5935...ll h Lht hn frt dr hlr. Nn, t Npl nd ähnt brl. h hb nn Hlbtn z dtlh ähnt, dht r n B ln, h...

20
dtv

Transcript of 5935...ll h Lht hn frt dr hlr. Nn, t Npl nd ähnt brl. h hb nn Hlbtn z dtlh ähnt, dht r n B ln, h...

  • dtv

  • Im Garten des Großtyrannen ist ein Mord geschehen. Der

    Alleinherrscher beauftragt Massimo Nespoli, den Chef desGeheimdienstes, mit der Aufklärung, aber Nespoli kannden Fall nicht in der vorgegebenen Zeit lösen. Er hat Angst,

    sein Amt zu verlieren, den Tyrannen zu täuschen, und suchtnach irgendeinem Schuldigen. Auch Monna Vittoria, seineGeliebte, wird in die Sache hineingezogen. Immer mehr

    Menschen geraten in Verdacht. Eine Atmosphäre des Miß-trauens und der Unsicherheit breitet sich aus. Alle Fädenlaufen zusammen in der Hand des Usurpators. Der 5935

    erschienene Roman, dessen Handlung in das Zeitalter deritalienischen Renaissance verlegt ist, wurde bereits bei seinerErstveröffentlichung als Parabel gegen die Diktatur verstan-den. Er ist heute ein bleibendes Zeugnis für die Literatur derInneren Emigration.

    Werner Bergengruen wurde am i6. September 1 892 in Rigageboren, war nach dem Ersten Weltkrieg Journalist undbegann ab 1923 zu veröffentlichen. 1936 trat er zum Katho-lizismus über, 1937 wurde er aus der Reichsschrifttumskam-mer ausgeschlossen und lebte danach zurückgezogen inBayern und Tirol, später in der Schweiz. Er starb am 4. Sep-tember 1964 in Baden-Baden.

  • Werner Bergengruen

    Der Großtyrannund das Gericht

    Roman

    Mit einem Anhangzur Neuausgabe

    Deutscher Taschenbuch Verlag

  • Januar2002

    5., erweiterte Neuausgabe

    6. Auflage August 2004

    Deutscher Taschenbuch Verlag GmbH & Co. KG, München

    www.dtv.de

    © 1 949 Verlags-AG Die Arche, Zürich

    Umschlagkonzept: Balk & Brumshagen

    Umschlagbild: Ausschnitt des Gemäldes >Der Zug des

    Königs Balthasar< (1459-1461) von Benozzo Gozzoli

    Gesamtherstellung: Druckerei C. H. Beck, Nördlingen

    Gedruckt auf säurefreiem, chlorfrei gebleichtem Papier

    Printed in Germany • ISBN 3-423-12940-9

  • Meiner Frau

  • Ne nos inducas in tentationem

    PRÄAMBEL

    Es ist in diesem Buche zu berichten von den Versuchun-gen der Mächtigen und von der Leichtverführbarkeit derUnmächtigen und Bedrohten. Es ist zu berichten vonunterschiedlichen Geschehnissen in der Stadt Cassano,nämlich von der Tötung eines und von der Schuld allerMenschen. Und es soll davon auf eine solche Art berichtetwerden, daß unser Glaube an die menschliche Vollkom-menheit eine Einbuße erfahre. Vielleicht, daß an seineStelle ein Glaube an des Menschen Unvollkommenheittritt; denn in nichts anderem kann ja unsere Vollkommen-heit bestehen als in eben diesem Glauben.

  • ERSTES BUCH

    Nespoli

    Es war verboten, den Großtyrannen anzumelden. Aufkeinem anderen Wege konnte der Schieler seinen in derMorgenfrühe heimkehrenden Herrn von des Großtyran-nen Anwesenheit im Nebenzimmer verständigen, als in-dem er bedeutsam die Augenbrauen hob und seinem Blickdie Richtung auf das Hirschgeweih an der Wand gab. EinHirschgeweih nämlich führte das vor einem Menschenalterzur Sichtbarkeit aufgestiegene Geschlecht des Großtyran-nen im Wappen. Der Blick traf den Spiegel; allein Nespolisetzte auf Grund vieljähriger Gewohnheit den schrägenAugenfall seines Dieners in Rechnung. Eine Sekunde spä-ter zwinkerte der Schieler nach der viertelsoffenen Tür, dievom Vorraum in Nespolis Schlafzimmer führte.

    Nespoli schüttelte hurtig seine Gedanken zurecht, diebis jetzt an Monna Vittorias liebender Feindseligkeit ge-hangen hatten. Bestrebt, jeder denkbaren Frage des Groß-tyrannen die Antwort vorauszubilden, trat er mit einemGähnen ein und rief über die Schulter ins Vorzimmer zu-rück: «Komm, Schieler, kleide mich aus! »

    Die Fensterläden waren geschlossen. Die abgestandeneHalbfinsternis des Zimmers dünkte Nespoli klebrig.

    Wo mag er stecken? überlegte er. In der Schrankecke?Hinter dem Vorhang? Er wagte nicht hinzusehen undspürte erbittert die beschämende Unsicherheit, in welcheihn immer noch, nach vierzehn Jahren der Gemeinsam-keit, des Großtyrannen Gegenwart bisweilen nötigte -

  • eine Unsicherheit, an der auch Nespolis geringe Herkunftihren Anteil haben mochte.

    «Soll ich Licht machen?» fragte der Schieler.«Nein», sagte Nespoli und gähnte abermals. Ich habe

    um einen Halbton zu deutlich gegähnt, dachte er in Be-klemmung, auch hätte ich mich dabei schütteln undstrecken müssen. Ja, so etwa.

    Der Schieler begann, ihm am Gürtel zu nesteln.«Wenn jemand in Dienstgeschäften kommt, dann

    weckst du mich sofort, sonst in zwei Stunden», befahlNespoli und fühlte sich augenblicks von dem Gedankengepeinigt: Ich mache es zu grob; er durchschaut es. Nein,keineswegs, ich hätte sogar sagen sollen: - weckst dumich sofort, wie immer. Einerlei, jetzt ist es zu spät.

    «Ich komme in Dienstgeschäften, mein Massimo»,sagte die Stimme des Großtyrannen aus der Ecke, in wel-cher das Betpult stand. Sie klang angenehm, diese ge-dämpfte und sehr nachdenkliche Stimme.

    «Herrlichkeit! » rief Nespoli im Tone der Bestürzungund verneigte sich gegen die Ecke. «Womit diene ich derHerrlichkeit?» fuhr er ruhig fort, für einen Augenblickangenehm mit der Vorstellung beschäftigt, daß ein minderErfahrener: «welches Glück! » gerufen und damit desGroßtyrannen Argwohn rege gemacht hätte.

    Mit der Gelassenheit der Dienenden ging der Schieler,ohne eine Aufforderung abzuwarten, ans Fenster und ludmit einigen Griffen ein überhebliches, noch von keinerSonne gütiggemachtes Tageslicht ins Zimmer.

    Währenddessen fuhr der Großtyrann fort, aus dem Ge-betswinkel zu sprechen, ohne daß er seinen Platz auf derteppichbelegten Truhe unweit des Pultes verlassen hätte.

    «Es steht mir nicht an, nach dem Einzelnen deines Dien-stes zu fragen. So will ich auch nicht wissen, wo du heutenacht dein Verhüteramt geübt hast. Genug, daß ich weiß:es liegt sicher in deinen Händen. Oder hast du Ursache,an ihm und an dir zu zweifeln?»

    «Mein Zweifel hätte kein Gewicht», antwortete Nespoli

    I0

  • beunruhigt. «Zweifelt aber die Herrlichkeit, so erwäge sie,ihrer Sicherheitsbehörde einen anderen Vorsteher zu be-stimmen.»

    «Deine Schlüsse sind geschwinder als meine Gedanken,Massimo», sagte der Großtyrann, dessen schwer zu deu-tendes Lächeln inzwischen von der Helligkeit auch demAuge sichtbar gemacht worden war, gleichwie der Klangseiner ersten Worte schon es Nespolis erfahrenem Gehörzu erkennen gegeben hatte. «Es ist mir noch kein Anlaß,an dir zu zweifeln, daß sich heute nacht etwas Unver-hütetes, vielleicht Unverhütbares zugetragen hat.»

    Nespolis runder Kopf schnellte vor. Die stark gebogeneNase, welche ein wenig schief nach links stand, blähte sichwitternd in den Flügeln. «Was geschah, Herrlichkeit?fragte er heftig.

    Der Großtyrann war aufgestanden. Sein schönes undgeistiges Gesicht lag ganz in der Helle.

    «Komm mit, Massimo.»Dann ging er rasch zur Tür. Im Hinaustreten drohte er

    dem Schieler, gleichmütig lächelnd, mit dem Finger.

    Es war so still, daß der Klang der Schritte Ängstigungenhervorrief, als sie auf das heidnische Marmorpflaster desStadtplatzes hinaustraten. Nespoli vermochte des Groß-tyrannen Gesicht nicht zu sehen, denn seine Untergeben-heit hielt ihn an, um die Hälfte eines Schrittes hinter demHerrscher zurückzubleiben. Er konnte keine Frage tun,denn der Gewalthaber gab durch kein Zeichen eine Bereit-willigkeit zum Hören und Antworten zu erkennen. Somußte Nespolis Wissensgierde in Bändigung gehaltenbleiben.

    Sie gingen durch die Straßen, welche noch sehr kühl undleer waren. Nur einmal begegnete ihnen ein verschlafenerBauer, der einen Eselkarren voller Melonen zum Markte

    II

  • führte. Der Himmel war an manchen Orten malachitgrün.Daneben standen rosenfarbene Wölkchen; andere gemahn-ten an Orangen, welche der Reife nahe sind.

    Hinter dem Kloster der Minderbrüder bog der Groß-tyrann links ab, statt der Straße zum Haupteingang desKastells zu folgen. Der Weg ging bergan, Nespoli errietmit Unruhe, daß der Großtyrann ihn in seinen Garten füh-ren wollte, welcher nach Westen zu das Zwinggelände be-grenzte und zwischen der düsteren Strenge des Kastells undder bunten Welteinverstandenheit des Stadtvolkes einge-sprengt lag als ein Härte und Lieblichkeit sonderbar ver-bindendes Gottesgebilde.

    Der Großtyrann blieb stehen, um das unverschlosseneNebenpförtchen aufzuklinken. In diesem Augenblick be-gann schwalbengleich das zwitschernde Morgenläuten vonSan Sepolcro.

    «Merke dir die Stunde, Massimo», sagte der Großtyrann.«Du wirst vielleicht an sie zurückdenken.

    Auf den Evonymushecken und Lorbeerbäumen lag Tau.Die Luft war kühl, bitter und gewürzhaft. Aus der Tiefedes Gartens scholl das klagende Geschrei der Pfauen. Hin-ter den Zweigen des Bosketts sah Nespoli etwas Dunklesauf dem Gartenwege liegen. Er hätte es für einen gestürz-ten Baum halten mögen, wäre er nicht auf den Anblickeines Getöteten vorbereitet gewesen.

    «Baldassare! » rief der Großtyrann ins Boskett.Ein Mann von der Leibwache trat aus dem Gebüsch, die

    Pike zum Gruß mit gerecktem Arm seitwärts setzend.«Hat jemand versucht, sich dem Toten zu nähern?

    fragte der Großtyrann.«Niemand, Herrlichkeit.»«Du kannst gehen.»Nespoli hatte sich über den Leichnam gebeugt und mit

    Überraschung den Fra Agostino erkannt, welcher dem Or-den der unbeschuhten Karmeliter angehörte, aber außer-halb der Klosterzucht lebte, da der Großtyrann sich seinerzu Gesandtschaften und Aufträgen zu bedienen pflegte.

    12

  • «Fra Agostino! » rief Nespoli aus.«Fra Agostino», sagte bestätigend der Großtyrann.Nespoli untersuchte den Toten. Er fand die Wunde zwi-

    schen den Schulterblättern. Der dreikantig geschliffeneDolch war mit Kraft von rückwärts geführt worden; sol-cher Dolche waren viele im Gebrauch.

    «Er lag auf dem Gesicht», erklärte der Großtyrann. «Ichlegte ihn auf den Rücken, um nach einem Zeichen des Le-bens in seiner Brust zu suchen. Und ferner, um zu erfah-ren, ob er die Depeschen noch bei sich trüge, die ich ihmeinhändigte, als ich ihn entließ.»

    Er gab Nespoli seinen Bericht. Bis nach Mitternachthatte er mit Fra Agostino im Gartenhause gesessen, mitihm ratschlagend, ihn anweisend, ihm diktierend. Endlichhatte er ihm Schriftstücke übergeben, mit denen er nochin der Nacht nach Venedig aufbrechen sollte, Geheim-schreiben an die Signoria und an einige Vertraute, die beider Signoria des Großtyrannen Angelegenheiten förderten.

    Es geschah häufig, daß der Großtyrann, dem Hofstaatund Dienerschaft lästig waren, nachts im Gartenhause ar-beitete und sich, wenn ihn die Müdigkeit ankam, dort be-kleidet auf ein Ruhelager streckte. Nach Fra AgostinosEntlassung hatte er sich niederlegen wollen, als er denSchrei aus dem Garten hörte. Er fand seinen Geschäfts-träger nicht mehr am Leben, doch hatte der Mörder dieDepeschen nicht angerührt.

    «Ob dies unterblieb, weil er meine Schritte hörte oderweil ihm an den Schriftstücken nichts gelegen war, dasweiß ich nicht. Wüßte ich es, so wäre deine Aufgabe leich-ter. Nun frage mich, wenn dir etwas wissenswürdig er-scheinen sollte, obwohl ich dir alles Dienliche und mirBekannte gesagt zu haben meine.»

    Nespoli erwiderte: «Eine Frage gäbe es wohl. WelcherArt waren die Geschäfte, mit denen die Herrlichkeit indieser Nacht den Fra Agostino betraute? Welcher Art warder Inhalt der Schriftstücke? Erlaubt die Herrlichkeit esmir, diese Frage zu stellen?

    13

  • Der Großtyrann blickte prüfend in Nespolis Gesichtmit den mächtigen Nüstern, den breiten und feuchten Lip-pen, zu denen das schön gerundete Kinn in einem mildern-den Gegensatz stand.

    «Nein, Massimo», antwortete er. «Diese Erlaubnis kannich dir nicht geben. Lasse dir genügen an dem, was ich dirsagte. Und nun suche, untersuche, höre, verhöre, wie esGewohnheit und Erfahrung deines Amtes dir anraten. Indrei Tagen magst du mir den Täter vorstellen. Hast dunoch eine andere Frage?»

    «Nein, Herrlichkeit», entgegnete Nespoli, «die Herr-lichkeit hat mir eine jede beantwortet, ehe sie ausgespro-chen wurde.»

    Der Großtyrann nickte ihm zu und ging langsam davon,in der Richtung des Gartenhauses. Einmal blieb er stehenund prüfte mit spitzen Fingern behutsam die Reife einerFrucht, ohne sie vom Zweige zu lösen.

    Fra Agostinos Antlitz schien auf eine sonderbare Weiseverändert. Nespoli sah es zum ersten Male unrasiert, mithellbraunen Stoppelpünktchen bestellt. Die untere Ge-sichtshälfte zeigte ein kindliches Erschrecken. Die Lippenstanden offen, wie sie der letzte Schrei voneinandergeris-sen hatte. Doch mochte auch ein kraftloses Abwärtsfallendes Unterkiefers die Öffnung bewirkt haben. Die Augenwaren geschlossen.

    Nespoli meinte Fra Agostinos Gesicht so in der Erinne-rung zu haben, als seien dort zufahrende Leidenschaft undzähige List miteinander im Widerstreit gelegen. Nunschien der Vergleich geschehen, die faltenlose Stirn wun-derbar gereinigt.

    Nespoli schloß die Augen, wie er es gern tat, um nichtein Erkenntnisbild durch die Trüglichkeit eines Anblicksverschatten zu lassen. Er hätte das nicht tun sollen, denn

    '4

  • nun schob sich augenblicks die schlaflose, die durchliebte,durchstrittene, durchzweifelte Nacht mit fiebrigen Erinne-rungsfetzen hinter seine Lider - jene Nacht, welcher nichtMorgengrauen, Abschied oder Heimweg, sondern erst desSchielers warnende Gebärde im Vorzimmer ein Ende ge-setzt hatte. Er sah Monna Vittorias gereizten Blick, denzornigen Spott in ihren Mundwinkeln, die lodernde Dü-sternis ihrer aus schwarzem und gelbem Samt gebildetenKleidung. Für eine winzige, kaum zu messende Zeitspannefiel er in die quälende Grübelei des Heimweges zurück,versuchte nach Art der selbstgerecht Liebenden die gewissefremde gegen die mögliche eigene Schuld an der aufge-kommenen Verstimmung zu wägen.

    Er erschrak, als ihm dies Abschweifen der Gedanken zumBewußtsein kam, entriß sich ihnen durch ein jähes Öffnender Lider und fuhr sich mit einem taufeuchten Laubzweigeüber das Gesicht. Diesen Abend noch würde er ja MonnaVittoria wiedersehen: Pandolfo Confini, ihr Mann, hattefür eine Reihe von Tagen die Stadt verlassen, so standenSpätstunden und Nächte dieser Zeit den Liebenden offen.

    Nespoli beugte sich von neuem über den Leichnam. Erstellte sich vor, der Großtyrann möge vielleicht als erstesnach den Schriftstücken gegriffen haben, ehe er sich desGetroffenen annahm. Nespoli fühlte sich von dem kaltenFieber seiner jägerischen Leidenschaft durchflutet, und zu-gleich lief ihm ein hitziges Hochgefühl durch alles Ge-flecht und Geäder seines Leibes, jenes Hochgefühl, in wel-chem er im Augenblick, da eine Aufgabe sich ihm stellte,bereits den Triumph ihrer Lösung vorzukosten pflegte.

    Nespoli scheuchte ein paar geflügelte Kerbtiere vomgleichmütigen Gesicht des Toten. Er richtete Fra Agosti-nos Oberkörper auf und betrachtete noch einmal die Wun-de. Dann untersuchte er die Kleidung des Mönchs. Dochfanden sich nur gleichgültige Gegenstände in den Taschen.

    Er durchforschte den geräumigen Garten; einige Wegewaren mit weißen, geäderten Steinplatten ausgelegt, an-dere mit dem verschiedenfarbigen Kies des Flußbettes be-

    15

  • streut. Hier und dort, wo der Kiesbelag dünner war, fandensich Fußstapfen, wie auch auf den Grasflächen abseits derSteige. Allein es mischten sich hier die Spuren des Getöte-ten, des Großtyrannen, des Trabanten Baldassare mit sei-nen eigenen und denen der Gärtner und Bedienten, dieam Vortage und Vorabend im Garten gewesen waren. Hieralso fand sich nichts, das Nespolis beobachtende Nach-denksamkeit hätte leiten können.

    Den Garten durchschreitend, stellte er sich die alther-kömmliche Frage, wem wohl mit Fra Agostinos plötzli-chem Hintritt gedient sein möchte. Allein wie eine Mauerstand vor dieser Frage die Heimlichkeit, in welcher derGroßtyrann alle seine Staatsgeschäfte betrieb, eine Heim-lichkeit, in die zugleich Fra Agostino eingeschlossen war.Der Gedanke kam ihm, es möchte die Tötung des Mönchsmit dessen geplantem Aufbruch nach Venedig in eine Ver-bindung zu bringen sein, dergestalt, daß sie seine Abreisehatte verhindern sollen; doch schob Nespoli diesen Arg-wohn wieder zur Seite als ein zunächst aller irdischen Stützeentbehrendes Luftgebäude; in seinem scharfen, wenn auchnicht tiefen Verstande hielt er es für gefährlich, gleich an-fangs eine Meinung in sich entstehen zu lassen, die viel-leicht Macht über ihn gewinnen und die Unbefangenheitseines Blickes trüben könnte. Mit Mißbehagen mußte ersich selber einbekennen, daß er wenig von dem Getötetenwußte. Fra Agostino hatte sich stets nur kurze Zeit in Cas-sano aufgehalten und war dann wenig aus dem Kastell indie Stadt gekommen; der Großtyrann wünschte nicht, daßsein Beauftragter Umgang mit den Cassanesen hatte.

    Seit anderthalb Jahrzehnten lag diese Stadt Cassano glä-sern vor Nespolis Augen. Der dort auf dem Gartenwegruhte, war eine der wenigen aus dunkler Materie gebilde-ten Gestalten, die keinem Strahl einen Durchgang ließen.Und wie wenig weiß ich erst von ihm selber, in dessenDienst ich stehe! dachte Nespoli mit einem Anfluge vonErbitterung.

    Längst hatte ihn sein erstes Hochgefühl verlassen. Mit

    IM

  • eigentümlicher Betroffenheit suchte er in seinem Gedächt-nis alle die Einzelheiten des Morgens wiederzuerstellen,des Großtyrannen bedeutungsvolles Gehaben und diedunklen, verhüllenden Worte, mit denen er ihn auf einAußerordentliches vorbereitet hatte.

    Hier trat ihm eine Aufgabe entgegen, grundverschie-den von aller bisherigen Leistung. Allein nicht nur dieSchwierigkeit der Aufhellung trennte die gescheheneUntat scharf von all jenen, an welchen bis nun NespolisKunst sich bewährt hatte. Ihn beherrschte, erst jetzt zu sei-ner vollen Größe wachsend, ein Erschrecken über die un-geheuerliche Dreistigkeit, mit der sie verübt worden war,in engster Nähe des Herrschers, fast unter seinen Au-gen.

    Zum Toten zurückkehrend, kam Nespoli am Garten-hause vorbei. Durch das Fenster sah er den schlafendenGroßryrannen auf seinem Ruhebette liegen. Sein Gesichtwar klar und unschuldig wie das eines schlummerndenKindes.

    Von den Räumen des winkligen, vielverbauten Bürger-schaftspalastes hatte der Großtyrann einige dem städti-schen Senat belassen, damit er hier die geringen ihm ver-bliebenen Befugnisse üben und in Vorsicht die verloreneStadtfreiheit beklagen konnte. Das Erdgeschoß war zumZeughaus umgeschaffen, im Ostflügel saß des Großtyran-nen Rechnungskammer, den Oberstock des westlichenAnbaues hatte Nespoli inne.

    Die Arbeit im Garten war verrichtet, die Befragung desHofgesindes im Kastell ohne Frucht geblieben. Jetzt stiegNespoli, Trockenheit im Halse, ein Brennen in den Au-genwinkeln, die düstere, schmale Treppe seiner Wohnunghinan.

    «Frisches Wasser, Schieler! » rief er, noch auf halbem

    17

  • Wege. Oben tauchte er gierig den Kopf in die schmuck-lose, irdene Schüssel, die zur mönchischen Unwohnlichkeitder Zimmer paßte.

    «Die Hunde, Schieler! » befahl er, den triefenden Kopffür einen Augenblick aus der Schüssel hebend. Der Schielerging ohne Eile.

    Die Hunde traten ein, fünf an der Zahl. Halb in Aner-kennung ihres Spürsinnes, halb in Verachtung pflegte Nes-poli seine nächsten Untergebenen mit diesem Namen zurufen. Auch geschah es, daß er sie «meine Fischer» nannte.Hierbei knüpfte er an ein Wort des Großtyrannen an. «Egovos faciam piscatores hominum - ich will euch zu Men-schenf ischern machen», hatte, als er seine Sicherheits-behörde schuf und Nespoli an ihre Spitze stellte, der Groß-tyrann gesagt, damit den Sinn der von Christus am Galiläi-schen Meere zu Petrus und Andreas gesprochenen Worteauf eine ungute, wo nicht gar lästerliche Weise abwan-delnd. Wie manche Äußerungen des Großtyrannen, warauch diese in Cassano noch im Umlauf.

    «Den Bericht», sagte Nespoli, mit dem vom Schieler ge-reichten Leinentuch das erfrischte Gesicht trocknend.

    Der gewohnten Reihe nach machten sie ihre Meldun-gen, beantworteten Nespolis kurze Fragen, empfingenGeheiße, Rügen, sparsame Anerkennungen; hin und wie-der kritzelte er ein paar Worte auf sein Merktäfelchen. Eshandelte sich um allerlei Begebenheiten von meist be-grenzter Wichtigkeit, deren Kenntnis Nespoli für denVortrag beim Großtyrannen nötig war. Jeden Nachmittaghatte er sich im Kastell einzufinden, um entweder hierseinen Vortrag abzustatten oder zu erfahren, wo er denGroßtyrannen suchen mußte. Es konnte geschehen, daßNespoli zwei Stunden im Sattel zu sitzen hatte, um denGroßtyrannen auf der Jagd oder einem unvermuteten Be-sichtigungsritt einzuholen und ihm zu melden, daß inCassano nichts Meldenswürdiges vorgefallen war.

    Die Berichte waren geendet. «Fra Agostino ist heutenacht getötet worden», erklärte Nespoli und beobachtete

  • die Gesichter, in denen jede Falte, jede Unreinheit derHaut, jedes Härchen ihm vertraut war.

    «Im Garten. Wir wissen es, Herr», antwortete der Leit-hund mit einer Trockenheit der Stimme, welche seinengierigen Stolz verhehlen sollte.

    «Das lobe ich», sagte Nespoli, der hieran bestätigt fand,daß die Hunde mit des Großtyrannen Dienerschaft undTrabantengarde die notwendige Verbindung hielten.

    In ein paar Worten schilderte er den Vorfall und gab sei-ne Weisungen. Der Leichnam war in den Keller zu schaffenund zur Verfügung der Karmeliter zu halten. Der Leithundhatte sich sofort in das Kloster des Getöteten zu begeben -es lag einen halben Tagesritt von Cassano entfernt -, dieNachricht hinzutragen und Erkundigungen nach Fra Ago-stinos näheren Lebensumständen anzustellen. Nespoli be-hielt sich vor, anderen Tages selber hinzureiten, wenn dieeingebrachten Nachrichten hiervon etwas zu erwarten ge-statteten.

    Dies verstand sich von selbst, dies hatten die Hunde, dieshatte der Schieler begriffen, ohne daß Nespoli es hätte aus-zusprechen brauchen: nichts Wichtigeres gab es jetzt, alsbis in seine schmalsten Ästelungen dem so jäh zerschnitte-nen Leben des Mönchs nachzugehen und alle Sachverhaltedieses wenig gekannten Daseins durchsichtig zu machen.Was für Feinde seiner Person konnte Fra Agostino gehabthaben? - (denn nach den Feinden seiner Tätigkeit zu for-schen, dies verwehrten das Schweigen und das Fragever-bot des Großtyrannen). Der Umstand, daß der Täter dieSchriftstücke unberührt gelassen hatte, forderte auf, denGrund der Tötung in menschlichen, nicht in staatlichenVerhältnissen zu suchen. Freilich hatte schon der Groß-tyrann auf die Möglichkeit gewiesen, es habe vielleicht nursein rasches Hinzueilen den Mörder am Ergreifen der Pa-piere gehindert. Immerhin entschloß sich Nespoli, einenseiner Hunde in Venedig nachforschen zu lassen. Diesennotwendigen Befehl erteilte er indessen mit 'Widerwillen,denn da der zu Entsendende selbst bei hitzigster Beeilung

    i9

  • kaum in drei Tagen zurück sein konnte, so gestand Nes-polis Geheiß schon die Möglichkeit zu, das Geheimnisjenes Dolchstoßes werde sich nicht innerhalb der gesetz-ten dreitägigen Frist entblößen lassen.

    Nur über den Getöteten konnte man hoffen, an dieFährte des Töters zu gelangen. Auch was in der Stadt, wasim Kastell an Forschungen geleistet werden mußte, dasverfolgte vornehmlich den Zweck, farbige Stiftchen zusammeln, aus denen das musivische Bild eines geendetenLebens sich zusammensetzen ließe.

    Dennoch wollten auch Nachsuchungen allgemeinerer Artnicht versäumt sein. Da mußte bei Waffenhändlern undTrödlern nach den Dolchverkäufen der letzten Zeit gefragtwerden. Da galt es festzustellen, wer von den Bürgern derStadt Cassano nachts außerhalb seines Hauses gewesen war,welche Fremden die Stadt betreten oder verlassen hatten.

    «Springt! Schnuppert! Los! » rief Nespoli. Die Hundeschossen davon.

    Nespoli, wohl wissend, daß er für den Nachmittag alleKlarheit seines Kopfes brauchen werde, legte sich zurRuhe, bezwang mit Willenshärte die schlummerfeindlicheErregung seiner Gedanken und war bald eingeschlafen.

    Zur befohlenen Zeit weckte ihn der Schieler. DerSchnellkraft seiner Glieder wie seines Geistes von neuemversichert, sprang Nespoli vom Lager. Sein Zutrauen wargroß: so wichtige Handhaben sein Herr ihm auch vorent-hielt, er würde das Geflecht entwirren und den widerstre-benden Gewalthaber mit einem meisterlichen Werk zurBewunderung zwingen.

    «Etwas gekommen? Jemand dagewesen?» fragte erwährend des Ankleidens.

    Der Schieler griff schweigend in seine Tasche und legteeinen Brief auf den Tisch. Nespoli erkannte das Petschaft,mit welchem Monna Vittoria ihre Briefe an ihn zu siegeln

    20

    TitelseiteCopyrightErste Seite