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Zeitschrift der Hessen für Erziehung, Bildung, Forschung 59. Jahr Heft 6 Juni 2006 Selbstständige Schule

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Zeitschrift der Hessen

für Erziehung, Bildung, Forschung

59. Jahr Heft 6 Juni 2006

Selbstständige Schule

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2HLZ 6/2006

Aus dem InhaltRubriken

S. 4 Spot(t)lightS. 5 MeldungenS. 18 Hochschulen: StudiengebührenS. 31 Einer von uns: Hartmut BöltsS. 34 Recht: EinstellungsverfahrenS. 35 Magazin

Titelthema: Selbstständige Schule

S. 7 EditorialS. 8 Im Wortlaut: Karin WolffS. 9 Im Wortlaut: GEW-BeschlussS. 10 Kontrolle und Gängelung

S. 11 Droht die Privatisierung?S. 12 Rechenschaftslegung ist nötigS. 14 Selbstverantwortung plusS. 15 Die verfassungsrechtliche Sicht

Einzelbeiträge

S. 19 Unterrichtsgarantie plusS. 22 Einbürgerungstest in Hessen?S. 23 Gegen die FöderalismusreformS. 24 Lehrerausbildung in NotS. 26 Schulpsychologie in HessenS. 28 Bildungsplan von 0 bis 10S. 30 Bündnis für ErziehungS. 32 Wolfgang Abendroth zum 100.S. 33 Miese Stimmung im HKM

Herausgeber:Gewerkschaft Erziehung und WissenschaftLandesverband HessenZimmerweg 1260325 Frankfurt/MainTelefon (0 69) 9 712930Fax (0 69) 97 12 93 93E-Mail: [email protected]

Verantwortlicher Redakteur:Harald FreilingKlingenberger Str. 1360599 Frankfurt am MainTelefon (0 69) 636269Fax (069) 6313775E-Mail: [email protected]

Mitarbeit:Christoph Baumann (Bildung), Joachim Euler (Aus- undFortbildung), Ulrich Heinz (Hochschule), Ulla Hess (Mit-bestimmung), Michael Köditz (Sozialpädagogik), AnnetteLoycke (Recht), Carmen Ludwig (Studium), Karin Schüßler(Bildung), Andreas Staets (Hochschule), Karola Stötzel(Weiterbildung), Gerd Turk (Tarifpolitik und Gewerk-schaften)

Gestaltung:Michael Heckert, Harald Knöfel

Titelthema: Harald Freiling

Illustrationen:Axel Träger (Titel, S. 7, 11, 12), digitalstock (S. 25),Thomas Plaßmann (S. 17), Matthias Sodtke (S. 30),Dieter Tonn (S. 26), Ruth Ullenboom (S. 4, 20)

Fotos:Harald Freiling (S. 23, 40), Pressestelle der UniversitätMarburg/Helmuth Graßmann (S. 32, 33), MarionSchöppner (S. 29)

Verlag:Mensch und Leben Verlagsgesellschaft mbHPostfach 194461289 Bad Homburg

Anzeigenverwaltung:Mensch und Leben Verlagsgesellschaft mbHEdith HestertPostfach 19 4461289 Bad HomburgTelefon (0 61 72) 95 83-0

Erfüllungsort und Gerichtsstand:Bad Homburg

Bezugspreis:Jahresabonnement 12,90 Euro (9 Ausgaben, einschließ-lich Porto); Einzelheft 1,50 Euro. Die Kosten sind für dieMitglieder der GEW Hessen im Beitrag enthalten.

Zuschriften:Für unverlangt eingesandte Manuskripte und Bilder wirdkeine Haftung übernommen. Im Falle einer Veröffentli-chung behält sich die Redaktion Kürzungen vor. Nament-lich gekennzeichnete Beiträge müssen nicht mit der Mei-nung der GEW oder der Redaktion übereinstimmen.

Redaktionsschluss:Jeweils am 5. des Vormonats

Nachdruck:Fotomechanische Wiedergabe, sonstige Vervielfälti-gungen sowie Übersetzungen des Text- und Anzeigen-teils, auch auszugsweise, nur mit ausdrücklicher Ge-nehmigung der Redaktion und des Verlages.

Druck:Druckerei und Verlag Gutenberg Riemann GmbHWerner-Heisenberg-Straße 7, 34123 Kassel

I M P R E S S U M

Zeitschrift der GEW Hessenfür Erziehung, Bildung, ForschungISSN 0935-0489

Liebe Kolleginnen und Kollegen,die Grundschule ist nach IGLU und PISA inden Fokus der Öffentlichkeit und in denAktionismus der Kultusbürokratie gerückt.Unstreitig ist, dass die Basiskompetenzen,die in der Grundschule entwickelt werden,über den weiteren Bildungsverlauf, über dieLebenschancen und damit über die gesell-schaftliche Teilhabe entscheiden. Die Grund-schule ist eine Schule für alle, das gemein-same Lernen muss fortgeführt werden.Durch die vielen Verschlechterungen undDeprofessionalisierungstendenzen im Pri-marbereich bleiben Kinder und Lehrkräfteauf der Strecke. Das muss sich ändern.

Deshalb fordern wir

• eine deutliche Reduzierung der Klassen-größen• dass jedes Kind die Förderung erhält, diees benötigt; dabei arbeiten die unterschied-lichen Professionen vor Ort zusammen• den Erhalt kleiner Grundschulen in ihrerEigenständigkeit• eine 110-prozentige Unterrichtsversor-gung mit Planstellen.Statt die personellen und finanziellen Res-sourcen der Grundschule zu verbessern,wächst das Aufgabenpaket beträchtlich. Wir

Schuljahresplaner 2006/2007Mit dieser Ausgabe HLZ wurde der E & W auch der Wand-kalender für das Schuljahr 2006/07 in Hessen beigelegt.

erleben täglich die Verdichtung unserer Ar-beitszeit. Die Arbeitsbedingungen aller Lehr-kräfte müssen umgehend verbessert werdendurch• eine sukzessive Senkung der Unter-richtsverpflichtung für alle Lehrkräfte• die Erhöhung des Schuldeputats• die Eingruppierung der Grundschul-lehrkräfte nach A 13• qualifizierte, kostenlose Fort- und Wei-terbildungen• die Sicherstellung einer guten techni-schen, personellen Ausstattung auch durchSchulassistentinnen und -assistenten

Gemeinsam für die Verbesserungder Arbeitsbedingungen!Gemeinsam für die Verbesserungder Grundschulbildung!Die Unterschriftenlisten sind allen GEW-Ver-trauensleuten zugegangen und können imInternet heruntergeladen werden (www.gew-hessen.de). Außerdem besteht die Möglich-keit, sich der Resolution formlos per E-Mail([email protected]) anzuschließen, die Un-terschrift zu faxen (069-97129393) oder perPost zu schicken (GEW-Landesverband Hes-sen, Postfach 170316, 60077 Frankfurt)• Alle Rückmeldungen werden spätestensbis zum 15. Juni 2006 erbeten.

GEW HessenLandesfachgruppe Grundschulen

An alle Grundschullehrkräfte in Hessen

Unzumutbar!

U N T E R S C H R I F T E N A K T I O N

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3 K O M M E N T A RHLZ 6/2006

Bei spektakulären Gewalttaten in Brennpunktschu-len ist der Schuldige schnell gefunden. Es wird nachdem Ausländeranteil gefragt, mangelnde Integra-tionsbereitschaft konstatiert. Unsere Probleme lassensich aber nicht einfach fremden Kulturen anlasten. Imislamischen Kulturkreis hat ein respektvoller Umgangmit Lernsituationen Tradition. Mit Seiteneinsteigern,die neu in Deutschland sind, machen wir immerwieder gute Erfahrungen. Aggressive Atmosphärengibt es auch in gymnasialen Klassen gut betuchterVorstädte, auch wenn hier meist raffinierter verletztwird, etwa verbal.

Sensationsberichte über Gewalt an Schulen bildenohnehin nur die Spitze des Eisbergs ab. Was Lehrkräf-ten im Alltag Schwierigkeiten bereitet, ist weit wenigerspektakulär. Unruhe und aggressive Töne nehmen zu,während Gemeinsamkeiten schwinden. Die Stim-mung in manchen Klassen ist regelrecht vergiftet.Mobbing ist verbreitet, Cliquen gehen aufeinander los,und die Lehrkräfte bleiben nicht verschont. WennGefühle kochen, fällt die Konzentration auf Unter-richtsinhalte schwer. Dann stehen wir mit unserenLernzielen auf verlorenem Posten.

Das Problem lässt sich nicht abschieben. Um dieFrage, was mit unserer eigenen Kultur los ist, kommenwir nicht herum.

Steigende Klassengrößen und knappere Zeitrahmen– etwa durch zusätzliche Aufgaben – beschränken dieMöglichkeiten für individuelle Zuwendung und Bezie-hung. Wahl- und Förderangebote mit ihren Möglich-keiten für ganzheitliches und kreatives Tun werdenminimiert. Die Landesregierung setzt auf Druck,wenn PISA-Erfolge ausbleiben. Konkurrenz undAuslese sind zentrale Elemente schulischen Lernens.Starre Lehrpläne, deren Umfang kaum zu bewältigenist, und zentrale Prüfungen sollen die Einhaltung vonStandards gewährleisten. Wer nicht mithält, wirdaussortiert. Nichtversetzungen wurden erleichtert,dem dreigliedrigen Schulsystem gehört Hessens Zu-kunft, und das Turbo-Abitur erhöht den Stress.

Gemeinsamkeiten nehmen aber nicht nur in Schul-klassen ab. Gegenseitige Unterstützung, solidarischesMiteinander, Einbeziehen von Menschen, die andersund vielleicht in den eigenen Augen unvollkommensind – all dies hat auch im Arbeitsalltag derErwachsenen immer weniger Platz. Konkurrenz undArbeitshetze werden verschärft: Und wer dabei nichtmitspielt, fliegt raus. Arbeitslosenzahlen steigen auf

Rekordniveau, aber die vorhandene Arbeit wird nichtgeteilt, sondern die Situation durch Arbeitszeitverlän-gerung noch verschärft.

In Deutschland leben zwei Millionen Kinder inArmut. Sie erfahren die gesellschaftliche Rücksichts-losigkeit noch direkter. Da hilft auch kein Werte-unterricht. Der zentrale Wert, um den sich wirtschaft-liches und politisches Handeln drehen, ist das Erzielenmaximaler Renditen: Profite für wenige – auf Kostenvieler. Auch wenn die Kinder die Zusammenhängenicht verstehen mögen, bekommen sie durchaus mit,welche Ressourcen ihrer Familie zur Verfügung stehenund welche Wertschätzung ihr zuteil wird, wie viel Zeitund Energie ihre Eltern ihnen widmen können, wieihre Jugendzentren und Schulen aussehen im Ver-gleich zu Konsumtempeln und Banken. Als Jugend-liche bekommen sie keine Jobs, auch weil die Altenmehr und länger arbeiten müssen. Viele werden überJahre mit Praktika abgespeist und sehen kaum nochPerspektiven für sich.

Wenn wir dazu beitragen wollen, dass Kinder undJugendliche besser miteinander und mit ihren Bil-dungseinrichtungen umgehen, müssen wir zunächsteinmal gut mit ihnen umgehen. Und natürlich werdenKinder Orte, die sie lieben können, dann auchpfleglicher behandeln.

Wir dürfen nicht zulassen, dass unsere Bildungs-einrichtungen unmenschlicher und zwanghafter wer-den. Wir brauchen Schulen, in denen man sichmiteinander wohl fühlen, mit Freude lernen undkreativ sein kann: Orte der Begegnung und Entfal-tung. Wenn sich unsere Gesellschaft mehr an denBedürfnissen von Kindern ausrichtet, anstatt Profit-interessen zu bedienen, wird sich die Atmosphärenicht nur in den Schulen bessern.

Nicht gewalttätiger als die Welt

Michael Köditz

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4S P O T ( T ) L I G H T HLZ 6/2006

Womit Wissenschaftler sich so beschäf-tigen! Jetzt haben sie herausgefunden,dass ein deutsches Kind in einer Schul-stunde nur eine Minute lang spricht, einfinnisches Kind hingegen neun Minu-ten! Wie viele Kinder in einer finni-schen Klasse sind, haben sie leider nichtdazugeschrieben. In meiner sind 33Kinder. Wenn die in einer Schulstundeneun Minuten lang reden wollen, müs-sen sie es gleichzeitig tun. Anders gehtes nicht. Also setze ich den neuenmethodischen Knüller, die „Murmel-phase“, ein. Der Lehrer stellt eine Fragein den Raum und lässt die Schüler dazueine Zeitlang leise murmeln. Natürlichtauschen sie dabei nur themenbezogeneMeinungen aus! Auf gar keinen Falldiskutieren sie über Fußball oder „To-kio Hotel“. (Der erfahrene Lehrer er-kennt übrigens auch aus der Ferne, obSchüler sich dem gewünschten Gegen-stand widmen. Leises Lächeln, ver-schwörerische Blicke, Sortieren der di-versen MP3-Kabel lassen vermuten,dass hier eher unterrichtsfremde The-men behandelt werden.) Da ich auf

Wissenschaft und SchuleOhropax schwöre, überstehe ich dieMurmelphase relativ gut.

Geschichtstexte und Gedichte lesenwir nur noch im Chor. Wenn es zurErgebnissicherung kommt, erscheint esmir eigentlich sinnvoll, dass nur einerspricht. Aber meine Schüler haben dieStudie so verstanden, dass sie die ganzeStunde gleichzeitig reden sollen. Demkommt unsere kommunikative Sitz-ordnung sehr entgegen. Natürlich ste-hen die Tische nicht frontal zur Tafel,sondern bilden einen Halbkreis mit einpaar Querbänken in der Mitte. Gewag-tere pädagogische Experimente sind inden Klassenräumen, die für viel weni-ger Kinder konzipiert wurden, nichtmöglich. Es sei denn, man ziehtZwischenböden ein oder baut Logenvor die Fenster. Wissenschaftler habenübrigens auch festgestellt, dass es fürden Lernerfolg gar keine Rolle spielt,ob in einer Klasse 20 oder 40 Kindersind. Auf diese nützliche Erkenntnis hinhat der Bildungsminister flugs die Klas-senfrequenzen erhöht. Was das an Steu-ergeldern spart! Wer kleinere Klassen

vorzieht, muss eben an einePrivatschule gehen!

Das gesteigerte Ge-sprächsbedürfnis derSchülerinnen undSchüler behindert lei-der bisweilen dieSubstanz des Unter-richts. Finde ich. Je-doch lese ich stän-dig, dass der moder-ne Pädagoge sichheraushält, nichtmehr lenkt und leitet,sondern dezent imHintergrund bereit-steht. Das nennt manjetzt „Coaching“. Die

Schülerinnen und Schüler,pardon, Kunden und Klienten,

arbeiten und lernen selbstständig,natürlich in „Kompetenzteams“. Nurim Notfall wenden sie sich an dasPersonal. Meine Kinder mögenGruppenarbeit sehr gern. Beson-ders, weil es in der Klasse so eng ist,

dass ich zwei, drei Gruppen in einemanderen Raum unterbringen muss. Der

hat zwar keine Fenster, aber dort ste-hen ein paar alte Sessel. Und da der

Coach nicht überall gleichzeitig seinkann, haben die Schüler viele ungestörteMomente. Solch eigenständiges Arbei-ten bringt ungeahnten Lernzuwachs, undich bin immer ganz ergriffen, wenn mei-ne Schüler anschließend ihre Resultatepräsentieren. Denn was sie selber heraus-finden, ist selbstverständlich stets rich-tig, differenziert und präzise, und ichmuss es niemals ergänzen, korrigierenoder gar völlig neu darstellen! Bei diesenGruppenvorträgen lauschen alle ande-ren Schüler hingebungsvoll und versu-chen nicht etwa noch hektisch, die letz-ten Vorbereitungen für ihr eigenes Kurz-referat zu treffen.

Meine Klasse geht auch gern in denComputerraum und sucht im Internetnach Napoleon, Endmoränen oder demPaarungsverhalten der Nacktschnecke.Das geht aus technischen Gründen na-türlich nur im Winter, wenn die Hälfteder Schüler wegen Grippe und Erkäl-tung fehlt. Das Internet ist heilig undbringt nur Fakten und gesicherte Infor-mationen. Genau wie das Fernsehen.Alles, was über den Äther läuft, istgeprüft und wahr. Meine Schüler mö-gen es gar nicht, wenn ich mich überManipulationen und Falschinformatio-nen auslasse. So ist auch Marvin äußerstmissvergnügt, als ich ihn (ungefragt)darauf hinweise, dass der Funkturm inBerlin unmöglich 15 Zentimeter hochsein kann. „Das stand aber so imInternet!“ Während dieser Computer-stunden fällt mir auf, dass die Bilder aufden Monitoren blitzschnell wechseln,wenn ich meine Position im Raum ver-ändere. Aber meine Schüler würdenniemals hinter meinem Rücken chattenoder Ferkelseiten aufsuchen!

Letztens haben Wissenschaftler her-ausgefunden, dass eine traditionelleLehrerin mit verstaubtem Frontalunter-richt bei ihren Schülern die bestenLernergebnisse erzielt hat. Andere Ko-ryphäen verkünden, dass Computerein-satz im Unterricht nicht unbedingt zubesseren Mathematikleistungen führt.Es gibt sogar das Buch eines Internetex-perten, der sich fast angeekelt über denunsinnigen Computereinsatz an Schu-len auslässt. Und eine Doktorandinschreibt vergrämt, dass im finnischenPISA-Wunderland ganz viele Jugendli-che nach der Schule arbeitslos und zuAlkoholikern werden.

Ich bin ein wenig irritiert. Vermut-lich würde manchen Wissenschaftlernein intensives Schulpraktikum nichtschaden....

Gabriele Frydrych

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5 M E L D U N G E NHLZ 6/2006

SPD: Radikales Billigmodellfür die Lehrerausbildung

Die SPD-Landtagsfraktion bereitet ge-genwärtig ein Modell vor, wie sie diehessische Lehrerausbildung radikal än-dern will, wenn sie die Landtagswahlen2008 gewinnt. Danach wird das Refe-rendariat abgeschafft. Die Lehrerausbil-dung soll nur noch konsequent einpha-sig modularisiert in einem Bachelor-Master-Studiengang angeboten werden.Folglich entfallen Erste und ZweiteStaatsprüfungen. Nach sechs Semesternsoll es für alle Lehrämter einen berufs-qualifizierenden Bachelor-Abschluss inPädagogik geben. Spezialisierungennach Schulformen folgen in weiterenvier Semestern, Berufspraktika werdenintegriert. Mit dem Master-Abschlusswird das Studium beendet. Danach folgtdas Berufseingangsjahr für die neuenLehrkräfte, die mit halber Stelle unter-richten. Betreuung von schulischenLehrkräften ist vorgesehen. Die Studien-seminare sollen bestehen bleiben undAufgaben der Universitäten und derAusbildungsschulen übernehmen. DasModell scheint kaum ein Beitrag zurQualitätsverbesserung zu sein. Im Vor-dergrund stehen fiskalische Überlegun-gen: Die Abschaffung des Referendariatsspart Kosten in zweistelliger Millionen-höhe.

Sammelwut: Adressenvon Elternbeiräten

Zwei Tage vor den Osterferien wurdendie hessischen Schulen in einem Erlassdes Hessischen Kultusministeriums(HKM) aufgefordert, bis zur ersten Wo-che nach den Ferien alle Post- undMailadressen der Schul- und Klassen-elternbeiräte und der Elternvertretungin der Schulkonferenz in einer Excel-Tabelle an das HKM zu melden, damitman ihnen das Angebot zum Bezug einesHKM-Newsletters machen kann. Offen-sichtlich reicht der Hirtenbrief der Minis-terin an alle Eltern zu Schuljahresbeginnnicht mehr aus, um die Kritik an derPolitik der Landesregierung zu beruhi-gen, hatte das schlechte Stimmungsba-rometer, wonach nur 31% der Hessenmeinen, dass Roland Koch eine guteBildungspolitik macht, die PR-Abtei-lung auf den Plan gerufen. Sibylle Gold-acker, Vorsitzende des Landeselternbei-rats, erinnert sich an Erfahrungen ihresGremiums, das von Schulen bisher keineDaten bekommen hat. Wilfried Volk-mann, Stadtelternbeiratsvorsitzender inFrankfurt, hält es für „empörend“, dassbis zu 80.000 Eltern nicht um Zustim-mung zur Weiterleitung ihrer Daten ge-fragt werden. Die stellvertretende hessi-sche Datenschutzbeauftragte Ute Arltreagierte prompt und forderte das HKM

Ganztagsschulverband

Auf der Mitgliederversammlung desGanztagsschulverbandes Hessen wurdeAnfang Mai in Lahnau für zwei Jahreein neuer Landesvorstand gewählt. Gui-do Seelmann-Eggebert aus Wiesbadenwurde als Landesvorsitzender bestätigt,Rolf Richter (Hofheim) als sein Stellver-treter. Weitere Vorstandsmitglieder sindSascha Mohr (Wiesbaden) als Kassie-rer, Kristina Bartak (Gießen), NorbertHandwerk (Frankfurt) und Bernd Steioff(Bad Camberg).

Der nordhessische GEW-Gesamtschul-tag am 25. 3. 2006 in der Söhre-Schu-le Lohfelden stand unter dem Titel„Gesamtschule in der Konkurrenzge-sellschaft“ und griff die neu aufge-flammte bildungspolitische Debatte umVorteile und Möglichkeiten der Ge-samtschule oder einer Schule für alleauf. Dass die Gesamtschule kein Aus-laufmodell ist, betonte Professor ErnstRösner (Dortmund) in seinem Referat„Das doppelte Lottchen im deutschenSchulwesen“, mit dem er den Blick aufdie wesentlichen Ergebnisse der PISA-Studie schärfte. Das dreigliedrigeSchulsystem gebe den Schülerinnenund Schülern nicht die Möglichkeit,sich nach ihren individuellen Lern-fähigkeiten zu entwickeln, und ver-schlechtere die Chancen für Kinder ausbildungsferneren Elternhäusern. Sie-ben Arbeitsgruppen befassten sich mitden Themen Privatisierung und Öko-

auf, „bereits ohne Einwilligung derElternvertreter übermittelte Daten un-verzüglich zu löschen und die Schuläm-ter davon zu informieren, dass dieseAktion gestoppt ist.“ Über die Möglich-keit, einen Newsletter zu beziehen, könn-ten die Eltern „über die Presse, über dieSchulämter und Schulen oder auch überdie Zusammenschlüsse der Elternbeirats-vertretungen“ informiert werden. Diesveranlasste den Hessischen Datenschutz-beauftragten Michael Ronellenfitsch zurRückkehr aus dem Urlaub. Er kippte dieStellungnahme seiner Vertreterin: DasHKM dürfe die Daten nur ein einzigesMal für ein Anschreiben verwenden undmüsse sie danach wieder löschen. DieProteste der Elternbeiräte gingen weiter.

Nordhessischer Gesamtschultagnomisierung, Beratung von Schülerin-nen und Schülern, Planerfüllung, Chan-cengleichheit, Auslesen statt fördern,Lehrstellenkatastrophe und Unterrichts-garantie plus. Die Ergebnisse der Ar-beitsgruppen gaben einen Einblick indie weit gefächerten Aufgabenfelderder Lehrerinnen und Lehrer. Schwer-punkte bildeten das Lernen in hetero-genen Gruppen, die Ausstattung derSchulen mit Lernmaterialien und Lehr-kräften, individuelle Lernpläne undFördermöglichkeiten.

Andreas Lenz, Leiter des ReferatsQualitätsentwicklung im Kultusministe-rium, stellte sich nach seinem Referatüber die hessische Bildungspolitik unddie „Unterrichtsgarantie plus“ den kriti-schen Fragen. Viele Lehrerinnen undLehrer vermissen eine klare Prioritäten-setzung für die individuelle Förderungund registrieren immer größere Belas-tungen. Ergebnisse der PISA-Studie wür-

den von der Landesregierung nichtaufgegriffen. GEW-Bezirksvorsitzen-der Carsten Leimbach (Foto): „Die Stär-kung des dreigliedrigen Schulsystemsmissachtet das Recht alle Schülerinnenund Schüler auf Chancengleichheit.“Das Referat „Das doppelte Lottchen im deut-schen Schulwesen“ kann man unter http://www.ggg-nrw.de nachlesen.

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6M E L D U N G E N HLZ 6/2006

Ferien vom Krieg

Auch im Sommer 2006 führt das Komi-tee für Grundrechte und Demokratiewieder Ferienfreizeiten und Begegnun-gen von Kindern, Jugendlichen undjungen Erwachsenen aus den Krisen-und Kriegsgebieten auf dem Balkan undim Nahen Osten durch. In den letztenzwölf Jahren machten fast 19.000 Kin-der „Ferien vom Krieg“, um in angeneh-mer Umgebung Kindern der „anderenSeite“ zu begegnen, die ähnliches Leiderlebten, und Verrohung im privatenund zivilen Bereich zu begegnen.

Mit 130 Euro lässt sich eine „Ferien-patenschaft“ finanzieren. Wer eineSpendenquittung haben möchte, sollteauf dem Überweisungsformular seineAdresse angeben. Überweisungen andas Komitee für Grundrechte und De-mokratie, Konto 8013055 bei der Volks-bank Odenwald (BLZ 50863513)• Informationen unter www.ferien-vom-krieg.de, Tel. 069-7892525, Fax069-78803666

Diskriminierende Karikatur?Antje Montag, Schwerbehinderten-vertreterin der LehrerkooperativeFrankfurt, empörte sich zurecht übereine Karikatur zum Thema „Unter-richtsgarantie plus“, die in der HLZ 3/2006 erschien. Ein hilfloser Vertre-tungslehrer muss zusehen, wie dieKinder auf den Tischen tanzen. Beigenauem Hinsehen ist zu erkennen,dass der Lehrer eine Armprotheseträgt. Dies, so Antje Montag, unterstel-le, „dass schwerbehinderte Menschenblöd sind“, und schade „dem öffentli-chen Ansehen der schwerbehindertenMenschen“. Der HLZ-Redaktion ist dasDetail bei der Veröffentlichung derIllustration schlicht entgangen. DieGEW Hessen setzt sich in vielen Publi-kationen (auch in der HLZ), in ihrergewerkschaftlichen Alltagsarbeit undRechtsberatung und in der Zusam-menarbeit mit den Schwerbehinder-tenvertretungen in den Betrieben undin den Personalvertretungen uneinge-schränkt für die Rechte und Interessenschwerbehinderter Kolleginnen undKollegen ein. Eine Diskriminierungschwerbehinderter Menschen liegt unsdeshalb völlig fern. Bei den Kollegin-nen und Kollegen, die sich durch dieIllustration verletzt fühlen, entschul-digen wir uns.

Mangelnde Transparenzim HKM

In der HLZ 11-12/2005 äußerte WernerScholz von GEW-Fachgruppe Schul-aufsicht unter dem Titel „Fachgruppekritisiert Vetternwirtschaft“ die Vermu-tung, dass in der Bildungsverwaltungeinseitige Parteipolitisierung zu Guns-ten der CDU vorangetrieben wird. Die-ser Bericht wird jetzt durch den ört-lichen Personalrat beim HessischenKultusministerium (HKM) untermauert.Unter der Schlagzeile „Personalnach-richten“ veröffentlichte der Personalratbeim HKM in seiner Information„Schwarz auf Weiß“ die folgende Mit-teilung: „Nach § 8 Abs. 2 des HessischenBeamtengesetzes sind Stellen in derRegel auszuschreiben. Hintergrund istdie Forderung der Bestenauslese, diedamit ermöglicht werden soll. Im Laufedes letzten Jahres wurden abweichendvon dieser Regel fünf Referatsleitungen(bei insgesamt 33 Referatsleitungen)neu besetzt, ohne dass eine Ausschrei-bung vorausgegangen war. (...) Ein Ver-fahren, das nicht transparent ist, bringtGerüchte mit sich. Kollegen fragen nachder Motivation, warum eine Stelle miteiner bestimmten Person besetzt wurde.Dies ist auch für die Betroffenen nichtbestes Entreé, wenn sie hier anfangen.“

Integration statt Auslese

Dass Selbstverständliches nicht selbst-verständlich sein muss, zeigte die GEW-Fachtagung „Gemeinsame Ziele – ge-meinsame Arbeit – Bildungschancenfür alle“ am 5. Mai 2006 in Kassel. Zumersten Mal trafen sich Beschäftigte ausKitas, Grund- und Förderschulen, umihre Erfahrungen aus dem Arbeitslebenund ihre bildungspolitischen Zielset-zungen auszutauschen. Mehr als 150Teilnehmerinnen und Teilnehmer wa-ren der Einladung gefolgt, ein deutli-ches Zeichen für den hohen Bedarf aneiner solchen Veranstaltung.

Nicht Auslese, sondern eine gemein-same Bildung und Förderung für alle,besonders auch für Kinder mit Migra-tionshintergrund, war eine Hauptforde-rung des Einführungsreferats von Prof.Dr. Charlotte Röhner und bestimmteauch den weiteren Verlauf der Tagung.Für Dagmar Hoppert-Siemon von derGEW-Fachgruppe Grundschule undAndrea Michel von der GEW-Fach-gruppe Sonderpädagogik setzte die

Gewalt und Prävention

Der Gesamtpersonalrat beim StaatlichenSchulamt Offenbach (GPRLL), der rund3.500 Lehrerinnen und Lehrer an 126Schulen in Stadt und Kreis Offenbachvertritt, widersprach der Darstellungdes Schulamts, es gebe „keine Fälle vonkörperlicher Gewalt gegen Lehrkräfteund keine Gewaltfilme auf Schülerhan-dys.“ Der GPRLL berichtete, dass erwiederholt über Gewaltprobleme anSchulen informiert wurde, über körper-liche Übergriffe gegen Schülerinnenund Schüler und Lehrkräfte, auch mitWaffeneinsatz. Diese Informationen sei-en auch Gegenstand von Anfragen andas Schulamt gewesen. Gewaltvideosauf Handys seien an mehreren Offenba-cher Schulen beschlagnahmt worden.

Der GPRLL forderte das Schulamtauf, die Probleme nicht zu verschleiern.Dass in der Stadt Offenbach 24 % derJugendlichen die Hauptschule ohneAbschluss verlassen, gebe „Anlass zurBesorgnis“. Lehrkräften, die Konzeptezur Gewaltprävention und zum sozia-len Lernen entwickeln, fehle es an aus-reichender Unterstützung. Für 40.000Schülerinnen und Schüler seien nurnoch drei Schulpsychologen zuständig.Es fehlen Stellen für Schulsozialarbeitund Förder- und Trainingsprogrammeund Stunden für soziales Lernen undKlassenlehrertätigkeiten.

Fachtagung damit „einen deutlichenKontrapunkt zum aktuellen bildungs-politischen Roll-Back, Bildung aus-schließlich auf Leistung und Verwert-barkeit des Menschen auszurichten“.

Mit der Forderung nach Integrationformulierte die Fachtagung einen Pa-radigmenwechsel, nicht nur im Bereichder pädagogischen Grundpositionen,sondern auch bei der Ausgaben- undPersonalpolitik. So müssten die Ar-beitszeiten in den Kitas, Grund- undFörderschulen dringend so gestaltetsein, dass mehr Zeit für die individuelleFörderung jedes Kindes vorhanden ist.Gemeinsamer Unterricht für Kinder mitund ohne Behinderungen in den Regel-schulen erfordere eine volle Doppel-besetzung. Die Übergänge zwischen denBildungseinrichtungen müssten perso-nell und institutionell begleitet werden:„dies umso mehr, da Anforderungen anSchulfähigkeit gänzlich neu definiertund verbesserte Bildungskonzepte fürFünfjährige entwickelt werden müssen.“

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7 T I TELTHEMAHLZ 6/2006

Sprachfähigkeit,Mehrsprachigkeitund Literacy

„There is no alternative“: Die neoliberale Zauberformel, dasvon Margret Thatcher kreierte TINA-Prinzip, heißt auch inder Schulpolitik heute „weniger Staat und mehr Eigenverant-wortung“. Seit mindestens zehn Jahren propagieren Politike-rinnen und Politiker aller Couleur die Entwicklung „autono-mer“, „eigenverantwortlicher“ oder „selbstständiger“ Schu-len, in vorsichtigen Varianten von Schulen mit „Teilautono-mie“ oder „erweiterter Eigenverantwortung“. Auf jeden Fallhandele es sich um einen „Paradigmenwechsel“, einen „Mega-Trend“, der sich nicht aufhalten, sondern nur mitgestaltenließe: „Enjoy your dance of change“ (1).

Die Vorstellungen der politischen Parteien und der Unter-nehmerverbände sind dabei nicht identisch, aber auf denersten Blick nicht unterscheidbar. Im September 2004 legtedie Vereinigung hessischer Unternehmerverbände (VhU) einPositionspapier „Selbstständige Schule 2015“ vor in der„Erwartung“, dass die Landesregierung das Zukunftsbild derVhU „als Leitvision“ definiert: „Nach unserer Auffassungkann dies (...) nur die ‚Selbstständige Schule 2015’ sein.“Exakt ein Jahr später meldet die Landesregierung Vollzug.Ohne auch nur den Schein einer Restdistanz der Exekutive zuLobbygruppen in einer pluralen Demokratie aufrechterhal-ten zu wollen oder nach Legitimation und Qualifikation derUnternehmer-Lobby zu fragen, legten Kultusministerin KarinWolff (CDU) und VhU-Präsident Weidemann im September2005 ein gemeinsames Positionspapier vor, in dem sich „dieVhU und die Landesregierung über den Fortgang der Quali-tätsverbesserung in der Bildungspolitik verständigen“.

Ende 2004 fand ein „Experimentierparagraf“ (§ 127c) zur„Erprobung neuer Modelle erweiterter Selbstverwaltung undEigenverantwortung sowie rechtlicher Selbstständigkeit“Eingang in das Hessische Schulgesetz. „Mehr Eigenverantwor-tung“ wird im Bereich der beruflichen Schulen mit demModellversuch „Selbstverantwortung plus“ (HLZ S. 14) undim Pilotprojekt „Schule gemeinsam verbessern“ im Bereichdes Staatlichen Schulamts Groß-Gerau/Main-Taunus erprobt.

In einer Regierungserklärung beschrieb KultusministerinWolff im Januar 2006 ihre Vorstellungen für weitere konkre-te Schritte auf dem Weg zu „mehr Eigenverantwortung fürHessens Schulen“ (HLZ S. 8). „Feste Zielvorgaben, derenErreichen regelmäßig überprüft wird“, – so die Standardfor-mulierung aller Veröffentlichungen – die eine Seite derMedaille, „mehr Eigenverantwortung“ die andere. Mit eng-maschigen Lehrplänen, zentralen Abschlussprüfungen,Schulinspektionen und vielfältigem Ranking ist hessischenLehrerinnen und Lehrern, Eltern und Schülerinnen undSchülern die eine Seite lebhaft präsent (HLZ S. 11), die anderebleibt auch nach der Regierungserklärung dürftig: eineJahresstundentafel, Eigenständigkeit in der Personalauswahlin Form der schon lange praktizierten Wahlmöglichkeitzwischen schulbezogener Ausschreibung und zentraler Rang-liste, Schulbudgets für Vertretungsunterricht („Unterrichts-garantie plus“) und Fortbildung (40 Euro pro Lehrkraft). Inder Presseerklärung des HKM wird die Regierungserklärungauf ihren Kern reduziert: „Jede Schule muss sich bewährenund selbst entscheiden, wie sie die von uns gesetzten Zieleerreicht.“ Die umstrittene „Unterrichtsgarantie plus“, dieauch in dieser HLZ wieder einen Schwerpunkt bildet (S. 19),zeigt die „eigenverantwortliche Schule“ von ihrer hässlichs-ten Seite: hohe bildungspolitische Ziele stecken, unzurei-chende Mittel zur Verfügung stellen, über die die Bildungs-einrichtungen „selbstverantwortlich“ entscheiden sollen, und

Mehr Selbstständigkeit für Schulen?diesen dann die Verantwortung für Defizite oder gar dasScheitern zuweisen. Für die GEW ist die „Unterrichtsgarantieplus“ deshalb auch ein Trojanisches Pferd zur Implementie-rung von „größerer Eigenverantwortung“.

Die GEW richtet ihr Hauptaugenmerk regelmäßig auf dieRisiken größerer Eigenverantwortlichkeit. Sie befürchtet• ein „Schwarze-Peter-Spiel“, wenn die Verantwortung fürdie Unterfinanzierung der Bildungseinrichtungen auf dieSchulen abgeschoben wird,• eine Verschärfung der sozialen Auslese, wenn Schulen mit„voller Ergebnisverantwortung“ versuchen, sich unter demDeckmantel ihrer „Autonomie“ schwächerer Schülerinnenund Schüler zu entledigen,• eine Zunahme unterwertiger Beschäftigungsverhältnisse,wenn Arbeits- und Tarifbedingungen nicht mehr zentral,sondern „vor Ort“ geregelt werden,• eine Knebelung und Entdemokratisierung der Schulendurch eine betriebswirtschaftliche Logik, die mit derRessourcenverantwortung in die Schulen einzieht, und• einen zunehmenden Einfluss von gewinnorientierten Un-ternehmen und Anbietern, die auf einen freien Bildungsmarktdrängen, bis hin zur Privatisierung von Bildung.

So stark und begründet die kritischen Positionen der GEWsind, die sich in dieser HLZ in den Beschlüssen von Bundes-und Landes-GEW finden (HLZ S. 9 und 13), so schwach istbisher das Bemühen der GEW ausgeprägt, positiv zu be-schreiben, wie sie sich mehr Autonomie von Schule vorstelltDenn – auch daran sei an dieser Stelle erinnert – Autonomieist zunächst einmal eine Vision der Aufklärung, der Gewerk-schaften immer verpflichtet waren, als „Ausgang aus derselbst verschuldeten Unmündigkeit“, nicht in Form einermarktliberalen Konkurrenzgesellschaft, die dem „Terror derÖkonomie“ unterworfen ist, sondern als Synonym für Mün-digkeit, Selbstbestimmung und Solidarität.

Harald Freiling, HLZ-Redakteur

(1) Wulf-Michael Kuntze, Leiter der Abteilung IV im Hessischen Kultus-ministerium: Schule 2015. Auf dem Weg zu einer Schule mit erweiter-ter Eigenverantwortung. Wiesbaden 2005 (Präsentation)

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8T I TELTHEMA HLZ 6/2006

(...) Autonomie ist kein Selbstzweck, sondern dient derQualität in unseren Schulen. Wenn Sie die früheren Pläne zuEigenverantwortung sehen, können Sie daran ablesen, dassdiese nicht mit klaren Zielsetzungen und ebenso wenig miteiner Überprüfung der Zielerreichung korrespondiert ha-ben. (...) Entsprechend war die Eigenverantwortung. Keinermachte sich Gedanken, auf welchem Fundament die Schulezum Ziel kommen sollte oder wer feststellt: Ziel erreicht. Seiteinigen Jahren stehen wir als Hessische Landesregierungdagegen für ein verlässliches Konzept zur Qualitäts-entwicklung. Deshalb hat unser Konzept zwei Seiten, dieunlösbar zusammen gehören - wie zwei Seiten einer Medail-le: klare Zielvorgaben auf der einen Seite und Evaluationder Ergebnisse auf der anderen Seite. Denn Freiheit undEigenverantwortung heißt bei uns nicht Beliebigkeit, son-dern hat das klare Ziel, den Unterricht und die individuelleFörderung der Schülerinnen und Schüler zu verbessern. (...)

Die eine Seite unseres Konzeptes sind daher feste Zielvor-gaben, deren Erreichen regelmäßig überprüft wird: Nochüber die KMK-Bildungsstandards hinaus, die wir schrittwei-se bis zum Jahr 2008 einführen werden, haben wir uns imKultusministerium strategische Ziele gesetzt, die wir bis2008 erreichen wollen. (...) Zur Überprüfung, ob wir unsereZiele auch erreichen, steht uns in Hessen ein mittlerweileschon erprobtes Evaluations-Instrumentarium zur Verfü-gung. Dazu haben wir im vergangenen Jahr auch ein eigenesInstitut für Qualitätsentwicklung in Wiesbaden eingerichtet- eine zentrale Koordinierungsstelle für mehr Schulqualität.Zu diesem Instrumentarium gehören ferner die Landes-prüfungen in allen Schulformen, schulinterne Vergleichs-arbeiten, der landesweite Mathematikwettbewerb in der 8.Klasse als erste Stufe landesweiter Tests, nicht zuletzt dieinternationalen Bildungsstudien wie TIMSS, IGLU oderPISA, an denen Hessen teilnimmt. Neu kommt in Hessen dieexterne Schulinspektion hinzu. (...) Dieser Schul-TÜV willalle Stärken und Schwächen der Schulen aufzeigen. (...)

Welche Freiheiten unsere Schulen in Hessen ab demkommenden Schuljahr erhalten werden, möchte ich Ihnen indrei Feldern aufzeigen: Unterricht, Personal und Budget. (...)

Ab dem 1.8.2006 wird es eine Jahresstundentafel geben.Dem Unterricht wird nicht mehr eine starr vorgeschriebeneWochenstundentafel zugrunde liegen. (...)

Im Zusammenhang mit dem Unterricht steht auch dieEigenverantwortung der Schulen bei der Unterrichts-vertretung, die sie ab dem Sommer noch stärker überneh-men als bisher. (...) Mit dem neuen Schuljahr haben dieeinzelnen Schulen pro Stelle 1.000 Euro zur Verfügung, ummit ihren vor Ort vorhandenen flexiblen Mitteln – einemeigenen Vertretungsbudget – die verlässlichen Schulzeitendes Stundenplans zwischen der ersten und der sechstenStunde zu garantieren. (...)

Eigenverantwortung im Personalwesen heißt vor allem,dass die Schulen – und speziell die Schulleitungen – künftigmehr Freiheit in der Personalauswahl erhalten. (...) Wirmüssen den Schulleitungen die Möglichkeit geben, sich

Wolff: Mehr EigenverantwortungAus der Regierungserklärung von Kultusministerin Karin Wolff vom 24. Januar 2006

schrittweise ein Kollegium nach den Beschlüssen der Schulezu formen, die ihren Ausdruck im Schulprogramm finden.Deswegen werden die Schulen bereits im kommenden Schul-jahr die Möglichkeit bekommen, 50 Prozent aller freienStellen völlig eigenständig zu besetzen. (...) Die Schulenkönnen entscheiden, ob sie eine nach dem Schulprofil odereinem besonderen Fachprofil formulierte Ausschreibungmachen wollen oder ob sie in der Rangliste – die nach wie vorexistiert und zur Einsichtnahme zur Verfügung steht – dieLehrkräfte finden, die in ihr Schulprofil passen. (...)

Die Schulen bekommen für eigene Fortbildungsveran-staltungen – über das hinaus, was zentral an Fortbildung undan regionaler Fortbildung angeboten wird – ein Budget, dassie frei verwenden können. Sie bekommen seit Jahresbeginn40 Euro pro Stelle. (...)

Das ist aber nur der Anfang. Wir wollen demnächst inForm regionaler Schulhaushalte weitermachen. Das erpro-ben wir im Moment im Modellprojekt „Schule gemeinsamverbessern“, und zwar erfolgreich. Die regionalen Schul-haushalte, in denen die Mittel des Schulträgers und desLandes zusammenfließen, (...) werden wir 2007 flächen-deckend einführen. Die Schulen müssen nicht mehr überle-gen, ob sie Mittel des Landesbudgets oder des Kreisbudgetsausgeben. Und sie müssen nicht mehr überlegen, wie sieauch den letzten Cent ausgeben, um zu verhindern, dass sieGeld verlieren.

All das bedeutet selbstverständlich auch, dass wir einneues und verändertes Schulleitungsbild haben werden. Dasbedeutet, dass „Schulleitung“ für den gelernten Pädagogenim Grunde eine zusätzliche Berufsbeschreibung ist, die eineBerufsqualifizierung und eine entsprechende Arbeitszeitre-gelung erforderlich macht. Deswegen werden wir den Um-fang der Leitungszeit ausweiten und ausweisen. Wir werdenzum neuen Schuljahr die Schulleitungsdeputate, die wirbereits vor zwei Jahren vergrößert haben, um weitere 200Stellen erhöhen. (...)

Wir haben es (...) in den vergangenen Jahren geschafft,in den Schulen und auch der Schulaufsicht eine stärkereVerbindlichkeit und Zielorientierung zu etablieren. DerLeiter des Instituts für Bildungsforschung und Bildungs-recht Frank-Rüdiger Jach hat ganz richtig, wenn auchpointiert kritisch, festgestellt: Wenn Schulen in pädagogi-schen, personellen oder finanziellen Aufgaben selbstverant-wortlich entscheiden können, „wird sich in der Schuleendlich wieder eine Kultur der Verantwortlichkeit entwik-keln.“ HLZ-Zwischenruf: „Starker Tobak: Gibt es in denSchulen jetzt eine Kultur der Verantwortungslosigkeit?“

(...) All dies wird zudem nicht in einem Ministerium amgrünen Tisch entschieden, sondern gemeinsam erarbeitet -etwa im Rahmen der Bildungsforen im letzten Jahr, mitSchulleitungen und auch mit der Schulaufsicht. Es ist imLande Hessen ein gemeinsames Projekt geworden. Dasverstehen wir unter Verlässlichkeit und unter Sorgfalt, diewir schuldig sind.

(Kürzungen: HLZ-Redaktion)

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9 T I TELTHEMAHLZ 6/2006

Wo selbstständige Schulen als Teil einer umfassenden neo-liberalen Verwaltungsmodernisierung geplant werden, sollen• regionale Behörden eingespart werden, die für die ange-messene Versorgung von Schulen mit Lehrkräften und So-zialpädagoginnen und Sozialpädagogen zuständig sind,• Schulen als Betriebe geführt und von einem Schulleiteroder einer Schulleiterin mit weitgehenden Befugnissen alsDienstvorgesetztem oder Dienstvorgesetzter geleitet werden,• durch Budgetierung und selbst zu verantwortende Män-gelverwaltung prekäre Beschäftigungsverhältnisse im Schul-bereich etabliert werden,• Schulen anhand der veröffentlichten Ergebnisse der zen-tralen Arbeiten und einer standardisierten Außenevaluationin Konkurrenz zueinander gesetzt werden,• „wirkungsorientierte Steuerungsprinzipien“ die bisheri-ge „inputorientierte Steuerung“ ablösen.

Das Grundproblem der unzureichenden Gleichheit vonBildungschancen in der Bundesrepublik Deutschland wirdsich mit diesem Schulmodell weiter verschärfen, das Niveauder über bundesweite Vergleichsstudien erhobenen Leistun-gen wird sich nur periodisch und nicht auf Dauer verändern,demokratische Strukturen in Schulen werden nicht aus-,sondern abgebaut. Die GEW muss deshalb die Frage derselbstständigen Schule zu einem Schwerpunkt ihrer Arbeitmachen und mit ihren Alternativvorstellungen zu einerdemokratischen, der Inklusion sowie geschlechterbewusstenund gerechten Bildung verpflichteten Schule in die Ausein-andersetzung eingreifen.• In einer „selbstständigen“ Schule werden Grundsatzent-scheidungen in erster Linie bewusst unter pädagogischen undnicht unter betriebswirtschaftlichen Gesichtspunkten getrof-fen. Schulen bieten einen institutionellen Rahmen fürBildungsprozesse. Sie eröffnen Kindern und JugendlichenRäume zur Selbsterprobung und begleiten ihre Entwicklung.Sie vermitteln Wissen und Erfahrungen und dienen derkulturellen und gesellschaftlichen Reproduktion.• „Selbstständige“ Schulen konkurrieren nicht um Schüle-rinnen und Schüler. „Selbstständige“ Schulen verkürzen dieErgebnisse ihrer pädagogischen Arbeit nicht auf messbareund damit scheinbar vergleichbare Leistungsdaten, sondernsind sich der Komplexität von Erziehungs- und Bildungs-prozessen bewusst. Diesen Bildungsbegriff vertreten sieoffensiv. Pädagoginnen und Pädagogen als Expertinnen undExperten für Bildung und Erziehung sind Anwälte fürumfassende Bildungsinteressen von Kindern und Jugendli-chen und wehren sich öffentlich gegen eine populistischeoder Interessen geleitete Reduzierung von Bildungsan-sprüchen.• Eine Außensteuerung über die Veröffentlichung vonLeistungsdaten, die über zentrale Vergleichsarbeiten gewon-nen werden, führt zur Diskreditierung von Schulen in sozia-len Brennpunkten und von Schulen mit umfassenderemBildungsauftrag, erhöht die Fixierung von Schülerinnen undSchülern, Eltern und Pädagoginnen und Pädagogen aufproduktorientierte statt prozessorientierte Leistungsnach-

GEW: Selbstständige SchuleAus dem Beschluss des Gewerkschaftstags in Erfurt im April 2005

weise und birgt die Gefahr der Reduzierung des schulinternenCurriculums auf die für zentrale Vergleichsarbeiten angekün-digten Unterrichtsthemen. Eine Außensteuerung nach Vor-stellung der GEW muss zur besonderen Unterstützung vonSchulen in sozialen Brennpunkten und von Schulen mitumfassendem Bildungsauftrag führen, Ungleiches muss un-gleich behandelt werden.• Für ihre Binnensteuerung entwickeln „selbstständige“Schulen entsprechende Verfahren, die insbesondere für dieGremien großer Schulen mehr umfassen als Information,Beratung und Abstimmung im Plenum. Entscheidungspro-zesse in demokratischen Schulen sind transparent. Die Schul-leiterinnen und Schulleiter in „selbstständigen“ Schulen sind„Erste unter Gleichen“ mit einem besonderen Auftrag. Sienehmen ihre Leitungstätigkeit bewusst und professionellwahr. Dennoch bleiben sie vom eigenen Selbstverständnisher Pädagoginnen und Pädagogen. „Selbstständige“ Schulenfällen alle grundsätzlichen Entscheidungen mit Ausnahmevon Personalentscheidungen in Gremien, zu denen allePädagoginnen und Pädagogen, alle Mitarbeiterinnen undMitarbeiter der Schule, Vertretungen der Schülerschaft undder Eltern Zugang haben. Vertreterinnen und Vertreter desöffentlichen Lebens sowie der Unternehmen und Gewerk-schaften können Kooperationspartner von Schulen sein. Siehaben keinerlei Rechte, in schulinterne Steuerungsprozesseeinzugreifen.• „Selbstständige“ Schulen evaluieren sich selbst und schal-ten bei Bedarf von sich aus „kritische Freunde“ oder institu-tionell unabhängige und nicht weisungsgebundene Schul-entwicklungsexperten für externe Evaluation.• Die Schulaufsicht gängelt „selbstständige“ Schulen nichtmit kleinlichen Verwaltungsvorschriften. Besoldung, Vergü-tung und Arbeitszeit des pädagogischen Personals werden inTarif- und Beamtenrecht geregelt. Die Mitbestimmung inpersonellen Angelegenheiten findet immer dort statt, wo dieEntscheidung rechtsverbindlich gefällt wird.• „Selbstständige“ Schulen haben Handlungsspielräume beifinanziellen Entscheidungen. Sie erhalten Budgets für Sach-mittel, Fortbildung, kleine Bauunterhaltung. Sie könnenMittel über einen mehr als ein Jahr umfassenden Zeitraumkumulieren. An demokratischen Schulen gibt es kein Perso-nal- und kein Globalbudget.• „Selbstständige“ Schulen verfügen über erhebliche Hand-lungsspielräume bei pädagogischen und schulorganisatori-schen Fragen. So bestimmen sie über die Sozialorganisationder Lerngruppen, die Rhythmisierung des Unterrichts, die Artdes Feedbacks an Schülerinnen und Schüler. Sie können sichentscheiden, bis einschließlich Jahrgang 8 auf Zensuren zuverzichten. Sie können entscheiden, mit welchen Maßnah-men sie Chancengleichheit und Inklusion, geschlechterbe-wusste und geschlechtergerechte Bildung, individuelle För-derung sowie Lebensplanung, Arbeitswelt- und Berufsorien-tierung von Anfang an umsetzen.

(Kürzungen durch die HLZ-Redaktion sind nicht gekennzeichnet.)

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10T I TELTHEMA HLZ 6/2006

Die hessische Landesregierung und die CDU-Fraktion werdennicht müde gebetsmühlenartig „Eigenverantwortung“ oder„Selbstverantwortung“ für Hessens Schulen zu propagieren,zuletzt Kultusministerin Karin Wolff in ihrer Regierungser-klärung vor dem Landtag am 24.1.2006 (HLZ S. 8).

Aber wie sieht die Realität aus? Schule steuert sich nichtselbst, sondern wird gesteuert und zwar durch gesetzlicheVorgaben, Erlasse, Verordnungen, Etat- und Stellenzuwei-sungen, Lehrpläne und so weiter. Diese Steuerung hat sich –trotz aller Bekundungen zu „Entbürokratisierung“ und„Deregulierung“ – in der Amtszeit von Karin Wolff weiterverschärft.• Da gibt es zunächst die zentralen Vorgaben durch dasSchulgesetz und vielfältige Rechtsverordnungen zur Gestal-tung der Schulverhältnisse, Prüfungsordnungen, das Lehrer-bildungsgesetz, Bildungsstandards, Lehrpläne, Dienst-,Aufsichts-, und Konferenzordnungen, die Pflichtstundenver-ordnung, das Beamtengesetz, die Beihilfeverordnung, Besol-dungsgesetze und Tarifverträge.• Was gesetzlich geregelt ist, muss natürlich auch kontrol-liert werden: durch die Schulaufsicht, durch Orientierungs-und Vergleichsarbeiten, durch zentrale, standardisierte Testsmit öffentlichem Ranking (Mathematikwettbewerb), zentralePrüfungen (ebenfalls mit einem landesweiten Ranking), na-tionale und internationale Schulleistungsstudien (TIMSS,PISA, IGLU, DESI), die extensive Sammlung von Schüler-,Lehrer- und Schuldaten (LUSD, SAP) mit zentralen Zugriffs-möglichkeiten des Kultusministeriums, Beschaffungs- undInventarisierungsnachweise und jetzt auch Schulinspektio-nen.• Auch die Stellen und finanziellen Mittel werden zentralgesteuert: durch den Landeshaushalt und die Stellenpläne desLandes und der Schulträger, durch die Zuweisungserlasse fürStellen und Mittel, für Lehr- und Lernmittel, für Fortbildung(zukünftig 40 Euro pro Lehrerstelle).

Was bleibt da noch an „selbstständigen“ Entscheidungs-spielräumen? Die Schulen „dürfen“ Hilfskräfte in prekärenBeschäftigungsverhältnissen für Vertretung und Betreuungakquirieren und Lehrerstunden, Räume und Unterrichts-material im Rahmen enger Vorgaben verteilen. Sie dürfen diegesetzlich verbriefte „pädagogische Freiheit“ nutzen, wennsie zugleich alle Vorgaben einhalten und die zentral definier-ten und abgeprüften „Lernziele“ erreichen. Wo bleibt da das„Mehr an Freiheit“?

Eine der letzten Innovationen aus dem Hessischen Kultus-ministerium (HKM) ist die Einführung des Schul-TÜV, der„Schulinspektion“ auf der Grundlage eines vom Institut fürQualitätsentwicklung (IQ) entwickelten „ReferenzrahmensSchulqualität in Hessen“.

Schulinspektionen sollen – genauso wie zentrale Leis-tungsvergleiche - der „Qualitätsentwicklung und -sicherung“dienen, wenn die hessischen Schulen mehr „Freiheiten“ inpädagogischen, personellen, finanziellen und organisatori-schen Fragen erhalten, ihre „Eigenverantwortung“ auf demWeg zur „selbst gesteuerten Schule“ gestärkt wird. Die

Kontrolle und GängelungWie selbstständig werden Hessens Schulen?

Ergebnisse der umfassenden Schulinspektionen durch dasInstitut für Qualitätsentwicklung (IQ) sollen in die Schulenzurückgespiegelt werden. Unter Anleitung der Schulaufsichtbeim Staatlichen Schulamt sollen die notwendigen internenOptimierungs- und Veränderungsprozesse erfolgen. Dann istes Sache der Schulleitungen, durch „Führung und Manage-ment“ sowie Angelegenheit der Lehrkräfte durch Verbesse-rung ihrer „Professionalität“ für die notwendigen Verbesse-rungen von „Output“ und „Outcome“ schulischer Bildungs-und Erziehungsarbeit zu sorgen.

Im „Referenzrahmen Schulqualität“ sind zahlreiche Kon-trollitems formuliert, unterteilt in 24 „Dimensionen“ oderZiele, 91 Kriterien, 384 Indikatoren. Durch Dokumenten-analyse (Auswertung von Konferenzprotokollen, Stunden-plänen, Schulprogramm, Prüfungsergebnissen, Klassen- undKursbüchern, Schülerarbeiten, Tests, Statistiken) wollen sichdie Prüferinnen und Prüfer „vorab einen Eindruck von denGegebenheiten an der Schule verschaffen“ (HKM-Flyer). Esfolgen Schulbesichtigungen, Interviews, Fragebögen. Das„besondere Augenmerk“ soll auf der „Bewertung von Lehr-und Lernprozessen“ liegen: „Daher nehmen Unterrichtsbesu-che bei den Inspektionen einen breiten Raum ein.“ DerInspektionsbericht geht dann an die Schulaufsicht, die mit derSchule „entsprechende Zielvereinbarungen“ erarbeitet, de-ren Umsetzung wiederum das IQ überprüft. Die Folgenunzureichender Umsetzung sind bisher noch nicht offenge-legt worden.

Schulinspektion mit blinden FleckenAuch wenn sich der „Referenzrahmen“ einer wissenschaftli-chen Terminologie befleißigt, ist er überwiegend ein ideolo-gisches Konstrukt zur Absicherung und Umsetzung derpolitischen Ziele der Landesregierung. Es ist eine unzulässigeVerkürzung, wenn internationale Schulleistungsvergleicheals Beleg für die Behauptung herangezogen werden, dass dieQualität schulischer Bildung im Wesentlichen durch Verfah-ren interner und externer Evaluation „befördert“ werde.Nachweislich spielen der Finanzrahmen, die personellenRessourcen, die Klassengrößen, die Qualität der Schulgebäu-de und ihre Ausstattung eine wesentliche Rolle. Aber willdiese Landesregierung mehr Geld für Schulen ausgeben? DieKochsche „Operation Sichere Zukunft“ hat das Gegenteilbewiesen.

Auch die soziale Herkunft der Schülerinnen und Schülerist ein zentraler Faktor für gute oder schlechte Leistungen.Diese Rahmenbedingungen werden zwar im Referenzrahmenam Rande erwähnt, aber nicht wie die anderen Indikatorenkleinteilig operationalisiert. Vorrangig gelte es „zu berück-sichtigen, wie eine Schule konstruktiv mit begünstigendenbzw. erschwerenden Kontextbedingungen umgeht“ (S. 10).Dies suggeriert, dass die Probleme mit Schülerinnen undSchülern aus „bildungsfernen Schichten“ allein durch ge-schicktes Management und kreatives Engagement zu lösensind.

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11 T I TELTHEMAHLZ 6/2006

Seit längerem ist die Bestrebung des Hessischen Kultusmi-nisteriums (HKM) deutlich, Schulen – vor allem in ökono-mischer Hinsicht – „unabhängig“ zu machen. Vorreiterbilden derzeit die beruflichen Schulen, die an dem Modell-versuch „Selbstverantwortung plus“ teilnehmen. Die Ergeb-nisse dieses Schulversuchs sollen auf sämtliche hessischenSchulen übertragen werden. Im Zuge von „Unterrichts-garantie plus“ drängen vermehrt Privatfirmen auf denMarkt, um Unterricht an Schulen abzudecken. Die wohlwol-lende Haltung des HKM lässt vermuten, dass hier Umwäl-zungsprozesse initiiert werden, die das öffentliche Schulwe-sen in Hessen für den freien Markt öffnen sollen.

Im Zusammenhang mit „Unterrichtsgarantie plus“ bietenUnternehmensberatungen an, auf lokaler Ebene die Koordi-nation zwischen den einzelnen Schulen zu übernehmen. ImBereich des Staatlichen Schulamts Offenbach ist die FirmaEllendt und Heroldt aktiv geworden, eine Partnerfirma derweltweit agierenden KPMG, die mit ihrem „Institut für denöffentlichen Sektor“ die Privatisierung durch PPP-Projekte(public private partnership) vorantreibt und über guteBeziehungen zum Wirtschaftsrat der CDU verfügt. DasStaatliche Schulamt Frankfurt schloss im Dezember 2005einen Rahmenvertrag mit der Firma CampuService derUniversität Frankfurt über den Einsatz arbeitsloser Wissen-schaftlerinnen und Wissenschaftler, die als Leiharbeite-rinnen und Leiharbeiter Unterricht erteilen.

Die Auflösung der Staatlichen Schulämter hatten dieUnternehmerverbände in ihrer Bildungskonzeption für dasJahr 2015 gefordert. Das HKM prüft derzeit, welche Aufga-ben die Schulämter noch wahrnehmen müssen und welche

Droht eine Privatisierung der Schulen?anderweitig vergeben werden können. In einem erstenSchritt ist die Reduzierung der Anzahl der Schulämter unddie Übertragung von Teilaufgaben an das Amt für Lehrerbil-dung (AfL) und das Institut für Qualitätsentwicklung (IQ)geplant.

Die Lehrerfortbildung ist bereits weitgehend privatisiert,den Schulen könnte Ähnliches bevorstehen. Am Endekönnte ein System stehen, in dem keine Staatlichen Schul-ämter mehr existieren, das HKM mit AfL und IQ vor allemakkreditiert und zertifiziert und sich darunter ein freierBildungsmarkt aus „selbstständigen Schulen“, die nach„wirtschaftlichen Gesichtspunkten“ arbeiten, und konkur-rierenden Privatfirmen bildet – mit enormen Auswirkungenauf Bildung, Arbeitsbedingungen und Mitbestimmungs-rechte. Die Dominanz ökonomischer Interessen, die „Verbe-triebswirtschaftlichung“ von Bildung würde die Entwick-lungsinteressen von Kindern, Chancengleichheit, die Inter-essen der an der Schule Beschäftigten und gewerkschaft-liche Perspektiven in den Hintergrund drängen. Mit demVerschwinden der Schulämter würde auch eine Ebene derMitbestimmung beseitigt. Mit einer Beschränkung der Per-sonalvertretung auf die Schulebene würden regionale Mög-lichkeiten der Information, der Kritik und Mitgestaltungbeschnitten.

Wir müssen alle Maßnahmen der Landesregierung dar-aufhin überprüfen, wie weit sie einer derartigen Privatisie-rung den Weg bereiten, und frühzeitig und umfassendAufklärungsarbeit und Widerstand leisten.

Michael Köditz, Herbert Storn

dingte Probleme, nicht fehlende Mittel, nicht eine verkorksteSchulstruktur.

Demokratie: FehlanzeigeBei allen Innovationen des HKM bleiben demokratischeElemente, ohne die eine pädagogisch fortschrittliche Ent-wicklung hin zur selbstständigen Schule undenkbar ist, aufder Strecke. Das Wort „Demokratie“ kommt nicht einmal vor,ebenso wenig wie Begriffe wie Solidarität oder Mitbestim-mung. Eltern und Wirtschaft sollen in den Inspektorenteamsmitarbeiten, eine Beteiligung von Lehrkräften, Personalver-tretungen und Schülerinnen und Schülern ist dagegen nichtvorgesehen. Dass die Bewertung der schulinternen demokra-tischen Kultur nicht auf der Checkliste der Inspektoren steht,kann bei einem zentralistischen „Top-down-Projekt“ nichtverwundern.

In Hessen gibt es – anders als in der Öffentlichkeit postuliert– kein Mehr an Selbstständigkeit oder Freiheit für die Schulen.Das Gegenteil ist der Fall: Es gibt eine verschärfte Gängelungund Kontrolle der Schulen gepaart mit einer ständigen Ver-schlechterung der Arbeitsbedingungen. Es bleibt unterm Strichnur der Versuch, die Verantwortung für die Folgen dieserBildungspolitik von der Regierung auf die „eigenverantwort-lichen“ Lehrkräfte und Schulleitungen abzuwälzen.

Christoph Baumann

Die Schulstrukturdebatte wird – weil politisch uner-wünscht – völlig ausgeblendet, obwohl die Selektionsmecha-nismen nachweislich erhebliche Qualitätsverluste verursa-chen. Empfehlungen, beispielsweise eine problematischeHauptschule in ein integriertes System einzugliedern, gehö-ren wohl nicht zum Auftrag der Inspektoren. Empfehlenwerden sie ein besseres Management durch die Schulleitung,mehr Engagement und Kreativität der Lehrkräfte. Schuld ander Misere ist das pädagogische Personal – nicht milieube-

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Schulreform in den fortgeschrittenen Gesellschaften weistseit gut 15 Jahren im Prinzip übereinstimmende Konzepteund Leitlinien auf. Grundlegend ist die Idee, mehr Kompeten-zen (Befugnisse) an die einzelnen Einrichtungen (Einzel-schulen) zu delegieren. Programmatisch bedeutet dies eineReduktion und qualitative Veränderung der steuernden Zu-griffe des Staates (der Zentrale) auf die Einzelschulen. Letz-tere sollen die zugestandenen Freiheitsräume dazu nutzen, inpädagogischer und organisatorischer Hinsicht selbstständigerzu agieren. Hintergrund dieses Ansatzes ist die Annahme,Schulen würden die Qualität ihrer Arbeit in relativer Freiheiterfolgreich entwickeln. Der Qualitätsbegriff ist freilich in-haltlich diffus und muss definiert werden. Diese Definitionkann nicht ausschließlich in der Autorenschaft der einzelnenEinrichtungen liegen. Schließlich hat die Schule in modernenGesellschaften die Aufgabe, Individuen mit Blick auf diejeweilige Gesellschaft zu qualifizieren und zu erziehen. Indieses Zielspektrum fällt die Notwendigkeit, Traditionen undgesicherte Wissensbestände zu vermitteln wie auch dieAufgabe, sozial integrativ zu wirken. Die Tatsache, dass trotzder Freiheit der Einzelschule notwendigerweise gesellschaft-liche Aufträge erfüllt werden müssen, führt zur Strategie,staatlicherseits relevante Zielvorgaben (Ergebniserwartun-gen) zu formulieren sowie von Schulen Rechenschaft überihre tatsächlich erreichten Arbeitsergebnisse zu verlangen.Das „Austarieren“ von Freiheit und gesellschaftlicher Verant-wortung muss mit wie auch immer konkretisierten „Dezentra-lisierungs-Rezentralisierungs-Konzepten“ bewältigt werden.Das über diesem neuen staatlichen Steuerungsansatz thro-nende Prinzip ist die Ergebnisorientierung: Es kommt daraufan, dass das System und seine Komponenten die erwarteteLeistung erbringen.

1. Kontrolle muss sein.Das Schulsystem, die einzelnen Schulen und die Akteure sindbis in die jüngere Vergangenheit weder durch interne nochdurch externe datenbasierte Kontrollsysteme evaluiert wor-den. Nicht zuletzt dieses Defizit vermag einen Beitrag zurErklärung der schlechten Leistungsbilanz der deutschenSchule zu leisten. Eine externe staatliche Kontrolle scheintdeshalb naheliegend. Für Organisationen, die Dienstleistun-gen oder Produkte in Märkten anbieten, fungieren externeAkteure (Kunden, Käufer, Patienten, Klienten) als eine effek-tive Kontrollinstanz, die die Organisation konstruktiv nutzenkann. Ein Verzicht auf die Berücksichtigung externer Infor-mationen wird zum Untergang führen. Für Schulen existierenmächtige externe Akteure im Prinzip nicht. Eine Aversiongegen „invasive“ Konzepte der Rechenschaftslegung ist somitdurchaus aus Sicht der Schule verständlich.

Soziale Systeme bedürfen der Steuerung. Ein Element derSteuerung ist üblicherweise Kontrolle, dies umso mehr inSystemen, die gemeinsame Ziele erreichen sollen, in Organi-sationen also. Ohne Kontrolle, insbesondere ohne Kontrolleder Ergebnisse, tendieren Organisationen dazu, angestrebteZiele zu verfehlen. Dies resultiert nicht zuletzt aus derTatsche, dass Manager über verlässliche Daten verfügenmüssen, auf deren Grundlage sie wissensbasiert die jeweiligeOrganisation so steuern können, dass die Wahrscheinlichkeitfür Erfolge (Qualität) sich erhöht. Sie haben also ein Interessean der internen Datenerhebung. Kontrolle ist aber auchdeshalb notwendig, weil die Akteure ansonsten tendenzielleher eigene als die Ziele der Organisation verfolgen.

2. Wer kontrolliert, muss auf Einfluss verzichten.Früh in der Diskussion um die erweiterte Selbstständigkeitder Schule, die in Deutschland zunächst nicht mit demParadigma der Ergebnissteuerung verbunden war, befürchte-ten Kritiker den „Rückzug des Staates“. Sofern sich dasArgument auf die Finanzausstattung bezog, mag man denVerdacht nicht vorschnell vom Tisch wischen. Ansonstenkann man sich in Deutschland fast sicher sein, dass der Staatjedenfalls eines nicht lassen wird: das Verfassen von Geset-zen, Vorschriften, Erlassen und Regelungen jeglicher Art.Genau das aber ist international betrachtet problematisch. DieEinführung von Systemen der Rechenschaftslegung ist Aus-druck und Konsequenz der gewährten hohen Selbstständig-keit der Einzelschule. Wir finden in den relevanten Schulsys-temen Konzepte wie die selbstständige Verwaltung der Sach-,Investitions- und Personalbudgets, eigenständige Personal-rekrutierung, wozu auch die Anstellung von Nicht-Lehrerngehört, die Möglichkeit, Lehrer zu entlassen oder systema-tisch Drittmittel einzuwerben. Selbstverständlich sind invielen Ländern hohe pädagogische Freiheitsgrade, die hier-zulande schon durch Klassenbildungserlasse oder Stunden-tafeln verengt sind. Das beste Indiz dafür, dass Rechtetatsächlich delegiert sind, ist erbracht, wenn in der Zentrale

Zwei Seiten einer MedailleZur Notwendigkeit von Rechenschaftslegung

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Personal überflüssig wird oder für neue Aufgaben eingesetztwerden kann. Aber diese neuen Aufgaben sollten produktivsein und nicht zum Problem der operativen Einheit werden.

Rechenschaftssysteme legitimieren sich in den Staaten,die Schulreform im Paradigma der Ergebnissteuerung betrei-ben, durch die Freiheit der Einzelschule. Wenn diese Freiheitaber nicht gewährt wird, ist externe Evaluation – zum Beispielin Form der Schulinspektion – eine zusätzliche staatlicheAktivität im Paradigma der „alten“ Steuerung. Wenn man diealte Steuerung als bürokratisch definiert, dann könnte dieletztgenannte Strategie als Verdoppelung der Bürokratiebezeichnet werden. Rechenschaftslegung muss also „erkauft“werden durch die Ware „Freiheit“. Nur in einer (relativ) freienOrganisation lassen sich die Akteure von der Notwendigkeitund dem Nutzen der Kontrolle überzeugen.

3. Der Staat muss Kompetenz ermöglichenDamit aber eine Zentrale, hier der Staat, Befugnisse, Macht undRechte an eine operative Einheit, hier die einzelne Schule,verantwortlich abgeben kann, müssen dort die Voraussetzun-gen dafür geschaffen sein, dass mit diesen Kompetenzen auchwirkungsvoll verfahren werden kann. Zum Beispiel mussgesichert sein, dass die Arbeit innerhalb der Einheit verteiltund koordiniert werden kann, dass es systematische Kommu-nikationswege gibt oder Zuständigkeiten bekannt sind. Kurz:Die operative Einheit muss eine Struktur aufweisen, innerhalbder sie – jedenfalls dem Prinzip nach – ihrem Auftrag oderihren Aufträgen entsprechend agieren kann. Wenn also derStaat Elemente der Steuerung abgibt, müssen funktional äqui-valente Steuerungsinstrumente auf Ebene der Einzelschuleentstehen. Das ist einer der Gründe, weshalb in vielen LändernSchulleiter wie Manager in einem Unternehmen agieren sollenund können. Eine Ansammlung von lediglich ihrem eigenen(und auch eher individuell formulierten) pädagogischen Ethosverantwortlichen, unkündbaren Mitarbeitern, kann nicht „ge-managt“ werden. Ein solches soziales System ist keine Organi-sation, verstanden als ein System, das darauf ausgerichtet ist,gemeinsame Ziele zu verfolgen, und sein Management entspre-chend justiert. Was nutzt die Flut an Managementliteratur fürSchulleiter und an Leitungspositionen Interessierte sowie diedaran gekoppelten Seminare, wenn diese Akteure unter dengegebenen Bedingungen nicht wie Manager handeln können?Sie können in ihrem Beruf weder wie ein Kapitän auf einemSchiff noch wie der Leiter einer Kaufhausfiliale agieren. Siesind wie der Hausmeister eines Mehrfamilienhauses, der Aus-hänge machen kann, Müll wegräumt, notfalls den Wartungs-dienst für den Lift bestellt, sich aber aus Streitigkeiten genausoheraushalten muss wie aus den Speisezetteln der Haushalte. DiePolitik muss Führung ermöglichen. Schulleiter müssen führendürfen. Und zum „Dürfen“ gehört das „Können“.

4. Der Staat muss klare Vorgaben machen.Die Schule hat wesentliche gesellschaftliche Aufträge zuerfüllen. Die Erwartungen müssen jedoch so definiert sein,dass sie klar sind und realistischerweise auch erfüllbar.Bereits Ende der 80er Jahre mahnte die OECD präziseAufgabenbeschreibungen als Bedingung von Schulreformund Professionalitätsentwicklung der Lehrerschaft an. MitBlick auf das Thema schulischer Rechenschaftslegung liegt esauf der Hand, dass die Gesellschaft als Ergebnis nur einfor-dern kann, was sie vorab beschrieben und durch entsprechen-

de Ressourcen auch ermöglicht hat. Die Debatte um Bil-dungsstandards und Kerncurricula hat gerade erst angefan-gen. Deshalb sollte diesem Bereich der Schulreform einbesonderes Augenmerk zukommen.

5. Der Staat hat ein Recht auf Informationen.Rechenschaftssysteme, z.B. also Inspektionen, sind im Sinneeines Gegenparts der Entscheider zu verstehen. Sie haben dieAufgabe des Controlling. Es dürfte unstreitig sein, dass dieZentrale über Daten verfügen muss. Im Paradigma derErgebnissteuerung aber sollte es sich vorwiegend um Belegeder Ergebnisse handeln: das sind im Falle der Schule vorallem die Kompetenzen, die Schüler durch die schulischeArbeit erworben haben. Es ist entscheidend, wie ich die Fragebeantworte, über welche Daten der Staat verfügen muss, umseine Rolle als Controller auszufüllen. Nicht, was möglich ist,sondern was benötigt wird, sollte erhoben werden. Daten-sammlung und -generierung könnten hypothesengeleiteterfolgen: auf der Basis von Vermutungen darüber, welcheIndikatoren erfolgreiche und nichterfolgreiche Schulen dis-kriminieren. Es muss gesichert sein, dass eben diese relevan-ten Daten erhoben werden. Durch wen sie erhoben werden,z.B. durch externe Inspektoren oder schulinterne Akteure,das ist im Prinzip unerheblich. Die Datenqualität allerdingsmuss gesichert sein. Ungleichheitsreduktion ist für mich einzentrales Qualitätsmerkmal. Auf die Verbesserung der schu-lischen Arbeit in diesem Problemfeld sollte auch die Evalua-tion orientieren. Lächerlich oder doch wenigstens unglaub-würdig machen sich Datensammlung, Evaluation und Schul-inspektion, wenn daraus nichts folgt: weder Sanktionen nochHilfen. Es muss den Schulen nicht nur gesagt werden, wo sieProbleme haben, es muss auch jemanden geben, der ihnenauch vormacht, wie sie es besser machen können. Schul-inspektion ohne Schulentwicklung dürfte demotivieren.

Professor Dr. Wolfgang Böttcher, Universität Münster

Der Text beruht auf einem Vortrag von Wolfgang Böttcher auf derFachtagung des Instituts für Qualitätsentwicklung am 30.6. und 1.7.2005 in Wiesbaden. Der vollständige Text mit Literaturangaben findetsich auf der HLZ-Seite der GEW-Homepage (www.gew-hessen.de).

Bildung ist staatliche Aufgabe• Bildung ist und bleibt staatliche Aufgabe. Der Einmi-schung der Privatwirtschaft muss Einhalt geboten werden.• An Gewinnen orientierte Unternehmen stehen in ihrerZielrichtung quer zur Notwendigkeit, alle Kinder optimalzu fördern und allen Kindern und Jugendlichen optimaleBildungschancen zu verschaffen.• Die Unternehmen sollten von den Politikerinnen undPolitikern verstärkt in die Verantwortung von Artikel 14 desGrundgesetzes genommen werden: „Eigentum verpflichtet.Sein Gebrauch soll zugleich dem Wohle der Allgemeinheitdienen.“ Dazu gehört es, ausreichende, gut bezahlte undmenschenwürdige Arbeitsbedingungen in den Unternehmenzu etablieren, das Problem der fehlenden Ausbildungsplätzeanzugehen, statt die Schuld auf die Jugendlichen oder dieSchule zu schieben. Dazu gehören Transparenz, Mitbestim-mung und ökologische Nachhaltigkeit.(Auszug aus einem Beschluss der Landesdelegiertenkonferenz derGEW Hessen, November 2005)

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Eine erste BestandsaufnahmeWas ist das Plus bei Selbstverantwortung plus?Als sich vor wenigen Jahren bundesweit mit der Umwandlungvon Berufsschulen zu Regionalen Berufsbildungszentreneine Veränderung der Berufsschullandschaft abzeichnete,wurde dies in der GEW anfangs überwiegend positiv gesehen,insbesondere die Chance, die verschiedenen Säulen derberuflichen Bildung, die Aus-, Fort- und Weiterbildungzusammenzuführen. Im Landtag votierten im September2003 alle Landtagsfraktionen dafür, berufliche Schulen zuBildungs- oder Kompetenzzentren weiterzuentwickeln. Dochschon am 23. 3. 2004 wies Professor Richard Huisinga imRahmen der GEW-Tagung „Regionales Bildungszentrum –Perspektiven für Lehrende und Lernende?“ aus gewerkschaft-licher Sicht auf Gefahren hin, wenn gewisse Standards undRahmenbedingungen nicht eingehalten werden:• Imperialismus ökonomischer Handlungsrationalität• soziale Ungleichheiten durch Unterschiede in der Quali-

tät der Bildungsangebote und Entdemokratisierung durchRückbau des öffentlichen Bildungswesens

• Deregulierung von Beschäftigungsverhältnissen• Abbau von Beteiligungsrechten der Beschäftigten• Arbeitsmarktnachteile für Lernende• MarktwildwuchsAm 1. 1. 2005 startete in Ausführung des Landtags-beschlusses der Schulversuch „Selbstverantwortung plus“(SV+) mit 17 beruflichen Schulen (Amtsblatt 2004, S. 572 ff).Auf den Tag genau zwei Jahre nach der erwähnten Tagungwar es für die GEW an der Zeit, am 23. März 2006 in Gießen-Kleinlinden eine erste Zwischenbilanz zu ziehen. Dabeiergab sich für die sechs Handlungsfelder des Projekt folgen-des Bild:• Handlungsfeld 1 „Qualitätsentwicklung“: Insgesamtwurden 44 Projektideen vorgelegt, um neue Lehr- undLernmethoden in den Unterricht einzuführen und selbstor-ganisiertes lebenslanges Lernen zu ermöglichen.• Handlungsfeld 2 „Qualitätssicherung“: 16 Schulen ha-ben sich auf das Qualitätsmanagementsystem Q2-E (Qualitätdurch Evaluation und Entwicklung) festgelegt, das in derSchweiz entwickelt wurde. Es versteht sich als Rahmen-modell für den Aufbau eines ganzheitlichen Qualitätsma-nagements an Schulen und ermöglicht eine Zertifizierung.Eine Schule hat sich für das EFQM-Modell entschieden, dasaus der Wirtschaft kommt. Alle Schulen sollen eine Fortbil-dung für das Qualitätsmanagement durchlaufen.• Handlungsfeld 3 „Organisationsstruktur“: Die Schulenwollen Schulverfassungsmodelle erproben, die dem Hessi-schen Kultusministerium (HKM) vorgelegt und auf ihreVereinbarkeit mit der Experimentierklausel in § 127 c desHessischen Schulgesetzes (HSchG) geprüft werden. Hierzuhaben die Versuchsschulen zum Teil rechtsstaatlich frag-würdige Vorstellungen zu Schulverfassungen, Mitbestim-mungsrechten und Arbeitnehmerrechten vorgelegt.• Handlungsfeld 4 „Personalgewinnung und Personal-entwicklung“: Die Schulen entscheiden selbstständig aufder Grundlage eines Personalentwicklungskonzepts überEinstellung, Fortbildung und Beförderung von Lehrkräftenund sonstigen Mitarbeitern im Rahmen des zur Verfügung

gestellten Budgets. Diese Form von Personalentwicklungsoll schon bald Grundlage der Einstellungspolitik allerSchulen sein und verlässt damit den Experimentierstatus.• Handlungsfeld 5 „Finanzen“: Die Schulen verfügen überein Budget, das sie eigenverantwortlich bewirtschaften. Nurwenige haben Kooperationsverträge zur Zusammenführungvon Mitteln des Schulträgers und des Landes abgeschlossen.• Handlungsfeld 6 „Bildungsangebot und regionales Bil-dungsnetzwerk“: Die Schulen halten Fort- und Weiterbil-dungsangebote als Zusatzqualifikationen im Rahmen einesregional abgestimmten Bildungsprogramms vor. Die Ver-suchsschulen haben 20 Projektideen angemeldet. Da dieSchulen jedoch keine eigene Rechtspersönlichkeit haben,ergeben sich Probleme bei der Umsetzung.Die Teilnahme von Schulen an SV+ entsprang unterschied-lichen Motiven: Selbstdarstellung, Wunsch nach Neuerun-gen, Absicherung und Existenzsicherung der Schule. VieleKolleginnen und Kollegen halten die viel gepriesenenGestaltungsmöglichkeiten heute eher für Schall und Rauch.Sie kritisieren, dass mit SV+ die Konkurrenz unter denSchulen wächst, dass die propagierte Kundenorientierungdem pädagogischen Prozess nicht förderlich ist. GEW-Kolleginnen und -Kollegen fordern Freiräume und größereGestaltungsspielräume. Bisherige Erfahrungen im Schul-versuch zeigen jedoch, dass die Entscheidungsspielräumevon Schulleiterinnen und Schulleitern wachsen, nicht aberdie Freiräume in den Kollegien. Die Experimentierklauselim HSchG werde missbraucht, demokratische Schulverfas-sungen auszuhebeln, die Gesamtkonferenz durch einenSchulvorstand zu ersetzen, transparente Entscheidungspro-zesse und die Rechte der Personalvertretung einzuschrän-ken. Allgemein wird beklagt, dass mit SV+ zusätzlicheArbeit auf die Lehrerschaft zukommt und die erforderlichenRessourcen nicht zur Verfügung gestellt werden. Nicht nurdie Basis muckt auf, auch bei den Schulleiterinnen undSchulleitern der Projektschulen macht sich Enttäuschungbreit, weil Zusagen nicht eingehalten wurden. So wurden die„managementbedingten Einsparungen“ den Schulen nochnicht zur Verfügung gestellt.

Zielsetzung der „Reformprojekte“ aller Kultusverwaltun-gen ist die Steigerung der Effizienz. Bei gleichem odergeringerem Mitteleinsatz sollen bessere Leistungen erzieltwerden: Der „Kunde Schüler“ soll von hoch motiviertenLehrkräften zu Höchstleistungen getrieben werden. Nur istein Fehler im System: Die Arbeitsbelastung der Lehrkräfteund Schulleitungen kann nicht beliebig ausgedehnt werden.Der „Kunde Schüler“ bedarf der Erziehung, Bildung undindividuellen Förderung. Schule darf nicht zum Plus-Marktverkommen! Lehrkräfte sollten keine Bildungsverkäufersein, die für ihre „Bildungsprodukte“ werben müssen undsich auf dem „Bildungsmarkt“ Konkurrenz machen.

Die von Professor Huisinga vor zwei Jahren beschriebe-nen Risiken sind inzwischen zu einer konkreten Gefahr fürein demokratisches Bildungswesen geworden! Deshalb giltes, wachsam zu bleiben und den Anfängen zu wehren.

Adelheid Viesel

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Rechtsstaat, Sozialstaat, Demokratie„Selbstverwaltung“ der Schule aus verfassungsrechtlicher Sicht

In den seit langem unter verschiedenen Aspekten kontroversgeführten Diskussionen über „Schulautonomie“ ist regel-mäßig auch die Frage der rechtlichen beziehungsweiseverfassungsrechtlichen Grenzen einer Verlagerung zentralerVerantwortlichkeiten und Kompetenzen auf die einzelnenSchulen thematisiert worden. Sie hat in den Diskussionen umdie Verabschiedung des hessischen und des niedersächsi-schen Schulgesetzes zu Beginn der neunziger Jahren eineRolle gespielt, die seinerzeit als erste Elemente einer stärke-ren Eigenverantwortung der Schulen im geltenden Schul-recht verankert haben. Bereits zu Beginn der achtziger Jahrehat der Deutsche Juristentag in einem Musterentwurf für einLandesschulgesetz Eckpunkte für die Regelung schulrecht-licher Fragen im Spannungsverhältnis zwischen staatlicherGesamtverantwortung und Eigenverantwortung der Einzel-schule formuliert.

Die Politik in Hessen in den letzten beiden Legislaturpe-rioden, die Auswirkungen oder Ausstrahlungen der „NeuenVerwaltungssteuerung“ (NVS) auf den Bildungsbereich, dieProjekte „Selbstverantwortung plus“ im Berufsschulbereichund „Unterrichtsgarantie plus“ geben Anlass, den rechtlichenbeziehungsweise verfassungsrechtlichen Rahmen, den Schul-politik im Spannungsverhältnis zwischen Gesamtverantwor-tung und Eigenverantwortung zu beachten hat, zu rekapitu-lieren – insbesondere weil das Hessische Kultusministerium(HKM) die Frage nach rechtlichen Voraussetzungen, Mög-lichkeiten und Grenzen bei seinen Überlegungen eher ver-nachlässigt und lieber nach der forschen Devise „everythinggoes“ verfährt.

Schule und SozialstaatDer verfassungsrechtliche Rahmen für die Möglichkeiten undGrenzen einer „Selbstverwaltung“ der öffentlichen Schule istdurch das Sozialstaatsprinzip, das Rechtsstaatsprinzip unddas Demokratieprinzip abgesteckt.

Die Bereitstellung, Finanzierung, Unterhaltung und Ge-staltung des öffentlichen Schulwesens ist ein zentrales Ele-ment des sozialstaatlichen Auftrages des Grundgesetzes (GG)der Verfassungen der Länder, insbesondere auch der hessi-schen Verfassung (HV). Die Pflicht des Staates, für einleistungsfähiges und sozial gerechtes Schulwesen zu sorgen,ergibt sich aus dem Sozialstaatsgebot (Art. 20 Abs. 1, Art. 28Abs. 1 GG) und aus dem Recht des Kindes auf gleiche Chancenbei der Entfaltung seiner Persönlichkeit und der freien Wahlder Ausbildungsstätte (Art. 2 Abs. 1 bzw. Art. 12 Abs. 1 inVerbindung mit Art. 3 Abs. 1 GG). Schulerfolg entscheidet imwachsenden Maße über Lebenschancen. Dies gilt umso mehr,je stärker sich unsere Gesellschaft zu einer „wissensbasiertenGesellschaft“ entwickelt. Um gleiche Bildungschancen zugewährleisten, müssen Schulen ein Mindestmaß an gleicherQualität aufweisen. Dies schließt Unterschiede der Schulorga-nisation, der pädagogischen Arbeit und in anderen Bereichennicht aus, doch bleibt der Staat im Rahmen seiner rechtlichenund tatsächlichen Möglichkeiten verpflichtet, seine Verant-

wortung für das Schulwesen so einzusetzen, dass die Qualitätvon Unterricht und Erziehung an allen Schulen möglichstgleich ist. Hieraus ergibt sich eine Steuerungsaufgabe, die derStaat wahrzunehmen hat.

Welche Steuerungselemente er insoweit einsetzt, istsicherlich nicht durch Recht oder Verfassungsrecht vorge-geben. Steuerungselemente, die ungeeignet und unwirk-sam sind, um qualitativ gleiche Bedingungen und damitChancengleichheit herbeizuführen, sind jedoch auch ausRechtsgründen zu verwerfen. Wenn eine indirekte Steue-rung über den Markt und über Konkurrenzbeziehungenzur Vertiefung bestehender Ungleichheiten und wachsen-den Qualitätsunterschieden führt, so ist dies nicht nurpolitisch abzulehnen, sondern auch aus Rechtsgründen zuverwerfen.

Schule und RechtsstaatDie öffentliche Schule unterliegt den Bindungen des Rechts-staates. „Schulen sind keine Inseln im Rechtsstaat“, formuliertHermann Avenarius, profilierter Autor und Kommentator zuFragen des Schulrechts. Im Zentrum steht der Grundsatz des„Vorbehalts des Gesetzes“. Danach ist der demokratischlegitimierte Gesetzgeber verpflichtet, alle entscheidendenFragen der Gestaltung des Schulwesens in organisatorischerund pädagogischer Hinsicht sowie im Hinblick auf dieRessourcenzuweisung selbst im Rahmen förmlicher Gesetzeoder aufgrund eindeutig und klar definierter gesetzlicherErmächtigungsnormen vorzunehmen und sich dabei amMaßstab der Herstellung qualitativ gleicher Bedingungen füralle Schülerinnen und Schüler zu orientieren hat (1). Diessetzt schulischer Selbstverwaltung überall dort Grenzen, woauf der Ebene der Einzelschule getroffene Entscheidungenaktuell oder potenziell dazu führen, dass sich die Unterrichts-und Erziehungsbedingungen qualitativ auseinander entwi-ckeln, auf unterschiedliche Ausgangsvoraussetzungen undRahmenbedingungen nicht kompensatorisch im Sinne einesAusgleichs bestehender Differenzen eingewirkt wird, son-dern im Gegenteil eine Konkurrenz zum Beispiel um Ressour-cen, um Schülerinnen und Schüler oder um Lehrkräfte dazuführt, dass die Qualität von Schulen und damit auch dieUnterrichtsbedingungen und Lebenschancen für Schülerin-nen und Schüler an unterschiedlichen Schulen immer weiterauseinander driften.

Zudem sind zahlreiche Entscheidungen innerhalb derSchule, insbesondere über Versetzungen, Schulwechsel, Zeug-nisse und Abschlüsse staatliche Hoheitsakte. Im Rechtsstaatmuss die Rechtmäßigkeit jeder dieser Entscheidungen über-prüfbar sein. Begreift man Schulen dagegen als „sich selbstverantwortliche Dienstleistungsunternehmen“, die sich aufeinem realen oder virtuellen Bildungsmarkt bewähren muss,so geht eine rechtsstaatliche Kontrolle von Entscheidungen,die sich direkt oder indirekt auf die Wahrnehmung vonRechten und den Zugang zu gleichen Lebenschancen auswir-ken, ins Leere.

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Schule und DemokratieSelbstverwaltung der Schule muss sich darüber hinaus amDemokratiegebot des Grundgesetzes orientieren, das zunächstfür die innere Verfassung der Schule von zentraler Bedeutungist. Die Erziehung der Schülerinnen und Schüler im demokra-tischen Geist verlangt, dass die Schulverfassung partizipatorischausgestaltet wird und den Lehrkräften, Schülerinnen, Schülernund Eltern Mitwirkungs-, Selbstverwaltungs- und Selbstge-staltungsrechte einräumt. Insoweit stützt das Demokratie-prinzip die Forderung nach größerer Eigenverantwortung derSchulen und nach weniger bürokratischem Durchgriff derstaatlichen Schulverwaltung in Angelegenheiten, die in derVerantwortung der Einzelschule besser aufgehoben sind.

Die Gestaltung des Schulwesens ist im Interesse allerBürgerinnen und Bürger, vor allem aller Schülerinnen undSchüler nach den Grundsätzen des Bundesverfassungsgerichtszunächst vorrangig Aufgabe der demokratisch gewähltenParlamente, nicht der früher im Schulbereich dominierendenVerwaltung. Wenn für bestimmte Entscheidungen nur derGesetzgeber legitimiert ist, so gilt dies erst recht, wenn derStaat Verantwortung an Schulen als autonome Verwaltungs-einheiten abgibt, auch wenn diese intern partizipatorischverfasst sind. Es widerspricht dem Demokratieprinzip, „wennsich die Gesamtverantwortung des Staates für das Schulwesenin politisch nicht mehr beeinflussbare Subsysteme auflöst undder Staat damit handlungsunfähig wird“ (Avenarius).

Modellprojekt „Selbstverantwortung plus“In der Beschreibung des Modellprojekts „Selbstverantwortungplus“ (Amtsblatt 2004, S. 572 ff.) wird das Ziel formuliert, durch„weitestgehende Selbstständigkeit“ der Schule alle Möglich-keiten der „Steigerung und Sicherung der Qualität des Unter-richts“ auszuschöpfen. Erste Erfahrungen mit den bisherigenUmsetzungsschritten bestätigen Zweifel, wie die staatlicheGesamtverantwortung für vergleichbare Bedingungen an al-len Schule gewahrt und die Übereinstimmung mit geltendemRecht und Verfassungsrecht gesichert werden soll.

Das Modellprojekt beschreibt sechs Handlungsfelder (HLZS. 14). Im Handlungsfeld „Organisationsstruktur“ sollenSchulen die Möglichkeit erhalten, sich eine veränderteSchulverfassung zu geben. Alle Beispiele für mögliche Ver-änderungen laufen auf eine Stärkung der Rolle der Schullei-tung im Verhältnis zu den schulischen Kollegialorganenhinaus. Politisch kann und muss man dies kritisieren. Juris-tisch ist ein anderer Aspekt von Bedeutung: Wenn Schulenselbstständig über eine neue Gewichtung im Verhältniszwischen Schulleitung, schulischen Gremien und Kollegienentscheiden, somit selbst zwischen unterschiedlichen Schul-verfassungen „wählen“ können, dann ist das mit rechtsstaat-lichen Maßstäben nicht zu vereinbaren: Die Kompetenz-verteilung zwischen Schulleitungen und schulischen Kolle-gialorganen ist allein Sache des Gesetzgebers.

Im Handlungsfeld „Finanzen“ sollen Schulen Selbstver-antwortung bei der Entscheidung über die Mittelverwendungim Rahmen eines Gesamtbudgets erproben. Für eine erweiter-te Budgetverantwortung von Schulen gibt es sicherlich vielegute Gründe. Soll das Gesamtbudget jedoch auch die Mittelfür Personal einschließen, so wäre eine freie Entscheidung derSchule über die Verausgabung von Mitteln entweder fürPersonal oder für sonstige Vorhaben mit der sozialstaatlichenPflicht einer qualitativ gleichen Personalversorgung nicht zu

vereinbaren. Qualitativ gleichwertig bedeutet insofern auch,dass auf ungleiche Ausgangsvoraussetzungen und Rahmen-bedingungen mit einer entsprechend differenzierten Perso-nalzuweisung reagiert werden muss.

Ebenso problematisch ist der Hinweis, die bisherige In-putsteuerung solle durch eine ergebnisorientierte Output-steuerung ersetzt werden. Outputsteuerung ist eine betriebs-wirtschaftliche Kategorie, die bedeutet, dass Ressourcen (ver-mehrt) dahin fließen, wo die „besten“ Resultate erzielt werden,und Ressourcen dort abgezogen werden, wo nach betriebswirt-schaftlichen Kriterien der Mitteleinsatz am wenigsten effizientist. Im Schulbereich fordert der sozialstaatliche Auftrag jedoch,dass die Ressourcenzuteilung im Prinzip gleich, unter be-stimmten Umständen auch kompensatorisch ungleich zu erfol-gen hat: Mittel sind verstärkt dort einzusetzen, wo untervergleichsweise ungünstigen Ausgangsvoraussetzungen undRahmenbedingungen ein höherer Mitteleinsatz erforderlichist, um vergleichbare Resultate erzielen zu können.

Die Einwerbung von Drittmitteln soll einen Beitrag zurFinanzierung der „weitgehend selbstverantwortlichen Schu-len“ leisten. Dass für Schulen in unterschiedlichen regiona-len, sozialen und ökonomischen Umfeldern hier ganz unter-schiedliche Voraussetzungen und Chancen bestehen, liegt aufder Hand. Wenn man über einen Finanzierungsbeitrag durchDrittmittel nachdenkt, so müssen unter sozialstaatlichenAspekten standortbedingte Unterschiede kompensatorischausgeglichen werden. Hiervon ist in der Projektbeschreibungallerdings keine Rede, im Gegenteil: Eine „Querfinanzierung“wird ausdrücklich ausgeschlossen, um – der betriebswirt-schaftlichen Logik folgend – „Wettbewerbsverzerrungen“auszuschließen.

Im Handlungsfeld „Personalgewinnung und Personalent-wicklung“ soll die Schule „ihren Personalbedarf selbst (er-mitteln) und (...) soweit wie möglich über die Einstellung desPersonals im Rahmen des zur Verfügung stehenden Budgetsentscheiden“. Schon heute „ermitteln“ Schulen ihren Personal-bedarf als Stellenanforderung für die Schulverwaltung. Obsie dann das benötigte Personal erhalten, ist eher zweifelhaft.Gesichert ist lediglich eine halbwegs gleichmäßige undannähernd sachgerechte Verteilung der vorhandenen Mittelund Personalressourcen. Beim Modell der weitgehend selbst-ständigen Schule ist nicht daran gedacht, die Mittel für allebedarfsangemessen zu erhöhen, so dass jede Schule so vielPersonal auswählen und einstellen kann, wie sie benötigt.Verändert werden sollen die Mechanismen der „Zuteilung“.Schulen sollen um Lehrkräfte konkurrieren. Daraus ergebensich zwangsläufig Vorteile für die Schulen, die durch ihrsoziales und regionales Umfeld mit besseren Standort-bedingungen werben können. Ein dezentrales Verfahren derPersonalgewinnung, das zu einer quantitativ und qualitativunterschiedlichen Personalausstattung der Schulen führt, istmit sozialstaatlichen Grundsätzen nicht vereinbar.

Die alleinige Entscheidung jeder Schule, welches Personaleingestellt werden soll, stößt im Übrigen an die verfassungs-rechtliche Schranke, dass der Zugang zum öffentlichen Dienstausschließlich nach Leistung, Eignung und Befähigung zuregeln ist. Dies lässt sich rechtsstaatlich nur gewährleisten,wenn bei der Einstellung allgemeine Kriterien berücksichtigtwerden, die im gesamten Bereich des Arbeitgebers, hier desLandes Hessen, gelten. In Bezug auf eine bereits jetzt mög-liche Einstellung über eine schulbezogene Stellenausschrei-bungen hat die Rechtsprechung wiederholt darauf hingewie-sen, dass bei der Einstellungsentscheidung Anforderungen,

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die sich aus schulspezifischen Besonderheiten ergeben, nurnachrangig berücksichtigt werden dürfen. Dies mag man ausder Sicht der Schule im Einzelfall bedauern, ohne Preisgabeeines rechtsstaatlichen Einstellungsverfahrens ist dies jedochnicht zu ändern.

„Unterrichtsgarantie plus“Auch das Ansinnen, Schulen sollten Vertretungsunterrichtinnerhalb der ersten fünf Wochen auch durch nicht, nochnicht oder nicht mehr hinreichend qualifiziertes Personalabdecken, ist mit dem sozialstaatlichen Gebot einer qualitativangemessenen Gestaltung des Unterrichtsangebots nicht ver-einbar. Korrespondierend zu der durch Verfassung undSchulgesetze angeordneten Schulpflicht können Schülerin-nen, Schüler und Eltern verlangen, dass in der öffentlichenPflichtschule qualitativ angemessener Unterricht gehaltenwird. Die Übertragung von Unterrichtsaufgaben an nichtqualifiziertes Personal greift in dieses Recht ein. Würde dasLand einen Teil der regulären Einstellungen durch einlandesweites Programm zur Gewinnung von „Hilfslehr-kräften“ ersetzen, wäre die rechtliche Unhaltbarkeit fürjedermann offensichtlich. Aber auch wenn die Verantwor-tung für die Gewinnung von Hilfslehrkräften und für dieErteilung der vom Schulgesetz geforderten „Unterrichts-erlaubnis“ auf die einzelne Schule verlagert wird, geltendieselben rechtlichen und verfassungsrechtlichen Maßstäbe.

Die Absicht, die Verantwortung für die Folgen einerunzureichenden Personalversorgung bei den Schulen, insbe-sondere bei den Schulleitungen abzuladen, ist nicht nurpolitisch zu kritisieren, sondern auch mit geltendem Rechtnicht vereinbar.

Größere Entscheidungsfreiräume und Gestaltungsrechteder einzelnen Schulen sind dort sinnvoll, wo sie vor OrtKreativität Phantasie und Engagement im Interesse derUnterrichtsqualität fördern. Die Verantwortung des Staates,das nur durch ihn Leistbare zu tun, bleibt davon völligunberührt. Dies gilt für die Ressourcen, die die Schulenbenötigen, genauso wie für die Instrumente einer pädagogi-schen Steuerung, die einer erweiterten pädagogischenSelbstständigkeit der Schulen entsprechen. Ein solches Sys-tem der Steuerung ist anspruchsvoll. Der hessische Weg, dietraditionellen schulformbezogenen, stofflich überfrachtetenLehrpläne durch simple Unbenennung zu Bildungsstandardszu erklären, zeigt, wie gründlich dieser Versuch misslingenkann. Sie sind kein Instrument schulübergreifender Qua-litätssicherung und behindern zusätzlich eigenverantwort-liche pädagogische Gestaltung.

Damit der Staat auch bei wachsender Eigenverantwortungder einzelnen Schulen seiner unveränderten Gesamtverant-wortung für alle Schulen nachkommen kann, kann er aufwirksame Steuerungsinstrumente nicht verzichten. Im Zwei-fel sind geeignete Instrumente neu zu entwickeln. Das Kon-zept einer Trennung von Schulaufsicht und Beratung inGestalt einer Schulinspektion, kann ein grundsätzlich sinn-voller Weg sein. Dass dies auch für die jetzt in Hesseninstallierte Variante gilt, muss man unter den Bedingungender Schulpolitik dieser Landesregierung allerdings eherskeptisch sehen.

Dr. Hartwig Schröder, Leiter der Landesrechtsstelle der GEW Hessen

(1) Grundlegende Überlegungen zum Rechtsstaatsprinzips imSchulbereich finden sich in dem Artikel „Rechtsstaat light?“ von Hart-wig Schröder in der HLZ 4-5/2006.

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18HLZ 6/2006S T U D I E N G E B Ü H R E N

500 bis 1500 Euro pro SemesterStudierende protestieren gegen geplanten Verfassungsbruch

Die hessische Landesregierung hat ei-nen Gesetzesentwurf zur Einführungallgemeiner Studiengebühren vorge-legt. Alle Studierenden sollen ab demWintersemester 2007/08 Studiengebüh-ren in Höhe von 500 Euro pro Semesterzahlen. Härtefallregelungen gibt eskaum, selbst BAföG-Empfänger sollenzur Kasse gebeten werden. Besondershart kann es ausländische Studierendeaus Nicht-EU-Staaten treffen, da denHochschulen anheim gestellt wird, fürsie Gebühren bis zu 1.500 Euro zuerheben. Auch für Zweit-, Promotions-und Masterstudiengänge sollen dieHochschulen perspektivisch Gebührenbis zu 1.500 Euro erheben dürfen.

Die Landesregierung begeht mit ih-rem Gesetzesentwurf einen klaren Ver-fassungsbruch, da die hessische Verfas-sung ausdrücklich Studiengebührenverbietet. So heißt es in dem mit „Unter-richtsgeldfreiheit“ überschriebenen Arti-kel 59 der hessischen Verfassung: „Inallen öffentlichen Grund-, Mittel-, hö-heren und Hochschulen ist der Unter-richt unentgeltlich.“

Um die Verfassung zu umgehen, hatdie hessische Landesregierung einRechtsgutachten bei Christian Graf vonPestalozza in Auftrag gegeben, das zudem Schluss kommt, dass allgemeineStudiengebühren nach der Landes-verfassung „unabhängig von Art. 59Abs. 1 HV geboten“ sind. Skandalös istinsbesondere die Empfehlung des Gut-achtens, die Einführung von Studienge-

bühren mit den „leeren öffentlichenKassen“ zu begründen: Die Realisie-rung sozialer Grundrechte stünde unterdem „Vorbehalt des Möglichen“. DerStaat könne sich „ angesichts der knap-pen (und nicht ohne weiteres vermehr-baren) öffentlichen Mittel und der Viel-zahl sonstiger legitimer, aber kostenin-tensiver Aufgaben die Unentgeltlich-keit des Hochschulunterrichts womög-lich nicht mehr ‚leisten’.“ Folgt mandieser Argumentation, könnte jede Lan-desregierung unliebsame Grundrechtedurch ihre Steuerpolitik und absicht-lich herbeigeführte Haushaltslöcher re-lativieren und unterlaufen. Der Willkürwären Tür und Tor geöffnet. Zumal diehessische Landesregierung dafür be-kannt ist, dass sie auf die Besteuerunghoher Einkommen und Unternehmens-gewinne bewusst verzichtet.

Die Landesregierung ist der Ansicht,mit einem Darlehensmodell der sozia-len Gerechtigkeit Genüge getan zu ha-ben. Studierende sollen einen Kreditaufnehmen können, mit dem die Stu-diengebühren an den Hochschulen be-glichen werden. Das Darlehen muss nachAbschluss des Studiums mit Zinsen zu-rückgezahlt werden.

Der Landesvorstand der GEW hatsich auf seiner jüngsten Sitzung erneutentschieden gegen Studiengebührenausgesprochen. Studiengebühren seienin keiner Form „sozialverträglich“, son-dern immer ein Instrument sozialer Se-

lektion. Auch die Kreditfinanzierungvon Gebühren werde Menschen mitgeringem finanziellem Rückhalt vonder Aufnahme eines Studiums abschrek-ken und den Hochschulzugang weiterdrastisch einschränken.

Gegen soziale Selektion und die Pri-vatisierung der Bildungskosten durchStudiengebühren werden sich GEW,Landesastenkonferenz (LAK) und Schü-lervertretungen gemeinsam zur Wehrsetzen. An den meisten Hochschulenhaben unmittelbar nach dem Beschlussder Landesregierung Vollversammlun-gen mit mehreren tausend Studierendenstattgefunden. Mit einer landesweitenResolution setzen sich die Studierendenunter dem Titel „Für ein gerechtesBildungssystem – gegen Studiengebüh-ren!“ auch für die Rücknahme der bereitsexistierenden Studiengebühren für„Langzeitstudierende“ ein. Die hessischeLandesregierung wird aufgefordert, „ihreVerantwortung zur Finanzierung derHochschulen“ wahrzunehmen. An derTU Darmstadt, an der Universität und derFH Gießen konnten die Studierendenerste Erfolge verbuchen: Die Senate derHochschulen haben sich deutlich gegendie Einführung allgemeiner Studienge-bühren ausgesprochen. In Gießen, Frank-furt und Marburg demonstrierten meh-rere tausend Studierende gegen die Plä-ne der Landesregierung. „Bildung füralle – und zwar umsonst!“ und „Bildungdarf kein Luxus sein!“ war auf den Trans-parenten zu lesen.

Die Proteste gehen weiter: GEW undLandesastenkonferenz rufen gemeinsamzu einer zentralen Demonstration inFrankfurt am 28. Juni 2006 gegen denhessischen Bildungskahlschlag durch„Unterrichtsgarantie plus“ und Studi-engebühren auf. Koch & Co wollen dasHochschulstudium zu einem Privilegder Wohlhabenden machen und denSozialabbau weiter voran treiben: Siewerden auf unseren entschiedenen Wi-derstand treffen.

Carmen Ludwig und Ole Snoeijer

Carmen Ludwig ist stellvertretende Landesvor-sitzende der GEW Hessen, Ole Snoeijer hoch-schulpolitischer Referent im AStA der Univer-sität Gießen.

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19 HLZ 6/2006 „ U N T E R R I C H T S G A R A N T I E P L U S “

500 bis 1500 Euro pro SemesterStudierende protestieren gegen geplanten Verfassungsbruch

Zwei Dinge stehen jetzt schon fest: Die„Unterrichtsgarantie plus“ wird nichtwie geplant der Wahlkampfschlager derCDU. Und die Freiheit verheißendeTünche von der propagierten „selbst-ständigen Schule“ ist ab: Machen dieSchulen nicht „freiwillig“, was das Kul-tusministerium (HKM) will, dann wirdmit der geplanten Schulgesetzänderungbis ins Kleinste von oben diktiert.

CDU will Schulgesetz ändern

Die Auseinandersetzung um das mit 16Millionen Euro sehr bescheiden dotierteProjekt ist in den letzten Monaten außer-gewöhnlich breit und intensiv geführtworden. Der Strom an Protestresolutionenund offenen Briefen von Personalver-sammlungen, Elternbeiräten und Schul-leiterversammlungen reißt nicht ab. Ge-meinsam ist die Kritik an der Miss-achtung von Qualitätsstandards in derschulischen Bildung durch die Deprofes-sionalisierung des Lehrberufs und diewachsende Unzufriedenheit mit der chro-nischen Unterfinanzierung des Bildungs-wesens. Man kann die Beschwörungsfor-mel vom „Bildungsland Hessen“ einfachnicht mehr hören. Zu Recht fürchtenzudem die Lehrkräfte, dass die Kultusmi-nisterin unbezahlte Mehrarbeit zum Re-gelfall machen will, was sie in ihrenHandreichungen offen, im Hirtenbrief andie Lehrkräfte vom 9. Mai verklausuliertandroht. Zu Recht wollen die Eltern, dassder Unterricht für ihre Kinder wederausfällt noch von minderqualifiziertemVertretungspersonal gehalten wird. Undzu Recht sehen die Landesbedienstetenim dem brachialen Tarifbruch bei derBezahlung den politischen Willen derLandesregierung, die Standards der Ge-hälter einseitig zu diktieren.

Die Resonanz in den Medien istebenfalls ungewöhnlich: In Berichtenund Kommentaren selbst üblicherweiseder Landesregierung wohlgesonnenerBlätter dominiert ganz eindeutig har-sche Kritik. Intensive Reisetätigkeit derMinisterin und leitender Beamter zuDienstversammlungen von Schulauf-sicht und Schulleitungen bringt offen-sichtlich nicht die gewünschte Zustim-mung. Vereinzelte Versuche der Ein-

schüchterung von Schulleiterinnen,Schulleitern und Personalräten wirkeneher kontraproduktiv. Hektische hand-werkliche Korrekturen am Konzept –bald wird es wohl wieder neue „Hand-reichungen“ geben – nerven allmählichauch die wenigen Sympathisanten desProjekts in der Bildungsverwaltung.

Kein Wunder, dass der Tonfall in derÖffentlichkeitsarbeit der CDU immerschriller wird, die Argumente immerabenteuerlicher: Neuerdings betreibt dieGEW demnach nicht nur „Sabotage“ undrechtlichen Missbrauch, sondern ver-sucht auch noch, „Lehrereinstellungenzu boykottieren“ (!) und den Lehrerberufzu „diskreditieren“. Was soll man dazunoch sagen! In der Hektik der Verteidi-gung von „Unterrichtsgarantie plus“kommt es auch zu manch interessantemLapsus: So teilt die HKM-Pressespreche-rin mit, eine „echte Lehrerreserve“ wür-de nach Berechnung des Ministeriums„eine Viertelmilliarde Euro kosten undsei somit nicht finanzierbar“ (Darmstäd-ter Echo vom 22. 2. 2006). Ohne hier indie Debatte einzusteigen, wie denn ande-re OECD-Länder diese Finanzierungschaffen, sei doch wenigstens die Frageaufgeworfen, wie „unecht“ dann ein Ver-tretungskonzept ist, das mit 16 Millio-nen Euro dotiert ist.

Oktroyierte Selbstständigkeit

Angesichts des drohenden Scheiterns desProjektes hat vor Ostern die CDU-Land-tagsfraktion das Heft in die Hand genom-men, seit kurzem soll „Unterrichtsgarantieplus“ sogar „Chefsache“ sein. Die neueMethode zur Durchsetzung ist eine ganzalte, die man neudeutsch „top down“nennt. Mit mehr „Eigenverantwortung“hat all dies nichts mehr zu tun.

Ein zentrales Element der Neuen Ver-waltungssteuerung ist das „Kontrakt-management“, in dem mit „Zielverein-barungen“ im Sinne einer kooperativenFührung gearbeitet wird. So sollte es bei„Unterrichtsgarantie plus“ sein: Das HKMvereinbart mit den Schulleitungen, dasskein Unterricht mehr ausfällt, und stelltihnen dafür etwas Geld und vor allem„Handreichungen“ mit vielen Empfeh-lungen zur Verfügung. Die Schulleitun-

gen entscheiden dann „selbstständig“,wie sie dieses Ziel erreichen. Nun stelltsich heraus, dass viele Schulleitungen(und Eltern und Lehrkräfte) sagen, dasssie die Vereinbarung zu diesen Konditio-nen nicht unterschreiben können undwollen. Für den Fall hat die Landesregie-rung vorgesorgt. Im „Konzept zum Kon-traktmanagement in der Landesverwal-tung“ heißt es: „Im Regelfall bestehenhierarchische Weisungsverhältnisse zwi-schen den Kontraktpartnern. Innerhalbdieser Steuerungsebenen ersetzt damitder Kontrakt die mögliche Weisung (... )Im Falle einer fehlenden Einigung müs-sen die Kontrakte von der jeweils über-geordneten Steuerungsebene durch eineWeisung ersetzt werden.“

Folgerichtig transformiert die CDU-Fraktion in ihrem Antrag zur Schulge-setzänderung den harten Kern der als„Empfehlung“ deklarierten „Handrei-chungen“ in gesetzliche Zwänge. Der„selbstständigen Schule“ bleibt es dannüberlassen, die „externen Vertretungs-kräfte“ für den Vertretungspool suchenzu dürfen. „Interessensbekundungen“ lie-gen bereits in den Arbeitsagenturen aus,so dass es nicht einmal nur Freiwilligesein werden. Das Mitbestimmungsrechtder Personalräte soll durch verkürzteFristen und die Möglichkeit, Vertretungs-kräfte auch ohne Zustimmung in denPool aufzunehmen, zur Farce werden.Das HKM soll ermächtigt werden, denEinsatz der „externen Vertretungskräfte“durch Rechtsverordnung zu regeln, ins-besondere die „Bestimmung der Eig-nung“, das „Verfahren der Auswahl in diePool-Listen“, die „Festlegung von Ver-gütungsgrundsätzen“, die „Heranziehungvon externen Anbietern von Personal-dienstleistungen“ und die „Befugnisseder externen Vertretungskräfte“.

Damit hätte Hessen ein wirklich ein-maliges Schulgesetz! Zunächst dürfte eskaum ein Land geben, das das Verfahrenzur Poolbildung von Vertretungsper-sonal in seinem Schulgesetz regelt.essenhätte aber auch ein Schulgesetz, das imoffenen Widerspruch zum weiterhin gel-tenden Personalvertretungsgesetz steht,und ein Schulgesetz, das den Schulenden Bruch von Tarifverträgen vor-schreiben möchte. Mag sein, dass die

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20HLZ 6/2006

Einstimmenmehrheit im Landtag diesesMachwerk im Juli verabschiedet. End-gültig geklärt wäre damit kaum etwas.Wenn schon mit „Unterrichtsgarantieplus“ keine Arbeitsplätze für Lehrkräftegeschaffen werden, wird es sicher vielArbeit für Juristen geben.

Das gilt auch für die inzwischen(nach mehr als einem halben Jahr) vomHKM vorgelegten Musterarbeitsverträ-ge. Danach soll die Schulleitung mitInteressenten zunächst eine „Rahmen-vereinbarung“ abschließen. Sie ist keinArbeitsvertrag und für beide Seitennicht bindend. Dort soll auch „verein-bart“ werden, dass auf ein zukünftigesbefristetes Arbeitsverhältnis „kein Ta-rifvertrag“ angewendet wird. Erst wennder Vertretungsfall eintritt, schließt dieSchulleitung einen „befristeten Arbeits-vertrag“, in dem exakt der Zeitraum undjede zu vertretende Lehrkraft benanntwerden müssen. Der Abschluss vonBAT-Verträgen soll für den von denSchulen zu verantwortenden Zeitraumvon fünf Wochen ausdrücklich aus-drücklich untersagt werden.

Gemeinsam für BildungsqualitätSo unerlässlich juristisches Vorgehengegen dieses Projekt ist, vorrangig mussdie politische Auseinandersetzung wei-ter geführt werden. Die Verhinderungder vorliegenden Pläne für eine „Unter-richtsgarantie plus“ ist ebenso wenigSelbstzweck wie die Aufdeckung desEtikettenschwindels, der damit betrie-ben wird. Es geht darum, eine politischdurchsetzungsfähige gesellschaftlicheBewegung für ein qualitativ hochwer-tiges Bildungssystem für alle zu orga-nisieren, in dem garantierter Unterrichteine Selbstverständlichkeit ist. Der Wi-derstand an den Schulen muss weiter-gehen. Aber wenn die Landesregierungden Konflikt jetzt mit der Schulgesetz-änderung wieder zentralisiert, muss ihrauch auf dieser Ebene begegnet werden.Die GEW ruft deshalb die Eltern, Schü-lerinnen und Schüler und Lehrkräfte zueiner zentralen Demonstration am 28.Juni auf. Einzelheiten zu Ort und Zeitfindet man auf der letzten Umschlags-seite dieser HLZ.

Sicher hat die Landesregierung denPlan zur Einführung von Studiengebüh-ren nicht erfunden, um Studierendezum Jobben in die Schulen zu treiben.Aber der Geist und die gemeinsameZielrichtung der Schulpolitik und derHochschulpolitik der CDU fordern eineKooperation geradezu heraus.

Schluss mit dem

Etikettenschwindel!

Gute Bildung kostet Geldund Stellen!

Aufgabe 1:Bayern und Baden-Württemberg ge-ben für jeden Schüler und jede Schüle-rin an öffentlichen Schulen im Jahr4.700 Euro aus (2002), der Durch-schnitt aller Bundesländer liegt bei4.600 Euro. Hessen gibt für jeden derrund 900.000 Schülerinnen und Schü-ler 4.200 Euro pro Jahr aus.

Berechne, um welchen Betrag Hes-sen seine Bildungsausgaben erhöhenmüsste, uma) auf den Durchschnitt aller deutschenBundesländer,b) auf den bayerischen und baden-württembergischen Wert zu kommen.

Aufgabe 2:In hessischen Schulen rechnen wir nurmit Zahlen des Kultusministeriums: Indiesem Schuljahr fallen danach wö-chentlich 70.000 Unterrichtsstundenaus. Im Durchschnitt hat das Schuljahr39 Unterrichtswochen. Im nächstenSchuljahr will Hessen 16 MillionenEuro zusätzlich für Vertretung zur Ver-fügung stellen, damit „Unterrichtsaus-fall der Vergangenheit angehört“.

Berechne das Durchschnittshonorar,das gezahlt werden kann, wenn keineUnterrichtsstunde mehr ausfallen soll, unddie Zeit, die eine Schule braucht, bis siedafür eine Vertretungskraft gefunden hat.

H E S S I S C H E R M A T H E M A T I K T E S T

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21 HLZ 6/2006 „ U N T E R R I C H T S G A R A N T I E P L U S “

Billige Aufbewahrung

Jede andere Profession würde es sichverbitten, durch gutwillige Aushilfen wiePensionäre und Hausfrauen ersetzt zuwerden. Wer würde sein defektes Autoeinem Menschen anvertrauen, der frühereinmal an einem Schraubstock gefeilthat? Nur unseren Kindern muten wir daszu. Die von Wolff versprochene „Unter-richtsgarantie plus“ ist nichts anderes alseine billige Aufbewahrung der Schülerund Schülerinnen, die rein gar nichts mitsinnvollem Unterricht zu tun hat. Es gibtnur einen Weg, die Unterrichtsgarantiezu erfüllen: genügend qualifizierte Leh-rer einzustellen. Jedes Unternehmen musseine gewisse Personalreserve für Krank-heiten und andere Ausfälle einplanen –warum soll das für Schulen nicht gelten?Wer aber lieber für 13,3 Millionen Euroein Schloss im Odenwald kauft, um einemklammen Besitzer ein weiter angeneh-mes Leben zu ermöglichen, sollte seinenLandesbürgern auch sagen, warum er fürdas Geld nicht lieber Lehrer angestellthat.Harald Pleines, Rüsselsheimer Echovom 6. 5. 2006

Verzweiflung

Es soll eine Demonstration der Machtsein und ist doch eher ein Ausdruck derVerzweiflung. Kultusministerin KarinWolff will Personalvertretern an denSchulen ihre Rechte beschneiden. DieMinisterin und ihre Partei, die CDU,wären gut beraten, die Finger davon zulassen. Denn sie forcieren damit eineAuseinandersetzung, die weit über dieSchulpolitik hinaus wirkt. Nach demMotto: Wenn unserer Politik das Rechtim Wege steht, dann schaffen wir es ebenab. Die Zeiten werden ohnehin schwerfür Ministerin Wolff. Etikettenschwindelist zu ihrem Markenzeichen geworden.Sie will das Richtige, nämlich eine ver-lässliche Schule, tut aber das Falsche,indem sie es „Unterrichtsgarantie“ undnun sogar „Unterrichtsgarantie plus“nennt. Ähnlich verfährt sie in anderenBereichen. So fördert sie zu Recht Ganz-tagsschulen, verspricht aber viel zu viel,indem sie auch Schulen mit Mittags-betreuung zu Ganztagsschulen erklärt.Pitt von Bebenburg, Frankfurter Rund-schau vom 29. 4. 2006

PressestimmenPressestimmenPressestimmen

PressestimmenPressestimmen

Pressestimmen

Im Schulkampf

Von wegen angezählt. Manche ihrer Kri-tiker hatten der hessischen Kultusministe-rin Karin Wolff (CDU) in den vergangenenTagen schon den Knock-out bei ihremAnlauf zur „Unterrichtsgarantie plus“ pro-phezeit, doch die CDU-Politikerin hängtkeineswegs in den Seilen. Sie nimmt dieHerausforderung der GEW an und siehtsich bei ihrem Kampf von einer Mehrheitdes Landtags und all jenen angefeuert,denen es vor allem um einen geregeltenund verläßlichen Unterricht für HessensSchülerinnen und Schüler geht.Ralf Euler, FAZ vom 28. 4. 2006

Plus und Minus

Mit ihrer neuen Wortschöpfung gebedie Ministerin zum ersten Mal zu, daßan hessischen Schulen tatsächlich Un-terricht ausfalle, konstatiert die Vorsit-zende des Landeselternbeirats, SibylleGoldacker, und nennt den Ausdruckeine „Katastrophe“. Denn es werde keineUnterrichts-, sondern, wenn überhaupt,eine Betreuungsgarantie gegeben. (...)

Nach der Veröffentlichung der Pisa-Ergebnisse hatte sich Wolff stets gewei-gert, eine Schulformdiskussion zu füh-ren, und darauf verwiesen, sie wolle dieUnterrichtsqualität steigern – an jederSchulform. Davon kann bei der Garan-tie keine Rede sein. Denn je nachdem,welchen Vertretungs-Pool ein Schullei-ter zustande bekommt, kann es in Hes-sen künftig Schulen erster und zweiterKlasse geben. Zwar existieren sicherauch unterschiedlich gute Lehrer, durchdie zentrale Ausbildung haben sie abereine solide Qualifikation.

Schule bedeutet Bildung und nichtnur Betreuung, und dafür bedarf es beieiner Unterrichtsgarantie mehr Lehrer– es müssen ja nicht gleich 5.000 sein,wie von der GEW gefordert. (...)Lisa Uphoff, FAZ vom 23. 3. 2006

Ohrfeige für Wolff

Die Fraktion muss es richten. Wie esderzeit aussieht, wird die CDU im Voll-gefühl ihrer Ein-Stimmen-Mehrheitnoch vor der Sommerpause die Ände-rung der einschlägigen Gesetzesvor-schriften über die Mitbestimmung derPersonalräte im Landtag durchpeit-

schen, um Karin Wolffs „Unterrichtsga-rantie plus“ zu retten.

Was Christean Wagner aus Sorge umdas jüngste Renommierprojekt der Lan-desregierung vortrug, entpuppt sichaber bei näherem Hinhören als wohl-kalkulierte Ohrfeige für die Kultusmi-nisterin. Alles, was der Fraktionschefsagte, hätte er auch der zuständigenMinisterin überlassen können.

Dabei ist die Frage, ob die Aktionender GEW ideologisch begründet sindund bereits das Ausmaß einer „Kampa-gne“ angenommen haben, zweitrangig.Wenngleich der Lehrergewerkschaft an-gelastet werden muss, dass sie maßlosübertreibt und deshalb Gefahr läuft,nicht mehr ernstgenommen zu werden.

Die Regierungsfraktion wird denAbschluss „geringfügiger Dienstverhält-nisse“ der Mitbestimmung der Personal-räte entziehen. Mit Einschränkungen imPersonalvertretungsrecht war die CDUnoch nie zimperlich. Bis das neue Schul-jahr beginnen wird, dürfte der vereinteProtest von Rot-Grün und GEW an Laut-stärke nachgelassen haben. Es sei denn,dass es den Schulleitungen auch nachdem Wegräumen von rechtlichen Hin-dernissen nicht gelingen sollte, jedendrohenden Unterrichtsausfall abzuwen-den. Das ist nicht unwahrscheinlich. Wasbleibt Wolff dann außer dem Rücktritt?Natürlich die Schelte für die linke GEW.Einen Vorgeschmack darauf hat Wagneram Montag gegeben.Rainer Dinges, Darmstädter Echo vom24. 4. 2006

Gewerkschaftsschelte

Da mag der CDU-Fraktionschef ChristeanWagner der GEW noch so markige Worteentgegenschleudern – die Attacke traf nichtdie Lehrergewerkschaft, sondern die eige-ne Parteifreundin: Kultusministerin KarinWolff hat ihre Pläne für die Unterrichts-garantie plus offenkundig nicht ausrei-chend abgeklopft. (...) Bemerkenswert ist,dass die Fraktion nicht, wie in solchenFällen üblich, stillschweigend die Geset-zesänderung einbringt, die ohnehin kom-men wird. Stattdessen gibt’s öffentlichschlechte Noten für Karin Wolff, nur not-dürftig in Gewerkschaftsschelte verpackt.Petra Wettlaufer-Pohl, HNA Kassel vom25. 4. 2006

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22HLZ 6/2006E I N B Ü R G E R U N G S T E S T

Zu den Kritikern des Einbürgerungs-tests „Werte und Wissen“, den der hes-sische Innenminister Volker Bouffier(CDU) im März 2006 der Öffentlichkeitvorstellte, gehört auch sein Parteifreund

Fehlentscheidungen der dem Innenmi-nisterium zuzuordnenden Verwaltungbei Einbürgerungen, die einen dringen-den Handlungsbedarf ergeben, sind mirnicht bekannt, in großem Umfang offen-bar auch nicht zu verzeichnen. Die mitder Sache beschäftigten Mitarbeiterin-nen und Mitarbeiter des Landes und derKommunen beklagen kein Manko derGesetzes- und Verwaltungsvorschriften.Vom Regierungspräsidium Darmstadtwurde mir die vorbereitende Arbeit desStandesamts unserer Stadt als vorbild-lich bestätigt, das sich mit informatori-schen Gesprächen, den Sprachtests undinsbesondere der umfangreichen Lo-yalitätserklärung (einschließlich derNachprüfung der notwendigen Erklä-rungen zur Mitarbeit in radikalen Orga-nisationen) sehr viel Mühe gibt. Bei denmehrfach im Jahr stattfindenden Ein-bürgerungsfeiern mit der Oberbürger-meisterin habe ich in intensiven Ge-sprächen mit den Teilnehmern nie denEindruck gewonnen, dass „die Falschen“eingebürgert wurden, Wenn in Einzel-fällen Missbräuche durch falsche Erklä-rungen erkennbar werden, wird dieEinbürgerung widerrufen. Allein fürFrankfurt am Main sind zur Zeit zwölfsolcher Widerrufsfälle am Verwaltungs-gericht anhängig. (...)

Das vorgesehene Verfahren erscheintmir sachlich und rechtlich bedenklich.Die Fragen zur allgemeinen Bildungentsprechen etwa dem Niveau, das imUnterricht in der Oberstufe des Gymna-siums gefordert wird, dort aber nachAuskunft von Lehrern zunehmend lü-ckenhaft wird. Das hängt mit abnehmen-der Bildungsvermittlung durch die El-ternhäuser und in der Schule und mit derzunehmenden Vielfältigkeit der Wis-sensvermittlung in den Naturwissen-schaften und Sprachen zusammen. Die-sen Wissensstand für die Einbürgerungabzufordern, führt faktisch zu einer Ein-

Dr. Albrecht Magen, Leiter des Amtsfür multikulturelle Angelegenheiten derStadt Frankfurt am Main. Die HLZdokumentiert die Stellungnahme vonDr. Albrecht Magen im Wortlaut.

Werte und Wissen:

Prüfung wie beim Führerscheinengung des aussichtsreichen Bewerber-kreises auf höhere Bildungsschichten.Eine Krankenschwester oder ein jungerTechniker wie auch ein erfolgreicherFußballspieler können dieses Niveaunicht vorweisen. Natürlich kann manKurse veranstalten, die dann aber prak-tisch dazu führen würden, dass die Teil-nehmer wie zur Führerscheinprüfung dieStandardantworten einpauken werden.

Die entsprechenden Kurse sollennach der Vorstellung der Landesregie-rung von den Betroffenen voll bezahltwerden. Das führt wiederum zu einerEinengung auf vermögende oder höherverdienende Bewerberinnen und Bewer-ber. Die Abschreckung geringer Gebil-deter und Verdienender, die sonst gernein die Staatsbürgerschaft aufgenommenwerden könnten und sollten, erscheintmir nicht nur politisch bedenklich. Siewürde auch einer Nachprüfung durchdie Gerichte nach dem Gleichheitsgebotkaum standhalten, die sich dann auch mitder richtigen Bewertung der Test-ergebnisse beschäftigen würden. Ich ver-weise auf die Rechtssprechung zu Schul-noten. Fragen und Tests müssten deshalbmeines Erachtens auf staatspolitischeKenntnisse konzentriert werden

Entscheidend ist, worauf man poli-tisch hinaus will, Wir sollten Menschen,die integrationsfähig und willig sind,nicht abschrecken, sondern eher er-muntern, in den Verband der deutschenStaatsbürger einzutreten. Wenn ich mirdie vielen Ausländer in qualifiziertenBerufen und notwendigen Tätigkeitenbetrachte, erscheint es sinnvoll, sie auchstaatsrechtlich Deutsche werden zu las-sen. Für den politischen Zusammenhaltder Bevölkerung ist es auf die Dauerproblematisch, wenn ein erheblicherProzentsatz rechtlich nicht dazugehört.

Im Übrigen vollzieht sich von derPolitik wenig beachtet von selbst eineerhebliche Veränderung unserer Bevöl-

kerungsstruktur. In Frankfurt am Mainhatten von den im Jahre 2004 gebore-nen Kindern nur 34 % zwei deutscheElternteile und nur 13% eine ausschließ-lich ausländische Staatsangehörigkeit.35 % stammten aus binationalen Ehenoder Partnerschaften. Die übrigen wur-den nach dem neuen Staatsange-hörigkeitsrecht automatisch Deutschemit Mehrfachstaatsangehörigkeit. Auchwenn diese später einmal optieren müs-sen (vorbehaltlich der Ausnahmebe-stimmungen im Staatsangehörigkeits-gesetz), bekommen wir ganz automa-tisch zunehmend eine überwiegendrechtlich deutsche Bevölkerung, dieaber wiederum in der Mehrheit einenMigrationshintergrund hat. Loyalitäts-prüfungen können wir an diesen Men-schen nicht veranstalten

Gefahr der PolarisierungDamit die Strukturveränderung derBevölkerung sich friedlich vollzieht,muss eine weiter verbesserte Integra-tionsarbeit gefordert werden. Die Rege-lungen für die Einbürgerung sollten inAbstimmung mit der Integrationspolitikbundeseinheitlich sein. Die beabsich-tigte Kürzung der Haushaltsmittel desBundes für die Integrationskurse istdabei kontraproduktiv. Diskussionen,wie sie im Zusammenhang mit den For-derungen nach diffizileren Einbürge-rungsbestimmungen geführt werden,bergen die Gefahr der Polarisierung:Die deutsche Bevölkerung wird in ihrenÄngsten vor den hier meistens friedlichlebenden Ausländern bestärkt. Die zahl-reichen inzwischen eingebürgertenFrauen und Männer nichtdeutscherHerkunft befürchten andererseits miteinem pauschalen Misstrauen betrach-tet zu werden. Unter diesen Gesichts-punkten sollte man das vorgeseheneVerfahren umgestalten.

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23 HLZ 6/2006 F Ö D E R A L I S M U S R E F O R M

Trotz Schlagbäumen und strenger Be-wachung durch Mainzer Gardistenüberquerten am 10. Mai mehr als 2.000Demonstranten die Rheinbrücke zwi-schen Wiesbaden (Hessen) und Mainz(Rheinland-Pfalz). Sie folgten einemAufruf des DGB, um gegen die Folgender geplanten „Föderalismusreform“ zudemonstrieren. Kleinstaaterei und einWettlauf um die niedrigsten Gehälterund Pensionen und die längsten Ar-beitszeiten drohen, wenn alle beamten-rechtlichen Kompetenzen auf die Bun-desländer verlagert werden. „Die Hes-sen wissen, was allen droht, wenn diesePläne umgesetzt werden“, sagte der hes-sische DGB-Vorsitzende Stefan Körzell

(Foto rechts unten). Er erinnerte an die„Operation Sichere Zukunft“ und diejüngsten Pläne von KultusministerinWolff (CDU) zur Beschneidung der Per-sonalratsrechte: „Das ist ein Rechts-verständnis, wie man es sonst nur ausNordkorea kennt.“ Für die GEW Hessenwies Carmen Ludwig (Foto oben: Mitte)auf die Folgen für die Studierenden hin,nachdem das bundesrechtliche Verbotvon Studiengebühren bereits gekipptworden ist. Marianne Friemelt (Fotooben: links) vom Gesamtpersonalratder Lehrerinnen und Lehrer in Frank-furt hält die Föderalismusreform fürden Hebel, um im öffentlichen Dienst,„der doch sonst immer als unmodern,

langsam und unflexibel beschimpftwird, die gesamtgesellschaftlich geplan-te Absenkung erreichter Besitzstände“vorzuexerzieren und die Flächentarif-verträge zu Fall zu bringen. Der Vorsit-zende der Gewerkschaft der PolizeiHessen Jörg Bruchmüller (Foto oben:rechts) und Verdi-Vertreter berichtetenüber die Auswirkungen bei Polizei,öffentlicher Verwaltung, Feuerwehr,Zoll und Post. Uwe Januszewski, Vor-sitzender des Hauptpersonalrats in Ber-lin, machte deutlich, dass die Beamtin-nen und Beamten „nicht nur auf dieStraße gehen“, sondern auch streikenmüssen, um die katastrophalen Folgender Föderalismusreform abzuwehren.

Gegen neue Kleinstaaterei

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24HLZ 6/2006L E H R E R A U S B I L D U N G

Sie hätte ein großer Wurf werden kön-nen, die Reform der „Lehrerbildung auseinem Guss“, so Kultusministerin KarinWolff (CDU), als sie im Sommer 2003 dasneue Hessische Lehrerbildungsgesetz(HLbG) ankündigte. Ein Leuchtturm inder bundesdeutschen Lehrerbildungs-landschaft? Das neue HLbG, rund 1 1/2Jahre später am 29. November 2004 inKraft getreten, soll vor allem die bishergetrennten Bereiche Studium, Vorbe-reitungsdienst und Fortbildung verbin-den: institutionell durch das neu ge-gründete Amt für Lehrerbildung (AfL),inhaltlich durch gemeinsame Modulefür Ausbildung und Fortbildung. Kon-kretisierungen und Spezifizierungendes HLbG erfolgten in der Verordnungzur Umsetzung des Hessischen Lehrer-bildungsgesetzes (HLbG-UVO vom 16.März 2005). Das neue Gesetz und dieneue UVO, die die fast 30 Jahre beste-hende Ausbildungs- und Prüfungsver-ordnung für den pädagogischen Vor-bereitungsdienst (APVO) ablöste, wur-den in Studienseminaren und Lehrer-organisationen mit gemischten Gefüh-len aufgenommen. Warum?

Erst drei Jahre zuvor, am 6. Dezem-ber 2001 hatte die damalige CDU/FDP-Regierung unter derselben Kultusminis-terin mit Zustimmung aller Lehrer-organisationen, des Hauptpersonalratsder Lehrerinnen und Lehrer und allerStudienseminare die APVO novelliert.Kaum vier Jahre später sollte ein gutorganisierter und funktionierender Vor-bereitungsdienst erneut „reformiert“werden. Empirisch belegte inhaltlicheSchwächen waren nicht weiter bekannt.Die Hauptkritik in Hessen wie auch inallen anderen Bundesländern ist struk-tureller Art: eine zu große Abhängig-keit der Lehrkräfte im Vorbereitungs-dienst (LiV) von ihren Ausbilderinnenund Ausbildern, eine zu geringe funk-tionale Distanz der Beteiligten, ein nurbegrenztes Praktizieren im Sinne derErwachsenenbildung.

Der Bologna-Prozess, der eine Ver-einheitlichung des Europäischen Hoch-schulraums verlangt, kam offensicht-lich nicht ungelegen. Hessen wollteVorreiter sein, die Vorgaben wie einKlassenprimus erfüllen: Studiengänge

Reformende?Reform der Reform im Vorbereitungsdienst

mit Bachelor-Master-Abschlüssen undStaatsprüfungen, modularisierte Aus-bildung in erster und zweiter Lehrer-ausbildungsphase. Zur Welt kam einZwitter: modularisierte Ausbildung undStaatsprüfungen. Besonders betroffenwar davon die zweite Phase, das Refe-rendariat.

Prüfungsmarathon, Organisations-chaos und Unterfinanzierung

Glücklicherweise wurden die Grund-festen des Vorbereitungsdienstes wieAusbildung an den zwei Lernorten Aus-bildungsschule und Studienseminar,der zweijährige Vorbereitungsdienst,die Semester-/Phasenausbildung oderdie Beteiligungsgremien beibehalten,sonst wäre das Chaos perfekt gewesen.Bei konservativer Betrachtungsweisewurde auch die Grundstruktur der Zwei-ten Staatsprüfung mit Prüfungslehrpro-ben und mündlicher Prüfung akzep-tiert, ergänzt um eine schriftliche Ar-beit, die rechtlich nicht zwingend Teildieser Prüfung sein muss, sondern wiebei der APVO durchaus auch ein Modulnach neuer UVO hätte sein können.

Die Zentralkritik – nicht nur derhessischen GEW – richtete sich auf dieModularisierung, eine bis dahin welt-weit (!) noch nicht erprobte, geschweigedenn erfahrene Ausbildungsform. Diebis dahin überschaubare Ausbildungs-organisation an den Studienseminarenin drei Arbeitsschwerpunkten (in zweiFachdidaktiken und in den Erziehungs-und Gesellschaftswissenschaften) mit je-weils einer abschließenden Bewertung,die nicht nur das Ergebnis, sondern auchden (ganzheitlichen) Lern-/Ausbildungs-prozess der LiV berücksichtigt, wurdeim Prinzip zerschlagen. Heraus kamenzwölf bewertete, formalistisch bürokra-tisch gleich strukturierte Module. Inner-halb von etwa zwölf bis 15 Monatenmüssen die LiV laufend – monatlich –Leistungsnachweise (Unterrichtsbesuche,Referate, Präsentationen etc.) erbringen,ist die schriftliche Arbeit anzufertigen.„Daneben“ gibt es noch 16 StundenUnterrichtsverpflichtungen in den bei-den Hauptsemestern und die stark zu-nehmenden weiteren Aufgaben in den

Schulen. Erstickung droht. Die GEWHessen kritisierte diese Belastungen, ins-besondere die laufenden Bewertungenin den Modulen als „Prüfungsmarathon“.Es liegen zahlreiche glaubwürdige Aus-sagen von LiV vor, dass die in denModulbeschreibungen angegebene Ar-beitszeit von 60 Zeitstunden selten unter90, meist bis zu 120 Stunden beträgt –mithin eine Verdoppelung der offen-sichtlich unrealistischen Angaben. Einewöchentliche Arbeitszeit von 55 undmehr Stunden im Hauptsemester ist fürdie LiV die Regel geworden, dies beieinem monatlichen Salär von etwa 1.000Euro. Ein Skandal?

Ein weiteres schwerwiegendes Man-ko ist die Organisation der modulari-sierten Ausbildung, vor allem in Studien-seminaren, die zusammen mit anderenBildungs- und Schulverwaltungsein-richtungen in einem Gebäude unterge-bracht sind. Umfangreiche, präziseRaumabstimmungen sind erforderlich,ebenso enorme personelle Kapazitätenfür die halbjährliche Planung. Reichtenbislang 20 bis 30 Stunden aus, sind jetzt200 Stunden notwendig, um den diffizi-len Prozess der freien Einwahl in diebewerteten und nicht bewerteten Pflicht-und Wahlpflichtmodule zu planen undzu sichern. Wer das System nicht unter-läuft, hat zehnfache Verwaltungs-mehrarbeit zwecks Koordination einerAusbildung, deren Qualität dadurch umkein Jota besser wird: Investition inhöchst ineffiziente Bürokratie.

Die nicht bewerteten seminarspezifi-schen Module im Umfang eines Drittelsaller abzuleistenden Module erhöhendarüber hinaus erheblich die Arbeitszeitder LiV. Sie dienen der Ausprägung derjeweiligen Seminarprofile und Speziali-sierung. Dieser Teil der Reform, im HLbGnicht im Sinne eines Leistungsgesetzesverankert, sondern lediglich ergänzendin der UVO fixiert, wurde an den Studien-seminaren wegen der inhaltlichen Er-neuerung und der Wahlfreiheit für dieLiV durchaus begrüßt. Die GEW lehntedeswegen die Modularisierung auchnicht grundsätzlich ab.

Die chronische Unterfinanzierungdes hessischen Schul- und Bildungswe-sens hat nun auch die hessischen

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25 HLZ 6/2006 L E H R E R A U S B I L D U N G

Studienseminare erreicht. Die Modula-risierung mit den um ein Drittel höhe-ren Ausbildungsverpflichtungen derLiV an den Studienseminaren erfordertzusätzliche Ausbilderkapazitäten imentsprechenden Umfang. Die benötig-ten zusätzlichen Stellen wurden abernicht geschaffen. Schon heute arbeitendie meisten Ausbilderinnen und Aus-bilder an der Obergrenze ihrer Seminar-zeiten, sind Überstunden nur noch inEinzelfällen möglich, ist eine Reduzie-rung ihrer Unterrichtsverpflichtung aufnull Stunden bis 2007 begrenzt, solan-ge parallel nach alter APVO und neuerUVO ausgebildet wird. Die Studien-seminare sind voll mit LiV ausgelastet.Zum neuen Schuljahr 2006/07 kommenweitere bisher noch nicht angeboteneModule hinzu.

Ausbildungsnotstand in HessenAuf der Tagung des hessischen Bundes-arbeitskreises der Seminar- und Fach-leiter/innen (BAK in Gießen am 31.März) thematisierten daher nicht weni-ge Seminarleitungen den Ausbildungs-notstand zum 1. August. Kämen keinezusätzlichen Ausbildungsbeauftragten,könne nicht mehr in allen Modulenausgebildet werden. Man werde aller-dings kurzfristig die mindestens benö-tigten 120 Ausbildungsbeauftragtenkaum bekommen, weil die Schulen aufGrund der eigenen Unterrichtsnot sienicht hergeben dürften. Offen wurdedaher das ausgesprochen, was (noch)ein Tabu ist: ersatzlose Streichung dernicht bewerteten Module (Kürpro-gramm), um das Angebot der rechtlichrelevanten bewerteten Module zu si-chern (Pflichtprogramm). Dies, so derTenor, würde keine Novellierung desHLbG erfordern, sondern lediglich Än-derungen der entsprechenden Paragra-fen in der UVO, würde auch die Ausbil-dung inhaltlich und kapazitätsgemäßsichern. Sollten also keine weiterenGelder bereitgestellt werden, müsstedie Ausbildung auf das Pflichtpro-gramm reduziert werden. Konsequenzdieser Reform der Reform im Klartext –bereits nach einem Jahr in einer rekord-verdächtigen Halbwertzeit: Ende der(inhaltlichen) Reform des hessischenLehrervorbereitungsdienstes.

Sollten den Studienseminaren nichtim ausreichenden Umfang Finanzmittelzum 1. August 2006 für die Vergabevon Ausbildungsaufträgen zur Verfü-gung gestellt werden, muss ihnen um-gehend rechtsverbindlich mitgeteilt

werden, wie die Ausbildung der LiV inallen Modulen sicherzustellen ist. An-sonsten drohen Chaos und Fiasko. An-gesichts der seit Jahrzehnten nicht mehrgekannten höchst unbefriedigendenAusbildungssituation an den Studien-seminaren werden viele Vorstellungenfür eine Novellierung von HLbG undUVO geboren. Bei aller berechtigtenKritik: Man sollte erst einen kompletten„Durchgang“ einschließlich der Prü-fungen nach neuer UVO abwarten, umerst danach die Modularisierung zurenovieren. Jeder Termin zuvor würdedas Chaos noch verschlimmern.

Mittlerweise zeichnen sich ersteKonturen für unumgängliche Verände-rungen ab, ein erster Denkansatz aufGrund zahlreicher Gespräche undschriftlicher Vorschläge:• verbindliche, realistische Vorgabenfür die mittelfristige Finanzierung derModularisierung• Reduzierung der Arbeitsbelastungder LiV an den Ausbildungsschulen umzehn Prozent, insbesondere der eigen-verantworteten Unterrichtsverpflich-tung um zwei Wochenstunden• realistisches Arbeitszeitmodell fürdie LiV mit Senkung der Arbeitszeit amStudienseminar um 20 % während der„Schulzeit“ (Nicht-Ferienzeit)• Gesamtsarbeitszeit der LiV amStudienseminar als Summe von Modul-zeiten (Leistungspunkten), Zeit für dasErstellen der schriftlichen Arbeit undZeiten für die Begleitung des Ausbil-dungsprozesses (zum Beispiel ver-pflichtende Supervision)

• Einbeziehung der Arbeitszeit für dasFertigen der schriftlichen Arbeit in dieGesamtarbeitszeit, gegebenenfalls auchdurch deren Herausnahme aus der Prü-fung und Umwidmung in ein Modul• Reduzierung der Module und Be-grenzung auf höchstens 30 Leistungs-punkte einschließlich der schriftlichenArbeit• Neustrukturierung der Modulorga-nisation: 15 Leistungspunkte für drei„Schwerpunkt-Module“ (zwei Fachdi-daktiken und die Erziehungs-/Gesell-schaftswissenschaften mit je fünf Leis-tungspunkten) und weitere 15 Leis-tungspunkte für bewertete und nichtbewertete Pflicht- und Wahlpflichtmo-dule, für weitere Veranstaltungen undfür die schriftliche Arbeit (im Sinneeines Moduls)• verpflichtende Begleitung des Aus-bildungsprozesses für 1 1/2 Jahre durchSupervision• Entbürokratisierung durch Wieder-aufnahme genereller Regelungen in dieUVO anstelle der zahlreichen AfL-Ver-fügungen

Gelungenes in der UVO muss auchbetont werden. Das modifizierte Ein-stellungsverfahren in den Vorberei-tungsdienst einschließlich der Über-prüfungsverfahren läuft weitestgehendreibungslos. Die Änderungen wurdenideologiefrei und auf Grund von Sach-erwägungen beschlossen – ein kleinerHinweis für die unumgängliche Reformvon HLbG und UVO. Möge die Übunggelingen.

Joachim Euler

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Der rasante wirtschafts- und gesell-schaftspolitische Wandel und die damiteinher gehenden Veränderungen grund-legender Sozialisationsbedingungen vonKindern und Jugendlichen haben nichtnur am Arbeitsplatz Schule zu einerspürbaren Arbeitsverdichtung, zu neu-en Aufgaben und erheblicher Mehrar-beit geführt. Auch in der Schulpsy-chologie als schulbezogenem Unterstü-tzungs- und Beratungssystem, daspotenziell allen Schulbeteiligten, alsoSchülerinnen und Schülern, Eltern,Lehrkräften und Schulleitungen zurVerfügung stehen sollte, sind die Anfor-derungen und Belastungen gestiegen.

Neben dem klassischen Auftrag derpsychologischen Individualberatung istseit Beginn der neunziger Jahre dieWeiterentwicklung von Schule als wich-tiges Arbeitsfeld hinzugekommen.Schulpsychologie ist heute verstärktmit Aufgaben der Schul- und Organi-sationsentwicklung befasst, mit schuli-scher Qualitätssicherung, mit Fragender Personalauswahl und Personalent-wicklung an Schulen und in der Schul-verwaltung. Die Tätigkeit der Schulpsy-chologinnen und Schulpsychologen inden Staatlichen Schulämtern „umfasstinsbesondere die präventive und sys-tembezogene Beratung und die psycho-logische Beratung von Schulen, Lehre-rinnen und Lehrern, Eltern und Schüle-rinnen und Schülern“ (§ 95 Absatz 2Hessisches Schulgesetz).

Schulpsychologie in HessenMehr Aufgaben, weniger Personal

Beide Arbeitsschwerpunkte – dieschulpsychologische Einzelfallberatungund die Systemberatung – haben ihreBerechtigung und sind fachlich gutbegründet. Es kann also nicht sein, dassein Schwerpunkt zu Gunsten des ande-ren vernachlässigt oder gar aufgegebenwird. Wer Schule als System beratenwill, braucht seine eigene empirischeBasis und eine fundierte Feldkompetenzzur Beurteilung schulischer Problemeund Konfliktlagen. Die persönlichenGesprächskontakte zu den verschiede-nen Schulbeteiligten und die systemati-schen Beobachtungen bei Unterrichts-und Schulbesuchen im Rahmen derIndividualberatung liefern die nötigen„Daten“. Gleichzeitig schafft Individual-beratung eine wichtige Vertrauensbasisund Akzeptanz für die Systemberatung.Umgekehrt hat Schulpsychologie, dieim Einzelfall tätig wird, bei ihrer Bera-tung auch jene Ressourcen, Strukturenund Entwicklungen im Blick zu haben,die den Schulbetrieb und die Schulent-wicklung aktuell als Ganzes betreffen.Somit ist ein hochwertiges und gutausgebautes psychologisches Bera-tungsnetz erforderlich, das allen anSchule Beteiligten zugänglich ist undsowohl den präventiven und system-bezogenen Beratungsauftrag als auchden am Bedarf einzelner Schulen, Lehr-kräfte, Eltern, Schülerinnen und Schü-ler orientierten Beratungsauftrag erfül-len kann.

Die im Hessischen Schulgesetz ver-ankerte doppelte Aufgabenstellung führtim Berufsalltag der Schulpsychologin-nen und Schulpsychologen zu einemoft schmerzlichen Spagat. Kann ich die-se oder jene Beratungsanfrage (zeitnah)bedienen? Welche Aufträge muss ichzurückstellen oder ablehnen? Bin ichdie richtige Ansprechperson oder ver-weise ich besser auf andere Personenoder Institutionen? Angesichts der viel-fältigen Anfragen und unterschiedli-chen Unterstützungserwartungen ste-hen deshalb häufig Klärungen und Er-klärungen zur eigenen Positionierungund Berufsrolle am Anfang eines Bera-tungskontaktes. Dieser sorgfältige Ab-wägungsprozess in der Kontaktphase,die notwendigerweise einen verantwor-tungsvoll gestalteten Beratungsprozesseinleitet, kostet Zeit und führt im Falleder Zurückweisung oder Überweisungder Nachfrage an eine andere Institu-tion leicht zu Missverständnissen undEnttäuschungen.

Es ist deshalb an der Zeit, die tatsäch-liche Umsetzbarkeit des gesetzlich fixier-ten Beratungsangebotes der hessischenSchulpsychologie nach innen (in Rich-tung Bildungsverwaltung) und nachaußen (in Richtung Schulen und Eltern-schaft) zu überprüfen und die erkenn-baren Defizite durch eine ausreichendePersonalausstattung auszugleichen. Eswäre nur zu begrüßen, wenn auch dieseUnterstützungsleistung einmal mit ei-ner gewissen „Garantie“ angeboten wer-den könnte: Schon mit einer einfachen„Beratungsgarantie“ – auch ohne „plus“– wäre viel erreicht!

Erst dann könnte zu Recht erklärtwerden, dass Schulpsychologie „heutezu einem unentbehrlichen Beratungs-faktor für Schulen, für Staatliche Schul-ämter und für das Kultusministeriumgeworden“ ist, wie dies die hessischeKultusministerin auf einer Festveran-staltung im November 2004 in Frank-furt anlässlich von 50 Jahren Schulpsy-chologie in Hessen gesagt hat.

Wie unentbehrlich der „Beratungs-faktor“ Schulpsychologie in Hessengegenwärtig wirklich ist, zeigt folgen-der Blick auf die aktuelle Stellen- undArbeitssituation:

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Über die Arbeitsbedingungen hessischerSchulpsychologinnen und Schulpsychologensprach die HLZ mit Claudia Raykowski. Sieist seit sieben Jahren Vorsitzende des Be-rufsverbands hessischer Schulpsychologin-nen und Schulpsychologen (BHS) und alsNachfolgerin von Petra Haunert-Imsch-weiler jetzt auch hessische Landesbeauftragteder Sektion Schulpsychologie im Berufsver-band deutscher Psychologinnen und Psycho-logen (BDP).

HLZ: Freuen Sie sich, dass Ihre Forde-rungen durch die Vorgänge an derBerliner Rütli-Schule neue Aufmerk-samkeit finden?Raykowski (lacht): Mit einem solchenAnsturm wie bei unserer jüngsten Pres-sekonferenz haben wir in der Tat nichtgerechnet. Aber unsere Forderungenliegen schon lange auf dem Tisch. Nacheiner Umfrage des BHS sind von 81Stellen im Haushalt nur 54 real besetzt.Es gibt seit Jahren keine Einstellungenmehr und auch keine Vertretungen fürElternzeiten oder Krankheiten.HLZ: Was heißt das für Ihre Kollegin-nen und Kollegen?Raykowski: Jeder von uns hat 30, 40,bis zu 50 Schulen zu betreuen. Dabeihätten wir mit einer Schule genug zutun, damit wir alle gesetzlichen Aufga-ben wirklich erledigen können: DasSpektrum reicht von der präventivenBeratung bis zur Krisenintervention,

• so unentbehrlich, dass die Zahl derverfügbaren Stellen in den letzten 20Jahren kontinuierlich sinken konnte,nämlich von 89 Stellen in den achtzigerJahren auf 81 Stellen im Landeshaus-halt 2005• so unentbehrlich, dass jetzt nocheinmal zwei Stellen wegfallen, da dieseStellen nur aus (nicht verfügbaren) Res-sourcen der „Personal-Vermittlungsstel-le“ (PVS) besetzt werden dürfen. Da siedamit nach dem Ausscheiden derStelleninhaber nicht mehr zur Verfü-gung stehen, verbleiben nur noch 79Stellen.• so unentbehrlich, dass seit Jahrenunbesetzte Stellen nicht mehr oder nursehr zögerlich besetzt werden, so dasssich die Schülerzahl, die jeder Schul-psychologe und jede Schulpsychologinbetreut, fortlaufend erhöht.• so unentbehrlich, dass derzeit min-destens zehn der 81 Stellen unbesetztsind und sich zum Stichtag 1. 1. 2006keine einzige Stelle in einem Ausschrei-bungs- oder Besetzungsverfahren be-fand. Nach einer aktuellen Befragungdes Berufsverbandes Hessischer Schul-psychologen sind derzeit in den Äm-tern vor Ort tatsächlich nur noch Psy-chologinnen und Psychologen in einemStellenumfang von 54 Stellen tätig, daErziehungsurlaube, Altersteilzeit etc.nicht vertreten werden.• so unentbehrlich, dass schulpsycho-logische Stellen gern zur Finanzierunganderer Aufgaben und Personen „aus-geliehen“ werden und damit ihrem ei-gentlichen Verwendungszweck entzo-gen werden• so unentbehrlich, dass der ohnehinungünstige Stellenkegel durch denWegfall der wenigen Beförderungs-stellen noch weiter verschlechtert wird• so unentbehrlich, dass Schulpsycho-loginnen und Schulpsychologen in Hes-sen – anders als in anderen Bundeslän-dern – regelmäßig bei Vergleichsunter-suchungen wie PISA und IGLU als Test-leiter verpflichtet werden. Allein PISA2006 kostet die landesweit zur Test-leitung eingesetzten 45 Schulpsycho-logen und Schulpsychologinnen zu-sammen mindestens 250 Arbeitstage,was mehr als einer vollen Stelle ent-spricht.

Angesichts der wachsenden Einbin-dung von Schulpsychologinnen undSchulpsychologen in Steuerungs- undGestaltungsaufgaben zur Weiterentwick-lung des Schulwesens wirken sichStellenkürzungen und Nicht-Besetzungnoch vorhandener Stellen für die Arbeit

vor Ort besonders gravierend aus. In derKonsequenz können Beratungen zurSchulentwicklung und Schulprogramm-arbeit und die akuten Beratungsanliegeneinzelner Lehrkräfte, Eltern, Schüler undSchulen nicht ausreichend berücksich-tigt werden. Das Abschmelzen der Zeit-anteile für Beratung trifft auf eine Situa-tion, in der Schulen doppelt belastetsind: Sie sind einerseits verstärkt kon-frontiert mit Erziehungs- und Verhaltens-problemen und einer hohen Zahl vonSchülerinnen und Schülern, die denschulischen Anforderungen nicht ge-wachsen und von Ausgliederung be-droht sind, und stehen andererseits unterdem Druck, sich als effizientes Systemfortlaufend weiterzuentwickeln und die-sen Prozess zu evaluieren.

Wenn Schulpsychologie wirklich zueinem „unentbehrlichen Beratungsfak-tor“ werden soll, dann müssen Schul-psychologen und -psychologinnen re-gelmäßig in ihren Schulen von Lehr-

kräften, Eltern, Schülerinnen und Schü-lern direkt ansprechbar sein. Sie müs-sen in schüler- und schulbezogeneEntwicklungsmaßnahmen: zur Förde-rung und Forderung der Risikoschüle-rinnen und -schüler eingebunden sein,bei der Erstellung individueller Förder-pläne, in Fallkonferenzen und Qualitäts-zirkeln.

In Hessen kommt ein Schulpsycho-loge auf 12.000 bis 15.000 Schülerin-nen und Schüler. Um die Schulen auffinnischem Niveau unterstützen zu kön-nen, bräuchten wir die fünf- bis sechs-fache Anzahl von Schulpsychologenund Schulpsychologinnen. Das wäreein guter Schritt zum „Bildungsland“.

Gert Herweg, GEW-Fachgruppe Schulauf-sicht, Schulpsychologie und Schulentwicklung

Unter dem Titel „Paradigmenwechsel – oderwas ?“ erscheint in der HLZ 7-8/2006 einRückblick von Margarete Schupp auf 21 Jah-re schulpsychologische Arbeit.

von der individuellen Beratung vonLehrkräften, Schulleitungen, Elternund Schülerinnen und Schülern bis zurSystemberatung von Schulen. Wie sollman unter diesen Bedingungen denEntwicklungsprozess einer Schule kon-tinuierlich, ernsthaft und wirkungs-voll begleiten?

HLZ: Wird die Schulpsychologie nichtschrittweise durch Schulsozialarbeitund sonderpädagogische Fördermaß-nahmen abgelöst?

Raykowski: Das sind notwendige Maß-nahmen, aber professioneller psycho-logischer Sachverstand muss dazukommen. Wir haben zum Beispiel inden Schulen immer mehr Kinder mitpsychiatrischen Störungen.

HLZ: Aber Ihre Forderung ist dochutopisch....

Raykowski: In Finnland gibt es an jedergrößeren Schule einen Schulpsycholo-gen. Der ist dann ganz nah dran, auchwenn er vielleicht noch zwei kleineNachbarschulen zu betreuen hat. Aufjeden Fall brauchen wir einen besserenPersonalschlüssel. Schulen müssen vielzu lange auf schulpsychologische Un-terstützung warten, viele Wünsche kön-nen wir gar nicht erfüllen. Mich wun-dert nur, dass es in den Schulen keinenAufschrei gibt. Aber Schulen sind of-fensichtlich genügsam.

Im Gespräch: Claudia Raykowski

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Schwer handhabbarDer Bildungs- und Erziehungsplan von 0 bis 10

Mit dem Beitrag von Karlheinz Burksetzt die HLZ die Reihe von Stellung-nahmen zu dem von der hessischenLandesregierung vorgelegten Entwurffür einen „Bildungs- und Erziehungs-plan von 0 bis 10“ fort.

Bildungsauftrag für Kindergärten

Durch den PISA-Schock hat auch dieFrage nach den „Leistungen“ der Kin-dertagesstätten einen neuen Schub er-halten, obgleich der Kindergarten wohlam wenigsten mit dem schlechten Ab-schneiden der 15-Jährigen zu tun hat.Die Diskussion um die Qualität vonKindertagesstätten konzentriert sichzum einen auf die Verbesserung derRahmenbedingungen, zum anderen aufdie (Wieder-)Entdeckung der Kinder-tagesstätten als Bildungseinrichtungen.Auch wenn in der Geschichte des Kin-dergartens in Deutschland der Gedankeder sozialen Fürsorge dominierte, for-mulierte schon Fröbel (1782-1852) ei-nen „Bildungsauftrag“ für den Kinder-garten: Er solle vor allem dem Kindhelfen, ein eigenes Weltbild zu entwi-ckeln („Bildung als Selbstbildungspro-zess“). In dieser Tradition unterschiedsich schon immer ein kindzentriertesVerständnis von Entwicklung und Ler-nen im Kindergarten von schulischenVorstellungen und Konzepten. Die For-derung nach (staatlichen) Erziehungs-und Bildungsplänen für Kindertages-stätten beinhaltet auch eine „Vereinheit-lichung“ des schulischen und vorschu-lischen Bildungsverständnisses und eineEinschränkung der gewohnten Hand-lungsfreiheiten. Hierbei verändert sichquasi unter der Hand das Bildungs-verständnis des Kindergartens.

Die differente Ausgangslage und diein den letzten Jahren intensiv geführteDiskussion zur (Qualitäts-)Entwicklungvon Kindertagesstätten und Schule wer-den im Plan nicht in den Blick genom-men und in ihrer Differenz nicht be-rücksichtigt. Über die Ausgangslage deranderen Tageseinrichtungen (Krippe,Hort), die auch Adressaten des Planssind, finden sich wenige Ausführungen.Die Weiterentwicklung pädagogischerInstitutionen kann aber nur gelingen,

wenn die unterschiedlichen Ausgangs-lagen erfasst und analysiert werden. Dasgeschieht im Plan nicht – zumindestnicht so, dass die einzelnen Einrichtun-gen Hilfen erhalten, ihre Ausgangslagezu erfassen, um den Weg zu beschrei-ben, den sie gegebenenfalls gemeinsamgehen wollen oder sollen. Da die unter-schiedlichen Traditionen, Überzeugun-gen und Differenzen nicht in den Blickgenommen werden, gehen auch Spezifi-ka verloren, die für die einzelnen Insti-tutionen von Bedeutung waren.

Die Betroffenen beteiligen

Der hessische „Bildungs- und Erzie-hungsplan“ enthält Grundsätze undPrinzipien, die auf einer sehr allgemei-nen Ebene weitgehend konsensfähigsind. Die Beschreibungen im Einzelnenund auch in ihrer Gesamtheit sind zudiskutieren und auch zu kritisieren.Dem wird im Plan mit dem Konzept der„Ko-Konstruktion“ Rechnung zu tragenversucht. Doch bleibt der normativeAnspruch des Plans zumindest unklar,wie der Satz „Seine Grundsätze undPrinzipien unterliegen nicht der Dispo-sition“ (S. 29) zeigt. Er bedürfte desZusatzes „aber der Interpretation unddamit der Diskussion“, um deutlich zumachen, dass Pläne nur Richtlinien,Empfehlungen, Orientierungsrahmenund Innovationshilfen sein können, dieden Sachverstand der Betroffenen her-ausfordern. Die Normproblematik vonPlänen kann weder durch staatlicheVorgaben noch durch die „Wissen-schaft“ oder auf der Ebene der Spezia-listen gelöst werden.

Die weiteren Darstellungen und Kon-kretisierungen des Plans müssen sich anden formulierten Grundsätzen und Prin-zipien orientieren. Inwieweit dies kon-sequent und stringent geschieht, müssteim Einzelnen untersucht werden. Da essich um sehr unterschiedliche Institu-tionen handelt, wären auch Hinweise zuerwarten, welche Konsequenzen sichfür die verschiedenen Institutionen er-geben, vor allem im Hinblick auf ihrenpädagogischen Auftrag, aber auch imHinblick auf die (personellen und säch-lichen) Voraussetzungen. Dass der Plan

im Hinblick auf konkrete Anregungen,Hilfen und Reflexion der Rahmenbe-dingungen sehr zurückhaltend ist, wirdin den bereits vorliegenden Stellung-nahmen vielfach betont, auch in denbisherigen Stellungnahmen in der HLZ.

Rahmen für alle BildungsorteFür Comenius (1529-1670) hat jederMensch von der Geburt an bis insGreisenalter die Aufgabe, Vollendungzu erreichen: „Jedes Menschenalter istzum Lernen bestimmt, und keinen an-deren Sinn hat alles Menschenlebenund alles Streben.“ „Lebenslanges Ler-nen“ lautet heute die anerkannte, je-doch nicht mehr religiös begründeteFormel für diese Aufgabe des Men-schen. Dass Lern- und Bildungsprozessenicht nur in der Schule in Gang kom-men, sondern auch außerhalb der Schu-le und in anderen Einrichtungen, giltheute vielleicht mehr denn je. Die Schu-le hat längst ihr Bildungsmonopol ver-loren. Nicht nur Kinder leben heute ineiner Mannigfaltigkeit informationel-ler Bezüge. Freizeit und Medien stellenmehr Informationen bereit, als dies Bil-dungseinrichtungen bieten können. Fürdie Beschreibung der Aufgaben vonBildungseinrichtungen ist daher dieVerortung der jeweiligen Einrichtungerforderlich: Welchen Erziehungs- undBildungsauftrag haben die Familie, dieKindertagesstätte, der Hort oder dieSchule, welche Möglichkeiten, ein Bil-dungsort zu sein?

Der Plan beruft sich auf das Prinzipdes lebenslangen Lernens (S.18). Wes-halb die Grundsätze und Prinzipiensich dann nicht auf die gesamte Schul-zeit beziehen sollen, ist nicht erkenn-bar. Es erscheint willkürlich und ver-kürzt, den Plan mit dem 10. Lebensjahrzu beenden und seine „Notwendigkeit“vornehmlich mit dem Konzept der „ver-änderten Kindheit“ und wissenschaftli-chen Erkenntnissen vor allem im Be-reich der frühkindlichen Entwicklungzu begründen.

Der Plan soll einen „Orientierungs-rahmen“ für alle „Bildungsorte“ darstel-len, damit „alle Bildungsprozesse anallen Bildungsorten anhand derselben

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Grundsätze und Prinzipien geleitet,gestaltet und moderiert werden“ (S. 26ff). Es geht im Plan vor allem um dasGemeinsame. Müsste nicht ebenso aufdie Unterschiedlichkeit der Personenund Institutionen, auf die unterschied-lichen Perspektiven, Interpretationenund Zugänge, auf die unterschiedlichenAltersgruppen eingegangen werden?Sollen das Leitbild und die Inhalte fürTagesstätten und Schulen identischsein? Auch unterschiedliche Rahmen-bedingungen und Möglichkeiten derPersonen und Institutionen werdennicht reflektiert. So ist zu fragen, wasgewonnen wird und was verloren geht,wenn nur nach dem Gemeinsamen ge-sucht wird.

Bei der Lektüre wird deutlich, dassder Plan federführend von außerschuli-schen Autoren geschrieben wurde. Daskann für die Schule ein Gewinn sein,wenn die Kindorientierung, die Ent-wicklung und Förderung jedes einzel-nen Kindes im Zentrum steht. Der so-zialpädagogische Blick auf das Kindund das Konzept der Selbstbildung, diein der Pädagogik der frühen Kindheitvon besonderem Belang ist, können derSchule gut tun. Es kann für die Schuleaber auch ein Verlust sein, wenn dieinhaltlichen und fachlichen Anforde-rungen hinter dem zurückbleiben, wasder Rahmenplan Grundschule bietet.Die Konsistenz in den Inhalten ist dieeine Seite, die Differenz bei aller Konti-nuität in den Altersstufen die andere.

Auch die zu Recht geforderte Kon-sistenz in der Bildungsorganisation istnicht neu, wird aber im Plan nicht zuEnde gedacht. Den Kindergarten alselementare Stufe des Bildungssystemszu betrachten und zu etablieren, ist fürandere vergleichbare Länder selbstver-ständlich. Im „Strukturplan für das Bil-dungswesen“ forderte der DeutscheBildungsrat 1970 den Ausbau des Kin-dergartens als „Elementarstufe des Bil-dungswesens“. Es folgen Grundstufe undSekundarstufe als konsequente Fort-führung des „Stufenprinzips“. Konsis-tenz und Stufung schließen sich nichtaus, machen aber auch nicht am Endeder Grundschule Halt.

Anspruchsvolle Anforderungen

Ob und wie die anspruchsvollen Aufga-ben und Anforderungen vor Ort einge-löst werden können, bleibt offen. ImPlan finden sich keine Hinweise oderAnregungen und Hilfen. Positiv gewen-det: Denen, die sich an der „Umsetzung“

des Plans beteiligen wollen, eröffnetsich ein weites nahezu unbegrenztesHandlungsfeld. Auf der Basis des Planslassen sich unterschiedliche Projektekonzipieren, die sich auf die einzelneEinrichtung als pädagogische Hand-lungseinheit beziehen (zum Beispielzum „interkulturellen Lehren und Ler-nen“), oder kooperative Projekte zwi-schen Kindergarten und Schule.

Der Plan zielt vor allem auf Ver-änderungsprojekte, die der „Verbesse-rung der Kindertagesstättenlandschaft“,der „Gestaltung des Übergangs in dieGrundschule“ und einer „noch geziel-teren Förderung vor Schulbeginn“ die-nen (S. 6 f.). Hier wird der Anspruch,einen Plan für die 0-10-Jährigen vor-zulegen, deutlich zurückgenommen.Zumindest für diese Schwerpunkte hät-te man sich konkretere Anregungengewünscht, in denen auch Rahmenbe-dingungen im Sinne von Qualitätsan-forderungen und der unterschiedlichenAusgangslage sowie der differentenAufgaben mit reflektiert worden wä-ren. Vor allem um die Entwicklung vonKindergarten und Schule als gemeinsa-men Prozess zu gestalten, bedarf eskomplexer Projekte und Unterstützung.Aus dem Plan lassen sich keine Ent-wicklungsprojekte direkt ableiten; eslassen sich Projekte entwickeln, dieBezug nehmen zu Prinzipien und zueinzelnen Themen, die im Plan weitge-hend grundsätzlich und allgemein ab-gehandelt werden. Ohne Unterstützungund Hilfe (von außen) werden dieseProzesse nur schwer in Gang kommen.

Offen für Interpretationen

Der „Erziehungs- und Bildungsplan vonAnfang an“ löst den Anspruch, einOrientierungsrahmen für die Erziehungder Kinder von 0 bis 10 Jahren zu sein,

nur begrenzt und äußerst widerspruchs-voll ein. Er richtet sich vor allem an daspädagogische Fachpersonal von Kinder-tagesstätten und Schulen, weniger an dieFamilien. Über die Altersgruppe von 0bis 3 ist wenig zu finden. So nimmt derfederführende Autor Professor Fthenakisdiesen Anspruch auch schon in seinemVorwort zurück. Auch in den zentralenArgumentationslinien und Begriffen(Bildung, Kompetenz, Wissen etc.) sindviele Widersprüche und Unklarheiten zufinden, die ihn als Orientierung für diepädagogischen Institutionen schwerhandhabbar machen. Die Vorlieben desPlans für Formulierungen wie „mehrdenn je“, „notwendiger denn je“, „erst-malig“, „ganzheitlich“ und seine affirma-tiven Bezüge zur „Verlustkindheit“ undneurologischen Hirnforschung zeigenden stark emphatischen, Zustimmungerheischenden Charakter in der Darstel-lung der Sachverhalte. Dies kann dazuführen, dass dem Zeitgeist folgend„Förderprogramme“ bis hin zu „neuen“Vorschulmappen in Kindertagesstätteneinziehen. Die mit der Inkonsistenz desPlans einhergehende „Offenheit für In-terpretationen“ kann aber auch genutztwerden, anspruchsvolle Projekte zu ent-wickeln und mit Bezug auf den Plan zubegründen.

Dr. Karlheinz Burk

Der Autor hat eine Vertretungsprofessur amInstitut für Pädagogik der Elementar- undPrimarstufe der Johann Wolfgang Goethe-Universität Frankfurt und ist Fachreferent desGrundschulverbandes.Den vollständigen Beitrag findet mit anderenKommentaren zum Bildungs- und Erziehungs-plan als Online-Publikation im Internet (http://publikationen.ub.uni-frankfurt.de/volltexte/2006/2424/), den „Bildungs- und Erziehungs-plan“ als Download des Sozialministeriums(http://www.sozialministerium.hessen.de/ca/ba/qw/).

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30HLZ 6/2006B Ü N D N I S F Ü R E R Z I E H U N G

Die Familienministerin hat mit den Ver-tretern der zwei Großkirchen ein „Bünd-nis für wertegebende Erziehung“ ge-schlossen. Auf den christlichen Wertenbasiere unsere gesamte Kultur, sagt sie.Verlässlichkeit, Respekt und Aufrich-tigkeit beruhten auf christlichen Prinzi-pien. Das Grundgesetz fasse im Prinzipdie zehn Gebote zusammen. Kinder soll-ten erst die eigene Position klären,bevor sie sich anderen Kulturen öffnen.

Die Ministerin ist gleich in mehrereFallen getappt. Dass die Gewaltbereit-schaft von Hauptschülern in Berlindurch eine Haltung der Beliebigkeitunter Kita-Kindern verursacht sei, istwohl eine Fehldiagnose. Und mit denRepräsentanten der beiden Großkir-chen hat sie sich die falschen Partner fürein gesellschaftliches Bündnis ausge-sucht. Kirchliche Privatschulen repro-duzieren meist jene Selektionsverfah-ren, die bürgerliche Bildungsschichtenprivilegieren. Und katholische Kirchen-leitungen verweigern den Frauen inihrem Machtbereich die volle Gleich-stellung.

Bündnis für Erziehung„Ursula von der Leyens diplomati-sches Ungeschick hat einer guten Ideeeinen kapitalen Fehlstart beschert. DieBundesfamilienministerin hat zumStart des Bündnisses für Erziehungexklusiv die christlichen Kirchen ein-geladen“, kommentierte Norbert Hok-ke, Vorstandsmitglied der GEW, denAuftakt des „Bündnisses für Erzie-hung“ in Berlin: „Deutschland ist keinGottes-, sondern ein säkularer Staat,dessen Wertesystem auf den univer-sellen Menschenrechten aufgebautist.“ Deshalb sei es falsch, dass dieanderen großen Religionsgemein-schaften in Deutschland, aber auchJugendliche, Eltern, Erzieher und Leh-rerinnen und Lehrer, nicht eingeladenwaren.

Fragwürdige WertedebatteMinisterin von der Leyen tappt in mehrere Fallen

Dass die Ministerin Sekundärtugen-den wie Fleiß, Disziplin und gutes Be-tragen zu einem Kern der jüdisch-christlichen Inspiration hochstilisiert,kann nachdenkliche Christinnen undChristen nur sprachlos machen. Außer-dem lassen sich partikuläre Wert-orientierungen, aus denen Angehörigegesellschaftlicher Teilgruppen ihreIdentität schöpfen, nicht ungeprüft undohne zustimmungsfähige Übersetzungs-arbeit als moralische Grundlage einerweltanschaulich pluralen Gesellschaftbehaupten.

Der Bildungs- und Erziehungsauftragliegt in den Händen verantwortlicherPädagogen. Er ist darauf ausgerichtet,Kindern und Jugendlichen eine unver-stellte Beobachtungsgabe und ein eigen-ständiges Urteilsvermögen zu vermit-teln – die Identität einer selbstbewusstenund selbstbestimmten Person einschließ-lich kommunikativer, politischer undmoralischer Kompetenzen. Solche Bil-dungsziele sind weit von der Absichtentfernt, Heranwachsende durch fremdeGedanken zu gängeln. Eine deutsche

Leitkultur, ein angebliches christlichesMenschenbild und ein politisch vorge-zeichneter Erziehungskanal sind dasLetzte, was Kindern und Jugendlichen ineiner egalitär-demokratischen Gesell-schaft einzuflößen ist. Die Ministerinlässt sich von Symptomen am äußerstenRand erregen, anstatt desorientierte Kin-der und Jugendliche als Spiegel einerKlassengesellschaft zu begreifen, die vonerheblichen Schieflagen wirtschaftlicherMacht beherrscht ist. Konzernchefs eig-nen sich die Dynamik eines entfesseltenFinanzkapitalismus an und schieben denKapitaleignern einen Riesenanteil unter-nehmerischer Wertschöpfung zu. Sie er-pressen die Belegschaften, dass sie län-ger arbeiten und weniger verdienen.Unter den Beschäftigten verbreiten sieZeitnot und Zukunftsängste. Politikerschleichen um den Skandal der Massen-arbeitslosigkeit und der Ausbildungs-defizite herum, erhöhen die Armuts-risiken und öffnen die Schere der Vertei-lung von Lebenschancen. Sie festigeneine Zwei-Klassenmedizin und ein selek-tives Schulsystem.

Friedhelm Hengsbach SJ

Der Autor ist Professor für christliche Gesell-schaftsethik an der Philosophisch-Theologi-schen Hochschule Sankt Georgen und Leiterdes Oswald von Nell-Breuning-Instituts.

Illustration: Matthias Sodtke

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Sportler, kickt seit seiner Jugend imVerein, aber nicht mit dem Ex-Radprofigleichen Namens zu verwechseln: Dasist Hartmut Bölts, geboren 1943, habi-litiert (Dimensionen einer Bildung zurnachhaltigen Entwicklung, 2002), seit1976 Lehrer an der Marburger Richts-berg-Gesamtschule (RGS), seit 2003 Pri-vatdozent an der Uni Marburg, Leiterdes „Studienprojekts Umweltbildung“und über 20 Jahre lang Organisator von„Umwelttagen“ für die Schulen.

„Ich bin von zu Hause aus konserva-tiv, möchte bewahren, was sich als gutherausgestellt hat. Aber das notwendige‚Neue’ kommt nicht von selbst, es mussin die Welt gebracht werden von kon-kreten Menschen in ihren wirklichenLebenszusammenhängen.“ Das sagt ei-ner, der mit Konzepten zur ökologi-schen Grundbildung schulisches Ler-nen revolutioniert hat. Der in Brokdorfmit vielen Demonstranten tagelang vonder Staatsmacht gejagt wurde. Der Schü-lern beim Bau der Startbahn Westzu„kontrastiver Erfahrung“ verhalf unddabei zweimal ins Visier staatlicherErmittler geriet: „Von der Fachwissen-schaft wurde ich durch Gutachten entla-stet, von der Gewerkschaft habe ichSolidarität erfahren.“ Der verlangt, dassLernen nicht zu instrumenteller Qualifi-zierung verkommt, sondern die Ent-wicklung sozialer Handlungspotenzia-le fördert. Ein Konservativer, ein kon-kreter Utopist mit Praxisdrang.

Zipfel von Utopie ins Reale herein-holen will er auch seit 1990 mit seinemEngagement für das JugendwaldheimRoßberg, ein ehemaliges Forsthaus,dessen Verwandlung in ein veritablesUmweltbildungszentrum ohne ihn nichtdenkbar ist. Für zwei Marburger Pro-jektschulen und weitere 60 Schulender Region ist das Jugendwaldheimder „Ort“, wo sich soziales und ökolo-gisches Lernen mit der Lebenswelt derSchülerinnen und Schüler verbindet.

„Außerschulisches Lernorte-Netz“war Ende der 80er Jahre der Schlüsselzur Weiterentwicklung der RGS, diemit dem Rücken zur Wand gegen einekonservativ geprägte Öffentlichkeitkämpfte, gegen Motivationsverlust beiSchülerinnen und Schülern, gegen or-ganisatorische Erstarrung. „Überzeu-gendes Handeln“, sagt Hartmut Bölts,„setzt starke Motivationen voraus. Es

gibt einen engen Zusammenhang vonstarken Motivationen mit starken Er-kenntnissen, Einsichten. Und starkenErfahrungen, Lebenserfahrungen.“

Aufgewachsen ist er in einem klei-nen Dorf bei Westerstede, Ammerland.Die Landwirtschaft bringt die Familiemit fünf Kindern gerade über die Run-den. Einzige Perspektive: die Arbeit aufdem Acker und im Moor. Der Ältesteerhält den Hof. Hartmut, der Jüngste,soll was lernen, besucht das Gymnasi-um. Das schriftliche Abi ist bereits ge-schafft, da muss er eine schwere Krank-heit überwinden. Ein Freiburger Pro-fessor ermutigt ihn im Sanatorium,Mathematik und theoretische Physik zustudieren. Um herauszufinden, „was dieWelt im Innersten zusammenhält“.

Die Marburger Studienjahre: Studen-tenwohnheim, eine „tolle Gemeinschaft,die viele Jahre zusammenhielt“, Rück-halt für die weitere Entwicklung. NachAbschluss des Studiums schlägt er einengut bezahlten Job in der Industrie ausund entschließt sich zum Zweitstudium:Politikwissenschaft. Es ist die „heißePhase“ der Anti-Atom-Bewegung, ersteht nicht abseits. Er veröffentlicht Fach-aufsätze, schreibt als Dissertation eineIdeologiekritik der Mathematik-Didak-tik und steigt in die im Aufbau begriffeneRGS ein, um einen „ganz anderen Unter-richt“ zu initiieren. Es beginnt die „öko-logische Praxis-Phase“, baut mit anderendie „Zukunftswerkstatt Hachborn“. Einalter Bauernhof wird in ein alternativesBildungs-, Kultur und Begegnungszent-rum verwandelt. Nach sieben Jahrenbleiben die ABM-Mittel aus: Man ent-scheidet sich für „ein sauberes Ende“. DasRestgeld aus dem Verkauf des Hausesbildet den Grundstock für das „Außer-schulische Lernorte-Netz“.

Die Zusammenarbeit im Kollegium,besonders mit dem Schulleiter, „auchaus konservativem Elternhaus, undknallharter Realist“, spornt an. Die Idee,mit den Schülerinnen und Schülernheraus in die Natur zu gehen, wirdkonkret. Ein Kollege hatte mit dem Baueines Windrads begonnen, der Schul-leiter baute mit seinen Schülern Schutz-hütten, ganz aus Holz, ohne Nägel!

Hartmut verbindet dies mit Kon-zepten für die Lehrerbildung und-fortbildung, hat seit 1992 eine halbeFreistellung vom Unterricht für die

Qualifizierungs- und Konzeptarbeit. Soentstehen im Team das „StudienprojektUmweltbildung“, Programme für dieLehrerfortbildung und ein „Stufen-

konzept zur ökologischen Grundbil-dung (S I)“, das die Schulzeit der Schü-lerinnen und Schüler mit sechs inter-disziplinären Vorhaben begleitet undin der Arbeit der Projektschulen einenfesten Stellenwert hat.

Das Jugendwaldheim Roßberg istein Kristallisationspunkt zur „Bildungfür eine nachhaltige Entwicklung“ undein fester Ankerpunkt in der Region.Für Hartmut, der in diesem Sommerseine Tätigkeit an der Schule beendet,geht die Arbeit an anderer Stelle weiter.Im Fachbereich Erziehungswissenschaf-ten wird er das Studienprojekt fortset-zen, je Studienjahr zehn Veranstaltun-gen anbieten – als Lehrerfortbildungund für Studierende aller Fachbereiche.

Bei den „kommunalen Bildungs-tagen“ wird er weiter auf neugierigeSchülerinnen und Schüler treffen. Mitseinen Studierenden wird er das „didak-tische Kreuz“ erproben: als lerntheore-tische Kategorie wie als Metapher!

Ralf Schrader

Hartmut Bölts: „ÜberzeugendesHandeln setzt starke Motivationen voraus.“

Utopist mit Praxisdrang

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32HLZ 6/2006Z U M 10 0 . G E B U R T S TA G

Meine Gedanken über Wolfgang Abend-roth sind dem sozialen Ort geschuldet,an dem das Symposium zu seinem 100.Geburtstag stattfindet: Was bedeutetedie Universität für Wolfgang Abend-roth? Und umgekehrt: Weiß sie, was siean ihm hatte?

Wolfgang Abendroth hat sich stetsskeptisch geäußert über die Fähigkeitder deutschen Universität, an der De-mokratisierung der Gesellschaft teilzu-nehmen. Er war im Nachhinein höchsterstaunt über die Wirksamkeit etwa derStudentenbewegung in der politischenGeschichte der Bundesrepublik. Seineeigene Aufgabe als Professor hat erdarin gesehen, Arbeiterstudenten zu un-terstützen, wenn sie das bürgerlicheBildungsprivileg durchbrechen. Und ersah seine Aufgabe darin, marxistischemDenken dort einen respektablen Platzzu verschaffen, wo es totgeschwiegenoder verteufelt wird, am Ort der insti-tutionalisierten Wissenschaft selbst.Hochschulpolitik in der emphatischenAbsicht, die überkommene Institutiondemokratisch umzugestalten und dannihr rationales Demokratiemodell derGesellschaft als Vorbild anzuempfeh-len, gehörte nicht notwendig zu diesemKonzept. Vielmehr nutzte der Ordinari-us Abendroth das ihm zugefallene Her-zogtum feudal, was genossenschaftli-che Willensbildung nach innen nichtausschloss.

Bis in die Mitte der 60er Jahre warHochschulpolitik für Wolfgang Abend-roth in der Sache Wissenschaftspolitik.Er betrieb und organisierte Forschun-gen zur politischen und Organisa-tionsgeschichte der Arbeiterbewegung,insbesondere zu ihren unterdrücktenTraditionen. Ebenso unterstützte er kri-tische wissenschaftliche Beiträge auchin anderen Fachgebieten oder anderenHochschulen. Er stärkte die sozialwis-senschaftliche Lehrerausbildung imHinblick auf politische Demokratie-wissenschaft und suchte Gelegenheiten,Zugang zu Studierenden der Rechtswis-senschaft zu gewinnen. Schließlich be-

Anlässlich des 100. Geburtstages von Wolfgang Abend-roth am 2. Mai 2006 ehrte das Institut für Politik-wissenschaft der Philipps-Universität Marburg seinen

Gründer und spiritus rector mit einem Symposium. DieHLZ dokumentiert die Grußworte von Uni-Vizepräsi-dent Herbert Claas.

Wolfgang AbendrothPolitische Wissenschaft, Arbeiterbewegung, Demokratie

riet und förderte er den SozialistischenDeutschen Studentenbund (SDS) alsdamals einzige legale sozialistische Or-ganisation in der Bundesrepublik mitmarxistisch angeleiteter Programmatik.Wolfgang Abendroth räumte der Uni-versität in der politischen Praxis keinenanderen Platz ein als in seiner Gesell-schaftstheorie.

Und was bedeutete er ihr? Die Uni-versität wollte ihn nicht haben, nochehe sie ihn kannte, und erst recht nicht,als er da war. In der Sache spaltete erjedes Publikum sofort. Die Gegner igno-rierten seine persönliche Liebenswür-digkeit. Der Mehrheit der Professoren,die im Nationalsozialismus stillgehal-ten, mitgetan oder auch als Nutznießerdie Plätze der verjagten Kollegen ein-genommen hatten, trat in seiner Personlebendig entgegen, was sie so gerneverleugneten. Die Verhältnisse erlaub-ten es dem offiziellen Betrieb zunächst,seinen Beitrag wie Luft zu behandeln,dann, seinen Beitrag zu dämonisieren,so, als dominiere er die ganze Universi-tät: Es gab keine hochschulpolitischeDebatte, in der die Beteiligten sich nichtdurch ihre Nähe oder Ferne zu der vonAbendroth vertretenen Position defi-niert hätten.

Beide Fragerichtungen begegnensich in der Interpretation der Studieren-denproteste der 60er Jahre. Mit derStillstellung des zentralen gesellschaftli-chen Antagonismus in den „langen“ 50erJahren (bis 1966/67) waren AbendrothsPositionen von der politischen Bühne aneinen wenig beobachteten und vernach-lässigten Rand gedrängt worden, in derVerfassungsdiskussion der Staatsrecht-ler wie in der Gesellschaftspolitik derParteien und Gewerkschaften. Es ist eineheute fast plausible Paradoxie, dass derHochschulkonflikt die Energien auf-nahm und ausstellte, die das politischeSystem von sich weg geschoben hatte.Die Studierenden mit Herkunft aus derMittelschicht, die die Universität für ih-ren sozialen Aufstieg nutzten, erinnerteeinigermaßen unbefangen die bundesre-

publikanische Schwundform der parla-mentarischen Demokratie an die vor-mals bürgerlich-revolutionäre Grund-ausstattung. Sie klagten politische De-mokratie ein und trachteten danach, siedurch soziale Gerechtigkeit materiell zufundieren.

Nach Abendroths Auffassung stel-len sich in kapitalistischen Industrie-gesellschaften die für ihren Erhalt erfor-derlichen Bildungsanstrengungen erstnach der Entwicklung der Produktiv-kräfte ein. Er hatte nicht erwartet, dasssich die in diese Entwicklung hineinge-zogenen jungen Intellektuellen seitMitte der 60er Jahre mehrheitlich linksorientierten, und er misstraute demflüchtigen Charakter der spontan-uto-pischen Stimmung. Abendroth wäreaber völlig außerstande gewesen, ir-gendeinen gesellschaftlichen Bereichder Emanzipation für unzugänglich zuhalten. Er handelte auch hier getreudem Prinzip, dass man mit schwachenKräften kämpfen muss, wenn die star-ken nicht zu Gebote stehen.

In Wolfgang Abendroth entdecktendie Protestierenden zuerst die Person,die dem Faschismus Widerstand geleis-tet, der Repression in der sowjetischenBesatzungszone und der Restaurationin Westdeutschland getrotzt und ihremoralische und politische Glaubwür-digkeit behalten hatte. Danach erst ent-deckten sie durch die Person vermitteltdie zwischenzeitlich vergessene marxis-tische Gesellschaftstheorie und ihrenErklärungswert für die gegenwärtigenEreignisse. Die Verheißungen des So-zialismus, nicht etwa aufkeimende Pro-letarisierungsfurcht spornten das Auf-begehren der Studierenden an. IhreRevolutionsillusionen konnten einigeMonate lang Furcht und Schrecken oderauch Glaube und Hoffnung auslösen,weil sie die leere Stelle der Linken inder Bundesrepublik Deutschland be-setzten. Wolfgang Abendroths Sorgewar, dass nichts bleiben würde von demSchwung für langfristige sozialistischeStrategie. Der SDS war mit der Steue-

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33 HLZ 6/2006 M I T B E S T I M M U N G

Keine leichten Zeitenfür Betriebsräte

Erinnerungen werden wach: Vor zehnJahren am 6. Dezember 1996 beerdigteKultusminister Hartmut Holzapfel(SPD) mit seinem „Nikolauspapier“ dierot-grüne hessische Bildungsreform.Das Zauberwort hieß „Binnenoptimie-rung“, eine euphemistische Hand-lungsanweisung für die kommende kar-ge Kost – kein (zusätzliches) Geld mehrfür Reformen: Reformabbau, Arbeits-zeiterhöhung, Streichung der Jubi-läumsgaben etc. wurden Handlungs-maxime. Im Ministerium waren kriti-sche Worte unerwünscht. Holzapfelwurde zunehmend dünnhäutig, ließschon mal nachfragen, ob unbotmäßigeBeamte in seinem Haus auch entlassenwerden könnten. Miese Stimmungprägte den Alltag. Die dauerhafte GEW-Kritik für eine derart perspektivloseBildungspolitik, teilweise durch per-sönliche Attacken verschärft, veran-lassten ihn, der GEW den Rücken zukehren und sie auszugrenzen. Das nütz-te wenig. Die Mitgliederzahlen stiegenbis heute an. Und zwei Jahre später gabes keinen sozialdemokratischen Kul-tusminister mehr.

Die neue Regierung Koch schafftesich mit versprochenen 3.000 neuen,doch nur etwa 2.700 davon eingelös-ten Lehrerstellen nicht nur Luft, son-

Miese Stimmung im Kultusministerium

rung der Prozesse heillos überfordert,zudem nicht Kaderorganisation, son-dern in seiner Verfassung selber Aus-druck der verstreuten Ressourcen.

Der Studentenbewegung war er nichtVater, sondern kritischer Lehrer undMitstreiter. Sie wäre ohne sein eingrei-fendes Temperament anders verlaufen,zumindest unklarer in ihren Zielen. Ih-

ren politischen Aktionen verlangte erstets rationale Selbstverständigung ab.Marburg zum Beispiel: In der Selbst-verwaltung der Universität bewahrtesich sehr lange, was überregional mitErbitterung als die „größere praktischeVernunft der Linksradikalen“ beschei-nigt wurde. Man war besser vorbereitetauf das Aushalten von politischen Wi-

dersprüchen. Die Gleichzeitigkeit vonProtestbewegung und Aushandlungs-prozess ist Frucht des AbendrothschenEinflusses. Er bestimmte damit nicht dieUniversitätsstruktur, aber die Politik-form, die nicht nur für ein Jahrzehntden Hochschulkonflikt prägte, sondernauch in die Stadtpolitik ausstrahlte.

Der Treuhänder der Arbeiterbewe-gung, der sich bei aller Wissenschaft-lichkeit in der Disziplin der sozialenBewegung hielt, färbte in der Universi-tät die Bewegungslust der Intellektuel-len nachhaltig und gab ihnen das Bei-spiel politischer Verantwortlichkeit.Wenn wir genau hinschauen: Die sogenannten Parteilinien schlängeltensich, die Abendrothsche Abweichungging kerzengerade mitten durch siehindurch. Die geradlinige Abweichungmacht uns noch immer zu schaffen.Professor Herbert Claas, Vizepräsidentder Philipps-Universität Marburg

dern auch eine gewisse Akzeptanz inder Lehrergewerkschaft. Kultusministe-rin Karin Wolff (CDU) pflegte anfangsfreundlichen Umgang im Gegensatz zuihrem Amtsvorgänger. Die Stimmungan den Schulen wurde besser. Vorüber-gehend. Doch dann folgten die unlieb-samen, knallharten, von rechts-konser-vativer Ideologie bestimmten, zerstöre-rischen Bildungsreformen: Aushebe-lung der Gesamtschulen, Zerschlagungdes differenzierten Schulwesens, Er-richtung eines dreigliedrigen Schulsys-tems mit harter Schülerselektion, In-stallierung eines laufenden Überprü-fungssystems mit Abschlussprüfungenauf allen Ebenen, Abschaffung des 13-jährigen Gymnasiums, Zerschlagungder staatlichen Lehrerfortbildung undErsatz durch ein technokratisches Sam-melpunktesystem, Erhöhung der Leh-rerarbeitszeit, Erhöhung der Unter-richtsverpflichtung für die Lehrkräfteim Vorbereitungsdienst, eine hypertro-phe Standardisierung und Bürokrati-sierung des hessischen Schulwesens undvieles mehr.

Selbst einer der wenigen Reformen,die nicht nur Schatten, sondern auchLicht warfen, das Hessische Lehrerbil-dungsgesetz (HLbG mit der Um-setzungsverordnung UVO obendrauf),

droht zumindest für den Vorberei-tungsdienst zu einem Flop zu werden.Es fehlen beträchtliche finanzielle Mit-tel, um nicht nur die bewerteten Mo-dule (Pflichtprogramm) gemäß HLbG,sondern auch alle nicht bewertetenseminarspezifischen Module (Kürpro-gramm) anzubieten. Viel gravierenderist das Versprechen in der „Unterrichts-garantie plus“ ab dem nächsten Schul-jahr. Rechentricks und schönfärbe-rische Presseerklärungen verhindernweder Unterrichtsausfall noch garan-tieren sie den Ist-Stundenplan nachSoll-Vorgaben. Wolffs politische Zu-kunft steht auf dem Spiel, sollte die„Mission“ misslingen. Auch die abso-lute CDU-Regierungsmehrheit ist ingrößter Gefahr. Angesichts dieser äu-ßerst misslichen Lagen nimmt die Ner-vosität im Gebäude am WiesbadenerLuisenplatz 10 zu, hat sich der Um-gangston im Ministerium erheblichverschärft. Revisionen werden durch-geführt und kritische Berichterstatteraus dem Sitzungsraum „herauskom-plimentiert“. Auch gegenseitiges An-brüllen ist kein Tabu mehr, sondernwird alltägliche Kommunikationsform:„Die mieseste Stimmung seit Holzap-fels Nikolauspapier“, so nicht wenigeim Ministerium.

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34HLZ 6/2006R E C H T

In ihrer Regierungserklärung vom 24.Januar 2006 kündigte Hessens Kultus-ministerin Karin Wolff unter anderemmehr „Eigenständigkeit der Schulen inder Personalauswahl“ an (HLZ S. 8),damit sich Schulleitungen „schrittweiseein Kollegium nach den Beschlüssender Schule (...), die ihren Ausdruck imSchulprogramm finden“, formen kön-nen: „Deswegen werden die Schulenbereits im kommenden Schuljahr dieMöglichkeit bekommen, 50 Prozent al-ler freien Stellen völlig eigenständig zubesetzen.“ Die Ausgestaltung dieser„Freiheit“ stößt schnell an die rechtli-chen Grenzen des Grundgesetzes, wo-nach „jeder Deutsche (...) nach seinerEignung, Befähigung und fachlichenLeistung gleichen Zugang zu jedemöffentlichen Amte“ haben muss (Artikel33 Absatz 2 GG). Auf dieser Grundlagesieht auch ein jetzt vorliegender Ent-wurf zur Novellierung des gültigenEinstellungserlasses vom 18. 2. 2005keine gravierenden Veränderungen vor.Es bleibt bei der Wahlmöglichkeit derSchule, ob eine Stelle im Rahmen derRanglisten oder durch eine schulbezo-gene Ausschreibung besetzt werdensoll. Der Entwurf sieht naturgemäß auchnicht die von der Ministerin angekün-digte Quote von 50 Prozent für schulbe-zogene Ausschreibungen vor, denn die-se würde die Entscheidungsmöglich-keit der Schule wieder außer Kraft set-zen. Schulen werden also auch weiternach praktischen Gesichtspunkten ent-scheiden, ob sie das sehr schnelleRanglistenverfahren wählen oder aufGrund des Schulprogramms oder man-gels Bewerberinnen und Bewerbern auf

Der Hauptpersonalratder Verwaltung beimHessischen Kultusmi-nisterium (HPR) hatRegina Pomp (ver.di)einstimmig zu seinerneuen Vorsitzendengewählt. Sie tritt dieNachfolge von Rose-marie Tomalla an. Sieist seit mehreren Jah-

Einstellung nach Maß?der Rangliste eine schulbezogene Aus-schreibung favorisieren.

Der Entwurf sieht unter anderem inden folgenden Punkten Veränderungenvor:• Über die Art des Einstellungs-verfahrens soll die Schulleitung ent-scheiden. Auch im bisherigen Erlass gabes keine Aussagen über die Beteiligungdes Personalrats, die durch das HessischePersonalvertretungsgesetz (HPVG) unddie dort vorgeschriebene vertrauens-volle Zusammenarbeit geregelt wird. ZurVorbereitung dieser Entscheidung solldie Schulleitung die Möglichkeit erhal-ten, „im Schulamt vertraulich Einblick indie Bewerbungsranglisten zu nehmen.“Die Beteiligung des örtlichen Personal-rats an der Ermittlung des schulischenFachbedarfs wird auch in der Neufas-sung ausdrücklich erwähnt.• Die Rückäußerungsfrist für die Ein-nahme eines Einstellungsangebots sollvon einer Woche auf drei Tage verkürztwerden. Da die meisten Einstellungsan-gebote in der sommerlichen Urlaubs-zeit ausgesprochen werden, verschärftdies die Situation für Bewerberinnenund Bewerber, auch wenn weltweiteErreichbarkeit inzwischen als selbst-verständlich angesehen wird.• Die bisher bestehende ausdrückli-che Verpflichtung, vor jeder Einstel-lung zu prüfen, „ob eine Versetzungvorgenommen werden kann“, tauchtzum Schaden von auf Versetzung war-tenden Lehrkräften nicht mehr auf.• Bonuspunkte für Unterrichtstätig-keiten in Vertretungsverträgen mit min-destens acht Wochenstunden von 0,5pro Schulhalbjahr sollen zukünftig bis

zu einer Obergrenze von 5,0 Punktevergeben werden. Damit trägt der Ent-wurf der bitteren Realität Rechnung,dass es inzwischen Kolleginnen undKollegen gibt, die seit vier oder fünfJahren befristete Verträge haben undsich Jahr für Jahr in den Sommerferienarbeitslos melden müssen. Die GEWfordert stattdessen seit langem, Vertre-tung nach dem Vorbild der mobilenVertretungsreserve für Grundschulenzu organisieren. Wo es – wie in vielenGrundschulen – kaum noch Einstellun-gen gibt, nützen allerdings auch Bonus-Punkte nichts.• Beim schulbezogenen Überprü-fungsverfahren werden die schon bis-her von den Schulen wahrgenommenenAufgaben (Formulierung des Auswahl-textes, Durchführung des Überprüfungs-verfahrens) auch formal auf diese verla-gert, während das Staatliche Schulamtnur noch administrative Aufgaben erle-digt und die Rechtmäßigkeit prüft. DerSchulpersonalrat ist bei der Ausschrei-bung zu beteiligen und – unabhängigvon dem Mitbestimmungsrecht bei Ein-stellungen – auch in der Überprüfungs-kommission vertreten. Die Bewerbungs-frist soll für Ausschreibungen im Inter-net von drei Wochen auf eine Wocheverkürzt werden können – unter demAspekt des freien Zugangs zum öffent-lichen Amt eine durchaus fragwürdigeMaßnahme. Außerdem sollen Auswahl-entscheidungen „nach Aktenlage“ mög-lich werden. Vor dieser Entscheidungist der Personalrat anzuhören. Auf Drän-gen des Hauptpersonalrats der Lehre-rinnen und Lehrer (HPRLL) wurde auchklargestellt, dass der Personalrat unddie anderen Mitglieder des Auswahl-gremiums die Bewerbungsunterlagen„rechtzeitig und umfassend“ erhaltenmüssen.

Harald Freiling

Hauptpersonalrat Kultusverwaltung mit neuer Vorsitzendenren stellvertretende Vorsitzende desHPR und war bis zu ihrer Wahl Juristinim Staatlichen Schulamt in Fulda. Sieüberzeugt durch hohe Fachkenntnis inallen Fragen des Personalvertretungs-rechts und rückt bei all ihren Überle-gungen und Entscheidungen die Men-schen an ihren Arbeitsplätzen in denMittelpunkt. Die Kultur des Misstrau-ens, so wie sie zur Zeit auf der Dienst-stellenseite gepflegt wird, ist ihr fremd.

Sie sucht den Ausgleich der Interes-sen. Wenn sie dazu aber keine Partnerfindet, dann ist sie auch bereit, einenharten Kurs zu steuern. Vor allem dieKolleginnen und Kollegen im HPR,die der GEW und ver.di angehören,freuen sich, dass sich erneut eineengagierte Kollegin bereit gefundenhat, die schwierige Aufgabe der Vor-sitzenden zu übernehmen.

Werner Scholz (GEW)

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35 HLZ 6/2006 M A G A Z I N

Günter Stark ✝Am 2. April 2006 verstarb unser Kol-lege Günter Stark, Diplom-Psycholo-ge und Studiendirektor a.D. im Altervon 78 Jahren. Nach seiner Pensionie-rung wurde sein Hobby, das Fotogra-fieren, verstärkt zu seiner Hauptbe-schäftigung. In vielen Ausgaben derHLZ sind Fotos von Günter Stark zufinden. Er dokumentierte für die GEWHessen vielen Aktionen und Landes-delegiertenversammlungen, fotogra-fierte in Schulen, Jugendhäusern undKindereinrichtungen. Auch andereZeitschriften wie die Pädagogik grif-fen gern auf seine einfühlsamen undausdrucksstarken Fotografien zurück.Auch in der Referendariatsmappe undim neuen LiV-Spektrum findet manFotos eines Amateurs, der zu einemMeister der Schwarz-Weiß-Fotogra-fie wurde. Seine große fotografischeLeistung war, das Individuum mensch-lich darzustellen, den Menschenfreundlich, nachdenklich und durch-aus auch liebenswert in den Mittel-punkt der Betrachtung zu rücken.

Die HLZ-Redaktion und die GEWHessen werden ihm ein ehrendesAngedenken bewahren.

Praktikumsstelle bei der GEWAb 1. 9. 2006 ist die Praktikumsstellefür das Anerkennungsjahr beim GEW-Hauptvorstand in Frankfurt am Main-Rödelheim neu zu besetzen. Ihr Ar-beitsgebiet umfasst die Arbeitsfelderder Kooperation von Jugendhilfe undSchule mit dem Schwerpunkt Ganz-tagsschulen. Die vorherrschendenArbeitsformen sind Veröffentlichun-gen (Broschüren, Präsentationen,Homepage), Tagungen, Sitzungen vonArbeitsgruppen und Gremien.

Vorausgesetzt werden Interesse anFragen der Schul- und Jugendhilfepo-litik Textsicherheit und die Bereit-schaft, auswärtige Termine wahrzu-nehmen. Die Vergütung erfolgt nachTVöD zzgl. betriebsüblicher Sonder-leistungen.

Es besteht die Möglichkeit, im Rah-men des Praktikums an Tagungen undFortbildungen der GEW und andererFachorganisationen teilzunehmen.• Bewerbungen bis zum 1. Juli 2006an: GEW-Hauptvorstand, Geschäfts-führer, Reifenberger Str. 21, 60489Frankfurt am Main

Studienreise nach GriechenlandDer GEW-Kreisverband Hochtaunusorganisiert in den Herbstferien vom14. bis 28. Oktober 2006 eine Studien-reise nach Griechenland. Die Leitunghat das GEW-Mitglied Kostas Iatridis,bis zum Eintritt in den Ruhestand Grie-chisch-Lehrer an der Gesamtschule BadHomburg. Das Angebot richtet sich –nicht nur – an Lehrerinnen und Lehrer,die Griechenlands Vergangenheit undGegenwart kennen lernen wollen. Aufdem Programm stehen Stätten der Kul-tur und Archäologie, Museen, Klösterund Landschaften: „Außerdem werdenwir Schulen besuchen, das heutige Le-ben auf dem Land und in der Stadt beiWanderungen und in der Freizeit ken-nen lernen.“• Information: Kostas Iatridis, Tel./Fax:06172-390909, E-Mail: [email protected]

Alternative WirtschaftspolitikDie Memorandum-Gruppe für einealternative Wirtschaftspolitik hat jetztMEMORANDUM 2006 vorgelegt,nimmt dort die Politik der GroßenKoalition und ihre Begründungen kri-tisch unter die Lupe und entwirft einZukunftsprogramm zur Schaffung ge-sellschaftlich nützlicher neuer Arbeits-plätze. Es richtet sich gegen weiterePrivatisierungen öffentlicher Dienst-leistungen und im Bildungssektor, ent-wickelt Forderungen für eine bessereBildung für alle und weist nach, dassSteuergerechtigkeit und eine nachhal-tige Finanzpolitik die Grundlagenhierfür bereitstellen können. WeitereSchwerpunkte sind die Neoliberalisie-rung Europas, das „Hartz-Desaster“ unddie Notwendigkeit eines arbeitsmarkt-politischen Neuanfangs.

• MEMORANDUM 2006: Mehr Be-schäftigung braucht eine andere Ver-teilung, 17,50 Euro, Bezug im Buch-handel oder bei: PapyRossa Verlag,Luxemburger Str. 202, 50937 Köln

Wir gratulieren im Juni...... zur 40-jährigen Mitgliedschaft:

Winrich Berndt, FriedrichsdorfIngrid Bourcarde, Gießen

Rosa-Johanna Herzog, DarmstadtWiltrud Pietschmann, Frankfurt

Eva Schwarzbach, GießenElke Thomas-Rißmann, Wiesbaden

Jürgen Weßling, Darmstadt

... zur 55-jährigen Mitgliedschaft:Herbert Buchholz, Herleshausen

Helga Lintaler, Kaufungen

... zur 60-jährigen Mitgliedschaft:Wolfgang Blümel, Reinhardshagen

Ulrich Bouness, Wolfhagen

... zum 75. Geburtstag:Ewald Born, Gießen

Dorothea Schroth, Weilburg

... zum 80. Geburtstag:Elisabeth Kommallein, Wolfhagen

... zum 85. Geburtstag:Margot Freudenstein, Karben

... zum 92. Geburtstag:Hildegard Goebel, Trendelburg

... zum 93. Geburtstag:Helene Kundrat, Langen

... zum 98. Geburtstag:Elisabeth Hellmuth, Gundelfingen

LesePeterApril 2006Eine Auszeichnungder ArbeitsgemeinschaftJugendliteratur undMedien (AJuM) der GEW

Eine Auszeichnung der Arbeitsge-meinschaft Jugendliteratur und Medi-en (AJuM) der GEW

Der LesePeter für ein herausragen-des, aktuelles Buch der Kinder- undJugendliteratur geht im Juni 2006 andas Jugendbuch von Margaret Wild:Eine Nacht, Carl Hanser Verlag 2006,237 S., 14,90 Euro (ab 14). Drei Jungenführen unbemerkt von Erwachsenen eingeheimes Geschäft. Ein Mädchen, frühselbstständig und kritisch geworden,trifft kurz mit ihnen zusammen. Für alleändert sich das Leben – zum Besseren.Gefühle, Ängste und Glück von Ju-gendlichen sind das zentrale Thema.

Die ausführliche Rezension mitpädagogischen Hinweisen findet manim Internet unter www.AJuM.de (Da-tenbank) oder www.LesePeter.de.

Grünberger Lehrerkabarett„Merke(l)n Sie was?“ ist das Motto des19. Programms des Grünberger Lehrer-kabaretts Die (B)Ohrwürmer, mit demdie Kolleginnen und Kollegen bereitsbei den GEW-Kreisverbänden Oberlahn,Lahn-Dill und Gießen-Land aufgetretensind. Im Juli und nach den Sommerferi-en haben Die (B)Ohrwürmer noch Ter-mine frei. Anfragen an Artur Mietens:[email protected]

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36HLZ 6/2006M A G A Z I N

Bildung im hr-fernsehen: Wissen und mehrMontag: Deutsch, Literatur, Theater• Sprache und Literatur (14.15-14.45Uhr): Eine Szene entsteht (12. 6.), Ge-schlossene Form (19. 6.), Formen undLyrik (26. 6.)

Dienstag: Naturwissenschaft/Technik• Wissen macht Ah! (14.15-14.40Uhr): jeden Dienstag• Sandras Tier-TV (14.40-14.55 Uhr):Überleben im Winter (13. 6.), Das Haus-tier (20. 6.), Kreatur oder Kreation(27. 6.), Sozialverhalten (4. 7.), In Teichund Aquarium (11. 7.), Blutsauger undfliegende Schönheiten (18. 7.)

Mittwoch: Gesellschaft und Politik• Flughafen Frankfurt (14.15.-14.45Uhr): Geschichte der Proteste (14.6.),Geschichte des Flughafens (21.6.), 20Jahre danach (28. 6.)• Kinder Europas: jeden Mittwochvon 14.45 bis 15 Uhr (22-teilige Serie)

Donnerstag: Philosophie, Religionund Ethik• Entscheidungen (14.15.-14.45 Uhr):Auch die Tiere sind Menschen (22. 6.),Auch Menschen sind Tiere (29. 6.), Von

Bildung sichtbar machenIn nahezu allen Bildungsplänen fürKindertagesstätten wird verlangt, Bil-dung zu beobachten und zu dokumen-tieren. Wie kann das geschehen? Wiekann man Bildung sichtbar machen?Der „Gesprächskreis Bildungsbuch“ derGEW ist dieser Frage nachgegangen.Bernhard Eibeck skizziert den Werde-gang der Bildungsbuch-Idee und mar-kiert sechs Leitsätze. Norbert Huhn undKornelia Schneider erkunden die Inter-essen von Kindern am Dokumentierenund plädieren dafür, Bildung im Dialogmit Kindern sichtbar zu machen. VierMomentaufnahmen von Gesine Kulckeaus der Praxis zeigen Kita-Teams, diebegonnen haben, Bildungsspuren vonKindern festzuhalten.

Strukturelle und konzeptionelleVoraussetzungen für Fachkräfte undTräger stehen im Mittelpunkt des Bei-trages von André Dupuis. Roger Prottklärt die rechtliche Situation, in dieDokumentationen eingebettet sind. • Bildung sichtbar machen, 142 Sei-ten, ISBN 3-937785-41-8, 14,90 Euro,für GEW-Mitglieder zum Sonderpreisvon 5 Euro ohne Versandkosten:[email protected] oder Fax: 069-78973103

Alten und Jungen (6. 7.), Von Frauenund Männern (13. 7.)• Geschichten aus der Nachkriegszeit(14.45-15 Uhr): 22.6., 29. 6, 6.7., 13. 7.Freitag: Willi will’s wissenAn jedem Freitag macht sich Willi von14.15 bis 14.40 Uhr auf, um Berufe,Orte und Abläufe zu erkunden. Er be-gleitet interessante Menschen bei derArbeit und klärt Zusammenhänge auf,indem er zum Beispiel den Weg einesWassertropfens von der Quelle bis zurKläranlage verfolgt.Das vollständige und aktualisierte Pro-gramm und Begleitmaterialien für denUnterricht findet man im hr-Wis-sensportal www.wissen.hr-online.de.

Medienpädagogik im SupermarktIm Rahmen der medienpädagogischenKooperationsprojekte sendet das hr-fernsehen am 7. Juli von 14.40 bis14.55 Uhr die Schülerproduktion derAlexander-von-Humboldt-Schule Rüs-selsheim „Der fotografische Supermarkt- Schüler lichten ihre Alltagswelt ab“.

HELIOS William Harvey Klinik Bad NauheimStefanie Gemende · Am Kaiserberg 6 · 61231 Bad NauheimTelefon: (0 60 32) 7 07 - 9 23 · Telefax: (0 60 32) 7 07 - 9 [email protected] · www.helios-kliniken.de/badnauheim

Die HELIOS William Harvey Klinik Bad Nauheim…ist eine Gefäßfachklinik nördlich von Frankfurt mit überregionalem Einzugsgebiet. Seit mehr als 30 Jahren behandeln wir Erkrankungen der Venen, Arterien und Lymphgefäße. Neben einer erstklassigenmedizinischen Betreuung bieten wir Ihnen mehr Service, als Sie es von einem Krankenhaus erwarten.

Kompetenz in Medizin

Exzellente Gefäßmedizin

• Zertifiziertes Gefäßzentrumder Deutschen Gesellschaft für Gefäßchirurgie

• ambulant – stationär – rehabilitativ• Fachübergreifende Zusammenarbeit zwischen

Gefäßchirurgen, Angiologen und Radiologen• Alle bewährten Operations- und Behandlungsverfahren

Erstklassiger Service

• Persönlich und individuell• Wahlleistungen/Privatklinik

- Komfortable Ein- und Zweibettzimmer mit Balkon- Buffet und Wahlmenüs- Zahlreiche Service- und Zusatzleistungen

• Schwimmbad

HELIOS William Harvey Klinik Bad Nauheim –Ihr kompetenter Gesundheitspartner in Gefäßmedizin

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Page 37: 59. Jahr Heft 6 Juni 2006 - gew-hessen.de · dem dreigliedrigen Schulsystem gehört Hessens Zu-kunft, und das Turbo-Abitur erhöht den Stress. ... finnisches Kind hingegen neun Minu-ten!

37 HLZ 6/2006 M A G A Z I N

hr2 - Wissenswert Radiosendungen für die Schuleim Juni und Juli 2006

Der Hessische Rundfunk bringt in sei-nem Bildungsprogramm unter dem Ti-tel „Wissenswert“ in hr2 regelmäßigRadiosendungen, die sich für die Ver-wendung im Unterricht eignen.• Sendezeit: Montag bis Freitag von8.30 bis 8.45 Uhr in hr2

Politik• Moderne Mythen in Politik undWirtschaft: Wachstum (12. 6.), Vollbe-schäftigung (13. 6.), Eigentum (14. 6.)• Philosophen in Frankreich (29. 6.)• Im Zeichen der US-Popkultur: Wieman mit Philosophie Politik machenkann (30. 6.)• Nach einem Krieg? TraumatisierteSoldaten und Helfer (13. 7.)

Sprache und Literatur• Wolfgang Koeppen zum 100. (23. 6.)

Geschichte/Zeitgeschichte• Die Geschichte der JournalistinMargret Boveri (27. 6.)• „Made in Germany“: Zur Geschich-te und Aktualität eines Begriffs (7. 7.)

Stiftung ZuhörenArbeitskreis Radio und Schule

Hörclubs an GrundschulenFachtagung zur ZuhörförderungMittwoch, 28. Juni, 10 - 16 Uhr

Hessischer RundfunkFrankfurt, Bertramstraße 8

In Zusammenarbeit mit der StiftungZuhören bieten Grundschulen in Hes-sen seit sieben Jahren „Hörclubs“ an. Diebeteiligten Lehrkräfte berichten von ei-ner Zunahme der Wahrnehmungs- undKonzentrationsfähigkeit, der Dialog-bereitschaft, der Lernfähigkeit undSprachkompetenz. Die Einführungs-veranstaltung richtet sich an Grund-schullehrerinnen und –lehrer, die Pro-jekte der Stiftung Zuhören kennen ler-nen wollen und sich über Hörclubsinformieren möchten. Bei der Tagungwerden Materialien und Erfahrungenmit der Hörclubarbeit vorgestellt.• Informationen bei www.wissen.hr-online.de, Anmeldungen bis zum 14. 6.2006 an: [email protected]. DieVeranstaltung ist beim Institut fürQualitätsentwicklung akkreditiert undwird mit 10 Punkten bewertet.

Anzeigenschluss

für die HLZ 7–8/2006:

15. Juni 2006

Kulturgeschichte• Faszination Ägypten (16. 6.)• Der Utopist und Weltbürger AdolfMoritz Steinschneider (20. 6.)• Künstlerkolonien von einst: Worps-wede (3. 7.), Ahrenshoop (4. 7.), Dach-au (5. 7.)

Pädagogik• Schülerstipendien für begabte Zu-wanderer (26. 6.)• Generation Praktikum (6. 7.)

Naturwissenschaften• Das Doppelten Lottchen – Zwillingeund die Genforschung (19. 6.)• Geschichte des Brandschutzes (21. 6.)• Auch Löschen will gelernt sein.Physik bei der Feuerwehr (22. 6.)• Magische Zahlen: Wie MariaGoeppert-Mayer Ordnung in denAtomkern brachte (28. 6.)

Alle Sendungen zum Nachhören im Internetunter www.wissen.hr-online.de; dort gibt esInformationen zum aktuellen Programm,Wochenübersichten und Manuskripte.

BUDAPEST- Paris des Ostens5 Tage Flugreise /**Hotel ab 199 € p.P.

www.freizeit-aktiv.de

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