikörper vorkommen. Bei Menschen mit der Blutgruppe 0 finden sich im Serum die Antikörper Anti-A und Anti-B (. Tabelle 29.5). Es gibt kein 0-Antigen: Gruppe-0-Erythrozyten besitzen das H-Antigen, die Bezeichnung Blutgruppe 0 wurde nur aus historischen Gründen beibehalten.

Die Produktion dieser Antikörper (Isoagglutinine) wird durch blutgruppensubstanzhaltige Bakterien der Darmflora stimuliert. Genetisch bedingt ist nur die Fähigkeit, Antikör-per mit einer derartigen Spezifität zu bilden. Die mensch-lichen Isoagglutinine sind also heterophile Antikörper. Das eigentliche antigene Stimulans, das bakterielle »Blutgrup-penantigen«, hat mit Erythrozyten der menschlichen Popu-lation nur zufällig die determinante Gruppe gemeinsam. Isoagglutinine kommen außer im Blut auch in der Tränen-flüssigkeit, im Vaginalsekret und im Speichel vor.

Klinische Bedeutung kommt den Blutgruppeneigen-schaften bei Erythrozytentransfusionen (Gefahr der hä-molytischen Reaktion infolge Transfusionen gruppenun-gleichen Bluts) und bei Unverträglichkeitserscheinungen (Inkompatibilität) der Blutgruppen von Mutter und Kind (fetale Erythroblastose) zu.

A- und/oder B-Antigene bzw. das H-Antigen kommen auf der Oberfläche wahrscheinlich aller Endothel- und vie-ler Epithelzellen sowie auf Erythrozyten, Thrombozyten, Leukozyten und Spermatozoen vor.

Bei diesen zellgebundenen Antigenen handelt es sich um Kohlenhydrate. Zusätzlich scheiden als Sekretoren be-zeichnete Individuen (etwa 80% der Population) wasserlös-liche Blutgruppensubstanzen aus, die in Urin, Speichel, Magensaft, Amnionflüssigkeit, Samenflüssigkeit, Cervical-schleim, in Ovarialzysten und im Meconium, dem ersten Stuhl des Neugeborenen, nachweisbar sind.

! Für die Biosynthese der ABH- Antigene sind Glycosyl-transferasen erforderlich.

Beim chemischen Aufbau der Blutgruppenantigene unter-scheidet man das Trägermolekül und die antigene Deter-minante (7 Kap. 34.2.1). Letztere wird entweder durch ein Oligosaccharid – an dessen Aufbau vier verschiedene Sac-charide teilnehmen können (Fucose, Galactose, N-Acetyl-D-Galactosamin, N-Acetyl-D-Glucosamin) – oder ein Protein gebildet. Die Kohlenhydrat-Antigene (ABH) sind covalent an Proteine und/oder Sphingolipide gebunden. Protein-An-tigene (z.B. das Rhesussystem) werden von Proteinen, Gly-coproteinen oder Proteinen mit GPI-Anker gebildet. Bei den Sphingolipiden besteht das Trägermolekül aus Ceramid (7 Kap. 2.2.4). Die primäre Alkoholgruppe stellt die Bin-dungsstelle für den Oligosaccharidanteil dar. Glycoproteine weisen einen Kohlenhydratanteil von bis zu 85% auf.

Die Biosynthese der oligosaccharidhaltigen Antigene erfolgt durch Glycosyltransferasen, durch die schrittweise Monosaccharide (. Abb. 29.12) an eine aus D-Galactose und N-Acetyl-D-Glucosamin bestehende Disaccharid-grundstruktur gehängt werden. Je nachdem, ob die beiden Zucker (1.3)- -glycosidisch oder (1.4)- -glycosidisch mit-einander verbunden sind, wird zwischen Typ-1- und Typ-2-Ketten unterschieden.

Wird an das Galactosemolekül der Grundstruktur ein Fucosylrest (1.2)- -glycosidisch durch eine -L-Fucosyl-transferase gebunden, so entsteht eine Struktur mit H-Spe-

. Tabelle 29.5. Das ABO-System (die prozentuale Verteilung in Mitteleuropa)

Blutgruppe Antigen auf Erythrozyten

Antikörper im Serum

A (40 %) A Anti-B (β)

B (16 %) B Anti-A (α)

AB (4 %) A und B –

0 (40 %) H Anti-A und Anti-B

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966 Kapitel 29 · Blut

29

zifität (. Abb. 29.12). Wird an diese H-Struktur N-Acetyl-galactosamin bzw. Galactose gekoppelt, so entstehen die A- und B-determinanten Gruppen.

! Wenige Basensubstitutionen ändern die Spezifität der A- und B-Glycosyltransferasen.

Die Gene der A- und B-Antigene unterscheiden sich nur um einige Basensubstitutionen unterscheiden, die zur Än-derung von vier Aminosäureresten führen. Dies ruft die Unterschiede in der Spezifität dieser beiden Transferasen hervor (. Abb. 29.13). Im H-Gen findet sich die Deletion einer Base, die zu einem vollständig unterschiedlichen,

. Abb. 29.12. Biosynthese der antigenen Determinanten der Blutgruppensubstanzen durch Glycosyltransferasen. Endständige Zuckersequenzen der Polysaccharidketten der Glycoproteine, die die

Spezifitäten »H«, »A« und »B« bestimmen (7 Text). GP = Glycoprotein; Gal = D-Galactose; GNAc = N-Acetyl-D-glucosamin; GalNAc = N-Ace -tyl-D-galactosamin; Fuc = L-Fucose

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29.2 · Erythrozyten29967

inaktiven Enzym führt, die das H-Antigen nicht mehr modifizieren kann. Dass diese Mutation Verbreitung fand, ist darauf zurückzuführen, dass sie für die betreffende Be-völkerung einen Selektionsvorteil brachte. Wahrschein-lich haben die seuchenhaften Infektionserkrankungen, wie z.B. die Pest, eine besondere Rolle dabei gespielt. Bei Popula-tionen, die mehrfach von Pestepidemien heimgesucht wurden, ist die Blutgruppe 0 zurückgegangen, während die Blutgruppe A offenbar einen Selektionsvorteil darstellte. Dies beruht wahrscheinlich darauf, dass die Pestbazillen über H-Antigene verfügen, die einen Nachteil für Blut-träger der Blutgruppe 0 darstellen, da bei der Bildung von Antikörpern gegen die Pestbazillen diese auch gegen die eigenen Blutgruppenantigene gerichtet sind. Überall dort,

wo die Pestzüge nur selten hinkamen (Alpen- und Pyre-näentäler, britische Inseln), überwiegt bei weitem die Blut-gruppe 0.

! Die Rhesusantigene werden von zwei Genen auf Chro-mosom 1 codiert.

Die Rhesusantigene werden nicht durch Kohlenhydrate, sondern durch Proteine codiert. Für die drei Antigene (CDE bzw. cde) werden nur zwei Gene benötigt. Das Rhe-sus D-Gen codiert für das D-Antigen mit 417 Aminosäu-ren, das für die rhesuspositive Blutgruppe verantwortlich ist. Rhesusnegative Individuen (dd) sind für eine Deletion der Rhesus D-Gensequenz homozygot. Das Rhesus CcEe-Gen ist mit dem Rhesus D-Gen homolog und unterscheidet sich in etwa 30 Aminosäurepositionen. Aus dem primären präRNA-Transkript entsteht durch alternierendes Spleißen entweder das normale Transkript mit 417 Aminosäuren, das für das Rhesus E/e-Antigen codiert, oder ein Protein mit 267 Aminosäuren, welches für das C/c-Antigen codiert. Rhesus E und Rhesus e unterscheiden sich durch eine Ami-nosäuresubstitution in Position 226 voneinander, Rhesus C und Rhesus c durch vier Aminosäuren (. Abb. 29.14). Rhe-susantigen-ähnliche Proteine sind in der Niere, Leber, Ge-hirn und Haut nachweisbar.

29.2.4 Pathobiochemie

Ein erhöhter Umsatz der Erythrozyten, der zu einer ver-kürzten Erythrozytenlebenszeit führt, wird als Hämolyse

. Abb. 29.13. Struktureller Aufbau der Membran verankerten A- und B-Glycosyltransferasen. Die Gene beider Enzyme unterscheiden sich durch Codons für vier Aminosäuren, von denen zwei (266 und 268) die Substratspezifität bestimmen. Eine Deletion im Codon für die Aminosäure 87 führt zu einem Rasterschub und damit Verlust der Enzymaktivität, was die 0-Spezifität bedingt

. Abb. 29.14. Codierung der Antigene des Rhesussystems durch das Rh D-Gen und das Rh CcEe-Gen. Beide Gene codieren für struk-turell verwandte Membranproteine mit jeweils 417 Aminosäuren, wobei beim Rh CcEe-Gen durch alternierendes Spleißen ein zweites verkürztes Protein mit 267 Aminosäuren entsteht. Vier Aminosäure-

substitutionen (16, 60, 68 und 103) sind für die Unterschiede zwischen C und c verantwortlich, eine (226) für den Unterschied zwischen E und e. Bei rhesusnegativen Personen wird das Rh D-Gen durch eine Muta-tion nicht exprimiert

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968 Kapitel 29 · Blut

29bezeichnet. Der Hämolyse können Störungen des Enzym-stoffwechsels, der Membran oder des Hämoglobins zu-grunde liegen.

! Glucose-6-phosphat-Dehydrogenasemangel schützt vor Malaria.

Von allen Enzymen des Erythrozytenstoffwechsels sind kongenitale Anomalien bekannt, von denen die wichtigste der Glucose-6-phosphat-Dehydrogenase(G6PD)-Defekt ist. Als Folge dieser Störung des Pentosephosphatwegs, von der weltweit ca. 400 Millionen Menschen betroffen sind, kann es zu einer Beeinträchtigung der Produktion von Glu-tathion kommen, das zum Schutz des Hämoglobins vor einer Oxidation benötigt wird. Heute sind über 400 G6PD-Varianten bekannt, von denen aber nur wenige eine Hämo-lyse verursachen. Die meisten Betroffenen haben deshalb keine klinischen oder biochemischen Zeichen einer Hämo-lyse; erst wenn auslösende Mechanismen wie eine Infek-tion, bestimmte Medikamente (wie z.B. das Sulfonamid Cotrimoxazol oder das Antiandrogen Flutamid) oder der Genuss von Acker- oder Saubohnen einen oxidativen Stress verursachen, werden die Genträger symptomatisch. Boh-nen enthalten Glycoside, deren Abbauprodukte freie Sauer-stoffradikale generieren. Diese führen zur Oxidation von SH-Gruppen im Hämoglobin, das in Monomere dissoziiert und in den Erythrozyten präzipitiert. Entstehende Ein-schlüsse in den Erythrozyten sind im Blutausstrich erkenn-bar. Genträger der G6PD-Mutationen haben einen Schutz vor Malaria, was die weite Verbreitung der Mutationen in Malariagebieten erklärt.

! Auch angeborene Membrandefekte können eine Hä-molyse verursachen.

Die hereditäre Elliptozytose ist eine heterogene Gruppe von Erkrankungen, die morphologisch durch ovalgeformte Erythrozyten gekennzeichnet ist (. Abb. 29.15). Ursache ist das Fehlen des Proteins 4.1, das zu einer Störung der Mem-branintegrität des Erythrozyten und damit zur Hämolyse führt. Bei der häufigen hereditären Sphärozytose (1 auf 2500 Menschen in Nordeuropa) liegt ebenfalls eine Störung der Architektur des Erythrozytenmembranskeletts vor [De-fekt im Spectrinmolekül, Ankyrin, Bande 3 oder Protein 4.2]. Dadurch ist die Assoziation mit den anderen Membran-skelettproteinen gestört, sodass der Erythrozyt Kugelform annimmt und deshalb Sphärozyt heißt (. Abb. 29.15). Die-se veränderten Erythrozyten werden bereits nach zehntä-giger (!) Lebensdauer durch Phagozytose in der Milz aus dem Blut entfernt. Kann das Knochenmark den schnellen Abbau durch eine vermehrte Erythrozytenbildung ausglei-chen, so liegt eine kompensierte Hämolyse vor. Erleidet dagegen ein Betroffener zusätzlich einen Infekt, so kann das Knochenmark diese Kompensation nicht mehr bewerkstel-ligen, sodass der Erythozytenwert abfällt (dekompensierte hämolytische Anämie). Bei dauerhafter Dekompensation besteht die Therapie in einer Entfernung der Milz, wodurch die Lebensdauer der Sphärozyten bis auf 80 Tage erhöht werden kann.

! Bei der erworbenen paroxysmalen nächtlichen Hämo-globinurie liegt eine somatische Mutation in dem Gen für die Synthese eines GPI-Ankerproteins vor.

Patienten mit dieser erworbenen Stammzellerkrankung lei-den an häufig nachts auftretenden hämolytischen Attacken, die immer wieder ein Ausmaß annehmen, dass sich der Urin dunkel verfärbt. Die Verfärbung ist auf freies Hämo-globin zurückzuführen, das in so großen Mengen anfällt,

. Abb. 29.15. Rasterelektronenmikros ko-pische Aufnahmen von Erythrozyten. Hereditäre Elliptozytose (oben), Sphäro zytose (unten)

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29.2 · Erythrozyten29969

dass es durch Haptoglobin nicht mehr gebunden werden kann und deshalb in den Urin übertritt.

Ursache der Hämolyse der von der Mutation (siehe un-ten) betroffenen Erythrozyten ist eine besondere Empfind-lichkeit gegenüber dem Angriff durch das Komplement-system (7 Kap. 34.4). Bereits normale Erythrozyten sind ständig durch die zellzerstörenden Komplementfaktoren bedroht, die sich auf der Erythrozytenoberfläche ansam-meln, wenn sie durch Antikörper und Bakterienprodukte aktiviert worden sind.

Zur Abwehr dieses lytischen Angriffs besitzen Erythro-zyten drei membranverankerte Proteine:4 den zerfallbeschleunigenden Faktor (Decay-accelera-

ting-factor, DAF),4 den Membraninhibitor der reaktiven Lyse (CD59)

und4 ein C8-bindendes Protein.

Die von der Erkrankung betroffenen Erythrozyten sind ex-trem empfindlich gegenüber dem Komplementsystem, da ihnen diese drei schützenden Proteine fehlen. Allen drei Proteinen ist gemeinsam, dass sie nicht mit Hilfe einer transmembranären Proteindomäne, sondern über einen Glycosyl-Phosphatidyl-Inositol-Anker in der Membran verankert sind. Bei der PNH erwirbt eine Stammzelle im Knochenmark eine Mutation im Gen für die Synthese eines Glycosyl-Phosphatidyl-Inositolankers. Bei der PNH liegen verschiedene Mutationen im GPI-A-Gen vor, welches für das erste Enzym der GPI-Synthese codiert. Damit fehlt den drei oben genannten Proteinen ihr Membrananker. Im Ge-gensatz zu Keimbahnmutationen, die für die angeborenen Enzym- und Membrandefekte des Erythrozyten verant-wortlich sind, liegt bei der PNH eine erworbene, gene-tische Störung vor. Sie kommt durch eine somatische Mu-tation in einer Knochenmarksstammzelle zustande. Der betroffene Zellklon übergibt diese Mutation an all seine Ab-kömmlinge, d.h. Erythrozyten, Leukozyten und Thrombo-zyten. Diese mutierten Zellen existieren gleichzeitig mit den normalen Blutelementen, wodurch ein hämatolo-gisches Mosaik entsteht, bei dem das Verhältnis von ge-störten zu normalen Erythrozyten im Blut den Schweregrad der Krankheit bestimmt.

! Durch die ständige Gegenwart von Glucose entsteht Glycohämoglobin auf nichtenzymatischem Weg.

Ein Glucose enthaltendes Hämoglobin (HbA1c) ist in einer Konzentration von 4–6% im Erythrozyten nachweisbar. Dieses Glycohämoglobin ist bei Diabetikern häufig erhöht und dient zur Bewertung der Einstellung des Diabetes mel-litus (7 Kap. 26.4).

! Verschiedene Medikamente begünstigen die Bildung von Methämoglobin.

Wird das zweiwertige Eisen im Hämoglobin zu dreiwer-tigem oxidiert, so kann das entstandene Methämoglobin

(Hämiglobin) keinen Sauerstoff mehr transportieren. In vivo wie in vitro kann Methämoglobin durch Einwirkung von Oxidationsmitteln wie Kaliumferricyanid, Wasserstoff-peroxid oder aromatische Nitro- und Aminverbindungen (Nitroglycerin, Anilin) entstehen. Im Erythrozyten entsteht Methämoglobin ständig durch die Anlagerung des Sauer-stoffs an Hämoglobin. Bei diesem als Autoxidation bezeich-neten Vorgang führt die Übernahme eines Elektrons von Eisen zur Bildung von Methämoglobin und dem Super-oxidanion (O2

–). Dass die Methämoglobinkonzentration i. Allg. 1–2% nicht überschreitet, ist auf eine intraerythrozy-täre NADH-abhängige Methämoglobinreduktase zurück-zuführen. Das Superoxidanion wird durch eine Superoxid-dismutase zu H2O2 reduziert und anschließend durch die in Kapitel 15.3 erwähnte Peroxidase zu H2O und O2 entgiftet. Ist die Aktivität der Methämoglobinreduktase – wie bei der familiären Methämoglobinämie – stark vermindert, so kann das ständig gebildete Methämoglobin nicht mehr ausrei-chend reduziert werden, sodass die Konzentration bis auf 30% ansteigt. Folge der dadurch verursachten mangelnden Sauerstoffversorgung der Gewebe ist eine Vermehrung der Erythrozyten im Blut (reaktive Polyzythämie). Bestimmte Medikamente mit Anilinderivatcharakter (siehe oben) wie Dapson, ein Lepramittel, sind Methämoglobinbildner. Bei Vergiftungen (Met-Hb>40%) wird ein Reduktionsmittel (Toloniumchlorid) als Antidot intravenös verabreicht, in schweren Fällen sind Austauschtrans fusionen erforderlich.

! Hämoglobin besitzt eine 300-fach höhere Affinität zu Kohlenmonoxid als zu Sauerstoff.

Kohlenmonoxid (CO) ist ein giftiges Gas, das durch unvoll-ständige Verbrennung organischer Verbindungen entsteht. Die Toxizität dieses farb- und geruchlosen Gases kommt dadurch zustande, dass es sich an Stelle des Sauerstoffs an das Hämoglobinmolekül anlagert und so den Sauerstoff-transport blockiert. Da die Affinität des Hämoglobinmole-küls zu Kohlenmonoxid rund 300mal so hoch ist wie zu Sauerstoff (. Abb. 29.16), führen schon geringe Mengen dieses Gases zu einer starken Reduktion der Sauerstoff-transportfähigkeit des Bluts. Die daraus resultierende Hy-poxie (Sauerstoffmangel der Gewebe) wird noch dadurch verstärkt, dass Kohlenmonoxid eine Linksverlagerung der Sauerstoffanlagerungskurve (7 o.) bewirkt, sodass die Ab-gabe des noch transportierten Sauerstoffs im Bereich der Gewebe erschwert ist. Erst durch diesen Umstand wird es verständlich, dass eine CO-Vergiftung, die mit 60% CO-Hämoglobin einhergeht, eine tödliche Bedrohung darstellt, während eine Anämie mit 40% des normalen Hämoglobin-gehalts durchaus mit dem Leben vereinbar ist. Daneben blockiert Kohlenmonoxid auch Myoglobin und andere ei-senhaltige Proteine. Wegen der reversiblen Anlagerung des Kohlenmonoxids an den Porphyrinanteil des Hämoglobins kann das CO-Hämoglobin durch hohe Sauerstoffdrucke in O2-Hb überführt werden. Vergiftete sind deshalb schnell aus dem Kohlenmonoxid-haltigen Milieu (z.B. Abgasen in

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970 Kapitel 29 · Blut

29Garagen) zu bringen und mit Sauerstoff zu beatmen. Bei Zigarettenrauchern findet man im Durchschnitt 4–9%, bei stärkeren Rauchern auch Werte bis zu 15% CO-Hämo-globin (!).

! Die Thalassämien kommen durch quantitative Stö-rungen der Globinkettenproduktion zustande.

Bei den Thalassämien ist die Biosynthese eines der beiden Kettentypen des Hämoglobins in den Erythroblasten des Knochenmarks gestört. Die homozygote Form (Thalassä-mia major) hat früher bereits im Kindesalter zum Tode ge-führt, heute hat die Lebenserwartung der Patienten auf-grund verbesserter Kenntnisse über die Erkrankung deut-lich zugenommen. Genträger, also Individuen, die die heterozygote Form (Thalassämia minor) aufweisen, haben eine mikrozytäre Anämie, die keine Symptome verursacht. Aus diesem Grunde besitzen die Identifizierung von Gen-trägern und genetische Beratung für die Familienplanung von Betroffenen eine große Bedeutung.

α-Thalassämien. Deletionen treten häufiger in der -Globinfamilie auf, da der gesamte Komplex Sequenzhomo-logien aufweist und die Verdoppelung der - und -Gene (. Abb. 29.17) die Wahrscheinlichkeit der Fehlanlagerung während der Meiose erhöhen kann. Eine ungleiche Über-kreuzung kann zu Chromosomen mit einer Überzahl oder verringerten Anzahl von -Genen führen. Die Tatsache, dass vier -Gene (jeweils zwei auf jedem Chromosom 16) existieren, erklärt, warum -Thalassämien i. Allg. weniger dramatisch verlaufen als -Thalassämien (. Abb. 29.17). Die homozygote -Thalassämie, die zum Hydrops fetalis (Morbus haemolyticus neonatorum) und zum Tod in utero führt, beruht auf einer Deletion aller vier Globingene. Die Hämoglobin-H-Erkrankung, eine milde, hypochrome, hä-

molytische Anämie, ist in vielen Fällen auf die Deletion von drei -Genen zurückzuführen. Die beiden heterozygoten Zustände werden durch die Deletion von einem oder zwei

-Genen verursacht. Durch die Störung der Biosynthese der -Ketten ist nicht nur die Produktion von HbA1, sondern

auch von HbA2 und HbF verringert. Beim Embryo treten die überschüssigen -Ketten wegen der eingeschränkten -Kettenbiosynthese zu γ4-Tetrameren (Hb 4 oder HbBart) zusammen. Da nach der Geburt die -Ketten durch -Ket-ten ersetzt werden, bilden -Ketten, die keine -Ketten zur Bildung des normalen 2 2-Hämoglobins finden, β4-Te-tramere (HbH). HbBart und HbH zeigen keinen Bohr-Ef-fekt mehr, sind unstabil und neigen zu Verklumpungen, wodurch die normale Lebensdauer der Erythrozyten, die bizarre Formen aufweisen können, herabgesetzt wird.

β-Thalassämien. Im Gegensatz zur -Thalassämie wird die -Thalassämie erst einige Wochen oder Monate nach der Geburt manifest, wenn die -Ketten durch -Ket-ten ersetzt werden. Da die Biosynthese dieser Ketten jedoch reduziert ist ( +) oder überhaupt nicht stattfindet ( °), tre-ten überschüssige -Ketten mit – auch im Erwachsenenal-ter bei der -Thalassämie weiter synthetisierten – - oder

. Abb. 29.17. Erscheinungsformen der α-Thalassämien. Alle vier Genloci werden gleich stark exprimiert. Die Existenz von vier a-Genen erklärt, warum die a-Thalassämien i. Allg. – mit Ausnahme der homo-zygoten Form – klinisch weniger dramatisch verlaufen als die -Tha-lassämien. Der Verlust von 1, 2 oder 3 Genen wird zumindest teilweise durch die übrigen kompensiert

. Abb. 29.16. Bindung von Kohlenmonoxyd bzw. Sauerstoff an Hämoglobin. Die Kurven zeigen, zu welchem Prozentsatz das Hämo-globin bei einem bestimmten Gasangebot (Sauerstoff bzw. Kohlen-monoxid) mit dem betreffenden Gas beladen ist. Aufgrund der hohen Affinität des Hämoglobins zu Kohlenmonoxid führen schon sehr geringe CO-Drucke zu einer 100%igen Sättigung des Hämoglobins, die beim Sauerstoff erst bei Drucken von etwa 120 mmHg erreicht wird. (1 mmHg = 133,3 Pa)

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29.2 · Erythrozyten29971

-Ketten zusammen, wodurch bei der heterozygoten Form der Prozentsatz von HbA2 ( 2 2) auf 4–6% (normal 2–3%) und von HbF ( 2 2) auf 0,5–6% (normal nicht vorhanden) erhöht ist. Es werden keine 4-Tetramere gebildet.

Die Instabilität der Erythrozyten von Patienten mit Thalassämien ist zumindest teilweise dadurch bedingt, dass freie - und -Ketten wesentlich rascher als im Tetramer-verband des normalen Hämoglobins autoxidieren. Dadurch wird entsprechend mehr Superoxidanion gebildet und die Kapazität des Dismutasesystems überschritten, sodass Schäden an der Erythrozytenmembran durch die Peroxida-tion von Membranlipiden und SH-Gruppen von Proteinen resultieren. Die vermehrte Produktion von HbA2 und HbF reicht jedoch nicht zur Kompensation der verringerten -Globinsynthese aus. Gleichzeitig wird die Erythropoiese erheblich gesteigert (bis zum Faktor 10), aufgrund des Überschusses an -Ketten ist sie jedoch ineffektiv, d.h. die erythrozytären Vorläufer gehen im Knochenmark durch Apoptose (7 Kap. 7.1.5) zugrunde. Als wesentliche Kom-plikation der homozygoten bzw. gemischt-heterozygoten schweren Form der Thalassämie tritt aufgrund der ineffek-tiven Erythropoiese eine Überladung des Organismus mit Eisen (sekundäre Eisenüberladung) auf: der bei den Pa-tienten zu beobachtende Abfall des Hepcidinspiegels führt dazu, dass im Gastrointestinaltrakt vermehrt Eisen resor-biert wird. Dadurch kommt es zu einer Eisenakkumula-tion mit konsekutiver Funktionsstörung von Herz, Leber und endokrinen Organen.

! Punktmutationen in Exonbereichen der Globingene führen zu qualitativ veränderten Hämoglobinen.

Abweichungen der normalen Sequenz der Globinketten werden bei etwa jedem 600sten Menschen beobachtet. In-wieweit der Austausch einer Aminosäure Einfluss auf die Struktur und Funktion des Hämoglobins besitzt, hängt da-von ab, welcher Art die Substitution ist (z.B. Austausch ei-ner hydrophoben durch eine hydrophile Aminosäure), und ob die ausgetauschte Aminosäure an der Oberfläche oder im Inneren des Moleküls liegt. Hämoglobinanomalien wer-den autosomal-rezessiv vererbt. Bei heterozygoten Trägern, die zur Hälfte ein normales und ein pathologisches Hämo-globin besitzen, reicht die Menge des normalen Hämoglo-bins zur Sauerstoffversorgung der Gewebe aus, während bei homozygoten Trägern schwere Anämien und in vielen Fäl-len der Tod eintreten. Die anomalen Hämoglobine werden

mit den großen Buchstaben des Alphabets oder mit dem Klinik-, Ortschafts- oder Patientennamen bezeichnet, der mit ihrer erstmaligen Beschreibung in Zusammenhang steht (. Tabelle 29.6). Die Mutation wird entweder auf DNA-Ebene (z.B. GAG GTG) oder Proteinebene ( 6Glu Val oder Glu6Val) beschrieben, d.h. in diesem Fall ist der Glutamylrest in Stellung 6 der -Ketten durch einen Valylrest ersetzt.

! Das Sichelzellgen schützt heterozygote Träger vor einer Malariainfektion.

Bei der homozygoten Form der Sichelzellkrankheit (HbS/HbS) kommt es im peripheren, d.h. sauerstoffarmen Blut zum Auftreten sichelförmiger Erythrozyten. Ursache ist eine Polymerbildung des desoxygenierten HbS, die durch die Substitution des hydrophilen Glutamats durch das hy-drophobe Valin in Position 6 an der Oberfläche der ß-Kette zustande kommt (HbS = 2 26Glu Val). Die Sichel-Ery-throzyten adhärieren in der postkapillären Venule der Mi-krozirkulation und führen dort zu einem (schmerzhaften) Gefäßverschluss. Weiterhin werden die irreversibel geschä-digten Erythrozyten rasch abgebaut, sodass eine Anämie entsteht.

Der Selektionsvorteil heterozygoter Träger der HbS-An-lage beruht darauf, dass Erythrozyten, die den Malariapara-siten enthalten, sehr viel leichter als nicht infizierte Zellen sicheln, da sie einen niedrigeren pH-Wert aufweisen. Mit dem Sicheln im sauerstoffarmen Blut ist die Aktivierung des Kalium-Efflux-Kanals verbunden, der zum Verlust von Ka-liumionen und dadurch zum Tod des Parasiten führt.

. Tabelle 29.6. Genetische Störung der Aminosäuresequenz von Hämoglobinen (Auswahl aus über 250 bekannten Varianten)

Hämoglobin Substitution Resultierende Störung

HbS 6 Glu Val Sichelzellbildung

Chesapeake 92 Arg Leu O2-Affinität erhöht

Seattle 70 Ala Asp O2-Affinität reduziert

Nagoya 97 His Pro instabil mit Hämolyse

Barcelona 94 Asp His Erythrozytose (Polyzythämie)

Iwate 87 His Tyr Methämoglobinbildung mit Zyanose

In Kürze

Erythrozyten sind für den Transport von Sauerstoff und Kohlendioxid im Blut verantwortlich. Die Nieren messen den peripheren Sauerstoffgehalt über den Hypoxie indu-zierbaren Faktor (HIF) und regulieren die Erythrozytenpro-duktion im Knochenmark über Erythropoietin. Der Ery-

throzyt bezieht seine Energie aus der ausschließlichen Ver-stoffwechselung von Glucose. Diese Energie wird zur Aufrechterhaltung von Ionengradienten und zum Schutz vor oxidativem Stress benötigt. Erythrozyten sind formflexi-bel und besitzen eine komplex aufgebaute Membran. Ver-

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schiedene angeborene Enzym- oder Membrandefekte führen zum frühzeitigen Abbau (Hämolyse), der bei unzu-reichender Kompensation durch eine Steigerung der Ery-thopoiese eine Anämie hervorrufen kann.

Bei der erworbenen paroxysmalen nächtlichen Hä-moglobinurie wird ein GPI-Ankerprotein nicht mehr ge-bildet, sodass die Erythrozyten besonders empfindlich gegenüber Komplementfaktoren werden.

Hämoglobin transportiert Sauerstoff, Kohlendioxid, Protonen und möglicherweise auch Stickoxid.

Bei der Geburt erfolgt eine Umschaltung vom fetalen auf das Erwachsenen-Hämoglobin mit veränderten funk-tionellen Eigenschaften.

Die Sauerstoffanlagerungskurve wird durch Tempera-tur, pH-Wert, CO2-Druck und 2,3-Bisphosphoglycerat be-einflusst.

Hämoglobin stellt aufgrund seiner hohen Konzentra-tion ein wichtiges Puffersystem dar. Längerfristige Erhö-

hungen des Plasma-Glucosespiegels erhöhen die Glyco-hämoglobinkonzentration im Erythrozyten.

Letale CO-Vergiftungen beruhen auf der extrem hohen Affinität von Kohlenmonoxid zu Hämoglobin.

Die Thalassämien kommen durch quantitative Stö-rungen der Globinkettenproduktion zustande.

Punktmutationen in Exonbereichen der Hämoglobin-ketten führen zu Hämoglobinopathien: die häufigste ist die Sichelzellanämie, die im heterozygoten Zustand vor Malaria schützt und im homozygoten Zustand zu Gefäßverschlüs-sen und Anämie führt.

Die unterschiedlichen Blutgruppenantigene A, B und 0 (auch als H bezeichnet) werden durch die individuell unter-schiedliche Ausstattung mit Glycosyltransferasen ver-ursacht. Die Rhesusantigene werden nicht durch Kohlen-hydrate, sondern durch Proteine codiert.

29.3 Leukozyten

29.3.1 Funktion und Stoffwechsel der Leukozyten

Je nach Gestalt, Funktion und Biosyntheseort unterscheidet man Granulozyten, Lymphozyten und Monozyten. Da nur 1% der Lymphozyten in der Blutbahn kreist, ist der Lym-phozyt streng genommen eine Gewebezelle und wird des-halb im Kap. Immungewebe (7 Kap. 34) besprochen.

! Die Granula neutrophiler Granulozyten enthalten eine Vielzahl verschiedener Enzyme.

Unter den Granulozyten (neutrophile, eosinophile und ba-sophile) kommt den Neutrophilen eine Schlüsselstellung bei der Infektabwehr zu. Die neutrophilen Granulozyten – auch als polymorphkernige Leukozyten bezeichnet – pha-gozytieren stark, sind reich an in Granula (Name!) ver-packten Hydrolasen [Proteasen wie Elastase (7 Kap. 6.2.7), Kollagenase oder Kathepsin G; Lysozym (Muraminidase, 7 Kap. 4.3)] und können mit diesen und anderen Enzymen Bakterien auflösen. Bei der Reifung im Knochenmark macht der Granulozyt mehrere Phasen durch, wobei ab der zweiten Phase (also mit Ausnahme der Myeloblasten, die noch keine Granula besitzen) das Enzym Myeloperoxidase (7 u.) nachgewiesen werden kann. Während des Reifungs-prozesses nimmt die Anzahl der Mitochondrien ab, wäh-rend Glycogenspeicherung und Glycolyserate zunehmen. Der Energiegewinn durch Glycolyse bietet dem Granulo-zyten insofern einen Vorteil, als mit Hilfe dieses Stoffwech-selwegs Energie auch unter anaeroben Bedingungen wie im hypoxischen, entzündeten Gewebe gewonnen werden kann.

! Neutrophile Granulozyten müssen an das Endothel adhärieren, bevor sie die Zirkulation verlassen.

Die Adhäsion und die sich daran anschließende Wande-rung durch das Endothel finden vor allem in den postka-pillären Venolen statt. Dieser Prozess ist mit charakteris-tischen Änderungen der Granulozytenmorphologie ver-bunden. Der schwimmende Granulozyt gerät zuerst in kurzen Kontakt mit der Gefäßwand, verlangsamt darauf-hin seine Bewegung und rollt sich am Endothel entlang. Einige Zellen lösen sich wieder von der Gefäßwandober-fläche, wohingegen andere zu einem Stillstand kommen und ihre Gestalt innerhalb von Sekunden ändern, indem sie eine abgeflachte, adhärente Struktur annehmen. Inner-halb der nächsten Minuten wandern die Zellen zwischen den Endothelzellen hindurch in das Gewebe (. Abb. 29.18). Der entscheidende Faktor für die Rekrutierung dieser Gra-nulozyten sind Wechselwirkungen zwischen den Zellen und dem Endothelium. Für das Andocken an die Endo-theloberfläche sind lektinähnliche, Kohlenhydrat-bin-dende Proteine, die sog. Selectine (7 Kap. 6.2.6) verant-wortlich.4 L-Selectin findet sich auf den meisten Leukozyten4 wohingegen E-Selectin von Endothelzellen nach Akti-

vierung durch Cytokine synthetisiert und exprimiert wird

4 P-Selectin wird vom aktivierten Endothel und von Thrombozyten (Plättchen) exprimiert

Jedes dieser Selectine erkennt spezifische Kohlenhydratse-quenzen auf Leukozyten (so z.B. E-Selectin das sLex-Mole-kül) oder dem Endothel. Selectine sind für diese Ando-ckungsfunktion gut geeignet, da sie lang ausgestreckt sind, sodass Leukozyten, die den entsprechenden Rezeptor auf-

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29973

weisen, eingefangen werden können. Die vorübergehende Natur dieser Wechselwirkung ist wichtig, da Leukozyten das Endothel auf spezifische Auslösefaktoren absuchen können, welche zu einer Aktivierung der Leukozyten und damit zu einer Auswanderung in entzündete Gewebe füh-ren. Fehlen solche Faktoren, so führt die nur leichte Bin-dung an Selectine zu einer schnellen Lösung, sodass die Leukozyten im Blut weiterschwimmen können. Die feste Anhaftung an das Endothel wird durch Adhäsionsmoleküle vermittelt, die als Integrine bezeichnet werden (7 Kap. 6.2.6, 24.5.3). Dazu gehören die 2-Integrine LFA-1 (Lym-phozytenfunktion assoziiertes Antigen, CDLFA/CD 18), MAC-1 (Leukozyten-Adhäsionsrezeptor, CD 11 B/CD 18) und das 1-Integrin VLA-4, die am CAM-Molekül (7 Kap. 6.2.6) wie ICAM-1 oder 2 an Endothelzellen binden (. Abb. 29.18). Diese Integrine auf zirkulierenden Leukozyten bin-den nur dann gut an Endothelien, wenn ihre Bindungsak-tivität durch Aktivierung erhöht wird. Diese Aktivierung erfolgt durch Signale, die vorwiegend von Endothelzellen freigesetzt werden und als chemotaktisch aktive Cytokine (Chemokine wie z.B. Interleukin-8) bezeichnet werden. Nach Adhäsion an das Endothel wandern Leukozyten unter dem Einfluss von Chemokinen in das Gewebe. Dazu gehören auch Fragmente des Komplementsystems wie C5a (7 Kap. 34.4) oder das Leukotrien B4. Unter dem Einfluss lokal gebildeter Entzündungsfaktoren, wie z.B. Tumor-

nekrose faktor (7 Kap. 25.8.2) oder Interleukin-1 werden interzelluläre Adhäsionsmoleküle (wie z.B. ICAM-1) auf Endothelzellen verstärkt exprimiert, sodass noch mehr Leukozyten aus dem Blutstrom rekrutiert werden kön-nen.

Auf chemotaktische Reize ändern die Neutrophilen nach Einwanderung in das Gewebe ihre Gestalt, richten sich nach dem Gradienten aus und bewegen sich kontinu-ierlich auf den Ausgangspunkt der chemoattraktiven Sub-stanz zu. Nach Kontakt mit dem Fremdkörper wird dieser von Cytosolausläufern (Pseudopodien) des Granulozyten umgeben und in den Zell-Leib aufgenommen. Dadurch, dass die Pseudopodien an der distalen Seite des Mikroorga-nismus fusionieren, entsteht eine von der Zellmembran umschlossene Phagozytosevakuole (als Phagosom bezeich-net), in die das Bakterium eingekapselt ist. Dieses Phago-som löst sich von der Zellperipherie und wandert zellein-wärts. Die Aufnahme eines Fremdkörpers stellt einen ener-gieabhängigen Vorgang dar, der mit einer Aktivitätserhöhung ATP-produzierender Prozesse einhergeht.

! Degranulierung und Erzeugung hochaktiver Sauer-stoffverbindungen ermöglichen die Vernichtung von Bakterien.

Die Aktivierung des Granulozyten bewirkt die Bildung von zwei intrazellulären Botenstoffen, des Inositol-1,4,5-tris-

. Abb. 29.18. Prozesse, die zur Auswanderung von neutrophilen Granulozyten aus dem Blutgefäßsystem bei Entzündungen füh-ren. Im ersten Schritt kommt es zu einer lockeren Anhaftung, die über ICAM-1 und E-Selectin auf Endothelzellen vermittelt wird. Im zweiten Schritt wird diese Adhäsion durch zusätzliche Adhäsionsmoleküle, wie sLe auf Endothelzellen oder die L-Selectine auf Granulozyten, intensi-

viert. Dies ist die Voraussetzung für die Wanderung der Granulozyten zwischen zwei Endothelzellen hindurch durch die Gefäßwand. Von Makrophagen freigesetzte Mediatoren wie Interleukine, chemotak-tische Substanzen des Komplementsystems oder Leukotriene fördern die gerichtete Wanderung der durchgetretenen Granulozyten in den Entzündungsbereich

29.3 · Leukozyten

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974 Kapitel 29 · Blut

29

phosphats und des Diacylglycerins. Während Inositoltris-phosphat Calcium aus intrazellulären Speichern mobili-siert, aktiviert Diacylglycerin Protein C-Kinasen, die ihrer-seits Cytoskelett-Proteine wie Aktin, Aktin bindende Pro teine, Profilin, Acumentin oder Gelsolin phosphorylie-ren. Das von Filamenten dieser Proteine gebildete Netz-werk bestimmt den physikalischen Zustand des Cytosols und damit die Bewegung der Pseudopodien und die Pha-gozytose.

Anschließend verschmelzen die Granula des Granulo-zyten mit dem Phagosom und verschwinden aus dem Cy-tosol (Degranulierung). Dabei ergießen sich die Enzyme der primären und sekundären Granula wie4 Lysozym zur Zerstörung der Bakterienwand (osmo-

tischer Schock!)4 neutrale und saure Hydrolasen sowie4 Lactoferrin, das Eisen cheliert und damit den Mikroor-

ganismen dieses für ihr Wachstum wichtige Metall ent-zieht

in die Vakuole, ohne jedoch in das Cytosol der Zelle zu ge-langen. Gleichzeitig nimmt der nicht-mitochondriale Sauer-stoffverbrauch des Granulozyten innerhalb von Sekunden auf das hundertfache (sog. respiratory burst) zu, da durch eine in der Plasmamembran lokalisierte NADPH- Oxidase Sauerstoff nach Reaktion

zum Superoxidanion (O2–) reduziert wird.

Die NADPH-Oxidase ist ein Proteinkomplex aus kata-lytisch aktiven und regulatorischen Komponenten (. Abb. 29.19). In der Membran trägt die Untereinheit p91 die kata-lytische Aktivität. Sie ist ein Flavoprotein und verfügt au-ßerdem über zwei Cytochrom b558 -Gruppen, die für den Elektronentransport zum Sauerstoff verantwortlich sind. Die regulatorische Untereinheit p22 ist ebenfalls membran-gebunden. Sie bindet eine Reihe von Faktoren, die bei der

Aktivierung aus dem Cytosol rekrutiert werden. Im Einzel-nen handelt es sich um4 Einen trimeren Proteinkomplex aus den Proteinen p47,

p40 und p67. Diese werden nach Phosphorylierung durch die Proteinkinase C an p22 gebunden und sind eine Voraussetzung für die Aktivität der NADPH-Oxi-dase

4 Das kleine G-Protein Rac-2. Aktivierende Signale lösen den Austausch von GDP gegen GTP aus, was ebenfalls von der Bindung an p22 gefolgt ist und die Aktivierung der Oxidase auslöst

Das Superoxidanion wird durch die Superoxiddismutase (7 Kap. 15.3) zu Wasserstoffperoxid reduziert oder kann mit bereits gebildetem Wasserstoffperoxid unter Bildung hoch-aktiver Hydroxylradikale (OH) reagieren:

Unter dem Einfluss des bereits erwähnten Enzyms Myelo-peroxidase werden Chloridionen (oder auch Jodid) durch Wasserstoffperoxid unter Bildung von Hypochloritionen oxidiert:

Diese Sauerstoffverbindungen verursachen die Peroxida-tion von Membranlipiden (Radikalreaktionen, 7 Kap. 15.3) des Bakteriums. Wasserstoffperoxid wird auch durch eine D-Aminosäureoxidase (7 Kap. 13.3.4) erzeugt, die bei der Vereinigung eines bakterienhaltigen Phagosoms mit einem Peroxisom die Oxidation von D-Aminosäuren der Bakte-rienwand katalysiert. Da H2O2 biologische Membranen relativ gut permeieren kann und dadurch aus dem Phago-som ins Cytosol gelangt, muss der Granulozyt sich durch Katalase (in Peroxisomen, 7 Kap. 6.2.10) und Glutathion-abhängige Enzymsysteme (7 Kap. 15.3) vor H2O2 schützen.

. Abb. 29.19. Aufbau des NADPH/H+-Oxidase-Systems in der Plasmamembran des Granulozyten. Der membrangebundene Komplex aus den Proteinen p91 und p22 wird durch Rekrutierung cytoplasmatischer Proteine aktiviert. Die aktivierenden Signale lösen

die Phosphorylierung der p67 Untereinheit des p47/p40/p67-Kom-plexes und dessen Bindung an p22 aus. Außerdem führen sie zur Aktivierung von Rac-2 und dessen Bindung an p22. Erst dann ist die Oxidase aktiv. (Weitere Einzelheiten 7 Text)

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Das durch H2O2 oder Lipidperoxide oxidierte Glutathion wird durch mit dem Pentosephosphatweg gekoppelte En-zyme regeneriert.

Sauerstoffradikale können auch mit 1-Antitrypsin rea-gieren und diesen Proteaseinhibitor durch Oxidation eines entscheidenden Methionylrests inaktivieren. Während die-se Reaktion für die Bakterienabtötung keine Rolle spielt, kann sie bei Gewebeschädigungen durch Entzündungen mit Granulozytenaktivierung von Bedeutung sein.

Das Schicksal des neutrophilen Granulozyten ist mit dem der abgetöteten Bakterien unlösbar verbunden: Die mit den Enzymen angefüllte Phagozytenvakuole kann nicht mehr aus der Zelle entfernt werden; nach einigen Stunden wird ihre Wand durchlässig, der Inhalt ergießt sich in die Zelle und zerstört sie. Man bezeichnet das Phagosom des-halb auch als »suicide bag«. In neutrophilen Granulozyten übt das Cytoskelett-assoziierte Protein Pyrin (auch als Ma-renostrin bezeichnet) eine hemmende Wirkung auf die Sti-mulationskaskade der Granulozyten aus, sodass nur starke proinflammatorische Stimuli eine Aktivierung bewirken können. Gleichzeitig fördert Pyrin die Bildung antiin-flammatorischer Inhibitoren, z.B. des C5a-Inhibitors, wo-durch die Entzündungsreaktion reguliert wird. Mutationen im Pyringen beim familiären Mittelmeerfieber verursa-chen eine überschießende Aktivierung und Migration von Neutrophilen, die sich klinisch durch Fieber, Bauch- und Rippenfell- sowie Gelenkentzündungen manifestiert.

Auch eosinophile und basophile Granulozyten besitzen die Fähigkeit zur Phagozytose. Dadurch sind diese Zellen ebenfalls an Abwehrreaktionen (z.B. Wurminfektionen) beteiligt.

! Makrophagen besitzen eine Funktion als Antigen prä-sentierende Zellen.

Aus den Monozyten, die ebenfalls im Knochenmark gebil-det werden, differenzieren sich die Gewebemakrophagen. Dabei nehmen sie unter Änderung ihrer Morphologie und ihres Stoffwechsels Eigenschaften an, die für das betreffen-de Gewebe charakteristisch sind. So gewinnen die Makro-phagen in den Lungenalveolen ihre Energie vorwiegend durch oxidative Phosphorylierung, während Makrophagen im Peritoneum sie aus der Glycolyse beziehen. Der Ersatz von Gewebemakrophagen wird hauptsächlich durch den Zustrom von Blutmonozyten bestimmt, von einigen Aus-nahmen – wie z.B. den Kupffer-Zellen – abgesehen, die sich in situ reduplizieren können. Monozyten enthalten wie die neutrophilen Granulozyten cytosolische Granula, in denen sich Peroxidase und lysosomale Enzyme befinden. Nach Aufnahme in die Gewebe und Differenzierung zum Makro-phagen verschwinden die Peroxidase-haltigen Granula, wo-hingegen die lysosomalen Enzyme weiterhin synthetisiert werden, dann aber in kleineren Vesikeln verpackt sind.

Makrophagen nehmen durch ihre Fähigkeit zur Erken-nung, Phagozytose, Prozessierung und Präsentation von Antigenen eine Schlüsselfunktion im Immunsystem ein

(7 Kap. 34). Sie interagieren dabei v.a. mit T-Lymphozyten. Durch die Existenz von membranständigen Fc-Rezeptoren (die den Fc-Anteil von IgG-Antikörpern binden, 7 Kap. 34.3.4) und Rezeptoren für Komplementfaktoren werden v.a. die Antigene von Makrophagen leicht aufgenommen, die opsoniert worden sind, d.h. mit Antikörper und Kom-plement beladen sind. Im Rahmen der Phagozytose wird das Antigen internalisiert und durch proteolytische En-zyme zu Aminosäuren abgebaut. Ein kleiner Anteil des auf-genommenen Antigens entgeht jedoch dem vollständigen Abbau durch Proteasen, sodass Antigenfragmente zusam-men mit MHC-II (HLH-)-Proteinen (7 Kap. 34.2.2) in die Plasmamembran verlagert werden (Antigenpräsentation). Dieser bimolekulare Komplex wird jetzt von T-Lympho-zyten erkannt, die natives, frei zirkulierendes Antigen nicht erkennen können. Die Erkennung führt zu einem direkten Zell-Zell-Kontakt zwischen T-Lymphozyten und Makro-phagen, infolge dessen Interleukin-1, ein Polypeptid mit einem Molekulargewicht von etwa 17 kD, vom Makropha-gen sezerniert wird. Dieses Lymphokin bindet an Inter-leukin 1-Rezeptoren des T-Lymphozyten und stimuliert diesen zur Sekretion von Interleukin-2 (7 Kap. 25.5.2) und Immun- oder -Interferon (7 Kap. 25.8.4), das weitere Ma-krophagen aktiviert. T-Lymphozyten erkennen somit – im Gegensatz zu B-Lymphozyten – antigene Determinanten (Epitope, 7 Kap. 34.2.1) nicht an nativen Polypeptiden, son-dern nur in denaturierten Proteinfragmenten.

! Cytokine aktivieren die Akutphase-Antwort.

Verschiedene Cytokine wie Interleukin-6, Interleukin-1, Tumornekrose-Faktor- , Interferon- , TGF-ß oder Inter-leukin-8 werden während entzündlicher Vorgänge gebildet und stellen die Haupt-Stimulatoren der sog. Akutphase-Antwort dar. Diese Cytokine werden von einer Vielzahl verschiedener Zellen gebildet (Hepatozyten, Endothelzel-len, Keratinozyten etc.), die wichtigsten sind aber die Ma-krophagen und Monozyten in Entzündungsregionen.

Die Akutphase-Antwort stellt eine koordinierte Reak-tion des Organismus auf Infektionen oder Gewebeverlet-zungen dar. Zu dieser Reaktion (. Abb. 29.20) gehören:4 Ein Anstieg der Biosynthese von etwa 30 Plasmaprote-

inen, den sog. Akutphase-Proteinen. Unter diesen stellt das C-reaktive Protein (CRP) das klinisch wichtigste dar (7 Kap. 29.6.4)

4 ein Anstieg der neutrophilen Granulozyten4 ein Abfall der Eisen- und Zinkkonzentration im Plas-

ma, der eine vermehrte Freisetzung von Lactoferrin (7 Kap. 29.3.1) aus neutrophilen Granulozyten mit an-schließender Sequestrierung als Eisen-Lactoferrin-Komplex zugrunde liegt

4 eine Steigerung der Proteolyse im Muskel mit Freiset-zung von Aminosäuren sowie

4 eine Temperaturverstellung im Wärmeregulationszen-trum des Hypothalamus (Fieber als physiologische Antwort auf Infektionen)

29.3 · Leukozyten

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976 Kapitel 29 · Blut

29

Darüber hinaus stimuliert Interleukin-1 die ACTH- und Cortisolsekretion (7 Kap. 27.3).

Die Aktivierung durch -Interferon führt u.a. zur Frei-setzung eines für Tumorzellen zytotoxischen Polypeptids (Molekularmasse 17,3 kD) aus dem Makrophagen, das als Tumornekrosefaktor- (TNF- , 7 Kap. 25.8.2) oder auch Kachektin bezeichnet wird. Das Polypeptid tötet in vitro Tumorzellen ab und verursacht bei Versuchstieren Nekro-sen in transplantierten Tumoren. Es unterdrückt auch die Expression der Lipoproteinlipase (7 Kap. 12.1.3) und verhin-dert dadurch die Aufnahme und Speicherung von Triacyl-glycerinen durch das Fettgewebe. Bei Versuchstieren führt rekombinanter TNF- zu Appetit- und Gewichtsverlust, daher auch das Synonym Kachektin für dieses Molekül.

29.3.2 Pathobiochemie

! Bei der septischen Granulomatose können die NADPH/H+-Oxidase oder deren Aktivierung gestört sein.

Von den zahlreichen bekannten Störungen der Funktion polymorphkerniger Leukozyten ist die chronische granu-lomatose Erkrankung (septische Granulomatose) am be-sten untersucht. Klinisch stellt sie die wichtigste der ver-schiedenen Defekte des oxidativen Stoffwechsels des Gra-nulozyten dar. Die Krankheit ist durch das Fehlen eines vermehrten Sauerstoffverbrauchs bei der oben diskutierten Reaktion auf Phagozytosestimuli gekennzeichnet. Die Leu-kozyten phagozytieren zwar die Mikroorganismen, können sie aber nicht abtöten. Die Patienten leiden deshalb an im-mer wieder auftretenden Infektionen mit Pilzen und Bak-terien. Als Folge der chronischen Entzündung treten die für die Krankheit charakteristischen Granulome auf. In 60%

der Fälle wird die chronische Granulomatose X-chromoso-mal, in den übrigen 40% autosomal-rezessiv vererbt. Die Diagnose wird durch einen funktionellen Test gestellt, der die respiratorische Aktivität misst: Normalerweise wird der NBT-Test verwendet, dem die Reduktion des Farbstoffs Nitroblautetrazolium (NBT) zu einem violetten, unlös-lichen Präzipitat durch das unter der Einwirkung der akti-vierten NADPH/H+-Oxidase gebildeten Wasserstoffper-oxids zugrunde liegt. Da bei der chronischen Granulo-matose keine NBT-Reduktion nachweisbar ist, muss die NADPH/H+-Oxidaseaktivität gestört sein. Biochemisch kann diese fehlende Aktivität durch ein defektes Enzym-protein oder auch durch einen gestörten Aktivierungs-mechanismus verursacht werden. Dies wird durch den oben erwähnten unterschiedlichen Vererbungsmechanis-mus unterstrichen. So sind Mutationen als Ursache der septischen Granulomatose bei Patienten nicht nur im Gen für die 91 kD- und 22 kD-Untereinheiten des Enzyms beschrieben worden, sondern auch in den Genen für die 47 und 67 kD-Untereinheiten des Aktivatorproteins (. Abb. 29.19).

In Kürze

Neutrophile Granulozyten müssen unter Vermittlung von Selectinen an das Gefäßendothel adhärieren, be-vor sie das Gefäßsystem verlassen können. Die Granula der Granulozyten enthalten Enzyme, mit denen sie Bak-terien vernichten können. Dazu ist auch die Erzeugung reaktiver Sauerstoffverbindungen erforderlich, die un-ter dem Einfluss der Enzymsysteme NADPH/H+-Oxidase und Myeloperoxidase erfolgt. Makrophagen besitzen eine Schlüsselfunktion im Immunsystem als Antigen präsentierende Zellen.

29.4 Thrombozyten

! Thrombozyten sind für die Blutstillung zuständig.

Thrombozyten (Plättchen) entstehen durch Abschnürung aus dem Cytosol von Megakaryozyten des Knochenmarks. Dabei verformen sich diese Zellen und bilden Ausläufer, die sich zunehmend verlängern und den Megakaryozyten ein tintenfischartiges Aussehen verleihen. Aus diesen Aus-läufern werden die Blutplättchen abgeschnürt. Das peri-phere Blut enthält 150.000–450.000 Thrombozyten pro Mikroliter. Die Regulation der Thrombozytenbildung unterliegt vor allem dem in Leber und Nieren gebildeten Thrombopoietin, das an den c-MPL-Rezeptor der Mega-karyozyten bindet. Thrombozyten besitzen die im Cytosol lokalisierten Enzyme der Glycolyse und des Pentosephos-phatwegs sowie Mitochondrien, die sie zur Ausführung der enzymatischen Schritte des Citratzyklus und der Elek-tronentransportphosphorylierung befähigen. Da sie noch

. Abb. 29.20. Die Akutphase-Antwort. (Einzelheiten 7 Text)

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29977

(mitochondriale) DNA und stabile RNA besitzen, können Blutplättchen in geringem Maß Proteine, wie z.B. den Fi-brin-stabilisierenden Faktor (Faktor XIII, 7 Kap. 29.6.4), synthetisieren. Die Glycolyse wird teilweise durch Gluco-seaufnahme aus der Umgebung, zum überwiegenden Teil aber durch eigene Glycogenvorräte gespeist. Die aus dem Glucose- und auch Fettsäureabbau gewonnene Energie dient4 der Erhaltung der Thrombozytenstruktur (Lebens dauer

8–11 Tage)4 den plasmatischen Vorgängen der Blutstillung, der

Hauptfunktion der Blutplättchen (Aktivierung des Plättchens) und

4 der Speicherung verschiedener Substanzen, zu denen biogene Amine (Serotonin), Prostaglandine, Plasma-proteine, Polypeptid-Wachstumsfaktoren und lysoso-male Enzyme gehören

In den Thrombozyten werden diese Substanzen in den dichten Granula, -Granula oder Lysosomen gespeichert (. Abb. 29.21). Jede der Granulapopulationen speichert be-stimmte Moleküle (. Tabelle 29.7): Die dichten Granula enthalten kleine Nichtprotein-Moleküle, die bei der Plätt-chenaggregation der Rekrutierung weiterer Plättchen die-nen, die -Granula enthalten große Proteine mit adhäsiver oder mitogener Aktivität. Lysosomen besitzen wie in ande-ren Zellen Hydrolasen. Neben den Granula enthalten Thrombozyten ein Cytoskelett (Aktinfilamente und Mikro-tubuli) sowie komplexe Membransysteme: das sog. offene kanikuläre System schafft die Verbindung zwischen Cyto-sol und dem umgebenden Medium und das dichte Tubu-lussystem (DTS) enthält eine Reihe wichtiger Enzyme. So wird hier unter dem Einfluss der Enzyme Cyclooxygenase

und Thromboxan-Synthetase Thromboxan gebildet. Bei der Thrombozytenaggregation wird Thromboxan freige-setzt und bindet an den Thromboxan-Rezeptor der Plätt-chenmembran, was über eine autokrine Stimulation zu einer Verstärkung der Plättchenaktivierung führt. Das DTS speichert auch Calcium und cycloAMP, die für die Plätt-chenaktivierung ebenfalls von entscheidender Bedeutung sind (7 Kap. 29.5.2).

Ruhende Thrombozyten transportieren diese Substan-zen ständig durch das Gefäßsystem (. Abb. 29.21). Als Re-aktion auf verschiedene Stimuli (siehe unten) werden sie aktiviert, ändern durch Rearrangement des Cytoskeletts ihre Morphologie (. Abb. 29.21), setzen die Materialien aus den Granula frei und aggregieren untereinander (»Sy-napsenbildung«). Diese Freisetzungsreaktion, die große Ähnlichkeit mit der Exozytose in Neuronen aufweist (7 Kap. 31.2.2), stellt einen wichtigen Schritt bei der im Fol-genden beschriebenen Blutstillung dar (7 Kap. 29.5).

Die Membran des Thrombozyten enthält eine Reihe von Glycoproteinen (GPI bis IX in absteigendem Moleku-largewicht), die Rezeptoren bilden: Glycoprotein Ib-V-IX ist ein konstitutiv aktiver Rezeptor für den von Willebrand-Faktor, Glycoprotein Ia-IIa ein konstitutiv aktiver Kolla-gen-Rezeptor und Glycoprotein IIb-IIIa ist ein Rezeptor, der erst nach Aktivierung des Thrombozyten durch Kon-formationsänderung Fibrinogen erkennt.

Aus Thrombozyten können Mikropartikel (auch als »Plättchenstaub« bezeichnet) abgeschnürt werden, die Wechselwirkungen von Leukozyten untereinander und von Leukozyten und Gefäßendothelien vermitteln können.

! Die partielle Hemmung der Thrombozytenfunktion stellt ein wichtiges therapeutisches Prinzip dar.

29.4 · Thrombozyten

. Tabelle 29.7. In Thrombocytengranula gespeicherte Moleküle

Dichte Granula(proaggregierende Faktoren)

Nucleotide Adenin: ATP, ADPGuanin, GTP, GDP

Aminedivalente Kationen

Serotonin, HistaminCalcium, Magnesium

α-Granula(adhäsive u. heilende Faktoren)

Proteoglykane -Thromboglobulin,Plättchenfaktor 4,histidinreiches Glycoprotein

adhäsive Glycoproteine Fibronektin, Vitronektin,von-Willebrand-Faktor,Thrombospondin

Gerinnungsfaktoren Fibrinogen, Faktor V, VII, XI, XII,Protein S, Plasminogen

Wachstumsfaktoren PDGF, TGF- , EGF, VEGF

Protease-Inhibitoren 2-Antitrypsin,2-Makroglobulin

Lysosomen(abbauende Faktoren)

saure Proteasen Cathepsine, Carboxypeptidasen,Collagenase

Glycohydrolasen Heparinase, -Glucoronidase etc.

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978 Kapitel 29 · Blut

29Zur Prophylaxe von Thrombosen (z.B. Herz- oder Hirn-infarkt), d.h. Thrombozytenaggregaten innerhalb der nicht eröffneten Strombahn, finden Acetylsalicylsäure (das die Thromboxansynthese durch irreversible Hemmung der Cyclooxygenase blockiert) sowie Hemmstoffe der throm-bozytären ADP-Rezeptoren und Glycoprotein IIb-IIIA-Blocker Anwendung (7 Kap.29.5.2).

In Kürze

Thrombozyten, die durch cytosolische Abspaltung aus Megakaryozyten entstehen, besitzen eine überragende Bedeutung für die normale Hämostase und für die Ent-stehung von Thrombosen. Die Bildung von Thrombo-zyten wird durch Thrombopoietin reguliert, das an den c-MPL-Rezeptor von Megakaryozyten bindet. Bei Ge-fäßverletzungen vermitteln thrombozytäre Glycoprote-in-Rezeptoren die Bindung an das subendotheliale Ge-webe, was zu einer Aktivierung mit nachfolgender Ag-gregation der Thrombozyten führt.

Medikamente, die die Thrombozytenfunktion hem-men, sind deshalb wichtig für die Therapie cardio- und cerebrovaskulärer Erkrankungen.

InfoboxAutomatisierte Bestimmung korpuskulärer Elemente des Blutes. Mit modernen Hämatologie-Analyzern können heute innerhalb von 5 Minuten komplette Blutzellzählungen durchgeführt werden: diese umfassen die Erythro-zytenzahl (red blood cell count: RBC), die Leukozyten-zahl (white blood cell count: WBC), die Thrombozyten-zahl (PlateLeT count: PLT), den Hämatokrit (HCT), das mittlere Zellvolumen des Erythrozyten (MCV), den mittleren zellulären Hämoglobingehalt (MCHC) und die differenzierte Leukozytenzählung (Lymphozyten, Mo-nozyten und Granulozyten). Daneben werden auch das mittlere Plättchenvolumen (MPV), die Größenvertei-lung der Erythrozyten (red cell distribution width: RDW) und die mittlere zelluläre Hämoglobinkonzentration (MCHC) ermittelt. Bei einzelnen Geräten ist auch die Bestimmung des C-reaktiven Proteins (CRP) integriert. Damit ist in der Praxis eine einfache und rasche Diagno-se von Blutbildveränderungen und deren möglichen Ursachen sowie von akuten Entzündungen und deren Verlauf unter Therapie möglich.

. Abb. 29.21. Elektronenmikroskopische Aufnahmen ruhender und aktivierender Thrombozyten. Oben: Rasterelektronenoptische Aufnahmen normaler zirkulierender Plättchen in Scheibenform (links × 20000) und aktivierter Thrombozyten, die viele lange Pseudo-podien ausgebildet haben (rechts × 20000). Unten links: Schematische Darstellung der subzellulären Strukturen; Mitte dazugehörige elektro-

nenoptische Aufnahme (× 21000). Rechts: Darstellung eines akti-vierten Plättchens mit einem Mikrotubulusring um die zentral ange-ordneten Granula und Ausbildung von Pseudopodien (× 30000). 1 kanikuläres System; 2 Mikrotubuli; 3 a-Granulum; 4 dichtes Granu-lum; 5 Glycogen; 6 Mitochondrium. (Aufnahmen von JG White, Uni-versity of Minnesota)

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29979

29.5 Blutstillung

Mit dem Mechanismus der Blutstillung (Hämostase) besitzt der Organismus ein Werkzeug, mit dem er sich bei Gewe-beverletzungen, bei denen auch kleine oberflächliche Ge-fäße eröffnet werden, wirksam gegen den Verlust des le-benswichtigen Organs Blut schützen kann.

Der komplexe Vorgang der Blutstillung ist ein Zusam-menspiel von4 vaskulären (dem verletzten Blutgefäß)4 zellulären (insbesondere den Thrombozyten) und4 plasmatischen (auf die Blutstillung spezialisierten Plas-

maproteinen) Vorgängen

Die plasmatischen Vorgänge werden auch als endgültige Blutstillung oder Blutgerinnung (Prokoagulation) bezeich-net. An die Blutstillung schließt sich die langsame Auflö-sung des Gerinnsels durch das fibrinolytische System (An-tikoagulation) an, die Voraussetzung für die Rekanalisie-rung von Gefäßen und Heilung des geschädigten Gewebes ist. Daneben besitzt die Fibrinolyse die Aufgabe, das Blut in flüssigem Zustand zu erhalten, um Störungen der Hämo-dynamik zu verhindern.

Blutgerinnung und Fibrinolyse sind enzymatisch regu-lierte Vorgänge, die ständig nebeneinander im strömenden Blut ablaufen (latente Gerinnung und Fibrinolyse). Nor-malerweise stehen beide Vorgänge miteinander im Gleich-gewicht.

Bei einer Störung dieses Gleichgewichts kann es einer-seits zur Blutungsneigung, die durch mangelnde Gerinnung oder/und gesteigerte Fibrinolyse gekennzeichnet ist, und andererseits zur Thromboseneigung, die durch eine gestei-gerte Gerinnung oder/und verminderte Fibrinolyse her-vorgerufen wird, kommen.

29.5.1 Vaskuläre Blutstillung

Als Folge einer Verletzung kommt es zu einer reflekto-rischen Gefäßkontraktion. Die Gefäßkontraktion durch die Reizung glatter Muskulaturen dauert etwa 60 Sekunden. Sie wird durch die Freisetzung vasokonstriktorischer Substan-zen (Serotonin, Katecholamine) aus Thrombozyten und der verletzten Gefäßwand unterstützt. Die Folge davon ist eine Verlangsamung des Blutstroms, die die zelluläre und plasmatische Blutstillung begünstigt.

29.5 · Blutstillung

. Abb. 29.22. Adhäsion von Thrombozyten an die subendo-theliale Matrix unter Vermittlung des von-Willebrand-Faktor-

Rezeptors und des Fibrinogenrezeptors auf der Thrombozyten-membran

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980 Kapitel 29 · Blut

29

29.5.2 Zelluläre Blutstillung (Thrombozytenadhäsion)

Normalerweise bleiben Thrombozyten weder am Gefäßen-dothel hängen noch verkleben sie untereinander. Gerät der Thrombozyt jedoch mit geschädigten venösen Gefäßen in Kontakt, deren Endothel zerrissen ist, so kann eine Wech-selwirkung mit den darunter liegenden Matrixproteinen wie Kollagen, Fibronektin oder Laminin eintreten. Für jedes dieser Matrixproteine besitzt der Thrombozyt spe-zifische Membranrezeptoren, die den Integrinen (7 Kap. 24.5.3) ähnlich sind. So besteht der Lamininrezeptor aus einer 6-Untereinheit, die mit dem Glycoprotein IIa (GPIIa) assoziiert ist. Der Fibronektinrezeptor besteht aus einem Dimer aus den Thrombozytenglycoproteinen GPIc und GPIIa. Für die Wechselwirkung mit Kollagen Typ III sind verschiedene Membranproteinrezeptoren verantwortlich (GPIa/IIa, GPVI und möglicherweise GPIV und GPIIb).

Unter den Bedingungen hoher Scherkräfte, wie sie in Arteriolen und in der Mikrozirkulation vorherrschen, rei-chen die genannten Wechselwirkungen für diesen als Plätt-chenadhäsion bezeichneten Vorgang nicht aus. In diesem Bereich sind Wechselwirkungen zwischen dem von-Wil-lebrand-Faktor (vWF) und seinem Thrombozytenrezep-tor, dem Glycoprotein Ib/V/IX, erforderlich. Der von-Wil-lebrand-Faktor ist ein multimeres Glycoprotein, das im Plasma im Komplex mit Faktor VIII (7 Kap. 29.5.5) zirku-liert. Der vWF wird von Endothelzellen synthetisiert, die ihn in der subendothelialen Matrix deponieren und in das Plasma sezernieren, wie auch von Megakaryozyten (den Vorläufern der Thrombozyten), die es in -Granula spei-chern. Für die optimale Plättchenadhäsion sind sowohl der subendotheliale als auch der lösliche vWF erforderlich. Der von-Willebrand-Faktor interagiert mit Kollagen und mit heparinähnlichen Glycosaminoglykanen im Subendotheli-um und schafft über den Glycoprotein Ib/V/IX-Komplex (. Abb. 29.22) die Brücke zwischen Thrombozyt und Ge-fäßsubendothel. Im Zuge der Anheftung an die Proteine der subendothelialen Matrix werden die genannten Membran-rezeptoren aktiviert, was über intrazelluläre Botenstoffe zu einer Reihe von Folgereaktionen der Plättchen führt, die nach einer beträchtlichen Formveränderung unter Ausbil-dung von Pseudopodien ihren Abschluss in einer über mehrere Stufen verlaufenden Aggregation findet (. Abb. 29.21). Zunächst kommt es zur Ausschüttung von ADP aus den dichten Granula, das nach Bindung an den thrombozy-tären ADP-P2Y1-Rezeptor eine vorerst noch reversible Ag-gregation der Thrombozyten bewirkt. Sie geht dann in ei-nen irreversiblen Zustand über, wenn weiteres ADP an den zweiten ADP-Rezeptor-Typ (P2Y12) bindet, wobei das vaso-konstriktorische Thromboxan A2 (TXA2, 7 Kap. 12.4.2) und Serotonin sowie Adrenalin freigesetzt werden, die wei-tere Plättchen zur Aggregation veranlassen. Die Aggrega-tion wird durch das Gerinnungsprotein Fibrinogen geför-dert, welches an den Fibrinogen (GP IIb/GPIIIa)-Rezeptor

(. Abb. 29.23) bindet und damit benachbarte Thrombo-zyten miteinander verknüpft. Dieser Rezeptor kann Fibri-nogen erst nach Aktivierung durch die erwähnten intrazel-lulären Botenstoffe erkennen; die Erkennung erfolgt über eine Region in der -Kette und über die sog. RGD-Domä-ne, d.h. eine Sequenz von Arginin, Glycin und Glutamat, die in der -Kette des Fibrinogens (und in vielen anderen Proteinen der extrazellulären Matrix) vorkommen. Im Rahmen der Thrombozytenaggregation kann auch die plasmatische Gerinnung beschleunigt werden. Diese Be-schleunigung kommt dadurch zustande, dass der Blutge-rinnungsfaktor V an die Thrombozytenmembran bindet und dadurch aktiviert wird. Der aus Thrombozyten gebil-dete Pfropf oder Thrombus kann das Gefäß jedoch nur dann dauerhaft verschließen, wenn ihm durch die anschlie-ßenden plasmatischen Vorgänge (Einbau von Fibrin in den Thrombus) eine ausreichende Festigkeit verliehen wird.

Das Endothel besitzt eine Reihe von Abwehrmechanis-men, die der Prävention und der Rückbildung unerwünsch-

. Abb. 29.23. Aktivierung des Thrombozyten durch Bindung des von-Willebrand-Faktor-VIII-Komplexes. Nach Aktivierung bildet der Thrombozyt Pseudopodien aus und verändert die Struktur des GP-IIb/IIIa-Rezeptors, sodass unter Vermittlung von Fibrinogen Brücken zwischen den einzelnen Thrombozyten gebildet werden können

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ter Aggregationen dienen. So setzen die Endothelzellen Prostacyclin (PGI2) und den endothelzellproduzierten, re-laxierenden Faktor (EDRF oder Stickstoffmono xid) frei, die die Thrombozytenadhäsion, -aktivierung und -aggregation hemmen.

29.5.3 Plasmatische Vorgänge (Blutgerinnung)

! Die klassische Theorie zum Ablauf der Blutgerinnung wurde von Paul Morawitz entwickelt.

An diesem Konzept sind vier Gerinnungsfaktoren beteiligt, von denen drei, nämlich Calciumionen (Faktor IV) und die beiden in Leberparenchymzellen gebildeten Plasma-proteine Fibrinogen (Faktor I) und Prothrombin (Faktor II), ständig im Blut zirkulieren. Diese Faktoren können eine Gerinnung jedoch nur dann in Gang setzen, wenn bei Ge-webeverletzung der als Gewebethromboplastin (tissue fac-tor, TF) bezeichnete Faktor III ins Blut übertritt. Dieser Faktor führt in Gegenwart von Calciumionen das Proen-zym Prothrombin in Thrombin über, eine hochaktive Pro-tease, die in kurzer Zeit große Mengen Fibrinogen in Fibrin umwandelt (. Abb. 29.24). Die Bindung von Calciumionen an Prothrombin erfolgt dabei an N-terminal gelegene -Carboxyglutamylseitenketten (7 Kap. 23.2.4). Der von Paul Morawitz beschriebene Weg der Thrombinaktivierung wird heute als extravaskuläres (exogenes) System der Blut-gerinnung bezeichnet, weil ein extravaskulärer, d.h. nicht im Blut vorhandener Faktor die Gerinnung in Gang setzt. Zusätzlich besteht noch eine weitere Möglichkeit der Akti-vierung über das intravaskuläre (endogene) System, auf dessen Existenz die Beobachtung hinweist, dass Blut auch beim Kontakt mit Glasoberflächen gerinnt. Es müssen also auch im Blut vorhandene Faktoren die Thrombinbildung in Gang setzen können.

Obwohl das klassische Konzept nach wie vor seine Gül-tigkeit besitzt, ist das gegenwärtige Bild vom Gerinnungs-vorgang wesentlich differenzierter geworden, da erkannt worden ist, dass eine Reihe weiterer, meist mit römischen Ziffern benannter Faktoren beteiligt ist. Dabei handelt es sich vorwiegend um Proteinasen, die ihre Substrate durch limitierte Proteolyse aktivieren.

! Die Faktor X und V stellen die gemeinsame Endstrecke des intra- und extravaskulären Systems dar.

Entscheidend für die Thrombinbildung ist die Überfüh-rung des Faktors X in eine aktive Form (Xa), die mit dem Faktor V, Calcium und Phospholipiden einen Kom-plex mit enzymatischer Aktivität bildet, der – als Pro-thrombinase bezeichnet – die Umwandlung von Pro-thrombin in Thrombin katalysiert. Da der Faktor X durch das intra- und extravaskuläre System aktiviert wird, bilden die Faktoren X und V die gemeinsame Endstrecke

beider Systeme (. Abb. 29.25). Gewebsverletzungen bil-den die Grundlage der Aktivierung des Faktor X durch das extravaskuläre System. Die Verletzung des Gewebes verursacht dabei die Freisetzung von Gewebethrombo-plastin (tissue factor, TF). Dieses stellt ein Membran-protein dar, das konstitutiv auf nichtvaskulären Zellen exprimiert wird. Der extrazelluläre Anteil des Moleküls ist der Faktor VII-Rezeptor, der mit dem Faktor VII, Phospholipiden und Calcium einen Komplex bildet, der den Faktor X zu Xa aktiviert (. Abb. 29.25). Daneben wird auch der Faktor IX zu IXa aktiviert. Im Gegensatz zum extravaskulären System, das in Sekundenschnelle zur Aktivierung von Thrombin führt, läuft das endogene (= intravaskuläre) System erst nach einigen Minuten an. Die Aktivierung geschieht nach Art eines Wasserfalls (Kaskadensystem): zur Einleitung der Reaktion ist die Aktivierung von Faktor XII (des Hageman-Faktors) zu XIIa notwendig, die an Proteinen der extrazellulären (sub-endothelialen) Matrix oder auch Phospholipiden, die während der Plättchenaktivierung von der Innenschicht der Plasmamembran in die Außenschicht transloziert werden, erfolgt, der seinerseits den Faktor XI in die aktive Form XIa überführt. Faktor XIa wiederum aktiviert den Faktor IX, der an eine Zell membranoberfläche bindet, bis er den dort ebenfalls gebundenen, bereits durch Throm-bin aktivierten Faktor VIIIa (. Abb. 29.25) trifft und mit diesem einen, als Tenase bezeichneten Komplex bildet (. Abb. 29.25). Dieser Komplex verbleibt an der Mem-bran, bis er auf den Faktor X trifft, den er zum Faktor Xa (wie beim extravaskulären System) aktiviert.

! Durch Aktivierung von Prothrombin entsteht Throm-bin, dessen Substrat Fibrinogen ist.

Fibrinogen ist ein längliches Protein (Molekulargewicht 340 kD), das sich aus zwei identischen Untereinheiten mit je drei Polypeptidketten ( , und ) aus je 400–700 Ami-nosäuren (. Abb. 29.26) zusammensetzt. Die Gene für die

, - und -Ketten des Fibrinogens liegen in einem 50 kb-Segment auf dem langen Arm von Chromosom 4. Die DNA-Sequenz weist erhebliche Homologien auf, sodass man davon ausgehen kann, dass die Gene durch Duplika-tion und anschließende Diversifikation eines gemeinsamen Vorläufergens entstanden sind. Von je zwei der Peptidket-ten ( , ) werden durch Thrombin kleine Bruchstücke (Fi-

. Abb. 29.24. Klassisches Schema der Blutgerinnung

29.5 · Blutstillung

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982 Kapitel 29 · Blut

29

. Abb. 29.25. Aktivierung der plasmatischen Gerinnung über das extravaskuläre und intravaskuläre System. Für beide Systeme ist die Aktivierung einzelner Faktoren an der Oberfläche von Zellmem-

branen von entscheidender Bedeutung, da nur so eine Beschränkung der Gerinnung auf den Ort der Gewebeverletzung möglich ist. GT = Gewebethromboplastin oder tissue faktor

. Abb. 29.26. Modell des Fibrinogendimers, das aus zwei Sätzen von drei (α, β und γ) Ketten besteht. Die Ketten sind untereinander über 29 Disulfidbrücken (-S-S-) verbunden, davon 13 in jeder Dimer-hälfte und 3, die die beiden Hälften miteinander verbinden. Jeder Disulfidring enthält drei Disulfidbrücken ( > , > , a> ). Zwischen den Disulfidringen liegen Tripel-a-Helices. An den Enden sind die

- und -Ketten hydrophob und relativ kompakt aufgebaut, wohin-gegen die a-Kette hydrophil ist und frei in der wassrigen Umgebung flottiert. An jedem Monomer befinden sich zwei Kohlenhydratseiten-ketten (Sechsecke). An den Bereichen, an denen die Freisetzung der Fibrinopeptide zu a- bzw. b-»Knöpfen« führt, sind die Aminosäuren angegeben

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brinopeptide A und B) abgespalten, deren Molekularge-wicht insgesamt rund 2% des Fibrinogens beträgt. Dadurch werden im Fibrinogenmolekül Bezirke freigelegt, die eine Zusammenlagerung der entstandenen Fibrinmonomeren zu Polymeren erlauben (. Abb. 29.27). Da die einzelnen Bestandteile des frisch gebildeten Fibringerinnsels nur über nichtcovalente Bindungen (hydrophobe Wechselwir-kungen und Wasserstoffbrücken) verbunden sind, ist es mechanisch noch recht unstabil und kann durch Verbin-dungen, die diese Bindungen schwächen (in vitro durch

Harnstoff), wieder aufgelöst werden [lösliches (solubles) Fibrin].

Erst durch die Wirkung des Faktors XIII, der durch Thrombin zu XIIIa aktiviert wird und Fibrinmonomere durch Ausbildung von Peptidbindungen zwischen den -Aminogruppen von Lysylresten und Carboxylgruppen von Glutaminylresten (im Bereich antiparallel zueinander ange-ordneter -Ketten) covalent verknüpft, wird dem Fibrinpo-lymer die notwendige Festigkeit [jetzt unlöslich (insoluble)] verliehen (. Abb. 29.28). Das Gerinnsel zieht sich zusam-

29.5 · Blutstillung

. Abb. 29.27a–e. Schematische Darstellung der Polymerisation von Fibrinogen zu Fibrin. a Fibrinogen wird durch Abspaltung der Fibrinopeptide A und B (an den N-Termini) in ein Fibrinmonomer überführt. b Die jetzt exponierten Enden dienen als »Knöpfe«, die mit

Löchern in den terminalen Domänen in Wechselwirkung treten. c Dadurch kommt es zu einer Seit-zu-Seit-Anlagerung der Monomere. d,e Diese Anordnung wird zu einem langen Polymer verlängert, das durch die Ausbildung covalenter Quervernetzung stabilisiert wird

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984 Kapitel 29 · Blut

29

. Abb. 29.28. Knüpfung einer covalenten Bindung zwischen Lysyl- und Glutaminylresten verschiedener Fibrinmonomere durch den aktiven Faktor VIIIa

men und presst dabei eine Flüssigkeit ab, die im Gegensatz zum Plasma kein Fibrinogen mehr besitzt (da dies ja ver-braucht worden ist) und als Serum bezeichnet wird. Durch die Retraktion, bei der das Thrombosthenin noch intakter Thrombozyten eine wesentliche Rolle spielt, nähern sich die Wundränder stark an, was entscheidend zum Wundver-schluss beiträgt.

Mit Hilfe der Intravitalmikroskopie kann die Throm-busbildung heute am Tiermodel visualisiert werden (Video-clips siehe unter www.lehrbuch-medizin.de)

! Die Blutgerinnungsfaktoren haben sich offenbar aus einem gemeinsamen Vorläufergen entwickelt.

Die Enzyme, die an der Blutgerinnung beteiligt sind, sind enge Verwandte der Verdauungsproteasen Trypsin und Chymotrypsin (7 Kap. 4.5.3, 32.1.3). Da die Blutgerinnungs-

enzyme ihre Funktion im Gefäßsystem ausüben, ist eine präzise Regulation erforderlich, um diese potenten, proko-agulatorischen Aktivitäten in der Region der Gewebeverlet-zung zu halten.

Prothrombin und die Faktoren VII, IX und X weisen große Ähnlichkeiten auf (. Abb. 29.29). Sie enthalten -Car-boxyglutamat- oder Gla-Domänen, EGF-ähnliche Domä-nen und die drei Disulfidbrücken enthaltenden Kringle-Do-mänen, die für die Bildung von Proteinkomplexen von Be-deutung sind. Die Cofaktoren V und VIII sind mit den Proenzymen nicht strukturverwandt, zeigen aber unterei-nander eine erhebliche Homologie. Tissue factor unterschei-det sich von allen anderen Faktoren dadurch, dass es ein integrales Membranprotein mit einer cytosolischen, einer transmembranären und einer extrazellulären Domäne (Fak-tor VII-Rezeptor) darstellt. Die regulatorischen Proteine (7 u.), Protein C und Protein S, weisen ebenfalls strukturelle

. Abb. 29.29. Struktureller Aufbau der Proenzyme und Profaktoren der plasmatischen Gerinnung und Proteinen, die das System durch eine Hemmung regulieren. Die große Ähnlichkeit zwischen den Proteinen legt einen gemeinsamen Ursprung nahe

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Ähnlichkeiten mit den Proenzym-Gerinnungsfaktoren auf. Fast alle Gerinnungsfaktoren werden im Hepatozyten der Leber gebildet, ihre Halbwertszeit ist relativ kurz, sie liegt zwischen Stunden und wenigen Tagen (. Tabelle 29.8).

! Antithrombotische Mechanismen sorgen dafür, dass die lokale Gerinnung sich nicht generalisiert.

Neben den prokoagulatorischen Blutgerinnungsfaktoren enthält das Blut Inhibitoren, die die Fibrinbildung verzögern und damit eine Schutzfunktion zur Aufrechterhaltung der Zirkulation und zur Vermeidung der Generalisierung der Gerinnung ausüben (. Abb. 29.30). Zu diesen gehören4 Antithrombin III, das die aktivierten Faktoren XIIa,

XIa, IXa, Xa und Thrombin durch Bildung eines sta-bilen Enzym-Inhibitor-Komplexes hemmt

4 Protein C und S, die die Faktoren Va und IVa inakti-vieren

4 Plasminogenaktivator, der die Fibrinolyse durch Akti-vierung von Plasminogen zu Plasmin fördert, und

4 der Gewebethromboplastin-Inhibitor (tissue factor path-way inhibitor, TFPI)

Auch Endothelzellen sind an der Antikoagulation beteiligt: zum einen durch gebundene, heparinähnliche Glycosami-noglykane (7 Kap. 2.1.4), die die Inaktivierung von Koagu-lationsproteasen durch Antithrombin III beschleunigen, zum anderen durch die Biosynthese von Prostaglandin I2 (7 Kap. 12.4.2) und durch die Sekretion von Plasminogen-aktivator und Thrombomodulin, ein Thrombin bindendes Protein, das die Spezifität von Thrombin ändert, indem es

. Abb. 29.30. Hemmung der Blutgerinnung. Wichtige Faktoren sind der Gewebethromboplastininhibitor (GTI, auch als TFPI = tissuefactor pathway inhibitor bezeichnet), das ProteinC/Protein S-System, Antithrombin III und der Plasminogenaktivator. PC = Protein C; PS = Protein S; PT = Prothrombin; Th = Thrombin; Pl = Plasmin

29.5 · Blutstillung

. Tabelle 29.8. Blutgerinnungsfaktoren (die Existenz eines Faktors VI wird heute nicht mehr angenommen)

Faktor Bezeichnungen BiologischeHalbwertszeit(Stunden bzw. Tage)

BiosyntheseVitamin K-ab -hängig

Angeborene Koagulopathien (mit Angabe der Häufigkeit)

I Fibrinogen ca. 5 Tage – Afibrinogenämie, Hypofibrinogenämie, A-, Hypo- bzw. Dysfibrinogenämie (1:1 Mio)

II Prothrombin 2–3 Tage + Hypoprothrombinämie (1:2 Mio)

III Gewebethromboplastin

IV Calcium

V Accelerin, Acceleratorglobulin, labiler Faktor

ca. 1 Tag – Hypoaccelerinämie (Parahämophilie)(1:1 Mio)

VII Proconvertin, stabiler Faktor 5 h + Hypoproconvertinämie (1: 500 000)

VIII Antihämophiler Faktor A 15 h – Hämophilie A (1: 10 000)

IX Antihämophiler Faktor B,Christmas-Faktor

20 h + Hämophilie B (1: 60 000)

X Stuart-Power-Faktor 2 Tage + Stuart-Power-Faktor-Mangel (1:1 Mio)

XI Plasma thromboplastin antecedent (PTA)

2 Tage – PTA-Mangel (1:1 Mio)

XII Hageman-Faktor 2 Tage – Hageman-Faktor-Mangel

XIII Fibrin-stabilisierender Faktor (FSF), Loki-Lorand-Faktor

ca. 5 Tage – FSF-Mangel (1:1 Mio)

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986 Kapitel 29 · Blut

29

dieses in einen wirksamen Protein C-Aktivator umwan-delt.

Die medikamentöse Behandlung mit gerinnungshem-menden Mitteln (sog. Antikoagulantien) ist dann angezeigt, wenn der Bildung von Thromben, d.h. Blutgerinnseln in-nerhalb der nicht-eröffneten Gefäßbahn vorgebeugt wer-den soll (z.B. nach Operationen oder Herzinfarkten). Dazu haben sich Heparine und Vitamin K-Antagonisten be-währt.

! Heparine hemmen Thrombin indirekt über eine Bin-dung an Antithrombin III.

Heparine werden in den basophilen Granula von Mastzel-len im perikapillären Gewebe, in Lungen oder Leber (Name) und von Granulozyten des Bluts gebildet. Es han-delt sich um ein Gemisch aus Molekülen mit unterschied-licher Kettenlänge (Molekularmassen von 5–30 kDa, 7 Kap. 2.1.4). Heparine, die nur parenteral verabreicht werden können, wirken über eine Bindung an Antithrombin III, die zu dessen Aktivierung führt (. Abb. 29.31). Die Wir-kung hängt vom Sulfatierungsgrad ab. Ein wesentlicher Vorteil des Heparins ist das schlagartige Einsetzen seiner Wirkung, die durch Verabreichung von organischen Prote-inkationen (wie Protamin), die Heparin binden, ebenso schnell wieder aufgehoben werden kann. Der Abbau von Heparin erfolgt durch Heparinasen in der Leber.

! Protein C und Protein S inaktivieren die Faktoren Va und VIIIa.

Die Protease Protein C [so genannt, weil es bei den ersten Untersuchungen auf einer Ionenaustauschersäule (7 Kap. 2.3.4) als 3. Peak (nach A und B) eluierte] stellt ein Poly-peptid aus zwei Ketten mit Molekularmassen von 41 kDa und 21 kDa dar. Sie wird als inaktives Proenzym in der Le-ber synthetisiert. Dabei werden – ähnlich wie bei den Blut-gerinnungsfaktoren – 10 Glutamylreste Vitamin K-abhän-gig carboxyliert. Bei einer Behandlung mit Vitamin K-An-tagonisten (7 u.) sinkt deshalb auch die Aktivität dieses Proenzyms ab. Für seine enzymatische Wirkung muss Pro-tein C aktiviert werden (aktiviertes Protein C, APC). Das Proenzym wird zwar durch Thrombin aktiviert, der Vor-gang läuft aber zu langsam ab, um physiologische Bedeu-

tung zu besitzen. Eine wesentlich schnellere Aktivierung erfolgt unter Vermittlung von Thrombomodulin, einem Rezeptorprotein an der Endothelzelloberfläche (. Abb. 29.32). Durch die Bindung von Thrombin (das ja eigentlich Teil der Prokoagulation ist) an Thrombomodulin wird Pro-tein C in die aktive Form überführt. Das aktivierte Protein C kann mit Thrombozyten oder Endothelzelloberflächen in Wechselwirkung treten, optimal ist diese Interaktion je-doch nur in Gegenwart von Protein S (nach der Stadt Seattle, in der es entdeckt worden war).

Protein S wird ebenfalls Vitamin K-abhängig in der Le-ber synthetisiert. Im Blut zirkuliert es entweder in freier Form (. Abb. 29.32), als Komplex mit dem C4b-Bindungs-protein (einem Inhibitor des Komplementsystems, 7 Kap. 34.4) oder als Komplex mit einem Protein S-Bindungspro-tein. Der Komplex aus aktiviertem Protein C und Protein S inaktiviert die aktivierten Faktoren Va und VIIIa und wirkt dadurch antikoagulierend. Gleichzeitig inaktiviert das En-zym einen Inhibitor des Gewebe-Plasminogenaktivators, sodass es indirekt auch als Stimulator der Fibrinolyse (7 Kap. 34.4) wirkt.

! Vitamin K-Antagonisten wirken über eine Hemmung der -Carboxylierung von Blutgerinnungsfaktoren.

Die in der Praxis häufig verwendeten Derivate von 4-Hy-droxycumarin und Indan-1,3-dion (. Abb. 29.33) wirken indirekt über eine kompetitive Verdrängung von Vitamin K bei der posttranslationalen Modifikation der Faktoren II, VII, IX und X sowie von Protein C und Protein S in der Leber. Vitamin K ist Cofaktor einer Carboxylase, die Gluta-mylreste in den genannten Proteinen posttranslational in -Stellung carboxyliert (7 Kap. 23.2.4); dabei entstehen -

Carboxylglutamylreste, deren benachbarte Carboxylgrup-pen leicht Calcium binden können. Man nimmt an, dass alle Glutamylseitenketten in den Vitamin K-abhängig syn-thetisierten Faktoren carboxyliert werden. Vitamin K-An-tagonisten verhindern die Carboxylierung durch Verdrän-gung des Vitamins K an der Carboxylase, sodass Faktoren entstehen, deren Glutamylreste nicht mehr verändert sind und die demnach nicht mehr Calcium und Phospholipide binden können. Sie verlieren dadurch ihre Aktivierbarkeit. Daraus wird verständlich, dass Vitamin K-Antagonisten nicht in vitro wirken und dass eine Wirkung erst nach einer

. Abb. 29.31. Indirekte Hemmung von Thrombin durch Heparin. 1 schwache Bindung von Antithrombin an Thrombin; 2, 3 Bindung von Heparin an Lysylseiten-ketten von Antithrombin mit konsekutiver irreversibler Konformationsänderung von Antithrombin und damit hoher Affinität zu Thrombin

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ausreichenden Senkung (in der Regel nach 2–3 Tagen) des Blutspiegels der Faktoren II, VII, IX und X eintritt. Eine Überdosierung mit diesen Medikamenten wird durch Gabe von Vitamin K behandelt.

! Heparin, EDTA oder Citrat hemmen die Blutgerinnung in vitro.

Soll bei Blutuntersuchungen die Gerinnung verhindert werden, so kann durch Punktion gewonnenes Blut in hepa-rinisierten Röhrchen gesammelt werden. Andere Möglich-keiten sind entweder der Zusatz von EDTA, das mit dem für die Gerinnung notwendigen Calcium einen Komplex bildet oder von Citrat, das mit Calcium ebenfalls einen Komplex bildet. Citrat wird auch zur Bereitung von Transfusionsblut verwendet.

29.5.4 Fibrinolyse

! Die Fibrinolyse ist ein wichtiger Gegenspieler der Blut-gerinnung.

Mit Hilfe des fibrinolytischen Systems, das eine auffallende Ähnlichkeit mit dem Blutgerinnungssystem aufweist, wer-

den Thromben lysiert, die sich im intakten Gefäßsystem gebildet haben. Auch in diesem System wird eine Endopep-tidase, das Plasmin, aus der inaktiven Vorstufe Plasmino-gen durch limitierte Proteolyse gebildet. Die Aktivierung erfolgt über sog. Plasminogenaktivatoren. Es wird zwi-schen körpereigenen wie Urokinase und Gewebeplasmino-genaktivator [auch t-(für tissue)PA] und externen wie Streptokinase (aus Streptokokken) unterschieden. t-PA ist ein Glykoprotein mit einem Molekulargewicht von 70 kD (527 Aminosäuren) und einem Kohlenhydratanteil von rund 10%. Es kommt in den meisten Geweben vor, wenn auch in unterschiedlichen Konzentrationen. In Blutgefäßen ist es an Endothelzellen gebunden und kann durch Throm-bin freigesetzt werden. In der Blutbahn komplexiert t-PA als (Serin-)Protease schnell mit Proteaseinhibitoren und wird dadurch inaktiviert. t-PA wird schnell in der Leber abgebaut, sodass die Halbwertszeit nur 3 min beträgt. Auf-grund seiner hohen Affinität zu Fibrin wird t-PA selektiv dort, wo Fibrin abgelagert ist oder wo sich Thromben ge-bildet haben, aus dem Endothelspeicher freigesetzt. Im Gegensatz zu allen anderen bekannten Serinproteasen (7 Kap. 9.3) entfaltet t-PA bereits in der Proform proteoly-tische Aktivität. Unter dem Einfluss von Plasmin wird das einkettige Polypeptid an der Peptidbindung Arg275-Ile276 gespalten, sodass ein Molekül mit einer schweren und einer leichteren Kette entsteht, die über Disulfidbrücken verbun-den sind. Damit geht eine deutliche Erhöhung der Enzym-aktivität einher. In Anwesenheit von Fibrin binden t-PA und Plasminogen an den Thrombus, sodass ein Komplex entsteht, der die Plasminogenaktivierung und damit die Fibrinauflösung bewirkt (lokale Lyse).

Beim Abbau von Fibrin entstehen Fibrinspaltprodukte, die auch als D-Dimere bezeichnet werden. Eine Erhöhung der D-Dimere zeigt eine reaktive Fibrinolyse bei vermehr-

. Abb. 29.33. Struktur von 4-Hydroxycumarin (links) und Indan-1,3-dion (rechts). Derivate dieser Verbindungen verdrängen Vitamin K kompetitiv bei der Biosynthese der Faktoren II, VII, IX sowie Protein C und Protein S in der Leber

29.5 · Blutstillung

. Abb. 29.32. Schematische Darstellung der Proteine und Zello-berflächen, die am Protein-C-Stoffwechsel beteiligt sind. TM = Thrombomodulin; Th = Thrombin; PC = Protein C; PS = Protein S;

C4BP = C4-Bindungsprotein; PSBP Protein = PS-Bindungsprotein; SR = endothelialer Protein S-Rezeptor, APC = aktiviertes Protein C

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988 Kapitel 29 · Blut

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ter Fibrinbildung an und dient deshalb als empfindlicher Indikator einer Gerinnselbildung (Thrombose).

Plasmin baut nicht nur Fibrin ab, sondern greift auch Fibrinogen und die Faktoren V und VIII an. Die beim Fi-brinogenabbau entstehenden Produkte (Fibrinogenspalt-produkte) hemmen die Thrombinbildung und die Polyme-risation von Fibrinmonomeren. Damit wird die gesteigerte Fibrinolyse durch die gleichzeitige Hemmung der Gerin-nung unterstützt.

Streptokinase, ein Protein ohne enzymatische Eigen-schaften, wirkt nicht direkt auf Plasminogen, sondern bil-det mit diesem erst einen durch hydrophobe Wechselwir-kungen bedingten Komplex, der dann weitere Plasmino-genmoleküle in Plasmin umwandelt. Ein Nachteil der Streptokinase, die bei der Auflösung intravasaler Gerinnsel Anwendung findet, ist, dass bei Patienten, die eine Strepto-kokkeninfektion durchgemacht haben, Antikörper gegen Streptokinase auftreten können, die die therapeutisch zuge-führte Streptokinase inaktivieren.

Während Streptokinase und Urokinase (ein aus mensch-lichem Urin gewonnener Aktivator, der Plasminogen ohne vorherigen Kontakt mit Fibrin aktiviert) schon seit Jahrzehn-ten zur Thrombolysetherapie eingesetzt werden, wird re-kombinantes t-PA erst seit einigen Jahren bei arteriellen Ver-schlüssen (Herzinfarkt) und Lungenembolien angewendet.

! Die Fibrinolyse kann durch Medikamente gehemmt werden.

Die Bildung zu hoher Mengen freien Plasmins im Blut wird durch Protein mit Antiplasminaktivität wie 2-Makroglo-bulin, Antithrombin III und 1-Antitrypsin (. Tabelle 29.9) verhindert. Eine pathologisch gesteigerte Fibrinolyse (z.B. bei Leukämien, Operationen an Fibrinolyseaktivator-rei-chen Organen wie Uterus, Prostata oder Lungen sowie beim Einbruch von Fruchtwasser in die Blutbahn) kann medikamentös durch Antifibrinolytica wie die Aminosäure -Aminocapronsäure, p-Aminomethylbenzoesäure oder

Aprotinin unterbrochen werden, die außer Plasmin auch Trypsin, Chymotrypsin und die in erster Linie für die Kininfreisetzung verantwortlichen Kallikreine hemmen.

29.5.5 Pathobiochemie

Keimbahnmutationen in den Genen (auf Chromosom 17 q21 23) für den Komplex GP IIb/IIIa (den Fibrinogen-rezeptor) führen zu einer seltenen, autosomal rezessiven Blutungserkrankung, die durch eine verlängerte Blutungs-zeit, normale Thrombozytenwerte und das vollständige Fehlen der Plättchenaggregation charakterisiert ist und als Thrombasthenie Glanzmann bezeichnet wird. Bei den Plättchen ist die Gerinnselretraktion herabgesetzt oder vollständig fehlend, da die Thrombozyten offenbar die Kraft der cytoskelettalen Kontraktion nicht auf das Fi-brinnetzwerk übertragen können.

Synthese- oder Strukturänderungen des von-Wille-brand-Faktors bedingen ebenfalls eine Thrombozyten-funktionsstörung. Da der von-Willebrand-Faktor für die Plättchenadhäsion von großer Bedeutung ist, fallen Pa-tienten mit einem Mangel an diesem Faktor durch ver-mehrte Blutergüsse, Nasenbluten oder Monatsblutungen bzw. starke Blutungen nach Verletzungen oder operativen Eingriffen auf.

! Die Hämophilien (A und B) werden durch Fehlen der Faktoren VIII bzw. IX verursacht.

Angeborene Mangelzustände sind für alle Faktoren be-schrieben worden (. Tabelle 29.8). Die bekannteste und häufigste Krankheit ist die Hämophilie A, die durch den Mangel des Faktors VIII zustande kommt. Dadurch ist die Aktivierung von Faktor X durch das intravaskuläre System gestört, sodass die Aktivierung von Prothrombin verlangs-amt oder ganz verhindert wird. Die Krankheit ist durch eine erhöhte Blutungsneigung charakterisiert, wobei v.a. Blu-tungen nach geringfügigen Verletzungen unstillbar sind. Eine Therapie erfolgt mit aus Plasma isoliertem oder gen-technologisch hergestellten Faktor VIII-Konzentrationen, die wegen der kurzen Halbwertszeit (6–20 h) häufig verab-reicht werden müssen.

Das Gen für Faktor VIII macht etwa 0,1% des gesamten X-Chromosoms aus. Es enthält 186.000 Basenpaare mit 26 Exons, zwischen denen die Introns liegen, die etwa 95% des gesamten Gens ausmachen (. Abb. 29.34). Die Exons co-dieren in ihrer Gesamtheit für das Protein mit 2351 Amino-säuren und einer Molekularmasse von 400 kDa (ohne die Kohlenhydratseitenketten). Da die Krankheit klinisch sehr heterogen ist, ist zu erwarten, dass – auch bedingt durch die Größe des Gens – viele verschiedene Mutationen als Ursa-che in Frage kommen: tatsächlich sind bisher 943 (!) ver-schiedene Missense-Mutationen und Deletionen (des ge-samten Gens oder auch einer einzigen Base) beschrieben worden. Auf der anderen Seite zeigt die Analyse großer Pa-tientenkollektive, dass bestimmte Punktmutationen, so z.B. CG TG-Transition mit Bildung eines Nonsensecodons in den Exons 18 und 22 gehäuft auftreten (mutational hot-spots, 7 u.). Außerdem müssen bei dieser Erkrankung zur Aufrechterhaltung ihrer Häufigkeit in der Population denovo-Mutationen auftreten (7 Kap. 7.3). Die Hämophilie A tritt mit einer Häufigkeit von 1:10.000 beim männlichen Geschlecht auf und ist damit die häufigste, schwere Blut-gerinnungsstörung des Menschen. Sie manifestiert sich klinisch nur bei Männern, heterozygote Frauen bleiben aufgrund ihres zweiten intakten X-Chromosoms ohne Symp tome. Die Hämophilie A zeigt kein einheitliches Krankheits bild. Dieses reicht von schwersten, sich bereits bei der Geburt oder im Säuglingsalter manifestierenden (Restaktivität <2%) Blutungsneigungen über mittlere (Rest-aktivität 2–5%) bis hin zu subklinischen Verlaufsformen (Restaktivität 6–30%), die oft erst im Erwachsenenalter erkannt werden.

Page 39: 29 - Blut

2998929.5 · Blutstillung

. Abb. 29.34. Aufbau des humanen Faktor VIII. Oben: Struktur des menschlichen Faktor-VIII-Gens. Das aus 186000 Basenpaaren mit 26 Exons besteht. Mitte: Das Faktor VIII-Protein besitzt 6 Domänen. Durch intrazelluäre limitierte Proteolyse zwischen den B- und A3-Domänen entsteht ein Protein, dessen schwere und leichte Ketten durch nicht-covalente Wechselwirkungen zusammengehalten werden. Bei der

proteolytischen Aktivierung durch Thrombin werden 3 Peptidbin-dungen gespalten (Positionen 372, 740 und 1689): die entstehenden Fragmente werden durch nichtcovalente Bindungen zusammenge-halten. Unten: Mutationen, die zur Hämophilie führen: zwei der ge-zeigten Mutationen führen dazu, dass das Protein durch Thrombin nicht aktiviert werden kann

Etwa ein Drittel aller entdeckten Punktmutationen fin-den sich im CG-Basendinucleotid. Dieses Nucleotid ist ein Hotspot für C/T- und G/A-Mutationen (7 Kap. 7.3). Das in dieser Kombination vorliegende Cytosin ist häufig methy-liert, sodass nur ein Desaminierungsschritt nötig ist, um das Cytosin durch Thymin zu ersetzen. Auf dem codierenden Strang bewirkt die Mutation den Austausch eines Arginin-Codons (CGA) durch ein Stopcodon (TGA); auf dem nicht-codierenden Strang führt dieselbe Mutation zum Austausch

der Aminosäure Arginin (CGA) durch Glutamin (CAA). Zu-sätzlich zu gerinnungsphysiologischen Untersuchungen wer-den heute Hämophilien durch molekularbiologische Analy-sen (z.B. Restriktions-Analyse PCR-amplifizierter DNA) untersucht. Diese methodischen Ansätze werden auch zur pränatalen Diagnostik der Hämophilien verwendet.

Die Mutationen haben z.T. auch erlaubt, Struktur-Funktions-Beziehungen des Faktor VIII-Gens besser zu verstehen. So führen z.B. Mutationen der Aminosäuren 372

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990 Kapitel 29 · Blut

29

bzw. 1689 zur Beeinträchtigung von Regionen, in denen die Aktivierung durch Thrombin stattfindet. Eine Muta-tion in Position 1709 hat Einfluss auf die Bindung des von-Willebrand-Faktors, eine andere Mutation in Position 1680 führt zum Verlust eines Tyrosylrests, dessen Sulfatie-rung ebenfalls an der Wechselwirkung mit dem von-Wil-lebrand-Faktor beteiligt ist. Die Mutation von Arginin zu Glutamin in Position 2209 hat eine unterschiedliche Aus-prägung zur Folge (von einer milden bis schweren Blu-tungsneigung), was dafür spricht, dass die Schwere der Erkrankung möglicherweise durch eine zweite Mutation oder durch Muta tionen in anderen Proteinen, die mit der Faktor VIII-Funktion vergesellschaftet sind, bestimmt wird.

Das Fehlen bzw. der funktionelle Mangel des Faktors IX verursacht die als Hämophilie B bezeichnete Bluter-krankheit. Das Gen für diesen Faktor liegt ebenfalls auf dem X-Chromosom (Xq27) und besteht aus acht Exons mit ei-ner Gesamtlänge von 40 kb. Die Expression des Gens in der Leber führt zur Bildung eines Prä-Profaktors IX, aus dem – nach Abspaltung eines Signalpeptids und einer Vorse-quenz von 18Aminosäuren – das reife Protein mit 415 Ami-nosäuren entsteht. Während der Biosynthese finden Glyco-sylierungen und -Carboxylierungen statt. Auch hier exis-tiert eine erhebliche molekulare Heterogenität, die seit der Klonierung des Gens genau analysiert werden kann. Zur Aktivierung des Faktors wird ein Peptid durch Spaltungen der Peptidbindungen Arg145-Ala146 und Arg180-Val181 entfernt. Bei der Mutation, bei der der Arginylrest in Posi-tion 145 durch einen Histidylrest ersetzt wird, ist die Kon-zentration des Profaktors im Plasma zwar normal, seine Aktivierung jedoch gestört. Dies führt nur zu einer milden Hämophilie, wohingegen die Mutation des Arginylrests 180 ein schweres Krankheitsbild bedingt. Dies spricht für eine unterschiedliche Bedeutung der beiden zu spaltenden Pep-tidbindungen für die Aktivierung von Faktor IX. Bei einer anderen Mutation führt die Substitution eines Arginyl- durch einen Serylrest im Proenzym dazu, dass die post-

translationale Prozessierung zum Enzym nicht stattfinden kann. Dadurch entsteht ein am N-terminalen Ende um 18 Aminosäuren verlängertes Polypeptid, das nicht als Sub-strat für die Vitamin K-abhängige Carboxylierung dienen kann, sodass -Glutamylreste nicht carboxyliert werden. Ein geringer Prozentsatz der Patienten (1%) bildet Antikör-per gegen therapeutisch substituierten Faktor IX, was wahrscheinlich durch Deletionen des Gens bedingt ist (so-dass das Protein als körperfremd angesehen wird).

Eine interessante Variante der Hämophilie B, die eine Stö-rung der Regulation der Genexpression anzeigt, ist der Leyden-Phänotyp. Normalerweise wird die Faktor IX-Gen-expression im dritten Trimester angeschaltet. Bei Patienten mit der Leyden-Variante erfolgt dies jedoch erst zu Beginn der Pubertät. Dies bedeutet, dass sich die Faktor IX-Spiegel bei Kindern mit einer milden bis schweren Hämophilie nach der Kindheit normalisieren. Alle bisher untersuchten Fami-lien mit dieser Konstellation weisen unterschiedliche Punkt-mutationen in einer kleinen Gruppe, der sog. Leyden-spezi-fischen Region, im 5´-nichttranslatierten Anteil des Faktor IX-Gens auf. Diese Region ist offenbar für die altersabhän-gige Regulation der Transkription dieses Gens von Bedeu-tung.

! Mangel an Hemmstoffen der Blutgerinnung begünstigt die Entstehung von Thrombosen.

Die Entstehung von Thrombosen, d.h. die Bildung von Blutgerinnseln innerhalb der nicht-eröffneten Strombahn, wird durch den partiellen Mangel an Hemmstoffen der Blutgerinnung begünstigt. Dazu gehören vererbbare Prote-in C-, Protein S- oder Antithrombin III-Mangelzustände. Deshalb ist bei einer familiären Häufung von Thrombosen immer nach derartigen Mangelzuständen zu suchen. Die häufigste Ursache für thrombotische Geschehen ist aller-dings die sog. APC-Resistenz, d.h. das aktivierte Protein C kann sein Substrat, den Faktor V, nicht spalten, da durch eine Mutation im Faktor V-Gen die Spaltstelle verändert wird.

In Kürze

Die Hämostase kommt durch das koordinierte Zusammen-spiel vaskulärer, thrombozytärer und plasmatischer Vor-gänge zustande.

Bei der zellulären Blutstillung adhärieren Thrombo-zyten an die Matrix von Endothelzellen. Der Kontakt führt zur Aktivierung der Plättchen mit konsekutiver Änderung der Morphologie, Aggregatbildung und Verschluss des verletzten Gefäßes.

Rezeptoren auf der Thrombozytenoberfläche für Lami-nin, Fibrinogen oder Fibronektin spielen eine Schlüsselrol-le bei diesen Vorgängen.

An der Aktivierung des Thrombozyten sind die plätt-cheneigenen Thromboxane und ADP beteiligt, die über

entsprechende Rezeptoren zu einer Autostimulation des Thrombozyten führen.

Prothrombinase und Tenase sind die wichtigsten Be-standteile der plasmatischen Gerinnungskaskade. Dabei entsteht aus Prothrombin Thrombin, welches Fibrinogen in Fibrin überführt.

Antithrombotische (oder fibrinolytische) Faktoren sor-gen dafür, dass die Hämostase lokal begrenzt bleibt.

Die plasmatische Gerinnung kann therapeutisch durch die Gabe von Vitamin K-Antagonisten gehemmt werden, die die -Carboxylierung von Gerinnungsfaktoren blockieren.

Die häufigsten genetischen Defekte der Blutgerin-nungsfaktoren sind die Hämophilie A und B. Über 600 ver-

6

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29991

schiedene Mutationen können die klinisch unterschied-lichen Formen der Hämophilie A verursachen. Da die Fak-toren VIII und IX in rekombinanter Form verfügbar sind, können sie zur Substitutionstherapie verwendet werden.

Genetische Störungen antithrombotischer Proteine wie Protein S, Protein C, Antithrombin III oder die APC-Re-sistenz können zur Entstehung von Thrombosen führen.

Thrombosen können durch Heparine, Acetylsalicylsäure oder Antagonisten bestimmter Thrombozytenrezeptoren behandelt oder vorgebeugt werden.

Die Bestimmung der Fibrin D-Dimere erlaubt eine Diag-nose von Thrombosen.

29.6 · Plasmaproteine

29.6 Plasmaproteine

29.6.1 Konzentration, Biosynthese und Abbau von Plasmaproteinen

! Im gesamten menschlichen Blutvolumen zirkulieren zwischen 180 und 240 g Proteine.

Die Proteine des Plasmas stellen ein heterogenes Gemisch von wahrscheinlich über 100000 Proteinen (Proteom), meist Glycoproteinen dar, die zum überwiegenden Teil in der Leber und im Lymphgewebe synthetisiert werden. Viele von ihnen konnten aufgereinigt werden (. Tab. 29.9). Der Gesamtproteingehalt des Plasmas (oder auch Serums) liegt zwischen 60 und 80 g/l (6 und 8 g Protein/100 ml). Bei einem Gesamtblutvolumen von 5 Litern beträgt das Plas-mavolumen bei einem Hämatokrit (7 Kap. 29.2.1) von 40% 3 Liter, die darin enthaltene Proteinmenge zwischen 180 und 240 g. Darüber hinaus befinden sich Albumine auch im extravasalen Raum (15 l) in einer Konzentration von etwa 10 g/l (1 g/100 ml); sie stehen mit den intravasalen Plasmaproteinen im Gleichgewicht. Unter Einbeziehung der extravasalen Proteinmenge mit etwa 150 g ergibt sich eine Gesamtmenge des extrazellulären Proteins von rund 400 g, das sind 4% des Gesamtbestandes des Organismus von etwa 10 kg. Zwischen Biosynthese und Abbau der Plas-maproteine, der u.a. durch Ausscheidung in den Gastroin-testinaltrakt und Verstoffwechselung in den peripheren Organen erfolgt, besteht ein dynamisches Gleichgewicht. Störungen dieses Gleichgewichts z.B. durch verringerte Biosynthese bei vermindertem Aminosäureangebot bei Nahrungskarenz oder infolge von Leberparenchym-Schä-digungen, durch vermehrte Ausscheidung in den Gastro-intestinaltrakt (exsudative Gastroenteropathie) und bei Nierenschädigungen (Proteinurie, 7 Kap. 28.2.3) führen zum Absinken des Plasmaproteinspiegels (Hypoproteinä-mie). Andererseits kann eine vermehrte Biosynthese, z.B. aufgrund der klonalen Expansion von -Globulin produ-zierenden Plasmazellen (7 Kap. 29.6.5) zu einer Er höhung der Konzentration im Blut führen (Hyperpro teinämie).

Da bei den Proteinbestimmungen nur die Konzen tra-tion, d.h. die Menge der Proteine pro Volumeneinheit, ermittelt wird, täuschen auch Vermehrungen oder Ver-minderungen des extrazellulären Wassers entsprechende Änderungen des Plasmaproteingehalts vor. So können bei-

spielsweise Wasserverluste infolge von Diarrhöen eine Ein-dickung des Bluts (Hämokonzentration) und damit eine scheinbare Erhöhung der Proteinkonzentration verursa-chen. Deshalb sollte zur Unterscheidung von Störungen des Proteinstoffwechsels und Wasserhaushalts gleichzeitig der Hämatokrit ermittelt werden.

Die Bestimmung der Gesamtproteinkonzentration be-sitzt nur eine beschränkte Aussagekraft, da sie keine Infor-mation über die qualitative und quantitative Änderung einzelner Proteinfaktoren liefern kann. Deshalb ist man bestrebt, zusätzlich die große Zahl der Plasmaproteine in einzelne Fraktionen aufzutrennen, deren quantitative Ver-änderungen wertvolle diagnostische Hinweise geben kön-nen.

Von den zahlreichen in der Praxis angewendeten blut-chemischen Untersuchungsmethoden nimmt die Trennung der Plasmaproteine in Einzelfraktionen eine wichtige Stel-lung ein.

29.6.2 Trennung von Plasmaproteinen in Einzelfraktionen

Zur analytischen Auftrennung der Plasmaproteine stehen die Trägerelektrophorese und die Immunelektrophorese zur Verfügung, bei der die Trägerelektrophorese mit einer Immunpräzipitation kombiniert wird.

! Bei der Elektrophorese werden Folien aus acetylierter Cellulose als Träger verwendet.

Bei der Untersuchung trägt man die Serumprobe nahe der Kathode auf dem Trägerstreifen auf, der dann in die Elek-trophoresekammer eingelegt wird. Durch Anlegung einer definierten Gleichspannung beginnen die Proteine nach Ladung und Teilchengröße (je größer das Proteinmolekül, desto mehr Widerstand muss bei der Wanderung im wäss-rigen Medium überwunden werden) unterschiedlich schnell in Richtung Anode zu wandern. Nach Beendigung des Laufs entnimmt man den Trägerstreifen aus der Kam-mer und legt ihn in ein Färbebad, in dem die Proteine ge-färbt und durch Denaturierung an die Folie fixiert werden. Anschließend erfolgt die photometrische Messung der ent-standenen Farbbänder. Im gleichen Arbeitsgang wird durch Integration der Flächen unter den einzelnen Gipfeln der

Page 42: 29 - Blut

992 Kapitel 29 · Blut

29

. Tabelle 29.9. Proteine des menschlichen Blutplasmas (Auswahl)

Proteine Molekular-gewicht (kD)

Proteinanteil[%]

Normalbereich im Serum des Erwachsenen [g/l]

Funktion Pathobiochemie

AlbuminePräalbuminAlbumin

61 69

99100

0,1–0,435–55

ThyroxinbindungTransportfunktion, kolloid-osmotischer Druck

bei schweren Leberleiden bei Leberzirrhose,

Nephrose

α1-GlobulineSaures α1-Glykoprotein(Orosomucoid)

44 62 0,55–1,40 Unklar bei entzündlichen Prozes-sen, die mit Gewebezerfall einhergehen (Akutphase-Re-aktion)

α1-Antitrypsin(α1-Antiprotease)

54 86 2–4 Proteaseinhibitor(Trypsin, Chymotrypsin, Plasmin, Elastase)

bei entzündlichen Prozes-sen (Akutphase-Reaktion); genetisch bedingter Mangel führt zum Lungenemphysem

α1-Lipoprotein(high density lipoprotein)

200 45 2,90–7,70 Transport von Lipiden, Hormonen

bei Lebererkrankungen

Prothrombin(Gerinnungsfaktor)

60 0,05–0,1(Plasma)

Proenzym des Thrombins (Gerinnung)

bei Lebererkrankungen Anticoagulantentherapie

Transcortin 45 86 Cortisolbindung

Thyroxin-bindendes Globulin

45 Thyroxinbindung

α1-Antichymotrypsin 68 73 0,3–0,6 Chymotrypsininhibitor bei entzündlichen Prozes-sen (Akutphase-Reaktion)

α1-Fetoprotein 68 < 15 × 10–6 Nur beim Fetus und Neuge-borenen nachweisbar; bei Er-wachsenen mit Lebercarci-nom oder Hodentumoren

Gc-Globulin(group-specific component)

50 96 0,2--0,55 Vitamin D-Bindung bei schwerem Leberleiden

α2-Globuline

α2-Caeruloplasmin (Ferrooxidase I)

160 89 0,2--0,6 Enzymatische Eisen-oxidation

bei Schwangerschaft bei Morbus Wilson

α2-Antithrombin III 65 85 0,17–0,3 Thrombininhibitor genetisch bedingter Man-gel, Verbrauchscoagulopathie

α2-Haptoglobin 100 81 0,8–3,0 Hämoglobinbindung Leberleiden und hämo-lytische Anämien

bei Entzündungen (Akut-phase-Reaktion)

α2-Makroglobulin 820 92 Plasmininhibitor

Serumcholinesterase(Pseudocholinesterese)

348 76E/l

3000–8000(z.B. Leberzirrhose)

bei schweren Leberleiden

Plasminogen(Profibrinolysin)

143 91 0,06–0,25 Proenzym des Plasmins (Fibrinolysins)

bei entzündlichen Prozes-sen (Akutphase-Reaktion)

β-Globuline

β-Lipoprotein(low density lipoprotein)

3200 19 2,5–8 Transport von Lipiden Nephrose

β1C-Globulin(C 3-Komponente)

185 97 0,8–1,4 Komplementfaktor

Hämopexin(β1B-Globulin)

80 77 0,5–1,15 Häminbindung bei hämolytischen Anämien

Page 43: 29 - Blut

29993

Extinktionskurve der relative Anteil der einzelnen Proteine errechnet (. Abb. 29.35).

Bei Kenntnis der Gesamtserumproteinkonzentration können die Relativwerte in Absolutkonzentrationen umge-rechnet werden. Bei der allgemein üblichen Technik wer-den fünf Fraktionen beobachtet, in denen sich Proteine mit ähnlicher Ladung und Teilchengröße angesammelt haben (. Tabelle 29.10): Albumine und Globuline mit den Unter-gruppen 1, 2, und . Die klinische Bedeutung der Trä-gerelektrophorese ist die Erfassung von Dysproteinämien (7 Kap. 29.6.5), d.h. Verschiebungen der Proportion der ein-zelnen Plasmaproteinfraktionen.

! Bei der Immunelektrophorese wird die Elektrophorese mit einer anschließenden Immunfällung kombiniert.

Dabei wird die Serumprobe zuerst in einem Agarosegel elektrophoretisch getrennt. Anschließend wird eine Rinne ausgestanzt, in die ein z.B. durch Immunisierung von Ka-ninchen gewonnenes Humanantiserum (7 Kap. 34.3.4) ge-geben wird. Das Antiserum diffundiert nun gegen die Pro-teine des Serums. Beim Zusammentreffen eines Serumpro-teins mit seinem entsprechenden Antikörper aus dem Antiserum kommt es im Verlauf mehrerer Stunden zu einer

Antigen-Antikörper-Reaktion, die in Form einer halb-kreisförmigen bis länglichen Präzipitationslinie sichtbar wird (. Abb. 29.36).

Mit Hilfe der Immunelektrophorese können bis zu 40 Präzipitationslinien und damit Proteine im Serum nachge-wiesen werden (. Abb. 29.37 und . Tabelle 29.9). Die bei der einfachen Trägerelektrophorese homogen erschei-nenden Fraktionen, in denen sich Proteine ähnlicher La-dung und Teilchengröße ansammeln, können so in ihre verschiedenen Einzelbestandteile zerlegt werden. Die Im-munelektrophorese gestattet jedoch nur eine qualitative

29.6 · Plasmaproteine

. Tabelle 29.9 (Fortsetzung)

Proteine Molekular-gewicht (kD)

Proteinanteil[%]

Normalbereich im Serum des Erwachsenen [g/l]

Funktion Pathobiochemie

Transferin(Siderophilin)

90 95 2–4 Bindung und Transport von Eisen

in der Schwangerschaft und bei Einnahme von Ovula-tionshemmern

Anämien,Leberkrankheiten, Infekte

Fibrinogen(Gerinnungsfaktor 1)

340 97 2–4,5(Plasma)

Blutgerinnung bei Leberparenchymschä-den, Hyperfibrinolyse, bei Entzündungen (Akutphase-Reaktion)

C-reaktives Protein 140 100 < 0,012 Phagozytoseförderung bei akut entzündlichen Pro-zessen (Akutphase-Reak tion)

γ-Globuline

IgG(γG, γ2, 7S-γ-Globulin)

150 97 8–18 Antikörper bei Leberleiden, chro-nischen Infekten

bei Antikörpermangel-syndrom

IgA(γA, γ1A, β2A-Globulin)

160sowie Aggre-gate

92 0,9–4,5 Antikörper(bes. in Sekreten)

Wie oben

IgM (γM, β2M, 19S-γ-Globulin)

900 sowie Aggregate

89 0,6–2,5 0,7–2,8

Antikörper(Isoagglutinine u.a.)

Wie oben Makroglobulinämie

Waldenström

IgD (γD-Globulin) 170 88 < 0,15 Antikörper? bei Plasmozytom

IgE (γE-Globulin) 190 89 < 6 × 10–4 Antikörper (Reagine) bei Plasmocytom und Aller-gien

Lysozym(Muraminidase)

15 100 5–15 × 10–3 Bakterienauflösung beim Zerfall leukämischer Varianten von Monocyten/Granulozyten

. Tabelle 29.10. Normalwerte der Plasmaproteinfraktionen

Proteinfraktion Relativprozent Absolutkonzentration [g/dl] bei einer Konzentration von 7 g Protein/dl Serum

Albumine 55–70 (60) 3,85–4,90

α1-Globuline 2–5 (4) 0,14–0,35

α2-Globuline 5–10 (8) 0,35–0,7

β-Globuline 10–15 (12) 0,7–1,05

γ-Globuline 12–20 (16) 0,84–1,4

Page 44: 29 - Blut

994 Kapitel 29 · Blut

29

und keine quantitative Bestimmung der verschiedenen Se-rumproteine. Soll die Konzentration eines bestimmten Se-rumproteins ermittelt werden, so kann dies unter Anwen-dung eines spezifischen Antikörperproteins, das durch Immunisierung von Versuchstieren gewonnen wird und im Handel erhältlich ist, erfolgen (ELISA, RIA etc., 7 Kap. 25.2.4). Die Domäne der Immunelektrophorese ist die Dia-gnostik der sog. monoklonalen Gammopathien oder Pa-raproteinämien (7 Kap. 29.6.5).

29.6.3 Die einzelnen Proteinfraktionen des Serums

! Die Albumine stellen mit 50–60% die Hauptfraktion der Serumproteine.

Vor den Albuminen wandern in der Elektrophorese die Präalbumine, die in beschränktem Umfang Thyroxin bin-den können. Die Albumine (Halbwertszeit 17–27 Tage) transportieren nicht-veresterte Fettsäuren, Tryptophan, Pharmaka, Vitamine, Kationen (Magnesium und Calcium), Spurenelemente sowie Abbau- und toxische Produkte und besitzen eine hohe Wasserbindungsfähigkeit. Sie sollen auch eine Aminosäurereserve für den Organismus darstel-len. Die Albuminkonzentration des Serums gilt seit langem als Parameter für die Funktion der Leber, da die Albumine einen wesentlichen Teil der Proteine, die von der Leberzel-

le synthetisiert und in den Extrazellulärraum sezerniert werden, ausmachen. Es darf jedoch nicht vergessen werden, dass der Serumalbuminspiegel nur die Resultante von Bio-synthese im Hepatozyten, Verteilung im Organismus und Abbau ist und dass über diese Prozesse, insbesondere die Regulation der Biosynthese – die durch die Ernährung, ein-zelne Aminosäuren, Hormone und den kolloidosmotischen Druck beeinflusst wird –, nur wenig bekannt ist. Bei einem Plasmaspiegel von 3,5–4,5 g/dl beträgt die täglich syntheti-sierte Albuminmenge beim erwachsenen Mann (Frau) 120–200 (120–150)mg/kg Körpergewicht. Nur etwa 40% des gesamten Albumins im menschlichen Organismus be-finden sich im Plasma. Die Hauptmenge der restlichen 60% ist im Extrazellulärraum des Hautgewebes lokalisiert. Albu-mine können in der Tränenflüssigkeit, in Schweiß, Speichel, Magensaft und Ödemen nachgewiesen werden und kom-men wahrscheinlich in jeder Körperflüssigkeit vor. Die Konzentrationen reichen dabei von weniger als 1 g/l bei Ödemen bis zu 20–30 g/l bei Exsudaten (durch Entzün-dung bedingter Austritt von Flüssigkeit aus den Blutge-fäßen).

a

b

c

d

+ –

. Abb. 29.36a–d. Prinzip der Immunelektrophorese. a Auftra-gung der Antigenmischung in das Probenloch. b Elektrophoretische Auftrennung. c Auftragung des Antiserums in die nach Abschluss der Elektrophorese ausgestanzte Rinne. d Bildung von Präzipitationslinien bei der Diffusion

. Abb. 29.35. Trennung der Proteine eines normalen Serums auf Celluloseacetatfolie. Rechts: Trägermaterial nach Beendigung der Elektrophorese. Links: Die bei der photometrischen Auswertung der Färbebänder entstandene Extinktionskurve; die Zahlen geben die Werte an, die bei der Integration der Flächen unter den einzelnen Gipfeln der Extinktionskurve ermittelt werden (Relativprozente). Bei bekanntem Gesamteiweißwert kann daraus die absolute Menge (g/dl) der einzelnen Fraktionen berechnet werden

Page 45: 29 - Blut

29995

! Die Globuline stellen eine äußerst heterogene Gruppe von Proteinen dar.

Globuline unterscheiden sich von den Albuminen durch ihre schlechtere Wasserlöslichkeit und ihr höheres Mole-kulargewicht. Mit Ausnahme der Proteine, die an anderer Stelle besprochen werden, wie z.B. die Lipoproteine (7 Kap. 18.5.1), die Blutgerinnungsfaktoren (7 Kap. 29.5.3), Caeru-loplasmin (Ferrooxidase) und Transferrin (7 Kap. 22.2.1), Enzyme (z.B. Pseudocholinesterase, Amylase), Hormone (z.B. Insulin und Hypophysenhormone) sowie die Immun-( -)Globuline (7 Kap. 34.3.4), wird im Folgenden auf einige Globuline hingewiesen.

α1-Globuline. Mit einem Kohlenhydratanteil von 38% ist das saure α1-Glycoprotein das kohlenhydratreichste Se-rumprotein. Die Konzentration dieses Proteins, das als Akutphase-Protein (7 Kap. 29.6.4) an der Immunmodula-tion beteiligt ist, ist bei akuten und chronischen Infekten, bei Karzinomen und während der Schwangerschaft erhöht. Zur 1-Fraktion gehören auch die Proteaseinhibitoren 1-Antitrypsin und 1-Antichymotrypsin, Hormon bindende Proteine (Transcortin und Thyroxin-bindendes Globulin) und das α1-Fetoprotein. Letzteres ist im fetalen Plasma in höherer Konzentration vorhanden (Bildungsort: Leber und Dottersack), beim gesunden Erwachsenen jedoch nur noch in geringen Konzentrationen. Es besitzt die Fähigkeit zur Östrogenbindung und könnte somit den Fetus vor einem Überschuss mütterlicher Östrogene schützen. Bei Patienten mit Leberzellkarzinomen und Hodentumoren findet eine Biosynthese dieses Proteins in den Tumorzellen statt, von denen es ins Plasma abgegeben wird und dort nachgewie-sen werden kann (7 Kap. 35.10).

α2-Globuline. Haptoglobin kann das bei Hämolysen frei im Serum auftretende Hämoglobin binden, sodass dieses nicht in den Urin übertreten kann und ein Eisen- und Ami-nosäureverlust verhindert wird. Haptoglobin und Hämo-globin bilden einen Komplex, der schnell von der Leber aufgenommen wird. Bei Hämolysen ist deshalb der Serum-Haptoglobin-Spiegel erniedrigt.

β-Globuline. Zu diesen Globulinen gehören4 Hämopexin, das Hämin bindet4 Transferrin, das Eisen bindet4 Properdin, das in unspezifischer Weise zur Abwehr bei-

trägt4 Faktoren des Komplementsystems, das im Zusam-

menspiel mit Antikörpern bei der Immunabwehr wirkt (7 Kap. 34.4), und

4 das C-reaktive Protein (CRP)

Letzteres Protein hat diesen Namen erhalten, weil es in vitro mit dem C-Kohlenhydrat reagiert, das der Polysaccharid-kapsel aller Pneumokokken (die z.B. Lungenentzündungen

verursachen) gemeinsam ist. Das C-reaktive Protein kommt beim Gesunden nur in sehr geringer Konzentration vor (<0,5 mg/100 ml). Es ist bei Prozessen erhöht, die mit Ge-webeläsionen (bakterielle Infektionen, Entzündungen, bös-artige Tumoren) einhergehen (7 u.).

β2-Mikroglobulin. Dieses Protein weist eine strukturelle Ähnlichkeit mit einem Abschnitt des Immunglobulins G auf und kann in Zellmembranen Teil des Histokompatibi-litäts-Antigens (Klasse I-Antigene, 7 Kap. 34.2.2) sein. Da das Protein ständig von Zellmembranen abgegeben wird, ist es in verschiedenen Körperflüssigkeiten nachweisbar (Liquor cerebrospinalis, Speichel, Colostrum, Spermaflüs-sigkeit, Amnionflüssigkeit, Serum und Urin). Die Serum-werte sind bei Krankheiten mit verändertem Zellumsatz, wie z.B. neoplastischen, entzündlichen oder immunolo-gischen Prozessen, erhöht.

γ-Globuline. Bei den Proteinen, die bei der Elektrophorese im -Bereich wandern, handelt es sich um die Antikörper, die mit Hilfe der Immunelektrophorese in fünf Immunglo-bulinklassen (. Abb. 29.37) getrennt und quantifiziert wer-

. Abb. 29.37. Schematische Darstellung der immunelektropho-retisch nachweisbaren Präzipitationslinien der wichtigsten Serum-proteine. Darüber das Nativpräparat einer Immunelektrophorese

29.6 · Plasmaproteine

Page 46: 29 - Blut

996 Kapitel 29 · Blut

29

den können (IgG, IgA, IgM, IgD, IgE). Ihre Struktur und Funktion wird ausführlich in 7 Kapitel 34.3.4 diskutiert.

In diesem Bereich findet sich auch Lysozym, das die Mukopeptidschicht der Bakterienwand (7 Kap. 2.1.4) spal-tet und somit unspezifisch zur Immunabwehr beiträgt. Außer im Blut (als Produkt von Monozyten) wird dieses Enzym in den meisten Körpersekreten (Nasenschleim, Cervical schleim, Haut, Tränenflüssigkeit) gefunden.

29.6.4 Funktionen der Plasmaproteine

Die Plasmaproteine tragen zur Erfüllung der genannten Aufgaben des Bluts bei. Ihre wichtigste Funktion, die insbe-sondere von den Albuminen ausgeführt wird, ist die Auf-rechterhaltung eines konstanten Plasmavolumens. Wei-terhin transportieren die Plasmaproteine (. Tabelle 29.9) wasserunlösliche Substanzen (Pharmaka, Fettsäuren, Cho-lesterin, Bilirubin), Metalle (Eisen, Kupfer), Hormone (Thyroxin, Cortisol) und Vitamine (Vitamin B12) und lei-sten einen entscheidenden Beitrag bei der Blutgerinnung (Prothrombin und Fibrinogen) und Fibrinolyse (Plasmi-nogen) sowie bei der Abwehr von Infektionen ( -Globu-line, Lysozym, C-reaktives Protein, Faktoren des Komple-ments). In beschränktem Umfang können Plasmaproteine auch als Puffer wirken.

! Plasmaproteine sind im Rahmen der Akutphase-Reak-tion an Entzündungen beteiligt.

Die meisten Gewebeverletzungen (z.B. Trauma, Operation oder Infektion) gehen mit einer Reihe entzündungsty-pischer, zellbiologischer Veränderungen einher. Bei dieser unspezifischen Reaktion steigt die Plasmakonzentration mehrerer, meist im Hepatozyten gebildeten Proteine an (. Abb. 29.38). Von den etwa 30 beteiligten und als Proteine der akuten Phase (7 Kap. 33.2.3) bezeichneten Moleküle ist das C-reaktive Protein (CRP) am besten für diagnostische Zwecke geeignet, da es leicht bestimmt werden kann. Die Synthese der Akutphase-Proteine unterliegt der Regulation durch verschiedene Cytokine (Interleukin-1, Interleukin-6, TNF , Interferon- , TGF , epidermaler Wachstumsfaktor (EGF), Leukämie inhibierender Faktor (LIF)), die von Ma-krophagen und anderen Entzündungszellen auf die Verlet-zung hin gebildet werden (. Abb. 29.39).

! Plasmaproteine sind an der Aufrechterhaltung eines konstanten Plasmavolumens beteiligt.

Im Bereich der Kapillaren findet der Austausch von Stoffen zwischen intra- und extravasalem Raum statt. Pro Minute werden im Kapillarbereich etwa 70% des Plasmawassers ausgetauscht. Mit dem Wasser gelangen Nährsubstrate vom Blutplasma durch die Kapillarmembran ins Gewebe und Abfallprodukte von den Geweben ins Blut. Dabei ist die Entfernung von Stoffwechselmetaboliten ebenso wichtig wie die Bereitstellung von Sauerstoff und Nährsubstraten.

Treibende Kraft für den Flüssigkeitsaustausch durch die Kapillaren ist der hydrostatische Druck, der in den Kapilla-ren höher als außerhalb ist. Auf der anderen Seite verhin-dert die Wasser anziehende Kraft der Plasmaproteine, die als kolloidosmotischer (onkotischer) Druck bezeichnet wird, dass das Plasmawasser vollständig in den intersti-tiellen Raum abgepresst wird. Unterschiede in diesen bei-den Drucken im arteriellen und venösen Schenkel der Ka-pillare (Starling-Mechanismus, Einzelheiten 7 Lehrbücher der Physiologie) sorgen dafür, dass die Zelle stets in einem nährsubstratreichen Milieu gebadet wird, da mit der Flüs-sigkeit Glucose, Aminosäuren, Fettsäuren, Sauerstoff und andere lebenswichtige Stoffe an die Zelle herangeschwemmt werden. Auf dem gleichen Wege werden die Stoffwechsel-produkte abtransportiert. Daraus wird verständlich, warum eine Reduktion des Plasmaproteinspiegels (Hypoproteinä-mie) Störungen des Wasseraustauschs im Kapillarbereich verursacht.

29.6.5 Pathobiochemie

! Homozygoter Mangel an 1-Antitrypsin führt zum Lungenemphysem.

1-Antitrypsin ( 1-AT), das ein breites Spektrum von Pro-teasen hemmt, darunter auch die Elastasen neutrophiler Granulozyten, und deshalb besser als 1-Antiprotease be-zeichnet werden sollte, schützt die Lungen vor der Wirkung von Proteasen, die von Leukozyten und phagozytierenden Zellen freigesetzt werden. Normalerweise sind diese Pro-teasen für den Abbau beschädigter Lungenzellen und ein-gedrungener Bakterien erforderlich. Bei Patienten mit 1-Antiproteasenmangel wird die protektive Funktion der Pro teasen nicht durch Gegenspieler, d.h. Antiproteasen regu liert, sodass sie sich gegen intakte, körpereigene Sub-stanzen, in diesem Fall das Elastin, und andere Proteine der extrazellulären Matrix wendet, die das architektonische

. Abb. 29.38. Reaktion der Akutphase-Proteine nach Gallenbla-senentfernung

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Rückgrat der dünnen Alveolarwände darstellen. Da die Lungenzellen postmitotisch sind, führt die kontinuierliche Zerstörung der Alveoli zum Emphysem.

1-Antitrypsin (394 Aminosäuren), das zu den sog. Akutphase-Proteinen (7 Kap. 29.3.1, 33.2.3) gehört, wird hauptsächlich von Hepatozyten und in geringerem Maße von Monozyten und Neutrophilen gebildet. Das verant-wortliche 12 kb-Gen liegt auf Chromosom 14q31 und be-steht aus sieben Exons (. Abb. 29.40). Die ersten drei Exons (1a–c) codieren für den Genpromotor, der wichtig für die Änderung der Genexpression im Rahmen der Akutphase-Antwort ist. Die anderen vier Exons enthalten die Information für das 1-Antitrypsinprotein. Der nor-

male Phänotyp wird als Pi-(Proteaseinhibitor)-Typ be-zeichnet. Insgesamt sind nahezu 75 Allele für den Pi-Lo-cus bekannt. Mindestens 20 von ihnen können zu Mangel-zuständen führen.

! 95% der Mutationen führen zur Bildung des Z-Allels.

Die Nomenklatur für die 1-Antitrypsin-Allele gründet sich auf der Wanderung des Proteins im elektrischen Feld, d.h. Varianten, die am schnellsten in Richtung Anode wan-dern, werden mit Buchstaben zu Beginn des Alphabets ver-sehen. Die häufigen, normalen Varianten (M1 [Ala213], M1 [Val213], M2 und M3) wandern in der Mitte (daher »M«). Die häufige, mutierte Z-Variante ist positiv geladen und

. Abb. 29.39. Bildung der Proteine der Akutphase-Antwort. Nach Gewebeverletzung werden Entzündungszellen (Monozyten, Fibro-blasten, Makrophagen) aktiviert, woraufhin sie Cytokine wie Interleu-kin-1, Interleukin-6 oder TNFα freisetzen, die in der Leber zur Synthese

und Freisetzung von Akutphase-Proteinen führen. Die in Stresssitua-tionen freigesetzten Corticosteroide wirken als Cofaktoren der Genex-pression der Akutphase-Proteine

29.6 · Plasmaproteine

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998 Kapitel 29 · Blut

29 wandert deshalb zur Kathode. Von beiden Elternteilen kön-nen unterschiedliche Allele ererbt werden. Die Vererbung von zwei normalen Allelen ist mit normalen 1-Antitryp-sin-Plasmaspiegeln verbunden, die eines normalen und eines mutierten Gens mit mittleren Spiegeln und die zweier mutierter Gene mit einem -Antitrypsin-Mangel (. Abb. 29.40). Nur bei einem Abfall der Serumspiegel unter etwa 11 μmol/Liter steigt das Risiko, ein Lungenemphysem zu entwickeln. Dies bedeutet, dass ein Individuum zwei mu-tierte 1-Antitrypsingene geerbt haben muss (entweder homozygot oder gemischt heterozygot). Darüber hinaus bedingen nur bestimmte, mutierte Allele das Risiko einer Manifestation der Erkrankung in der Leber. Normalerweise wird die 1-Antitrypsin-mRNA am rauen endoplasma-tischen Retikulum translatiert, das neu synthetisierte Mole-kül in die Zisternen sezerniert, Kohlenhydrate hinzufügt und das Molekül schließlich in das Blutplasma sezerniert. Im Falle der Z-Mutation führt die heteropolare Substitution von einem negativ geladenen Glutamyl- zu einem positiv geladenen Lysylrest zu einer Veränderung der dreidimen-sionalen Struktur des Moleküls, sodass es teilweise im rauen endoplasmatischen Retikulum aggregiert (. Abb. 29.40). Als Folge wird nur etwa 15% der Z-Typ- 1-Antitrypsinmo-leküle sezerniert. Möglicherweise führt das aggregierte 1-Antitrypsin Z zu einer Schädigung der Hepatozyten mit einer Entzündungsantwort, die bei einzelnen Patienten zur Leberzirrhose führt.

Das Emphysem entwickelt sich bei den Patienten i. Allg. gegen Ende des 3. Lebensjahrzehnts. Die Krankheit wird durch Substitution mit 1-Antitrypsin behandelt. 1-Anti-trypsin besitzt im aktiven Zentrum einen Methionylrest,

dessen Oxidation zur Inaktivierung des Moleküls führt. Diese Oxidation kann auch durch von Neutrophilen freige-setzte Sauerstoffradikale erfolgen (7 Kap. 15.3). Eine gen-technologisch hergestellte Variante des Enzymhemmstoffs besitzt deshalb einen Valyl- anstelle des Methionylrests in Position 358, der die enzymatische Aktivität nicht beein-trächtigt, das Protein aber gegen Sauerstoffradikale unemp-findlich macht. Die Oxidation des Methionylrests kann auch durch Zigarettenrauch und die durch die Inhalation bei Rauchern auftretenden Reaktionen in der Lunge begün-stigt werden. Deshalb kommt es bei Patienten mit 1-Anti-trypsinmangel, die rauchen, zu einer schnelleren Ausbil-dung des Emphysem.

! Dysproteinämien sind Verschiebungen des quantitativen Verhältnisses der einzelnen Proteinfraktionen zueinander.

In Abhängigkeit davon, welche Globulinfraktion erhöht ist, werden folgende Typen unterschieden:

α-Typ. Bei deutlicher Verminderung der Albumine (Hypal-buminämie) sind die 1-Globuline vermehrt, die 2-Glo-buline stark (bis 25 Relativprozent) erhöht. Die -Globu-linfraktion ist häufig erhöht oder aber auch normal. Der

-Typ ist Ausdruck akut entzündlicher Prozesse (Akut-phase-Proteine gehören zu den 1- und 2-Globulinen (. Tabelle 29.9).

α2-β-Typ. Bei deutlicher Verminderung der Albumine sind die 2-Globuline sehr stark, die -Globuline deutlich ver-mehrt. Die -Globuline sind meist vermindert, können aber auch normal oder vermehrt sein. Meist besteht eine Hypo-proteinämie. Der 2- -Typ kommt z.B. beim nephro-tischen Syndrom (degenerative Veränderungen der Glome-rulumkapillaren, 7 Kap. 28.2.3) vor.

β-Typ. Die isolierte Vermehrung der -Fraktion kommt sel-ten vor.

γ-Typ. Bei Verminderung der Albumine sind die -Glo-buline vermehrt. Die Hyperglobulinämie ist heterogen, d.h. breitbasig (polyklonale Gammopathie). Immunelek-trophoretisch besteht meist eine starke Vermehrung der IgG-, aber auch der IgA- und IgM-Globuline. Die Immun-globulinlinien zeigen eine allgemeine Verstärkung, jedoch keine Deformierung wie bei den Paraproteinämien (7 u.). Der -Typ ist Ausdruck chronisch entzündlicher Erkran-kungen, der schweren Hepatitis und der Leberzirrhose (. Abb. 29.41).

! Defektproteinämien sind durch den genetischen Man-gel einzelner Proteine gekennzeichnet.

Beispiele sind die – seltenen – Krankheiten Analbu minämie, Afibrinogenämie, A- -Lipoproteinämie und die Agam ma-globulinämie (Antikörpermangelsyndrom, 7 Kap. 34.7.1). Patienten mit Analbuminämie sind klinisch unauffällig; die

. Abb. 29.40. α1-Antitrypsin. a Struktur des menschlichen a1-Antitrypsin-Gens mit der Mutation in Position 342 (Glu Lys), die zur Z-Variante führt b Vererbung der M1, M2 und Z-Allele bei gemischt-heterozygoten Personen. Eine Erniedrigung unter 11 μmol/Liter α1-Antitrypsin-Plasmagehalt bei der homozygoten ZZ-Konstellation führt zu klinischen Folgen des α1-Antitrypsinmangels

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Laboratoriumsbefunde zeigen eine ausgeprägte Hypopro-teinämie, die auf dem fast vollständigen Fehlen der Albu-mine beruht. Gleichzeitig sind sämtliche Globulinfraktionen stark vermehrt. Dieser kompensatorische Anstieg ist offen-bar der Grund dafür, dass bei den betroffenen Pa tienten hypoproteinämische Ödeme (7 o.) nicht obligat sind.

! Bei Paraproteinämien werden monoklonale Immunglo-buline gebildet.

Es handelt sich hierbei um einheitliche Immunglobuline, d.h. von einem Zellstamm (Klon, 7 Kap. 34.3.4) gebildete Antikörper (monoklonale Gammopathien). Diese Im-munglobuline werden exzessiv von Plasmazellen (Plasmo-zytom oder Myelom) gebildet. Die Einheitlichkeit der Im-munglobuline äußert sich in der Serum- und Urinelektro-phorese in Form einer schmalbasigen, hochaufstrebenden Zacke. Da diese immer beim Myelom (Plasmozytom) und beim Morbus Waldenström (Makroglobulinämie) auftritt, wird dieser diagnostisch wichtige Hinweis auf das Vorlie-gen einer Paraproteinämie als M-Gradient bezeichnet. Der sichere Nachweis und die weitere Differenzierung sind je-doch nur durch die immunelektrophoretische Untersu-chung möglich, wobei die entsprechende Immunglobulin-linie nicht nur eine Verstärkung wie bei der heterogenen polyklonalen Vermehrung der Immunglobuline (z.B. bei Patienten mit Leberzirrhose) zeigt, sondern auch eine pa-thologische Form. Bei den Plasmozytomen werden entwe-der IgG-, IgA-, IgD- oder IgE-Proteine, beim Morbus Wal-denström IgM-Proteine (Makroglobulinämie) vermehrt gebildet.

. Abb. 29.41. Elektrophoresediagramm einer Dysproteinämie vom γ-Typ (Beispiel schwere Hepatitis; 7 auch Abb. 29.35)

In Kürze

Albumine stellen die Hauptfraktion der Serumproteine. Sie besitzen Transportfunktion. Die Globuline stellen eine äußerst heterogene Gruppe von Proteinen mit unterschiedlichsten Aufgaben dar. Das C-reaktive Pro-tein (CRP) ist der wichtigste Parameter akuter Entzün-dungen. Es kann schnell und einfach quantitativ be-stimmt werden und hat deshalb für die klinische Praxis

eine große Bedeutung erlangt. Durch die Serumelektro-phorese können Dys- und Defektproteinämien erkannt werden. Bei Paraproteinämien kommt es zur Überproduk-tion monoklonaler Immunglobuline.

-1-Antitrypsinmangel kann – je nach Genotyp – zum Lungenemphysem oder zur Leberzirrhose führen.

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