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~u~jek~ un~ Objekt darzustellenden und urn solcher Bruchl oSl,gkelt W:Illen, nach Lukacs' hartnackigem Sprach ebrauch .... »wlderzusplegelnden« Wirklichkeit J'edoch das oberste K~'t ' ,.. , A h 'k' '. ' n enurn ~~me~ sl~ch etl , I~ph.zle:t, daB jene Versohnung geleistet, daB' ,Ie ese ,s aft nchtlg 1st; daB das SubJ'ekt wie L k' emem a t k' h . ' u acs n I-as etlsc en Exkurs emraumt zu de S' k d' , ' m emen omme ~n ~n sel~er Welt zu Hause sei. Nur dann verschwande aus er unst Jenes Moment von Resignation, das Lukacs an He- gel g,ewahrt und das er erst recht am Urbild seines Begriffs von R,~ah~mus,an G~ethe, konstatieren muBte, der Entsagung ver- kU~dl~~eBAb~: dIeSpaltung, der Antagonismus uberdauert, und es 1St.. 0 e Luge, daB er in den Oststaaten, wie sie das so nen- nen, uberwunden sei. Der Bann der Lukacs umf" d 'h d' h" ' angt un Im I~ erse nte. Ruckkunft zur Utopie seiner ]ugend vers errt wIederholt dIe erpreBteVersohnung,die er am absoluten Il r~ mus durchschaut. a IS Becketts ceuvre hat manches mit dem Pariser Existentialismus gemeinsam. Reminiszenzen an die Kategorie der Ab~urditat, der Situation, der Entscheidung oder deren Gegenteil durchwachsen es wie mittelalterliche Ruinen Kafkas ungeheures Vorstadt- haus; zuweilen fliegen die Fenster auf und offnen den Durch- blick auf den schwarzen sternlosen Himmel von etwas wie Anthropologie, Aber die Form, bei Sartre als eine von Thesen- stucken einigermaBen traditionalistisch, keineswegs waghalsig, sondern auf Wirkung bedacht, holt bei Beckett das Ausgedruckte ein und verandert es. Die Impulse werden auf den Stand der avanciertesten klinstlerischen Mittel gebracht, die von Joyce und Kafka. Absurditat ist ihm keine zur Idee verdlinnte und dann bebilderte Befindlichkeit des Daseins mehr. Das dichterische Verfahren liberlaBt sich ihr intentionslos. Sie wird jener Allge- meinheit der Lehre entauBert, die sie im Existentialismus, der Doktrin von der Unaufloslichkeit des einzelnen Daseienden, gleichwohl mit dem abendlandischen Pathos des Allgemeinen und Bleibenden verband. Dadurch wird der existentialistische Konformismus, man solIe sein, was man ist, aufgeklindigt samt der Umganglichkeit der Darstellung. Was Beckett an Philosophie aufbietet, depraviert er seiber zum Kulturmlill, nicht anders als die ungezahlten Anspielungen und Bildungsfermente, die er im Gefolge der angelsachsischen Tradition der Avantgarde zu- mal von Joyce und Eliot verwendet. Ihm wuselt Kultur wie dem Fortschritt vor ihm das Gekrose von Jugendstilornamenten, Modernismus als das Veraltete an Moderne. Die regredierende Sprache demoliert es. Solche Sachlichkeit tilgt bei Beckett den Sinn, der Kultur war, und dessen Rudimente. So beginnt sie zu fluoreszieren. Er vollstreckt dabei eine Tendenz des neueren

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~u~jek~ un~ Objekt darzustellenden und urn solcher BruchloSl,gkelt W:Illen, nach Lukacs' hartnackigem Sprach ebrauch ....

»wlderzusplegelnden« Wirklichkeit J'edoch das oberste K~'t ' , .., A h 'k' '. ' n en urn~~me~ sl~chetl, I~ph.zle:t, daB jene Versohnung geleistet, daB',Ie ese ,s aft nchtlg 1st; daB das SubJ'ekt wie L k'

emem a t k' h . ' u acsn I-as etlsc en Exkurs emraumt zu de S' kd' , ' m emen omme~n ~n sel~er Welt zu Hause sei. Nur dann verschwande aus

er unst Jenes Moment von Resignation, das Lukacs an He-gel g,ewahrt und das er erst recht am Urbild seines Begriffs vonR,~ah~mus,an G~ethe, konstatieren muBte, der Entsagung ver-kU~dl~~eBAb~: dIe Spaltung, der Antagonismus uberdauert, undes 1St.. 0 e Luge, daB er in den Oststaaten, wie sie das so nen-nen, uberwunden sei. Der Bann der Lukacs umf" d 'hd' h" ' angt un I m

I~ erse nte. Ruckkunft zur Utopie seiner ]ugend vers errtwIederholt dIe erpreBteVersohnung,die er am absoluten Il r ~mus durchschaut. a IS

Becketts ceuvre hat manches mit dem Pariser Existentialismusgemeinsam. Reminiszenzen an die Kategorie der Ab~urditat, derSituation, der Entscheidung oder deren Gegenteil durchwachsenes wie mittelalterliche Ruinen Kafkas ungeheures Vorstadt-haus; zuweilen fliegen die Fenster auf und offnen den Durch-blick auf den schwarzen sternlosen Himmel von etwas wieAnthropologie, Aber die Form, bei Sartre als eine von Thesen-stucken einigermaBen traditionalistisch, keineswegs waghalsig,sondern auf Wirkung bedacht, holt bei Beckett das Ausgedruckteein und verandert es. Die Impulse werden auf den Stand deravanciertesten klinstlerischen Mittel gebracht, die von Joyce undKafka. Absurditat ist ihm keine zur Idee verdlinnte und dannbebilderte Befindlichkeit des Daseins mehr. Das dichterischeVerfahren liberlaBt sich ihr intentionslos. Sie wird jener Allge-meinheit der Lehre entauBert, die sie im Existentialismus, derDoktrin von der Unaufloslichkeit des einzelnen Daseienden,gleichwohl mit dem abendlandischen Pathos des Allgemeinenund Bleibenden verband. Dadurch wird der existentialistischeKonformismus, man solIe sein, was man ist, aufgeklindigt samtder Umganglichkeit der Darstellung. Was Beckett an Philosophieaufbietet, depraviert er seiber zum Kulturmlill, nicht andersals die ungezahlten Anspielungen und Bildungsfermente, die erim Gefolge der angelsachsischen Tradition der Avantgarde zu-mal von Joyce und Eliot verwendet. Ihm wuselt Kultur wiedem Fortschritt vor ihm das Gekrose von Jugendstilornamenten,Modernismus als das Veraltete an Moderne. Die regredierendeSprache demoliert es. Solche Sachlichkeit tilgt bei Beckett denSinn, der Kultur war, und dessen Rudimente. So beginnt sie zufluoreszieren. Er vollstreckt dabei eine Tendenz des neueren

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Romans. Was nach dem Kulturkriterium asthetischer Immanenz.:als abstrakt verfemt war, die Reflexion, wird mit der reinen':Darstellung zusammenmontiert, das Flaubertsche Prinzip derrein in sich geschlossenenSache angefressen. Je weniger Gescheh-nisse als an sich sinnvoll supponiert werden konnen, urn so mehrwird die Idee der asthetischen Gestalt als einer Einheit von Er"scheinendem und Gemeintem zur Illusion. Ihrer entschI;igt sichBeckett, indem er beide Momente als disparate verkoppelt. DerGedanke wird ebenso zum Mittel, einen nicht unmittelbar zuversinnlichenden Sinn des Gebildes herzustellen, wie zum Aus~druck seiner Absenz. Angewandt aufs Drama ist das Wort Sinnmehrdeutig. Es deckt gleichermaBen den metaphysischen Gehalt,der objektiv in der Komplexion des Artefakts sich darstellt; dieIntention .des Ganzen als eines Sinnzusammenhangs, den es vonsich aus bedeutet; schlieBlich den Sinn der Worte und Satze,welche die Personen sprechen, und den ihrer Abfolge, den. dia-logischen. Aber diese Kquivokationen verweisen auf ein Ge-meinsames. Aus ihm wird in Becketts Endspiel ein Kontinuum.Geschichtsphilosophisch ist es getragen von einer Veranderung desdramatischen Apriori: daB kein positiver metaphysischer Sinnderart mehr substantiell ist, wenn anders er es je war, daB diedramatische Form ihr Gesetz hatte an ihm und seiner Epipha-nie. Das jedoch zerriittet die Form bis ins sprachliche Gefiigehinein. Das Drama vermag nicht einfach negativ Sinn oder dieAbsenz von ihm als Gehalt zu ergreifen, ohne daB dabei allesihm Eigentiimliche bis zum Umschlag ins Gegenteil betroffenwiirde. Was dem Drama wesentlich ist, war konstituiert durchjenen Sinn. Wollte es ihn asthetischiiberleben, so, geriete esinadaquat zum Gehalt, wiirde zur klappernden Maschinerieweltanschaulicher Demonstration herabgesetzt wie vielfach inden existentialistischen Stiicken. Die Explosion des metaphysi-schen Sinnes, der allein die Einheit des asthetischen Sinnzusam-menhangs garantierte, laBt diesen mit einer Notwendigkeit undStrenge zerbrockeln, die der des iiberlieferten dramaturgischenFormkanons nicht nachsteht. Einstimmiger asthetischer Sinn,vollends dessen Subjektivierung in einer handfesten, tangiblenIntention, surrogierte eben jene transzendente Sinnhaftigkeit,deren Dementi selbst den Gehalt ausmacht. Die Handlung muB

durch die eigene organisierte Sinnlosigkeit dem sich an?ilden,was in dem Wahrheitsgehalt von Dramatik iiberhaupt slch zu-trug. Solche Konstruktion des Sinnlose~ halt ~uchnich.t innevor den sprachlichen Molekiilen: waren Sle,und lhre Verbm~un-gen, rational sinnhaft, so synthesierten sie im Drama unabdmg-bar sich zu jenem Sinnzusammenhang des Ganzen, den dasGanze verneint. Die Interpretation des Endspiels kann darumnicht der Schimare nachjagen, seinen Sinn philosophisch vermit-telt auszusprechen. Es verstehen kann nichts and~res ~eiBen, alsseine Unverstandlichkeit verstehen, konkret den Smnzusam-menhang dessen nachkonstruieren, daB es keinen hat .. A~ge-spalten, pratendiert der Gedanke darin nicht langer, Wle em~tdie Idee, Sinn des Gebildes seIber zu sein; Transzendenz, dievon seiner Immanenz erzeugt und garantiert wiirde. Statt dessenverwandelt er sich in eine Art Stoff zweiten Grades, so wie diePhilosopheme, die in Thomas Manns Zaub~rberg .und DoktorFaustus vorgetragen werden, gleich Stoffen lhr Schlcksal haben,das jene sinnliche Unmittelbarkeit ersetzt, welche in dem in sichreflektierten Kunstwerk sich herabmindert. War bislang solcheStofflichkeit des Gedankens weithin unfreiwillig, die Not vonWerken, die sich zwangslaufig mit der ihnen unerreichbarenIdee verwechselten so stellt Beckett sich der Herausforderungund benutzt Geda~ken sans phrase als Phrasen, Teilmaterialiendes monologue interieur, zu denen Geist seIber wurde, ~ing-hafter Riickstand von Bildung. Hat der vor-Beckettsche EXlsten-tialismus wie wenn er der leibhaftige Schiller ware,' philoso-phie als ;oetischen Vorwurf ausgeschlachtet, so prasent~ert Be~cett, gebildeter als irgendeiner, ihm die Rechnung: Phllosophle,Geist selber deklariert sich als Ladenhiiter, traumhafter Abhubder Erfahrungswelt, und der dichterische ProzeB. als Vers~lei~.Degout, seit Baudelaire kiinstlerische Produ~t1v~raft, 1st 111Becketts historisch vermittelten Regungen unersatthch. Was allesnicht mehr geht, wird zum Kanon, der ein Motiv der Vo.rge-schichte des Existentialismus, Husserls universale Weltvermcht-tung, aus dem Schattenreich der Methodologi~ erlOst. T~talitarewie Lukacs, die gegen den wahrhaft schreckhchen ~ eremfacherals dekadent wiiten sind yom Interesse ihrer Chefs mcht schlechtberaten. Sie hassen' an Beckett, was sie verrieten. Nur die nau-

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sea der Dbersattigung, das taedium des Geistes an sich selbeJ,,:ill, was. ganz anders ware; die verordnete Gesundheit jedochimmmt mlt der angebotenen Nahrung vorlieb, mit Hausmanns-'>kost. Becketts Degout laBt sich nicht notigen. Auf die Ermunte· 'rung mitzuhalten, antwortet er mit Parodie, der der Philoso.··phie, die seine Dialoge ausspuckt, nicht anders als der der For-men. Parodiert ist 4er Existentialismus seIber; yon seinen In-~arianten nichts tibrig als das Existenzminimum. Die Opposi-tIOn des Dramas gegen Ontologie als den Entwurf eines wie im·mer auch Ersten und Bleibenden wird unmiBverstandlich aneiner Dialogstelle, die ungewollt dem Wort Goethes yom altenWahren eine Fratze schneidet, das zu allbiirgerlicher Gesinnungverkam:

HAMM:Erinnerst du dich an deinen Vater?CLOY (iiberdriissig): Dieselbe Replik. (Pause) Du hast mlrdiese Frage millionenmal gestellt.HAMM: Ich liebe die alten Fragen. (Schwungvoll) Ah, diealten Fragen, die alten Antworten, da geht nichts driiberP

Gedanken werden mitgefiihrt und entstellt wie Tao-esreste homohomini sapienti sat. Daher das MiBliche dessen, ;'omit ~ich zubeschaftigen Beckett ablehnt, seiner Interpretation. Er zuckt die~chseln iiber die Moglichkeit von Philo sophie heute, yon Theo-ne iiberhaupt. Die Irrationalitat der biirgerlichen Gesellschaft inihrer Spatphase ist widerspenstig dagegen, sich begreifen zulassen~ .das wa:en .noch gute Zeiten, als eine Kritik der politi-schen Okonomle dleser Gesellschaft geschrieben werden konntedie sie bei ihrer eigenen ratio nahm. Denn sie hat diese mittler~weile zum alten Eisen geworfen und virtuell durch unmittelbareVerfiigung ersetzt. Das deutende Wort bleibt deshalb unver-meidlich hinter Beckett zuriick, wahrend doch seine Dramatikgerade vermoge ihrer Beschdnkung auf abgesprengte Faktizitattiber d.iesehinauszuckt, durch ihr Ratselwesen auf Interpretationverwelst. Fast konnte man es zum Kriterium einer falligenPhilosophie machen, ob sie dem gewachsen sich zeigt.D~r franzosis.cheExi~tentialismus hatte die Geschichte angepackt.Dlese verschlmgt bel Beckett den Existentialismus. 1m Endspiel1 Samuel Beckett, Endspiel und Alle die da fallen, libertr. yon ElmarTophoven, Frankfurt a. M. 1957, S. 33.

entfaltet sich ein historischer Augenblick, die Erfahrung, die imTitel des kulturindustriellen Schundbuchs >Kaputt' notiert war.Nach dem Zweiten Krieg ist alles, auch die auferstandene Kul-tur zerstort, ohne es zu wissen; die Menschheit vegetiert krie-chend fort nach Vorgangen, welche eigentlich auch die Dber-lebenden nicht iiberleben konnen, auf einem Triimmerhaufen,dem es noch die Selbstbesinnung auf die eigene Zerschlagenheitverschlagen hat. Das wird dem Markt, als pragmatische Voraus-setzung des Stiicks, entrissen:

CLOY (er steigt auf die Leiter und richtet das Fernglas na~drauBen): Mal sehen ... (Er schaut, indem er das Fernglas hmund her schwenkt.) Nichts ... (er schaut) ... und nichts ...(er schaut) ... und wieder nichts. (Er laBt das Fernglas sinkenund wendet sichHamm zu.) Na? Beruhigt?HAMM:Nichts riihrt sich. Alles ist ...CLOY: Ni ...HAMM(heftig): Ich rede nicht mit dirt (Normale Stimme.)Alles ist ... alles ist ... alles ist was? (Heftig) Alles ist was?CLOY: Was alles ist? In einem Wort? Das ist es; was du wissenwillst? Moment mal. (Er richtet das Fernglas nachdrauBen,schaut, laBt das Fernglas sinken und wendet sich Hamm zu.)KaputtF .

DaB aIle Menschen tot seien, ist unter der Hand emgeschmug-gelt. Eine friihere Passage motiviert, warum die Katastrophenicht erwahnt werden darf. Hamm ist vaguement seIber schuld

daran:HAMM:Er ist natiirlich tot, der alte Arzt.CLOY: Er war nicht alt.HAMM:Aber er ist tot.CLOY: Natiirlich. (Pause) Und DU fragst mich das?3

Der im Stiick gegebene Zustand aber ist kein anderer als der, indem es »keine Natur mehr gibt«4. Ununterscheidbar die Phaseder vollendeten Verdinglichung der Welt, die nichts mehr iibriglaBt was nicht yon Menschen gemacht ware, die permanenteKat~strophe, und ein zusatzlich yon Menschen eigens bewirkter

2 a. a. 0., S. 27·3 a. a. 0., S. 23 f.4 a. a. 0., S. 14·

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~atastrophenvorgang, in dem Natur getilgt ward und nachlllchts mehr wachst:

HAMM:Sind deine Korner aufgegangen?CLOY:Nein~H~MM:Hast du ein wenig gescharrt, urn zu sehen, ob sieke1mt haben?CLOY:Sie haben nicht gekeimt.HAMM:Es ist vielleicht noch zu friih.CLOY:Wenn sie keimen miiBten, hatten sie gekeimt sie wer-den nie keimen.5 '

D!.e dram.atis. personae gleichen solchen, die den eigenen Todtraumen, m emem »Unterschlupf«, in dem es doch »Zeit wirddaB es endet«6. DerWeltuntergang ist diskontiert, als ware e;selbstverstandlich. Jedes vermeintliche Drama des Atomzeital-ters ware Hohn auf sich selbst, allein schon weil seine Fabel dashistorische Grauen der Anonymitiit, inderr: sie es in Charaktereund Handlungen yon Menschen hineinschiebt trostlich ver-falscht und womoglich die Prominenten anstau~t, die dariiberbefinden, ob auf den Knopf gedriickt wird. Die Gewalt des Un-saglichen wird nachgeahmt yon der Scheu, es zu erwahnen.Beckett halt es nebulos. Ober das aller Erfahrung Inkommen-surable laBt nur euphemistisch sich reden, so wie man in Deutsch-land yon der Ermordung der Juden spricht. Es ist zum totalenApriori geworden, so daB das zetbombte BewuBtsein keinenOrt mehr.hat, yon dem aus es darauf sich besinnen konnte. Derdes'perat~ Stand der Dinge liefert in grausiger lronie ein Stili-satlOnsm1ttel, das jene ptagmatische Voraussetzung vor detKontamination mit kindischer Science Fiction schiitzt. Hatte:virklich C:lov, wie sein mit common sense norge1nder Gefahrte1hm vorw1rfl:, iibertrieben, so anderte das wenig. Der partielleWeltuntergang, auf den dann die Katastrophe hinausliefe wareein s~lecht~r Witz; die Natur, yon der die Eingesperrt;n ab-gesch1edensmd, schon so gut, als ware sie gar nicht mehr da' wasyon ihr iibrig ist, verlangert bloB die Qual. 'Dies historische Notabene jedoch, die Parodie des Kierkegaard-schen der Beriihrung yon Zeit und Ewigkeit, verhangt zugleich5 a. a. 0.; S. 15 f.6 a. a. 0., S. 9.

ein Tabu iiber die Geschichte. Was nach existentialistischem Jar-gon die condition humaine ware, ist das Bild des letzten Men-schen, das die friiheren, Humanitat, friBr. Die Existentialonto-logie behauptet Allgemeingiiltiges in einem seiner selbst unbe-wuBten ProzeB yon Abstraktion. Wahrend sie immer noch, nachder alten phanomenologischen These van der Wesensschau, sichgebardet, als ob sie ihrer verpflichtenden Bestimmungen im Be-sonderen gewahr wiirde und dadurch Aprioritiit und Konkret-heit mit einem Zauberschlag vereinte, destilliert sie, was ihriiberzeitlich diinkt, heraus, indem sie eben jenes Besondere, inRaum und Zeit Individuierte durchstreicht, als welches ExistenzExistenz ist und nichtderen bloBer Begriff. Sie wirbt urn die,we1che des philosophischen Formalismus iiberdriissig sind undcloch an das sich klammern, was einzig formal sich haben laBt.Zu solcher uneingestandenen Abstraktion setzt Beckett dieschneidende Antithese durch eingestandene Subtraktion. Er laBtnicht das Zeitliche an der Existenz fort, die doch nur zeitlicheine ware, sondern zieht yon ihr ab, was die Zeit - die ge-schichtliche Tendenz - real zu kassieren sich anschickt. Er ver-langert die Fluchtbahn der Liquidation des Subjekts bis zu demPunkt wo es in ein Diesda sich zusammenzieht, dessen Ab-straktheit, der Verlust aller Qualitat, die ontologische buch-stablich ad absurdum fiihrt, zu jenem Absurden, in das bloBeExistenz umschlagt, sobald sie in ihrer nackten sich selbstGleichheit aufgeht. Kindische Albernheit tritt als Gehalt derPhilo sophie hervor, die zur Tautologie, zur begrifflichen Ver-dopplung der Existenz degeneriert, welche sie zu begreifen vor-hatte. Lebte die neuere Ontologie yon dem unerfiillten Ver-sprechen der Konkretion ihrer Abstrakta, so wird in Be~ettder Konkretismus der muschelhaft in sich verbackenen, kemesAllgemeinen mehr fahigen, in purer S~lbstset~ung sich erscho?-fend en Existenz offenbar als das Gle1che W1eder Abstrakus-mus, der es zur Erfahrung nicht mehr bringt. Ontologie kommtnach Hause als Pathogenese des falschen Lebens. Dargestelltwird es als Stand negativer Ewigkeit. Hat einmal der messiani-sthe Myschkin seine Uhr vergessen, weil ihm keine irdische Zeitgilt, so ist seinenAntipoden die Zeitverloren, weil sie n?ch Hoff-nung hatte. Die gahnende Konstatierung Ge1angwe1lter, das

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Wettersei »wie gewohnlich«7, offnet ihren Hollenschlund:HAMM:Aber es ist immer so abends, nicht wahr, Cloy?CLOY:Immer.HAMM:Es ist ein Abend wie jeder andere, nicht wahr, Cloy?CLOY:Es scheint SO.8

Gleich der Zeit ist das Zeitliche versehrt; zu sagen, es gabe esnicht mehr, ware schon zu trostlich. Es ist und ist nicht, wie fUrden Solipsisten der Welt, deren Existenz er bezweifelt, wahrender sie mit jedem Satz konzedieren muK So schwebt eine Dialog-stelle:

HAMM:Und der Horizont? Nichts am Horizont?CLOY (das Fernglas absetzend, sich Hamm zuwendend,voller Ungeduld): Was solI denn schon am Horizont sein?Pause.HAMM:Die Wogen, wie sind die Wogen?CLOY:Die Wogen? (Er setzt das Fernglas an.) Aus Blei.HAMM:Und die Sonne?CLOY(schauend): Keine.HAMM:Sie mUgte eigentlich gerade untergehen. Schau gutnachoCLOY(nachdem er nachgeschaut hat): Denkste.HAMM:Es ist also schon Nacht?CLOY(schauend): Nein.HAMM:Was denn?CLOY (schauend): Es ist grau. (Er setzt das Fernglas abund wendet sich Hamm zu. Lauter.) Grau! (Pause. Nochlauter.) GRAUl9Geschichtewird ausgespart, weil sie die Kraft des Bewugtseins

ausgetrocknet hat, Geschichtezu denken, die Kraft zur Erinne-rung. Das Drama verstummt zum Gestus, erstarrt mitten in denDialogen. Yon Geschichte erscheint blog noch deren Resultatals Neige. Was bei den Existentialisten zum Ein fUr allemal desDaseins sich aufplusterte, ist geschrumpft zur Spitze des Histo-rischen, die abbricht. Der Einwand yon Lukacs, bei Beckett

seien die Menschen auf ihre Tierheit reduziert10, sperrt mitoffiziellem Optimismus sich dagegen, dag aus den Residual-philosophien, die nach Abzug des zeitlich Zufalligen das :Vahreund Unvergangliche sich gutschreiben mochten, das Res1duumdes Lebens geworden ist, das Fazit der Beschadigung. So un-sinnig Freilich wie, mit Lukacs, Beckett eine abstrakt-subjekti-vistische Ontologie zu unterschieben und dann diese, um ihrerWeltlosigkeit und Infantilitat willen, auf den ausgekramtenIndex entarteter Kunst zu setzen, ware es, ihn als politischenKronzeugen aufzurufen. Zum Kampf gegen den Atomtod er-muntert schwerlich ein Werk, das dessen Potential schon demaltesten Kampf anmerkt. Der Simplificateur des Schreckenswei-gert sich, anders als Brecht, der Simpli~kati~n. Er i~t ih~ abergar nicht so unahnlich insofern, als seme D1fferenz1erthelt zurEmpfindlichkeitgegen subjektive Differenzen wird.' .die ~urconspicuous consumption derer Yerka~en, welche In~lvldua:lOnsich leisten konnen. Daran ist ein sozlal Wahres. Dlfferenzlert-heit kann nicht absolut, unbesehen als positiv gebucht werden.Die Vereinfachung des Sozialprozesses, die sich anbahnt, rele-giert sie zu den faux frais, etwa so, ,,:,ie die Ums:~ndli~keit~nsozialer Formen, an denen DifferenZlerungsvermogen slch bll-dete, verschwinden. Was die Bedingung yon Humanitat war,Differenziertheit, gleitet in die Ideologie. Aber das unsentimen-tale Bewugtsein davon bildet nicht selbst sich zurUck. 1m Aktdes Weglassens Uberlebt das Weggelassene als Vermiedenes wiein der atonalen Harmonik die Konsonanz. Der Stumpfsinn desEndspiels wird mit hochster Differenziertheit protokolliert undausgehort. Die protestlose Darstellung allgegenwarti~er Regr.es-sion protestiert gegen eine Verfassung der Welt, ~le .so wl.ll-fahrig dem Gesetz yon Regression gehorcht, dag Sle elgenthchschon Uber keinen Gegenbegriff mehr verfligt, der jener vorzu-halten ware. Gewacht wird darUber, dag es nur so und nichtanders sei,ein Fein klingelndes Alarmsystem meldet, was zurTopographie des StUcks stimmt und was nicht. Beckett ver-schweigt aus Zarth~it das Zarte nicht minder als das Brutale.Die Eitelkeit des Einzelnen, der die Gesellschaft anklagt, wah-10 Vgl. Erpreflte Versohnung, oben S. 263, und Georg Lukacs, Wider denmiflverstandenen Realismus, Hamburg '958, S. 31.

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rend sein Recht in die Akkumulation des Unrechts aller Ein4zelnen, das Unheil, selbst eingeht, manifestiert sich an peinlichen:Deklamationen wie dem Deutschlandgedicht yon Karl Wolfs~i'kehl. Das Zu spat, der versaumte Augenblick verdammt solch~iaufrufende Rhetorik zur Phrase. Nichts dergleichen in Beckett.'Noch die Ansicht, er stelle negativ die Negativitat des Zeitaltersdar, paiSte in jenes Konzept, deIl7-zufolge man in den ostlichen'Satellitenlandern, wo die Revolution als Verwaltungsakt durch-geflihrt ward, frisch-Frohlich nun der Spiegelung eines frisch-frohlichen Zeitalters sich widmen muK Das aller Spiegelbild-lichkeit ledige Spiel mit Elementen der Realitat, das keineStellung bezieht und in soIcher Freiheit, als der yom verordne-ten Betrieb, sein Gltick findet, enthtillt mehr, als wenn einEnthtiller Partei nimmt. Schweigend nur ist der Name des Un-heils auszusprechen. 1m Grauen des letzten ztindet das desGanzen; aber einzig darin, nicht im Blick auf Ursprtinge. DerMensch, dessen allgemeiner Gattungsname schlecht in BeckettsSprachlandschaft paiSt, ist ihm einzig das, was er wurde. Oberdie G~ttung. entscheidet ihr jtingster Tag wie in der Utopie.Aber 1m GeIst muiS noch die Klage dartiber sich reflektierendaiS nicht mehr sich klagen laiSt. Kein Weinen schmilzt de~Panz~r, tibrig ist nur das Gesicht, dem die Tranen versiegten.Das hegt auf dem ~runde eines ktinstlerischen Verhaltens, wiees jene als inhuman denunzieren, deren Menschlichkeit bereits inReklame flirs Unmenschliche tibergegangen ist, auch wenn sie esnoch gar nicht ahnen. Unter den Motiven von BeckettsReduktionauf den vertierten Menschen ist das wohl das innerste. Am Ab-surden seiner Dichtung hat teil, daiSsie ihrAntlitz verhtillt.~ie Katastrophen, die das Endspiel inspirieren, haben jenenEmzelnen aufgesprengt, dessen Substantialitat und Absolutheitdas Gemeinsame zwischen Kierkegaard, Jaspers und der Sartre-schen Version des Existentialismus war. Diese hatte noch demOpfer d~r Konzentrationslager die Freiheit bescheinigt, was anMarter Ihm angetanwird, innerlich anzunehmen oder zu ver-neinen. Das Endspiel zerstort derlei Illusionen. Der Einzelneselbst ist als geschichtliche Kategorie, Resultat des kapitalisti-sche~ En~fremdungsprozesses und trotziger Einspruch dagegen,als em wlederum Vergangliches offenbar geworden. Die indivi-

dualistische Position gehorte polar zum ontologischen Ansatzeines jeglichen Existentialismus, auch dessen von >Sein undZeit<. Becketts Dramatik verlaBt sie wie einen altmodischenBunker. Nirgendwoher empfing die individuelle Erfahrung inihrer Enge und Zufalligkeit die Autoritat, sie selbst als Chiffredes Seins auszulegen, es sei denn, sie behauptete sich selbst alsGrundcharakter des Seins. Gerade das aber ist die Unwahrheit.Die Unmittelbarkeit der Individuation trog; das, woran einzel-menschliche Erfahrung haftet, ist vermittelt, bedingt. Das End-spiel unterstellt, daB Autonomie- und Seinsanspruch des Indivi-duums unglaubwtirdig ward. Aber wahrend das Gefangnis derIndividuation als Gefangnis und Schein zugleich durchschautwird - das Btihnenbild ist die imago solcher Selbstbesinnung -,vermag doch Kunst den Bann der abgespaltenen Subjektivitatnicht zu Iosen; einzig den Solipsismus zu versinnlichen. BeckettstoiSt damit auf ihre gegenwartige Antinomie. Die Position desabsoluten Subjekts, einmal aufgeknackt als Erscheinung einestibergreifenden und sie tiberhaupt erst zeitigenden Ganzen, istnicht zu halten: der Expressionismus veraltet. Aber der Ober-gang in die verpflichtende Allgemeinheit gegenstandlicher Reali-tat, die dem Schein der Individuation Einhalt gebote, ist derKunst verwehrt. Denn anders als die diskursive Erkenntnis desWirklichen, von der sie nicht graduell sondern kategorial ge-trennt ist, gilt in ihr nur das, was in den Stand von Subjektivi-tat eingebracht, was dieser kommensurabel ist. Versohnung, ihreIdee, vermag sie zu konzipieren einzig alsdie zwischen demEntfremdeten. Fingierte sie den Stand der Versohnung, indemsie zur bloBen Dingwelt tiberliefe, so negierte sie sich selbst. Wasals sozialistischer Realismus ausgeboten wird, ist nicht, wie manbeteuert, tiber dem Subjektivismus, sondern hinter ihm zurtickund zugleich dessen vorktinstlerisches Komplement; das expres-sionistische 0 Mensch und die ideologisch gewtirzte sozialeReportage £ligen ltickenlos sich ineinander. Die unversohnteRealitat duldet in der Kunst keine Versohnung mit dem Ob-jekt; der Realismus, der an subjektive Erfahrung gar nichtheranreicht, geschweige tiber sie hinaus, mimt sie bioK Die Di-gnitat von Kunst heute bemiBt sich nicht danach, ob sie mitGltick oder Geschick jener Antinomie entschltipft, sondern wie

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sie sie austragt. Darin ist das Endspiel exemplarisch. Es beugtsich ebenso der Unmoglichkeit, in Kunstwerken noch nach derSitte des neunzehnten Jahrhunderts darzustellen, Stoffe zubearbeiten, wie der Einsicht, daB die subjektiven Reaktions-weisen, die anstelle yon Abbildlichkeit das Formgesetz vermit-teln, seIber kein Erstes und Absolutes sind sondern ein Letztes,objektiv Gesetztes. Aller Gehalt der notwendig sich selbsthypostasierenden Subjektivitat ist Spur und Schatten der Welt,aus der sie sich zurticknimmt, urn nicht dem Schein und derAnpassung zu dienen, welche die Welt erheischt. Beckett ant-wortet darauf mit keinem unverlierbaren Vorrat sondern dem,was die antagonistischen Tendenzen eben noch, prekar und aufWiderruf, gestatten. Seine Dramatik ahnelt dem SpaB, den esim alten Deutschland bereiten mochte, zwischen den Grenz-pfahl en yon Baden und Bayern sich herumzutreiben, als hegtensie ein Reich der Freiheit ein. Das Endspiel findet in einer Zoneder Indifferenz yon innen und auBen statt, neutral zwischen denStoffen, ohne die keine Subjektivitat sich zu entauBern, keineauch nur zu sein vermochte, und einer Beseeltheit, welche dieStoffe verschwimmen laBt, wie wenn sie das Glas angehauchthatte, durch das jene erblickt werden. So karg sind die Stoffe,daB der asthetische Formalismus gegen seine Widersacher drti-ben und htiben, die Stoffhuber des Diamat und die Dezernentender echten Aussage, ironisch gerettet wird. Der Konkretismusder Lemuren, denen im doppelten Sinn der Horizont abhandenkam, geht unmittelbar in die auBerste Abstraktion tiber; dieStoffschicht seIber bedingt ein Verfahren, durch das die Stoffe,indem sie eben noch als vergehende gestreift werden, geometri-schen Formen sich nahern; das Engste wird zum Dberhaupt.Die Lokalisierung des Endspiels in jener Zone afft den Zuschauermit der Suggestion eines Symbolischen, das sie gleich Kafkadoch verweigert. Weil kein Sachverhalt bloB ist, was er ist,erscheint eih jeder als Zeichen eines Inneren, aber das Innere,dessen Zeichen er ware, ist nicht mehr, und nichts anderes mei-nen die Zeichen. Die eiserne Ration an Realitat und Personen,mit denen das Drama rechnet und haushiilt, ist eins mit dem,was yon Subjekt, Geist und Seele im Angesicht der perman en-ten Katastrophe bleibt: yom Geist, der in Mimesis entsprang,

die liicherliche Imitation; yon der sich inszenierenden Seele dieinhumane Sentimentalitat; yom Subjekt seine abstrakteste Be-stimmung: da zu sein und allein dadurch schon zu freveln.Becketts Figuren benehmen sich so primitiv-behavioristisch, wiees den Umstiinden nach der Katastrophe entsprache, und diesehat sie derart versttimmelt, daB sie anders gar nicht reagierenkonnen; Fliegen, die zucken, nachdem die Klatsche sie schonhalb zerquetscht hat. Das asthetische principium stilisationismacht dasselbe aus den Menschen. Die ganz auf sich zurtickge-worfenen Subjekte, Fleisch gewordener Akosmismus, bestehenin nichts anderem als den armseligen Realien ihrer zur Notdurfl:verhutzelten Welt, leere personae, durch die es wahrhafl: bloEnoch hindurchtont. Ihre phonyness ist das Resultat der Entzaube-rung des Geistes als Mythologie. Urn Geschichte zu unterbietenund dadurch vielleicht zu tiberwintern, besetzt das Endspiel denNadir dessen, was auf dem Zenith der Philo sophie die Kon-struktion des Subjekt-Objekts beschlagnahmte: reine Identitatwird zu der des Vernichteten, zu der yon Subjekt und Objektim Stand vollendeter Entfremdung. Waren bei Kafka die Bedeu-tungen gekopfl:oder verwirrt, so rufl:Beckett der schlechtenUn-endlichkeit der Intentionen Halt zu: ihr Sinn sei Sinnlosigkeit.Das ist objektiv, ohne alle polemische Absicht, sein Bescheid andie Existentialphilosophie, welche Sinnlosigkeit selber, untermNamen yon Geworfenheit und spiiter Absurditiit, im SchutzderKquivokationen des Sinnbegriffs zum Sinn verkliirt. Beckettsetzt ihm keine Weltanschauung entgegen, sondern nimmt ihnbeim Wort. 'Was aus dem Absurden wird, nachdem die Charak-tere des Sinns yon Dasein heruntergerissen sind, das ist keinAllgemeines mehr - dadurch wiirde das Absurde schon wiederIdee - sondern triibselige Einzelheiten, die des Begriffs spotten,eine Schicht aus Utensilien wie in einer Notwohnung, Eis-schranken, Lahmheit, Blindheit und unappetitlichen Korperfunk-tionen. Alles wartet auf den Abtransport. Diese Schicht ist nichtsymbolisch, sondern die des nachpsychologischen Standes wie beialten Leuten und Gefolterten.Verschleppt aus der Innerlichkeit, sind Heideggers Befindlich-keiten, die Situationen yon Jaspers material istisch geworden.Die Hypostasis des Individuums und die der Situation harmo-

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nierten bei jenen. Situation war Zeitdasein schlechthin und dieTotalitat eines lebendigen Einzelnen als des primar Gewissen.Sie setzte ldentitat der Person voraus. Beckett erweist darinsich als der Schi.ilerProusts und der Freund yon Joyce, daB erdem Begriff der Situation zuriickgibt, was er sagt und was diePhilosoph ie, die ihn ausbeutet, eskamotierte, die Dissoziationder BewuBtseinseinheit in Disparates, die Nichtidentitat. Sobaldaber das Subjekt nicht mehr zweifelsfrei mit sich identisch, keinin sich geschlossener Sinnzusammenhang mehr ist, verflieBt auchseine Grenze gegen das Auswendige, und die Situationen derlnnerlichkeit werden zu solchen der Physis zugleich. Das Gerichtiiber die lndividualitat, welche der Existentialismus als ideali-stischesKernstiick konservierte, verurteilt den ldealismus. Nicht-identitat ist beides, der geschichtliche Zerfall der Einheit desSubjekts und das Hervortreten dessen, was nicht selbst Subjektist. Das veriindert, was mit Situation gemeint sein kann. VonJaspers wird sie definiert als »eine Wirklichkeit fiir ein an ihrals Dasein interessiertes Subjekt«lI. Er ordnet den Situations-begriff ebenso dem als fest und identisch vorgestellten Subjektunter, wie er unterstellt, der Situation wachse aus.der Beziehungauf dies Subjekt Sinn zu; unmittelbar danach nennt er sie dennauch »eine nicht nur rtaturgesetzliche, vielmehr eine sinnbezogeneWirklichkeit«, die iibrigens, merkwiirdig genug, bereits bei ihm»weder psychisch noch physisch, sondern beides zugleich«12seinsoIl. lndem jedoch der Anschauung Becketts die Situation tat-sachlich beides wird, verliert sie ihre existentialontologischenKonstituentien: personale ldentitat und Sinn. Eklatant wirddas am Begriff der Grenzsituation. Auch der stammt yonJaspers: »Situationen wie die, daB ich immer in Situationen bin,daB ich nicht ohne Kampf und ohne Leid,leben kann, daB ichunvermeidlich Schuld auf mich nehme, daB ich sterben muB,nenne ich Grenzsituationen. Sie wandeln sich nicht, sondern nurin ihrer Erscheinung; sie sind, auf unser Dasein bezogen, end-giiltig.«13 Die Konstruktion des Endspiels nimmt das auf mit

11 Karl Jaspers, Philosophie. Bd. 2: Existenzerhellung. 3. Aufl., Berlin,Gottingen, Heidelberg 1956, S. 201 f.12 a. a. 0., S. 202.

13 a. a. 0., S. 203.

einem sardonischen: Wie bitte? Weisheiten wie die, daB »ichnicht ohne Leid leben kann, daB ich unvermeidlich Schuld aufmich nehme, daB ich sterben muB«, verlieren ihre Plattheit indem Augenblick, in dem sie aus ihrer Aprioritat herunter- undin die Erscheinung zuriickgeholt werden; dann zerspringt dasEdle und Affirmative, womit Philo sophie die schon nach Hegelfaule Existenz verziert, indem sie das nicht Begriffliche untereinen Begriff subsumiert, der die hochtrabend ontologisch ge-nannte Diffetenz wegzaubert. Beckett stellt die Existentialphilo-sophie yom Kopf auf die FiiBe. Sein Stiick reagiert auf Komikund ideologisches Unwesen Yon Satzen wie: »Tapferkeit ist inder Grenzsituation die Haltung zum Tode als unbestimmteMog-lichkeit des Selbstseins«14,mag Beckett sie kennen oder nicht. DasElend der Teilnehmer am Endspiel ist das der Philosophie.Die BeckettschenSituationen, aus denen sein Drama sich kompo-niert sind das Negativ sinnbezogener Wirklichkeit. Sie habenihr Modell an jenen des empirischen Daseins, die, sobald sieisoliert, ihres zweckrationalen und psychologischen Zusammen-hangs durch den Verlust personeller Einheit entauBert werden,yon sich aus spezifischen und zwingenden Ausdruck annehmen,den yon Grauen. Sie begegnen schon in der Praxis des Expressio-nismus. Das Entsetzen, das Leonhard Franks VolksschullehrerMager verbreitet, die Ursache seiner Ermordung, wird evidentin der Beschreibung der umstandlichen Art, in der Herr Magervor der Schulklasse einen Apfel schalt. Das Bedachtige, dasso unschuldig aussieht, ist Figur des Sadismus: das Bild dessen,der sich Zeit nimmt, gleicht dem, der auf grafiliche Strafe war-ten laBt. Becketts Behandlung der Situationen, dem panischenund artifiziellen Derivat der einfaltigen Situationskomik yonanno dazumal, verhilfl: aber einem Sachverhalt zur Sprache, derschon an Proust bemerkt wurde. Heinrich Rickert, der in derposthumen Schrifl:>Unmittelbarkeit und Sinndeutung< die Mog-lichkeit einer objektiven Physiognomik des Geistes, der nichtbloB projektiven »Seele« einer Landschafl: oder eines Ku~st-werks erwagt1S, zitiert eine Stelle yon Ernst Robert CurtlUs.14 a. a. 0., S. 225.

15 Vgl. Heinrich Rickert, Unmittelbarkeit und Sinndeutung, Tiibingen1939, S. 133 f.

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Di~se: halt es »nur fiir bedingt richtig ... , wenn man in ProustIedlghch ~del' ~or~iegend einen gro~en Psychologen sieht. EinStendhaI 1st mlt dleser Bezeichnung zutreffend charakterisiert.Er ... steht damit in der kartesianischen Tradition des franzo-sischen Geistes. Aber Proust erkennt die Trennung zwischender den~ende? und der ausgedehnten Substanz nicht an. Erzerschnelde: die Welt nicht in Psychisches und Physisches. Manverkennt die Bedeutung seines Werkes, wenn man es aus derPerspektive des >psychologischenRomans, betrachtet. Die Weltd~r Si.nnendinge nimmt in Prousts Biichern denselben Raum ein:VIedie ~es S.eeIischen.«Oder: »Wenn Proust Psychologe ist, so1st er es In eInem ganz neuen Sinne: indem er aIIes Wirklicheauch die sinnliche Anschauung, in ein seelischesFluidum taucht.,:~.afiir, ~daKder iibIicheBegriff aes Psychischen hier nicht pa~t«,fuhrt Rickert ~bermaIs ~urtius an: »Aber damit hat der Begriffdes Psychologischen SeInen Gegensatz verIoren - und ebendaru~ tau~t er nicht mehr zur Charakterisierung.«16 DiePhyslOgnomlk des objektiven Ausdrucks behalt indessen aIlemaI~in Enigmatisches. Die Situation en sagen etwas - aber was?;Insofern konvergiert Kunst seIber aIs Inbegriff yon Situation enmit jener Physiognomik. Sie vereint au~erste Bestimmtheit mitderen radikalem GegenteiI. Bei Beckett wird dieser Widerspruchnach au~en gestiilpt. Was sonst hinter kommunikativer Fassadesich versc~anzt, ~st zum Erscheinen verurteiIt. Proust hangt je-~er PhyslOgnomlk, aus einer unterirdischen mystischen Tradi-tIon, noch affirmativ nach, aIs offnete die unwiIIkiirIiche Erinne-rung eine Geheimsprache der Dinge; bei Beckett wird sie zu derd~s nicht Ianger Menschlichen. Seine Situationen sind die Gegen-bllder des UnauslOschIichen, das in denen Prousts beschworenwird, ~bge:ungen der FIut dessen, wogegen verangstigte Ge-~undhelt mlt Mordiogeschrei sich wehrt, der Schizophrenie. InIhrem Reich bleibt Becketts Drama seiner seIbst machtig. Essetzt noch sie in Reflexion:

HAMM:Ich habe einen Verriickten gekannt, der gIaubte, dasEnde der Welt ware gekommen. Er malte BiIder. Ich hatteihn gern. Ich besuchte ihn oft in der Anstalt. Ich nahm ihn an

16 Erns.t. Robe~t C~rt~us, ~ranzosischer Geist im neuen Europa, 1925, S.74 if.; :lt1ert bel Hemnch Rldcert, a. a. 0., S. 133 if., Fullnote.

der Hand und zog ihn ans Fenster. Sieh doch mal! Da! Dieaufgehende Saat! Und da! Siehl Die Segelder Sardinenboote.Wie schon das aIles ist! (Pause) Er ri~ seine Hand los undkehrte wieder in seine Ecke zuriick. Erschiittert. Er hatte nurAsche gesehen. (Pause) Er aIlein war verschont geblieben.(Pause) Vergessen. (Pause) Der FaIl ist anscheinend ... derFaIl war gar keine ... keine Seltenheit,17

Die Wahrnehmung des Vertiickten trafe mit der Cloys zusam-men, der auf Gehei~ durchs Fenster spaht. Mit nichts anderembewegt das EndspieI sich weg yom Tiefpunkt, als dadurch, da~es sich wie einen Schlafwandler anruft: Negation der Negativi-tat. In Becketts Gedachtnis haftet etwa ein apoplektischer Mannmittleren Alters, der seinen Mittagsschlaf halt, ein Tuch iiberdie Augen, urn sich vor Licht oder Fliegen zu schiitzen; es machtihn unkenntlich. Das durchschnittliche, kaum nur optisch unge-wohnte Bild wird Zeichen erst dem Blick, der den Identitats-verIust des Gesichts, die MogIichkeit, seine VerhiiIltheit sei dieeines Toten, das Absto~ende der physischen Sorge gewahrt, dieden Lebendigen, indem sie ihn auf seinen Korper herunter-bringt, schon unter die Leichen einreiht18. Beckett stiert aufsolche Aspekte, bis der FamilienaIltag, aus dem sie stammen, zurIrrelevanz verbla~t; am Anfang ist das Tableau des mit einemalten Laken verhiiIlten Hamm, am Ende nahert er seinem Ge-sicht das Taschentuch, den letzten Besitz:

HAMM:Altes Linnen! (Pause) Dich behalte ich.l9

SoIche yon ihrem Zusammenhang und dem Charakter der Per-son emanzipierten Situation en werden in einen zweiten, auto-nOmen Z~sammenhang hineinkonstruiert, ahnlich wie Musik diein ihr untertauchenden Intentionen und Ausdruckscharakterezusammenfiigt, bis ihre FoIge ein Gebilde eigenen Rechtes wird.Eine SchliisselsteIledes Stiicks -

Wenn ich schweigen kann und ruhig bleiben, wird es aus seinmit jedem Laut und jeder Regung20 -

17 Beckett, a. a. 0., S. 37.18 VgI. Max Horkheimer und Th. W. Adorno, Dialektik der Auf-kHirung, Amsterdam 1947, S. 279.19 Beckett, a. a. 0., S. 67.20 a. a. 0., S. 55.

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verrat das Prinzip, vielleicht als Reminiszenz daran, wie Sha-kespeare mit dem seinen in der Schauspielerszene des Hamletverfuhr. .

HAMM:Dann sprechen, schnell,Warter, wie das einsame Kind,das sich in mehrere spaltet, in zwei, drei, urn beieinander zusein, und mit einander zu sprechen, in der Nacht. (Pause) EinAugenblick kommt zum anderen, pluff, pluff, wie die Hirse-karner des ... (er denkt nach) ... jenes alten Griechen, undlebenslanglich wartet man darauf, daB ein Leben daraus wer-de.21

1m Schauer des keine Eile Habens spielen solche Situation enauf die Gleichgiiltigkeit und Dberfliissigkeit dessen an, was dasSubjekt iiberhaupt noch tun kann. Erwagt Hamm, die Deckelder Miilleimer vernieten zu lassen, in denen seine Eltern hausen,so widerruft er den EntschluB dazu mit den gleichen Worten wieden zum Urinieren, der der Qualerei des Katheters bedarf:

HAMM:Es eilt nicht.22Der leise Abscheu vor Medizinflaschchen, zuriickdatierend aufden Augenblick, da man der Eltern als physisch hinfallig, sterb-lich, auseinanderfallend inneward, scheint wider in der .Frage:

HAMM:MuB ich jetzt meine Pillen einnehmen?23Miteinander Sprechen ist durchweg zum Strindbergischen Nar-geln geworden:

HAMM:Fiihlst du dich in deinem normalen Zustand?CLOY(gereizt): Ich sagte doch, daB ich mich nicht beklage24,

und ein anderes Mal:HAMM:Ich fiihle mich etwas zu weit links. (Clov schiebt denSessel unmerklich weiter. Pause.) Jetzt fiihle ich mich etwaszu weit rechts. (Dasselbe Spiel.) Jetzt fiihle ich mich etwas zuweit vorn. (Dasselbe Spiel.) Jetzt fiihle ich mich etwas zu weitzuriick. (Dasselbe Spiel.) Bleib nicht da! (d. h. hinterm Sessel.)Du machst mir angst.Cloy kehrt anseinen Platz neben dem Sesselzuriick.

21 a. a. O.22 a. a. 0., S. 23.23 a. a. 0., S. II.

24 a. a. 0., S. 10.

CLOY:Wenn ich ihn taten konilte, wUrde ich zufrieden ster-ben.25

Die Neige der Ehe aber ist die Situation, wo man sichkratzt:NELL:Ich werde dich verlassen.NAGG:Kannst du mich vorher noch kratzen?NELL:Nein. (Pause) Wo?NAGG:Am RUcken. 'NELL:Nein. (Pause) Reib dich am Eimerrand.NAGG:Es ist tiefer. Am Kreuz.NELL:An welchem Kreuz?NAGG:Am Kreuz. (Pause) Kannst du nicht? (Pause) Gesternhast du mich da gekratzt.NELL(elegisch): Ah, gestern!NAGG: Kannst du nicht? (Pause) Willst du nicht, daB ichdich kratze? (Pause) Weinst du schon wieder?NELL:Ich yersuchte es.26

Nachdem der abgedankte Vater und Prazeptor seiner Elternden als metaphysisch beriihmten jiidischen ~itz von der ~oseund der Welt erzahlt hat, bricht er seIber III Lachen d~ruberaus. Die Scham, die einen ergreift, wenn jemand Uber die elgenenWorte lacht, wirdzum Existential; Leben ist Inbegriff bloB nochals der allesdessen, wessen man sich zu schamen hatte. ~ub-jektivitat bestUrzt als Herrschaft in der Situation, ":0 elllerpfeift und der andere herbeikommt27• Wogegen ~b~r dIe Schamsich straubt, das hat seinen sozialen Stellenwert: III den Mome~-ten da BUrger als rechte BUrger sich benehmen, beflecken slede~ Begriff der Humanitat, auf dem ihr eigener .Anspruch ruht.Geschichtlich sind Becketts Urbilder auch darlll, daB. er a~smenschlich Typisches einzig die Deformationen vorzelgt, dIeden Menschen yon der Form ihrer Gesellschaft angetan werden.Kein Raum bleibt fUr anderes. Die Unarten und Tick~ des n?r-malen Charakters, die das Endspiel unausdenkbar steIgert~ Stn~

jene langst alle Klassen und Individuen pragende .Allge~~lllhe~tines Ganzen das blog durch die schlechte Parttkularttat, dIe

:ntagonistischen Interessen der Subjekte hindurch sich reprodu-

25 a. a. 0., S. 25·26 a. a. 0., S. 20.

27 Vgl. a. a. 0., S. 44·

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ziert. Weil.aber kein anderes Leben war als das falsche, wird derK~talog selller Defekte Zum Widerspiel der Ontologie.DIe AUfs?~ltung in U~ver.bundenes und Unidentisches ist jedochan Identrtat gekettet III elllem Theatersttick, das aufs traditio-~el~ePersonen.verzeichnis nicht verzichtet. Nur gegen Identitat,III Ihre~ Be?n~ fallend, ist Dissoziation tiberhaupt moglich;sonst.ware SledIe pure, unpolemische, unschuldige Vielfalt. DiegeschIchtlicheKrisis des Individuums hat einstweilen ihre Gren-ze an dem b~ologischenEinzelwesen, ihrem Schauplatz. So endetder ohne Wlderstand der Individuen hingleitende Wechsel derSituatio~en bei ~eckett an den hartnackigen Korpern, aufwe1che Sle regredleren. An so1cher Einheit gemessen sind diesc~izoid~nSituationen komischwie Sinnestauschungen. Daher diepnma VIsta zu bemerkende Clownerie der Verhaltensweisen undKonstellationen von Becketts Figuren28. Erklart die Psycho-analyse den Clownshumor als Regression auf eine tiberaus frti-h~.ontogenetische Stufe, dann steigt das Beckettsche Regressions-stuck dort hlllab. Aber das Lachen, zu dem es animiert mtiihe~ie L~cher ersticken. Das wurde aus Humor, nachde~ er alsasthetlsches Medium veraltet ist und widerlich, ohne Kanondessen, wortiber. zu lachen ",:are; ohne einen Ort von Versohnung,von dem aus slch lachen he£e;ohne irgend etwas Harmloseszwischen Himmel und Erde, das erlaubte belacht zu werdenEin intentioniert vertrotteltes double e~tendu Yom Wette;lautet:

~LOV: Es wird wieder heiter. (Er steigt auf die Leiter undnchtet das Fernglas nach drau£en. Es entgleitet seinen Han-de~ und fallt. Pause.) Ich tat es absichtlich. (Er steigt von derLeIter, hebt das Fernglas auf, prtift es und richtet es auf denSaal.) Ich sehe ... eine begeisterte Menge. (Pause) Na so was,~azu kann man wohl Fernrohr sagen. (Er la£t das Fernglasslllken und schaut Hamm an.) Na? Keiner lacht?29

Humor selbst ist albern: lacherlich geworden _ wer konntetiber komische Grundtexte wie den Don Quixote oder den Gar-gantua noch lachen -, und das Urteil tiber ihn wird von Beckett

28 Vgl. etwa Gunther Anders, Die Antiquiertheit des Menschen, Munchen1956, S. 2'7.29 Beckett, a. a. 0., S. 26 f.

exekutiert. Noch die Witze der Beschadigten sind beschadigt.Sie erreichen keinen mehr; die Verfallsform, von der Freilichaller Witz etwas hat, der Kalauer, tiberzieht sie wie Ausschlag.Wird Cloy, der mit dem Fernglas Schauende, nach der Farbegefragt und erschreckt Hamm durch das Wort grau, so korri-giert er sich durch die Formulierung »ein helles Sch.warz«. ~asverkleckst die Pointe aus Molieres Geizhals, der dIe angebhchgestohlene Kassette als grau-rot beschreibt. Wie den Farben istdem Witz das Mark ausgesogen. Einmal sinnen die beiden Un-heIden, ein Blinder und ein Lahmer - der starkere schon beides,der schwachere wird es erst werden - auf einen »Trick«, einenAusweg, »irgendeinen Plan« a la Dreigroschenoper, von demsie nicht wissen, ob er Leben und Qual nur verlangern, oderbeides mit der absoluten Vernichtung beenden soIl:

CLOY: Ach so. (Er beginnt mit auf den Boden gerichtetemBlick und den Handen auf dem Rticken hin- und herzugehen.Er bleibt stehen.) Meine Beine tun mir weh, es ist nicht zuglauben. Ich werde bald nicht mehr denken konnen.HAMM:Du wirst mich nicht verlassen konnen. (Clov gehtwieder.) Was machst du?CLOY:Ich plane. (Er geht wieder.) Ah! (Er bleibt stehen.)HAMM:Was fUr ein Denker! (Pause) Na und?CLOY: Warte mal. (Er konzentriert sich. Nicht sehr iiber-zeugt.) Ja ... (Pause. Oberzeugter.) Ja. (Er richtet den Kopfauf.) Ich hab's. Ich ziehe den Wecker auf.30

Das ist an den urspriinglich wahl ebenfalls jiidischen Witz desZirkus Busch assoziiert, wo der dumme August, der seine Fraumit dem Freund auf dem Sofa ertappt hat, sich nicht entschlie-Ben kann, die Frau oder den Freund hinauszuwerfen, weil ihmbeide zu lieb sind, und auf den Ausweg verfallt, das Sofa zuverkaufen. Aber noch die Spur damlich sophistischer RationaIi-tat wird weggewischt. Kamisch ist nur noch, da£ mit dem Sinnder Pointe Komik seIber evaporiert. So zuckt zusammen, werbereits die oberste Stufe einer Treppe erklommen hat, weitersteigt und ins Leere tritt. Ku£erste Roheit vollstreckt denRichtspruch iibers Lachen, das tangst teilhat an ihrer Schuld.Hamm la£t die Riimpfe der Eltern, die in den Miilltonnen zu30 a. a. 0., S. 39.

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Babies geworden sind, vollends verhungern, Triumph des Sohnsals Vater. Dazu wird geschwatzt:

NAGG:Meinen Brei!HAMM:Verfluchter Erzeuger!NAGG:Meinen Brei!HAMM: ~h! Keine Hahung mehr, die Ahen. Fressen,fressen, Sle denken nur ans Fressen. (Er pfeift. Cloy kommtherein und bleibt neben dem Sessel stehen.) Sieh mal an!Ich dachte, du wolltest mich verIassen.CLOY:oh, noch nicht, noch nicht.NAGG:Meinen Brei!HAMM:Gib ihm seinen Brei.CLOY:Es gibt keinen Brei mehr.HAMM:Es gibt keinen Brei mehr. Du wirst nie wieder Breibekommen.31

~och de~ unwiderrufIichen Schaden fiigt der Unheld den Spotth~.nzu,dIe E.ntr~stung iiber die Ahen, die keine Hahung mehrhatten, so Wle dJese sonst iiber die zuchtIose ]ugend sich zu ent-riisten pflegen. Was in diesem Ambiente an Humanitat fort-west: da£ die beiden Ahen den letzten Zwieback miteinanderteilen, wird durch den Kontrast zur transzendentalen BestiaIitatabsto£end, der Riickstand der Liebe zur schmatzenden Intimi-tat. Soweit sie noch Menschen sind, menscheIt es:

N~LL: Was ist denn, mein Dicker? (Pause) Willst du wiedermIt mir schakern?NAGG:Schliefst du?NELL:oh nein.NAGG:Kii£chen!NELL:Geht doch nicht.NAGG:Mal versuchen.Die Kopfe nahern sich miihsam einander, ohne sich beriihrenzu konnen, und weichen wieder auseinander.32

. Wie mit dem Humor wird mit den dramatischen Kategorienlllsgesamt umgesprungen. AIle sind parodiert. Nicht aber ver-~potte~.Emp~atisch hei£t Parodie die Verwendung yon Formen1m Zeltalter Ihrer UnmogIichkeit. Sie demonstriert diese Un-31 a. a. 0., S. 13.32 a. a. 0., S. 16 f.

moglichkeit und verandert dadurch die Formen. Die drei Ari-stotelischen Einheiten werden gewahrt, aber dem Drama selbstgeht es ans Leben. Mit der Subjektivitat, deren Nachspiel dasEndspiel ist, wird ihm der Held entzogen; yon Freiheit kenntes nur noch den ohnmachtigen und lacherIichen Reflex nichtigerEntschli.isse33.Auch darin beerbt Becketts Stiick die RomaneKafkas, zu dem er ahnlich steht wie die seriellen Komponistenzu Schonberg: er reflektiert ihn nochmals in sich und krempeItihn urn durch Totalitat seines Prinzips. Becketts Kritik an demKlteren, welche die Divergenz zwischen dem Geschenenden undder gegenstandIich reinen, epischen Sprache unwiderleglich her-vorhebt, birgt dieselbe Schwierigkeit wie das Verhaltnis dergegenwartigen integral en Komposition zu der in sich antago-nistischen Schonbergs: was ist die raison d'~tre der Formen,so-bald ihre Spannung zu einem ihnen Inhomogenen getilgt ist,ohneda£ doch darum der Fortschritt asthetischer Materialbeherr-schung zu bremsen ware? Das Endspiel zieht sich aus der Affare,indem es jene Frage sich zu eigen: thematisch macht. Was dieDramatisierung yon Kafkas Romanen verwehrt, wird zumVorwurf. Die dramatischen Konstituentien erscheinen nachihrem Tod. Exposition, Knoten, Handlung, Peripetie und Kata-strophe kehren einer dramaturgischen Leichenbeschau ais De-komponierte wieder: fiir die Katastrophe etwa tritt die Mitte~-lung ein, da£ es keine Nahrpillen mehr gebe34.]ene Konstl-tuentien sind gestiirzt mit dem Sinn, zu dem einmal das Dramasich entIud; das Endspiel studiert wie im Reagenzglas das Dra-ma des Zeitalters, das nichts yon dem mehr duldet, worin esbesteht. Zum ExempeI: die Tragodie kannte auf der Hohe derHandlung, ais Quintessenz der Antithese, au£erste Straffungdes dramatischen Fadens, die Stichomythie; Dialoge, in denenein Trimeter der einen ·Person auf den der anderen foigt. DieForm hatte dieses MitteIs, als eines durch Stilisierung und offen-baren Anspruch der sakularen Gesellschaft aIlzu fern en, sichbegeben. Beckett bedient sich seiner, als hatte die Detonationfreigesetzt, was unterm Drama vergraben ward. Das Endspiel

33 Vgl. Th. W. Adorno, Prismen, Berlin, Frankfurt a. M. 1955, S. 329,Fuilnote (Aufzeichnungen zu Kafka).34 Vgl. Beckett, a. a. 0., S. 56.

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enthalt Dialoge Zug um Zug, einsiIbig, wie einst das Frage- undAntwortspieI zwischen verblendetem Konig und SchicksaIsbo~ten. Aber worin dort die Kurve sich spannte, darin erschlaffenhier die Interlokutoren. Kurzatmig bis zum Verstummen brin-gen sie die Synthesis sprachIicher Perioden nicht mehr zustandeund stammeln in Protokollsatzen, man wei£ nicht ob soIchen derPositivisten oder Expressionisten. Der Grenzwert des Beckett-schen Dramas ist jenes Schweigen, das schon im Shakespeare-schen Beginn des neueren TrauerspieIs aIs Rest definiert war.Da£ aIs eine Art Epilog aufs EndspieI eine Acte sans parolesfo.Igt, ist dessen eigener terminus ad quem. Die Worte klingenWle Notbehelfe, weiI das Verstummen noch nicht ganz gIiickte,wie Begleitstimmen zum Schweigen, das sie storen.Was im EndspieI aus der Form wurde, Ia£t Iiterarhistorischfast sich nachzeichnen. In Ibsens Wildente vergi£t der ver-kommene Photograph Hjalmar EkdaI, potentiell seIber schonein Unheld, der halbwiichsigen Hedwig, wie er es versprach, dieMenukarte des iippigen Diners beim alten Werle mitzubringen,zu dem er, wohlweislich ohne seine Familie, eingeladen war.Das ist psychologisch motiviert aus seinem schlampig-egoisti-schen Charakter, zugleich aber symboIisch fiir Hjalmar, fiirden Handlungsgang, fiir den Sinn des Ganzen: das vergeblicheOpfer des Madchens. Die spatere Freudische Theorie der FehI-handlung ist antezipiert, welche diese auslegt durch ihre Bezie-hung auf vergangene Erlebnisse der Person ebenso wie auf ihreWiinsche, also auf ihre Einheit. Freuds Hypothese, da£ >>allunsere Erlebnisse einen Sinn haben«35, iibersetzt die iiberliefer-te dramatische Idee in einen psychologischen Realismus, ausdem Ibsens Tragikomodie yon der Wildente unvergleichIichnoch einmaI den Funken der Form schlug. Emanzipiert sich dieSymbolik yon ihrer psychologischen Determination, so ver-dinglicht sie sich zu einem an sich Seienden, dasSymboI wirdsymboIistisch wie in Ibsens Spatwerken, etwa dem von dersogenannten Jugend iiberfahrenen Buchhalter FoldaI im JohnGabriel Borkmann. Der Widerspruch zwischen solchem konse-quenten SymboIismus und dem konservativen ReaIismus wird35 Sigmund Freud, Gesammelte Werke, Bd. II: Vorlesungen Zur Einfuh-rung in die Psychoanalyse, London 1940, S. 33.

zur Unzulanglichkeit der letzten Stiicke. Damit aber zum Gar-stoff des expressionistischen Strindberg. Dessen Symbole rei£ensich Ios von den empirischen Menschen und werden zu einemTeppich verwoben, in dem alles symbolisch ist und nichts, weiIalles alles bedeuten kann. Das Drama braucht nur des unaus-weichlich Lacherlichen soIcher Pansymbolik innezuwerden, diesich selbst erledigt; es verwertend aufzugreifen, und die Beckett-sche Absurditat ist auch der immanenten Dialektik der Formnach erreicht. Das nichts Bedeuten wird zur einzigen Bedeutung.Der todlichste Schrecken der dramatischen Person en, wenn nichtdes parodierten Dramas seIber, ist der verstellt komische dar-iiber, daB sie irgend etwas bedeuten konnten.

HAMM:Wir sind doch nicht im Begriff, .etwas zu ... zu ...bedeuten?CLOy: Bedeuten? Wir, etwas bedeuten? (Kurzes Lachen.)Das ist aber gut136

Mit dieser MogIichkeit, die Hingst von der Obermacht einerApparatur erdriickt ward, in der die Einzelnen auswechselbaroder iiberfIiissig sind, verschwindet auch die Bedeutung derSprache. Hamm, den die zum Taprigen verkommene Regungdes Lebens im Gesprach der Eltern in der MiiIltonne aufbringtund der nervos wird, weil »es also kein Ende nimmt«, fragt:»Woriiber konnen sie denn reden, woriiber kann man nochreden?«37Dahinter bleibt das Stiick nicht zuriick. Es ist errich-tet auf dem Grunde eines Sprachverbots und spricht es durchsein eigenes Gefiige aus. Dabei weicht es der Aporie des expres-sionistischen Dramas nicht aus: daB Sprache, selbst wo sietendenziell zum Laut sich verkiirzt, ihr semantisches Elementnicht abschiitteln, nicht rein mimetisch38 oder gestisch werdenkann, etwa wie die von der Gegenstandlichkeit emanzipiertenFormen der Malerei die Khnlichkeit mit GegenstandIichemnicht ganz Ioswerden. Die mimetischen Valeurs, einmal yon densignifikativen endgiiltig gesondert, geraten an WiIlkiir und Zu-

36 Beckett, a. a. 0., S. 29.37 a. a. 0., S. 22.38 Vgl. Th. W. Adorno, Voraussetzungen, in: Akzente 8 (1961), S. 463 if.[jetzt unten S. 431 if.] und dazu Max Horkheimer und Th. W. Adorno,Dialektik der AufkHirung, a. a. 0., S. 37 if.

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fall und schliefWcheine zweite Konvention. Wie das Endspieldamit sich abfindet, unterscheidet es von Finnegans Wake. An-statt zu trachten, das diskursive Element der Sprache durch denreinen Laut zu liquidieren, schafft Beckett es urn ins Instrumentder eigenen Absurditat, nach dem Ritual der Clowns, derenGeplapper zu Unsinn wird, indem er als Sinn sich vortragt. Derobjektive Sprachzerfall, das zugleich stereotype und fehlerhafteGewasch der Selbstentfremdung, zu dem den Menschen Wortund Satz im eigenen Munde verquollen sind, dringt ein insasthetische Arcanum; die zweite Sprache der Verstummenden,ein Agglomerat aus schnodderigen Phrasen, scheinlogischen Ver-bindungen, galvanisierten Wortern als Warenzeichen, das wtisteEcho der Reklamewelt, ist umfunktioniert zur Sprache derDichtung, die Sprache negiert39• Darin bertihrt Beckett sich mitder Dramatik Eugene lonescos. Ordnet ein spateres Stiick yonihm sich urn die imago des Tonbands, dann ahnelt die Sprachedes Endspiels der aus dem abscheulichen Gesellschaftsspiel gelau-figen, daEman den Unsinn, der wahrend einer party geredetwird, insgeheim auf Band aufnimtnt und dann den Gasten zurDemiitigung vorspielt. Auskomponiert wird der Schock, tiberwelchen bei solcher Gelegenheit das blOde Gekicher hinweghtipft.Wie die wache Erfahrung nach intensiver Lektiire Kafkas aller-orten Situationen aus seinen Romanen zu beobachten meint,so bewirkt Becketts Sprache eine heilsame Erkrankung desErkrankten: wer sich selbst zuhort, bangt, ob er nicht ebensoredet. Langst schon schien dem, der das Kino verlaEt, in den zu-falligen Vorgangen auf der StraEe die geplante Zufalligkeitdes Films sich fortzusetzen. Zwischen den montierten Phrasender Alltagssprache gahnt das Loch. Fragt einer der beiden mit .der eingeschliffenen Gebarde des Abgebrtihten, der der unver-brtichlic4en Langeweile des Daseins sicher ist, »Was soIl dennschon am Horizont sein?«40, so wird das sprachgewordeneAchselzucken apokalyptisch, erst recht durch seine Allvertraut-heit. Der glatten und aggressiven Regung des gesunden Men-

39 Vgl. Th. w. Adorno, Dissonanzen, 2. Aufl., Gottingen1958, S. 34 und44 [jetzt: Gesammelte Schriften, Bd. '4, Frankfurt a. M. '973, S. 39 f. undS·49f.].40 Beckett, a. a. 0., S. 28.

schenverstands, »Was soIl denn schon sein?«, wird das Einge-standnis des eigenen Nihilismus abgepreEt. Etwas spater be-fiehlt Hamm, der Herr, dem soi-disant Diener Clov, zu einemZirkuszweck, dem vergeblichen Versuch, einen Sessel hin- undherzuschieben, »den Bootshaken« zu holen. Dem folgt ein kleinerDialog:

CLOY: Tu dies, tu das, und ich tu's. Ich weigere mich nie.Warum?HAMM:Du kannst es nicht.CLOY:Bald werde ich es nicht mehr tun.HAMM:Du wirst es nicht mehr konnen. (Clov geht hinaus.)Ah, die Leute, die Leute, man muE ihnen alles erklaren.41

DaE man »den Leuten alles erklaren muE«, blauen jeden TagMillionen von Vorgesetzten Millionen von Untergebenen ein.Durch den Nonsens, den es an der Stelle begriinden soIl -Hamms Erklarung dementiert seinen eigenen Befehl -, wirdaber nicht nur der yon der Gewohnheit zugedeckte Aberwitzdes Cliches grell beleuchtet, sondern zugleich der Trug des mit-einander Sprechens ausgedriickt; daEdie voneinander ohne Hoff-nung Entfernten, indem sie konversieren, so wenig sich errei~henwie die beiden alten Kriippel in den Miilltonnen. Kommumka-tion das universale Gesetz der Cliches, bekundet, daE keineKo~munikation mehr sei. Die Absurditat allen Sprechens istnicht unvermittelt gegen den Realismus, sondern aus diesementwickelt. Denn die kommunikative Sprache postuliert durchihre bloEe syntaktische Form schon, durch Logizitat, SchluE-verhaltnisse, festgehaltene Begriffe, den Satz yom zureichendenGrunde. Dieser Forderung jedoch wird kaum mehr gentigt: dieMenschen, so wie sie miteinander reden, werden teils yon ihrerPsychologie, dem pralogischen UnbewuEten motiviert, teils ver-folgen sie Zwecke, die, als solche ihrer bloEen Selbsterhaltung,von jener Objektivitat abweichen, welche die logische Form vor-spiegelt. Jedenfalls heute kann man ihnen das mit ihren Ton-bandern beweisen. 1m Freudischen wie im Paretoschen Verstandeist die ratio der verbalenKommunikation immer auchRationali-sierung. Ratio entsprang aber seiber im selbsterhaltenden Inter-esse, und deshalb wird sie von den zwangslaufigen Rationalisie-41 a. a. 0., S. 36.

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rungen ihrer eigenen Irrationalitat iiberfiihrt. Del' Widerspruchzwischen ration aIel' Fassade und unabdingbar Irrationalem istseIber bereits dasAbsurde.Beckett braucht ihn nul' :ZU markieren,als Auswahlprinzip zu handhaben, und del' Realismus, desScheins ration aIel' Stringenz entkleidet, kommt zu sichselbst.Sogar die syntaktische Form yon Frage und Antwort ist unter-miniert. Sie setzt eine Offenheit des zu Sagenden voraus, die, wiees schon Huxley nicht sich hat entgehen lassen, nicht mehr exi-stiert. Del' Frage ist die vorgezeichnete Antwort anzuhoren, unddas verdammt das Spiel yon Frage und Antwort zum nichtigWahnhaften des untauglichen Versuchs, durch den Sprachgestusdel' Freiheit die Unfreiheit del' informativen Sprache zu ver-schleiern. Beckett n~i~t ihr den Schleier herunter, auch denphilosophischen. Was sich da dem Nichts gegeniiber alles radikalin Frage stellt, verhindert durch das del' Theologie entwendetePathos vorweg die erschrecklichen Folgen, auf deren Moglich-keit es pocht, und infiltriert durch die Gestalt del' Frage dieAntwort mit eben dem Sinn, den jene bezweifelt; nicht umsonstkonnten im Faschismus und Vorfaschismus solche Destrukteureden destruktiven Intellekt so wacker schmalen. Beckett jedochentziffert die Liige des Fragezeichens: 'die Frage ist zur rhetori-schen geworden. Gleicht die existentialphilosophische Holleeinem Tunnel, in dessen Mitte yon del' anderen Seite schon wie-der das Licht hineinscheint, so rei~t Becketts Dialog die Schienendes Gespdichs auf; del' Zug gelangt nicht mehr dorthin, wo eshell wird. Die alte Wedekindsche Technik des Mi~verstandnisseswird total. Del' Verlauf del' Dialoge selbst nahert dem Zufalls-prinzip des literarischen Produktionsprozesses sich an. Er klingt,als ware das Gesetz seines Fortgangs nicht die Vernunft yonRede und Gegenrede, nicht einmal deren psychologisches Inein-andergehaktsein, sondern ein Aushoren, verwandt dem yonMusik, die yon den vorgegebenen Typen sich emanzipiert. DasDrama lauscht, was nach einem Satz wohl fiir ein andererkommt. Yon del' eingangigen Unwillkiirlichkeit solcher Fragenhebt die inhaltliche Absurditat erst recht sich ab. Auch das hatsein infantiles Modell an denen, die im zoologischen Gartendarauf warten, was nun wohl im nachsten Augenblick das Nil-pferd oder del' Schimpanse anstellen werden.

1m Stan de ihrer Zersetzung polarisiert sich die Sprache. Hierwird sie zum Basic English, oder Franzosisch, oder Deutsch ein-zeIner Worter, archaisch herausgesto~ener Befehle im Jargonuniversaler Nichtachtung, del' Zutraulichkeit unversohnlicherKontrahenten; dort zum Ensemble ihrer Leerformen, einerGrammatik, die allerBeziehungauf ihren Inhalt unddainit ihrersynthetischen Funktion sich begeben hat. Den' Interjektionengesellen sich Obungssatze, Gott wei~ wofiir. Auch das hangtBeckett an die gro~e Glocke: es ist eine del' Spielregeln desEndspiels, da~ die asozialen Partner, und mit ihnen die Zu-schauer, sich immerzuin die Karten sehen. Hamm fiihlt sichals Kiinstler. Er hat sich das Neronische qualis artifex pereo zurMaxime seines Lebens erkoren. Abel' seine projektierten Erzah-lungen stranden an del' Syntax:

HAMM:Wo war ich stehengeblieben? (Pause. Triibsinnig.)Es ist zerbrochen, wir sind zerbrochen. (Pause) Es wird zer-brechen.42

Zwischen den Paradigmata taumelt die Logik. Hamm undCloy unterhalten sich auf ihre autori rare, gegenseitig sich ab-schneidende Weise:

HAMM:tlffne dasFenster.CLOY:Wozu?HAMM:Ich will das Meer horen.CLOY:Du wirst es nicht horen.HAMM:Selbst nicht, wenn du das Fenster offnest?CLOY:Nein.HAMM:Es lohnt sich also nicht, es zu offnen?CLOY:NeiIi.HAMM(heftig): tlffne esalso! (Clov steigt auf die Leiter undoffnet das Fenster. Pause.) Hast du es geoffnet?CLOY:Ja.43

Wenig fehlt, und man mochte in dem letzten »AIso« Hammsden Schliissel des Stiicks suchen. Weil es sich nicht lohnt, dasFenster zu offnen, weil Hamm das Meer nicht horen kann -vielleicht ist es ausgetrocknet, vielleicht bewegt es sich nichtmehr -, beharrt er darauf, da~ Cloves offne: del' Unfug einer42 a. a. 0., S. 4I.43. a. a. 0., S. 51 f.

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J:Ian~lung wird. zum Grund, sie zu begehen, nachtragliche Legi-tu:tlatlOnvon Flchtes Freier Tathandlung urn ihrer selbst willen.So sehen die zeitgemaEen Aktionen aus und wecken den Ver-dacht, daE es nie viel anders war. Die logische Figur des Absur-de~, die den kontradiktorischen Gegensatz des Stringenten als~trm~ent vortragt, verneint jeglichen Sinnzusammenhang, wieIhn die Logik zu gewahren scheint, urn diese der eigenen Absur- 'ditat zu iiberfUhren: daE sie mit Subjekt, Pr:idikat und Kopuladas Nichtidentische so zurichtet, als ob es identisch ware, in denFormen aufginge. Nicht als Weltanschauung lost das Absurdedie rationale ab; jene kommt in diesem zu sichselbst.Die prastabilierte J:Iarmonie vonVerzweiflung herrscht zwi-schen den Formen und dem residualen Inhalt des Stiicks. Daszusammengeschmolzene Ensemble zahlt nur vier Kopfe. Zweidavon sind iibermaEig rot, als ware ihre Vitali rat eine Haut-krankheit; die beiden Alten dafiir iioermaEig weiE wie schonkeimende Kartoffeln im Keller. Recht funktionierende Korperhaben sie aile nicht mehr, die Alten bestehen nur noch ausRiimpfen, die Beine habensie iibrigens nicht bei der Katastrophesondern offenbar bei einem privaten Unfall mit dem Tandemin den Ardennen, »am Ausgang von Sedan«44 verloren, woregelmaEig eine Armee die andere zu vernichten pflegt; mansoil sich nicht einbilden, gar so viel hatte sich geandert. Nochdie Erinnerung an ihr bestimmtes Ungliick jedoch wird be-

. neidenswert angesichts der Unbestimmtheit des allgemeinen, sielachen dabei. 1m Unterschied zu den expressionistischen Vaternund Sohnen haben zwar aile Eigennamen, aile vier jedoch sindeinsilbig, four letter words gleich den obszonen. Die praktischenund familiaren Abkiirzungen, die in angelsachsischen Landernbeliebt sind, werden als Stiimpfe von Namen entblOEt. Eini-germaEen gebrauchlich, wenn auch obsolet, ist nur der der altenMutter, :Nell; Dickens verwendet ihn fiir das riihrende Kind derOld Curiosity Shop. Die drei anderen Namen sind erfundenwie fUr LitfaEsaulen. Der Alte heiEt Nagg, nach Assoziationvon nagging, vielleicht auch einer deutschen: das traute Paar istes durchs Nagen. Sie diskutieren dariiber, ob man das Sagemehlin ihren Miilleimern erneuert hat; es ist aber kein Sagemehl mehr44 a. a. 0., S. 18.

sondern Sand. Nagg konstatiert, friiher sei es Sagemehl gewe-sen, und Nell antwortet iiberdriissig: »Friiher«45,wie eine Fraueingefroren wiederholte Aussagen ihres Gatten hamisch preis-gibt. So mesquin der Streit iiber Sagemehl oder Sand, so ent-schei~end ist der Unterschied in der Residualhandlung, Dber-gang vom Minimum zum Nichts. Was Benjamin an Baudelaireriihmte, die Fahigkeit, mit auEerster Diskretion ein KuEersteszu sagen46, kann Beckett reklamieren; der Allerweltstrost, eskonne immer noch schlimmer kommen, wird zum Verdam-mungsurteil. In dem Reich zwischen Leben und Tod, wo nichteinmal mehr leiden sich laEt, ist der Unterschied von Sagemehlund Sand der urns Ganze; Sagemehl, kiimmerliches Nebenpro-dukt der Dingwelt, wird Mangelware und sein Entzug Ver-scharfung der lebenslanglichen Todesstrafe. DaE die beiden inMiilleimern logieren - ein ana loges Motiv kommt iibrigens inCamino Real von Tennessee Williams vor, sicherlich ohne daEeines der Stiicke vom anderen abhangig ware -, nimmt wie Kaf-ka die Konversationsphrase buchstablich. »Heute werden dieAlten in den Miilleimer geworfen«, und es geschieht. Das End-spiel ist die wahre Gerontologie. Die Alten sind nach dem MaEder gesellschaftlich niitzlichen Arbeit, die sie nicht mehr leisten,iiberfliissigund waren wegzuwerfen. Das wird dem wissenschaft-lichen Brimborium einer Fiirsorge entrissen, die unrerstreicht,was sie negiert. Das Endspiel schult fiir einen Zustand, wo' aileBeteiligten, wenn sie von der nachsten der groEen Miilltonnenden Deckel abheben, erwarten, die eigenen Eltern darin zufinden. Der natiirliche Zusammenhang des Lebendigen ist zumorganischen Abfall geworden. Unwiderruflich haben die Natio-nalsozialisten das Tabu des Greisenalters umgestoEen. BeckettsMiilleimer sind Embleme der nach Auschwitz wiederaufgebau-ten Kultur. Die Nebenhandlung aber geht weiter als zu weit,zum Untergang del' beiden Alten. Verweigert wird ihnen dieKinderspeise, ihr Brei, ersetzt durch einen Zwieback, den dieZahnlosen nicht mehr kauen konnen, und sie ersticken, weil der.letzte Mensch zu sensibel ist, urn den vorletzten ihr Leben zugonnen. Verklammert ist das mit der Haupthandlung dadurch,45 a.a. O.46 Vgl. Walter Benjamin, Schriften, Frankfurt a. M. 1955, Bd. 1, S. 457.

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dag das Verenden der beiden Alten vorwarts treibt zu jenemAusgang des Lebens, dessen Moglichkeit das Spannurigsmomentbildet. Hamlet wird variiert: Krepieren oder Krepieren, das isthier die Frage.Den Namen des Shakespeareschen HeIden kurzt grimmig derdes Beckettschen ab, der desliquidierten dramatischen Subjektsden des ersten. Assoziiert wird dabei auch einer der SohneNoahs und damit die Sintflut: der Stammherr der Schwarzen,der in einer Freudischen Negation die weige Herrenrasse substi-tuiert. Endlich bedeutet ham actor auf Englisch den Schmieren-komodianten. Becketts Hamm, Schlusselgewaltiger und ohn-machtig in eins, spielt, was er nicht mehr ist, als hatte er jenejungste soziologischeLiteratur gelesen, die das zoon politikon alsRolle definiert. Personlichkeit war, wer mit Geschick so sichaufspielte wie nun der hilflose Hamm. Sie mag bereits im Ur-sprung Rolle gewesen sein, Natur, die sich als Obernatur geriert.Der Wechsel der Siruationen des Stucks veranlagt eine yonHamms Rollen; drastisch empfiehlt ihm gelegentlich eine Regie-bemerkung, er solie »mit der. Stimme des vernunftbegabtenWesens« reden; in seiner umstandlichen Erzahlung posiert er den»Erzahlerton«. Erinnerung ans Unwiederbringliche wird zumSchwindeI. Retrospektiv verdammt der Zerfall die Kontinuitatdes Lebens, durch die es Leben allein ward, als seIber fiktiv.Die'Differenz des Tonfalls yon Menschen, die erzahlen, undsolchen, die unmittelbar reden, halt Gericht ubers Identitats-prinzip. Beides alterniert in Hamms groger Rede, einer Arteingeschobener Arie ohne Musik. Bei den BruchsteIlen pausierter, mit den Kunstpausen des ausgedienten Heldendarstellers.Zur Norm der Existentialphilosophie, die Menschen sollten,weil sie schon gar nichts anderes mehr sein konnen, sie seIbersein; setzt das Endspiel die Antithese, dag genau dies Selbstnicht das Selbst sondern die affische Nachahmung eines nichtExistenten sei. Hamms Verlogenheit bringt die Luge an denTag, die darin steckt, dag man Ich sagt und damit jene Sub-stantialitat sich zuschreibt, deren Gegenteil der Inhalt dessen ist,was yom Ich zusammengefagt wird. Bleibendes ist als Inbegriffdes Ephemeren dessen Ideologie. Yon dem aber, was der Wahr-heitsgehalt des Subjekts war, yom Denken, wird nur noch die

gestischeHulse konserviert. Die beiden tun, als ob sie sich etwasuberlegten, ohne dag sie uberlegen:

HAMM:Das ist aIles droIlig, in der Tat. Sollten wir uns malhalb tot lachen?GLOV (nachdem er uberIegt hat): Ich konnte mich heute nichtmehr halb tot lachen.HAMM(nachdem er uberIegt hat): Ich auch nicht;47 .Hamms Gegenspieler ist schon dem Namen nach, was er 1st,

der nochmals ladierteClown, dem man denEndbuchstaben abge-schnitten hat. Gleich klingt ein wohl veralteter Ausdruck fUr denPferdefug des Teufels, ahnlich das kurrente Wort fUr Hand-schuh.Er ist der Teufel seines Meisters, den er mit dem Schlimm-sten bedroht: ihn zu verlassen, und ,gleichzeitig dessen Hand-schuh, mit dem jener die Dingwelt beruhrt, zu der er nicht un-mittelbar mehr gelangt. Aus solchen Assoziationen ist nicht nurCloys Gestalt sondern ihr Zusammenhang mit der anderenkonstruiert. Auf der alten Klavierausgabe yon StrawinskysRagtime fUr elf Instrumente, einem der bedeutendsten Stuckeaus dessen surrealistischer Phase, stand eine Picassozeichnung,die, angeregt wohl yom Titel "Rag«, zwei verlumpte Figure.nzeigt, Vorfahren der Vagabunden Wladimir un~ E~tra?on,. dIeauf Herrn Godot warten. Die virruose Graphlk 1st m emereinzigen Linie verschlungen. Yon ihrem Geist ist der Doppel-Sketch des Endspiels, ebenso wie die ramponierten Wieder~o.lun-gen, die Becketts gesamtes Werk unwiderstehlich herb~lzleht.In ihnen ist Geschichte storniert. Wiederholungszwang 1st derregressiven Verhaltensweise des Eingesperrten abgesehen, deres immer wieder versucht. Beckett trifftsich mit jungsten Ten-denzen der Musik nicht zuletzt darin, dag er, der Westliche,Zuge aus Strawinskys radikaler Vergangenheit, ~ie beklemme~-de·Statik der zerfallten Kontinuitat, mit avanClerten expreSSl-yen und konstruktiven Mitteln aus der Schonbergschule amal-gamiert. Auch die Umrisse yon Hamm und CI?v sind ~~ee!nereinzigen Linie; die Individuation zur saub~rhch selbst~ndlgenMonade wird ihnen versagt. Sie konnen mcht ohne emanderleben. Die Macht Hamms uber Clov scheint darauf zu beruhen,dag nur er weig, wie der Speiseschrank aufgeht, etwa wie nur47 Beckett, a. a. 0., S. 48.

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ein Prinzipal die Kombination kennt, auf die das Schlo£ eines~assenschranks eingestellt ist. Er ware bereit, ihm das Geheim-ms z~ verraten: wenn Cloy schwure, ihn - oder »uns« _ »zuerledlgen«. In emer furs Gewebe des St"ck "b ch k ..' u s u eraus ara ten-s~lschenWendung antwortet Cloy: »Ich konnte dich nicht erle-dlgen«, und als mokierte das Stuck sich uber den Man dV ft· . n,er

ern~n ~~mmmt, sa~t Hamm: »Dann wirst du mich nichterle~lgen.« Auf Cloy 1st er angewiesen, weil dieser allein nochvernchten kann, was beide am Leben erha"lt D' b .f r . as a er 1st yonra.g Ich::n Wert, weil beide wie der Kapitan des Gespenster-

Schlffs furchten mussen, nicht sterben zu konnen Das bl'flchd l'ch 11 . • Den,.. itSzug el. a es 1St,ware, da£ daran doch vielleicht etwas sicha~der~. Dies: ~ew~gung, oder ihr Ausbleiben, ist die Handlung.Sle wlrd frelhch mcht viel expliziter als das motivisch wieder-h~lte »Irgend etwasgeht seinen Gang«49, so abstrakt wie diereme Form der Zeit. Eher wird die Hegelsche Dialektik yonHerr und Kn~cht, an die Gunther Anders schon bei Gelegenheityon .~odot ennnerte, verlacht, als da£ sie, nach den Sitten dertradltlonellen Asthetik, gestaltet ware. Der Knecht kan . h

h d' z" 1 n mc tme r.. Ie uge ergreifen, urn Herrschaft abzuschaffen. DerVerstummelte ware dazu kaum fahig u d foo d'. . , n ur Ie spontaneA~tlOn 1Stes: nach der geschichtsphilosophischen Sonnenuhr desStuckes, S.OWI:SO.~u ~pat. Cloy bleibt nichts ubrig, als auszu-w~nd~r~ m die fur die Abgeschiedenen nicht vorhandene Welt,mlt elmgen Chancen, dabei zu sterben. Selbst auf die Freiheitzum Tode darf er sich nicht verlassen. Zwar bringt er den Ent-schlu£ zu gehen auf, kommt auch wie zum Abschied herein:»Panama, !weedrock, hellgelbeHandschuhe,Regenmantel ubermArm, S~llrm und Koffer«50, mlt einer musikalisch starkenSch.lu£wlrkung. Aber man sieht nicht seinen Abgang, sondern erbl:lbt ».regungslosund teilnahmslos mit auf Hamm gerichtetemB.hck bls ~um Ende stehen«51. Das ist eine Allegorie, aus derdie !ntentl?n verpuffte. Yon Unterschieden abgesehen, die ent-schelden mogen oder ganz gleichgiiltig sein, ist sie identisch mit48 a. a. 0., S. 33.49 a. a. 0., S. 16; vgI. S.29.50 a. a. 0., S. 66.51 a.a.O.

dem Anfang. Kein Zuschauer und kein Philosoph wu£te zusagen, ob es nicht wieder yon vorn beginnt. Dialektik pendeltaus.Musikhaft ist die Handlung des Stucks insgesamt komponiert,uber zwei Themen wie vormals Doppelfugen. Das erste Themaist, da£ es zu Ende gehen solI, die unscheinbar gewordene Scho-penhauersche Verneinung des Willens zum Leben. Hamm stimmtes an; die Personen, die keine mehr sind, werden zu Instrumen-ten ihrer Situation, als hatten sie Kammermusik zu spielen.»Hamm, der im Endspiel blind und unbeweglich im Rollstuhlsitzt, ist yon allen bizarren Instrumenten Becketts das mit denmeisten Tonen, dem uberraschendsten Klang.«52 Hamms Un-identitat mit sich selbst motiviert den Verlauf. Wahrend ei: dasEnde will, als das der Qual schlecht unendlicher Existenz, ist erbesorgt urn sein Leben wie ein Herr in den ominosen bestenJahren. Dberwertig sind ihm die minderen Paraphernalien yonGesundheit. Er furchtet aber nicht den Tod, sondern da£ ermi£lingen konnte; das Kafkasche Motiv des Jagers Grachushallt nach53, So wichtig wie die eigene Notdurft ist ihm, da£ derzum Schauen bestellte Cloy kein Segel, keine Rauchfahne er;"spaht; 'da£ keine Ratte und kein Insekt mehr sich regt, mitdenen das Unheil yon vorn anheben konne; auch nicht das viel-leicht uberlebende Kind, das doch die Hoffnung ware und aufdas er lauert wie Herodesder Metzger auf den agnus dei. DasInsektenvertilgungsmittel, das yom Anbeginn auf die Vernich-tungslager hinauswollte, wird zum Endprodukt der Naturbe-herrschung, die sich selbst erledigt. Inhalt des Lebens ist nurnoch: da£ nichts Lebendiges sei. Alles was ist, solI einem Lebengleichgemacht werden, das seIber der Tod ist, die abstrakteHerrschaft. - Das zweite Thema ist Cloy zugeordnet, demDiener. Nach einer Freilich sehr verdunkelten Geschichte liefer Schutz suchend Hamm zu; aber er hat auch manches yomSohn des wutend impotenten Patriarchen. Dem Ohnmachtigenden Gehorsam kundigen, ist das Allerschwerste, unwiderstehlichstraubt sich das Geringfiigige, Dberholte gegen die Abschaffung.

52 Marie Luise Kaschnitz, Zwischen Immer und Nie. Gestalten und The-men der Dichtung, Frankfurt a. M. '97', S. 207.53 Vgl. Th. W. Adorno, Prismen, a. a. 0., S. HI.

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Kontra~unktiert sind die beiden Handlungen dadurch, daB derTodeswlIle ~amms eins ist mit seinem Lebensprinzip, wahrendder Lebenswille Cloys den Tod beider herbeifuhren durfte.~loY sagt: »DrauBen ist-der Tod.«54Die Antithese der Helde~1st denn auch nl'cht fi . t d 'h R .. . Xler , son ern 1 re egungen yermlschen~lch; gerade ~loY redet zuerst yom Ende. Schema des VerIaufsIS: das ~nds~lel des Schachs, eine typische, einigermaBen nor-~lert~ SItuatIOn, durch Zasur yom Mittelspiel und seinen Kom-bmatlonen ~ettennt; diese fehlen auch im Stuck. Intrige und plotwerden stlIlschweigend suspendiert. Nur Kunstfehler oderr.:~gliicksfalle wie der, daB irgendwo noch Lebendiges wachst,konnten ~nY()rhergesehenes stiften, nicht der findige Geist.Fast leer 1Stdas Feld, und was zuyor geschah, ist kummerlichnur aus den Stellungen der paar Figuren abzulesen. Hamm istder Ko~ig, urn den alles sich dreht und der seIber nichts Yermag.Das MIByerhaltnis zwischen dem Schach als Zeityertreib uncid~.r unmaBigen Anstrengung, die es inyolyiert, wird auf derBuh~e .zu ~em zwischen athletisch sich Gebardenden und demGummlgewlcht dessen, was sie tun. Ob die Partie mit einemP~tt oder ~~nem.ewigen Schach ausgeht, oeter ob Cloy siegt,~lrd, a!s war~ dIe GewiBheit daruber schon zuyiel Sinn, nichte~~deutlg; ubn~ens ist es wohl auch gar nicht so wichtig, im Pattk.ame alles zur Ruhe wie im Matt. Sonst entragt dem Kreis ein-Zlg das. fluchtige Bild jenes Kindes55, hinfalligste Reminiszenzan Fortmbras oder den Kinderkonig. Es konnte gar Cloys eige-nes, .yerlassenesKind sein. Aber das schrage Licht, das yon dort-~er m d~n Raum faIlt, ist so schwach wie die hilflos helfendeni\rme, dIe am Ende yon Kafkas ProzeB Zum Fenster sich hinaus-;trecken.

fhematisch ,,:ird die Endgeschichte de~ Subjekts in einem Inter-n~zz.~,~as ~emt:Symbolik sich gestatten kann, weil es die eigene:rmf~Illgkelt, und damit die seines Sinnes, yor Augen stellt. Die:y~ns de.s Idt:alismus, die Inthrbnisation des Menschen als)chopfers 1m Zt:ntrum der Schopfung, hat sich in dem »Innen-aum ohne Mobel" yerschanzt wie ein Tyrann in seinen letztenfagen. Dort wiederholt er mit winzig yerkleinerter Imagina-4 Beckett, a. a. 0., S. 13.5 Vgl. a. a. 0., S. 62.

tion, was einmal der Mensch gewesen sein woIlte; was ihm dergesellschaftlicheZug nicht anders als die neue Kosmologie ent-wand, und woyon er doch nicht loskommt. Cloy ist seine malenurse. Von ihm laBt Hamm im Rollsessel in die Mitte jenesInterieurs sich schieben, zu dem die Welt wurde und zugleich derInnenraum seiner eigenen Subjektiyitat:

HAMM:LaB mich eine kleine Runde machen. (CloY stelltsich hinter den Sessel und schiebt ihn ein Stuck yoran.) Nichtzu schnell. (CloY schiebt den Sessel weiter.) Eine kleine Rundeum die Welt. (CloY schiebt den Sessel weiter.) Scharf an derWand entlang. Dann wieder zuruck in die Mitte. (CloYschiebtden Sessel weiter.) Ich stand doch genau in der Mitte, nichtwahr?56

Der Verlust der Mitte, den das parodiert, weil jene Mitte selbstschon Luge war, wird zum armseligen Gegenstand norgelnderund kraftloser Pedanterie:

CLOy:Wir haben die Runde noch nicht beendet.HAMM:Zuruck an meinen Platz. (CloY schiebt den Sesselwieder an seinen Platz und halt ihn an.) 1st das hiermein Platz?CLOY:Ja, dein Platz ist hier?HAMM:Stehe ich genau in der Mitte?CLOY:Ich werde nachmessen.HAMM:Ungefahr! Ungefahr!CLoy:Da.HAMM:Stehe ich ungefahr in der Mitte?CLOY:Es scheint mir so.HAMM:Es scheint dir sol Stell mich genau in die MittelCLOY:Ich hole den Zollstock. .HAMM:Ach was! So in etwa. So in etwa. (CloY schiebt denSesselunmerklich weiter.) Genau in die Mitte!57

Was aber in dem bloden Ritual yergolten wird, ist nichts, wasdas Subjekt erst yerubt hatte. Subjektiyitat selbst ist die Schuld;daB man uberhaupt ist. Ketzerisch fusioniert sich die Erbsundemit der Schopfung. Sein, dasExistentialphilosophie als Sinnyon Sein ausposaunt, wird zu dessen Antithesis. Panische Angst

56 a. a. 0., S. 24.57 a. a. 0., S. 25.

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vor Reflexbewegungen des Lebendigen peitscht nicht nur zuunermiidlicher Naturbeherrschung an: sie heftet sich ans Lebenselbst als den Grund des Unheils, zu dem Leben wurde:

HAMM:Alle, denen ich hatte helfen konnen. (Pause) Helfen!(~ause) Die icli hatte retten konnen. (Pause) Retten! (Pause)Sle krochen aus allen Ecken. (Pause. Heftig.) Dberlegen Siedoch, iiberlegen Sie! Sie sind auf der Erde, dagegen ist keinKraut gewachsen!58

Daraus zieht er das Fazit: »Das Ende ist am Anfang, und dochmacht man weiter.«59 Das autonome Sittengesetz schlagt anti-nomistisch urn, reine Herrschaft iiber Natur in Pflicht zumAusrotten, die stets schon dahinter lauerte:

HAMM:Schon wieder Komplikationen! (Clov steigt yon derLeiter.) Wenn es nur nicht wieder losgeht!Cloy riickt die Leiter naher ans Fenster, steigt hinauf undsetzt das Fernglas an. Pause.CLOY:Oh je, oh je, oh je, oh je!HAMM:Ein Blatt? Eine Blume? Eine Toma ... (er gahnt)... te?CLOY (schauend): Du kriegst gleich Tomaten! ]ernand! Daist jemand!HAMM(hort auf zu gahnen): Na ja, geh ihn ausrotten. (Clovsteigt Yon der Leiter. Leise.) ]emand! (Mit bebender Stimme.)Tu deine Pflicht!60

Dber den Idealismus, dem solcher totale Pflichtbegriff ent-stammt, urteilt eine Frage des verhinderten Rebellen Cloy anseinen verhinderten Herrn:

CLOY: Gibt es Sektoren, die dich besonders interessieren?(Pause) Oder blog alIes?61

Das klingt wie die Probe auf Benjamins Einsicht, eine ange-schaute Zelle Wirklichkeit wiege den Rest der ganzen iibrigenWelt auf. Das Totale, reine Setzung des Subjekts, ist das Nichts.Kein Satz klingt absurder als dieser verniinftigste, der das Alleszum Nur kontrahiert, dem Trugbild der anthropozentrisch be-

58 a. a. 0:, S. 54.59 a. a. O.60 a. a. 0., S. 6r.61 a. a; 0., S. 57.

herrschbaren Welt. So verniinftig jedoch dies Absurdeste, so we-nig lagt der absurde Aspekt yon Becketts St~ck sich ,;,egdis?u-tieren nur weil seiner die eilfertige Apologetlk und dIe Begler-de d:sAbstempelns sich bemachtigte. Ratio, vollends instru-mentell geworden, bar der Selbstbesinnung und der auf .das yonihr Entqualifizierte, mug nach dem Sinn fragen, den. sle sel~ertilgte. In dem Stand aber, der zu dieser Frage notlgt, .ble~btkeine Antwort als das Nichts, das sie als reine Form berelts 1st.Die geschichtliche Unausweichlichkeit dieser Absurditat lagtsie ontologisch erscheinen: das ist der Verblendungszus.~m~en-hang der Geschichte selbst. Becketts Drama durch~chla?t Ihn.Der immanente Widerspruch des Absurden, der Unsmn, m demVernunft terminiert, offnet emphatisch die Moglichkeit einesWahren das nicht einmal mehr gedacht werden kann. Er unter-grabt d:n absoluten Anspruch dessen, was nun einr~al so ist..Dienegative Ontologie ist die Negation yon OntologIe: Ges~111chteallein hat gezeitigt, was die mythische Gewalt des Zeltlosensich aneignete. Die geschichtlicheFiber von. Situati?n u~d Spra-che bei Beckett konkretisiert nicht more phJ1osophlco em Unge-schichtliches- eben dieser Usus der existentialistischen Drama-tiker ist so kunstfremd wie philosophisch riickstandig. Sonderndas Ein fiir allemal Becketts ist die unendliche Katastrophe;erst »dag die Erde erloschen ist, obgleich ich sie nie bren~ensah«62begriindet Cloys Antwort auf Hamms Frage: »Memstdu nicht, dag es lange genug gedauert hat?«: »Seit j:her .s~on.«63Vorgeschichte dauert fort; das Phantasma yon EWIgkelt 1st sel-ber nur deren Fluch. Nachdem Cloy dem ganz Gelahmten iiberdas berichtete, was er yon der Erde sieht, nach de~ zu. schauenjener ihm gebot64, vertraut Hamm ihm als sein Gehelmms an:

CLOY(vertieft): Hmm.HAMM:Weigt du was?CLOY(dergleichen): Hmm.HAMM:Ich binnie dagewesen.65 .

Die Erde ward noch nie betreten; das Subjekt ist noch kemes:

62 a. a. 0., S. 65.63 a. a. 0., S. 38.64 Vgl. a. a. 0., S. 56.65 a. a. 0., S. 58.

Page 21: 74189453 Adorno Endspiel

Bestimmte Negation wird dramaturgisch durch konsequenteVerkehrung. Die beiden Sozialpartner qualifizieren ihre Einsicht, .es gebe keine Natur mehr, mit dem biirgerlichen »Du iiber-treibst«66. Besonnenheit ist das probate Mittel, Besinnung zusabotieren. Sie veranlaBt zur melancholischen Reflexion:

CLOY (traurig): Niemand auf der Welt hat je so verdrehtgedacht wie wir.67

Wo sie der Wahrheit am nachsten kommen, fiihlen sie in ge-doppelter Komik ihr BewuBtsein als falsches; so spiegelt sichder Zustand, an den Reflexion nicht mehr heranreicht. Mit derTechnik yon Verkehrung ist aber das ganze Stiick gewoben. Sietransfiguriert die empirische Welt in das, als was sie desultorischschon beim spaten Strindberg und im Expressionismus benanntwar. »Das ganze Haus stinkt nach Kadaver ... Das ganze Uni-versum.«68Hamm, der danach auf »das Universum pfeift«, istebenso der Urenkel Fichtes, der die Welt verachtet, weil sienichts als Rohmaterial und Produkt ist, wie der, welcher keineHoffnung weiB denn die kosmische Nacht, die er mit Poesiezi-taten erfleht. Zur Halle wird die Welt als absolute: nichts ande-res ist als sie.Graphisch hebt Beckett den Satz Hamms hervor:»]enseits ist ... die ANDERE Halle.«69 Er laBt eine vertrackteMetaphysik des Diesseits durchscheinen, mit Brechtischem Kom-mentar:

CLOY:Glaubst du an das zukiinftige Leben?HAMM:Meines ist es immer gewesen. (Clov geht und schlagtdie Tiir hinter sich zu.) Peng! Das saBFo

In seiner Konzeption kommt Benjamins Idee einer Dialektik imStillstand nach Hause:

HAMM:Es wird das Ende sein, und ich werde mich fragen,durch was es wohl herbeigefiihrt wurde, und ich werde michfragen, durch was es wohl ... (Er zagert.) " . warum es sospat kommt. (Pause) Ich werde da sein, in dem alten Unter-schlupf, allein gegen die Stille und ... (Er zagert.) .' .. die

66 a. a. 0., S. '4'67 a. a. 0,68 a. a. 0., S. 39.69 a. a. 0., S. 24.70 a. a. 0., S. 4I.

Starre. Wenn ich schweigen kann und ruhig bleiben, wird esaus sein mit jedem Laut und jeder Regung/1

]ene Starre ist die Ordnung, die Cloy angeblich liebt und die erals Zweck seiner Verrichtungen definiert:

CLOY:Eine Welt, in der alles still und starr ware und jedesDing seinen letzten Platz hatte, unterm letzten Staub/2

Wohl wird das alttestamentarische Zu Staub sollst du werdeniibersetzt in: Dreck. Zur Substanz des Lebens, das der Tod ist,

.werden dem Stiick.die Exkretionen. Aber das bilderlose Bild desTodes ist eines yon Indifferenz. Inihm verschwindet der Unter-schied zwischen der absoluten Herrschaft, der Holle, in der Zeitganzlich in den Raum gebannt ist, in der schlechterdings nichtsmehr sich andert, - und dem messianischen Zustand, in demalles an seiner rechten Stelle ware. Das letzte Absurde ist, daBdie Ruhe des Nichts und die yon Versahnung nicht auseinandersich kennen lassen. Hoffnung kriecht aus der Welt, in der sie sowenig mehr aufbewahrt wird wie Brei und Praline, dorthinzuriick, woher sie ihren Ausgang nahm, in den Tod. Aus ihmzieht das Stiick seinen einzigen Trost, den stoischen:

CLOY:Es gibt so viele schrecklicheDinge.HAMM:Nein, nein, es gibt gar nicht mehr so viele.73 ,

BewuEtsein schickt sich an, dem eigenen Untergang ins Auge zusehen, als wollte es ihn iiberleben wie die beiden ihren Weltun-tergang. Proust, iiber den Beckett in seiner ]ugend einen Essayschrieb, soIl versucht haben, deneigenen Todeskampf in Noti-zen zu protokollieren, die der Beschreibung yon Bergottes Todhatten eingefiigt werden sollen. Das Endspiel fiihrt diese Absichtaus wie das Mandat aus einem Testament.

71 a. a. 0., S. 54 f.72 a. a. 0., S. 46.73 a. a. 0., S. 38.