90 Jahre Volksabstimmung in Oberschlesien

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20. März 1921 90 Jahre Volksabstimmung in Oberschlesien 20. März 1921 Volksabstimmung in Oberschlesien Bild aus: Das Erlebnis der oberschlesischen Volksabstimmung Neumarkt / Opf 1951, S.33

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Am 20. März 1921 entschieden die Oberschlesier über ihre staatliche Zugehörigkeit: 60 % waren für Deutschland, 40 % wollten zu Polen. Warschau und die Siegermächte akzeptierten die demokratische Entscheidung nicht. Oberschlesien wurden 1922 geteilt.

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20. März 192190 Jahre Volksabstimmung in Oberschlesien

20. März 1921 Volksabstimmung

in Oberschlesien

Bild aus: Das Erlebnis der oberschlesischen Volksabstimmung Neumarkt / Opf 1951, S.33

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Oberschlesien

Oberschlesien im Deutschen Reich

Oberschlesien gehörte verwaltungs-technisch zu der preußischen Provinz Schlesien, Die Region lag ganz im Osten des Deutschen Reiches. Der östliche Teil Oberschlesiens mit den Städten Kattowitz, Königshütte, Beuthen und Gleiwitz war neben dem Ruhrgebiet das bedeutendste Industrierevier Deutschlands. Oberschlesien war bunt gemischt: Hier wurde Deutsch, Mährisch, Polnisch und vor allem „Wasserpolnisch“ (ein slawischer Dialekt mit zahlreichen Germanismen) gesprochen.

Oberschlesien

Karte oben: wikipedia.de

Völker- und Sprachenkarte Stand 1913: hellgrün: Polen bzw. polnischsprechende Ethnien – dunkel grün: Tschechen und Slowaken – rot/rosa Deutsche und deutschsprechende EthnienKarte aus: Dierke Schulatlas 1913

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Das geteilte Oberschlesien

Das Abstimmungsgebiet war zu Gunsten Polens festgelegt worden: Es entsprach den Sprachenkarten vor dem Ersten Weltkrieg. Warschau war zuversichtlich, dass der polnischsprachige, eigentlich wasserpolnisch-sprachige Teil Oberschlesiens für den Anschluss an das neu gegründete Polen votieren wird. Gemäß dem Prinzip Sprache = nationales Bewusstsein.

Die klare Mehrheit der Oberschlesier stimmte am 20. März 1921 für den Verbleib beim Deutschen Reich. Die Siegermächte ignorierten die Entscheidung. Sie teilten die Region. Die Landkreise, in dem die Bevölkerung mehrheitlich für Polen stimmte, wurden 1922 abgetrennt. Es handelte sich hierbei um den wirtschaftlich bedeutendsten Teil Oberschlesiens.

Karte: wikipedia.de

Abstimmungsgebiet 1921Das geteilte Oberschlesien seit 1922Karte aus: Das Erlebnis der oberschlesischen Volksabstimmung Neumarkt/Oberpfalz1951, S.65

Oberschlesien vor und nach der Volksabstimmung

Die Siegermächte bestimmten bei der Versailler Friedenskonferenz, dass die Oberschlesier selbst über ihre staatliche Zugehörigkeit entscheiden sollten.

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Polens Ansprüche auf Oberschlesien

Mit der Niederlage des Deutschen Reiches im Ersten Weltkrieg und dem Zusammenbruch der Habsburgermonarchie sowie des Zarenreiches erfolgte die Wiedergeburt Polens. Warschau beanspruchte nicht nur alle Gebiete, die während der Teilungen im 18. Jahrhundert verloren gingen, sondern auch Regionen, in denen die Menschen Polnisch sprachen. Oberschlesien als hochindustrialisierte Schlüsselregion stand ganz oben auf der Wunschliste. Das östliche Oberschlesien war neben dem Ruhrgebiet ein bedeutendes Schwerindustriezentrum Deutschlands. Siegermacht Frankreich unterstützte Polen dabei, Oberschlesien zu annektieren, um Deutschland zusätzlich zu schwächen.

Versailler Vertrag und Oberschlesien

Im ersten Entwurf des Versailler Vertrages sollte Oberschlesien ohne irgendein Referendum an Polen abgetreten werden. Als der Entwurfstext bekannt wurde, ging eine Schockwelle durch Deutschland. In Oppeln, das als die historische Hauptstadt Oberschlesiens gilt, demonstrierten 20.000 der 36.000 Einwohner gegen diesen Artikel des Versailler Vertrages. Auch in den anderen Großständen Oberschlesiens gab es Demonstrationen.

Die Folgen: Die Siegermächte revidierten den umstrittenen Artikel. Besonders Lloyd George, der britische Premier, setzte sich dafür ein, dass die Oberschlesier selbst über ihre staatliche Zugehörigkeit entscheiden sollten. Eben gemäß des Selbstbestimmungsrechts der Völker – wie es US-Präsident Woodrow Wilson in seinen 14 Punkten deklarierte.

Doch auch bei diesem Vorhaben spielten die Siegermächte Warschau zu. So wurde das Abstimmungsgebiet auf die Teile Oberschlesiens zurecht geschnitten, in denen die slawische Bevölkerung die Mehrheit bildete. Das Kalkül der Siegermächte und Polens: Die alteingesessenen, mehrsprachigen Bewohner Oberschlesiens werden sich als Polen definieren und für Polen stimmen.

Die „Großen Vier“ (von links): David Lloyd George, Vittorio Emanuele Orlando, Georges Clemenceau und Woodrow Wilson bei den Verhandlungen in Versailles.Bild: wikipedia.de

Das Kraftwerk Oberschlesien in Bobrek bei Beuthen O/S.Bild: wikipedia.de

Die Volksabstimmung in Oberschlesien 1921

1. Ursachen

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Bürgerkrieg und Propagandafeldzüge

Das Abstimmungsgebiet wurde Anfang 1920 der Interalliierten Regierungs- und Plebiszit-Kommission unterstellt. Die deutsche Verwaltung und das deutsche Militär mussten die Region verlassen. Engländer, Italiener und Franzosen sorgten jetzt für Ruhe und Ordnung.

Zum polnischen Abstimmungskommissar wurde Wojchiech (dt. Adalbert) Korfanty, ehemals Reichstagsabgeordneter für die Polnische Partei und der bedeutendste Befürworter des Anschlusses an Polen. Sein (deutscher) Gegenspieler war Kurt Urbanek, Verwaltungsjurist aus Neisse O/S.

Die Abstimmungszeit wie auch die Zeit der Aufstände (1919 und 1920 wollten pro-polnische Kräfte Oberschlesien gewaltsam von Deutschland lösen) spaltete die Bevölkerung der Region. Nachbarn, Bekannte, Freude und Familien stritten, für welchen Nationalstaat sie sich entscheiden sollten. Sowohl die polnische wie auch die deutsche Seite setzte auf einen massiven Propagandafeldzug, um für das jeweilige Land zu werben. Aus Polen kamen katholische Kleriker extra angereist, um die Bevölkerung ins („polnische“) Gewissen zu reden.

Korfanty nutzte die schwere soziale Lage der Oberschlesier, um sie für Polen zu gewinnen: Den Oberschlesiern, die für Polen stimmten, versprach er eine Kuh. Es kam aber auch zu Gewaltakten. Menschen wurden wegen ihrer nationalen Einstellung misshandelt – und sogar ermordet. Oberschlesien versank in einem Bruder- und Bürgerkrieg.

Volksabstimmung am 20. März 1921

Der 20. März 1921 war der Schicksalstag der Oberschlesier. Die Wahlbeteiligung betrug 97%. Das Ergebnis: Rund 60% der Abstimmungsberechtigten waren für Deutschland, 40% für Polen. Somit entschied sich die klare Mehrheit der Oberschlesier für den Verbleib beim Deutschen Reich. Und auch Teile der slawischen Bevölkerung Oberschlesiens sprach sich für Deutschland aus.

Britische Soldaten sorgen für Ruhe und Ordnung in Oberschlesien.Bild: wikipedia.de

Die Oppelner Bevölkerung erwartet mit Spannung das Abstimmungsergebnis.Bild: wikipedia.de

Die Volksabstimmung in Oberschlesien 1921

2. Verlauf

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Dritter Schlesischer Aufstand 1921

Angesichts der Niederlage für Polen wollte Korfanty mit Gewalt vollendete Tatsachen schaffen. Am 3. Mai 1921 entbrannte der sogenannte Dritte Schlesische Aufstand.

Professor Menzel über den 3. Schlesischen Aufstand am 19. März 2011 in München: Die demokratische Abstimmung des Volkes sollte durch Gewalt revidiert werden – noch heute wird in Polen dieser Gewaltakt verklärt und verherrlicht.

Die Aufständischen, unterstützt durch die polnische Armee, stießen tief in Oberschlesien hinein. Deutsche paramilitärische Einheiten aus dem Reichsinnern stoppten ihren Vormarsch auf dem St. Annaberg, den bedeutendsten Wallfahrtsort Oberschlesiens. Die Siegermächte zwangen die Kriegsparteien zu einem Waffenstillstand.

Teilung Oberschlesiens 1921/22

Trotz der klaren Abstimmung der Oberschlesier für den Verbleib beim Deutschen Reich entschieden die Siegermächte eigenmächtig über das weitere Schicksal der Region: Oberschlesien wurde geteilt. (Genfer Beschluss)

Der wirtschaftlich bedeutende Teil ging an Polen. Die neue Grenze zerschnitt ein in sich gewachsenes Gebiet. Familien wurden getrennt, Industriekomplexe und Kohlengruben auseinandergerissen, die Infrastruktur zerstört.

Das polnische Parlament billigte bereits 1920 der Woidwoschaft Slask (Ost-Oberschlesien) den Autonomiestatus. Der westliche Teil Oberschlesiens wurde zu einer eigenen Provinz Preußens. Seit 1922 – für 15 Jahre – regelte das deutsch-polnische Minderheitenabkommen das Leben in der geteilten Region – im Schatten zweier unversöhnlichen Nachbarn.

Polnische Aufständische bringen bei Kandrzin einen Zug zum Entgleisen.Bild: wikipedia.de

Deutscher Grenzposten in Beuthen OSBild: wikipedia.de

Die Volksabstimmung in Oberschlesien 1921

3. Folgen

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Präs. 4. Nov. 1920An Fürstbischöfliche Kurie in Breslau

Eminenz,

überreichen unterzeichnete Pfarrer des oberschlesischen Abstimmungsgebietes eine Liste hier augenblicklich weilender fremden Diözesen angehörender Welt- und Ordenspriester mit der Bitte, an maßgebender kirchlicher Stelle dahin zu wirken, daß den Exdiözesanen der Aufenthalt im Abstimmungsgebiet lediglich zur Vornahme des Plebiszites gewährt wird oder jede Art von Agitation ihnen streng untersagt wird. […]

Da es in jeder Pfarrei Anhänger für Polen und Deutschland gibt, zerfielen infolge dieser Agitation die betr. Geistlichen mit dem Teil der Parochanen, der deutsch orientiert ist, schadeten ungeheuer dem kirchlichen Leben nicht bloß in ihren Gemeinden, so daß es vielfach zu skandalösen Szenen, ja zum Blutvergießen kam. [...]

Diesem Ausfall an Agitationskräften sollen jetzt die der Diözese nicht angehörenden Geistlichen ersetzten. Während vor dem Kriege polnische Geistliche fremder Diözesen sich selten in O-S. aufhielten, sind sie jetzt sehr zahlreich anzutreffen. Die Seelsorge hat sie nicht nach O-S. gerufen, sie braucht sie auch nicht. Sie sind auch darin nicht tätig. Ihre Betätigung ist eine andere. Die beiliegende Liste weißt nicht längst alle auf. Viele kommen aus Posen, Galizien oder Polen für einige Tage hierher, melden sich beim Ortspfarrer gar nicht an, agitieren rücksichtslos gegen Bischof und Pfarrer, um dann wieder zu verschwinden. Oft zelebrieren sie gar nicht.

Dic polnische Propaganda legt großes Gewicht darauf, daß Geistliche agitieren, weil das Priesterkleid beim oberschlesischen Volke besonders wirkt, und die Abstimmung so als religiöse Frage dokumentiert wird.

[...] Das Blut, das im Aufstand geflossen ist, kommt zum Teil auch auf das Konto dieser Agitation. Die traurigste Erscheinung dieser priesterlichen Agitation ist, daß sich diese Priester nicht an die Vorschriften der Diözese halten, offen erklären, der Breslauer Bischof ist ein Deutscher und als solcher unser Gegner; außerdem habe er in Oberschlesien nichts mehr zu sagen, und glauben tun zu dürfen, was sie wollen.

Das oberschlesische Volk, das nicht den Unterschied zwischen privater und kirchlicher Tätigkeit, sondern in allem den Priester sieht, wird irre an seinem Klerus und am Glauben. [...]

Nach allem haben wir den Eindruck, als ob die Oberen der fremden Diözesen, bezw. die Ordensoberen, ihre polnischen Geistlichen absichtlich zu Propagandazwecken nach Oberschlesien beurlauben. Wenn der Heilige Vater in väterlicher Sorge die im Militärdienst verwendeten Geistlichen nach Beendigung des Krieges unter Androhung strenger Strafen zur sofortigen Rückkehr in ihr Kloster oder in ihre Diözese aufforderte, so scheint es den Intentionen des Obersten Hirten zu widersprechen, wenn sich im Abstimmungsgebiet Nichtdiözesanen und Ordensgeistliche monatelang lediglich der politischen Propaganda widmen, zum eigenen sittlichen Verderb und zum großen Schaden des katholischen Lebens in der Diözese.

Wir bitten daher Euer Eminenz beim Heiligen Stuhl dahin vorstellig zu werden. daß alle Nichtdiözesanpriester und Ordensgeistliche während der Vorbereitung des Plebiszits vom Abstimmungsgebiet möglichst fern bleiben oder daß sie, falls sie hier verbleiben müssen, mit Rücksicht auf ihren Stand und das Wohl der Kirche genau die Anordnungen des Diözesanbischofs befolgen und sich jeglicher Agitation enthalten. Tylla, Päpstlicher Hausprälat; Kubis, Erzpriester; Tunkel, Erzpriester; Bertzik, Erzpriester; Kubis, Pfarrer, Oppeln.

Quelle: Ks. Kichal Lewek, Gornoslaski Plebiscyt z roku 1921 oraz udzial w nim duchowienstwa katolickiego, Chorzow 1991, S. 68-71.

Bitte um Fernhaltung von Geistlichen fremder Diözesen aus dem oberschlesischen Abstimmungsgebiet.

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Alle Bilder aus wikipedia.de

Deutsche und polnische Plakate aus der Abstimmungszeit. Typisch für Oberschlesien: Man warb auf Polnisch für Deutschland bzw. auf Deutsch für Polen.

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Quelle: Bayreuther Tagblatt, 21. März 1921

Quelle: Bayreuther Tagblatt, 19.April 1920

Das Bayreuther Tagblatt schreibt ...

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Quelle: Bayreuther Tagblatt, 22. März 1921

Das Bayreuther Tagblatt schreibt ...

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Quelle: Bayreuther Tagblatt, 4. Mai 1921

Das Bayreuther Tagblatt schreibt ...

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Ausgestellt am 27.03.2011 beim Schlesischen Sommersingen 2011 in Bayreuth

Konzeption und Umsetzung: Lukas Moj