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10 POLITIK ABENDZEITUNG DONNERSTAG, 16. 3. 2017 WWW.AZ-MUENCHEN.DE Ein Flüchtlingsboot erreicht im März 2016 Lesbos. Solche Bilder könnte sich Präsident Erdogan für sein umstrittenes Referendum zunutze machen. F: dpa „Platzt der Pakt, ist das „Platzt der Pakt, ist das ein Risiko für beide Seiten“ ein Risiko für beide Seiten“ ropa. Sie wollen diese gefährli- che Reise nicht auf sich neh- men – zumal die Bilder aus Ido- meni auch bei den Migranten in der Türkei angekommen sind. Außerdem wollen vor al- lem die Syrer in der Nähe ihrer Heimat bleiben, um gegebe- nenfalls zurückzukehren. Wie würde eine Grenzöffnung konkret aussehen? Es gibt zwei Möglichkeiten: Was die Seegrenze betrifft, kann die türkische Küstenwa- che wegsehen, wenn sich Boote in Bewegung setzen – und so- bald diese europäische Gewäs- ser erreichen, sind die Europä- er zuständig. An der Landgren- ze zu Bulgarien gibt es mittler- weile einen Grenzzaun. Hier kann es sein, so hat es Erdogan einmal angekündigt, dass aus- reisewillige Migranten in Busse gesetzt, zur Grenze gefahren werden und die türkische Seite verlassen dürfen. Allerdings warten dann gegenüber die bulgarischen oder auch die griechischen Grenzer – und lassen die Leute nicht rein. Die Flüchtlinge würden also im Niemandsland stranden. Ja. Die Bilder von dort würden dann zwar auch auf die türki- sche Seite zurückfallen, weil die Bevölkerung sie kritisch aufnehmen würde. Aber die Regierung würde vermutlich alles daran setzen, den Fall so darzustellen, dass die Europäer ihren Verpflichtungen nicht nachkommen. Es ist ein Va- banquespiel, ein Risiko für bei- de Seiten. Interview: Natalie Kettinger Europäer haben sich nicht be- reit erklärt, mehr syrische Flüchtlinge aus den Lagern auf- zunehmen. Auch hinsichtlich der vereinbarten Visa-Erleich- terungen für Türken geht nichts voran, auch weil Ankara nicht gewillt ist, alle Bedingun- gen dafür zu erfüllen, vor allem das zu allgemeine Antiterror- gesetz zu präzisieren. Aber die versprochenen vier Milliarden sind geflossen? Etwa eine Milliarde fließt seit Jahreswechsel an Organisatio- nen, die sich um Geldkarten kümmern, mit denen mittello- se Flüchtlinge einkaufen kön- nen. Auch verschiedene andere Projekte, etwa der Bau von Schulen, sind ganz gut angelau- fen. Allerdings funktioniert al- les langsam und schleppend. Dementsprechend sind die vier Milliarden, die bis Ende des Jahres bezahlt werden sollten, noch nicht ausgeschüttet. Würden sich wirklich 2,6 Mil- lionen Menschen in Richtung Europa in Bewegung setzen, wenn Ankara ernst macht? Ich habe mit Migrationsfor- schern in der Türkei gespro- chen, die Untersuchungen in den dortigen Flüchtlingsge- meinden durchgeführt haben und zu dem Ergebnis gekom- men sind, dass die Bereitschaft von vielen, nach Europa zu ge- hen, nicht sehr ausgeprägt ist. Das heißt: Dieses Bedrohungs- szenario ist wissenschaftlich nicht eindeutig zu belegen. Warum nicht? Viele Syrer, Iraker oder Afgha- nen wollen gar nicht nach Eu- lang nur sehr, sehr schleppend funktioniert. Es wurden 900 Il- legale in die Türkei zurückge- schickt – und umgekehrt sind etwa ebenso viele Syrer nach Europa gekommen. Die Zahlen waren eigentlich viel höher an- gesetzt. Aber die griechischen Behörden auf den Inseln ma- chen nicht mit: Es fehlt an Be- amten für die Bearbeitung der Asylverfahren oder die Gerich- te sagen, die Türkei ist kein si- cheres Herkunftsland für Flüchtlinge, wir können sie nicht zurückschicken. Und die AZ: Herr Schulz, wie realistisch ist es, dass die Türkei den Flüchtlingspakt mit der EU tatsächlich platzen lässt? LUDWIG SCHULZ: Durchaus realistisch. Darauf deuten ja die verschiedenen Äußerungen Präsident Erdogans und rang- hoher Minister hin. Was verspricht man sich in Ankara davon? Dass die europäische Seite durch die Aufkündigung zu ir- rationalen, antitürkischen Re- aktionen gezwungen wird. Dann kann Erdogan sich weiter als Verteidiger der Türkei prä- sentieren und um Zustimmung für die Verfassungsänderung und für den Ausbau seiner Füh- rungsmacht werben. Außer- dem kann die türkische Regie- rung die Bilder und Nachrich- ten gut verwerten, wenn sich Flüchtlinge wieder auf den Weg machen, wenn sich Flüchtlinge wieder in Gefahr begeben – und Europa, das sei- nen humanitären Verpflich- tungen aus dem Flüchtlings- pakt nicht nachgekommen ist, schaut zu. Wie ist es denn um die Einhal- tung des Paktes bestellt? Es war ausgemacht, dass Euro- pa für jeden illegal auf eine griechische Insel eingereisten Flüchtling, den die Türkei wie- der zurücknimmt, einen Syrer aus den türkischen Flüchtlings- lagern übernimmt. Das hat bis- Die Türkei droht Europa immer schärfer mit der Kündigung des Flüchtlings-Abkommens. Ein Experte erklärt, was dann geschehen würde AZ-INTERVIEW mit Ludwig Schulz Der Wissenschaftler ist Türkei-Experte am Centrum für angewandte Politik- forschung (CAP) der LMU. Jetzt auch Nazi-Vorwürfe im Netz A ngesichts aggressiver Atta- cken der türkischen Füh- rung in Richtung Deutschland droht die Bundesregierung nun mit einem Einreiseverbot für türkische Spitzenpolitiker. Deutschland habe völker- rechtlich die Befugnis, die Ein- reise ausländischer Regie- rungsmitglieder zu unterbin- den, sagte Kanzleramtschef Pe- ter Altmaier (CDU). „Ein Einrei- severbot wäre das letzte Mittel. Das behalten wir uns vor.“ Deutschland stoppte gestern außerdem ein wirtschaftliches Hilfspaket für die Türkei. Staatspräsident Recep Tayyip Er- dogan zeigte sich von alledem un- beeindruckt: „Der Geist des Fa- schismus geht um in den Stra- ßen Europas.“ Am 16. April stimmen die Türken in einer Volksabstim- mung über eine Verfassungs- änderung für ein Präsidialsys- tem ab (AZ berichtete). Die Bundesregierung genehmigte gestern die Abstimmung auch hierzulande. Im Bundesgebiet werden dazu 13 Wahllokale für die rund 1,4 Millionen Wahlbe- rechtigten eingerichtet. Die Ab- stimmung soll in Deutschland schon vom 27. März bis zum 9. April stattfinden. Ein Sprecher des Auswärti- gen Amts sagte gestern, dass die Stimmabgabe in allen elf Generalkonsulaten in Deutsch- land möglich sein wird, also in Berlin, Düsseldorf, Essen, Frankfurt, Hamburg, Hannover, Köln, Karlsruhe, Mainz, Mün- chen und Münster. Außerdem wird es auch in Dortmund so- wie in Nürnberg Wahllo- kale geben. Der Streit um die Wahlkampf- auftritte zieht sich mittlerwei- le auch ins Netz: Hacker (mutmaßlich Erdogan- Fans) haben Twitter-Kon- ten mit Nazi-Vorwürfen gegen Deutschland und die Niederlande geflutet. Betroffen waren unter an- derem die Twitter-Auf- tritte von Borussia Dort- mund, der Tennis-Legen- de Boris Becker, des FC- Bayern-Spielers Javi Martí- nes oder Amnesty Interna- tional. Es sind wohl Erdogan-Fans, die viele Twitter-Konten hacken und Hass-Posts gegen Deutschland absetzen. Die Bundesregierung droht mit Einreiseverboten Prominente und auch Amnesty International sind Opfer der Hacker-Attacke. Fotos: Twitter POLITIK kompakt Deniz Yücel muss in Haft bleiben ISTANBUL Der Einspruch gegen den Haftbefehl gegen den „Welt“-Korrespondenten Deniz Yücel ist von einem türki- schen Gericht abgelehnt worden. Das bestätigte Veysel Ok, ein Anwalt Yücels gestern. Die Berichterstattung Yücels könne „nicht als Journalismus oder im Rahmen der Presse- freiheit interpretiert werden“, hieß es zur Begründung des Richters. Vor über zwei Wochen hatte ein Haftrichter in Istanbul Untersuchungshaft für Yücel angeordnet. Diese kannfünf Jahre dauern. Ihm wird Propaganda für eine terro- ristische Vereinigung und Volksverhetzung vorgeworfen. Seehofer will das G9 zurück MÜNCHEN Im CSU-internen Streit über die Zukunft des Gymnasiums will Ministerpräsident Horst Seehofer (CSU) nun persönlich den Weg zurück zum Abitur nach neun Jah- ren (G9) klarmachen. Das Kabinett setzte einen Kabinetts- ausschuss ein, der ausdrücklich auf ein G9 hinarbeiten soll – mit einer „Überholspur“ für Schüler, die das Abitur auch weiterhin nach acht Jahren ablegen wollen. Snowden: Forderung abgewiesen KARLSRUHE Der Bundesgerichtshof hat die Forderung von Oppositionspolitikern im Bundestag abgewiesen, den Whistleblower und frühere US-Geheimdienstmitarbeiter Edward Snowden in Deutschland zu vernehmen. Die beiden Vertreter von Linken und Grünen im NSA-Untersuchungs- ausschuss repräsentierten nicht das dafür notwendige Vier- tel der Bundestagsabgeordneten, heißt es in dem gestern veröffentlichten Beschluss. Glyphosat nicht krebserregend? HELSINKI Ein neues Gutachten stuft den Unkrautvernichter Glyphosat nicht als krebserregend ein. Die wissenschaftli- chen Erkenntnisse erfüllten nicht die Kriterien, um Glypho- sat als krebserregend zu bewerten, hieß es in dem Gutachten der europäischen Chemikalienagentur Echa. Glyphosat steht im Verdacht, Krebs zu erregen. Die Risiken sind umstritten. Grüne verhindern CSU-Eskalation MÜNCHEN Die Landtags-Opposition hat die endgültige Eska- lation im Machtkampf zwischen Ministerpräsident Horst Seehofer und seiner CSU-Fraktion verhindert – vorläufig jedenfalls. Auf Antrag der Grünen beschloss der Innenaus- schuss gestern einstimmig eine Expertenanhörung über die von der CSU-Fraktion angepeilte Änderung des Kommunal- wahlrechts. Damit wurde die Entscheidung über das hoch umstrittene Thema vertagt, vermutlich um mehrere Monate. Keine neuen Schulden möglich BERLIN Die künftige Bundesregierung kann nach Aussage von Finanzminister Wolfgang Schäuble (CDU) auch in den nächs- ten Jahren ohne neue Schulden auskommen. Ob dies tat- sächlich gelinge, hänge von Beschlüssen der künftigen Parla- mentsmehrheit ab. Zuvor hatte das Kabinett die Eckwerte für den Etatentwurf für 2018 und den Finanzplan bis 2021 beschlossen. Um die „Schwarze Null“ zu halten, muss die neue Regierung ein Etatloch von 4,9 Milliarden Euro stopfen – über zusätzliche Einnahmen oder Ausgabenkürzungen. Explosive Post im Finanzministerium I m Bundesfinanzministerium in Berlin ist gestern in der Poststelle ein gefährliches Pa- ket mit einem explosiven Ge- misch entdeckt worden. Das Blitzknallgemisch hätte beim Öffnen zu erheblichen Verlet- zungen führen können, so die Polizei. Das Paket war am Vormittag entdeckt worden. Ob das Paket an Finanzminister Wolfgang Schäuble (CDU) adressiert war, wollte die Polizei nicht sagen. Laut Polizei kann der ent- deckte Stoff zur Herstellung von Pyrotechnik verwendet werden. Nach dem Fund muss- ten Mitarbeiter die Poststelle und umliegende Räume des Hauses umgehend verlassen. Mitarbeiter der Poststelle hatten das Paket geröntgt und einen verdächtigen Gegen- stand festgestellt. Spezialisten des Kriminaltechnischen Insti- tuts untersuchten das Paket daraufhin. 8A6LniQo

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10 POLITIK ABENDZEITUNG DONNERSTAG, 16. 3. 2017 WWW.AZ-MUENCHEN.DE

Ein Flüchtlingsboot erreicht im März 2016 Lesbos. Solche Bilder könnte sich Präsident Erdogan für sein umstrittenes Referendum zunutze machen. F: dpa

„Platzt der Pakt, ist das„Platzt der Pakt, ist dasein Risiko für beide Seiten“ein Risiko für beide Seiten“

ropa. Sie wollen diese gefährli-che Reise nicht auf sich neh-men – zumal die Bilder aus Ido-meni auch bei den Migrantenin der Türkei angekommensind. Außerdem wollen vor al-lem die Syrer in der Nähe ihrerHeimat bleiben, um gegebe-nenfalls zurückzukehren.Wie würde eine Grenzöffnungkonkret aussehen?Es gibt zwei Möglichkeiten:Was die Seegrenze betrifft,kann die türkische Küstenwa-che wegsehen, wenn sich Bootein Bewegung setzen – und so-bald diese europäische Gewäs-ser erreichen, sind die Europä-er zuständig. An der Landgren-ze zu Bulgarien gibt es mittler-weile einen Grenzzaun. Hierkann es sein, so hat es Erdoganeinmal angekündigt, dass aus-reisewillige Migranten in Bussegesetzt, zur Grenze gefahrenwerden und die türkische Seiteverlassen dürfen. Allerdingswarten dann gegenüber diebulgarischen oder auch diegriechischen Grenzer – undlassen die Leute nicht rein.Die Flüchtlinge würden alsoim Niemandsland stranden.Ja. Die Bilder von dort würdendann zwar auch auf die türki-sche Seite zurückfallen, weildie Bevölkerung sie kritischaufnehmen würde. Aber dieRegierung würde vermutlichalles daran setzen, den Fall sodarzustellen, dass die Europäerihren Verpflichtungen nichtnachkommen. Es ist ein Va-banquespiel, ein Risiko für bei-de Seiten.

Interview: Natalie Kettinger

Europäer haben sich nicht be-reit erklärt, mehr syrischeFlüchtlinge aus den Lagern auf-zunehmen. Auch hinsichtlichder vereinbarten Visa-Erleich-terungen für Türken gehtnichts voran, auch weil Ankaranicht gewillt ist, alle Bedingun-gen dafür zu erfüllen, vor allemdas zu allgemeine Antiterror-gesetz zu präzisieren.Aber die versprochenen vierMilliarden sind geflossen?Etwa eine Milliarde fließt seitJahreswechsel an Organisatio-nen, die sich um Geldkartenkümmern, mit denen mittello-se Flüchtlinge einkaufen kön-nen. Auch verschiedene andereProjekte, etwa der Bau vonSchulen, sind ganz gut angelau-fen. Allerdings funktioniert al-les langsam und schleppend.Dementsprechend sind die vierMilliarden, die bis Ende desJahres bezahlt werden sollten,noch nicht ausgeschüttet.Würden sich wirklich 2,6 Mil-lionen Menschen in RichtungEuropa in Bewegung setzen,wenn Ankara ernst macht?Ich habe mit Migrationsfor-schern in der Türkei gespro-chen, die Untersuchungen inden dortigen Flüchtlingsge-meinden durchgeführt habenund zu dem Ergebnis gekom-men sind, dass die Bereitschaftvon vielen, nach Europa zu ge-hen, nicht sehr ausgeprägt ist.Das heißt: Dieses Bedrohungs-szenario ist wissenschaftlichnicht eindeutig zu belegen.Warum nicht?Viele Syrer, Iraker oder Afgha-nen wollen gar nicht nach Eu-

lang nur sehr, sehr schleppendfunktioniert. Es wurden 900 Il-legale in die Türkei zurückge-schickt – und umgekehrt sindetwa ebenso viele Syrer nachEuropa gekommen. Die Zahlenwaren eigentlich viel höher an-gesetzt. Aber die griechischen

Behörden auf den Inseln ma-chen nicht mit: Es fehlt an Be-amten für die Bearbeitung derAsylverfahren oder die Gerich-te sagen, die Türkei ist kein si-cheres Herkunftsland fürFlüchtlinge, wir können sienicht zurückschicken. Und die

AZ: Herr Schulz, wie realistischist es, dass die Türkei denFlüchtlingspakt mit der EUtatsächlich platzen lässt?LUDWIG SCHULZ: Durchausrealistisch. Darauf deuten ja dieverschiedenen ÄußerungenPräsident Erdogans und rang-hoher Minister hin.Was verspricht man sich inAnkara davon?Dass die europäische Seitedurch die Aufkündigung zu ir-rationalen, antitürkischen Re-aktionen gezwungen wird.Dann kann Erdogan sich weiterals Verteidiger der Türkei prä-sentieren und um Zustimmungfür die Verfassungsänderungund für den Ausbau seiner Füh-rungsmacht werben. Außer-dem kann die türkische Regie-rung die Bilder und Nachrich-ten gut verwerten, wenn sichFlüchtlinge wieder auf denWeg machen, wenn sichFlüchtlinge wieder in Gefahrbegeben – und Europa, das sei-nen humanitären Verpflich-tungen aus dem Flüchtlings-pakt nicht nachgekommen ist,schaut zu.Wie ist es denn um die Einhal-tung des Paktes bestellt?Es war ausgemacht, dass Euro-pa für jeden illegal auf einegriechische Insel eingereistenFlüchtling, den die Türkei wie-der zurücknimmt, einen Syreraus den türkischen Flüchtlings-lagern übernimmt. Das hat bis-

Die Türkei droht Europa immer schärfer mitder Kündigung des Flüchtlings-Abkommens.Ein Experte erklärt, was dann geschehen würde

AZ-INTERVIEWmit

Ludwig Schulz

Der Wissenschaftler istTürkei-Experte am Centrumfür angewandte Politik-forschung (CAP) der LMU.

Jetzt auch Nazi-Vorwürfe im Netz

A ngesichts aggressiver Atta-cken der türkischen Füh-

rung in Richtung Deutschlanddroht die Bundesregierung nunmit einem Einreiseverbot fürtürkische Spitzenpolitiker.

Deutschland habe völker-rechtlich die Befugnis, die Ein-reise ausländischer Regie-rungsmitglieder zu unterbin-den, sagte Kanzleramtschef Pe-ter Altmaier (CDU). „Ein Einrei-severbot wäre das letzte Mittel.Das behalten wir uns vor.“

Deutschland stoppte gesternaußerdem ein wirtschaftlichesHilfspaket für die Türkei.

Staatspräsident Recep Tayyip Er-dogan zeigte sich von alledem un-beeindruckt: „Der Geist des Fa-schismus geht um in den Stra-ßen Europas.“

Am 16. April stimmen dieTürken in einer Volksabstim-mung über eine Verfassungs-änderung für ein Präsidialsys-tem ab (AZ berichtete). Die

Bundesregierung genehmigtegestern die Abstimmung auchhierzulande. Im Bundesgebietwerden dazu 13 Wahllokale fürdie rund 1,4 Millionen Wahlbe-rechtigten eingerichtet. Die Ab-stimmung soll in Deutschlandschon vom 27. März bis zum 9.April stattfinden.

Ein Sprecher des Auswärti-gen Amts sagte gestern, dassdie Stimmabgabe in allen elfGeneralkonsulaten in Deutsch-land möglich sein wird, also inBerlin, Düsseldorf, Essen,Frankfurt, Hamburg, Hannover,Köln, Karlsruhe, Mainz, Mün-chen und Münster. Außerdemwird es auch in Dortmund so-

wie in Nürnberg Wahllo-kale geben.

Der Streit um die Wahlkampf-auftritte zieht sich mittlerwei-le auch ins Netz: Hacker(mutmaßlich Erdogan-Fans) haben Twitter-Kon-ten mit Nazi-Vorwürfengegen Deutschland unddie Niederlande geflutet.Betroffen waren unter an-derem die Twitter-Auf-tritte von Borussia Dort-mund, der Tennis-Legen-de Boris Becker, des FC-Bayern-Spielers Javi Martí-nes oder Amnesty Interna-tional.

Es sind wohl Erdogan-Fans, die viele Twitter-Kontenhacken und Hass-Posts gegen Deutschland absetzen.Die Bundesregierung droht mit Einreiseverboten

Prominente und auch AmnestyInternational sind Opfer derHacker-Attacke. Fotos: Twitter

POLITIK kompakt

Deniz Yücel muss in Haft bleibenISTANBUL Der Einspruch gegen den Haftbefehl gegen den„Welt“-Korrespondenten Deniz Yücel ist von einem türki-schen Gericht abgelehnt worden. Das bestätigte Veysel Ok,ein Anwalt Yücels gestern. Die Berichterstattung Yücelskönne „nicht als Journalismus oder im Rahmen der Presse-freiheit interpretiert werden“, hieß es zur Begründung desRichters. Vor über zwei Wochen hatte ein Haftrichter inIstanbul Untersuchungshaft für Yücel angeordnet. Diesekannfünf Jahre dauern. Ihm wird Propaganda für eine terro-ristische Vereinigung und Volksverhetzung vorgeworfen.

Seehofer will das G9 zurückMÜNCHEN Im CSU-internen Streit über die Zukunft desGymnasiums will Ministerpräsident Horst Seehofer (CSU)nun persönlich den Weg zurück zum Abitur nach neun Jah-ren (G9) klarmachen. Das Kabinett setzte einen Kabinetts-ausschuss ein, der ausdrücklich auf ein G9 hinarbeiten soll– mit einer „Überholspur“ für Schüler, die das Abitur auchweiterhin nach acht Jahren ablegen wollen.

Snowden: Forderung abgewiesenKARLSRUHE Der Bundesgerichtshof hat die Forderung vonOppositionspolitikern im Bundestag abgewiesen, denWhistleblower und frühere US-GeheimdienstmitarbeiterEdward Snowden in Deutschland zu vernehmen. Die beidenVertreter von Linken und Grünen im NSA-Untersuchungs-ausschuss repräsentierten nicht das dafür notwendige Vier-tel der Bundestagsabgeordneten, heißt es in dem gesternveröffentlichten Beschluss.

Glyphosat nicht krebserregend?HELSINKI Ein neues Gutachten stuft den UnkrautvernichterGlyphosat nicht als krebserregend ein. Die wissenschaftli-chen Erkenntnisse erfüllten nicht die Kriterien, um Glypho-sat als krebserregend zu bewerten, hieß es in dem Gutachtender europäischen Chemikalienagentur Echa. Glyphosat stehtim Verdacht, Krebs zu erregen. Die Risiken sind umstritten.

Grüne verhindern CSU-EskalationMÜNCHEN Die Landtags-Opposition hat die endgültige Eska-lation im Machtkampf zwischen Ministerpräsident HorstSeehofer und seiner CSU-Fraktion verhindert – vorläufigjedenfalls. Auf Antrag der Grünen beschloss der Innenaus-schuss gestern einstimmig eine Expertenanhörung über dievon der CSU-Fraktion angepeilte Änderung des Kommunal-wahlrechts. Damit wurde die Entscheidung über das hochumstrittene Thema vertagt, vermutlich um mehrere Monate.

Keine neuen Schulden möglichBERLIN Die künftige Bundesregierung kann nach Aussage vonFinanzminister Wolfgang Schäuble (CDU) auch in den nächs-ten Jahren ohne neue Schulden auskommen. Ob dies tat-sächlich gelinge, hänge von Beschlüssen der künftigen Parla-mentsmehrheit ab. Zuvor hatte das Kabinett die Eckwertefür den Etatentwurf für 2018 und den Finanzplan bis 2021beschlossen. Um die „Schwarze Null“ zu halten, muss dieneue Regierung ein Etatloch von 4,9 Milliarden Euro stopfen– über zusätzliche Einnahmen oder Ausgabenkürzungen.

Explosive Post imFinanzministeriumI m Bundesfinanzministerium

in Berlin ist gestern in derPoststelle ein gefährliches Pa-ket mit einem explosiven Ge-misch entdeckt worden. DasBlitzknallgemisch hätte beimÖffnen zu erheblichen Verlet-zungen führen können, so diePolizei.

Das Paket war am Vormittagentdeckt worden. Ob das Paketan Finanzminister WolfgangSchäuble (CDU) adressiert war,wollte die Polizei nicht sagen.

Laut Polizei kann der ent-deckte Stoff zur Herstellungvon Pyrotechnik verwendetwerden. Nach dem Fund muss-ten Mitarbeiter die Poststelleund umliegende Räume desHauses umgehend verlassen.

Mitarbeiter der Poststellehatten das Paket geröntgt undeinen verdächtigen Gegen-stand festgestellt. Spezialistendes Kriminaltechnischen Insti-tuts untersuchten das Paketdaraufhin.

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