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3 I 2016 E N E R G I E W I R T S C H A F T · W A S S E R W I R T S C H A F T · A B F A L L W I R T S C H A F T WASSERWIRTSCHAFT Höchstens vier Probebohrungen Gesetzgeber setzt unkonventionel- lem Fracking ganz enge Grenzen: Umweltverträglichkeitsprüfung er- forderlich Seite 2 ENERGIEPOLITIK Ausschreibung für KWK- Förderung Kompromiss in Aussicht: Das Kraft- Wärme-Kopplungsgesetz muss um- geschrieben werden Seite 4 Kohleausstieg: Was wird aus den Beschäftigten Gutachten zeichnet drei Szenarien eines sozialverträglichen Kohleaus- stiegs Seite 4 Netze fit für die Energiewende Auf Druck der Beschäftigten und von ver.di rudert Bundesregierung zurück Seite 5 ENERGIEWIRTSCHAFT Ein Warnstreiktag bringt Tarifergebnis Beschäftigte der SVO-Gruppe in Celle und Uelzen streiken erstmals in der Unternehmensgeschichte Seite 5 ABFALLWIRTSCHAFT Arbeitgeber muss Belastungen verringern Psychische Gefährdungsbeurtei- lung: Langfristig zahlt sich Gesund- heitsschutz immer aus Seite 6 DEMOGRAFIE N-ERGIE startet Demografie-Projekt Zukunft. Zeit. Zusammenarbeit: Beschäftigte reduzieren ihre Ar- beitszeit zugunsten der Jugend Seite 7 ABFALLWIRTSCHAFT Beschäftigte brauchen Perspektive ver.di: Bremen verweigert sich Tarifverhandlungen – Senat setzt weiter auf Private Seite 8 ENERGIE Industrieprivilegien weitgehend gerettet In den Verhandlungen mit EU-Wett- bewerbskommissarin Margrethe Ves- tager hat das Bundeswirtschaftsminis- terium Erfolge für die Industrieprivile- gien verbucht: Bei der Eigenstromver- sorgung bleibt bei Bestandsanlagen der Eigenverbrauch vollständig von der EEG-Umlage befreit. Bei substanziellen Modernisierungen (wie etwa Aus- tausch des Generators) oder Ersatz von Anlagen (ohne Kapazitätserweiterung) beträgt die Entlastung 80 Prozent, es müssen also nur 20 Prozent der EEG- Umlage gezahlt werden. Neue EEG- und hocheffiziente KWK-Anlagen zahlen 40 Prozent der Umlage. Damit wird die Privilegierung der energiein- tensiven Industrie bei der KWK-Umla- ge wie in der Besonderen Ausgleichs- regelung im EEG 2017 ausgestaltet. „Wer einen Begrenzungsbescheid auf der Grundlage des EEG hat, wird auch nach dem KWKG entlastet“, hieß es dazu. Das EEG werde im Herbst dieses Jahres entsprechend angepasst, kün- digte Minister Sigmar Gabriel (SPD) in Berlin an. Der Bundesverband Erneuerbare Energie (BEE) begrüßte zwar, „dass nach der Einigung zwischen der Bun- desregierung und der EU-Kommissi- on für die Energiebranche insgesamt Planungssicherheit besteht“. Doch zementiere die Einigung auch Punk- te, die einer sauberen und zukunfts- orientierten Energieversorgung im Wege stünden, wie vor allem der Umgang mit Braunkohlekraftwerks- strom. „Es ist für uns nicht nachvoll- ziehbar, warum der Einsatz von Strom aus Braunkohlekraftwerken beim Braunkohletagebau weiterhin von der EEG-Umlage ausgenommen bleibt und damit die EEG-Umlage erhöht“, sagt BEE-Geschäftsführer Hermann Falk. Seite 3 Mischt euch ein! Fast 21000 junge Menschen machen in der Ver- und Entsorgungswirt- schaft ihre Berufsausbildung. Grund genug, gerade jungen Azubis den Zusammenhang zwischen guter Ausbildung und Gewerkschaftsmitglied- schaft zu verdeutlichen, meint Andreas Scheidt, ver.di-Bundesvorstands- mitglied und Leiter des Bundesfachbereichs Ver- und Entsorgung. Viele junge Menschen starten im Au- gust/September 2016 ihren beruflichen Weg in der Energie-, Wasser- und Ab- fallwirtschaft. In vielen Betrieben und Dienststellen werden in diesen Tagen und Wochen neue Auszubildende aktiv begrüßt, ver.di-Infos zum Thema „Aus- bildung von A bis Z“ werden verteilt. Jugend- und Auszubildenden-Vertre- tungen (JAVen) stellen sich den neuen Azubis vor. Wie jedes Jahr sind Mitglie- der von Betriebs- und Personalräten, JAVen, Vertrauensleute sowie alle akti- ven Gewerkschafterinnen und Gewerk- schafter in Sachen Azubi-Ansprache stark gefragt: denn die „Neuen“ brau- chen im betrieblichen Alltag, der für sie noch fremd ist, Orientierung und Hilfe. Unsere Botschaft: ver.di ist eine kom- petente und immer ansprechbare Part- nerin in Sachen Ausbildung. Gerade auch, wenn es bei der Ausbildungs- qualität hapert und es immer wieder Vorgesetzte gibt, die in Azubis vorwie- gend billige Arbeitskräfte sehen. Un- sere Botschaft ist klar: Gemeinsam geht es besser. Denn als Mitglied einer so- lidarischen Selbsthilfeorganisation wie der Gewerkschaft ver.di, fällt es leich- ter, Schwierigkeiten und Unzulänglich- keiten zu meistern. Nebenher ist auch ein guter Status Quo in Sachen Aus- bildungsqualität oder Übernahme in der Regel das Ergebnis von guter Ge- werkschaftsarbeit. Ole Borgard, zu- ständiger Gewerkschaftssekretär für die ver.di-Jugend in der Ver- und Ent- sorgung, betont die Vorteile einer ver.di-Mitgliedschaft für die Berufs- starter/innen: „Anspruch auf tarifliche Leistungen wie z. B. Urlaub, Rechtsbei- stand in brenzligen Situationen, jede Menge Bildungsangebote und sehr viele Möglichkeiten gemeinsam be- trieblich und gesellschaftspolitisch aktiv zu werden – zum Beispiel bei kreativen Aktionen für bessere Ausbil- dung, unbefristete Übernahmen in Vollzeit oder bei Arbeitskämpfen.“ Al- le Azubis, die Mitglied in ver.di sind, erhalten darüber hinaus auf Antrag den Internationalen Studierendenausweis (ISIC). Er gilt in 118 Ländern, wer ihn hat bekommt Preisnachlässe für Flüge, Busse, Züge und Fähren, Museen, Ki- nos, Theater, Jugendherbergen und Hotels. Unser Rat an die neuen Azubis: Mischt euch ein, am besten von An- fang an! Mit eurer Ausbildung legt ihr den Grundstein für eure berufliche Zukunft. Und nur, wer heute eine gu- te Ausbildung erhält, wird in den nächsten Jahren und Jahrzehnten eine gute Arbeit haben. Grund genug, auf die Qualität der Ausbildung zu schauen, Verbesserungsvorschläge einzubringen und sie gemeinsam mit euren Kolleginnen und Kollegen durchzusetzen. Gelegenheiten eure Gewerkschaft ver.di kennenzulernen gibt es in den nächsten Wochen ge- nug. Im Herbst beginnen zudem die Wahlen zu den Jugend- und Auszu- bildendenvertretungen nach dem Betriebsverfassungsgesetz. Und vom 7. bis 11. November 2016 führt ver.di bundesweit eine Aktionswoche zum Thema „Gute Arbeit – gute Ausbil- dung“ durch. In zahlreichen Betrieben und Berufsschulen der Energie-, Was- ser- und Abfallwirtschaft wird es da- zu bunte Aktionen geben – seid dabei! Neues Ausbildungsjahr hat begonnen – jetzt werden Jugend- und Auszubildendenvertretungen (JAV) gewählt FOTO: VER.DI

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3 I 2016

E N E R G I E W I R T S C H A F T · W A S S E R W I R T S C H A F T · A B F A L L W I R T S C H A F T

WASS ERW I RT S CHA F T

Höchstens vierProbebohrungenGesetzgeber setzt unkonventionel-lem Fracking ganz enge Grenzen:Umweltverträglichkeitsprüfung er-forderlich Seite 2

EN ERG I E PO L I T I K

Ausschreibung für KWK-FörderungKompromiss in Aussicht: Das Kraft-Wärme-Kopplungsgesetz muss um-geschrieben werden Seite 4

Kohleausstieg: Was wirdaus den Beschäftigten

Gutachten zeichnet drei Szenarieneines sozialverträglichen Kohleaus-stiegs Seite 4

Netze fit für dieEnergiewendeAuf Druck der Beschäftigten undvon ver.di rudert Bundesregierungzurück Seite 5

EN ERG I EW I RT S CHA F T

Ein Warnstreiktag bringtTarifergebnisBeschäftigte der SVO-Gruppe inCelle und Uelzen streiken erstmalsin der Unternehmensgeschichte

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AB FA L LW I RT S CHA F T

Arbeitgeber mussBelastungen verringern

Psychische Gefährdungsbeurtei-lung: Langfristig zahlt sich Gesund-heitsschutz immer aus Seite 6

DEMOGRAF I E

N-ERGIE startetDemografie-Projekt

Zukunft. Zeit. Zusammenarbeit:Beschäftigte reduzieren ihre Ar-beitszeit zugunsten der Jugend

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AB FA L LW I RT S CHA F T

Beschäftigte brauchenPerspektivever.d i: Bremen verweigert sichTarifverhandlungen – Senat setztweiter auf Private Seite 8

EN E RG I E

Industrieprivilegien weitgehend gerettet� In den Verhandlungen mit EU-Wett-bewerbskommissarin Margrethe Ves-tager hat das Bundeswirtschaftsminis-terium Erfolge für die Industrieprivile-gien verbucht: Bei der Eigenstromver-sorgung bleibt bei Bestandsanlagender Eigenverbrauch vollständig vonderEEG-Umlage befreit. Bei substanziellenModernisierungen (wie etwa Aus-tausch des Generators) oder Ersatz vonAnlagen (ohne Kapazitätserweiterung)

beträgt die Entlastung 80 Prozent, esmüssen also nur 20 Prozent der EEG-Umlage gezahlt werden. Neue EEG-und hocheffiziente KWK-Anlagenzahlen 40 Prozent der Umlage. Damitwird die Privilegierung der energiein-tensiven Industrie bei der KWK-Umla-ge wie in der Besonderen Ausgleichs-regelung im EEG 2017 ausgestaltet.„Wer einen Begrenzungsbescheid aufder Grundlage des EEG hat, wird auch

nach dem KWKG entlastet“, hieß esdazu. Das EEG werde im Herbst diesesJahres entsprechend angepasst, kün-digte Minister Sigmar Gabriel (SPD) inBerlin an.

Der Bundesverband ErneuerbareEnergie (BEE) begrüßte zwar, „dassnach der Einigung zwischen der Bun-desregierung und der EU-Kommissi-on für die Energiebranche insgesamtPlanungssicherheit besteht“. Dochzementiere die Einigung auch Punk-

te, die einer sauberen und zukunfts-orientierten Energieversorgung imWege stünden, wie vor allem derUmgang mit Braunkohlekraftwerks-strom. „Es ist für uns nicht nachvoll-ziehbar, warum der Einsatz von Stromaus Braunkohlekraftwerken beimBraunkohletagebau weiterhin vonder EEG-Umlage ausgenommenbleibt und damit die EEG-Umlageerhöht“, sagt BEE-GeschäftsführerHermann Falk.

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Mischt euch ein!

Fast 21 000 junge Menschen machen in der Ver- und Entsorgungswirt-schaft ihre Berufsausbildung. Grund genug, gerade jungen Azubis denZusammenhang zwischen guter Ausbildung und Gewerkschaftsmitglied-schaft zu verdeutlichen, meint Andreas Scheidt, ver.di-Bundesvorstands-mitglied und Leiter des Bundesfachbereichs Ver- und Entsorgung.

�Viele junge Menschen starten im Au-gust/September 2016 ihren beruflichenWeg in der Energie-, Wasser- und Ab-fallwirtschaft. In vielen Betrieben undDienststellen werden in diesen Tagenund Wochen neue Auszubildende aktivbegrüßt, ver.di-Infos zum Thema „Aus-bildung von A bis Z“ werden verteilt.Jugend- und Auszubildenden-Vertre-tungen (JAVen) stellen sich den neuenAzubis vor. Wie jedes Jahr sind Mitglie-der von Betriebs- und Personalräten,JAVen, Vertrauensleute sowie alle akti-ven Gewerkschafterinnen und Gewerk-schafter in Sachen Azubi-Ansprachestark gefragt: denn die „Neuen“ brau-chen im betrieblichen Alltag, der für sienoch fremd ist, Orientierung und Hilfe.

Unsere Botschaft: ver.di ist eine kom-petente und immer ansprechbare Part-nerin in Sachen Ausbildung. Geradeauch, wenn es bei der Ausbildungs-qualität hapert und es immer wiederVorgesetzte gibt, die in Azubis vorwie-gend billige Arbeitskräfte sehen. Un-sere Botschaft ist klar: Gemeinsam gehtes besser. Denn als Mitglied einer so-lidarischen Selbsthilfeorganisation wieder Gewerkschaft ver.di, fällt es leich-ter, Schwierigkeiten und Unzulänglich-keiten zu meistern. Nebenher ist auchein guter Status Quo in Sachen Aus-bildungsqualität oder Übernahme inder Regel das Ergebnis von guter Ge-werkschaftsarbeit. Ole Borgard, zu-ständiger Gewerkschaftssekretär für

die ver.di-Jugend in der Ver- und Ent-sorgung, betont die Vorteile einerver.di-Mitgliedschaft für die Berufs-starter/innen: „Anspruch auf tariflicheLeistungen wie z. B. Urlaub, Rechtsbei-stand in brenzligen Situationen, jedeMenge Bildungsangebote und sehrviele Möglichkeiten gemeinsam be-trieblich und gesellschaftspolitischaktiv zu werden – zum Beispiel beikreativen Aktionen für bessere Ausbil-dung, unbefristete Übernahmen inVollzeit oder bei Arbeitskämpfen.“ Al-le Azubis, die Mitglied in ver.di sind,erhalten darüber hinaus auf Antrag denInternationalen Studierendenausweis(ISIC). Er gilt in 118 Ländern, wer ihnhat bekommt Preisnachlässe für Flüge,Busse, Züge und Fähren, Museen, Ki-nos, Theater, Jugendherbergen undHotels.

Unser Rat an die neuen Azubis:Mischt euch ein, am besten von An-fang an! Mit eurer Ausbildung legt

ihr den Grundstein für eure beruflicheZukunft. Und nur, wer heute eine gu-te Ausbildung erhält, wird in dennächsten Jahren und Jahrzehnteneine gute Arbeit haben. Grund genug,auf die Qualität der Ausbildung zuschauen, Verbesserungsvorschlägeeinzubringen und sie gemeinsam miteuren Kolleginnen und Kollegendurchzusetzen. Gelegenheiten eureGewerkschaft ver.di kennenzulernengibt es in den nächsten Wochen ge-nug. Im Herbst beginnen zudem dieWahlen zu den Jugend- und Auszu-bildendenvertretungen nach demBetriebsverfassungsgesetz. Und vom7. bis 11. November 2016 führt ver.dibundesweit eine Aktionswoche zumThema „Gute Arbeit – gute Ausbil-dung“ durch. In zahlreichen Betriebenund Berufsschulen der Energie-, Was-ser- und Abfallwirtschaft wird es da-zu bunte Aktionen geben – seid dabei!

Neues Ausbildungsjahr hat begonnen – jetzt werden Jugend- und Auszubildendenvertretungen (JAV) gewählt

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2 FACHB ER E I CH FACHBEREICH VER- UND ENTSORGUNG 03· 2016

Unkonventionelles Fracking ist und bleibt in Deutschland verboten. Dashat der Bundestag Mitte Juni beschlossen, der Bundesrat im Juli abge-segnet und genau das hat unter anderen ver.di vehement und immerwieder gefordert. „Endlich ist es nun festgeschrieben“, sagt der Sprecherder ver.di-Bundesfachgruppe Wasserwirtschaft, Andreas Kahlert. Dochgerade die Diskussionen und die jetzige Gesetzeslage zeigen: Es lohntsich, sich zu engagieren, nicht müde zu werden, auf die Folgen vonumstrittener Technik hinzuweisen. Auch wenn dieses Engagementbisweilen bedeutet, sich auf einen langen, steinigen Weg einzustellen.

� Es war im Februar 2012. Damals hatsich ver.di erstmals gegen das unkon-ventionelle Fracking positioniert. ver.diwar und ist strikt gegen diese Metho-de, bei der Flüssigkeiten in das Gesteingepresst werden, damit Gas aus tiefenGesteinsschichten gefördert werdenkann. Wie Experten aus der Wasser-wirtschaft befürchteten die Kollegin-nen und Kollegen der Bundesfachgrup-pe Wasserwirtschaft, dass diese Tech-nik sich negativ auf die Wasservorkom-men auswirkt.

Unter Experten und unter den Po-litikern wurde immer wieder heftigüber Fracking diskutiert. Zunächstuntersagte die Politik Fracking in Was-serschutzgebieten. Auch Probeboh-rungen waren nicht gestattet. Doch

der Umstand, dass Fracking unter dasBergrecht und nicht unter das Was-serschutzrecht fiel, ließ nach Ansichtvieler Fracking-Kritiker noch zu vieleHintertüren offen. Auch ver.di mach-te sich dafür stark, dass für unkon-ventionelles Fracking endlich dasWasserschutzrecht gilt. Denn im Ge-gensatz zum Bergrecht verlangt dasWasserschutzrecht immer eine Um-weltverträglichkeitsprüfung und dieEinschaltung der Wasserbehörden.Konventionelles Fracking, also schlich-tes Bohren in die Erde, wie es zumBeispiel in Niedersachsen zur Ölför-derung angewandt wird, ist weiterhinerlaubt – vorausgesetzt es wird eineUmweltverträglichkeitsprüfung durch-geführt.

Mit dem Beschluss des Bundestagesist die kommerzielle Gewinnung vonSchiefergas mit der Fracking-Methodein Deutschland verboten. Zwar dürfenzu wissenschaftlichen Zwecken weiterbundesweit maximal vier Bohrungendurchgeführt werden. Vorausgesetzt,es geht darum, die Folgen von Frackingzu erforschen. Allerdings muss das be-troffene Bundesland diesen Bohrungenzustimmen. Einige Bundesländer habenFracking bereits eine strikte Absage

erteilt. Und vor allem: Der Gesetzgeberhat klare Regelungen zum Schutz derTrinkwasserressourcen festgelegt: KeinFracking in Wasserschutzgebieten undin Heilquellenschutzgebieten, kein Fra-cking in Seen und Talsperren, die deröffentlichen Wasserversorgung dienen,oder an Einzugsgebieten einer Wasser-entnahmestelle. 2021 will der Bundes-tag dann auf der Grundlage der wis-senschaftlichen Ergebnisse das Verboterneut prüfen.

Die Debatten und nun das Gesetzzum unkonventionellen Fracking zeig-ten vor allem eines, meint Kahlert, derSprecher der ver.di-Bundesfachgrup-pe Wasserwirtschaft: „Es lohnt sich,dran zu bleiben.“ Auch wenn biswei-len – wie beim unkonventionellenFracking – ein langer Atem nötig ist:„Wir können was bewegen – nichtnur bei Tarifen, sondern auch bei bran-chenpolitischen Themen“, betontKahlert. Jana Bender

I M P R E S S UM Der ver.di-Report Ver- und Entsorgung Nr. 3, September 2016 · Herausgeber: Vereinte Dienstleistungsgewerkschaft (ver.di), Fachbereich Ver- und Entsorgung, Paula-Thiede-Ufer 10,10179 Berlin, v. i. S. d. P.: Frank Bsirske, Andreas Scheidt · Redaktion: Jana Bender, Reinhard Klopfleisch · www.ver-und-entsorgung.verdi.de · Gesamtherstellung: apm AG Darmstadt, Kleyer-straße 3, 64295 Darmstadt; Bildnachweis Icons: © Matthias Enter – Fotolia.com, © FM2 – Fotolia.com

Liebe Kolleginnen und Kollegen,�Bundeswirtschaftsminister SigmarGabriel (SPD), so meinten viele, konn-te mit einem ruhigen Gewissen in Ur-laub gehen. Hatten doch die zustän-digen Gesetzgebungsorgane, Bundes-tag beziehungsweise Bundesrat, An-fang Juli nicht weniger als vierwesentliche Vorhaben abgehakt, dieGabriel auf seiner Agenda für dieseLegislaturperiode ganz oben hatte: dieNeuordnung des Erneuerbare-Energi-en-Gesetzes, die die Förderung imWesentlichen auf Ausschreibungsmo-delle umstellt, das Digitalisierungsge-setz für die Energiewende, das denEinbau von digitalen Zählern in dennächsten Jahren regelt, das veränder-te Strommarktdesign, das Versor-gungssicherheit in wetterabhängigerProduktion garantieren soll, und dieAnreizregulierungsverordnung zur Er-mittlung der Netzentgelte ab 2018.

Bei genauerer Betrachtung zeigt sichjedoch: Keine der Ungereimtheiten, diebislang eine einheitliche Energiewen-de-Gesetzgebung behinderte, wurdegrundlegend beseitigt. Mit der Aus-schreibung von Wind und Solar könn-ten kapitalkräftige Investoren vonaußerhalb noch stärkeren Zugriff aufunsere Erzeugungsstruktur bekom-men. Auch bleibt unklar, ob die Ver-teilernetzbetreiber wirklich all diejeni-gen neuen Daten bekommen, die siezum Umbau ihres Netzes brauchen.Und angesichts der anhaltenden Un-wirtschaftlichkeit von neuen Kraftwer-ken steht in den Sternen, ob künftig

ausreichend flexible Backup-Kapazitä-ten am Netz sein werden, um die vo-latile Erneuerbaren-Erzeugung jeder-zeit ausgleichen zu können. MeinePrognose: In den nächsten Jahren wirddie Debatte um die Einrichtung einesdezentralen Leistungsmarkts, den Ga-briel um keinen Preis wollte, wiederaufflammen. Und wesentliche Fragender Netzregulierung wie die Bestim-mung des Eigenkapitalzinses oder desallgemeinen Effizienzfaktors hat derMinister ohnehin der ausführendenBundesnetzagentur überlassen.

Und es kommt noch dicker: DasKraft-Wärme-Kopplungs-Gesetz, un-bestritten ein positives Signal für In-vestitionen in die öffentliche KWK undEnde 2015 beschlossen, wird de factovon Brüssel kassiert. Die Wettbewerbs-behörde zwingt während der Sommer-pause dem Minister ein Fördersystemauf, für das die KWK kaum geeignetist: Ausschreibung der Anlagen. Dawird das gerade beginnende Vertrau-en in die Verlässlichkeit der Politiksofort wieder ad absurdum geführt.

Untätigkeit kann man auch der Bun-desumweltministerin nicht unterstel-len. Doch was aus dem Hause BarbaraHendricks (SPD) seit Ende August dasLicht der Welt erblicken soll, ist derGeburtshilfe kaum wert. Nicht mehrder große Wurf eines wie auch immergearteten Wertstoffgesetzes soll essein, also eines Gesetzes, das endlichder verwirrenden „Dualität“ von Ver-packungsmüll (in die privaten Kröpf-

chen) und „stoffgleichen Nichtverpa-ckungen“ (in den Hausmüll) ein Endesetzen würde, sondern ein schlichtesVerpackungsgesetz. Das bemüht sich,die gröbsten Fehler des bisherigen„Dualen Systems“ auszumerzen, in-dem, was auch wir fordern, eine „Zen-trale Stelle“ eingerichtet werden soll,um die Ausschreibungen von Sammelnund Verwerten zu organisieren. Doches ist eine „Zentrale Stelle“ nach Gus-to der verursachenden Verpackungs-industrie. Und bei den Ausschreibun-gen bleibt alles beim Alten: Nach wievor haben soziale und ökologischeKriterien keinen Stellenwert. Ich meine:Nur wenn der Gesetzgeber die Ver-wertung aller Wertstoffe einheitlichregelt und der öffentlichen Hand hier-

zu eine Schlüsselposition zuweist, kanndas Müllchaos beseitigt werden undkönnen vor allem auch Kriterien wieTariftreue und gute Arbeit berücksich-tigt werden. Doch dazu ist die Lobbyder privaten Lohndumper in der Ab-fallindustrie wohl zu stark – wie ihreVorgänger ist auch Hendricks vor die-ser Lobby eingeknickt.

Und das Schicksal der EuropäischenBürgerinitiative „Wasser ist Menschen-recht“? Ja, das sei doch endlich malgelebte Demokratie in Europa, schrie-ben die Zeitungen, als der Erfolg mitfast zwei Millionen Unterschriften fest-stand. Doch seitdem wir konkrete Um-setzungsschritte einfordern, um sau-beres und bezahlbares Wasser auchwirklich jedem zur Verfügung zu stel-

len, hat die Brüsseler Bürokratie aufstur geschaltet. Ja, ja, das sei schonwichtig und müsse umgesetzt werden,heißt es da, aber leider ginge das janicht in einer rein auf technische Aus-sagen beschränkten Richtlinie wie bei-spielsweise der Trinkwasserrichtlinie.Oder der Wasserrahmenrichtlinie. In-zwischen sind tatsächlich „technischbedingte“ Rückschritte zu verzeichnen.So steigt aufgrund der immer intensi-veren Landwirtschaft beispielsweiseder Nitratgehalt im Grundwasser immerweiter und bedenkliche Pestizide wieGlyphosat werden immer noch nichtverboten. Wenn schon die Kommissionuns hier an der Nase herumführt unddas Europaparlament nicht in die Gän-ge kommt, könnte ja auch die Bundes-regierung eine Initiative starten. Dochdie hat gerade in ihrem Nachhaltig-keitsbericht zur Umsetzung der im letz-ten Jahr weltweit vereinbarten Nach-haltigkeitsziele der Wasserqualität einemarginale Bedeutung zugeschrieben.Der wesentliche für die zunehmendeVerschmutzung verantwortliche Verur-sacher, die Landwirtschaft, wird hierso gut wie gar nicht erwähnt.

Da bliebe ein Jahr vor der nächstenBundestagswahl für die Bundesregie-rung viel zu tun, um noch eine guteNote im Fach „Ver- und Entsorgung“zu erhalten – zu viel verlangt, fürchteich angesichts des allüberall bereitssichtbaren Umschaltens der Matado-ren in den Wahlkampfmodus. Schadeeigentlich. Euer Andreas Scheidt

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die bislang eine einheitliche

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WAS S E RW I R T S CHA F T

N EU IM FACHB E R E I C H

Sylvi Krisch ist TarifkoordinatorinSeit 1. Juni verstärkt Sylvi Krisch den Bundesfach-bereich Ver- und Entsorgung: Die 37-Jährige hat dieTarifkoordination und Verhandlungsführung imBereich der privaten Energie- und Abfallwirtschaftübernommen. Krisch war zuvor Bundesfachgrup-penleiterin Gesetzliche Krankenversicherung undführt seit 2007 auch Tarifverhandlungen.

Sylvi Krisch

K E RNKRA F T

Endlagerbericht: Kommentierungen fließen in Novellierung einDer Abschlussbericht der Endlagerkommission www.endlagerbericht.de ist veröffentlicht und wurde breit imInternet diskutiert. Am 28. September sollen die Ergebnisse der Online-Kommentierung vom Umweltausschuss desDeutschen Bundestages mit den ehemaligen Mitgliedern der Endlagerkommission beraten werden. Die Kommen-tierungen finden dadurch Berücksichtigung bei der Novellierung des Standortauswahlgesetzes.

Das Standortauswahlgesetz bildet die Grundlage für den Suchprozess nach einem Endlager. Die Kommission zurLagerung hoch radioaktiver Abfallstoffe war von Bundestag und Bundesrat ins Leben gerufen worden. Auchver.di-Vertreter waren Mitglied der Kommission.

Höchstens vier ProbebohrungenGesetzgeber setzt unkonventionellem Fracking ganz enge Grenzen – ver.dis Positionen weitgehend erfüllt

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3FACHBEREICH VER- UND ENTSORGUNG 03· 2016 J UG END

Gewerkschaft rocktJAV-Konferenz: Wie Jugendliche ihre Arbeitswelt gestalten können

Von wegen Politikfrust: JungeLeute engagieren sich bei ver.diwie nie zuvor. Ein Beispiel war diebundesweite JAV-Konferenz desFachbereichs Ver- und EntsorgungEnde Mai in Berlin. 220 Jugendli-che aus der Energie-, Wasser- undAbfallwirtschaft diskutierten zweiTage lang, wie sie ihre Arbeitsweltmitgestalten können.

� „Wir wussten nicht, was uns erwar-tet“, sagt Yvonne Linde. „Aber dieStimmung war großartig, es war gleichein Zusammengehörigkeitsgefühl da.“Die 22-jährige Industriekauffrau ist Ju-gend- und Auszubildenden-Vertreterin(JAV) bei Nordrhein-Westfalens größ-tem Wasserversorger, der Gelsenkir-chener Gelsenwasser AG. Seit zweiJahren vertritt sie in der JAV die Inter-essen der Azubis im Unternehmen.Gemeinsam mit anderen jungen Kolle-ginnen und Kollegen ist sie nach Berlinzur JAV-Konferenz des Fachbereichs 2gekommen, zum ersten Mal. Und be-gegnete doch gleich alten Bekannten:„Wir haben Leute aus anderen Was-serbetrieben getroffen, mit denen wirim Herbst 2015 schon mal eine gemein-same Fragebogenaktion gemacht hat-ten“, berichtet Yvonne. „Was bewegtAzubis?“war das Thema der Befragung.Die vielen Antworten zeichneten ein

eindeutiges Bild: Übernahme nach derAusbildung steht auf der Prioritätenlis-te der jungen Leute ganz oben.

Dafür wollen sie sich im Herbst inder bundesweiten ver.di-Aktionswo-che einsetzen – mit pfiffigen Initiati-ven, für die man sich in Berlin schonmal ein paar Anregungen holte, etwaim Workshop „Öffentlichkeitsarbeit“.220 Jugend- und Auszubildenden-Vertreter und -Vertreterinnen aus Be-trieben und Dienststellen aus der gan-zen Bundesrepublik waren dabei. Ganzpraktische Werkzeuge für die JAV-Arbeit standen genauso auf dem Pro-gramm wie große gesellschaftspoliti-sche Konfliktthemen wie TTIP, Energie-wende, Flucht und Migration, Privati-sierung öffentlicher Daseinsvorsorgeund Digitalisierung.

„Es war eine coole Stimmung“,bringt Marcel Kuhnert, JAV-Vorsitzen-der der enviaM Gruppe, seine Eindrü-cke auf den Punkt. „Besonders gefallenhat mir, dass Frank Bsirske mit dabeiwar und nicht nur eine Rede gehaltenhat, sondern sich richtig viel Zeit nahm,um sich unseren Fragen zu stellen undmit uns zu diskutieren.“Etwa zum The-ma Klimawandel und CO2-Emissionen:Die Energiewende sei richtig und un-umkehrbar, machte Bsirske klar. Fürver.di laute die Frage „nicht Ja oderNein, sondern Absturz oder kontrol-

lierter Sinkflug“.Der Ausstieg ausder Braunkohle-verstromung seigrundsätzlichr icht ig , müsseaber sozialver-träglich erfolgenund mit dem Auf-bau zukunftsfähi-ger Arbeitsplätzeeinhergehen – soumriss Bsirske dieHerausforderung,vor der ver.di alsEnergiegewerk-schaft steht.

Langweilige Themen gab es keine aufdieser Konferenz, aber ein Workshopzog so viele Leute an, dass die Stühleim Seminarraum nicht ausreichten:„Fakten statt Populismus“– so der Titeleines Projekttages zum Thema Asyl,Flucht, Migration und Rechtspopulis-mus. Die Idee dahinter: „Wir setzen unsmit fremdenfeindlichen Vorurteilenauseinander, indem wir ihnen recher-chierte Fakten gegenüberstellen.“DasKonzept wurde vom ver.di-FachbereichVer- und Entsorgung in Sachsen, Sach-sen-Anhalt, Thüringen (SAT) gemein-sam mit der ver.di Jugend SAT und derDGB-Jugend Sachsen entwickelt. „Fak-ten statt Populismus“richtet sich an

Azubis, junge Beschäftigte, Betriebs-und Personalräte sowie Ausbilderinnenund Ausbilder. Erfolgreich zusammen-gearbeitet wurde bereits mit dem re-gionalen Energieversorger enviaM. SeitJanuar haben hier 350 Azubis an mehrals 25 Projekttagen an den StandortenHalle, Chemnitz, Cottbus und Falken-berg teilgenommen.

Auf großes Interesse stieß auch derVortrag der Politologin GabrieleSchambach mit dem Titel „Wie tickenJugendliche 2016?“, in dem sie Ergeb-nisse der SINUS-Jugendstudie 2016vorstellte. Was für Szenen und Jugend-kulturen gibt es eigentlich? Wie blickenJugendliche in verschiedenen Lebens-welten in die Zukunft? Was sind ihre

Hoffnungen, Ängste und Vorbilder?„Das war nicht nur hochspannend“,meint Marcel, „sondern hilft uns wirk-lich weiter, wenn wir darüber nach-denken, wie wir als ver.di und JAV mehrjunge Menschen erreichen können.“

Ein besonderes Highlight: Die abend-liche Party mit coolen Clubgrooves, tro-pischen Cocktails und Partyzelt auf demZwischendach im Lichthof der ver.di-Bundesverwaltung am Spreeufer, imHerzen von Berlin. Eins konnte man vonvielen Teilnehmenden hören: Zur nächs-ten JAV-Konferenz kommen wir auf je-den Fall wieder nach Berlin. Dann hof-fentlich für mehr als 24 Stunden – undwir bringen noch ein paar mehr cooleLeute mit! Jörn Boewe

„Unseren eigenen Tarifvertrag verhandeln“Bei Deutschlands StromkonzernNummer eins übernehmen ver.di-Jugendliche Verantwortung. Der„Tarifkreis Jugend“ bei RWE machtsich für eine unbefristete Übernah-me der Azubis stark.

�Nach der Lehre einen sicheren Ar-beitsplatz im Unternehmen – das istes, was sich die meisten Auszubilden-

den wünschen. Beim nordrhein-west-fälischen Energieversorger RWE gibtes dazu seit vielen Jahren einen Tarif-vertrag. Doch der läuft zum 31. De-zember ohne Nachwirkung aus. Dasheißt: Kommt bis dahin kein neuerAbschluss zustande, gibt es ab 1. Ja-nuar bei RWE keine verbindlichen Re-geln zur Übernahme der Ausgelerntenmehr.

Für Henning Brust, Sprecher desver.di-Jugend-Tarifkreises bei Deutsch-lands Stromerzeuger Nummer eins,steht fest: „Ein neuer Tarifvertrag mussher.“ Eine einfache Verlängerung deraktuellen Vereinbarung ist den jungenver.di-Aktiven bei RWE aber zu wenig.Diese verpflichtet das Unternehmen,40 Auszubildende im Jahr zu überneh-men – von rund 400 Jugendlichen, diejährlich ihre Berufsausbildung im RWE-Konzern abschließen. Die tatsächlichenÜbernahmezahlen sind allerdings hö-her: Allein im vergangenen Jahr wur-den 136 Azubis übernommen. „Das isterfreulich“, meint Henning, „zeigt aberauch, dass uns die jetzige Regelungpraktisch nichts bringt. Da ist auf jedenFall noch viel Luft nach oben.“

Wie soll die neue Regelung ausse-hen? Das wird sich in den nächstenWochen entscheiden. Klar ist: Die Ta-rifforderung wird nicht am grünenTisch aufgestellt – die Mitglieder ent-scheiden mit. Und das sind nicht we-nige: Jede/ jeder dritte Auszubildendebei RWE ist gewerkschaftlich organi-siert. In zahlreichen Tochterunterneh-

men und Betrieben fanden in denletzten Wochen Jugend- und Auszu-bildendenversammlungen statt, ande-re stehen noch bevor. In den Diskus-sionen und auf einem eigens zur Ju-gend-Tarifrunde herausgegebenenFragebogen hat jeder und jede, Gele-genheit sich einzubringen. „Auf dieserGrundlage werden wir im Septemberunsere Forderungen aufstellen“, sagtHenning.

Letztlich entscheiden also die Mit-glieder. Und die sind bei RWE ziemlichrege: Junge ver.di-Aktive verteilenFlyer, vernetzen sich über soziale On-linemedien, sammeln Unterschriften,schreiben dem Vorstand Postkarten mitihren Forderungen und gewinnenMitglieder. So wie Nicole Klupsch, JAV-Vorsitzende der AVU in Gevelsberg: Siehat den Organisationsgrad „meinerAzubis“, wie sie stolz sagt, „auf fast100 Prozent gesteigert“. Dass das im-mer besser läuft, hat nicht zuletzt mitden Bildungsangeboten zu tun, diever.di den jungen Aktiven unterbreitet.„Empowerment“, „(Selbst-)Ermächti-gung“ heißt das Schlüsselwort. „Hier

lernt man, wie man mit guten Argu-menten und viel Überzeugung Azubisals Mitglieder für ver.di gewinnt“, sagtLisa Schulz, stellvertretende Vorsitzen-de der Konzern-JAV von RWE. UndNicole fügt hinzu: „Außerdem habe ichsuper Leute kennengelernt und vieleFreundschaften aufgebaut.“

Die jungen ver.di-Aktiven bei RWEsind nicht nur optimistisch, sondernauch stolz: „Wir haben als TarifkreisJugend erstmalig die Möglichkeit, un-seren eigenen Tarifvertrag zu verhan-deln“, betont Daniel Kober, Vorsitzen-der der JAV am Kraftwerk Frimmers-dorf/Neurath. „Damit können wirzeigen, dass wir als Jugend Verantwor-tung übernehmen können.“

Jörn Boewe

Jugend muckt aufGute Ausbildung für gute Arbeit:Die bundesweite ver.di-Aktionswo-che vom 7. bis zum 11. Novembergreift die Anliegen junger Beschäf-tigter auf

�Arbeit in der Abwasserwirtschaftkann zuweilen nicht nur anstrengend,sondern auch schmutzig sein. Deshalbgibt es Schmutzzulagen, um die 200Euro im Monat. So sieht es der TVöDvor. Allerdings gilt das nur für Ausge-lernte. Azubis dagegen kommen ledig-lich auf ungefähr zehn Euro. „Das isteinfach ungerecht“, findet DominikWernetshammer, Vorsitzender derGesamt-Jugend- und Auszubildenden-vertretung der Stadt Augsburg. Dasssich immer weniger junge Leute füreine Ausbildung in der Abwasserwirt-schaft entscheiden, wundert ihn des-halb nicht.

Nicht nur aus diesem Grund ist Do-minik mit dabei, wenn vom 7. bis zum11. November zahlreiche ver.di-Kolle-ginnen und ver.di-Kollegen mit buntenAktionen in ihren Betrieben und Dienst-stellen das Thema „Gute Ausbildung“setzen. Wer gute Arbeit will, so derTenor der Aktionswoche, muss auchfür eine gute Ausbildung eintreten.ver.di-Sekretäre und Ehrenamtliche,Aktive und Interessierte werden mitvielfältigen Aktionen in zahlreichenBetrieben, Dienststellen und Ausbil-dungszentren der Energie-, Wasser-und Entsorgungswirtschaft präsentsein, um mit den Kolleginnen und Kol-legen ins Gespräch zu kommen, Fragenzu klären und das Thema Ausbildungstärker in die Öffentlichkeit zu rücken.

Vorschläge, wie die Situation derAzubis im Bereich Ver- und Entsorgungverbessert werden könnte, hat Domi-

nik reichlich. Sie reichen von derSteigerung der Ausbildungsquali-tät, über Übernahmegarantienbis hin zu Aufwertung der Beru-fe durch Imagekampagnen undbessere Arbeitsbedingungen.„Das sind Themen, bei denenwir als ver.di Druck machen müs-sen.“

Auf jeden Fall teilnehmen an derAktionswoche wollen auch RicardaZimmermann und ihre Kolleginnen undKollegen von der Berliner Stadtreini-gung (BSR). Ihr Thema: „Mehr Sicher-heit für die Azubis durch Übernahme-garantien – bei der BSR und in derAbfallwirtschaft insgesamt“. Bei derBSR konnten Personalrat und die sehrgut organisierte Belegschaft die tarif-liche Regelung bereits durch eineDienstvereinbarung verbessern. Trotz-dem werden noch nicht alle Azubisübernommen, sagt Ricarda. „Geradezum Ende der Ausbildung, wenn es indie Prüfungsphase geht, wissen viele

nicht, wass i e d a -nach ma-chen. Dasi s t ext -rem be-lastend.“Zudemkritisiertsie denschlechtenbaulichen Zustand und die hohen Un-terrichtsausfallzeiten an vielen BerlinerBerufsschulen.

Für mehr Ausbildungsplätze im kauf-männischen Bereich wollen sich SaschaHansen und die ver.di-Aktiven bei Vat-tenfall einsetzen. Dort und bei vielenanderen Unternehmen der Ener-giebranche wurden in den vergange-nen Jahren die kaufmännischen Aus-bildungsberufe massiv zurückgefah-ren. Zudem würden die wenigen Azu-bisvielfachnichtübernommen–obwohles großen Bedarf gibt. Für den Vorsit-zenden der Konzern-JAV „ein klarer Fallvon schlechtem Personalmanage-ment“.

Fazit: Viele Unternehmen der Ver-und Entsorgungswirtschaft sind attrak-tive Ausbilder, aber es gibt noch eineMenge zu verbessern. ver.di mischt sichhier aktiv ein, ganz vorne dabei: diever.di-Jugend des Fachbereichs 2.Denn wo in der Berufsausbildung „derSchuh drückt“, wissen sie am besten.Und konkrete Ideen, wie man die Si-tuation verbessern kann, haben sieauch. Johannes Schulten

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4 EN ERG I E PO L I T I K FACHBEREICH VER- UND ENTSORGUNG 03· 2016

Spätestens bis 2050 soll Deutsch-land CO2-frei werden – so sieht esder Klimaschutzplan der Bundes-regierung vor. Die vorhandenenKohlekraftwerke werden deshalbwomöglich vor dem Ende ihrertechnischen Lebensdauer vomNetz gehen. Darauf stellen sichdie Energieversorger ein.

�Doch wo bleiben die rund 15 000Beschäftigten, die hier heute Arbeitfinden? ver.di hat bei den Energiewis-senschaftlern von enervis in Berlin einGutachten in Auftrag gegeben, um zuberechnen, wie ein sozialverträglicherKohleausstieg ohne materielle Einbu-ßen für die Beschäftigten in den nächs-ten Jahrzehnten zu bewältigen wäre.

Die Beschäftigten sind besorgt – unddamit auch die Gewerkschaft ver.di.„Klar, dass die Uhr für mein Kraftwerktickt,“ sagen viele, die bislang in einemder vielen Kohlekraftwerke in der Re-publik rund die Hälfte des benötigtenStromes erzeugen. „Doch was ge-schieht mit mir, wenn eines TagesSchluss ist mit der Kohle?“ ver.di hattediese Frage, wie der politisch gewoll-te Ausstieg aus der Kohleverstromungohne Einbußen für die Beschäftigtenvonstatten gehen kann, an die Politikweitergegeben – und bislang keineüberzeugende Antwort bekommen.

Auch das Gutachten, das die ener-vis-Energieforscher im vergangenenJahr für die Berliner Denkfabrik „Ago-ra“ erarbeitet haben, hat die Fragenur am Rande gestellt. Das Agora-Szenario sieht vor, dass die Braun-und Steinkohlekraftwerke bis 2040in der Reihenfolge ihres Alters nach-einander abgeschaltet werden sollen– doch lediglich für die beiden Braun-kohleregionen im Rheinland und derLausitz schlägt Agora vor, mit einemRegionalfonds gezielt die Wirtschaftanzukurbeln, um Ersatzarbeitsplätze,insbesondere für die rund 15 000noch im Tagebau Beschäftigten, zuschaffen.

Regelt sich das Problem für die Be-schäftigten in den Kraftwerken etwavon selbst? Können alle, deren Job hierwegfällt, ohne Schwierigkeit einenneuen anderswo finden? Die Fragenstellen, heißt sie zu verneinen. „Sollder Ausstieg aus der Kohleverstromungsozialverträglich erfolgen“, so ver.di-Vorstand Andreas Scheidt, „muss dieFrage geklärt sein, welche Kosten ent-stehen, und wer für diese Kosten auf-kommen muss“.

Die erste Frage stand im Mittelpunktdes jetzt vorliegenden Gutachtens. DieExperten haben drei Szenarien im Hin-blick auf die Auswirkungen für dieBeschäftigten untersucht: das vorlie-

gende Szenario der Agora mit demvorgezogenen Ausstieg im Jahr 2040(„Agora Kohlekonsens“), dazu ein„Referenz“-Szenario, das den Ausstiegim Jahr 2050 vorsieht, im Einklang mitdem Ziel der Bundesregierung, und einSzenario „Retrofit“, das auch für dieJahre nach 2050 noch einzelne Kohle-kraftwerke vorsieht, die dann tech-nisch entlang ihrer erwarteten Lebens-dauer nachgerüstet werden müssen.Allen Szenarien gemeinsam ist, dasskeine neuen Kohlekraftwerke mehrgebaut werden.

Im Konsens-Szenario

Was also geschieht mit den rund15 000 Beschäftigten von heute? IhreZahl wird in jedem Fall abnehmen –2050 werden im Durchschnitt im Kon-sens-Szenario noch knapp 4000 Men-schen beschäftigt sein, im Referenz-Szenario 5900 und bei Retrofit noch8600. Diejenigen, die ihren Kraft-werksjob verlieren, werden rechne-risch in einen „Sozialpool“ überführt.Die Experten legen die Annahme zu-grunde, allen diesen Menschen im„Sozialpool“ bis zur Rente weiterhinohne Abstriche ihren bisherigen Lohnzu zahlen, plus einer angemessenenjährlichen Steigerung. Damit ergebensich die maximalen Kosten, die beimAusstieg entstehen, wenn soziale

Nachteile für alle Betroffenen vollstän-dig vermieden werden sollen. Maxi-malkosten deshalb, weil natürlichviele Betroffene auch nach ihremAusscheiden aus ihrem stillgelegtenKraftwerk sofort oder nach einer an-gemessenen Umschulung andere Ar-beitsplätze einnehmen werden. Ent-sprechend brauchen sie dann nichtmehr aus dem „Sozialpool“ finanziertwerden.

Das Ergebnis: Im jährlichen Mittelzwischen 2016 und 2050 schwankendie mittleren Sozialplankosten je nachSzenario zwischen 499 Millionen Euroim Konsens-Szenario, 341 Millionenim Referenz- und 115 Millionen Euroim Retrofit-Szenario, denn auch hierwerden, weil keine Neubauten einge-rechnet sind, natürlich Arbeitsplätzeverloren gehen. Differenz zwischenden beiden Extremen also 384 Millio-nen Euro. In allen Szenarien steigendie Kosten von Jahr zu Jahr bis etwa2030 an, erreichen dann ein Maximumund sinken bis 2050 wieder ab. Rech-net man diejenigen heraus, die zwi-schen Kraftwerksstillegung und ihremRentenbeginn wieder eine Arbeit fin-den, könnten zu den Spitzenzeitenetwa um 2030 real durchaus jährlicheKosten von rund 250 Millionen Euroaufzubringen sein, schätzt AndreasScheidt.

Und wer soll das zahlen? Da gäbees mehrere Möglichkeiten, antwortetdie Gewerkschaft ver.di, beispielswei-se eine Umlage auf den Strompreis.Das wären dann je nach Szenario zwi-schen 0,02 und 0,09 Cent pro Kilo-wattstunde, haben die enervis-Exper-ten ausgerechnet. Oder, wenn Indus-trie- und andere Großkunden wiebeispielsweise beim EEG von derUmlage befreit würden, zwischen0,03 und 0,14 Cent. Gemessen an denmehr als 6 Cent, die derzeit für dieEEG-Umlage berappt werden müssen,sicherlich vertretbar, aber politischnicht besonders attraktiv. Auch könn-te über einen Fonds der Staat direktüber die Steuereinnahmen zur Kassegebeten werden. Besonderen Charme,so meint Andreas Scheidt, hätte aller-dings eine andere Lösung: Die Summeaus dem Topf zu nehmen, in den dieEinnahmen aus dem CO2-Zertif ika-tehandel schon heute fließen. Daraussollen, so sagt die zugrundeliegendeEU-Richtlinie, Maßnahmen finanziertwerden, die zu einer Senkung derKlimabelastung beitragen. Und wärenicht ein im Konsens mit den Beschäf-tigten vereinbarter sozialverträglicherAusstieg aus der Kohleverstromungein wesentlicher Beitrag zur Senkungder Klimabelastung?

Reinhard Klopfleisch

Kohleausstieg:Was wird aus den Beschäftigten?Gutachten zeichnet drei Szenarieneines sozialverträglichen Kohleausstiegs

Ausschreibung für KWK-FörderungKompromiss in Aussicht: Das Kraft-Wärme-Kopplungsgesetz muss umgeschrieben werden

Seit über einem halben Jahr liegtdas Ende vergangenen Jahres vomBundestag verabschiedete Kraft-Wärme-Kopplungsgesetz (KWKG2015) bereits in Brüssel auf Eis:Die Kommission verweigerte diebeihilferechtliche Notifizierung.Jetzt steht ein Kompromiss inAussicht. Doch das KWKG mussfür die Zeit ab 2017 deutlichumgeschrieben werden.

�Die gute Nachricht zuerst: Die Kom-mission, so sieht es der Kompromisszwischen Bundesregierung und Wett-bewerbskommissarin von Mitte August2016 vor, wird aller Voraussicht nachden Förderteil des KWKG 2015 bis En-de September 2016 genehmigen. Da-mit besteht Hoffnung, dass die imGesetz vorgesehenen verbessertenFörderbedingungen für bestehendeund derzeit in der Pipeline befindlicheKWK-Anlagen, Speicher und Netze inKraft treten können. Beim zuständigenBundesamt für Wirtschaft und Aus-fuhrkontrolle (BAFA) vorliegende An-träge zur Förderung könnten dannendlich beschieden werden. Voraus-gesetzt, so die Einschränkung aus demBundesenergieministerium, die für dieErteilung der BAFA-Bescheide notwen-

dige Gebührenordnung wird unverzüg-lich erlassen – was den Beamten nachder langen Sommerpause doch wohlgelingen sollte. Damit könnte auch derakute Investitionsstau bei geplantenNeuanlagen, deren Förderung nachdem KWKG 2015 beantragt wurde,deren tatsächliche Errichtung aber vonrechtssicheren Förderbedingungenabhängt, aufgelöst werden. Aufträgekönnten vergeben werden, sodass mitdem Bau dieser Anlagen begonnenwerden kann.

So gesehen hat der Erinnerungsbrief,denderBundesverbandderEnergie-undWasserwirtschaft (BDEW), der Energie-effizienzverband AGFW und die Ge-werkschaft ver.di Mitte August an denBundeswirtschaftsminister geschickthatten, Wirkung gezeigt. Darin hattendie drei Unterzeichner an den unhalt-baren Zustand erinnert, dass viele In-vestitionen in die klima- und umwelt-verträgliche und für das Gelingen derEnergiewendewichtigeöffentlicheKWKnicht getätigt werden können – womitauch viele Arbeitsplätze in den kommu-nalen und regionalen Energieversorgernakut bedroht sind. Und sie hatten umunverzügliches Handeln gebeten.

Und nun die schlechte Nachricht: DieKommission hat sich allerdings weit-

gehend durchgesetzt, wenn es um diekünftige Ausrichtung der KWK-Förde-rung für Neuanlagen geht, die Förde-rung beantragen wollen. Schon zum1. Januar 2017 soll ein verändertesKWKG in Kraft gesetzt werden, das fürNeuanlagen und Modernisierungenmit Kapazitäten zwischen einem und50 Megawatt Leistung eine wettbe-werbliche Ausschreibung vorsieht,ähnlich wie bereits im neuen Erneuer-bare-Energien-Gesetz für Wind- undFotovoltaik-Anlagen.

Damit steht fest: Der Wirtschaftsmi-nister ist gegenüber den Marktideolo-gen der Kommission auf ganzer Linieeingeknickt. Er bereitet, so der zustän-dige Abteilungsleiter Urban Rid, bereitsein entsprechendes Artikelgesetz vor,das noch im September vom Kabinettbeschlossen werden könnte. Daraufaufbauend würde dann eine Verord-nung ein konkretes Ausschreibungs-modell vorschreiben.

Wie ein derartiges Ausschreibungs-verfahren für KWK-Anlagen aussehenkönnte, ist allerdings noch ziemlichunklar. Denn eine KWK-Anlage ist mitWind- oder Fotovoltaikaggregatennicht einfach in einen Topf zu werfen.Viele Fragen sind zu klären. Da müss-te schon Strom und Wärme gemeinsam

ausgeschrieben werden, wobei dieWärme jedenfalls bei öffentlichen An-lagen auch organisatorisch mit Fern-wärmenetzen verbunden ist. Soll daalles ausgeschrieben werden, also auchdas Eigentum an den Netzen, oder nurdie Wärmeproduktion? Und wennWärme und Strom getrennt ausge-schrieben würden, würde das Ganzeohnehin völlig unsinnig, solange nichtausgeschlossen wird, dass unter-schiedliche Bieter zum Zuge kommenkönnen. Und außerdem unterscheidetsich die Wirtschaftlichkeit von ansons-ten identischen KWK-Anlagen ganzwesentlich von den Betriebsbedingun-gen – nämlich ob eine Anlage in derIndustrie mit durchgehender Wärme-abgabe errichtet werden oder in einöffentliches Fernwärmenetz einspei-sen soll. Da müsste dann ohnehin nachSektoren getrennt ausgeschriebenwerden.

An der Diskussion um die konkretenAusschreibungsbedingungen, die sichvermutlich bis weit ins Jahr 2017 er-strecken dürfte, wird sich die Gewerk-schaft ver.di aktiv beteiligen. Ziel: Er-halt und Ausbau der umwelt- undklimaverträglichen KWK und ihrerArbeitsplätze. Wie auch immer dasErgebnis am Ende aussehen wird, eines

hat Brüssel erreicht: Die hohe Verun-sicherung, insbesondere bei öffentli-chen Betreibern, ob sie noch auf KWKsetzen sollen, wird verstärkt. Es ist dasGeheimnis des Bundeswirtschaftsmi-nisters, wie er sicherstellen will, dassdieser wesentliche Eckstein der Ener-giewende erhalten bleibt.

Reinhard Klopfleisch

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5FACHBEREICH VER- UND ENTSORGUNG 03· 2016 EN ERG I E PO L I T I K / EN E RG I EW I RT S CHA F T

Netze fit für die EnergiewendeAuf Druck der Beschäftigten und von ver.di rudert Bundesrat zurück

Die Strom- und Gasnetze fit machen für die Energiewende – das war derAnspruch der Bundesregierung an die Neugestaltung der Anreizregulie-rungsverordnung für die nächste Regulierungsperiode. Anfang Juli hatder Bundesrat den Entwurf der Bundesregierung mit einigen Änderungenbeschlossen. Die neue Verordnung kann damit in Kraft treten. Bis zurletzten Minute in der Nachspielzeit musste ver.di für die Interessenunserer Kolleginnen und Kollegen hart kämpfen – schließlich mit Erfolg.

�Auf den sonst eher beschaulichenAnhöhen im Süden Stuttgarts herrsch-te trotz hoher Lufttemperatur am6. Juli 2016 mittags ungewohnte Ge-schäftigkeit. Mehr als 150 Beschäftig-te aus den baden-württembergischenStrom- und Gasnetzbetreibern erklom-men die Hügel und setzten sich Rich-tung Richard-Wagner-Straße in Bewe-gung. Dort, in der Villa Reitzenstein,der Residenz des Ministerpräsidenten,tagte der Koalitionsausschuss – auf derTagesordnung unter anderem die Hal-tung des Landes bei der Abstimmungzur Anreizregulierungsverordnung. DieKolleginnen und Kollegen überreichtenden ankommenden Regierungsmitglie-dern eine Resolution mit ihren Forde-rungen: Hände weg von den Personal-zusatzkosten!

Die Debatte um die Novellierung derAnreizregulierungsverordnung wurdekurz vor Toresschluss noch für die Ar-beitnehmerinteressen besonders kri-tisch. Insbesondere galt das auch fürdie Personalzusatzkosten. Was dieKolleginnen und Kollegen in Stuttgartso in Harnisch versetzte: Der Wirt-schaftsausschuss des Bundesrates hat-te auf Antrag der grün-schwarzenLandesregierung die von der Bundes-regierung im Verordnungsentwurfvorgesehene Regelung infrage gestellt.Die Anerkennung der Personalzusatz-

kosten als „Dauerhaft nicht beeinfluss-bare Kosten“ sollte danach mit einerKappungsgrenze versehen werden (35Prozent der Personalkosten in der drit-ten und 30 Prozent in der vierten Re-

gulierungsperiode) und das Stichda-tum für die Anerkennung geschlosse-ner Verträge vom 31. Dezember 2016auf den 31. Dezember 2015 vorverlegtwerden. Eine Kappungsgrenze hätte,insbesondere für die betriebliche Al-tersversorgung der Beschäftigten, invielen Netzbetrieben erhebliche Prob-leme mit sich gebracht. Die Tarifver-träge in der Energiewirtschaft wären

durch diese absurde Absicht massivunter Druck geraten!

Nicht überall gab es Demos wie inStuttgart – doch in allen Bundesländernhaben wir interveniert. Der gemeinsa-men Anstrengung aller Aktiven in derver.di-Bundesfachgruppe Energie ist eszu verdanken, dass diese Vorschlägedes Wirtschaftsausschusses in der ent-scheidenden Bundesrats-Sitzung nichtbeschlossen wurden. Frank Bsirske undAndreas Scheidt hatten in einem Briefan alle Ministerpräsidenten und Bür-

germeister auf die negativen Folgeneiner derartigen Regelung hingewie-sen und vor einer Verabschiedung ge-warnt.

Es bleibt also dabei: Bei den Perso-nalzusatzkosten als „Dauerhaft nichtbeeinflussbare Kosten“ (DnbK) wird eszu keiner Kappung kommen, und Stich-datum wird der 31. Dezember 2016.

ver.di hatte gemeinsam mit den Spit-

zenverbänden der Kommunen und derEnergiewirtschaft auf weitere Nach-besserungen gegenüber dem Regie-rungsentwurf gedrungen, die die Netz-betreiber in die Lage versetzen würden,ihr Netz entsprechend den Anforde-rungen der Energiewende zu moder-nisieren und zu erweitern. Auch hierist der Bundesrat in wesentlichen Punk-ten unseren Forderungen nachgekom-men:�Der Abbau von Ineffizienzen mussinnerhalb von fünf Jahren erfolgen –

statt wie von der Bundesregierungvorgeschlagen schon innerhalb vondrei Jahren. Das gibt den Netzbetriebenmehr Luft zum Atmen.� Für Investitionen in die Verteilernet-ze, die zwischen 2007 und 2016 erfolgtsind, bleibt der sogenannte Sockelbe-trag in der 3. Regulierungsperiodeerhalten. Der Bundesrat hat jedoch dieBundesregierung aufgefordert, recht-

zeitig zu prüfen, ob dieser – entspre-chend unserer Forderung – auch in der4. Periode weitergilt. Damit würdeeine nachträgliche Entwertung dergetätigten Investitionen verringertwerden.�Die Entschädigungskosten bei Abre-gelungen von Strom aus erneuerbarenEnergien sind den dauerhaft nicht be-einflussbaren Kosten zugeordnet wor-den.

Damit haben wir von ver.di in wich-tigen Punkten Verbesserungen er-

reicht. Insbesondere das Risiko bei denPersonalnebenkosten haben wir ineiner gemeinsamen Anstrengung be-seitigt; auch können aktuell notwen-dige Veränderungen noch 2016 vor-genommen werden. Hier zeigt sichwieder: Engagement lohnt sich, auchin der Politik – und ein langer Atem.Wir haben in der „Verlängerung“ nochviel erreicht. Reinhard Klopfleisch

Ein Warnstreiktag bringt TarifergebnisBeschäftigte der SVO-Gruppe in Celle und Uelzen streiken erstmals in der Unternehmensgeschichte

Es brauchte nur einen einzigen Tag. Und den Mut zum Ungewöhnlichen.Denn noch nie in der Geschichte des Betriebes oder seiner Vorgängerun-ternehmen wurde jemals gestreikt. Doch nach diesem einen Warnstreik-tag war der neue Tarifvertrag perfekt. Auf den Gesichtern der Beschäf-tigten der SVO-Gruppe sind die Mundwinkel nach oben gezogen.Vielleicht ist das Lächeln das Resultat des Umstandes, dass wohl kaumeiner gedacht hat, dass dieser einzige Warnstreiktag so viel bewirkenkönnte. Vielleicht aber kommt es auch daher, dass der eine oder anderenun weiß, dass es künftig – wenn nötig – weitere solcher Tage gebenwird.

�Die Belegschaft ist zufrieden. Und hatfestgestellt, dass Arbeitsniederlegun-gen nicht nur wirkungsvoll sein kön-nen, sondern auch die Stimmung he-ben. Doch wie kam es dazu? Die Tarif-verhandlungen für die knapp 400Beschäftigten der SVO Celle UelzenNetzgesellschaft gestalteten sich 2016zäh – mal wieder.

Früher war der Betrieb im öffentli-chen Dienst und nach einem Tarifer-gebnis wurden Einkommen angepasst.Wenn es zu einem Arbeitskampf kam,hat der Betrieb nie mitgestreikt. Seit2001 gilt für die Beschäftigten der SVO

ein Haustarifvertrag, der sich an denE.ON-Tarifen orientiert. Das heißt:Wenn es um Tariferhöhungen geht,will das Unternehmen nicht mehr be-zahlen, als bei E.ON ausgehandeltwurde. Die Krux: Das Tarifniveau istum etwa 20 Prozent niedriger als beiE.ON – und das, obwohl die SVO-Beschäftigten wöchentlich eineinhalbStunden länger arbeiten als die Kolle-ginnen und Kollegen bei E.ON. Dasalles sind die Beschäftigten der SVOleid.

„Uns war und ist vollkommen klar,dass wir den Abstand zu E.ON nicht

in einer Tarifrunde schließen können“,sagt ver.di-Vertrauensmann Lars Bent-haus, Mitglied der Tarifkommission.Aber den Beschäftigten war es überauswichtig, dass zumindest ein Schritt indiese Richtung vollzogen wird. Dochdie Arbeitgeberseite stellte sich stur.

Die Beschäftigten bekräftigten ihreForderungen, zogen mit Plakaten undTrillerpfeifen vor das Werkstor undmachten deutlich, dass sie diese For-derung nach Angleichung nicht ein-fach aufgeben. Das war vor der zwei-ten Verhandlungsrunde. Das Engage-ment war zwar eindrucksvoll, aberoffenbar nicht eindrucksvoll genug.Die Arbeitgeber kamen den Kollegin-nen und Kollegen keinen Millimeterentgegen.

„Dann haben wir eins draufgesetzt“,so Benthaus. Mit Unterstützung vonver.di. Am 22. Juni, unmittelbar vorder dritten Verhandlungsrunde, wurdezum Warnstreik aufgerufen. Nichtsging mehr. Statt ihre Schicht anzutre-ten und zu arbeiten, zogen die Beleg-schaften der SVO-Gruppe lautstark undmit vielen Plakaten durch die Stadt undzur Geschäftsstelle von ver.di. Ein Tagspäter bei den Verhandlungen war dieWelt plötzlich eine ganz andere. „Un-sere Verhandlungspartner hatten sichum 180 Grad gedreht“, so Benthaus.Die Geschäftsführung war um Scha-

densbegrenzung bemüht. Die Folge:Zum Ende dieser Verhandlungsrundelag ein Tarifvertrag auf dem Tisch. Beider Einkommensanhebung haben dieArbeitgeber deutlich draufgesattelt –2,5 Prozent für alle, heißt es. Für dieBeschäftigten gibt es unter anderemfür das laufende und das kommendeJahr eine Erholungsbeihilfe, die ver-mögenswirksamen Leistungen wurdendeutlich erhöht, die Wechselschicht-zulage wurde dynamisiert. „Das sinderste Schritte in die richtige Richtung“,bilanziert Benthaus.

Aber das Tarifergebnis ist es nichtalleine, was zählt. Die Beschäftigtenhaben erste Streikerfahrungen ge-macht, haben gesehen, zu was sie inder Lage sind und was sie damit be-wirken können. Keine Frage: Sie wer-den – wenn nötig – wieder auf diesesMittel zurückgreifen. Jana Bender

UMWE LT S CHU T Z

Klimaschutzplan soll bis November verabschiedet seinDas Bundesumweltministerium rech-net damit, dass der seit Monatenkontrovers diskutierte deutsche Kli-maschutzplan 2050 bis zum Novem-ber verabschiedet wird. Er gehe da-von aus, dass die Bundesregierungnoch vor der am 7. November begin-nenden Klimakonferenz in Marra-kesch ihren Klimaschutzplan verab-schieden werde, sagte Jochen Flas-barth, Staatssekretär im Bundesum-weltministerium in Leipzig. DasBundesumweltministerium und das

Bundeswirtschaftsministerium wür-den mit einem „gemeinsamen Kon-zept antreten“.

Zur kontrovers diskutierten Frage,ob in dem Plan ein konkreter Terminfür den Ausstieg aus der Verstromungvon Stein- und Braunkohle festgelegtwerden müsse, meinte der Staatsse-kretär, das müsse seiner Ansicht nachnicht sein. Es gehe beim notwendigenschrittweisen Ausstieg aus der Koh-lenutzung nicht so sehr um einen fixenTermin, sondern darum, diesen in

einem Prozess mit der Entwicklungvon Zukunftsperspektiven für Mitar-beiter in Kraftwerken und Braunkoh-leregionen zu synchronisieren.

Deutschland sei beim Klimaschutz„auf dem richtigen Weg“, so derStaatssekretär weiter. Europa sieht erinsgesamt von einer Vorreiterrolle indiesem Punkt noch ein Stück weitentfernt. Inzwischen haben die USAund China das Klimaschutzabkommenvon Paris ratifiziert. Die EU muss sichalso sputen.

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6 WASS ERW I RT S CHA F T / A B FA L LW I RT S CHA F T FACHBEREICH VER- UND ENTSORGUNG 03· 2016

Digitalisierung:Gute Arbeit bleibt weiter das ZielBetriebs- und Personalrätekonferenz Wasserwirtschaft: Wasserwirtschaft sagt erneut nein zu Freihandelsabkommen

Die umstrittenen Freihandelsabkommen, Digitalisierung, Benchmarking,die Stellenbemessung in der Wasserwirtschaft und der jüngste Tarifab-schluss im öffentlichen Dienst – über all dies wurde bei der 19. Betriebs-und Personalrätekonferenz Wasserwirtschaft sowie der JAVen aus derWasserwirtschaft debattiert, zu der etwa 130 Beschäftigte aus ganzDeutschland Ende Juni nach München gekommen waren. Die Konferenzstand unter dem Motto „Wasserwirtschaft – kritisch und wenn ja wie?“

�Der ver.di-Vorsitzende Frank Bsirskemahnte vor den Teilnehmerinnen undTeilnehmern nicht nur einen Kurswech-sel in der Rentenpolitik an, er bewer-tete auch den jüngsten Tarifabschlussfür die Beschäftigten des öffentlichenDienstes: „Wir haben einen Beitrag zurReduzierung des Lohnrückstands zurprivaten Wirtschaft erreicht – das warauch unser Ziel.“ Zudem wurden mitder neuen Entgeltordnung „viele Ver-besserungen für eine ganze Reihe vonBerufen durchgesetzt.“

Mit Blick auf die Renten-Kampagne,die ver.di zusammen mit dem DGBnoch im Herbst starten will, forderteBsirske unter starkem Beifall der Teil-nehmerinnen und Teilnehmer der Kon-ferenz: „Die Talfahrt des Rentenniveausmuss gestoppt werden.“ Bereits heute

seien viele Rentnerinnen und Rentnerauf die Grundsicherung angewiesen,weil ihre Einkommen trotz jahrzehn-telanger Berufstätigkeit nicht zum Le-ben reichen. Es sei deshalb nicht ak-zeptabel, dass das Rentenniveau wei-ter sinken solle.

Andreas Kahlert, Sprecher der Bun-desfachgruppe Wasserwirtschaft, er-läuterte vor der Konferenz das Projekt

„Perspektive ver.di wächst“. In einigenBereichen der Wasserwirtschaft wer-den deutliche Mitgliederzuwächseregistriert – auch als Folge der bedin-gungsgebundenen Tarifarbeit. DieseZuwächse kompensierten die Austrit-te, die vor allem aus Altersgründenerfolgen, in anderen Bereichen. Gene-rell ist der Organisationsgrad in derWasserwirtschaft „ausbaufähig“ – inden großen wie in den kleinen Betrie-ben. Kahlert verwies erneut auf denZusammenhang zwischen Organisati-onsgrad und Durchsetzungsfähigkeit:„Sinkende Mitgliederzahlen habenimmer auch sinkende Beiträge zur Fol-ge.“ Bei dem Projekt „Perspektive ver.di wächst“ setzt die Gewerkschaft auchin der Wasserwirtschaft auf die Nach-wuchsentwicklung und auf bedin-gungsgebundene Tarifarbeit.

Die Konferenz bekräftigte erneutihre ablehnende Haltung gegenüberden umstrittenen Freihandelsabkom-men CETA, TTIP und TISA. Unter an-derem befürchtet ver.di, dass mit die-sen Abkommen die öffentliche Da-seinsvorsorge unter die Räder kommenkönnte. Es dürfe zudem nicht sein, dassdie Politik Privatisierungen nicht rück-gängig machen könne. Die umstritte-

nen Schiedsgerichte, die hinter ver-schlossenen Türen tagten, bevorzugendie großen Konzerne, ist sich ver.disicher.

Digitalisierung gestalten

Keine Frage, die Digitalisierung verän-dert auch in der Wasserwirtschaft dieBeschäftigung und die Arbeitsbedin-gungen. Schon heute sind Steuerun-gen von Anlagen am Laptop oder Ta-blet per Mausklick vom Wohnzimmermachbar. Mit der fortschreitendenDigitalisierung werden Berufe sich ver-ändern, neue Berufe entstehen undandere verschwinden. Wie werdenkünftig aber die Arbeitsbedingungenaussehen? Schlecht, meint ver.di –wenn die Beschäftigten nicht gegen-steuern. Gute Arbeit muss das Ziel sein– auch in einer digitalisierten Welt.Beschäftigtendatenschutz ist dabei einwichtiges Stichwort. Flexibilität darfzudem nicht dazu führen, dass dieKolleginnen und Kollegen sozusagenrund um die Uhr arbeiten, dass sieständig erreichbar sind oder unter stei-gendem Leistungsdruck und Arbeits-verdichtung zu leiden haben.

Apropos Arbeitsverdichtung: KannBenchmarking Arbeitsplätze sichernund trotzdem die Modernisierung derBranche vorantreiben? Oder führt esdazu, dass auf dem Rücken der Be-schäftigten gespart wird? Auch bei derKonferenz der Wasserwirtschaft wurdedeutlich: Bei den Beschäftigten hatBenchmarking keinen guten Ruf. Vieleverbinden Benchmarking mit Stel-lenabbau und Arbeitsverdichtung. ZumLeidwesen von Vera Szymansky vom

Bundesverband der Energie- und Was-serwirtschaft (BDEW). Der Verbandwirbt für den freiwilligen Leistungs-vergleich, also freiwilliges Benchmar-king. Für Szymansky darf ein gutesBenchmarking nicht nur die Kostenvergleichen. Es muss auf fünf Säulenstehen: Versorgungssicherheit, Quali-tät, Kundenservice, Nachhaltigkeit undWirtschaftlichkeit. Gebraucht würdenzudem verlässliche Kennzahlen, die dieSituation vor Ort miteinbeziehen.

Jana Bender

Arbeitgeber muss Belastungen verringernPsychische Gefährdungsbeurteilung: Langfristig zahlt sich Gesundheitsschutz immer aus – Expertin rät: Kolleginnen und Kollegen sensibilisieren

Das Gesetz ist eindeutig: Die Arbeitsplätze müssen auf ihr Gefährdungs-potenzial hin untersucht werden. Nicht nur auf die physischen Belastun-gen, sondern auch auf die psychischen Belastungen hin. Und währenddie Gefährdungsbeurteilung, die die physischen Belastungen prüft, meistzum Alltag in den Betrieben gehört, sind die psychischen Belastungenmeist nicht untersucht. Leider, betont Prozesscoach Anna Wirth ausMainz. Betriebs- und Personalräte müssen deshalb den Finger in dieseWunde legen und in den Betrieben Gefährdungsbeurteilungen einfor-dern, die auch die psychischen Aspekte des Arbeitsplatzes einbeziehen.

�Müllwerker arbeiten in einer gefähr-lichen Umgebung: Mitten im Verkehr.Deshalb sind Leuchtfarben Teil derArbeitskleidung. Der Hintergrund:Werden Müllwerker von den Autofah-rern leichter gesehen, wird ein Unfallunwahrscheinlicher, bei dem der Müll-werker verletzt wird. Gefährlich bleibtdas Terrain dennoch. Und dieser Um-stand kann sich auf die Psyche desMüllwerkers auswirken. Oder BeispielMüllfahrer: Er dirigiert die schwerenFahrzeuge durch oft schmale Straßen,die rechts und links mit Autos zuge-parkt sind. Nicht nur vor Schulen, son-dern überall in den Wohngebietenmuss er darauf gefasst sein, dass Kin-der zwischen den Autos über die Stra-ße laufen. Aber vor Schulen habenviele Müllfahrer viel Respekt – vor allembei schlechtem Wetter und damit ein-geschränkter Sicht: Weil die Eltern dieKinder zur Schule fahren, direkt vorder Schule anhalten und immer mit denKindern auf der Straße gerechnet wer-den muss.

Hinzu kommt: Das Innere von mo-dernen Müllwagen ähnelt heute einemCockpit. Da leuchten jede MengeLämpchen und es blinkt. Und währendhinter dem Wagen sich wieder eineSchlange bildet und Autofahrer meistmehr als weniger ungeduldig darauf

warten, dass der Müllwagen ver-schwindet, hat der Müllfahrer zusätz-lich zum Verkehr auch noch jede Men-ge an Instrumenten im Blick zu habenoder der Einsatzzentrale zu antworten.

„Wir müssen unsere Sinne immerüberall haben“, weiß Müllfahrer Tho-mas Walter. Das stresst – auch auf dervertrauten Tour. Und erst recht, wennein Müllfahrer einspringen und einefremde Tour fahren oder der Wagenim Rückwärtsgang die Gasse herausmuss. Das fällt dann unter die Rubrik„gefürchtete Hammertour“ – kaumeiner fährt sie gerne.

Stress macht krank. Doch was fälltunter Stress? Auch Lärm ist nicht ge-sund. Was also sind psychische Belas-tungen? Fast alles kann uns stressen.Auch häufige Unterbrechungen, Zeit-druck, wütende Kunden, Hektik, Ar-beitsverdichtung, unklare Vorgaben,die Notwendigkeit, permanent auf-merksam sein zu müssen – wie es beiMüllfahrern und Müllwerkern erforder-lich ist. Psychisch bedeutet, die Belas-tung wirkt auf die Sinnesorgane, aufdas Denken, auf das Lernen, auf dasGedächtnis, auf die Konzentrationoder auf die Empfindungen. Wobeiumgangssprachlich mit Belastungenimmer eine Fehlbelastung gemeint ist.Allerdings: Psychische Belastung hat

rein gar nichts mit psychischer Erkran-kung zu tun. Aber weil viele Zeitge-nossen Belastung und Erkrankung ineinem engen Zusammenhang sehen,ist das Thema Psyche im Arbeitsumfeldheikel – zu Unrecht, betont Wirth.

Und noch was: Es kommt nicht da-rauf an, ob eine Belastung als belastendempfunden wird, als eigentlich „nichtso schlimm“. Wirth: „Es geht darum,ob eine psychische Belastung existiert.“Ergo: Es geht um den Arbeitsplatz,nicht um den Beschäftigten.

Keine Bettelposition

„Arbeit darf per Gesetz nicht krankmachen“, darauf verweist Wirth immerwieder. Wenn Betriebs- oder Personal-räte darauf pochen, dass psychischeGefährdungsbeurteilungen erstelltwerden, dann dringen sie auf ihr gutesRecht. Mehr nicht. „Die Beschäftigtensind nicht in einer Bettelposition“, weißWirth. Und das Gesetz sagt auch: DerArbeitgeber hat dafür zu sorgen, dass

die Gefährdung, der der Arbeitnehmerausgesetzt ist, minimiert ist. Um zuwissen, ob und was geändert werdenmuss, dazu muss die Gefährdung ana-lysiert sein – eben mit Hilfe der Ge-fährdungsbeurteilung.

Geregelt ist übrigens auch die Hie-rarchie der Maßnahmen, die der Arbeit-geber ergreifen muss: Zunächst mussder Arbeitgeber wie auch immer versu-chen, die Gefahrenquelle zu beseitigen.Erst ganz am Ende der Hierarchie stehtdie Verhaltensänderung des Beschäf-tigten: Es ist somit zwar nachvollzieh-bar, aber nicht zulässig, wenn Arbeit-geber eine Gefährdung durch ein zu-sätzliches Gesundheitsangebot ausglei-chen wollen. Oder anders ausgedrückt:Da Stress Rückenschmerzen auslösenkann, ist es schön, wenn der Arbeitge-ber Müllfahrern und Ladern ein Rücken-training bezahlt. Der Kurs entbindet denArbeitgeber aber nicht davon, dafür zusorgen, dass der Stress nachlässt oderganz vermieden wird. Was könnte ge-

schehen? Wenn Hektik vermieden wer-den soll, könnte der Arbeitsrhythmusgeändert werden. Die Beschäftigtenkönnten selbst bestimmen, wann siePausen einlegen. Oder es könnte mehrPersonal eingestellt werden – damit einMüllwagen auch immer mit zwei Mit-arbeitern besetzt ist.

Und natürlich geht es bei der Müll-abfuhr auch immer um politische Di-mensionen: Schon bei der Planungeines Viertels oder bei der Parkraum-bewirtschaftung einer Stadt muss im-mer einbezogen werden, dass Müll-wagen durchfahren müssen. EineStadt, die auch ihre Müllwerker im Blickhat, lässt vielleicht die Ordnungshüterin besonders engen Gassen daraufachten, dass nicht noch Falschparkerdie Situation verschärfen. Oder instal-liert herausnehmbare Poller.

Was aber können Betriebs- und Per-sonalräte tun, damit auch in ihremBetrieb jeder Arbeitsplatz auf seineGefährdung hin untersucht wird unddann entsprechende Maßnahmen er-griffen werden? Sensibilisieren, lautetdas Stichwort – die Kolleginnen undKollegen wie die Chefs. Das Thema zumThema im Betrieb machen, rät deshalbWirth. Erläutern, worum es geht undimmer wieder verdeutlichen, dass dieMaßnahmen, die sich aus Gefähr-dungsbeurteilungen ergeben, nichtsanderes sind als Gesundheitsschutz.Und Gesundheitsschutz zahlt sich fürdie Unternehmen langfristig immer aus.Aber es muss klar sein: Ein Mitarbei-tergespräch ersetzt keine Gefährdungs-beurteilung. Denn nur die Gefähr-dungsbeurteilung und nicht das Mitar-beitergespräch zwingt den Arbeitgeberzum Handeln. Jana Bender

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Page 7: 3 I 2016+file++... · Jana Bender IMPRESSUM Der ver.di -Report Ver- und Entsorgung Nr. 3, September 2016 · Herausgeber: Vereinte Dienstleistungsgewerkschaft (ver.di), Fachbereich

7FACHBEREICH VER- UND ENTSORGUNG 03· 2016 DEMOGRAF I E / EN E RG I EW I RT S CHA F T

N-ERGIE startet Demografie-ProjektZukunft. Zeit. Zusammenarbeit: Beschäftigte reduzieren ihre Arbeitszeit zugunsten der Jugend

Die Belegschaften altern, die Zahlder Bewerbungen auf Ausbildungs-plätze ist geschrumpft, Fachkräftestehen nicht mehr Schlange. Derdemografische Wandel hat seineVorboten längst geschickt. Aberankommen wird der demografischeWandel erst in den kommendenJahren, wenn die Babyboomer inRente gehen. Betriebe, die voraus-schauen, tüfteln deshalb anProjekten, mit denen sie dieserEntwicklung begegnen wollen –auch, um sich gegen die möglichennegativen Auswirkungen desdemografischen Wandels zuwappnen. Ein solches Projekt hatauch N-ERGIE in Nürnberg aufge-legt. Die treibende Kraft dabei warder Betriebsrat. Z.Z.Z. heißt dasProjekt und die Abkürzung steht für„Zukunft. Zeit. Zusammenarbeit.“

�Der Gedanke, der hinter dem Projektsteckt, lässt sich so zusammenfassen:Derzeit hat die N-ERGIE viele gut aus-gebildete junge Leute. Aber es fehltan Stellen. In wenigen Jahren wird dieSituation ganz anders aussehen, be-tont Wolfgang Scharnagl, stellvertre-tender Betriebsratsvorsitzender derN-ERGIE. Dann werden händeringendAuszubildende und junge Technikerund Ingenieure gebraucht. Nur: DerMarkt wird sie nicht liefern. Dass es sosein wird, hat die N-ERGIE schwarz aufweiß. Denn das Unternehmen hat eineDemografie-Analyse erstellt. Das heißt:Ganz genau nachgeschaut, wer wannregulär in Rente gehen wird. Dabeiwurde klar: Mehr als 1000 Fachkräftewerden in den kommenden zehn Jah-ren auf jeden Fall den Betrieb verlassen:Facharbeiter, Meister, Techniker. „Vie-le unserer Bereiche steuern auf einenAderlass zu“, weiß Scharnagl.

Und deshalb verstärkt N-ERGIE dieAusbildung. In den nächsten fünf Jah-ren sollen statt 40 Ausbildungsplätzepro Jahr 60 Plätze angeboten werden.Ebenfalls erhöht wird die Anzahl derPlätze, bei denen die jungen Leutestudieren und parallel dazu im Unter-nehmen eingesetzt werden. Das Kern-stück des Programms aber setzt wo-anders an. Denn bisher verlassen jun-ge Nachwuchskräfte nach der Ausbil-dung den Betrieb, weil es für sie keineStellen gibt. Für den Betrieb wie fürdie jungen Leute eine unbefriedigendeSituation. Vor diesem Hintergrundwurde die Idee der Zeitmodelle gebo-ren. Das bedeutet: Festangestelltereduzieren ihre Arbeitszeit. Diese Stun-den wiederum kommen Nachwuchs-kräften zugute. N-ERGIE hält sich damitNachwuchskräfte warm – für die Zeit,

in der gut ausgebildete und motivier-te Nachwuchskräfte gebraucht wer-den. Dadurch war es der N-ERIE mög-lich, alle Azubis, die 2016 ihre Ausbil-dung beendet haben, unbefristeteArbeitsverträge anzubieten – obwohlzuvor keine Stellen frei waren.

17 Millionen Euro kostet das Projekt– haben Fachleute errechnet. 30 Pro-zent davon übernimmt das Unterneh-men, 70 Prozent müssen die Beleg-schaften mit Stundenreduzierung brin-gen. Kaum nötig zu erwähnen, dassnicht jeder in der N-ERGIE zuversichtlichwar, dass diese Quote erreicht wird.„Wir probieren es“, sagten sich Be-triebsrat und Geschäftsleitung. Und siestaunten: Innerhalb von einer Wochehatten sie 650 Rückmeldungen. Letzt-endlich reduzierten 350 Beschäftigteihre Arbeitszeit – der eine fünf Stundendie Woche, der oder die andere zehnStunden. Und nehmen ein niedrigeresEinkommen in Kauf. Vollkommen un-terschiedlich waren auch die Gründe,warum die Beschäftigten weniger ar-beiten wollten. Mal ging es um einHobby, mal um die Familie, anderestehen wenige Jahre vor der Rente undwollen einfach kürzer treten.

Für den MaschinenbauingenieurGerd Mahr waren seine Kinder aus-

schlaggebend. Er hat seine Arbeitszeitum sechs Stunden pro Woche redu-ziert, um die ein und drei Jahre altenKleinen besser betreuen zu können.Und er wird einen Tag die Woche imHomeoffice arbeiten. Denn auch seineFrau wird nach der Elternzeit wiederin Teilzeit in den Beruf einsteigen. Wiees sich mit der verminderten Wochen-stundenzahl lebt und arbeitet, kannMahr derzeit noch nicht sagen. Aucher war gerade in Elternzeit und arbei-tet derzeit Vollzeit, damit er sein Talent– nämlich die 24 Jahre alte Verfahrens-technikingenieurin Jennifer Linder –einarbeiten kann. Gerd Mahr kam dasProjekt gerade recht.

Arbeit neu organisiert

Kein Wunder, dass er nicht lange über-legte. Die Reduzierung ist erstmal aufein Jahr befristet. Ob sie verlängertwird? „Schon möglich“, meint Mahr– vielleicht so lange, wie die Kinderklein sind. Aber auch wenn die Redu-zierung nicht von vornherein befristetist, haben die Beschäftigten bei derN-ERGIE die Möglichkeit, wieder auf100 Prozent aufzustocken.

Und wie funktioniert die Zusammen-arbeit mit dem Talent? Mahr hat einesseiner Projekte an Jennifer Lindner

übergeben, ein Projekt, das etwa sechsArbeitsstunden die Woche in Anspruchnimmt. Ihre restliche Arbeitszeit istausgefüllt mit anderen Projekten, mitanderen Aufgaben, die sie von Kolle-ginnen und Kollegen übertragen be-kam, die ebenfalls reduzierten. DasArbeitsspektrum des Talents – also derNachwuchskollegin oder des Nach-wuchskollegen – ist somit in der Regelbreit. Unbestritten ist das anstrengend.Viele unterschiedliche Aufgaben ge-ben ihr aber auch die einmalige Chan-ce, verschiedene Bereiche, Aufgabenund Projekte kennenzulernen, was ihrspäter noch in ihrer Laufbahn zugute-kommen könnte. Aber vor allem: Siefreut sich, dass sie in Nürnberg bleibenkann. Hier leben ihre Freunde und ih-re Familie. Hätte sie bei der N-ERGIEkeine Stelle bekommen, hätte sie ineine andere Stadt ziehen müssen.

Nicht jeder, der reduzieren wollte,konnte auch die Stundenzahl vermin-dern. Das letzte Wort hat der Chef.Wenn seiner Ansicht nach die Redu-zierung nur dazu führt, dass die ver-bliebenen Kollegen mehr arbeitenmüssen, weil keine geeignete Nach-wuchskraft vorhanden ist, kann derVorgesetzte sein Veto einlegen. Bevordas passiert, wird nach Lösungen ge-

sucht, betont Wolfgang Scharnagl –indem Aufgaben anders organisiertund zum Beispiel zusammengelegtwerden. „Die Arbeit wird dann so ge-bündelt, dass die Jungfachhandwerkersinnvoll eingesetzt werden können“,erzählt er. Aber ganz klar: Damit Z.Z.Z.funktioniert, müssen alle flexibel sein:die Chefs, die, die reduzieren und dieNachwuchskräfte. Und dabei zeigtsich: „Wo ein Wille ist, ist meist auchein Weg.“

Dennoch: Für Scharnagl ist es wich-tig, dass nichts schöngeredet wird. „Esmüssen immer alle Fakten auf den Tisch– die Chancen wie die Risiken.“ Undkeiner darf Nachteile haben, weil ernicht reduziert. „Wenn hier Druck aus-geübt wird, ist das Projekt kaputt, be-vor es startet“, so Scharnagl. In zweiJahren will das Unternehmen Bilanzziehen: Schauen, wo es steht; überprü-fen, ob die zusätzlichen Ausbildungs-plätze besetzt werden können undbewerten, wie die Talente sich in ihrenAufgaben eingefunden haben. Viel-leicht wird N-ERGIE feststellen, dass siedas Projekt – im Interesse aller – nochausbauen können. Jana Bender

Mehr Detai ls zum Projekt weiß[email protected]

Es braucht verbindliche Regelungenver.di und Arbeitgeber setzen Gespräche noch im Herbst fort

Die Verhandlungen um einen Tarifvertrag Demografie für den TV-V(Tarifvertrag Versorgung) sind offenbar noch nicht auf der Zielgeraden.Zwar beteuern die Arbeitgeber, einen baldigen Abschluss anzustreben.Dennoch treten die Verhandlungen derzeit auf der Stelle. Noch imHerbst wollen die Verhandlungspartner erneut zusammenkommen.Dabei soll ausgelotet werden, ob ein Kompromiss möglich ist.

� Seit Monaten verhandeln ver.di unddie öffentlichen Arbeitgeber übereinen Tarifvertrag Demografie. Fürver.di ist einer solcher Tarifvertragüberfällig. Die TV-V-Verhandlungs-kommission verweist darauf, dass dasDurchschnittsalter der Belegschaftenweiter steigt. In wenigen Jahren kom-men die so genannten Babyboomerin das Rentenalter. ver.di dringt da-rauf, dass verbindliche Regelungen

getroffen werden, die dazu beitra-gen, den Fachkräftemangel zu lin-dern, den Arbeits- und Gesundheits-schutz voranzutreiben und das Fach-wissen der älteren Mitarbeiterinnenund Mitarbeiter auf den Nachwuchszu übertragen.

Die Arbeitgeber dringen darauf,dass der Tarifvertrage Demografie,der für den Nahverkehr bereits ab-geschlossen wurde, auf den Bereich

TV-V übertragen wird. Das aber gehtver.di nicht weit genug. „Wir wollenverbindlichere Regelungen“, betontWolfgang Scharnagl, Sprecher derver.di-TV-V-Tarifkommission. SeinerAnsicht nach sind die Tarifparteninhaltlich nicht mehr weit auseinan-der. Er ist zwar optimistisch, dass eszu einem Abschluss kommt. Voraus-setzung dafür aber ist, dass die Ar-beitgeber einen kleinen, aber ent-scheidenden Schritt hin zu den Vor-stellungen der Gewerkschaft ma-chen.

Was ist für ver.di besonders wich-tig? ver.di will verbindlichere Rege-lungen – sie sollen verbindlichersein, als sie im Tarifvertrag Demo-

grafie für den Nahverkehr festge-schrieben sind. Unter anderemdringt ver.di darauf, den Betriebenvorzuschreiben, dass sie eine Demo-grafie-Analyse anfertigen müssen.In einer solchen Analyse wird genauhingeschaut, wer wann aller Vor-aussicht nach regulär in Rente geht.Daraus ergibt sich dann, wann wel-che Fachkräfte ersetzt werden – zumBeispiel, indem Ausbildung ver-stärkt wird. Eine solche trägt nachScharnagls Einschätzung auch dazubei, dass die Herausforderungen,die die demografische Entwicklungmit sich bringt, deutlich werden. „Invielen Betrieben ist das Thema nochnicht angekommen“, weiß er. Die

Demografie-Analyse werde drin-gend gebraucht, weil sie die Ver-antwortlichen für d ie Problemesensibilisiert.

Auch der Demografie-Fonds ist fürver.di entscheidend. Mit dem Geldaus diesem Fonds sollen Maßnahmenzur Gesundheitsförderung oder Qua-lifizierung auf den Weg gebrachtwerden. Wird das Geld nicht entspre-chend verwendet, soll die Summe andie Beschäftigten ausgeschüttet wer-den. ver.di will damit sichergestelltwissen, dass das Geld den Beschäf-tigten zugutekommt und nicht in derUnternehmensbilanz verschwindet.„Dieser Druck ist notwendig“, ist sichver.di sicher.

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Die Arbeitszeit wird beim Tarifvertrag Versorgungsbetriebe (TV-V) eineentscheidende Rolle spielen. Sowohl Arbeitnehmervertreter als auch dieArbeitgeberseite sehen die Arbeitszeit im Blickpunkt künftiger Tarifver-handlungen. Als weitere Herausforderungen der Zukunft werdenDigitalisierung und Demografie genannt.

� Im Mittelpunkt der Debatten derTV-V Anwendertagung Anfang Juli inFrankfurt am Main, zu der etwa 150Betriebs- und Personalräte aus ganzDeutschland gekommen waren, stan-den der jüngste Tarifabschluss für denBereich des TV-V sowie die Zukunft derBranche und die Weiterentwicklungdes TV-V, der vor 16 Jahren erstmalsabgeschlossen wurde. In den fünfWorkshops wurde unter anderem überdie Eingruppierungsregeln des TV-V,über Arbeitnehmerhaftung, überDienst- und Betriebsvereinbarungendiskutiert, für die der TV-V an vielenStellen Öffnungen vorsieht. Dabei zeig-te sich, dass die Eingruppierungsre-geln, die seit dem Start des TV-V gelten,teilweise nicht mehr zeitgemäß sind:Es haben sich vielerorts nicht nur dieAufgaben geändert. Inzwischen gibtes auch Berufe, die in den Regeln nichtabgebildet werden.

Digitalisierung treibt dieUnternehmen an

Wie sieht die Zukunft des TV-V aus?Welche Regelungen brauchen die Ar-beitnehmer? Nach Ansicht von Wolf-gang Scharnagl, Sprecher der ver.di-

TV-V-Verhandlungskommission zwin-gen Digitalisierung, Demografie undEnergiewende die Tarifparteien dazu,die Arbeitszeit in den Blick zu nehmen.Dabei dringen auch die Beschäftigtenauf Flexibilisierung. Sie versprechensich größere Freiheiten, wenn sie ihreArbeit im Homeoffice erledigen kön-nen, verspricht dies doch eine bessereVereinbarkeit von Familie und Beruf.Gerade die Jungen – so Studien – mes-sen der Balance von Arbeit und Lebeneinen größeren Stellenwert bei als ih-re Mütter und Väter. Es braucht aberRegelungen, damit Homeoffice und dieVertrauensarbeitszeit nicht in ein „Ar-beiten ohne Ende“ ausarten.

Als politische Baustellen nenntScharnagl den Ausstieg der Energieer-zeuger aus der Stromproduktion durchKohle, die Anreizregulierungsverord-nung und das Gesetz zur Digitalisierungder Energiewende. Der Ausstieg ausder Kohle vernichtet Arbeitsplätze. Um-so wichtiger ist es nach ScharnaglsWorten, dass schnell Regelungen zumsozialverträglichen Ausstieg aus derKohle gefunden werden. Warumschnell? Weil bereits Anlagen stillgelegtwurden oder vor der Stilllegung stehen.

Bei der Digitalisierung der Energie-wende sind sich Arbeitnehmervertreterund kommunale Arbeitgeber einig: Sowie Berlin das derzeit plant – nämlichdass nur die Übertragungsnetzbetrei-ber die erhobenen Einzelmessdatender Kunden erhalten – darf es nichtWirklichkeit werden. Denn mit denVerbrauchsdaten verschwinden auchdie Kunden, befürchten Arbeitgeberwie Arbeitnehmer. Und mit den Kun-den die Arbeitsplätze. Auch die kom-munalen Energieversorger als Haupt-betreiber der Verteilnetze brauchen dieDaten – und zwar unverschlüsselt,betont denn auch Manfred Kossack,Geschäftsführer und Arbeitsdirektorbei DEW 21 und Mitglied des Grup-penausschusses Versorgungsbetriebeder Vereinigung Kommunaler Arbeit-geberverbände (VKA).

„Ausschütten und investieren –das geht nicht“

Kossack spricht von erheblichen Inves-titionen, die die kommunalen Energie-versorger tätigen müssen – und dasbei stetig steigendem Kostendruck.

Den Kommunen als Eigentümerinnender kommunalen Versorger schreibt erins Stammbuch: Die Unternehmenbrauchen ihre Gewinne, um investierenzu können. Die Unternehmen könntennicht über Jahre hinweg ausschüttenund gleichzeitig investieren. Wenn dieKommunen diesen Umstand wegeneigener Finanznot aus dem Blick ver-lieren, gefährden sie die Existenz ihrerVersorger.

Für Norbert Breidenbach, MainovaVorstand Vertrieb, läuft bei der Ener-giewende „nicht alles rund“ – was erauf die Rahmenbedingungen der Po-litik zurückführt: So sei die Stromer-zeugung mit Kraft-Wärme-Kopplung(KWK) nicht mehr wirtschaftlich. Brei-denbach wirft der Politik vor, ins Ei-

gentum der Versorger einzugreifen, dieStrom konventionell erzeugen. „Dawerden Rahmenbedingungen geschaf-fen, die Eigentum vernichten.“ Fernerkritisiert er die Bundesnetzagentur.Deren Vorgaben zur Steigerung derEffizienz bedeuten nach seinen Wortenimmer, dass die Unternehmen auchden Rotstift bei den Personalkostenansetzen müssen. „Wir scheuen denWettbewerb nicht“, sagt er, aber „die-ser Pfad ist mehr als bedenklich.“

Der Vorsitzende des Mainova-Be-triebsrates, Peter Arnold, verweist da-rauf, dass in zwei Perioden der Anreiz-regulierung Kosten gespart werdenmussten und auch wurden. Die Folge:Personal wurde abgebaut und Aufga-ben wurden an Fremdfirmen vergeben.Zudem wurden notwendige Reparatu-ren im Netz geschoben. Wie sieht dieSituation nun heute aus? ReduzierteMannschaften müssen die gesamtenLeistungen erbringen, die mit der Ener-giewende eher mehr als weniger ge-worden sind. Und: Fachkräftemangelist ein allgemeines Problem geworden.Die Praxis der Fremdvergabe funktio-niert nicht mehr. Jana Bender

EN ERG I EW I RT S CHA F T / A B FA L LW I RT S CHA F T FACHBEREICH VER- UND ENTSORGUNG 03· 2016

Beschäftigte brauchen Perspektivever.di: Bremen verweigert sich Tarifverhandlungen – Senat setzt weiter auf Private

Re-Kommunalisierung? Von wegen. Was die Hansestadt Bremen nun insAuge gefasst hat, stellt sich als kompliziertes Konstrukt dar, in dessenZentrum zwei Gesellschaften stehen, die mehrheitlich (50,1 Prozent) inprivater Hand sind. Den Beschäftigten schwant nach allem, was bisherbekannt wurde, nichts Gutes. Deshalb macht ver.di Druck: Damit dievermeintlichen Wohltaten wieder in der Schublade verschwinden. Nureines ist sicher: Der Stadt läuft die Zeit davon.

� „Die Beschäftigten brauchen endlicheine akzeptable Perspektive“, betontIngo Tebje, Gewerkschaftssekretär inBremen. Zusammen mit Christian deJonge vom ver.di-BezirksfachbereichVer- und Entsorgung in Bremenkämpft er dafür, dass die Müllentsor-gung zum 1. Juli 2018 in Bremen wie-der zurück kommt unter das kommu-nale Dach. Weil eine echte Re-Kom-munalisierung jede Menge Vorteilehätte – für die Bürgerinnen und Bür-ger und für die Beschäftigten. Ob esdazu kommt, ist derzeit leider nichtabsehbar. Mehr noch: Die Sterne ste-hen schlecht. Dabei schien es eineZeitlang so, als ob die Politik ver.disArgumenten sehr aufgeschlossen ge-genübersteht.

Doch warum wird gerade jetzt da-rüber gestritten, wie die Zukunft vonBremens Müllabfuhr aussieht? Weil vorfast 20 Jahren die Aufgabe, den Haus-müll einzusammeln und die Straßen zureinigen an die Privaten ging. 2018läuft dieser Vertrag aus. Für ver.di istdas eine gute Gelegenheit, Bilanz zuziehen. Und genau das hat die Gewerk-schaft getan. Ein Gutachten kam zudem Schluss, dass die Öffentlichen dieAufgabe mindestens so gut wie diePrivaten anbieten können. Vor allem:Kommt die Müllabfuhr und die Stra-ßenreinigung wieder unter das staat-liche Dach, dann verbessern sich dieArbeitsbedingungen für alle Beschäf-tigten in der Abfalllogistik und Stra-ßenreinigung und Winterdienst.

Dass es mit den Arbeitsbedingungenbei der vor 20 Jahren gegründeten Ent-sorgung Nord (ENO), bei der der Ent-sorger Nelsen das Sagen hat, nicht zumBesten steht, ist ein offenes Geheimnis.Als die Gesellschaft gegründet wurde,wurden die Beschäftigten, die damalsbei der öffentlichen Müllabfuhr, derStraßenreinigung und im Winterdienstarbeiteten, in die neue Gesellschaftübergeleitet. Seither hat ENO nieman-den mehr eingestellt und kräftig Perso-nal abgebaut. Von einst rund 750 Be-

schäftigten sind noch 300 übrig. Wur-den Beschäftigte gebraucht, so wurdensie von Nelsen geholt beziehungsweiseausgeliehen – zu deutlich schlechterenBedingungen als die Altbeschäftigten,die schon vor der ENO-Gründung dabeiwaren und übrigens auch ein tariflichfixiertes Rückkehrrecht zur Stadtge-meinde Bremen besitzen.

Derweil wurden verschiedene Poli-tiker in Bremen nicht müde hervorzu-heben, was alles unter Daseinsvorsor-ge zu verstehen ist und dass dieseDaseinsvorsorge in staatliche Handmuss. Genauso sieht es ver.di auch.Doch dann änderte sich das politischeKlima. Vor allem die Grünen, die vor20 Jahren noch strikt gegen eine Pri-vatisierung votiert hatten, sind inzwi-schen alles andere als Feuer und Flam-me für eine Re-Kommunalisierung. IhrArgument: Warum am Bewährtenrütteln? Wobei sie mit bewährt vorallem die Müllabfuhr generell im Blickhaben, nicht aber die Arbeitsbedingun-gen. Und auch innerhalb der SPD istdie Haltung nicht mehr eindeutig: Dieeinen wollten unbedingt die Aufgabewieder zurückholen, andere liebäugelnmit der Haltung der Grünen.

Leiharbeiter ohne Rechte?

Das Ergebnis: Am 12. Juli 2016 ent-schied der Bremer Senat, ein neuesKonstrukt einer Anstalt des öffentli-chen Rechts (AöR) ins Leben zu rufen.Die Abfall-Logistik und die Straßenrei-nigung sollen in zwei Gesellschaftengegliedert werden und zum 1. Juli 2018starten – unter privater Mehrheitsbe-

teiligung (50,1 Prozent). Für ver.di hatdieser Beschluss zweifelhafte Wohlta-ten für die Beschäftigten zur Folge: DieZweiklassengesellschaft innerhalb derENO-Belegschaft bleibt weiter beste-hen. Statt Tarifvertrag öffentlicherDienst (TVöD) für alle bleibt Lohndum-ping in der Bremer Abfallwirtschaft undStraßenreinigung Alltag. Die ENO-Belegschaft und der ENO-Betriebsratwerden zerschlagen. Vollkommen un-klar ist, was aus den ENO-Beschäftig-ten wird. „Werden sie künftig Leihar-beiter ohne Rechte sein?“, fragt ver.di-Gewerkschaftssekretär de Jonge.Zudem ist geplant, die Überleitung derBeschäftigten per Gesetz und nicht perÜberleitungstarifvertrag zu regeln –und damit werden den Beschäftigtengleichzeitig jede Menge Rechte ge-nommen.

ver.di und die Beschäftigten wollensich damit nicht abfinden. Schon gar,

weil das angepeilte Konstrukt so kom-pliziert ist, dass es wahrscheinlich nichtbis Mitte 2018 starten kann. „Es drohtein rechtloser Zustand“, befürchtetTebje. Dabei liegt der Bremer Politiklängst ein von ver.di erarbeitetes Kon-zept auf dem Tisch, das schnell undunkompliziert umsetzbar wäre – näm-lich Zurückholen der Müllabfuhr undder Straßenreinigung unter das kom-munale Dach.

Noch geben sich die Beschäftigtenund ver.di nicht geschlagen. Ende Au-gust und Anfang September zeigtensie bei der SPD und den Grünen erneutFlagge. Und sie werden weiter Druckmachen – im Interesse der Beschäftig-ten und der Bürgerinnen und Bürger.Sie fordern unter anderem Tarifver-handlungen über einen Überleitungs-tarifvertrag und dass die ENO-Beschäf-tigten in die AöR wechseln.

Jana Bender

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Arbeitszeit wird in den Fokus rückenTV-V-Anwendertagung: Heftige Kritik an Rahmenbedingungen der Politik

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