„Bedarfgibtesan nahezujederEcke“€¦ · legten Manusmriti, einem Gesetzbuch, heißt es: Der...

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Von Armin Fechter Indien scheint ein sehr widersprüchliches Land zu sein: einerseits glanzvolle Städte und große technologische Expertise, andererseits Slums, Not und Elend. Wie erleben Sie dies? Es kommt immer darauf an, was ich se- hen will und worauf ich aus bin. Manchmal will ich auch die schönen Dinge sehen, auch um durchatmen zu können, beschäftige mich aber selbst- verständlich in erster Linie mit dem grauen, armen, sehr armen und durch- aus auch schmutzigen Indien. Aller- dings sind strahlende Kinderaugen ei- gentlich das Schönste überhaupt. Nur ist es oft schwer, diese Gegensätze zu verkraften. Warum ist in Indien gerade die Bildung von Mädchen so wichtig? Frauen und Mädchen sind in der indi- schen Gesellschaft nichts wert. Das fin- det man in vielen Kulturen. Man nutzt Religionen teilweise durchaus zur Un- terdrückung der Frau – das ist im Hin- duismus nicht anders, im Gegenteil: noch krasser. Mädchen und Frauen stel- len keine justiziable Person im öffentli- chen Raum dar, das heißt: Wenn eine Frau auf einer Polizeistation Anzeige erstattet, weshalb auch immer, wird man sie nicht ernst nehmen. Man nimmt sie nur ernst in dem Moment, wo ein Mann dabei ist – sei es der Vater, der Bruder, der Onkel, der Ehemann, ganz egal. Möglich ist das durch Unbildung. Eine gebildete Frau, ein gebildetes jun- ges Mädchen lässt sich nicht so leicht an die Wand spielen. Woher kommt so eine frauenfeindliche Ein- stellung? Schon in dem 800 vor Christus niederge- legten Manusmriti, einem Gesetzbuch, heißt es: Der Mann sei das Haupt, Bauch und Schulter der Sohn und die Gattin, sein Schatten sei die Dienerschaft, das ärgste Elend aber ist die Tochter. Das führt in der Konsequenz zum Beispiel auch zu Mädchenmorden, nachgeburt- lich oder vorgeburtlich, auch wenn Mord natürlich eine gesellschaftlich geächtete Handlung ist. Man zieht die Rechtferti- gung zu einer frauenverachtenden Hal- tung aus diesem Gesetzbuch. Ge- schlechtsbestimmung vorgeburtlich und die daraus resultierende Abtreibung sind gesetzlich verboten, werden aber trotzdem gemacht. Mit Geld geht alles. Sie haben Erfahrungen mit unterschiedli- chen Partnern in Ihrer Projektarbeit ge- macht. Woher wissen Sie, wo es Bedarf gibt? Bedarf gibt es nahezu an jeder Ecke. In Khadigram waren mir die Partner be- kannt, weil ich dort seinerzeit gearbei- tet habe. Da habe ich die Leute gefragt, ob sie Interesse an so einer Kooperation hätten, um Mädchen zu beschulen, ganz gezielt Mädchen aus Familien von Un- berührbaren und Stammesangehörigen, die auch in den Schulen ausgegrenzt und teilweise misshandelt und miss- braucht werden, woran auch Lehrer be- teiligt sind. Ich finde es wichtig, dass Chancengleichheit hergestellt wird und auch Mädchen, die die Hälfte des Him- mels tragen, wie Mao einmal gesagt hat, eine Bildungschance bekommen, damit sie selbstbestimmt leben und an Demo- kratisierungsprozessen teilnehmen kön- nen und wissen, worum es geht. Ein ganz wichtiger Punkt ist auch, dass sie wirtschaftlich unabhängig werden, das gibt ihnen ein ganz anderes Fundament. Welchen Vorbehalten sind Sie ausgesetzt, welche Widerstände sind zu überwinden? Für eine Frau sind Widerstände perma- nent spürbar, besonders im öffentlichen Raum. In Khadigram war zum Beispiel der letzte Managementwechsel sehr schwierig. Da habe ich es mit zwei alten Herren zu tun, die sehr stark in ihrer hinduistischen Denkweise verankert sind, in ihrem Kastendenken. Sie haben in mir immer wieder nur die Frau gese- hen und eben auch die Kastenlose. Und das macht dann die Zusammenarbeit sehr, sehr anstrengend und schwierig. Wie gelingt es Ihnen trotzdem, sich Respekt zu verschaffen? Respekt verschafft man sich durch sein gesamtes Auftreten. Schon das Äußere ist sehr wichtig. Ich achte immer auf angemessene Kleidung. Und das Auftre- ten als solches. Ich kann sehr bestimmt sein, wenn ich etwas verfolge und den- ke, das ist richtig und muss sein. Dann insistiere ich, bis ich das Ziel erreicht habe. Aber natürlich trägt auch das Wissen um Kultur und Empfindlichkei- ten und analog dazu ein entsprechendes Verhalten dazu bei, sich Respekt zu ver- schaffen. Bei Ihren neueren Projekten in Westindien arbeiten Sie mit einem anderen Partner zu- sammen: Manoj Macwan von der Community Development Society. Ihn habe ich vor Jahren beim Kirchen- tag kennengelernt. Er ist mir gleich sehr angenehm aufgefallen. Im Internet habe ich verfolgt, was er macht. Das fand ich spannend und interessant. Als wir uns erneut auf dem Kirchentag begegnet sind, hat er von seinen Träumen für die Projektarbeit berichtet. Das ist bei mir hängen geblieben. Schließlich habe ich ihn gefragt: Wenn wir dich unterstützen würden, was würdest du dann machen wollen? Er sagte: Frauen ausbilden und kam mit der Idee der Nursing School, an der wir inzwischen 50 Trai- nees ausbilden. Die ersten Abschlüsse liegen schon vor . . . . . . und diese jungen Frauen haben alle schon ein Stellenangebot. Das zeigt, dass das Angebot ankommt und aner- kannt wird und die Arbeitgeber die Ausbildung qualitativ für gut halten. Und jetzt haben Sie ein neues Schulprojekt aus der Taufe gehoben. Da geht es wieder um Primärbildung, dieses Mal in einem Slum mit zirka 12 000 Einwohnern. Das hat sich ange- boten, weil ich mit dem Partner bei der Nursing School gute Erfahrungen ge- macht habe. Transparente Zusammen- arbeit macht so einen Schritt leichter. Da wir die finanziellen Mittel hatten, habe ich das Thema mal angeschnitten: Was würdet ihr davon halten, wenn man diesen Kindern, die alle nicht in die Schule gehen, eine Möglichkeit bietet? Wie leben die Kinder dort in den Slums? Unter erbärmlichen Umständen. Ich fin- de es schlimmer als auf dem Land. So resignativ. Auf dem Land ist es wenigs- tens noch einigermaßen sauber, weil es die ganzen Industrieabfälle nicht gibt, Plastik, Metalle, Lederwaren und weiß der Geier. Wirklich widerwärtig. Die Fa- milien sammeln und verkaufen es auf dem Markt. Es ist schon bitter, wenn man in einer Lehmhütte leben muss. Aber eine Hütte in den Slums ist noch schlimmer, weil die Leute viel dichter gedrängt leben. Wand an Wand. Die Wände sind zum Teil aus Plastikplanen, zum Teil aus Wellblech oder Pappe, auf- gerissen, nie dicht, weil alles nicht inei- nanderpasst und sich auch nicht fixie- ren lässt. Ich finde das noch würdeloser. Das ist fürchterlich. Diese neue Schule nimmt außer Mädchen auch Jungen auf. Wie kommt es dazu? Eigentlich wollte ich wieder eine Mäd- chenschule. Dann haben wir heftigst und lange diskutiert. Es hat Manoj viel Überzeugungsarbeit gekostet. Ich bin ja nicht per se gegen Jungs. Aber ich bin per se für Mädchen. Er sagte, wenn wir jetzt nur den Mädchen eine Chance ge- ben, dann ist das ungerecht. Denn diese Jungs haben auch keine Chance. Wer in einen Slum hineingeboren wird, ist fast dazu verdammt, in die Kriminalität zu gehen. Mit Müllsammeln alleine kann man sich selber nicht durchbringen und schon gar keine Familie. Die Jugendli- chen driften dann ab und saufen ganz bestimmt irgendwann, weil alles so perspektivlos ist. Wenn aber die Männer keine Alkoholiker sind, keine Drogen nehmen, gehen sie mit ihren Frauen und Töchtern besser um, weil sie ihr Tun eher reflektieren können. Insofern tut man auch wieder etwas für die Mäd- chen. Wir haben 30 Jungs und 30 Mäd- chen und im Moment nur einen Raum. Aber die kriegen das sicher hin, sie sind es ja gewohnt, auch 80, 90 Kinder in ei- nem Raum zu unterrichten. Welche anderen Projekte unterstützt der Ver- ein noch? Wir haben diese Grundschule, die Nur- sing Academy und dann noch eine soge- nannte Drop-out-School für Mädchen, die die Grundschule nicht bis zum Ende besucht haben. Und wer die nicht absol- viert hat, kann auch nicht in eine wei- terführende Schule gehen. Außerdem gibt es noch die Mädchenschule in Kha- digram mit 60 Kindern. Geführt sind jetzt alle Schulen als Ganztagsschulen, an denen wir den Kindern einen ge- schützten Raum bieten. Die Kinder wer- den nicht nur beschult, sondern es wer- den auch die Grundbedürfnisse gedeckt: Kleidung, Nahrung, medizinische Basis- versorgung. Und wir finanzieren den Transport zur Schule. Wie soll es mit der Mädchenschule in Khadi- gram weitergehen, wenn sich der Verein aus der Förderung zurückzieht? Ich habe den Partnern schon vor einiger Zeit gesagt, dass es nicht sein kann, dass wir bis ans Ende aller Zeiten diese Schule finanzieren. Das Ziel von Ent- wicklungszusammenarbeit ist: Man gibt einen Anstoß, und irgendwann müssen die Partner vor Ort das Projekt eigen- ständig weiterführen können. Die Re- gierung in Delhi hat vor einigen Jahren ein Programm aufgelegt, das sogenannte Kasturba-Gandhi-Programm – Kastur- ba war die Frau von Mahatma Gandhi. Für dieses Programm muss man sich be- werben. Ich habe dazu meine Beratung angeboten. Ich würde die Schule auch, wenn sie aufgenommen wird, weiter fi- nanziell unterstützen – wenn auch nicht mehr in dem Umfang wie jetzt. Schließ- lich liegt es auch in meinem Interesse, dass die Schule weitergeführt wird. Wie haben sich die Verhältnisse in und um Khadigram verändert? Die Reise nach Khadigram dauert vier Tage, ist gefährlich und anstrengend. Der Druck, den das Militär auf mich dort ausübt, ist wirklich sehr belastend. Die latschen hinter mir, neben mir, vor mir mit Maschinengewehren. Früher bin ich immer in die Dörfer gegangen. Das darf ich nicht mehr. Es wurde mir ver- boten. Ich tue wirklich keinen Schritt dort ohne Waffenträger. Schon wenn ich aus dem Jeep aussteige, stehen sie da. Es gibt dort maoistische Aktivitäten. Die es jedoch immer auf staatliche Ins- titutionen abgesehen haben: Militär, Po- lizei, öffentliche Stationen. Aber auch unter dem Gesichtspunkt habe ich in Khadigram die Reißleine gezogen und gesagt: Ihr müsst auf die eigenen Beine kommen. Was ist aus den medizinischen Aktivitäten geworden? Wir werden wieder medizinische Camps machen. In der Region um Khadigram fanden sie das nicht nötig, deshalb gab es auch Ärger. Dann habe ich in Westin- dien das Projekt Nursing School begon- nen und das ganze Equipment dorthin verschickt. Dort werden wir die medizi- nischen Aktivitäten als Begleitpro- gramm wieder aufnehmen. Die Ärzte, die mitkommen, machen das gerne und haben Spaß, weil sie die ganze Verwal- tungsarbeit nicht haben, und die Patien- ten vor Ort sind unglaublich dankbar, wenn man ihnen hilft. Wobei ich immer sagen muss: Medizin ist schön, aber das ist ein Pflaster. So wie Armenspeisung: Da wird man heute satt, morgen ist der Bauch wieder leer. Was dann? Die Men- schen haben so viele Erkrankungen in- folge mangelnder Hygiene und Nah- rung. In medizinischer Hinsicht kann man natürlich einiges machen. Aber es löst das Problem nicht. Welche Möglichkeiten gibt es, das Engage- ment des Vereins zu unterstützen? Ich habe hier im Kreis viele Spender, sie sind seit Jahren treu. Dafür bin ich wirklich sehr dankbar. Denn mit leeren Taschen kann man nichts ausrichten. Unterstützen kann man auch, indem man durch Mundpropaganda den Verein bewirbt und sagt, das ist eine gute Ar- beit, die geleistet wird, das ist transpa- rent, man kann sich darauf verlassen, es gibt Personen, die dafür stehen und die man direkt ansprechen kann. Also: Spenden, Patenschaften und Werbung oder mitarbeiten. Ich mache Ausstellun- gen und halte Vorträge, dafür benötige ich eine Plattform, und wir organisieren in Althütte immer das Fest im indischen Dorf als Benefizveranstaltung. Öffent- lichkeitsarbeit ist extrem wichtig. Von 12. bis 17. Juli ist der Verein mit einem Infostand beim Sommerfestival der Kulturen auf dem Stuttgarter Rathausplatz vertreten. Marianne Frank-Mast ist täglich von 15.30 bis 22 Uhr dort anzutreffen. Am 17. und 18. September findet zum achten Mal das Fest im indischen Dorf auf dem Rathausplatz in Althütte statt – mit Flohmarkt, klassischer indischer Musik, Bollywood-Dance, Jazz-Brunch, Mundartkabarett mit Ernst Mantel und indischen Gerichten und Getränken. „Bedarf gibt es an nahezu jeder Ecke“ Das Interview: Marianne Frank-Mast und ihre Indien-Projekte Mädchen und Frauen in Indien sollen selbstbestimmt leben können: Marianne Frank-Mast, hier mit einer Skulptur des Sonnengottes Surya, unterstützt Bildungsprojekte. Foto: E. Layher Marianne Frank-Mast aus Althütte enga- giert sich seit vielen Jahren mit ihrem Verein Mädchenschule Khadigram für Bildungsprojekte in Indien. Bei ihrem jüngsten Vor-Ort-Besuch hat sie – zu- sätzlich zu den bereits laufenden Aktivi- täten – in Anand eine neue Schule für Kinder aus einem Slum gegründet. Zum ersten Mal in neuer Uniform im Unterricht: Kinder aus einem indischen Slum. Foto: privat

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Page 1: „Bedarfgibtesan nahezujederEcke“€¦ · legten Manusmriti, einem Gesetzbuch, heißt es: Der Mann sei das Haupt, Bauch und Schulter der Sohn und die Gattin, sein Schatten sei

Von Armin Fechter

Indien scheint ein sehr widersprüchlichesLand zu sein: einerseits glanzvolle Städte undgroße technologische Expertise, andererseitsSlums, Not und Elend.Wie erleben Sie dies?Es kommt immer darauf an, was ich se-hen will und worauf ich aus bin.Manchmal will ich auch die schönenDinge sehen, auch um durchatmen zukönnen, beschäftige mich aber selbst-verständlich in erster Linie mit demgrauen, armen, sehr armen und durch-aus auch schmutzigen Indien. Aller-dings sind strahlende Kinderaugen ei-gentlich das Schönste überhaupt. Nurist es oft schwer, diese Gegensätze zuverkraften.

Warum ist in Indien gerade die Bildung vonMädchen sowichtig?Frauen und Mädchen sind in der indi-schen Gesellschaft nichts wert. Das fin-det man in vielen Kulturen. Man nutztReligionen teilweise durchaus zur Un-terdrückung der Frau – das ist im Hin-duismus nicht anders, im Gegenteil:noch krasser. Mädchen und Frauen stel-len keine justiziable Person im öffentli-chen Raum dar, das heißt: Wenn eineFrau auf einer Polizeistation Anzeigeerstattet, weshalb auch immer, wirdman sie nicht ernst nehmen. Man nimmtsie nur ernst in dem Moment, wo einMann dabei ist – sei es der Vater, derBruder, der Onkel, der Ehemann, ganzegal. Möglich ist das durch Unbildung.Eine gebildete Frau, ein gebildetes jun-ges Mädchen lässt sich nicht so leicht andie Wand spielen.

Woher kommt so eine frauenfeindliche Ein-stellung?Schon in dem 800 vor Christus niederge-legten Manusmriti, einem Gesetzbuch,heißt es: Der Mann sei das Haupt, Bauchund Schulter der Sohn und die Gattin,sein Schatten sei die Dienerschaft, dasärgste Elend aber ist die Tochter. Dasführt in der Konsequenz zum Beispielauch zu Mädchenmorden, nachgeburt-lich oder vorgeburtlich, auch wenn Mordnatürlich eine gesellschaftlich geächteteHandlung ist. Man zieht die Rechtferti-gung zu einer frauenverachtenden Hal-tung aus diesem Gesetzbuch. Ge-schlechtsbestimmung vorgeburtlich unddie daraus resultierende Abtreibungsind gesetzlich verboten, werden abertrotzdem gemacht. Mit Geld geht alles.

Sie haben Erfahrungenmit unterschiedli-chen Partnern in Ihrer Projektarbeit ge-macht.Woher wissen Sie, wo es Bedarf gibt?Bedarf gibt es nahezu an jeder Ecke. InKhadigram waren mir die Partner be-kannt, weil ich dort seinerzeit gearbei-tet habe. Da habe ich die Leute gefragt,ob sie Interesse an so einer Kooperationhätten, um Mädchen zu beschulen, ganzgezielt Mädchen aus Familien von Un-berührbaren und Stammesangehörigen,die auch in den Schulen ausgegrenztund teilweise misshandelt und miss-braucht werden, woran auch Lehrer be-teiligt sind. Ich finde es wichtig, dassChancengleichheit hergestellt wird undauch Mädchen, die die Hälfte des Him-mels tragen, wie Mao einmal gesagt hat,eine Bildungschance bekommen, damitsie selbstbestimmt leben und an Demo-kratisierungsprozessen teilnehmen kön-nen und wissen, worum es geht. Einganz wichtiger Punkt ist auch, dass siewirtschaftlich unabhängig werden, dasgibt ihnen ein ganz anderes Fundament.

Welchen Vorbehalten sind Sie ausgesetzt,welcheWiderstände sind zu überwinden?Für eine Frau sind Widerstände perma-nent spürbar, besonders im öffentlichenRaum. In Khadigram war zum Beispielder letzte Managementwechsel sehrschwierig. Da habe ich es mit zwei altenHerren zu tun, die sehr stark in ihrerhinduistischen Denkweise verankertsind, in ihrem Kastendenken. Sie habenin mir immer wieder nur die Frau gese-hen und eben auch die Kastenlose. Unddas macht dann die Zusammenarbeitsehr, sehr anstrengend und schwierig.

Wie gelingt es Ihnen trotzdem, sich Respektzu verschaffen?Respekt verschafft man sich durch seingesamtes Auftreten. Schon das Äußereist sehr wichtig. Ich achte immer aufangemessene Kleidung. Und das Auftre-ten als solches. Ich kann sehr bestimmtsein, wenn ich etwas verfolge und den-ke, das ist richtig und muss sein. Danninsistiere ich, bis ich das Ziel erreichthabe. Aber natürlich trägt auch das

Wissen um Kultur und Empfindlichkei-ten und analog dazu ein entsprechendesVerhalten dazu bei, sich Respekt zu ver-schaffen.

Bei Ihren neueren Projekten inWestindienarbeiten Siemit einemanderen Partner zu-sammen:ManojMacwan von der CommunityDevelopment Society.Ihn habe ich vor Jahren beim Kirchen-tag kennengelernt. Er ist mir gleich sehrangenehm aufgefallen. Im Internet habeich verfolgt, was er macht. Das fand ichspannend und interessant. Als wir unserneut auf dem Kirchentag begegnetsind, hat er von seinen Träumen für dieProjektarbeit berichtet. Das ist bei mirhängen geblieben. Schließlich habe ichihn gefragt: Wenn wir dich unterstützenwürden, was würdest du dann machenwollen? Er sagte: Frauen ausbilden –und kam mit der Idee der NursingSchool, an der wir inzwischen 50 Trai-nees ausbilden.

Die ersten Abschlüsse liegen schon vor . . .. . . und diese jungen Frauen haben alleschon ein Stellenangebot. Das zeigt,dass das Angebot ankommt und aner-kannt wird und die Arbeitgeber dieAusbildung qualitativ für gut halten.

Und jetzt haben Sie ein neues Schulprojektaus der Taufe gehoben.Da geht es wieder um Primärbildung,dieses Mal in einem Slum mit zirka12000 Einwohnern. Das hat sich ange-boten, weil ich mit dem Partner bei derNursing School gute Erfahrungen ge-macht habe. Transparente Zusammen-arbeit macht so einen Schritt leichter.Da wir die finanziellen Mittel hatten,habe ich das Thema mal angeschnitten:Was würdet ihr davon halten, wenn mandiesen Kindern, die alle nicht in dieSchule gehen, eine Möglichkeit bietet?

Wie leben die Kinder dort in den Slums?Unter erbärmlichen Umständen. Ich fin-de es schlimmer als auf dem Land. Soresignativ. Auf dem Land ist es wenigs-tens noch einigermaßen sauber, weil esdie ganzen Industrieabfälle nicht gibt,Plastik, Metalle, Lederwaren und weißder Geier. Wirklich widerwärtig. Die Fa-milien sammeln und verkaufen es aufdem Markt. Es ist schon bitter, wennman in einer Lehmhütte leben muss.Aber eine Hütte in den Slums ist nochschlimmer, weil die Leute viel dichtergedrängt leben. Wand an Wand. DieWände sind zum Teil aus Plastikplanen,zum Teil aus Wellblech oder Pappe, auf-gerissen, nie dicht, weil alles nicht inei-nanderpasst und sich auch nicht fixie-ren lässt. Ich finde das noch würdeloser.Das ist fürchterlich.

Diese neue Schule nimmt außerMädchenauch Jungen auf.Wie kommt es dazu?Eigentlich wollte ich wieder eine Mäd-chenschule. Dann haben wir heftigstund lange diskutiert. Es hat Manoj vielÜberzeugungsarbeit gekostet. Ich bin janicht per se gegen Jungs. Aber ich binper se für Mädchen. Er sagte, wenn wirjetzt nur den Mädchen eine Chance ge-ben, dann ist das ungerecht. Denn dieseJungs haben auch keine Chance. Wer ineinen Slum hineingeboren wird, ist fastdazu verdammt, in die Kriminalität zugehen. Mit Müllsammeln alleine kannman sich selber nicht durchbringen undschon gar keine Familie. Die Jugendli-chen driften dann ab und saufen ganzbestimmt irgendwann, weil alles soperspektivlos ist. Wenn aber die Männerkeine Alkoholiker sind, keine Drogennehmen, gehen sie mit ihren Frauen undTöchtern besser um, weil sie ihr Tuneher reflektieren können. Insofern tutman auch wieder etwas für die Mäd-chen. Wir haben 30 Jungs und 30 Mäd-chen und im Moment nur einen Raum.Aber die kriegen das sicher hin, sie sindes ja gewohnt, auch 80, 90 Kinder in ei-nem Raum zu unterrichten.

Welche anderen Projekte unterstützt der Ver-ein noch?Wir haben diese Grundschule, die Nur-sing Academy und dann noch eine soge-nannte Drop-out-School für Mädchen,die die Grundschule nicht bis zum Endebesucht haben. Und wer die nicht absol-viert hat, kann auch nicht in eine wei-terführende Schule gehen. Außerdemgibt es noch die Mädchenschule in Kha-digram mit 60 Kindern. Geführt sindjetzt alle Schulen als Ganztagsschulen,an denen wir den Kindern einen ge-schützten Raum bieten. Die Kinder wer-den nicht nur beschult, sondern es wer-den auch die Grundbedürfnisse gedeckt:Kleidung, Nahrung, medizinische Basis-versorgung. Und wir finanzieren denTransport zur Schule.

Wie soll esmit derMädchenschule in Khadi-gramweitergehen, wenn sich der Verein ausder Förderung zurückzieht?Ich habe den Partnern schon vor einigerZeit gesagt, dass es nicht sein kann, dasswir bis ans Ende aller Zeiten dieseSchule finanzieren. Das Ziel von Ent-wicklungszusammenarbeit ist: Man gibteinen Anstoß, und irgendwann müssendie Partner vor Ort das Projekt eigen-ständig weiterführen können. Die Re-gierung in Delhi hat vor einigen Jahrenein Programm aufgelegt, das sogenannteKasturba-Gandhi-Programm – Kastur-ba war die Frau von Mahatma Gandhi.Für dieses Programm muss man sich be-werben. Ich habe dazu meine Beratungangeboten. Ich würde die Schule auch,wenn sie aufgenommen wird, weiter fi-nanziell unterstützen – wenn auch nichtmehr in dem Umfang wie jetzt. Schließ-lich liegt es auch in meinem Interesse,dass die Schule weitergeführt wird.

Wie haben sich die Verhältnisse in und umKhadigram verändert?Die Reise nach Khadigram dauert vierTage, ist gefährlich und anstrengend.Der Druck, den das Militär auf mich

dort ausübt, ist wirklich sehr belastend.Die latschen hinter mir, neben mir, vormir mit Maschinengewehren. Früher binich immer in die Dörfer gegangen. Dasdarf ich nicht mehr. Es wurde mir ver-boten. Ich tue wirklich keinen Schrittdort ohne Waffenträger. Schon wenn ichaus dem Jeep aussteige, stehen sie da.Es gibt dort maoistische Aktivitäten.Die es jedoch immer auf staatliche Ins-titutionen abgesehen haben: Militär, Po-lizei, öffentliche Stationen. Aber auchunter dem Gesichtspunkt habe ich inKhadigram die Reißleine gezogen undgesagt: Ihr müsst auf die eigenen Beinekommen.

Was ist aus denmedizinischen Aktivitätengeworden?Wir werden wieder medizinische Campsmachen. In der Region um Khadigramfanden sie das nicht nötig, deshalb gabes auch Ärger. Dann habe ich in Westin-dien das Projekt Nursing School begon-nen und das ganze Equipment dorthinverschickt. Dort werden wir die medizi-nischen Aktivitäten als Begleitpro-gramm wieder aufnehmen. Die Ärzte,die mitkommen, machen das gerne undhaben Spaß, weil sie die ganze Verwal-tungsarbeit nicht haben, und die Patien-ten vor Ort sind unglaublich dankbar,wenn man ihnen hilft. Wobei ich immersagen muss: Medizin ist schön, aber dasist ein Pflaster. So wie Armenspeisung:Da wird man heute satt, morgen ist derBauch wieder leer. Was dann? Die Men-schen haben so viele Erkrankungen in-folge mangelnder Hygiene und Nah-rung. In medizinischer Hinsicht kannman natürlich einiges machen. Aber eslöst das Problem nicht.

WelcheMöglichkeiten gibt es, das Engage-ment des Vereins zu unterstützen?Ich habe hier im Kreis viele Spender, siesind seit Jahren treu. Dafür bin ichwirklich sehr dankbar. Denn mit leerenTaschen kann man nichts ausrichten.Unterstützen kann man auch, indemman durch Mundpropaganda den Vereinbewirbt und sagt, das ist eine gute Ar-beit, die geleistet wird, das ist transpa-rent, man kann sich darauf verlassen, esgibt Personen, die dafür stehen und dieman direkt ansprechen kann. Also:Spenden, Patenschaften und Werbungoder mitarbeiten. Ich mache Ausstellun-gen und halte Vorträge, dafür benötigeich eine Plattform, und wir organisierenin Althütte immer das Fest im indischenDorf als Benefizveranstaltung. Öffent-lichkeitsarbeit ist extrem wichtig.

Von 12. bis 17. Juli ist der Vereinmit einemInfostand beim Sommerfestival der Kulturenauf demStuttgarter Rathausplatz vertreten.Marianne Frank-Mast ist täglich von 15.30bis 22Uhr dort anzutreffen.

Am17. und 18. September findet zumachtenMal das Fest im indischenDorf aufdemRathausplatz in Althütte statt –mitFlohmarkt, klassischer indischerMusik,Bollywood-Dance, Jazz-Brunch,Mundartkabarettmit ErnstMantel undindischenGerichten undGetränken.

„Bedarf gibt es annahezu jeder Ecke“Das Interview: Marianne Frank-Mast und ihre Indien-Projekte

Mädchen und Frauen in Indien sollen selbstbestimmt leben können: Marianne Frank-Mast, hiermit einer Skulptur des Sonnengottes Surya, unterstützt Bildungsprojekte. Foto: E. Layher

Marianne Frank-Mast aus Althütte enga-giert sich seit vielen Jahrenmit ihremVereinMädchenschule Khadigram fürBildungsprojekte in Indien. Bei ihremjüngsten Vor-Ort-Besuch hat sie – zu-sätzlich zu den bereits laufenden Aktivi-täten – in Anand eine neue Schule fürKinder aus einem Slum gegründet.

ZumerstenMal in neuer Uniform imUnterricht: Kinder aus einem indischen Slum. Foto: privat