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4 Allgemeine Bakteriologie F. H. Kayser, E. C. Bo ¨ttger 4.1 Morphologie und Feinstruktur der Bakterien Bakterienzellen sind zwischen 0,3–5 lm klein. Drei Grundformen kommen vor: Kokken, gerade Sta ¨bchen und einfach oder spiralig gekru ¨mmte Sta ¨bchen. Das Nukleoid besteht aus einem nicht von einer Membran umgebenen, zirkula ¨ren, sehr du ¨nnen und langen DNA-Moleku ¨lfaden. Nichtessenzielle genetische Strukturen sind die Plasmide. In die Zytoplasmamembran sind zahlreiche Proteine wie Per- measen, Zellwandsynthese-Enzyme, Sensorproteine, Proteine von Sekretions- systemen und, bei aeroben Bakterien, Enzyme der Atmungskette eingelagert. Auf die Membran folgt die Zellwand, deren wichtigstes Bauelement das als Stu ¨tzkorsett funktionierende Murein ist. Bei gramnegativen Bakterien findet sich als Bestandteil dieser Wand eine mit Poren durchsetzte a ¨ußere Membran, in die außen das fu ¨r die Pathogenese gramnegativer Infektionen wichtige Lipopolysaccharid eingebaut ist. Die Zellwand der grampositiven Bakterien weist keine a ¨ußere Membran auf. Ihr Murein ist dicker und sie entha ¨lt (Lipo-)Teichonsa ¨uren sowie wandassoziierte Proteine, die in der Pathogenese grampositiver Infektionen eine Rolle spielen. Viele Bakterien besitzen eine aus Polysacchariden aufgebaute Kapsel, die sie vor der Phagozytose schu ¨tzt. Adha ¨renz an Wirtszellen wird durch Haftfimbrien/-pili ermo ¨glicht. Beweg- liche Bakterien besitzen Geißeln. Fremdko ¨rper-assoziierte Infektionen werden durch Bakterien hervorgerufen, die sich an inerte Oberfla ¨chen anheften und einen Biofilm ausbilden ko ¨nnen. Einige Bakterien bilden Sporen, die hohe Resistenz gegenu ¨ber chemischen und physikalischen Noxen aufweisen. 4.1.1 Form der Bakterien Bakterien unterscheiden sich von anderen einzelligen Mikroorganismen durch ih- ren Zellaufbau und ihre Gro ¨ ße. Diese variiert von 0,3–5 lm. Fu ¨r die optische Dar- stellung mu ¨ssen 500- bis 1000fache Vergro ¨ßerungen eingesetzt werden, die ge- rade noch im Bereich der mit dem Lichtmikroskop zu erzielenden Vergro ¨ ßerung und des Auflo ¨ sungsvermo ¨gens liegen. Objekte in der Gro ¨ ßenordnung der Bakte- rien sind jedoch wenig kontrastreich. Optische Methoden zur Steigerung des Kon- trastes sind die Phasenkontrast- und die Dunkelfeldmikroskopie. Beide erlauben Lebendbeobachtung von Zellen. Chemische Verfahren stellen die Fa ¨rbungen dar, bei denen die Bakterien abgeto ¨tet werden. 162 Kayser, Medizinische Mikrobiologie (ISBN 3134448114), F 2005 Georg Thieme Verlag 4

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4 Allgemeine Bakteriologie

F. H. Kayser, E. C. Bottger

4.1 Morphologie und Feinstruktur der Bakterien

Bakterienzellen sind zwischen 0,3–5 lm klein. Drei Grundformen kommen vor:Kokken, gerade Stabchen und einfach oder spiralig gekrummte Stabchen. DasNukleoid besteht aus einem nicht von einer Membran umgebenen, zirkularen,sehr dunnen und langen DNA-Molekulfaden. Nichtessenzielle genetische Strukturensind die Plasmide. In die Zytoplasmamembran sind zahlreiche Proteine wie Per-measen, Zellwandsynthese-Enzyme, Sensorproteine, Proteine von Sekretions-systemen und, bei aeroben Bakterien, Enzyme der Atmungskette eingelagert. Aufdie Membran folgt die Zellwand, deren wichtigstes Bauelement das als Stutzkorsettfunktionierende Murein ist. Bei gramnegativen Bakterien findet sich als Bestandteildieser Wand eine mit Poren durchsetzte außere Membran, in die außen das furdie Pathogenese gramnegativer Infektionen wichtige Lipopolysaccharid eingebautist. Die Zellwand der grampositiven Bakterien weist keine außere Membran auf. IhrMurein ist dicker und sie enthalt (Lipo-)Teichonsauren sowie wandassoziierte Proteine,die in der Pathogenese grampositiver Infektionen eine Rolle spielen. Viele Bakterienbesitzen eine aus Polysacchariden aufgebaute Kapsel, die sie vor der Phagozytoseschutzt. Adharenz an Wirtszellen wird durch Haftfimbrien/-pili ermoglicht. Beweg-liche Bakterien besitzen Geißeln. Fremdkorper-assoziierte Infektionen werden durchBakterien hervorgerufen, die sich an inerte Oberflachen anheften und einen Biofilmausbilden konnen. Einige Bakterien bilden Sporen, die hohe Resistenz gegenuberchemischen und physikalischen Noxen aufweisen.

4.1.1 Form der Bakterien

Bakterien unterscheiden sich von anderen einzelligen Mikroorganismen durch ih-ren Zellaufbau und ihre Große. Diese variiert von 0,3–5 lm. Fur die optische Dar-stellung mussen 500- bis 1000fache Vergroßerungen eingesetzt werden, die ge-rade noch im Bereich der mit dem Lichtmikroskop zu erzielenden Vergroßerungund des Auflosungsvermogens liegen. Objekte in der Großenordnung der Bakte-rien sind jedoch wenig kontrastreich. Optische Methoden zur Steigerung des Kon-trastes sind die Phasenkontrast- und die Dunkelfeldmikroskopie. Beide erlaubenLebendbeobachtung von Zellen. Chemische Verfahren stellen die Farbungen dar,bei denen die Bakterien abgetotet werden.

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Kayser, Medizinische Mikrobiologie (ISBN 3134448114), F 2005 Georg Thieme Verlag

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& Einfachfarbungen. Dabei wird ein einziger Farbstoff, z.B. Methylenblau, ver-wendet.

& Differenzierungsfarbungen. Dabei wird mit 2 Farbstoffen gefarbt, die unter-schiedliche Affinitat zu verschiedenen Bakterien aufweisen. Die wichtigsteDifferenzierungsfarbung ist die Gram-Farbung. Grampositive Bakterien sindblauviolett angefarbt, gramnegative rot (Methodik s.S. 27).

Drei Grundformenwerden bei Bakterien gefunden: die Kugel, das gerade Stabchenund das gekrummte Stabchen (s. Abb. 4.1–Abb. 4.4).

4.1.2 Feinstrukturen der Bakterien

Die prinzipiellen Unterschiede zwischen Prokaryonten und Eukaryonten sind inTab. 1.2, S. 6 zusammengefasst.

Nukleoid (Kernaquivalent) und Plasmide

Bei Prokaryonten besteht der „Zellkern“ aus im Zytoplasma lokalisierter, nicht von-einer Membran umgebener, stark verknauelter Doppelstrang-DNA (Abb. 4.5).Diese besteht bei E. coli (wie bei den meisten Bakterien) aus einem einzigen zir-kularen Molekul. Das Genom von E. coli ist aus 4,63 � 106 Basenpaaren (bp) zu-sammengesetzt, die fur 4288 Proteine codieren. Die Sequenz des Genoms vonE. coli und von zahlreichen weiteren Bakterien ist heute bekannt.

Nichtessenzielle genetische Strukturen sind die Plasmide, sich autonomvermehrende, 100- bis 1000-mal kleinere, zirkulare, verdrillte DNA-Mole-

Tabelle 4.1 Morphologische Charakteristika von Bakterien (Beispiele s. Abb. 4.1)

Bakterienformen Bemerkungen

Kokken Lagerung in Haufen (Abb. 4.2), Trauben, Ketten, Parchen(Diplo), Paketen

Gerade Stabchen gleichmaßig dick, abgerundete Enden (Abb. 4.3), zuge-spitzte Enden, Keulenformen

Gekrummte Stabchen einfache, spiralige (Abb. 4.4) oder schraubenformigeKrummung

Mykoplasmen Bakterien ohne starre Zellwand: kokkoide Zellen, langeFaden

Chlamydien zwei Formen: kugelige/ovale Elementarkorper (300 nm);kugelige/ovale Initialkorper (1000 nm)

Rickettsien kurze, kokkoide Stabchen (0,3-1 lm)

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1 2 3 4

5 6 7 8

9 10 11 12

13 14a b c d e

Abb.4.1 Morphologie von Bakterien.1. Grampositive Kokken in Haufen oder Trauben (Staphylokokken)2. Grampositive Kokken in gewundenen Ketten (Streptokokken)3. Grampositive Kokken mit Kapsel (Pneumokokken)4. Grampositive, keulenformige, pleomorphe Stabchen in charakteristischer Lagerung

(Korynebakterien)5. Gramnegative Stabchen mit zugespitzten Enden (Fusobakterien)6. Gramnegative, einfach gekrummte Stabchen (Vibrionen)7. Gramnegative, semmelformige Diplokokken (Neisserien)8. Gramnegative, gerade Stabchen mit abgerundeten Enden (Kolibakterien)9. Spiralig gekrummte Stabchen (Spirochaten, Leptospiren) und gramnegative, ein-

fach gekrummte Stabchen (Helicobacter)10. Peritriche Begeißelung11. Lophotriche Begeißelung12. Monotriche Begeißelung13. Sporenbildende Zellen der Gattungen Bacillus und Clostridium (Sporenfarbung).a) Sporenbildung zentral, ohne Auftreibung der vegetativen Zelleb) Sporenbildung terminal, ohne Auftreibungc) Sporenbildung terminal, mit Auftreibung (Tennisschlager)d) Sporenbildung zentral, mit Auftreibunge) Sporenbildung terminal, mit Auftreibung (Trommelschlegel)14. Freie Sporen (Sporenfarbung)

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kule (Abb. 4.6). Plasmide von humanpathogenen Bakterien weisen oft wichtige,den Phanotyp der Tragerzelle bestimmende Gene auf (Resistenzgene, Virulenz-gene).

5 µm

Abb.4.2 Kokken sind kugeligeBakterien. Wenn sie wie hier inHaufen bzw. Trauben gelagertsind, handelt es sich zumeistum Staphylokokken (Raster-Elek-tronenmikroskopie).

5 µm5 µm

Abb.4.3 Stabchenbakterien.Die hier gezeigten geraden Stab-chen mit abgerundeten Endensind Kolibakterien (Raster-Elek-tronenmikroskopie).

10 µm

Abb.4.4 Spirochaten und Lepto-spiren, in diesem Fall Borrelia dutto-nii, sind spiralig gekrummte Bakteri-en (Lichtmikroskopie, Giemsa-Far-bung).

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1 µm

Abb.4.5 Bakterien wahrend der Zellteilung.Das Nukleoid (Kernaquivalent) von Bakterien be-steht aus einem verknauelten, zirkularen DNA-Molekul ohne Kernmembran. Transmissions-Elek-tronenmikroskopie von Staphylokokken.

Abb.4.6 Plasmide. a „Covalently closed circle“ (CCC) oder „supercoil“ oder „super-twist“. b „Open circle“. Diese offene Form ist ein Artefakt: Es kommt durch einen Bruch(„nick“) in einem Strang der DNA-Doppelhelix zustande (TEM).

Kernäquivalent(Syn. Nukleoid)

Murein derZellwand

Kapsel

Plasmid

Zytoplasmamembran 70S-Ribosomen

Depotstoffe–Metaphosphate (Volutin)–Glykogen (Granulose)

HaftfimbrienHaftpili

Flagellen (Geißeln)

äußereMembran

(nur bei gram-negativenBakterien)

Abb.4.7 Grundbauplan der Bakterien. Alle Bakterien sind nach demselben Grund-bauplan aufgebaut (nicht maßstabgetreu).

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Topologie der DNA in der Bakterienzelle.Die nach rechts gewundene DNA-Doppelhelix (1 Helixwindung/10 Basenpaare) istzusatzlich nach links um die Helixachse verdrillt (1 Windung/15 Helixwindungen).Diese Vertwistung ist aus Platzgrunden und auch aus energetischen Grunden notwen-dig. Nur vertwistete DNA kann redupliziert werden. Die Verdrillung wird durchTopoi-somerasen realisiert. Nur bei Bakterien vorkommende Topoisomerasen sind die DNA-Gyrase und die Topoisomerase IV.

Zytoplasma

Das Zytoplasma enthalt eine große Zahl geloster nieder- und hochmolekularerStoffe, RNA und ungefahr 20 000 Ribosomen pro Zelle. Bakterielle Ribosomen be-stehen aus Proteinen und ribosomaler RNA. Sie sind aus einer 30S- und 50S-Un-tereinheit zum 70S-Ribosom zusammengesetzt. Ribosomen sind die Organellender Proteinsynthese. Im Zytoplasma sind weiterhin oft Reservestoffe (Glykogen-depots, polymerisierte Metaphosphate, Lipide) lokalisiert.

Die wichtigsten Zytoplasmamembran-Proteine der Bakterien.Permeasen. Aktiver Transport von Nahrstoffen von außen nach innen entgegeneinem Konzentrationsgefalle.Biosynthese-Enzyme. Fur Biosynthese der Zellwand, z.B. des Mureins (s. dort) not-wendig. Die Enzyme zur Endbiosynthese des Mureins sind mit den „Penicillin-Binde-proteinen“ (PBPs) identisch.Proteine der Sekretionssysteme. Bisher wurden 5 Sekretionssysteme (I – V) be-schrieben, die sich in ihrem Aufbau und auch in ihrer Wirkungsweise unterscheiden.Mit Hilfe dieser Systeme werden Proteine von innen nach außen geschleust. Gemein-sam ist den Systemen, dass Proteinzylinder ausgebildet werden, die die Zytoplasma-membran und – bei gramnegativen Bakterien - auch die außere Membran der Zell-wand uberbrucken. Die Systeme III und IV sind fur den direkten Zell-zu Zelltransfervon Biomolekulen zwischen einer Bakterienzelle und einer Zelle des Wirtsorganismusspezialisiert. Das System III besteht aus einem Nadelkomplex (S. 227), das System IVist ahnlich dem DNA-Konjugationssystem (S. 190) aufgebaut. Auf die Bedeutung derSekretionssysteme fur die Pathogenese wird auf S. 226 hingewiesen.Sensorproteine (auch Signalproteine). �bertragen Information aus der Umgebungder Zelle ins Innere. Eine sog. Empfangerdomane ragt nach außen, eine Transmitter-domane nach innen. Durch Bindung von Signalmolekulen an das Empfangermodulwird die Aktivitat der Transmitter-Domane reguliert. Die Funktionsweise eines 2-Kom-ponenten-Systems zeigt Abb. 4.35, S. 228)Enzyme der Atmungskette. Kommen bei Bakterien mit aerobem Stoffwechsel vor.Die aerobe Respiration entspricht im Prinzip der Zellatmung von Eukaryonten.

Zytoplasmamembran

Diese ist eine typische biologische Elementarmembran, die aus einer Phos-pholipiddoppelschicht besteht, in die zahlreiche Proteine eingebaut sind. Die

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wichtigsten Membranproteine konnen in 5 Gruppen (siehe Kasten) geordnetwerden.

Zellwand

Die komplexe Zellwand hat die Aufgaben, den Protoplasten vor außeren Noxen zuschutzen, die osmotische Druckdifferenz zwischen innen und außen abzufangen(Innendruck manchmal 500–2000 kPa), der Zelle die außere Form zu geben unddie Kommunikation mit der Außenwelt zu ermoglichen.

Murein (Syn. Peptidoglykan). Das wichtigste Bauelement der Wand ist das Mu-rein, ein netzartiges ( = Sacculum), die gesamte Zelle einhullendes Polymer. Es be-steht aus Polysaccharidketten, die durch Peptide quervernetzt sind (Abb. 4.8 u.Abb. 4.9).

Zellwand der grampositiven Bakterien (Abb. 4.10). Das Mureinnetz kann bis zu40 Schichten dick sein (15–80 nm) und 30% der Trockenmasse der Zellwand aus-machen.– Die Membran-Lipoteichonsauren sind in der Zytoplasmamembran verankert,

wahrend die Zellwand-Teichonsauren mit dem Murein kovalent verknupftsind. Teichonsauren spielen eine Rolle in der Pathogenese (S. 171).

– Beispiele zellwandassoziierter Proteine sind das Protein A, der „Clumping fac-tor“ und das Fibronektin-Bindeprotein von Staphylococcus aureus oder das M-Protein von Streptococcus pyogenes. Derartige weit uber das Murein hinausra-gende Proteine sind mit einer Zellwandanker-Region kovalent mit dem Peptid-anteil des Mureins verbunden.

CH2OHO

O O

CH2OHO

O

O NH CO CH3 NH CO CH3

OH

CH3CH

CO

(NH)

L -Alanin

D-Isoglutamin

L-Lysin [Glycin]5

D-Alanin

D-Alanin (COOH)

Abb.4.8 Mureinbaustein. Das Murein(Syn. Peptidoglykan) der Zellwand ist auszahlreichen identischen Untereinheiten zu-sammengesetzt. Fur die Vernetzung desSacculus sind die Peptide zustandig. Durcheine Peptidbindung zwischen der freienAminogruppe einer basischen Aminosau-re, z.B. des Lysins, einerseits sowie derfreien Carboxylgruppe des endstandigenAlanins einer benachbarten Kette kommtes zu den Querverbindungen. Die 5. Ami-nosaure des Peptids der Untereinheit, einAlanin, wird bei diesem Vorgang abgespal-ten. Bei Staphylokokken ist zwischen be-nachbarten Peptiden eine aus 5 Glycinenbestehende Interpeptidbrucke eingebaut.

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= N-Acetylmuraminsäure (= 3-O-Lactyläther von N-Acetylglucosamin)

MurGlcNAc MurGlcNAc MurGlcNAc GlcNAc

GlcNAc MurGlcNAc MurGlcNAc MurMur

Mur

GlcNAc = N-Acetylglucosamin = Aminosäure

TranspeptidaseNH-CO NH-CO

Abb.4.9 Struktur des Mureins (Schema). Eine Transpeptidase katalysiert die Quer-verknupfung der Polysaccharidketten (s. Abb. 4.8).

Zytoplasma-membran

zellwand-assoziierteProteine

Membran-Lipoteichonsäure

Zellwand-Teichonsäure

zellwandspezifischesPolysaccharid

Murein(Syn. Peptido-

glykan)

Abb.4.10 Zellwand grampositiver Bakterien (Schema). Charakteristisch ist die Di-cke der Mureinschicht, die imMurein verankerten Proteine und Teichonsauren sowie diemit einem lipophilen Anker in der Membran befestigte Lipoteichonsaure (nicht maß-stabgetreu).

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Zellwand der gramnegativen Bakterien. Das Murein ist nur ungefahr 2 nm dickund nur zu 10% an der Trockenmasse der Wand beteiligt (Abb. 4.11). WichtigesStrukturelement ist die außere Membran, in der zahlreiche Proteine vorkommen(50% der Masse) und in der auch das pathogenetisch wichtige Lipopolysaccharidlokalisiert ist. Die außere Membran stellt eine wichtige Permeabilitatsbarriere dar.& �ußere Membranproteine.– OmpA (Omp = outer membrane protein) und das Mureinlipoprotein verknup-

fen die außere Membran mit dem Murein.– Eine Reihe von Omps sind fur den Transport von außen nach innen zustandig.

Ein Beispiel dafur ist das Omp FepA, zustandig fur den Transport des mit Eisenbeladenen Siderophors Fe3+–Enterochelin bei E. coli. Viele Bakterien mussenEisen fur ein optimales Wachstum aktiv im Inneren anreichern.

K-Antigen O-Kette Core Lipoid A

Porine(z.B. OmpF)

Murein-Lipoprotein

OmpA

Zytoplasma-membran

Murein

peri-plasmatischer

Raum

äußereMembran

Lipopoly-saccharid

(LPS)

Abb.4.11 Zellwand gramnegativer Bakterien (Schema). Charakteristisch ist diedunne Mureinschicht sowie die mit demMurein uber Proteine (OmpA, Murein-Lipopro-tein) verbundene außere Membran. In dieser sind zahlreiche Proteine lokalisiert. Dieaußere Schicht dieser Membran setzt sich aus eng aneinander liegenden Lipopolysac-charid-Komplexen zusammen (s. Abb. 4.12). In der ausseren Membran sind auch die K-Antigene verankert. Diese bilden eine außen aufgelagerte kohasive Schicht, die O-In-agglutinabilitat bedingen kann (s.S. 293).

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4.1 Morphologie und Feinstruktur der Bakterien 171

– �ber Porine gelangen hydrophile, niedermolekulare Substanzen in den peri-plasmatischen Raum.

– Mit der außeren Membran sind Proteine assoziiert, uber die sich Bakterien anRezeptoren von Wirtszellen anheften konnen.

& Lipopolysaccharid (LPS). Dieser auch als Endotoxin bezeichnete Molekulkom-plex besteht aus dem Lipoid A, dem „Core“-Polysaccharid und der O-spezifi-schen Polysaccharidkette (Abb. 4.12).

– Lipoid A ist fur die toxische Wirkung verantwortlich. Als freie Substanz, meistaber eingebunden in den Komplex LPS, stimuliert es die Bildung und Sekretionvon Zytokinen, die klinisch die Endotoxinsymptomatik bedingen (s. S. 227). En-dotoxin wird bei der Dampfsterilisation nicht inaktiviert. Bei der Herstellungparenteraler Pharmaka mussen deshalb Endotoxin-(Pyrogen-)freie Ausgangs-stoffe verwendet werden.

– DieO-spezifische Polysaccharidkette ist das sog. O-Antigen. Aufgrund ihrer che-mischen Feinstruktur resultieren Antigenvarianten, die zur Typisierung in Se-rovarietaten verwendet werden (s.S. 297f.).

Die Rolle der Zellwand in der Pathogenese bakterieller Infektionen– Zellwandbestandteile grampositiver und gramnegativer Bakterien (Mureinfrag-

mente, Lipoteichonsauren [LTS], Lipopolysaccharid [LPS]) konnen mittels „toll-like receptors“ (TLR, S. 117) Makrophagen aktivieren und dadurch zur vermehrten

Lipid Kern-Polysaccharid (Core) O-spezifischePolysaccharidkette

Lipoid A– Diglucosamin– Fettsäuren

Phosphat

innereKernregion

äußereKernregion

repetierendeEinheitenaus 3–8 Zuckern

Fettsäure

Diglucosamin

verschiedeneZucker(Heptosen)

Zuckersäure Kdo(2-Keto-3-desoxy-octonsäure)

verschiedeneZucker(Heptosen)

Abb.4.12 Lipopolysaccharid-Komplex (Schema). Der dreiteilige Lipopolysaccharid-Komplex (LPS) gramnegativer Bakterien ist uber Fettsauren des Lipidanteils in der au-ßeren Membran verankert. LPS wird auch als Endotoxin bezeichnet.

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Produktion von Zytokinen veranlassen. Fur LPS gramnegativer Bakterien ist dieserMechanismus bekannt. LPS verbindet sich mit dem LPS-Bindungsprotein (LBP) zueinem Komplex, der an CD14-Rezeptoren von Makrophagen andockt. CD14 liegtals Heterodimer mit einem TLR vor. Die wichtigsten von Makrophagen gebildetenZytokine, vor allem TNF-a, daneben auch IL-1, IL-6, IL-8, IFN-c und weitere, bewir-ken die Aktivierung der Gerinnungs-Kaskade, die Aktivierung der Komplement-Kaskade sowie die vermehrte Produktion von sekundaren Botenstoffen wieProstaglandine und Leukotriene. Prostaglandin E2 im Hypothalamus bewirkt,dass der „Thermostat“ im Temperaturzentrum auf eine hohere Temperatur ein-gestellt wird, wodurch Fieber resultiert. Bei massiver Freisetzung von Zellwand-bestandteilen kommt es uber die Zytokine zum Krankheitsbild der schweren Sep-sis und schließlich zum septischen Schock (s.S. 710) mit intravasaler Koagulation,irreversiblem Blutdruckabfall und multiplem Organversagen.

– Zellwandbestandteile konnen Komplement alternativ aktivieren und somitdurch Freisetzen der chemotaktischen Komponenten C3a und C5a Phagozytenan den Infektionsort locken.

– Zellwandassoziierte Proteine grampositiver und gramnegativer Bakterien sind furspezifische Adharenz und fur Phagozytoseschutz verantwortlich und in dieserFunktion ebenfalls wichtige Pathogenitatsdeterminanten (s.S. 220; 222).

L-Formen (benannt nach dem Lister-Institut, an dem sie gefundenwurden). Als L-Formen werden Bakterien bezeichnet, die Mureindefekte aufweisen. Sie konnendurch Einwirkung von Betalactam-Antibiotika entstehen. L-Formen sind gegen-uber osmotischen Einflussen sehr instabil. Gegen Betalactam-Antibiotika weisensie komplette Resistenz auf. Die klinische Bedeutung der L-Formen ist unklar.Eventuell konnen sie nach Absetzen einer Betalactam-Therapie in die normaleBakterienform revertieren und damit einen Ruckfall verursachen.

Kapsel

Viele pathogene Bakterien synthetisieren mit Hilfe extrazellularer Enzyme ein Po-lymer, das sich in Schichten um die Zelle anordnet und Kapsel genannt wird. DieKapsel schutzt Bakterien vor der Phagozytose. Bei den meisten Bakterien bestehtdie Kapsel aus Polysaccharid. Aufgrund der chemischen Feinstruktur des Polysac-charides lassen sich Bakterien einer Spezies in Kapselserovare unterteilen.

Geißeln

Mit Hilfe von Geißeln konnen sich Bakterien aktiv fortbewegen. Die Geißeln sindaus linearen Proteinen, den Flagellinen, aufgebaut. Sie konnen monotrich, lopho-trich oder peritrich angeordnet sein (Abb. 4.1, S. 164). Geißeln sind uber einenHalteapparat in der Zellwand und der Zytoplasmamembran verankert (Abb. 4.7,S. 166 und Abb. 4.13). Sie sind in der Lage, wie ein Propeller um ihre Achse zu

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4.1 Morphologie und Feinstruktur der Bakterien 173

rotieren. Bei Enterobacteriaceae werden Geißel-Antigene als H-Antigene be-zeichnet und dienen, zusammen mit den O-Antigenen, der Einteilung in Serovare(s.S. 297).

Haftfimbrien, Konjugationspili

Viele gramnegative Bakterienweisen dunne, aus Protein bestehendeMikrofibrillen(0,1–1,5 nmdunn, 4–8 nm lang) auf, die Haftfimbrien oderHaftpili. Diese sind in deraußeren Membran der Zellwand verankert und ragen radiar von der Oberflacheweg. Mit Hilfe dieser Haftstrukturen konnen sich Bakterien spezifisch (Ligand – Re-zeptor, Schlussel – Schlusselloch) an Rezeptoren von Wirtszellen anheften.

Konjugationspili (Syn. Sexualpili) bei gramnegativen Bakterien sind fur denProzess der Konjugation und damit fur den Transfer konjugativer genetischer Ele-mente (z.B. Plasmide) notwendig (s.S. 190).

Beispiele von Haftfimbrien und HaftpiliPAP (Syn. P-Fimbrien). Pyelonephritis-assoziierte Pili. Binden an Rezeptoren desUroepithels (auch an das Blutgruppenantigen „P“, deshalb P-Fimbrien). Die Rezepto-ren fur diese Fimbrien kommen gehauft auf der Oberflache des Uroepithels vor. PAP

Abb.4.13 Bakteriengeißeln.a Begeißelte Bakterienzelle (REM,13 000fach). b Helikaler Aufbau von Bakteriengeißeln(Raster-Elektronenmikroskopie, 77 000fach).

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charakterisieren die Uropathovarietat von Escherichia coli, die spontane Harnwegsin-fektionen bei Patienten, die keine Obstruktion der Harnwege aufweisen, verursacht.CFA-1, CFA-2. Kolonisationsfaktoren. Fimbrien, die fur eine spezifische Bindung en-teropathogener Kolibakterien an Enterozyten verantwortlich sind.Haftpili von Gonokokken. Ermoglichen ein spezifisches Anheften von Gonokokkenan Mukosazellen des Urogenitalepithels.

Biofilm

Ein bakterieller Biofilm ist eine strukturierte Gemeinschaft von Bakterienzellen,eingebettet in eine selbstproduzierte Polymermatrix, die auf einer inerten Ober-flache oder auch auf lebendem Gewebe haftet. Biofilme konnen eine erheblicheDicke (mm) erreichen. In der Tiefe dieser Belage befindliche Bakterien sind weit-gehend vor Immunzellen, Antikorpern und auch vor Antibiotika geschutzt. Da diesezernierten Polymere haufig glykosidisch verknupfte Monosaccharide sind,nennt man diese auch Glykokalix ( = Schale aus Glykosiden).

Beispiele von medizinisch wichtigen Biofilmen– Fremdkorper wie Endoprothesen, Katheter, Herzschrittmacher, Shuntventile usw.

werden nach Implantation durch Matrixproteine des Makroorganismus wie Fibri-nogen, Fibronektin, Vitronektin oder Laminin uberzogen. Staphylokokken besit-zen auf ihrer Oberflache Proteine – z.B. den Clumping factor, der an Fibrinogenbindet, oder das Fibronektin-Bindeprotein –, mit denen sie sich an die entspre-chenden Proteine spezifisch binden konnen. Die adharierten Bakterien vermehrensich und sezernieren Exopolysaccharide, die die Matrix des Biofilms auf demFremdkorper darstellt. Derartige Biofilme sind Fremdkorper-assoziierte Infekti-onsherde.

– Bestimmte orale Streptokokken (S. mutans und weitere) konnen sich an Proteine,die den Zahnschmelz uberziehen, binden und in der Folge aus Saccharose eine ausGlucan bestehende Matrix bilden. An diese konnen wiederum andere Bakterienadharieren. Es entsteht der Zahnbelag (Abb. 4.14), die Voraussetzung fur die Zer-storung des Zahnschmelzes und die Ausbildung der Zahnkaries (s.S. 258f.).

– Orale Streptokokken oder auch andere Bakterien heften sich an die Oberflacheder Herzklappen und bilden einen Biofilm. Professionelle Phagozyten werden an-gelockt und versuchen, die Bakterien zu phagozytieren, was aber nicht gelingt.Letzendlich resultiert eine Entzundungsreaktion mit valvularen Vegetationenund klinisch das Krankheitsbild der Endokarditis (s.S 707)

Bakteriensporen

Bakterielle Sporen sind reine Dauerformen. Sie entstehen aus einer „vegetativen“Zelle ohne Assimilation neuer Nahrstoffe. Sie sind kugelig bis oval, weisen einedicke Sporenwand auf und zeigen hohe Resistenz gegen chemische und physika-lische Noxen. Unter den humanpathogenen Bakterien sind nur die Gattungen Clos-

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4.2 Physiologie des Stoffwechsels und des Wachstums der Bakterien 175

tridium und Bacillus Sporenbildner. Von medizinischem Interesse ist vor allem dieHitzeresistenz der Sporen, die hohe Temperaturen bei der Hitzesterilisation erfor-dert. Als Ursachen der Hitzeresistenz kommen die dicke Sporenwand, die Wasser-armut der Spore sowie eine Quervernetzung der Sporenproteine durch das Calci-umsalz der Pyridin-2,6-Dicarboxylsaure in Frage, alles Faktoren, die eine Denatu-rierung der Proteine erschweren. Gerat eine Spore in ein gunstiges Milieu (Nahr-medium, Temperatur, osmotischer Druck etc.), erfolgt die Umwandlung der Sporein die vegetative Form. Nur in dieser Form konnen sich Sporenbildner vermehren.

4.2 Physiologie des Stoffwechsels und desWachstums der Bakterien

Humanpathogene Bakterien sind chemosynthetische, organotrophe Bakterien. Sie ge-winnen ihre Energie aus dem Abbau von organischen Nahrstoffen und verwenden diechemische Energie zur Neusynthese und fur sekundare Aktivitaten. Die Oxidation vonNahrsubstraten kann auf dem Wege der Respiration oder Fermentation erfolgen. Beider Respiration ist O2 der Elektronen- und Protonenakzeptor, bei der Fermentation einorganisches Molekul. Aufgrund des Verhaltens gegenuber O2 werden humanpatho-gene Bakterien in fakultative Anaerobier, obligate Aerobier, obligate Anaerobierund aerotolerante Anaerobier eingeteilt. Zur Kultivierung von Bakterien verwendetmanNahrbouillon oder Nahragar. Nahragar enthalt Agarose, die inWasser suspendiertbei 100 �C verflussigt wird und bei 45 �C vom flussigen in den Gelzustand ubergeht.

Bakterien vermehren sich durch einfache Querteilung. Die fur eine Teilung notwen-dige Zeit wird Generationszeit genannt. Fur schnell wachsende Bakterien betragt diesein vitro 15–30 min. In vivo ist sie bedeutend langer. Die Gesetzmaßigkeiten bei derVermehrung in Nahrbouillon werden durch die normale Wachstumskurve mit denPhasen Lag, exponentielles Wachstum, stationares Wachstum sowie Absterben cha-rakterisiert.

Abb.4.14 Zahnbelag. DieserBiofilm auf schlecht gepflegtenZahnen lasst sich durch Anfar-bungmit Erythrosin sichtbarma-chen.

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176 4 Allgemeine Bakteriologie

4.2.1 Bakterienstoffwechsel

�berblick uber die Stoffwechselformen

Als Stoffwechsel bezeichnet man die Gesamtheit der chemischen Reaktionen, diein Bakterienzellen ablaufen. Diese konnen in die anabolen (synthetischen), ener-gieverbrauchenden Reaktionen sowie die katabolen, energieliefernden Reaktio-nen unterteilt werden. Bei den anabolen, endergonischen Reaktionen kann dienotwendige Energie in Form von Licht oder als chemische Energie verwendet wer-den. Je nachdem unterscheidet man photosynthetische oder chemosynthetischeBakterien. Die katabolen Reaktionen liefern Energie sowie die Grundbausteinefur die Synthese bakterienspezifischerMolekule. Sind die Nahrstoffe der Bakterienanorganischer Natur, sprichtmanvon lithotrophen, sind sie organischer Natur, vonorganotrophen Bakterien.Humanpathogene Bakterien sind immer chemosynthetische, organotrophe Bakte-rien.

Katabole Reaktionen

Die Verarbeitung organischer Nahrsubstrate erfolgt uber eine vielfaltige Reihe en-zymatischer Prozesse, die schematisch in 4 Phasen unterteilt werden konnen:& Verdauung. Spaltung der Nahrsubstrate außerhalb der Zelle in kleine Molekule

durch bakterielle Exoenzyme. Diese stellen manchmal wichtige Virulenzfakto-ren dar.

& Aufnahme. Diese kann durch passive Diffusion oder, haufiger, mittels aktivenTransports durch die Membran(en) hindurch erfolgen. Dabei spielen Permea-sen der Zytoplasmamembran eine wichtige Rolle.

& Vorbereitung zur Oxidation. Abspaltung von Carboxyl- oder Aminogruppen,Phosphorylierungen usw.

& Oxidation. Diese ist definiert als Entzug von Elektronen und H+-Ionen. Als H2-Akzeptor bezeichnet man die Substanz, die den Wasserstoff aufnimmt. Nachdem endgultigen H2-Akzeptor unterscheidet man 2 Grundformen der Oxida-tion (Abb. 4.15).

– Respiration (Atmung). Sauerstoff ist H2-Akzeptor. Bei der anaeroben Respirati-on dient O2 chemisch gebunden in einem anorganischen Salz als H2-Akzeptor.

– Fermentation (Garung). Eine organische Verbindung dient als H2-Akzeptor.

Wesentlicher Unterschied zwischen Fermentation und Respiration ist die Energie-ausbeute, die bei Respiration um den Faktor 10 großer sein kann als bei Fermen-tation eines Nahrsubstrates. Fermentationen bei Mikroorganismen werden nachdem entstehenden Endprodukt bezeichnet, z.B. alkoholische Garung, Buttersaure-garung usw.

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4.2 Physiologie des Stoffwechsels und des Wachstums der Bakterien 177

Die bei der Oxidation freigesetzte Energie wird als chemische Energie gespei-chert, entweder als Thioester (z.B. Acetyl-CoA) oder in Form organischer Phospha-te (z.B. ATP).

Rolle des Sauerstoffs. Drei Arten der Aktivierung von Sauerstoff existieren.& �bertragung von 4e- auf O2, wobei 2 Sauerstoffionen (2 O2–) entstehen.& �bertragung von 2e- auf O2, wobei 1 Peroxid-Anion (1 O2

2–) entsteht.& �bertragung von 1e- auf O2, wobei 1 Superoxid-Anion (1 O2

–) entsteht.

Wasserstoffperoxid sowie das hochreaktive Superoxid-Anionmussen sofortweiterumgesetzt werden, da sie außerst giftig sind (s. Abb. 4.15).

Fermentation (Gärung)– alkoholische Gärung– Buttersäuregärung– usw.

anaerobe Respiration– Nitratatmung– Sulfatatmung– usw.

NAD-KatalyseFlavinkatalyseUbichinonkatalyseHäminkatalyse

H2-Donator NADH2NAD(P)H2

FADH2FMNH2

org. H2-Akzeptor

H2O + 1/2O2

Katalase

GSSG + 2H2O

z.B. Glutathion-Peroxidase2 GSH

H2O2H2O

2H2O

2H+

O22– (= Peroxid-Anion)

2H+

4H+ 2O2–

NO3–

SO42–

NAD(P)H-Oxidase

FAD-Oxidase

O2–(=Superoxid-Anion)

2O2– + 2H+

Superoxid-Dismutase

H2O2 + O2

2e–

4e–

2e–

1e–

aerobe Respiration

UbichinonMenachinon

Porphyrine(Zytochrome,Siderohäm)

Abb.4.15 Oxidationswege der Bakterien. Bei der Oxidation von organischen Nahr-substraten werden Protonen (H+) und Elektronen (e–) uber Redoxkatalysatoren in einermehr oder weniger langen Kette ubertragen. Wenn der endgultige e–-Akzeptor freierSauerstoff ist, handelt es sich um aerobe Atmung. Von anaerober Atmung spricht man,wenn e– auf anorganisch gebundenen Sauerstoff ubertragen werden. Fermentation be-deutet �bertragung von H+ und e– auf einen organischen Akzeptor.

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178 4 Allgemeine Bakteriologie

Hinsichtlich ihres Verhaltens gegenuber O2 unterscheidet man:& Fakultative Anaerobier.Das sind Bakterien, die Nahrsubstrate sowohl veratmen

als auch vergaren konnen.& Obligate Aerobier. Sie konnen sich nur bei Anwesenheit von O2 vermehren.& Obligate Anaerobier. Diese Bakterien sterben bei Anwesenheit von O2 ab. Ihr

Stoffwechsel ist an ein niedriges Redoxpotenzial angepasst und lebenswichtigeEnzyme werden durch O2 gehemmt.

& Aerotolerante Anaerobier. Diese oxidieren Nahrsubstrate ohne Sauerstoff, kon-nen diesen aber, im Gegensatz zu den obligaten Anaerobiern, tolerieren.

Grundmechanismen des katabolen Stoffwechsels. Das Prinzip der Einheit in derBiochemie besagt, dass Stoffwechselreaktionen in lebenden Zellen prinzipiellgleich sind. Demzufolge entspricht der katabole Intermediarstoffwechsel der Bak-terien weitgehend dem der eukaryontischen Zellen.

Anabole Reaktionen

Auf Einzelheiten biosynthetischer Leistungen der Bakterien kann hier nicht einge-gangen werden. Sie sind insgesamt erstaunlich. Einige Bakterien (E. coli) konnenaus einfachsten Nahrstoffen alle komplizierten organischen Molekule, aus denensie bestehen, in kurzer Zeit synthetisieren. In der technischen Mikrobiologie wer-den diese Leistungen ausgenutzt. Antibiotika, bestimmte Aminosauren oder Vita-mine werden mit Hilfe der Bakterien gewonnen. Es gibt Bakterien, die in der Lagesind, aliphatische Kohlenwasserstoffe als Energiequelle zu verwenden. DerartigeBakterien konnen Paraffin, ja sogar Rohol als Energiequelle gebrauchen. Die me-tabolischen Leistungen dieser Bakterien versucht man zur Bekampfung der �lpestder Gewasser auszunutzen. Andererseits wird versucht, diese Leistungen zur Be-kampfung des Hungers heranzuziehen. Bestimmte Bakterien oder auch Pilze wer-den mit aliphatischen Kohlenwasserstoffen, die C-Quelle und Energielieferantsind, kultiviert, dann anschließend geerntet und zu einem Proteinpulver (Einzel-lerprotein) verarbeitet. Die Erzeugung von Biomasse durch Kultivierung von Bak-terien in Nahrmedien auf Methanolbasis wird ebenfalls angewendet.

Regulation des Stoffwechsels

Bakterien konnen ihren Stoffwechsel sehr wirksam regulieren. Die Regulationsorgt dafur, dass jede einzelne Reaktion mit anderen Aktivitaten sowie mit demNahrstoffangebot moglichst okonomisch und sinnreich ablauft. Sie kann einerseitsuber eine Steuerung der Aktivitat vorhandener Enzyme erfolgen. Viele Enzymesind allosterische Proteine und konnen durch Endprodukte von Stoffwechselwe-gen gehemmt oder aktiviert werden. Sehr wirtschaftlich ist eine Regulation uberdie Kontrolle der Synthese von Enzymen auf der Stufe der Transkription oderTranslation (S. 182ff.).

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4.2 Physiologie des Stoffwechsels und des Wachstums der Bakterien 179

4.2.2 Wachstum und Kultur der Bakterien

Ernahrung

Unter einer Bakterienkultur versteht man die Vermehrung von Bakterien in einemgeeigneten Nahrsubstrat. Ein Nahrmedium, in dem chemosynthetische, organo-trophe Bakterien kultiviert werden sollen, muss organische Energiequellen (H2-Donatoren) und H2-Akzeptoren enthalten. Weiterhin sind eine Kohlenstoff- undeine Stickstoffquelle zur Synthese der bakterienspezifischen Verbindungen sowieMineralien wie Schwefel, Phosphor, Calcium, Magnesium und als Aktivatoren vonEnzymen gewisse Spurenelemente notwendig. Einige Bakterien benotigendaruber hinaus „Wachstumsfaktoren“, d.h. organische Verbindungen, die sie nichtselber synthetisieren konnen. Je nach Bakterienart muss ein Nahrmedium einenbestimmten Gehalt an O2 und CO2 sowie einen bestimmten pH-Wert und osmoti-schen Druck aufweisen. (Die wichtigsten Gruppen der in der diagnostischen Bak-teriologie verwendeten Nahrmedien sind auf S. 28 genannt).

Wachstum und Zelltod

Bakterien vermehren sich ohne Ablauf sexueller Vorgange durch einfache Quertei-lung. Ihre Zahl (N) wachst logarithmisch an (N = 2G). Die Zeit, die fur einen Ver-mehrungszyklus (G) notwendig ist, wird als Generationszeit (g) bezeichnet. Diesekann von Art zu Art stark variieren. Fur schnell wachsende Bakterien betragt sie beiKultivierung in einem optimalen Nahrmedium 15–30 min. Bei Vermehrung der-selben Bakterien in vivo kann sie Stunden betragen. Obligate Anaerobier wachsenauch in vitro bedeutend langsamer als Aerobier. Tuberkulosebakterien weisen invitro eine Generationszeit von 12-24 h auf.

Klinische Bedeutung der Bakterienvermehrung.Das logarithmische und schnelle Wachstum der Bakterien resultiert in einer großenZahl von Bakterienzellen in kurzer Zeit. Dies bedeutet, dass „Zuwarten“ bei Infektio-nen nicht angesagt ist, sondern rasches therapeutisches Handeln, vor allem bei im-mungeschwachten Patienten, notwendig ist. Die große Zahl der Bakterien ist aucheine wichtige Voraussetzung fur die Evolution von Antibiotika-resistenten Mutanten(s.S. 215).

Impft man Bakterien, deren Stoffwechsel ruht, in eine Nahrbouillon und bestimmtzu verschiedenen Zeiten ihre Zahl, so erhalt man nach Eintragen der Ergebnisse inein halblogarithmisches Koordinatensystem die sog. normale Wachstumskurveder Bakterien (Abb. 4.16). Die Lagphase (A) ist charakterisiert durch eine Zunahmevon Bakterienmasse pro Volumeneinheit, jedoch keine Zunahme der Zellzahl.Wahrend dieser Phase passt sich der Stoffwechsel an die Bedingungen des Nahr-mediums an. In der exponentiellen Phase (C) nimmt die Zellzahl bis zu ungefahr

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180 4 Allgemeine Bakteriologie

109/ml logarithmisch zu. Dann erfolgt Verlangsamung des Wachstums, �bergangin die stationare Phase (E) durch Erschopfung der Nahrstoffe und Anhaufung to-xischer Stoffwechselprodukte. Schließlich setzen Absterbevorgange ein (F). DieGenerationszeit kann nur wahrend der Phase C bestimmt werden, entweder gra-phisch oder durch 2 Messungen der Zellzahl (N) zu verschiedenen Zeiten und An-wendung der Formel

g ¼ t2 � t1log2 N2 � log2 N1

Bakterienzellzahl und BakterienmasseKoloniezahlverfahren. Die Zahl lebender Zellen in einer Kultur oder einem Materialwird mit dem Koloniezahlverfahren ermittelt. Die Proben werden logarithmisch mitdem Verdunnungsfaktor 10 verdunnt. Die Verdunnungen (jeweils 0.1 ml) werden aufder Oberflache von Nahragar ausplattiert. Nach Bebruten entwickeln sich Kolonien.Ihre Zahl, multipliziert mit dem Verdunnungsfaktor, ergibt die ursprungliche Zahl le-bender Bakterienzellen.Bakterienmasse. Diese kann durch Wagen (Trockengewicht oder Nassgewicht) be-stimmt werden. Am einfachsten wird die Masse durch Adsorptionsmessung in einemPhotometer ermittelt. Wahrend der Phase C der Wachstumskurve laufen die Zunah-me der Masse und die der Zellzahl parallel.

Zahl

übe

rlebe

nder

Zel

len

(log)

(Stunden) Zeit (Tage)

A B

D

C

E

F

Abb.4.16 Normale Wachs-tumskurve einer Bakterien-kultur.A = Lagphase,B = Beschleunigungsphase,C = exponentielle Phase

(Logphase),D = Verzogerungsphase,E = stationare Phase,F = Absterbephase.

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4.3 Molekulare Grundlagen der Bakteriengenetik

In Bakterien kommen zwei genetische Strukturen vor: das Chromosom und die Plas-mide. Beide Strukturen bestehen aus einer einzigen, zirkularen, um die Helixachsenach links verdrillten DNA-Doppelhelix. Die Replikation dieser DNA-Molekule startetjeweils an einem Ursprungspunkt (origin of replication) und ist „semikonservativ“,d.h., ein Einzelstrang ist jeweils in den beiden entstehenden Doppelstrangen konser-viert. Bakterielle Gene codieren fur Polypeptide und RNA. Nichtcodierende Zwischen-sequenzen (Introns) wie bei den Eukaryonten gibt es nur ausnahmsweise. Die Tran-skription lauft mit den Phasen Promotorerkennung, Polymerisation und Terminationab. Viele mRNAs der Bakterien sind polycistronisch, d.h. sie enthalten die Informationfur mehrere Polypeptide. Die Translation erfolgt an den 70S-Ribosomen. Start undStopp der Polypeptidsynthese wird durch spezielle Codons der mRNA angezeigt. VieleGene, die fur funktionell zusammenhangende Polypeptide codieren, sind an einerStelle der DNA in einem sog. Operon lokalisiert. Der wichtigste Mechanismus der Re-gulation besteht in einer positiven oder negativen Kontrolle der Transkription. Diesekann einzeln lokalisierte Gene betreffen, die Gene eines Operons oder auch Gene, diein der Funktionseinheit eines Regulons zusammengefasst sind.

4.3.1 Struktur der bakteriellen DNA

Die genetische Information der Bakterien ist im Chromosom und in den Plasmidengespeichert. Beide Strukturen bestehen aus jeweils einer einzigen, zirkularen (sel-tene Ausnahmen), nach rechts gewundenen DNA-Doppelhelix, die noch um dieHelixachse nach links verdrillt ist (Abb. 4.5, S. 166). Diese DNA-Topologie ist ausPlatzgrunden notwendig und ermoglicht funktionelle Aktivitatenwie Replikation,Transkription und Rekombination.

Chromosom.Das Chromosomentspricht demNukleoid (S.166f.). Das Chromosomvon E. coli ist aus 4,63 �106 Basenpaaren (bp) zusammengesetzt. Es codiert fur 4288Proteine. Gen undGenprodukt sind kolinear. Nichtcodierende Zwischensequenzen(Introns), wie sie bei eukaryontischen Genen die Regel sind, kommen nicht odernur ausnahmsweise vor.

Plasmide. Plasmide sind autonome, im Zytoplasma lokalisierte DNA-Molekuleunterschiedlicher Große (3 � 103–4,5 � 105 bp). Große Plasmide kommen in derRegel in den Zellen in 1–2 Kopien, kleine in 10–100 Kopien vor. Plasmide enthaltenkeine Gene, die fur das Leben der Bakterien essenziell sind. Viele Plasmide tragenaber Gene, die fur phanotypische Eigenschaften ihrer Wirtszelle codieren. Fur diemedizinische Bakteriologie sind Virulenzplasmide sowie Resistenzplasmide (s. Abb.4.22, S. 191), die fur Resistenz gegen Antiinfektiva und Desinfektionsmittel codie-

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ren, bedeutsam. Es sind auch Plasmide beschrieben worden, die sowohl Virulenz-als auch Resistenzgene aufweisen.

4.3.2 Replikation der DNA

Die identische Reduplikation der DNA durch die DNA-Polymerase wird als semi-konservativ bezeichnet, weil sich der DNA-Doppelstrang bei der Replikation offnetund jeder Einzelstrang als Matritze fur die Synthese des komplementaren Strangesdient. Damit ist in jedem der beiden neuen Doppelstrange ein alter Strang(semi = halb) „konserviert“. Die Verdoppelung jedes DNA-Molekuls (Replikons) be-ginnt an einem einzigen Startpunkt, dem sog. „origin of replication“ (ori) undschreitet in beiden Richtungen entlang der beiden zirkularen Einzelstrange fort.

4.3.3 Transkription und Translation

Transkription.Umschrift der Nukleotide des Sinnstranges der DNA inmRNAdurchdie RNA-Polymerase. Die Nukleotidfolge von Genen liegt als kontinuierliche Se-quenz vor und wird „kolinear“ in mRNA uberschrieben. Nur wenige Ausnahmenvon der Kolinearitat existieren. Die Transkription kann in die Phasen „Promotor-erkennung“, „Polymerisation“ und „Termination“ unterteilt werden. Der Promo-torbereich entspricht der Stelle der Anfangsbindung der RNA-Polymerase aufder DNA. Fur die Bindung ist ein Sigmafaktor notwendig. Sigmafaktoren sind Pro-teine, die sich temporar mit der RNA-Polymerase (Core-Enzym) zum Holoenzymassoziieren und nach Beginn der Transkription wieder dissoziieren und somit er-neut fur die Bindung zur Verfugung stehen. Gene, die fur Proteine codieren, diefunktionell zusammengehoren, z.B. einen bestimmten Stoffwechselschritt kataly-sieren, sind oft an einer Stelle des Chromosoms oder eines Plasmids hintereinan-der angeordnet. Eine derartige DNA-Sequenz wird als Operon bezeichnet (Abb.4.17). Die mRNA, die bei der Transkription eines Operons synthetisiert wird, istpolycistronisch, d.h. enthalt die Information mehrerer Gene. Die Informationsbe-reiche sind durch Intercistronbereiche getrennt. Beginn und Ende eines Cistronswird durch Start- und Stopp-Codons der mRNA angezeigt.

Translation. �bersetzung der Nukleotidsequenz der mRNA in die Aminosaurese-quenz von Polypeptiden an den 70S-Ribosomen. Im Prinzip unterscheidet sich diebakterielle Translation nicht von der Translation bei Eukaryonten.

4.3.4 Regulation der Gen-Expression

Bakterien sind in der Lage, sich optimal an die Bedingungen der Umwelt anzupas-sen. Zahlreiche Regulationsmechanismen sind bekannt, wie posttranslationelle

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4.2 Physiologie des Stoffwechsels und des Wachstums der Bakterien 183

Regulation, Translationsregulation, die Attenuation (fruhzeitiger Abbruch derTranskription) oder auch das „quorum sensing (s. Abb. 4.36, S. 229)“. Auf Einzel-heiten kann hier nicht eingegangenwerden. Amwichtigsten ist dieTranskriptions-regulation durch Aktivierung oder Repression, die in dieser Form bei Eukaryontennicht existiert. Dabei kann ein einzelnes Gen oder mehrere Gene, die an einem Ortder DNA in einem Operon zusammengefasst sind, betroffen sein (s. Abb. 4.17). Ambesten untersucht ist die transkriptionelle Regulation von katabolen und anabolenOperons durch einen Repressor.

Transkriptionelle Regulation eines OperonsKatabole Operons weisen Gene auf, die fur Enzyme des katabolen Stoffwechselscodieren, anabole Operons determinieren Enzyme des anabolen Stoffwechsels.Regulatorgen. Codiert fur ein Protein, das die Transkription durch Bindung an denOperator eines Operons reprimieren oder aktivieren kann.Effektoren. Niedermolekulare Signalmolekule aus der Umgebung der Bakterienzelle.Konnen das Regulatorprotein uber einen Allosterieeffekt aktivieren oder inaktivieren.Negative Regulation eines katabolen Operons durch einen Repressor (Beispiel:Lac-Operon). Die Operon-Gene codieren fur b-Galaktosidase (lacZ), b-Galactosidper-mease (lacY) und fur eine Transacetylase (lacA). In Abwesenheit vom Effektor Lactoseim Nahrmedium reprimiert das Regulatorprotein (Repressor) das Operon, d.h. dieEnzyme werden nicht produziert. In Anwesenheit des Effektors wird der Repressor

5'

3'

3'

5'

mRNA

Transkription

Translation

Protein A Protein BRegulatorprotein

CR IR

DNA

Promotor OperatorTerminatorCR = Cistronregion (Codierungsregion)

IR = Intercistronregion

5' 3'

Transkription

Translation

CR

StoppStart Start Stopp

Regulatorgen Gen A Gen B

Effektor

P T OP

P T O

T

Abb.4.17 Bakterielles Operon und Regulatorgen. Unter einem Operon verstehtman eine zusammenhangend transkribierte DNA-Sequenz, die in der Regel mehrereStrukturgene aufweist. Diese codieren fur Proteine, die funktionell zusammengehoren.Die Transkription eines Operons wird oft durch das Produkt eines Regulatorgens, das ananderer Stelle des Chromosoms lokalisiert ist, reprimiert oder aktiviert (negative Regu-lation eines katabolen Operons, positive Regulation eines anabolen Operons. Einzelhei-ten s. Kleindruck).

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inaktiviert, sodass die Gene des Lac-Operons transkribiert werden. Der Sinn dieserRegulation ist, dass die Zelle erst dann die fur die Verwendung von Lactose als Nahr-substrat notwendigen katabolen Enzyme produziert, wenn Lactose vorhanden ist.Man sagt auch, ein kataboles Operon wird durch den Effektor induziert.Positive Regulation eines anabolen Operons durch einen Aktivator. Das aktivie-rende Regulatorprotein bindet sich stromaufwarts vom Promoter an die DNA desOperons. Dadurch werden z.B. die Enzyme zur Biosynthese einer Aminosaure produ-ziert. Ist diese jedoch imMedium vorhanden, muss die Zelle die anabolen Enzyme zurHerstellung der Aminosaure nicht synthetisieren. In einem derartigen Falle wird derAktivator durch Verbindung mit dem Effektor ( = Aminosaure) inaktiviert, sodass diezugehorigen Operon-Gene nicht aktiv sind.

Auch mehrere Gene, die nicht Teil eines Operons sind, sondern sich an verschie-denen Orten der DNA befinden, konnen durch ein und dasselbe Regulatorproteinreprimiert oder aktiviert werden. Derartige Gene werden in dem funktionellenBegriff des Regulons zusammengefasst (s. auch Abb. 4.35, S. 228).

4.4 Genetische Variabilitat der Bakterien

�nderungen der DNA von Bakterien beruhen auf spontanenMutationen in einzelnenGenen und auf Rekombinationsprozessen, die zu neuen Genen oder Gen-Kombina-tionen fuhren. Die wichtigsten Rekombinationen bei Bakterien sind die homologe Re-kombination, die ortsspezifische Rekombination und die Transposition. Vor allem diebeiden letzteren Mechanismen liegen der starken Mobilitat vieler Gene zugrunde undhaben wesentlich zur Evolution bei den Bakterien beigetragen.

Obwohl es sexuelle Vererbung bei den Bakterien nicht gibt, existieren Mechanismendes interzellularen Transfers von Erbgut. Diese werden mit dem Begriff Parasexualitatbezeichnet. Als Transformation wird der Transfer von chemisch weitgehend reinerDNA von einer Donor- in eine Rezeptorzelle verstanden. Bei der Transduktion dienenBakteriophagen als Vehikel fur den Transport von DNA. Die Konjugation beinhaltetdenTransfer von DNA durch Zell-zu-Zell-Kontakt. Sie wird durch konjugative Plasmideoder konjugative Transposons ermoglicht. Der Transfer betrifft in erster Linie die kon-jugativen Elemente selber. Von medizinisch großer Bedeutung sind konjugative Struk-turen, die Resistenz- und/oder Virulenzgene tragen.

Eine wichtige Rolle bei der Beschrankung des Genaustausches zwischen unterschied-lichen Taxa spielen Restriktion undModifikation. Die Restriktion beruht auf der Wir-kung von Restriktions-Endonukleasen, die Fremd-DNA sequenzspezifisch schneiden.Diese Enzyme sind unerlassliche Hilfsmittel der Gentechnologie.

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