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Insel-Bücherei Nr. 1472 Im Romanischen Café Ein Gästebuch

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  • Insel-Bücherei Nr. 1472

    Im Romanischen Café

    Ein Gästebuch

  • Brigitte LandesIm Romanischen Café

    Ein Gästebuch

    Insel Verlag

  • Insel-Bücherei Nr.

    © Insel Verlag Berlin

  • Inhalt

    Franz Hessel, Rundfahrt . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Else Lasker-Schüler, Unser Café . . . . . . . . . . . . . . . Kurt Tucholsky, Café-Kultur . . . . . . . . . . . . . . . . . Walter Benjamin, »Hauptquartier der Bohème« . . . . Egon Erwin Kisch, Die Gerächte Bohème . . . . . . . . Georg Zivier, »Darauf ein Schweigemoment« . . . . . John Höxter, Mihi est propositum in taberna mori … Anton Kuh, Ich bin ein Bohemien . . . . . . . . . . . . . . Erich Mühsam, Boheme . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Géza von Cziffra, Brechts Stammtisch . . . . . . . . . . Klabund, Ein Bürger spricht . . . . . . . . . . . . . . . . . Joseph Roth, Richard ohne Königreich . . . . . . . . . . Géza von Cziffra,Wie ich Joseph Roth kennenlernte IrmgardKeun, Das kunstseideneMädchen erklärt dasRomanische Café . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

    Friedrich Hollaender, Zwei dunkle Augen: Tango . . Mascha Kaléko, Auf einen Café-Tisch gekritzelt . . . Erich Kästner, Das Rendezvous der Künstler . . . . . . Sylvia von Harden, Im Café. Für FerdinandHardekopf . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

    Elias Canetti, »Man mußte sich sehen lassen« . . . . . Gabriele Tergit, »Berlin ist ein Vorort desNordostens« . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

    Christoph Hein, »Den Namen Trutz solle man sichmerken« . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

  • Siegfried Kracauer, Café im Berliner Westen . . . . . . Hans Sahl, »die stillen Stunden im Romanischen« . . Wolfgang Koeppen, Romanisches Café . . . . . . . . . . . Else Lasker-Schüler, »Unser romanischer Kraal« . . .

    Zu den Autorinnen und Autoren . . . . . . . . . . . . . . Literaturnachweise . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

  • Im Romanischen Café

  • »Meine Damen und Herren, Ladies and Gentlemen, Mes-dames et Messieurs – und rechts sehen Sie das RomanischeCafé, den Olymp der brotlosen Künste, den Sitz der Berli-ner Boheme«! – Käse’s Rundfahrten, das erste und ältesteRundfahrtunternehmen Berlins macht am Ende des Kur-fürstendamms, Nr. , einen Bogen um die Gedächtnis-kirche herum, die wie auf einer Insel steht, und lenkt dieBlicke auf das damals berühmteste Kaffeehaus Berlins. Dasneoromanische Haus mit den zwei hohen Ecktürmen, denhohen Bogenfenstern und seiner großen Terrasse gehörtezum Ensemble des Romanischen Forums rund um die Ge-dächtniskirche, das der Architekt Franz Schwechten nachden Vorstellungen Kaiser Wilhelms II. entworfen hatte.

  • Franz HesselRundfahrt

    Unter den Linden nahe der Friedrichstraße halten hübenund drüben Riesenautos, vor denen livrierte Männer mitGoldbuchstaben auf ihren Mützen stehen und zur Rund-fahrt einladen; drüben heißt ein Unternehmen ›Elite‹, hü-ben ›Käse‹. Bequemlichkeit oder Kleinbürgertum? – Ichwähle ›Käse‹! […]Unser Rückweg passiert in derHardenbergstraße dieHoch-schulen für Musik und bildende Kunst, einen einheitlichentworfenen Komplex von Gebäuden in hübschem Sand-stein. Und dann geht es unterm Stadtbahnviadukt hindurchund zur Kaiser Wilhelm-Gedächtniskirche, vor der unserWagen hält. Der Führer erklärt, dies Gebäude sei eine derschönsten Kirchen Deutschlands.Nun ist leider noch heller Tag, da sieht man sie zu deutlich.Ach, wenn hier eine echte alte Kirche stünde – aus Zeitenstammend, die eine der andern den Torso ihrer Träumezu langsamem Weiterbauen übergab – und wenn nun heutan die altersgrauen Mauern und Zacken unter Engelleibernund Teufelsfratzen der wilde Rundverkehr der Trambah-nen, Autos, Autobusse und Menschenmassen mit einemEcho aus Ruinenstein prallte – der ›Broadway‹ von Berlin-Charlottenburg mit seinen Cafés, Kinos, Leuchtbuchstaben

  • undWanderschriften hätte ein Herz, eine Mitte, eine Reso-nanz. Statt dessen steht, seit dreißig Jahren immer noch wieneu, hier das Schulbeispiel einer sogenannten ›spätroma-nischen Zentralanlage‹ mit Hauptturm und Nebentürmenals massives Verkehrshindernis mitten auf dem Platz, undgegenüber dem Hauptturm einerseits und dem Chor and-rerseits sind von demselben Architekten – wir wollen sei-nen Namen vergessen – noch aus Stilgefühl zwei gleichfallsromanische Häuser errichtet. Es muß abends schon gewal-tig von ›Capitol‹ und ›Gloriapalast‹ und der Ufa am ZooLicht herüberdonnern, um die steingewordne Schulweis-heit etwas aufzulösen. […]– So, hier will ich, ehe der Wagen weiterfährt, aussteigen,nicht um in die Kirche, sondern ins Romanische Café zugehen. Es ist Spätnachmittag, da ist es noch nicht zu voll.Ich finde die alten Münchner und Pariser Freunde. Fahrtohne mich weiter, ihr richtigen Fremden!

    * * *

    Seinen Ruhm verdankt das Café seinen legendären Gästen.Hier begegneten sich die Schriftsteller, Journalisten,Verle-ger undGaleristen, die Theater- und Filmleute, die Kompo-nisten, Kabarettisten und Sängerinnen. Der tägliche Besuchim »Industriegebiet der Intelligenz« war obligatorisch. Eswar Nachrichten-,Tratsch- und Meinungsbörse – für man-che ihr »zweiter Wohnsitz«.»Das Lokal selbst war so farblos und frostig wie seinName,abgeleitet von der spätwilhelminischen Romanik rund um-

  • her. Hier traf sich alles, was zwischen Rejkjavik und Tahitivon Beruf oder aus Liebhaberei mit den Musen und Gra-zien in irgendeiner Beziehung stand. Schräg gegenüberder Drehtür ein Büffet, das sich an architektonischer Ab-scheulichkeit und kulinarischer Geschmacklosigkeit mit je-dem Wartesaal Preußens messen konnte. Darüber eine derwagenradförmigen Kronen, Serienproduktionen im stan-dardisierten Makartstil. Und das in einem Lokal, in demSlevogt, Orlik und Mopp täglich ihren Kaffee tranken«,schreibt der junge Autor und häufige Gast des Cafés, Gün-ther Birkenfeld.

    Bruno Fiering, der das Romanische Café eröffnet hat,hatte das Glück, nach dem Ende des ErstenWeltkriegs fastdie gesamte Klientel und sogar einen Teil der Angestelltenaus dem auch unter dem Namen »Café Größenwahn« le-gendär gewordenen Café desWestens übernehmen zu kön-nen, das sich nur wenige Häuser entfernt am Kurfürsten-damm / befand. Im Café des Westens saßen bis die Künstler und Schriftsteller tagelang bei einer TasseKaffee und einem Glas Wasser, gründeten die avantgardis-tischen Kunstzeitschriften und Galerien, riefen Expres-sionismus, Futurismus und Dadaismus aus, schrieben Zei-tungsartikel, Manifeste, Gedichte und ganze Bücher. DieKüche soll hervorragend gewesen sein, aber viele derStammgäste konnten sie sich nicht leisten. Doch fandendie weniger BetuchtenMäzene, die den »brotlosen«Künst-lern ihren Verzehr beglichen, und auch die Kellner trafenmit ihnen besondere Arrangements.

  • Else Lasker-Schüler hatte das Café zu ihrem zweitenWohn-sitz erklärt. Sie saß hier tagelangmit ihremMannHerwarthWalden, dem Gründer der Avantgarde-Zeitschrift DerSturm, und ernährte sich vermutlich nur von Kaffee, wiedie Schauspielerin Tilla Durieux zu berichten weiß, derenMann Paul Cassirer, Galerist und Verleger, regelmäßigerGast und einer der Mäzene war. In dem Briefroman MeinHerz, den Else Lasker-Schüler nach ihrer Trennung vonWalden zwischen und schrieb, und der unter demTitel »Briefe nach Norwegen« im Sturm vorabgedruckt er-schien, tauchen fast alle Dauergäste des Cafés auf. In denBriefen geht es um Tratsch und Klatsch aus dem AlltagdesCafés; darinmacht sie sichüber ihreZeitgenossen lustigund nimmt sich selbst dabei nicht aus:»Was wir so alles durchmachen! Auch geht es mir materiellschlecht. ImCafé habe ich große Schulden, beimOber vomMittag: ein Paradeishuhnmit Reis und Apfelkompott; beimOber von Mitternacht: ein Schnitzel mit Bratkartoffeln undPreißelbeeren und ein Vanilleeis, ein ganzes zu fünfzigPfennig. Martha Hellmuth, die Zauberin Hellmüthe inmeinem St. Peter-Hille-Buch lieh mir einen Groschen fürsNachhausekommen, sonst hätte ich Dir wieder mein Wortnicht halten können. Und nachher kamRechtsanwalt Caro;er ist direkt ein gentleman, er gab mir für Dich zehn Mark;er sei Dir das schuldig. Als ich dann Lachs mit Buttersaucegegessen hatte, fiel mir ein, es war eine elegante Ausredevon ihm. Was man doch an Keingeld zu Grunde geht!Zwar Kleingeld vertrag ich noch weniger, ich bin von Hau-se nicht en miniature gewöhnt.«

  • Ernst Pauly, der Besitzer des Café des Westens, hatte einesTages genau dieses »en miniature« satt, stellte also den groß-zügigen Umgang mit seinen Gästen ein, beschloss, sie künf-tig nicht mehr anschreiben zu lassen, verwies schließlichseine Stammkunden des Cafés und zog um an die EckeKurfürstendamm und Joachimsthaler Straße.Else Lasker-Schüler machte ihrer Empörung über den Raus-wurf in einem offenen Brief an Paul Block, den Feuil-letonchef des Berliner Tageblatts, Luft.

  • Else Lasker-SchülerUnser Café

    Sire, Sie möchten etwas aus unserem Café wissen, aber un-ser Café ist schon seit ungefähr Pfingsten nicht mehr unserCafé. Gestern las ich in einer Chicagoer Zeitung, die mirmeine Schwester aus Amerika sandte, schwarz auf weiß,warum unser Café nicht mehr unser Café ist, bitte hörenSie, Sire. »Früher war das Stelldichein all dieser ›Radikalen‹das Café Größenwahn. Aber eines Tages verbot der Besit-zer derDichterinElseLasker-Schüler, die zu diesemKreisegehört, das Lokal, weil sie nicht genug verzehre. Man den-ke! Ist denn eine Dichterin, die viel verzehrt, überhauptnoch eineDichterin? Sie empfand dasmit Recht als eine un-erhörte Beleidigung, als schimpfliches Mißtrauen gegen-über ihrer dichterhaften Echtheit. Ebenso dachten die an-deren. Daher verließen sie empört das Lokal.«Ob das alles nun wortgetreu wiedergegeben ist, – jedenfallsbegab sich die Schreckenstat an einem Sonntag, meine See-le wurde Werktag, bäumte sich auf und sehnte sich nachRevolution. Kein Vers, keine Stimmung, kein Pathos, nichtder schäumendste Überschwang hatte unsere Gemeinschaft-lichkeit so fädenverstrickt zusammengerollt, wie diese un-erhörte Begebenheit; Herr Café-des-Westens hatte mir, unsallen, das Betreten seines Cafés ein für allemal untersagt.

  • Ungeheuer! Allerdings, wenn ich auch nichts verzehrt hät-te. Aber demwar nicht so, ich war gerade im Begriff, meinezweite Bestellung zu entrichten, Schokolade mit Sieb (daich die Haut nicht mag), als Herr Café-des-Westens auseiner Ecke auf mich Lesende losstürmte und rief, es gehtnicht, daß Sie hier sitzen bleiben, ohne etwas zu verzeh-ren!!! Neben mir saß mein Reichskanzler Bisam O. Er istfeig, aber seine rosaHaare standenHügel,wurdenbrandrotund sprühten Feuer. Dann kamen hintereinander meine ver-ehrten Freunde, die Paschas, und die Schlacht begann.Soll ich Ihnen nun noch über die früheren Ereignisse diesesCafés erzählen oder genügt es, wenn ich Ihnen sage, Sire,daß wir dort die schönsten Abende, namentlich zu ZeitenLublinskis, erlebten; den haben wir alle kolossal verehrt,und er lachte selbst herzhaft, wenn ihn der »Blümmner«nachahmte. Unser Zorn liegt nun über dem Café des We-stens wie über einem verlorenen Paradies, in dem wir nichtsündigten, aber das an uns sündigte. Als wir auf der Straßestanden, gedachten wir mit Wehmut des Gründers unseresverlorenen Cafés. Herr Rocco hatte es sich als besondereFreude angerechnet, daß wir Künstler in seinen Räumenverkehrten; wir Künstler haben sozusagen dasCafé desWe-stens mit auf dieWelt gebracht, wir Künstler haben ihm daserste Feierkleid geschenkt, wir Künstler haben es zur Köni-gin aller Cafés erhoben! Einer von uns hielt diese Rede indie Nacht hinaus, ich glaube, ich war’s, und den Chor ga-ben meine tiefergriffenen Kameraden und Kameradinnen.Allerdings war Rocco kein Bär, noch nicht einmal ein Tanz-bär, keinesfalls ein Brummbär. – – –

  • Nur einmal in der Woche treffen wir uns nun imCafé Jostyam Zoo, wir wollen keine Kaffern mehr sein. Auf einer Er-höhung sitzen wir an zwei Tischen, und Sonnabend haltenwir Geheimsitzung. (Unter Diskretion bitte.) Wir wollenHerrn Café-des-Westens zwingen, sich zu entleiben, ichschlage vor, mit dem Cafélöffel. Bitte, hochverehrter Sire,kommen Sie doch unverhofft einmal, aber machen Sie sichkeine Illusionen.Wir sind ganz leise und flüstern, scheint’s,nur so von Mund zu Mund, lauter Spielereien.Wäre docheinmal nur einer größenwahnsinnig. Hysterisch sind nurDilettanten. Manchmal aber reißt einer unseres Stammsschnaubend die Türe des Cafés Josty um Mitternacht auf,den Tubutsch im Gewande. Doch unsere größte Überra-schung bleibt, wenn unser Sänger kommt, der DresdenerHofopernsänger Franz Lindner. Aus der Liedertafel holteihn mein Heimatfreund Paul Zech. Noch sitzt überfließen-der Tenor in seiner Kehle, er muß uns den Rest weich überden Tisch herüber singen. Dann kommt eine innige Freudedes Beisammenseins über uns, denn wir Künstler sind Kin-der.

    * * *

    Stammgäste waren, umnur eine Auswahl zu nennen: ErichMühsam, Peter Hille, Dr. Alfred Döblin, Gottfried Benn,Else Lasker-Schüler undHerwarthWalden, FerdinandHar-dekopf, René Schickele, Ernst Blass, der sogenannte Königder Schnorrer John Höxter, Georg Heym, die Kunsthänd-ler, Galeristen und Verleger Paul und Bruno Cassirer, die

  • Brüder Ullstein, die Schauspielerin Tilla Durieux, LeonhardFrank, Egon Erwin Kisch, Carl Zuckmayer, der RegisseurMax Reinhardt, die Maler Ludwig Meidner, Emil Orlikund Max Slevogt, der Bildhauer Ottmar Begas, der auf denMarmorplatten der Tische Skizzen und Portraits der Gästeverewigte, Max Oppenheimer (Mopp), der Frühexpressio-nist Kurt Hiller, der zusammen mit Ernst Blass, Jakob vanHoddis, Georg Heym und Alfred Lichtenstein das »Neo-pathetische Cabaret« gegründet hatte.Kurt Tucholsky war kein regelmäßiger Besucher des Ca-fés, obwohl er häufig als Renommiergast aufgeführt wird.Schon spottet Ignaz Wrobel, eines seiner fünf Pseudo-nyme, über eine in Berlin ausgebrochene neue Mode: dasKaffeehaus. Eine Betrachtung grundsätzlicher Art:

  • Kurt TucholskyCafé-Kultur

    »Daß das wahrhaft Gute sich immer durchsetzt, dafür lie-fert einen eklatanten Beweis das…Café, welches sich trotzder Hochflut von Neuerscheinungen dauernd in der Gunstdes Publikums auf dem Berliner Westen behauptet. Unddies kann auch bei der Originalität dieses Cafés kaumWun-der nehmen. Man empfindet immer wieder die wohltuendeWirkung abgetönter Beleuchtung, stilvoller Dekorationenund all dessen, was eine gediegene Innenarchitektur anre-gend und doch maßvoll geschaffen hat. Speisen und Ge-tränke entsprechen der Fashionabilität des Lokals. Überdem ganzen schweben die Harmonien der Musik eines …,eines Meisters fein anregenden Stils, während jeden Nach-mittag der aus Rußland engagierte berühmte Geigenkünst-ler … konzertiert. Inmitten dieses Milieus von nobler Äs-thetik und wonnigem Behagen bei einer exakten Bedienungder nach Art der Pariser Boulevard-Cafés gekleideten Kell-ner seine Melange zu schlürfen, ist ein wahrhaft kultivierterGenuß. Und so hat sich denn auch das … Café zu einembleibenden Rendezvous der Leute von Geschmack in Ber-lin W. herausgebildet.«Das ist eine Annonce, und das sind Phrasen. Gut. Aber einLokal, in demman eigentlich nur etwas zu essen und zu trin-

  • ken bekommt, wird wirklich von den Leuten von Unge-schmack so echt empfunden, wie es das Reklamegeschwätzunecht ausdrückt. Das Café hat in dieser Stadt eine ganzeigentümliche Entwicklung durchgemacht.Was es inWienist, weiß man, und wir Norddeutschen haben wohl vonMünchen gehört, dass Schriftsteller oder Schauspieler die-ses oder jenes Café bevorzugten. Hier kannten wir derglei-chen früher nicht. Es gab wohl eines, dessen Besucher auchnach außen hin nichts unterließen, um ihre inneren Fähig-keiten zu dokumentieren, aber im großen und ganzen hat-ten wir doch mehr Konditoreien, artige kleine Räume mitroten Samtmöbeln, in denen sich Liebespaare trafen, küß-ten und einen Apfelkuchen verzehrten.Heute…! Heute sind wir so weit gekommen, dass der Ber-liner, der abends zu Hause bleibt, nächstens noch polizei-lich bestraft wird. Man geht aus. Und die Psychologie derAusgeher ist merkwürdig und unverständlich, wie ihr gan-zes Gehaben. Das Café, das immer phantastischere Namenbekommt – wir haben schon ein Luxus-Café –, wird vondiesen Menschen wirklich als ein sympathischer Kultur-träger der Moderne empfunden. Nicht wahr, da ist ein rau-chiger Raum, mehr oder weniger bunt, denn auch das guteKunstgewerbe hat sich der Cafés angenommen, und meistsind sie hübsch und aufdringlich eingerichtet, dicke Rauch-schwaden ziehen durch die Luft, hinten schnarrt und quiekteine Kapelle, es riecht nach Bier, Kaffee, Speisen und vielenmenschlichen Parfums. Ich habe eineMenge Cafés gesehen,solchemit Brillantenschiebern undKokotten und einem bie-deren Künstlerpublikum und solche mit ausschweifenden