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5. Trigonometrie Heutzutage kann man die Werte der Sinusfunktion mit jedem Taschenrechner be- stimmen. Davor hat man Tabellen benutzt, in denen diese Werte tabelliert waren. Solche Tabellen mussten berechnet werden, und dahinter steckte eine ganze Menge Arbeit, insbesondere vor der Erfindung von Rechenmaschinen und Computern. Die ¨ alteste “Sinustabelle” stammt von Hipparch 1 ; dieser f¨ uhrte die babyloni- sche Unterteilung des Vollkreises in 360 in die griechische Astronomie und Mathe- matik ein; entsprechend sind 1 Grad 60 Bogenminuten (1 = 60 0 ) und eine Bogen- minute 60 Bogensekunden (1 0 = 60 00 ). Hipparch benutzte dabei nicht die moderne Sinusfunktion, sondern “Sehnen”, aber seine Werte lassen sich leicht umrechnen. Die Tafeln von Hipparch sind nicht erhalten (Ptolem¨ aus hat sp¨ ater genauere Ta- bellen angefertigt, und auch hier war das Bessere der Feind des Guten), aber aus noch ¨ uberlieferten Kommentaren glauben wir zu wissen, dass er die Sehnen von Winkeln tabellierte, die Vielfache von 7,5 waren. Hipparch betrachtete die zu einem Winkel α geh¨ orige Sehne sn(α), und die zum Komplement¨ arwinkel α = 180 - α geh¨ orige “Cosehne” csn(α). Die beiden Skizzen zeigen, dass sn(α) = 2 sin α 2 und csn(α) = 2 cos α 2 (5.1) ist. csn 2 (α) + sn 2 (α)= d 2 cos 2 (α) + sin 2 (α)=1 1 Hipparch von Nic¨ aa (heute Iznik in der T¨ urkei), etwa 190 – 125 v.Chr.

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5. Trigonometrie

Heutzutage kann man die Werte der Sinusfunktion mit jedem Taschenrechner be-stimmen. Davor hat man Tabellen benutzt, in denen diese Werte tabelliert waren.Solche Tabellen mussten berechnet werden, und dahinter steckte eine ganze MengeArbeit, insbesondere vor der Erfindung von Rechenmaschinen und Computern.

Die alteste “Sinustabelle” stammt von Hipparch1; dieser fuhrte die babyloni-sche Unterteilung des Vollkreises in 360◦ in die griechische Astronomie und Mathe-matik ein; entsprechend sind 1 Grad 60 Bogenminuten (1◦ = 60′) und eine Bogen-minute 60 Bogensekunden (1′ = 60′′). Hipparch benutzte dabei nicht die moderneSinusfunktion, sondern “Sehnen”, aber seine Werte lassen sich leicht umrechnen.Die Tafeln von Hipparch sind nicht erhalten (Ptolemaus hat spater genauere Ta-bellen angefertigt, und auch hier war das Bessere der Feind des Guten), aber ausnoch uberlieferten Kommentaren glauben wir zu wissen, dass er die Sehnen vonWinkeln tabellierte, die Vielfache von 7,5◦ waren.

Hipparch betrachtete die zu einem Winkel α gehorige Sehne sn(α), und diezum Komplementarwinkel α = 180◦ − α gehorige “Cosehne” csn(α). Die beidenSkizzen zeigen, dass

sn(α) = 2 sinα

2und csn(α) = 2 cos

α

2(5.1)

ist.

csn2(α) + sn2(α) = d2 cos2(α) + sin2(α) = 1

1 Hipparch von Nicaa (heute Iznik in der Turkei), etwa 190 – 125 v.Chr.

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5.1 Satz des Ptolemaus 85

Aus dem Satz des Thales (sh. unten) und Pythagoras erhalt man die funda-mentale Beziehung

sn2(α) + csn2(α) = d2, (5.2)

wo d der Durchmesser des betrachteten Kreises ist.

Aufgabe 5.1. Zeige sn(180◦) = d, sn(90◦) = 1√2· d, und sn(60◦) = d

2 .

Um zu erklaren, wie Hipparch seine Tafeln berechnen konnte, brauchen wiretwas Geometrie, insbesondere den Satz des Ptolemaus.

Die ersten wirklichen Sinustabellen (im Gegensatz zu den “Sehnentabellen”von Hipparch und Ptolemaus) wurden vom indischen Mathematiker Aryabhata(5. Jhdt.) erstellt, der Vielfache von 3◦45′ betrachtete, also die Schritte bei Hip-parch noch einmal halbierte. Arabische Mathematiker studierten spater sowohl diegriechischen, als auch die indischen Tabellen, und entschieden sich fur den sinusanstatt der Sehnen; von da aus gelangten sie schließlich nach Europa. Die ersteneigenstandig berechneten Sinustafeln gehen auf Regiomontanus2 zuruck.

5.1 Satz des Ptolemaus

Die “Addition der Sehnen” bewerkstelligten die alten Griechen mit einer Verall-gemeinerung des Satzes von Pythagoras, dem

Satz 5.1 (Satz des Ptolemaus). In einem Kreisviereck ABCD gilt

AC ·BD = AB · CD +BC ·AD.2 Johannes Muller (1436–1476) wurde in Konigsberg geboren und gab sich den latinisier-

ten Namen Regiomontanus = Konigsberger (spater wurde es schick, sich seinen Namenins Griechische zu ubersetzen; aus Holzmann wurde so Xylander, aus Neumann einNeander – man wird zugeben mussen, dass Neandertal auch etwas besser klingt alsNeumannstal). Er studierte schon als 12-Jahriger in Leipzig, danach in Wien, reistenach Italien, wo er in Venedig seine Sinustafeln veroffentlichte. Danach wurde er alskoniglicher Bibliothekar nach Ungarn berufen, ging spater nach Nurnberg, und wurdeschließlich von Papst Sixtus IV nach Rom berufen, wo er bei der Revision des juliani-schen Kalenders (der noch auf Julius Caesar zuruckging) helfen sollte. Dort starb erinnerhalb eines Jahres, Geruchten zufolge wurde er vergiftet.

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86 5. Trigonometrie

Sind AC und BD Durchmesser des Kreises, so sind erstens die beiden Diago-nalen AC = BD gleich lang, und zweitens die Winkel ^BAD = ^BCD rechteWinkel nach dem Satz des Thales. Der Satz des Ptolemaus3 (oder, etwas griechi-scher transkribiert, Ptolemaios) besagt dann

AC2

= AB2

+BC2,

also gerade den Satz des Pythagoras.

Aufgabe 5.2. Was wird aus dem Satz des Ptolemaus, wenn A und D zusammen-fallen?

Wir bemerken nebenbei, dass man im Ulmer Munster eine Skulptur von Pto-lemaus aus dem 15. Jhdt. bewundern kann (sh. Fig. 5.1).

Der Beweis des Satzes des Ptolemaus, den wir geben wollen (sh. [13, S. 155]),ist, wie man zugeben muss, recht kunstvoll: man hat keine Idee, wie man anfangensoll, aber wenn man die richtige Hilfslinie einzeichnet, wird alles ganz einfach.

Sei E der Punkt auf AC, fur welchen ^ADE = ^EDC ist. Wegen des Satzesvon Umfangs- und Zentrumswinkel sind ^DAB = ^DBC(= 1

2^DMC), und dasbedeutet, dass die beiden Dreiecke ADE und BCD in zwei Winkeln ubereinstim-men, nach dem Satz der Winkelsumme im Dreieck also in allen dreien. Also sindsie ahnlich, und wir konnen den Strahlensatz anwenden:

AB : BD = AE : CD, also AB · CD = BD ·AE. (5.3)

Auch die Dreiecke EBC und ABD sind ahnlich, und wir erhalten wie eben

BC : BD = EC : AD, also BC ·AD = EC ·BD. (5.4)

Addieren wir die Gleichungen (5.3) und (5.4), erhalten wir

AB · CD +BC ·AD = BD · (AE + EC) = BD ·AC3 Claudius Ptolemaus, 90–160 n.Chr., war Astronom und Mathematiker.

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5.1 Satz des Ptolemaus 87

Fig. 5.1. Ptolemaus im Ulmer Munster. Foto von Thomas Mirtsch, Sept. 2009

wie behauptet.Zuruck zu Hipparch: wendet man den Satz des Ptolemaus auf das Sehnenvier-

eck im nebenstehenden Diagramm an, so erhalt man

d · sn(α+ β) = sn(α)csn(β) + sn(β)csn(α). (5.5)

Dies ist das Additionsthereom fur Sehnen. Im Spezialfall α = β ergibt sich

d · sn(2α) = 2sn(α)csn(α).

Im Falle des Einheitskreises ist also

sn(2α) = sn(α)csn(α).

Quadriert man diese Gleichung und benutzt (5.2), erhalt man

sn2(2α) = sn2(α)(4− sn2(α) = 4sn2(α)− sn4(α),

also

4− sn2(2α) = sn4(α)− 4sn2(α) + 4

= (sn2(α)− 2)2

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88 5. Trigonometrie

und damitsn(α) = 2±

√4− sn2(2α).

Durch das Quadrieren und anschließende Wurzelziehen ist eine zusatzliche Losungentstanden. Wegen sn(α) < 2 muss aber das negative Vorzeichen gelten, und wirerhalten endlich die Halbierungsformel

sn(α) = 2−√

4− sn2(2α).

Wegen sn(180◦) = d = 2 folgt daraus nun nacheinander

α sn(α)180◦ 2

90◦√

2

45◦√

2−√

2

22,5◦√

2−√

2 +√

2

Um auf sn(7,5◦) zu kommen, muss man mit α = 60◦ beginnen. Offenbar istsn(60◦) = 1 (gleichseitiges Dreieck!), und nun findet man

α sn(α)60◦ 1

30◦√

2−√

3

15◦√

2−√

2 +√

3

7,5◦

√2−

√2 +

√2 +√

3

Eine numerische Berechnung ergibt

sn(7,5◦) ≈ 0.130806.

Jetzt kann man mit der Additionsformel die Werte von sn(α) fur alle Winkel αberechnen, welche Vielfache von 7,5◦ sind.

Aufgabe 5.3. Verifiziere die Eintrage fur α = 37,5◦ und α = 52,5◦ in der folgen-den Tabelle von Werten der Sehnenfunktion im Einheitskreis:

α sn(α)

0◦ 0

7,5◦

√2−

√2 +

√2 +√

3

15◦√

2−√

2 +√

3

22,5◦√

2−√

2 +√

2

30◦√

2−√

3

37,5◦

√2−

√2 +

√2−√

3

α sn(α)

45◦√

2−√

2

52,5◦

√2−

√2−

√2−√

3

60◦ 1

67,5◦√

2−√

2−√

2

75◦√

2−√

2−√

3

82,5◦

√2−

√2−

√2 +√

3

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5.2 Trigonometrie 89

Diese Ausdrucke sollten nicht zu der Annahme verleiten, dass man alle Werteder Sehnenfunktion durch derartige Wurzelausdrucke angeben kann. Tatsachlichgeht das, wie Gauß erstmals gesehen hat, nur fur solche Winkel, die man mit Zirkelund Lineal konstruieren kann. Insbesondere werden wir spater in der Lage sein, ausder Untersuchung des regelmaßigen Funfecks die Werte von sn(72◦) (und mittelsder Halbierungsformel dann entsprechend fur Winkel wie 36◦, 18◦ und 9◦) in einersolchen Weise anzugeben.

5.2 Trigonometrie

Trigonometrie bedeutet wortlich4 “Dreiecksmessung”. Heutzutage verbinden wirdamit vor allem den Zusammenhang zwischen Winkeln und den Verhaltnissen vonSeiten im rechtwinkligen Dreieck, auf denen die Sinus-, Cosinus- und Tangensfunk-tionen basieren.

Grundlegende Eigenschaften der trigonometrischen Funktionen

In der Schule werden die trigonometrischen Funktionen am rechtwinkligen Dreieckeingefuhrt: in diesen hangt das Verhaltnis b

c nur vom Winkel ab, aber nicht vonder Große des Dreiecks: alle rechtwinkligen Dreiecke mit demselben Winkel αsind ahnlich, und nach dem Strahlensatz sind somit die Verhaltnisse b

c in allenrechtwinkligen Dreiecken mit dem Winkel α gleich. Also setzen wir

sinα =Gegenkathete

Hypotenuse=b

c, cosα =

Ankathete

Hypotenuse=a

c,

tanα =Gegenkathete

Ankathete=b

a, cotα =

Ankathete

Gegenkathete=a

b,

und entsprechend fur β.Direkt aus der Definition folgt

sinα =b

c= cosβ,

was wegen β = 90◦ − α bedeutet, dass

sinα = cos(90◦ − α)

ist. Ebenso leicht folgt aus der Definition, dass

4 Naturlich kommt “tri” vom griechischen Wort fur 3, das “metrie” von Messen, wahrenddas “gon” fur “Eck” steht und in der indogermanischen Sprachfamilie etwas gebogenesbezeichnet. Das deutsche Wort Knie hat denselben Ursprung (man erklart sich dasdadurch, dass in fruheren Zeiten das Gebaren oft in Kniestellung erfolgte), ebenso wiedas lateinische “genus” (Geschlecht; bei den alten Romern hat ein Vater ein Kind alsseinen Sohn anerkannt, wenn er ihn auf seine Knie setzte). Auch die Worter Kind undKonig haben denselben Stamm.

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90 5. Trigonometrie

sinα

cosα=

bcac

=b

c· ca

=b

a= tanα

gilt, und entsprechend ist naturlich

cotα =1

tanα=

cosα

sinα.

Da in einem rechtwinkligen Dreieck immer 0 < α, β < 90◦ ist, sind die tri-gonometrischen Funktionen durch die obigen Gleichungen auch nur fur Winkelzwischen 0◦ und 90◦ definiert.

Der Satz des Pythagoras a2 + b2 = c2 liefert nach Division durch c2 die funda-mentale Beziehung

sin2 α+ cos2 α =(ac

)2+(bc

)2= 1,

wobei sin2 α eine gelaufige Abkurzung fur (sinα)2 ist.

Die Definition am Einheitskreis

Euler hat die trigonometrischen Funktionen erstmals am Einheitskreis definiertund diese Funktionen damit “zu Funktionen gemacht”; davor war sinα in ersterLinie ein Verhaltnis von Seitenlangen in einem rechtwinkligen Dreieck.

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5.2 Trigonometrie 91

Die Koordinaten eines Punktes P auf dem Einheitskreis, fur den OP mit derx-Achse einen Winkel α bildet, sind gegeben durch (cosα, sinα). Der Tangens istdie Lange der Strecke von (1|0) bis zum Schnittpunkt der Geraden OP und derTangente in (1|0) an den Kreis.

An diesen Skizzen kann man sofort ablesen, dass fur Winkel zwischen 0◦ und90◦ alle drei Funktionen sinα, cosα und tanα positiv sind. Fur Winkel zwischen90◦ und 180◦ ist sinα weiterhin positiv, aber cosα und tanα werden beide negativ.

Aufgabe 5.4. Zeige am Einheitskreis, dass

sinx =tanx√

1 + tan2 x

fur Werte 0 ≤ x < π2 ist.

Mit Hilfe von (5.1) erhalt man aus (5.5) ubrigens sofort

2d sinα+ β

2= 2 sin

α

2· 2 cos

β

2+ 2 sin

β

2· 2 cos

α

2,

also, wenn man α durch 2α und β durch 2β ersetzt, sowie den Einheitskreis (mitd = 2) zugrunde legt,

sin(α+ β) = sinα cosβ + sinβ cosα.

Der Satz des Ptolemaus liefert also direkt das Additionstheorem der Sinusfunk-tion. Spezialisiert man zu β = α, erhalt man daraus die Verdoppelungsformel

sin(2α) = 2 sinα cosα.

Der Sinussatz

Die trigonometrischen Funktionen sinα, cosα und tanα werden ursprunglich amrechtwinkligen Dreieck definiert. Naturlich kann man diese Funktionen auf be-liebige Dreiecke loslassen, wenn man eine Hohe einzeichnet. Dabei ergeben sichzwei einfache Satze, die bei der Berechnung beliebiger Dreiecke hilfreich sind: derSinussatz und der Cosinussatz.

Betrachten wir das nebenstehende Dreieck.Sein Flacheninhalt ist A = 1

2c · hc. Fur dieHohe hc gilt sinα = hc/b, also hc = b sinα,und entsprechend hc = a sinβ. Also ist

A =1

2bc sinα =

1

2ac sinβ.

Division durch abc und Multiplikation mit 2ergeben den

Der Sinussatz in seiner jetzigen Form wurde erstmals von dem arabischen Ma-thematiker Abu Nasr um 1000 n.Chr. bewiesen, der Cosinussatz (sh. unten) vompersischen Astronomen Al Biruni.

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92 5. Trigonometrie

Satz 5.2 (Sinussatz). In einem Dreieck ABC gilt

sinα

a=

sinβ

b=

sin γ

c. (5.6)

Die letzte Gleichung in (5.6) haben wir zwar nicht direkt bewiesen, sie gilt aberschon deswegen, weil sich am Beweis nichts andert, wenn man a mit b, b mit c undc mit a vertauscht.

Im Falle eines rechtwinkligen Dreiecks ist der Sinussatz wegen sin 90◦ = 1 nichtsanderes als die Definition des Sinus: sinα

a = 1c bedeutet ja gerade sinα = a

c .Naturlich kann man (5.6) auch in der Form

a

sinα=

b

sinβ=

c

sin γ(5.7)

schreiben. Diese Formulierung ist etwas gefalliger, weil Ausdrucke wie asin a “Langen”

sind. In der Tat kann man sich fragen, welche “Lange” die drei Ausdrucke in (5.7)denn reprasentieren. Naturliche Langen, die man einem Dreieck zuordnen kann(und die nicht von der Wahl der Seiten abhangen), sind z.B. der Umfang, sowieder Um- und der Inkreisradius.

Beim Herumspielen mit dem Umkreis wird man dann auch fundig: ist R derUmkreisradius (dessen Mittelpunkt bekanntlich der Schnittpunkt der drei Mittel-senkrechten ist), dann kann man an der Skizze folgendes ablesen:

In der Tat ist der Umfangswinkel^ACB gleich dem halben Zentrums-winkel ^AMB; da das Dreieck AMBgleichschenklig ist (denn AM = MB =R ist der Umkreisradius), mussen dieBasiswinkel ^AMS = ^SMB gleichsein, und wir finden γ = ^SMB. Dadas Dreieck SMB rechtwinklig ist, gilt

sin γ =SB

MB=

R

c/2=

2R

c,

woraus sin γc = 2R folgt.

Damit haben wir den Sinussatz verscharft:

Satz 5.3. In einem Dreieck mit Seitenlangen a, b, c, Winkeln α, β, γ, und Um-kreisradius R gilt

a

sinα=

b

sinβ=

c

sin γ= 2R. (5.8)

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5.2 Trigonometrie 93

Die Verdoppelungsformel

Fur sinα und cosα gibt es Formeln, die sin 2α bzw. cos 2α in Abhangigkeit vonsinα und cosα ausdrucken.

Um diese Beziehung herzuleiten, berechnen wir den Flacheninhalt eines gleich-schenkligen Dreiecks mit b = c = 1 und a auf zwei Arten. Die beiden Basiswinkelbezeichnen wir mit β, den Winkel an der Spitze mit 2α.

Einerseits ist A = 12 · 2ah, wobei h = cosα

ist wegen c = 1, und a = sinα. Also istA = sinα cosα.Andererseits ist A = 1

2chc = 12hc (wieder

wegen c = 1), sowie hc = sin 2α. Vergleichtman beide Formeln, erhalt man

sin(2α) = 2 cos(α) · sin(α).

Satz 5.4. Fur den Sinus gilt die Verdoppelungsformel

sin(2α) = 2 cos(α) · sin(α). (5.9)

Daraus erhalt man durch Ableiten (dazu muss man α im Bogenmaß messen)das Pendant

cos(2α) = cos2 α− sin2 α, (5.10)

eine Gleichung, die man auch algebraisch aus der ersten herleiten kann. Quadriertman namlich (5.9), folgt

1− cos2 2α = sin2 2α = 4 cos2 α(1− cos2 α),

alsocos2 2α = (1− 2 cos2 α)2.

Wurzelziehen ergibt cos 2α = ±(1 − 2 cos2 α). Fur 0 ≤ α ≤ 45◦ ist die linke Seitepositiv und cosα ≤ 1

2

√2, also muss

cos 2α = 2 cos2 α− 1 = cos2 α− sin2 α

gelten, und diese Gleichung gilt auch fur Winkel großer als 45◦.Lost man cos 2α = 2 cos2 α − 1 nach cosα auf, erhalt man die Halbierungs-

formel fur den Cosinus:

cosα =

√1 + cos 2α

2. (5.11)

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94 5. Trigonometrie

Aufgabe 5.5. Leite durch Quadrieren von (5.9) und Benutzung von Pythagorasdie Halbierungsformel

sinα =

√1− cosα

2

fur den Sinus her.

Aufgabe 5.6. Benutze die folgende Skizzeund den Satz von Umfangs- und Mittelpunkts-winkel, um die Gleichung

tan(α

2

)=

sinα

1 + cosα

zu beweisen.

Aufgabe 5.7. Leite ganz entsprechend die Additionstheoreme fur die trigonome-trischen Funktionen her.

Aufgabe 5.8. Benutze die Gleichung (5.11), um aus cos π2 = 0 die Werte

cosπ

4=

1

2

√2, cos

π

8=

1

2

√2 +√

2

zu berechnen. Wie geht es weiter?

Aufgabe 5.9. Berechne die Werte der trigonometrischen Funktionen, die in fol-gender Tabelle angegeben sind, durch wiederholte Anwendung der Halbierungsfor-mel etc.:

α sinα cosα tanα

0◦ 0 1 0

15◦ 12

√2−√

3 12

√2 +√

3 2−√

3

30◦ 12

12

√3 1

3

√3

45◦ 12

√2 1

2

√2 1

60◦ 12

√3 1

2

√3

75◦ 12

√2 +√

3 12

√2−√

3 2 +√

3

90◦ 1 0 ∞

Der Cosinussatz

Der Cosinus-Satz ist eine Verallgemeinerung des Satzes von Pythagoras mit ein-gebauter Umkehrung. Rechnerisch ist der Cosinussatz leicht zu beweisen. Dazubetrachten wir das Dreieck, das wir schon zum Beweis des Sinussatzes benutzthaben. Dort ist (bei β < 90◦)

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5.2 Trigonometrie 95

b2 = p2 + h2c = p2 + a2 − q2.

Mit p = c− q wird daraus

b2 = (c− q)2 + a2 − qr = a2 + c2 − 2cq.

Wegen cosβ = qa ist q = a cosβ, also

b2 = a2 + c2 − 2ac cosβ.

Vertauscht man die Buchstaben zyklisch (a→ b, b→ c, c→ a und damit β → γ),erhalt man den

Satz 5.5 (Cosinus-Satz). In einem Dreieck mit den Seiten a = BC, b = AC undc = AB gilt

c2 = a2 + b2 − 2ab cos γ,

wo γ = ^ACB.

Ist γ = 90◦, so ist cos γ = 0, und wir erhalten den Satz des Pythagoras zuruck.Im Spezialfall β = 0 wird aus dem Cosinussatz ubrigens eine binomische Formel –welche?

Der Ausdruck 2ab cos γ reprasentiert eine Flache; der obige rechnerische Beweissagt uns allerdings nicht, um welche Flache es sich handelt. Der nachste Beweis,der dem Euklidischen Beweis des Satzes von Pythagoras nachgebaut ist, erklart indieser Hinsicht mehr.

Wie bei Euklids Beweis zeigt man (imFalle γ < 90◦), dass die RechteckeADEF und AHIJ, sowie die RechteckeEFBG und BKLM denselben Flachen-inhalt besitzen (die drei Linien im Drei-eck sind die Hohen, die sich bekannt-lich in einem Punkt schneiden). Da-mit ist bereits klar, dass in diesem Falla2 + b2 > c2 sein muss.Die Differenz beider Seiten ist die Sum-me der Flachen von CC’IJ und BCC”K,die, wie Euklids Beweis zeigt, beidegleich groß sind. Wegen cos γ = AM/aist AM = a cos γ, also der Flachenin-halt von BCC”K gleich ab cos γ.

So wie wir im Falle des Sinussatzes den Ausdruck asinα als Lange interpretiert

haben (im Zusammenhang mit dem Umkreis des Dreiecks), ist der Term 2ab cos γeine Flache. Bei unserem zweiten Beweis haben wir diesen Term tatsachlich alsFlache interpretiert; in dieser Hinsicht ist also der zweite Beweis befriedigender alsder einfachere erste Beweis.

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96 5. Trigonometrie

Aufgabe 5.10. Beweise den Cosinus-Satz fur stumpfwinklige Dreiecke.

Betrachten wir ein beliebiges Dreieck ABC mit a > b. Wir verlangern AC aufder einen Seite um a, auf der andern um a−b. Wegen CE = CB = CD liegt B aufdem Halbkreis uber DE mit Mittelpunkt C; insbesondere ist der Winkel ^EBD =90◦. Nach dem Satz von Umfangs- und Mittelpunktswinkel ist ^CDB = 1

2γ, undda G der Lotfußpunkt von A auf BE ist, sind die Dreiecke EAG und EDB ahnlich,somit ist auch ^EAG = 1

2γ.

Jetzt gilt

AF = (a+ b) sinγ

2und AG = BF = (a− b) cos

γ

2.

Der Satz des Pythagoras ergibt

c2 = AB2

= AF2

+AG2

= (a+ b)2 sin2 γ

2+ (a− b)2 cos2

γ

2

= a2(

sin2 γ

2+ cos2

γ

2

)− 2ab

(cos2

γ

2− sin2 γ

2

)+ b2

(sin2 γ

2+ cos2

γ

2

)= a2 + b2 − 2ab cos γ

wegen

sin2 γ

2+ cos2

γ

2= 1 und cos2

γ

2− sin2 γ

2= cos γ.

Damit haben wir den Cosinussatz5 erneut bewiesen.

5 Dieser Beweis stammt von K. Schuler aus Rottweil [30]. Die Zeitschrift “Archime-des” scheint heute niemand mehr zu kennen; auch das ostdeutsche Pendant alphaist nach der Wende eingegangen. Die verbliebenen Schulerzeitschriften Monoid undWurzel konnen diese Lucken nicht fullen. Mathematikzeitschriften fur Schuler auf ei-nem Niveau, wie man es in den USA (Pi in the sky), Frankreich (Ouvert), Holland(Pythagoras) oder Indien (At right angles) findet, gibt es hierzulande nicht mehr.

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5.2 Trigonometrie 97

Cosinussatz III

Der folgende Beweis des Cosinussatzes ist vielleicht etwas komplizierter als mancheandere Beweise, liegt aber auf unserer Linie.

Man uberzeuge sich davon, dass beide Diagramme Zerlegungen ein und des-selben Siebenecks sind. Die Flache der linken Zerlegung ist a2 + b2 + 3A, wo Adie Flache des Dreiecks bezeichnet. Die Flache der rechten Zerlegung dagegen istc2 + 3A + 2B, wo B der Flacheninhalt der beiden auftretenden Parallelogrammebezeichnet. Dieser ist, wie man leicht einsieht, gleich ab cos γ. Also folgt

a2 + b2 = c2 + 2ab cos γ,

und das ist der Cosinussatz fur Winkel γ < 90◦.

Aufgabe 5.11. Beweise den Cosinussatz durch Zerlegung fur Winkel γ > 90◦.

Die Heronsche Formel

Bereits Heron besaß eine Formel6 fur den Flacheninhalt eines Dreicks:

6 Heron hatte nicht wirklich eine Formel, sondern musste diesen Sachverhalt in Wortenausdrucken. Die algebraische Formelsprache wurde erst viel spater, vor allem durchVieta, eingefuhrt.

Bei Heron liest sich die Aussage so:

Seien die Seiten eines Dreiecks 7, 8 und 9. Addiere 7, 8, 9, das Ergebnis ist24. Halbiere das Ergebnis, das gibt 12. Subtrahiere davon 7, der Rest ist 5;subtrahiere 8, der Rest ist 4; subtrahiere 9, der Rest ist 3. Multipliziere 12 mit 5;

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98 5. Trigonometrie

Satz 5.6 (Heronsche Formel). Sei ABC ein Dreieck mit den Seitenlangen a, bund c. Dann gilt fur seinen Flacheninhalt die Formel

F =√s(s− a)(s− b)(s− c),

wo s = a+b+c2 der halbe Umfang des Dreiecks ist.

Aufgabe 5.12. Liefert die Heronsche Formel die richtige Einheit? Stimmt dieFormel im “degenerierten Fall”, also wenn a, b oder c gleich 0 ist? Stimmt dieFormel im Falle eines rechtwinkligen Dreiecks?

Zum Beweis gehen wir wieder von der Formel

F =1

2ab sin γ

aus. Quadrieren (das Endergebnis fur F soll eine Wurzel enthalten; es ist daheranzunehmen, dass die Formel fur F 2 leichter herzuleiten ist als direkt fur F ) unddie Benutzung von sin2 γ = 1− cos2 γ liefert

F 2 =1

4a2b2 sin2 γ =

1

4a2b2(1− cos2 γ).

Ersetzt man cos γ mittels des Cosinussatzes durch cos γ = a2+b2−c22ab , so folgt

F 2 =1

4a2b2

[1− (a2 + b2 − c2)2

4a2b2

]=

1

4[4a2b2 − (a2 + b2 − c2)2].

Differenzen von zwei Quadraten kann man mit der binomischen Formel zerlegen:

16F 2 = [2ab+ (a2 + b2 − c2)][2ab− (a2 + b2 − c2)]

= [a2 + 2ab+ b2 − c2][c2 − a2 + 2ab− b2]

= [(a+ b)2 − c2][c2 − (a− b)2]

= [a+ b+ c][a+ b− c][c+ a− b][c− a+ b],

wobei wir einmal mehr die dritte binomische Formel verwendet haben. Also ist

F 2 =a+ b+ c

2· a+ b− c

2· c+ a− b

2· c− a+ b

2= s(s− c)(s− b)(s− a),

und das beweist die Heronsche Formel.

das Ergebnis ist 60. Multipliziere dies mit 4; das Ergebnis ist 240; multiplizieredies mit 3; das Ergebnis ist 720. Die Quadratwurzel von 720 ist die Flache desDreiecks.

Im Anschluss daran erklart Heron, wie man die Quadratwurzel aus 720 naherungsweisebestimmt.

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5.2 Trigonometrie 99

Aufgabe 5.13. Sei ABC ein Dreieck, M der Mittelpunkt und r der Radius desInkreises. Zerlege das Dreieck durch von M ausgehende Lote in rechtwinklige Teil-dreiecke und beweise die Flachenformel

F = rs.

(Hinweis: vgl. (1.8))Zeige am selben Dreieck die Beziehungen

tanα

2=

r

s− a, tan

β

2=

r

s− b, tan

γ

2=

r

s− c.

Der Tangenssatz

Der Tangenssatz geht auf Vieta zuruck.

Satz 5.7 (Tangenssatz). Sei ABC ein Dreieck mit Seiten a, b, c und Winkeln α,β, γ. Dann gilt

a− ba+ b

=tan α−β

2

tan α+β2

Aus dem Sinussatz erhalt man die Gleichungen

a

c=

sinα

sin γund

b

c=

sinβ

sin γ.

Addition bzw. Subtraktion ergibt

a+ b

c=

sinα+ sinβ

sin γbzw.

a− bc

=sinα− sinβ

sin γ.

Division dieser beiden Gleichungen und Kurzen ergibt dann

a− ba+ b

=sinα− sinβ

sinα+ sinβ.

Die Additionsformel fur den Sinus zeigt

a− ba+ b

=2 cos α+β2 sin α−β

2

2 sin α+β2 cos α−β2

=tan α−β

2

tan α+β2

,

also den Tangenssatz.

Aufgabe 5.14. Beweise die Mollweideschen Formeln7

a+ b

c=

cos α−β2cos α+β2

,a− bc

=sin α−β

2

sin α+β2

,

und leite daraus den Tangenssatz her.Hinweis: Benutze a+b

c = ac + b

c , setze zweimal den Sinussatz ein, und benutzedie Additionsformeln.

7 Benannt nach Karl Brandan Mollweide (1774 – 1825); die Formeln stehen im wesentli-chen bereits bei Antonio Cagnoli (1743 – 1816) und waren anscheinend schon Newtonbekannt.

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100 5. Trigonometrie

Ein weiterer Beweis fur die Mollweideschen Formeln hat de Kleine [12] gegeben:

Konstruiere die Winkelhalbierende w in C und das Lot ` zu w durch A. DieLotgerade ` schneidet BC in E. Konstruiere D so, dass das Dreieck BDE gleich-schenklig wird. Damit ist ^AEC = 90◦ − 1

2γ = α+β2 . Da BDE gleichschenklig ist,

muss auch δ = ^BDE = α+β2 sein.

Aufgabe 5.15. Zeige, dass ^DAB = α−β2 ist, und leite die Mollweidesche Formel

her.

Aufgabe 5.16. Cagnoli gibt die Mollweideschen Formeln in der symmetrischenGestalt

a+ b

c=

sinα+ sinβ

sin γ,

a− bc

=sinα− sinβ

sin γ

an. Zeige, dass die beiden Formulierungen aquivalent sind.

Bhaskaras Formel

Im Buch Mahabhaskariya von Bhaskara I (ca. 600 n.Chr.) findet sich (wie immernicht als Formel, sondern in Prosa) folgende Naherung fur die Sinusfunktion (sh.R.C. Gupta [10]):

sin a ≈ 4a(180− a)

40500− a(180− a),

wo a in Grad angegeben ist. Eine Herleitung (auch anderer Resultate) findet manin indischen Buchern nicht; im Prinzip kann man die Formel mit “brute force”(also roher Gewalt) herleiten, indem man den Ansatz

sinα ≈ s(α) mit s(α) =a+ bα+ cα2

d+ eα+ fα2

macht und die sechs Unbekannte durch Einsetzen geeignet gewahlter Punkte be-stimmt. Zum einen durfen wir, nach Kurzen mit d, einfach d = 1 annehmen;zweitens wollen wir Achsensymmetrie haben, also, wenn wir abe jetzt den Winkelin Bogenmaß messen und ihn mit x statt α bezeichnen, s(α) = s(π−α); man kannzeigen (Aufg. 5.18), dass das fur Quotienten von quadratischen Polynomen dann

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5.2 Trigonometrie 101

und nur dann der Fall ist, wenn sowohl Zahler wie Nenner diese Symmetrie haben;damit folgen die Gleichungen

a+ bx+ cx2 = a+ b(π − x) + c(π − x)2,

d+ ex+ fx2 = d+ e(π − x) + f(π − x)2,

also

a+ bx+ cx2 = a+ bπ + cπ2 − (b+ 2πc)x+ cx2,

d+ ex+ fx2 = d+ eπ + fπ2 − (e+ 2πf)x+ fx2,

und damit durch Koeffizientenvergleich

0 = b+ πc und 0 = e+ πf.

Einsetzen des Punktes (0|0) ergibt a = 0, was zusammen mit d = 1 auf dieFunktion

s(x) =cx(x− π)

1− πfx+ fx2

fuhrt. Die restlichen beiden Unbekannten erhalten wir durch Einsetzen der Punkte(π6,

1

2

)und

(π2, 1).

Dies liefert nacheinander die Gleichungen

1

2=

π6 · c(

π6 − π)

1− π2

6 f + π2

36 f=

−c365π2 − f

und 1 =π2 · c(

π2 − π)

1− π2

2 f + π2

4 f=

−c4π2 − f

.

Wegschaffen der Nenner ergibt

2c = f − 36

5π2und c = f − 4

π2,

was nach Elimination von f auf

c = − 16

5π2und damit f =

4

5π2

fuhrt. Damit erhalten wir

s(x) =16x(π − x)

4x2 − 4πx+ 5π2

Diese Naherung ist so gut, dass man zeichnerisch im Intervall [0;π] keinen Unter-schied sehen kann!

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102 5. Trigonometrie

Die Funktionen sin(x) und s(x)

Lediglich die dickeren Linien am linken und rechten Rand deuten darauf hin, dassdie Funktionen dort auseinanderzulaufen beginnen. Naturlich kann s(x) “global”,also fur alle x, keine gute Naherung der Sinusfunktion sein, weil s(x) genau zweiNullstellen (die Sinusfunktion unendlich viele) und eine waagrechte Asymptote(namlich y = −4) besitzt.

Die Differenz von Sinusfunktion und Naherung hat, wie die nachste Skizze zeigt,Funktionswerte unterhalb von 0,002, d.h. der Fehler ist kleiner als 2 Promille:

Die Differenz sin(x)− s(x)

Die folgende Tabelle enthalt die Funktionswerte der beiden Funktionen, jeweilsnach der vierten Dezimalstelle abgeschnitten:

α f(α) sinα0 0 0

15 0.2603 0.258830 0.5000 0.500045 0.7058 0.707160 0.8648 0.866075 0.9655 0.965990 1.0000 1.0000

Ein Teil der rechnerischen Schwierigkeiten bei der Herleitung der Formel ruhrtvon der etwas “verschobenen” Symmetrieachse x = 1

2π her. Die Herleitung wirdalso etwas einfacher werden, wenn wir statt sinx die Funktion cosx approximieren.

Aufgabe 5.17. Zeige wie oben, dass die Cosinus-Funktion sich durch

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5.3 Eine kleine trigonometrische Formelsammlung 103

c(α) =4(8100− α2)

32400 + α2

approximieren lasst, wo a Winkel zwischen −90◦ und +90◦ bezeichnet. Leite darausdie Naherungsformel fur die Sinus-Funktion her.

Aufgabe 5.18. Zeige, dass fur s(x) = p(x)q(x) mit quadratischen Polynomen p und q

genau dann s(x) = s(a−x) fur alle x gilt, wenn p(x) = p(a−x) und q(x) = q(a−x)gilt.

5.3 Eine kleine trigonometrische Formelsammlung

Die meisten der folgenden Identitaten haben wir bewiesen; der Rest sei als Ubungs-aufgabe empfohlen.

tanx =sinx

cosxcotx =

cosx

sinx

sin2 x+ cos2 x = 1 1 + tan2 x =1

cos2 x1 + cot2 x =

1

sin2 x

sin(π

2− x)

= cos(x) cos(π

2− x)

= sin(x) tan(π

2− x)

= cot(x)

Additionsformeln

sin(x+ y) = sinx · cos y + cosx · sin ycos(x+ y) = cosx · cos y − sinx · sin y

tan(x+ y) =tanx+ tan y

1− tanx · tan y

sinx+ sin y = 2 sinx+ y

2cos

x− y2

cosx+ cos y = 2 cosx+ y

2cos

x− y2

tanx+ tan y =sin(x+ y)

cosx cos y

Verdoppelungs- und Halbierungsformeln

sin(2x) = 2 sinx cosx cos(2x) = 2 cos2 x− 1 tan(2x) =2 tanx

1− tan2 x∣∣∣ sin(x2

)∣∣∣ =

√1− cosx

2

∣∣∣ cos(x

2

)∣∣∣ =

√1 + cosx

2tan

(x2

)=

sinx

1 + cosx