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Inhalt

Programm .................................................................................................................................................... 5

Baechler, Raffaela / Simon Pröll: Die Kasusmorphologie isolierter germanischer Varietäten – Höchstale-

mannisch (Visperterminen) und Älvaldisch ......................................................................................................... 8

Baumgartner, Gerda: S Marietta – Ääs isch es Liebs: Liebkosung oder Spott? Soziopragmatische Aspekte

neutraler Genuszuweisung bei Rufnamen und Personalpronomen im Schweizerdeutschen ............................. 9

Berthele, Raphael: Dialekt und Mehrsprachigkeit ............................................................................................ 10

Bohnert-Kraus, Miriam / Roland Kehrein: Regionalakzent(e) im Alemannischen ........................................... 11

Bohnert-Kraus, Mirja: Variation zwischen Dialekt und Standardsprache – ein diatopischer Vergleich von

Bräunlingen (Mittelalemannisch) und Waldshut-Tiengen (Hochalemannisch) ................................................ 12

Brandner, Ellen: Der Dialekt als Fenster zur Universalgrammatik. Oder: mer schwätzet halt so wi üs de

Schnabbel gwachse isch .................................................................................................................................... 13

Bühler, Rudolph: Sprachalltag II und das Arno-Ruoff-Archiv. Ein Projektbericht ............................................. 14

Christen, Helen: «Adelboden-Lenk… dänk!» – Von Sätzen, die zu Partikeln werden ....................................... 15

Dammel, Antje: Evaluative Morphologie. Eine vergleichende Analyse alemannischer Nomina actionis der

Bildungsmuster -ete und -erei ......................................................................................................................... 16

Dettwiler, Sophie / Karin Madlener / Mirjam Weder: «Tün Si au gern aperöle, käffle und lädele oder

lieber proseccöle, ipödle und kungfule? » Zur Erhebung dialektaler Wortbildungsproduktivität in

schriftlichen Befragungen ................................................................................................................................. 17

Eckhardt, Oscar: Von der lokalen Variante zur regionalen Norm ..................................................................... 19

Ellsäßer, Sophie: Vom Idiolekt zum Areal: Geographie der oberdeutschen Kasusmorphologie ...................... 20

Erhart, Pascale: Von der Staatsgrenze zur Dialektgrenze: Wird der Rhein als «Grenze» im elsässischen

Teil des alemannischen Sprachraums am Oberrhein wahrgenommen? .......................................................... 21

Fritzinger, Julia: ‘s Alice ísch nítt kòmme, es wùrd verreist sín. Zur Soziopragmatik neutraler Rufnamen

und Pronomen für weibliche Personen im Niederalemannischen ................................................................... 22

Ganswindt, Brigitte: Landschaftliches Hochdeutsch im Schwäbischen. Die orale Prestigevarietät im

19. Jahrhundert ................................................................................................................................................. 23

Ging, Julian: „Objektive“ und „subjektive“ Dialektgrenzen am Beispiel von Villingen und Schwenningen ...... 24

Glaser, Elvira / Alfred Lameli und Philipp Stöckle: Die Wenkerbogen in der Deutschschweiz –

Daten und Karten .............................................................................................................................................. 25

Hantsch, Johanna: Die Ortsneckereien im Badischen Wörterbuch .................................................................. 26

Hanulíková, Adriana: Wahrnehmung dialektaler Variation – eine empirische Untersuchung zur Rolle der

Sprecher und Hörer ............................................................................................................................................ 27

Kempf, Luise: Dialekt trifft Konstruktionsmorphologie: ver-Verben im Alemannischen .................................. 28

Kistler, Simon: Zur historischen Lautlehre berndeutscher Dialekte ................................................................. 30

Kopf, Kristin: Der s-Plural im Alemannischen: (k)ein Fremdkörper? ................................................................ 31

Kunzmann, Markus: VerbaAlpina: Crowdsourcing als komplementäres Verfahren der

Dialektdatenerhebung ...................................................................................................................................... 32

Leeman, Adrian / Marie-José Kolly / Stephan Schmid und Dieter Studer-Joho: /r/ in der

deutschsprachigen Schweiz .............................................................................................................................. 33

Leonhard, Jens: Doppelperfekt und Plusquamperfekt im Alemannischen Südwestdeutschlands und

des Elsass ........................................................................................................................................................... 35

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Moser, Ann-Marie: Sprachgeografische und sprachstrukturelle Beobachtungen zu negative concord

in den deutschen Dialekten, mit einem Schwerpunkt im Alemannischen ........................................................ 36

Nübling, Damaris: «Hybrid pronouns» in ober- und mitteldeutschen Dialekten ............................................. 38

Pfeiffer, Martin / Peter Auer: Ortsloyalität und Stereotypisierung des Anderen diesseits und jenseits

der Grenze im Oberrheingebiet ......................................................................................................................... 39

Reina, Javier Caro: Alemannisch im Rahmen der Typologie der Silben- und Wortsprachen ............................ 40

Roth, Tobias: Digitalisierung und Online-Publikation der Originalaufnahmen des Schweizerdeutschen

Sprachatlas (SDS) ............................................................................................................................................... 41

Schamberger-Hirt, Andrea: Das Bayerische Wörterbuch und seine neuen digitalen Möglichkeiten ............... 42

Scherrer, Yves: ArchiMob: Ein multidialektales Korpus schweizerdeutscher Spontansprache ........................ 43

Schiesser, Alexandra: «je nach dem sägids de e ,weissi’ oder ,e bruini’ bradwurscht» – Zum

Gebrauch soziosymbolisch relevanter Dialektmerkmale .................................................................................. 44

Schmitt, Julia: Bilektaler Spracherwerb von Südalemannisch und Standarddeutsch.

fMRT-Studie zum Textverstehen in verschiedenen deutschen Varietäten und einer Fremdsprache ............. 46

Schneider, Christa / David Bichsel: Can you English? Anglizismen im Berndeutschen ..................................... 48

Schwarz, Christian / Philipp Stöckle: Ethnodialektale Räume in der Deutschschweiz ..................................... 49

Schweden, Theresa: s Meiers und s Müllers Schorsch: Dialektgrammatik der Personennamen in

Südwestdeutschland ......................................................................................................................................... 50

Seidelmann, Erich: Sprachwissen und Spontaneität – Erfahrungen aus der Feldforschung ............................ 51

Seiler, Guido: Alemannisch im Kontakt: Konvergenz und Divergenz in der Sprachinsel des «Shwitzer»

(Indiana, USA) .................................................................................................................................................... 52

Siebenhaar, Beat: Veränderung der Dialektschreibung in elektronischer Kommunikation ............................. 53

Speyer, Augustin: Zur Verbindung zwischen der Schweizerdeutschen Verbverdopplung und der

Schwäbischen ge+Infinitiv-Konstruktion ........................................................................................................... 54

Streckenbach, Andrea: Isoglossen in Real- und Apparent-Time ........................................................................ 55

Studler, Rebekka: Alter Wein in neuen Schläuchen? Sprachwahrnehmung, Sprachbeurteilung und

Sprachhandeln in der Deutschschweiz .............................................................................................................. 56

Würth, Katrin: Heuslers Gesetz – Neutralisierung unter phonetischer und phonologischer Perspektive ....... 58

Zihlmann, Urban: Eine phonetische Studie über die Obstruentenneutralisierung im Zürichdeutschen........... 60

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Programm

Die Eröffnung der Tagung sowie alle Plenarvorträge und die Kaffeepausen finden im „Haus zur lieben Hand“ in der Löwenstraße 16 (Großer Saal) statt, die Sektionsvorträge im Deutschen Seminar (Kollegiengebäude III, 3. OG, Raum 3301 und Raum 3305).

Mittwoch, 11.10.2017

12.00: Registrierung (Haus zur lieben Hand, EG, nach dem Eingang 1. Tür links)

14.00: Eröffnung und Begrüßung (Haus zur lieben Hand, Großer Saal)

14.15: Plenarvortrag HELEN CHRISTEN: „Adelboden-Lenk... dänk!“ – Von Sätzen, die zu Partikeln werden

15.00: Plenarvortrag JAVIER CARO REINA: Alemannisch im Rahmen der Typologie der Silben- und Wortsprachen

15.45: Kaffeepause

RAUM 3301 RAUM 3305

16.15: KATRIN WÜRTH: Heuslers Gesetz – Neutralisierung unter phonetischer und phonologischer Perspektive

JOHANNA HANTSCH: Die Ortsneckereien im Badischen Wörterbuch

16.45: URBAN ZIHLMANN: Eine phonetische Studie über die Obstruenten-neutralisierung im Zürichdeutschen

ANDREA SCHAMBERGER-HIRT: Das Bayerische Wörterbuch und seine neuen digitalen Möglichkeiten

17.15: ADRIAN LEEMANN, MARIE-JOSÉ KOLLY, STEPHAN SCHMID, DIETER STUDER-JOHO: /r/ in der deutschsprachigen Schweiz

EDITH FUNK: Digitales Wörterbuch von Bayerisch-Schwaben

OLIVER RAU: Vom Umgang mit Forschungs-datensätzen. Digitalisierung der Frage-bücher zum Südwestdeutschen Sprach-atlas

18.15: Historix-Tour (Treffpunkt nach Ende der Sektionsvorträge, d.h. gegen 17:50 Uhr, vor dem Haus zur lieben Hand / Start der Tour um 18:15 Uhr Am Predigertor =Hochhaus Ecke Unterlinden / Rotteckring)

Donnerstag, 12.10.2017

RAUM 3301 RAUM 3305

09.00: ANDREA STRECKENBACH: Isoglossen in Real- und Apparent-Time

MARKUS KUNZMANN: VerbaAlpina: Crowdsourcing als komplementäres Verfahren der Dialektdatenerhebung

09.30: SOPHIE ELLSÄSSER: Vom Idiolekt zum Areal: Geographie der oberdeutschen Kasusmorphologie

TOBIAS ROTH: Digitalisierung und Online-Publikation der Originalaufnahmen des Schweizerdeutschen Sprachatlas (SDS)

10.00: ELVIRA GLASER, ALFRED LAMELI, PHILIPP

STÖCKLE: Die Wenkerbogen in der Deutschschweiz – Daten und Karten

YVES SCHERRER: ArchiMob: Ein multi-dialektales Korpus schweizerdeutscher Spontansprache

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10.30: Kaffeepause

11.00: Plenarvortrag ELEONORE BRANDNER: Der Dialekt als ein Fenster zur Universal-grammatik oder: mer schwätzet halt so wi üs de Schnabbel gwachse isch

RAUM 3301 RAUM 3305

11.45: ANN-MARIE MOSER: Sprachgeografische und sprachstrukturelle Beobachtungen zu negative concord in den deutschen Dialekten, mit einem Schwerpunkt im Alemannischen

MIRJA BOHNERT-KRAUS, ROLAND KEHREIN: Regionalakzent(e) im Alemannischen

12.15: AUGUSTIN SPEYER: Zur Verbindung zwischen der Schweizerdeutschen Verbverdopplung und der Schwäbischen ge+Infinitiv-Konstruktion

MIRJA BOHNERT-KRAUS: Variation zwischen Dialekt und Standardsprache – ein dia-topischer Vergleich von Bräunlingen (Mittelalemannisch) und Waldshut-Tiengen (Hochalemannisch)

12.45: Mittagspause

RAUM 3301 RAUM 3305

14.00: CHRISTA SCHNEIDER, DAVID BICHSEL: Can you English? – Anglizismen im Berndeutschen

OSCAR ECKHARDT: Von der lokalen Variante zur regionalen Norm

14.30: JENS LEONHARD: Doppelperfekt und Plusquamperfekt im Alemannischen Südwestdeutschlands und des Elsass

BRIGITTE GANSWINDT: Landschaftliches Hoch-deutsch im Schwäbischen. Die orale Prestigevarietät im 19. Jahrhundert

15.00: ERICH SEIDELMANN: Sprachwissen und Spontaneität – Erfahrungen aus der Feldforschung

BEAT SIEBENHAAR: Veränderung der Dialekt-schreibung in elektronischer Kommunikation

15.30: Kaffeepause

16.00: Plenarvortrag RAPHAEL BERTHELE: Dialekt und Mehrsprachigkeit

RAUM 3301 RAUM 3305

16.45: JULIAN GING: „Objektive“ und „subjektive“ Dialektgrenzen am Beispiel von Villingen und Schwenningen

JULIA SCHMITT: Bilektaler Spracherwerb von Südalemannisch und Standarddeutsch. fMRT-Studie zum Textverstehen in verschiedenen deutschen Varietäten und einer Fremdsprache

17.15: RUDOLF BÜHLER: Sprachalltag II und das Arno-Ruoff-Archiv. Ein Projektbericht.

MARTIN PFEIFFER, PETER AUER: Ortsloyalität und Stereotypisierung des Anderen diesseits und jenseits der Grenze im Oberrheingebiet

17.45: SIMON KISTLER: Zur historischen Lautlehre berndeutscher Dialekte

GUIDO SEILER: Alemannisch im Kontakt: Konvergenz und Divergenz in der Sprach-insel des ‘Shwitzer’ (Indiana, USA)

19.30: Tagungsessen und Programm Stefan Pflaum (Peterhofkeller, Niemensstraße 10)

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Freitag, 13.10.2017

RAUM 3301 RAUM 3305

09.30: ANTJE DAMMEL: Evaluative Morpholo-gie. Eine vergleichende Analyse alemannischer Nomina actionis der Bildungsmuster -ete und -erei

REBEKKA STUDLER: Alter Wein in neuen Schläuchen? Sprachwahrnehmung, Sprachbeurteilung und Sprachhandeln in der Deutschschweiz

10.00: LUISE KEMPF: Dialekt trifft Konstruktionsmorphologie: ver-Verben im Alemannischen

SOPHIE DETTWILER, KARIN MADLENER, MIRJAM

WEDER: „Tun Si au gern aperöle, käffele und lädele oder lieber proseccöle, ipödle und kungfule?“ Zur Erhebung dialektaler Wortbildungsproduktivität in schriftlichen Befragungen

10.30: Kaffeepause

RAUM 3301 RAUM 3305

11.00: RAFFAELA BAECHLER, SIMON PRÖLL: Die Kasusmorphologie isolierter germanischer Varietäten – Höchst-alemannisch (Visperterminen) und Älvdalisch

PASCALE ERHART: Von der Staatsgrenze zur Dialektgrenze: Wird der Rhein als „Grenze“ im elsässischen Teil des alemannischen Sprachraums am Oberrhein wahrgenommen?

11.30: KRISTIN KOPF, ANDREAS KLEIN: Der s-Plural im Alemannischen: (k)ein Fremdkörper?

ALEXANDRA SCHIESSER: „je nach dem sägids de ‚e weissi‘ oder ‚e bruini‘ bradwurscht“ – Zum Gebrauch soziosymbolisch relevanter Dialektmerkmale

12.00: THERESA SCHWEDEN: s Meiers und s Müllers Schorsch: Dialektgrammatik der Personennamen in Südwestdeutschland

CHRISTIAN SCHWARZ, PHILIPP STÖCKLE: Ethnodialektale Räume in der Deutsch-schweiz

12.30: Mittagspause

RAUM 3301 RAUM 3305

14.00: JULIA FRITZINGER: „'s Alice ísch nítt kòmme, es wùrd verreist sín.“ Zur Soziopragmatik neutraler Rufnamen und Pronomen für weibliche Personen im Niederalemannischen

14.30: GERDA BAUMGARTNER: „S Marietta – Ääs isch es Liebs“: Liebkosung oder Spott? Soziopragmatische Aspekte neutraler Genuszuweisung bei Rufnamen und Personalpronomen im Schweizerdeutschen

ADRIANA HANULÍKOVÁ: Wahrnehmung dialektaler Variation – eine empirische Untersuchung zur Rolle der Sprecher und Hörer

15.00: Plenarvortrag DAMARIS NÜBLING: „Hybrid pronouns“ in ober- und mitteldeutschen Dialekten

15.45: Gruß/Ende

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Raffaela Baechler / Simon Pröll

Die Kasusmorphologie isolierter germanischer Varietäten – Höchstalemannisch (Visperterminen) und Älvaldisch

Ziel dieses Beitrags ist es, Struktur und Wandel der Nominalkasussysteme zweier isolierter germanischer Varietäten darzustellen und zu analysieren. Die beiden dafür ausgewählten Mundarten von Visperterminen (im Wallis) und Älvdal (Mittelschweden) sind Nachfolger des Althochdeutschen bzw. Altnordischen, in denen nach wie vor voller Nebensilbenvokalismus herrscht. Das ermöglicht es, morphologische Wandelprozesse weitgehend unabhängig von phonologischen Prozessen zu erfassen. Im Vergleich der Nominalflexion von Althochdeutsch und Visperterminen-Alemannisch sowie Altschwedisch und Älvdalisch werten wir Synkretismen, Reduktionen des Flexivinventars sowie (rein morphologische) Strategien ihrer Kompensierung aus. Die dafür genutzten Daten entstammen allesamt junggrammatischen Beschreibungen (Noreen 1904, Levander 1909, Braune 2004, Wipf 1911), um die Vergleichbarkeit in Vorgehen und Stand des Wandels gewährleisten zu können. Die Analysen ergeben für beide Varietäten trotz des unterschiedlichen Verlaufs im Kasusabbau erstaunlich parallele Resultate bezüglich der Kompensierung auf der Ebene der NP. Die moderne Nominalflexion zeigt Nominativ/Akkusativ/Dativ-Synkretismen, die auf zwei Ursachen zurückzuführen sind: einerseits auf neu durch nicht phonologisch bedingten Flexionsabbau entstandenen Zusammenfall, zum anderen aber auch auf ererbten Zusammenfall, der bereits im Mittelalter attestiert ist. Gleichzeitig ist der Dativ aber auf der Ebene der vollen Nominalphrase, also unter Einbezug von Artikel und Adjektiv, klar weiterhin als obliquer Kasus markiert – der Nominativ-Akkusativ-Zusammenfall bleibt aber auch auf der Ebene der vollen NP bestehen. Der diachrone Vergleich dieser beiden isolierten Varietäten mit ihren historischen Vorläufern zeigt klar, dass der Wandel im jeweiligen Kasussystem – hin zu einem ± Dativ-System – als ein Prozess anzusehen ist, der weitestgehend morphologieintern vonstattengeht, d.h. der weder ein Nebeneffekt eines phonologischen Wandels ist noch sich durch Kontakt ausgebreitet hat. Braune, Wilhelm (2004): Althochdeutsche Grammatik. Laut- und Formenlehre. Band 1, 15. Auflage. Tübingen:

Niemeyer. Levander, Lars (1909): Älvdalsmålet i Dalarna. Ordböjning ock syntax. Stockholm: Norstedt. Noreen, Adolf (1904): Altschwedische Grammatik mit Einschluss des Altgutnischen. Halle: Niemeyer. Wipf, Elvira (1911): Die Mundart von Visperterminen im Wallis. Frauenfeld: Huber.

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Gerda Baumgartner

S Marietta – Ääs isch es Liebs: Liebkosung oder Spott? Soziopragmatische Aspekte neutraler Genuszuweisung bei Rufnamen und Personalpronomen im Schweizerdeutschen

Im Mittelpunkt des trinationalen Forschungsprojekts „Das Anna und ihr Hund – weibliche Rufnamen im Neutrum“ steht das bisher kaum beachtete alltagssprachliche Phänomen der neutralen Genuszuweisung bei Rufnamen in Dialekten der deutschsprachigen Schweiz, Luxemburgs und Teilen Deutschlands: Bei Referenz auf weibliche Personen – in gewissen Dialekten der Deutschschweiz auch auf männliche – tritt auf Artikelebene (s Marietta), aber auch auf pronominaler Ebene bisweilen neutrales Genus in Erscheinung (Ääs isch nid dehei oder auch s Anna und sin Teddybär). Damit wird gegen das bei Anthroponymen dominierende ‚Natürliche Geschlechtsprinzip’ (NGP) verstoßen, wonach sich das grammatische Geschlecht (Genus) nach dem sog. natürlichen Geschlecht (Sexus) zu richten hat. Vorliegender Beitrag gibt einen Einblick in das laufende Teilprojekt in der deutschsprachigen Schweiz und legt den Fokus auf den Gebrauch des neutralen Personalpronomens. Ääs (und seltener Akk. i(h)ns) gehört zwar längst nicht (mehr) in allen Dialektregionen und Generationen zum alltäglichen Sprachgebrauchsrepertoire, ist jedoch allerorts mit positiven und/oder negativen Konnotationen behaftet. Anhand von Daten aus einer großflächigen Online-Umfrage (rund 1800 Datensätze) wird als Erstes ein kurzer Überblick über die areale Verteilung und die grammatischen Ausprägungen der neutralen Genuszuweisung in der deutschsprachigen Schweiz gegeben. Der Annahme folgend, dass Genus-Sexus-Inkongruenzen bei Rufnamen und bei Personalpronomen im alltäglichen Sprachgebrauch soziale Funktionen übernehmen können – worauf u. a. metasprachliche Hinweise aus Wörterbüchern, Grammatiken sowie laienlinguistische Kommentare hindeuten (z.B. „Bei Verwandten: Ääs isch... / Sonst: Sii isch...“ [weiblich, 50-59, Grellingen BL]) –, wird der zentralen Frage nachgegangen, welche Faktoren die neutrale Genuszuweisung steuern. Anhand qualitativer Daten, die an ausgewählten Ortspunkten im freien Gespräch, mittels Videoexperiment und im Leitfadeninterview erhoben wurden, soll im Speziellen diskutiert werden, welche Eigenschaften einer Referenzperson und welche Beziehungen zwischen Referenzperson und SprecherIn neutrales Genus begünstigen sowie welche soziopragmatischen Aspekte des neutralen Pronomengebrauchs von Laien metasprachlich verbalisiert werden.

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Raphael Berthele

Dialekt und Mehrsprachigkeit

Dialektkompetenzen spielen in den sprachenpolitischen sowie sozio- und psycholingu-istischen Diskussionen ganz unterschiedliche Rollen. Im ersten Teil meines Vortrags rekonstruiere ich die Diskussionen der letzten Jahrzehnte im deutschsprachigen Raum. Die Probleme und Potenziale, die den Dialekten zugeschrieben werden, unterscheiden sich kaum von denen, die mit anderen Typen sprachlicher Heterogenität verknüpft werden, namentlich mit bestimmten migrationsbedingten Erstsprachen. Dialekte und Migrationssprachen werden je nach Zeitpunkt und Kontext als Barrieren, als kulturelles Kapital oder als Ressourcen für das Sprachenlernen aufgefasst. Soziolinguisten rufen je nach historisch-politischem Kontext zur Therapierung von Defiziten oder zur Verschiebung der Normen weg von monolingualen Standardsprachenideologien auf. Die linguistischen und sprachenpolitischen Begründungszusammenhänge und Empfehlungen sind in der Regel theoretisch wenig durchdacht und empirisch unzureichend abgestützt. Im zweiten Teil des Vortrags präsentiere ich exemplarisch Forschungsvorhaben, in denen Dialektkompetenzen als Bestandteile des mehrsprachigen Repertoires berücksichtigt werden. Dabei suche ich nach Evidenz für Zusammenhänge zwischen Dialektgebrauch, (Fremd-)Sprachenlernen und anderen kognitiven Variablen.

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Mirja Bohnert-Kraus / Roland Kehrein

Regionalakzent(e) im Alemannischen Das Projekt „Regionalsprache.de“ (REDE) hat es sich zum Ziel gesetzt, in ganz Deutschland die linguistische Struktur regionalsprachlicher Spektren und die standardnächsten Sprechlagen, die Regionalakzente, zu beschreiben. Grundlage für Letzteres bilden vor allem die Aufnahmen des laut vorgelesenen Textes „Nordwind und Sonne“ sowie der Übertragung von dialektal präsentierten Wenkersätzen in das individuell beste Hochdeutsch durch je vier Sprecher aus drei Generationen pro Erhebungsort. Im alemannischen Sprachraum (auf dem Gebiet Deutschlands) wurden solche und weitere Aufnahmen an den folgenden Orten durchgeführt: Niederalemannisch: Bühl, Ohlsbach, Sexau Schwäbisch: Calw, Schönaich, Rudersberg, Aalen, Blindheim, Ulm, Augsburg (Übergangsgebiet), Balingen, Biberach, Kaufbeuren Mittelalemannisch: Bräunlingen, Tuttlingen, Ravensburg (vgl. Bohnert-Kraus i. Dr.) Hochalemannisch: Waldshut-Tiengen (vgl. Kehrein 2012), Steinen (Übergangsgebiet) In dem Vortrag wird für einige dieser Orte zunächst präsentiert, welche regionalsprachlichen Merkmale in den genannten Aufnahmesituationen produziert werden. Auf Grundlage dieser Beschreibungen werden die folgenden Fragen behandelt: – Treten neben remanenten dialektalen Varianten auch neue, regiolektale und/oder

schriftinduzierte Merkmale auf? – Wie ist das Verhältnis der im REDE-Material vorhandenen Regionalakzent-Merkmale

und den in vorliegenden Beschreibungen genannten (v.a. König 1989, Lauf 1994, Mihm 2000, Spiekermann 2008)?

– Inwieweit kann für die Regionalakzente noch eine Binnenstrukturierung des Alemannischen in Deutschland angesetzt werden?

– Warum bleiben genau die beobachtbaren Merkmale übrig und nicht andere? Bohnert-Kraus, Mirja (i. Dr.): Individuelle variative Kompetenz von Dialektsprechern im Mittelalemannischen.

Perspektiven der Variationslinguistik II. Neue Beiträge aus dem Forum Sprachvariation. Hildesheim: Olms. Kehrein, Roland (2012): Regionalsprachliche Spektren im Raum. Zur linguistischen Struktur der Vertikale.

Stuttgart: Steiner (Zeitschrift für Dialektologie und Linguistik. Beihefte. 152). König, Werner (1989): Atlas zur Aussprache des Schriftdeutschen in der Bundesrepublik Deutschland. 2 Bde.

Ismaning: Hueber. Lauf, Raphaela (1994): Datenbank regionaler Umgangssprachen des Deutschen. DRUGS. Abschlußbericht.

Manuskript. Universität Marburg. Mihm, Arend (2000): Die Rolle der Umgangssprachen seit der Mitte des 20. Jahrhunderts. In: Besch, Werner

[u.a.] (Hg.) (1998–2004): Sprachgeschichte. Ein Handbuch zur Geschichte der deutschen Sprache und ihrer Erforschung. 4 Teilbände. 2. vollst. neu bearb. u. erw. Auflage. Berlin/New York: Walter de Gruyter (Handbücher zur Sprach- und Kommunikationswissenschaft. 2.1–2.4). 2. Teilband, 2107–2137.

Spiekermann, Helmut (2008): Sprache in Baden-Württemberg: Merkmale des regionalen Standards. Tübingen: Niemeyer (Linguistische Arbeiten. 526).

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Mirja Bohnert-Kraus

Variation zwischen Dialekt und Standardsprache – ein diatopischer Vergleich von Bräunlingen (Mittelalemannisch) und Waldshut-Tiengen (Hochalemannisch) Im Vortrag wird eine phonetisch-phonologische Untersuchung der Ortschaft Bräunlingen im Landkreis Villingen-Schwenningen (VS), die Teil des Dissertationsprojekts „Regionalsprach-liche Spektren im Mittelalemannischen“ im Rahmen von „regionalsprache.de (REDE)“ ist, vorgestellt und mit der Analyse KEHREINS (2012) zu Waldshut-Tiengen (WT) in Bezug gesetzt. Laut WIESINGERs Einteilung der deutschen Dialekte (1983) liegt Bräunlingen im Mittelalemannischen, das er als Übergangsgebiet einstuft, während Waldshut-Tiengen dem Hochalemannischen zuzuordnen ist. Als phonetisch-phonologische Unterschiede zwischen den Dialektregionen werden u. a. die k-Verschiebung, die Umlautentrundung, die Realisierung von mhd. ei, der Erhalt mittelhochdeutscher Kurzvokale in offener Silbe und die Realisierung der mhd. Reihe î-û-iu aufgeführt (WIESINGER 1983; KLAUSMANN et al. 1997; SCHWARZ 2015). Daneben gibt es jedoch auch eine ganze Reihe an Variationsphänomenen, die beide Dialektregionen teilen. Dieser diatopische Vergleich, in dem die regionalsprachlichen Spektren der Informanten dargestellt werden, wird anhand einer Variablenanalyse vorgenommen. Es werden dialektale und regiolektale Variationsphänomene beider Ortschaften untersucht und in einem apparent-time Vergleich von drei Sprechergenerationen beider Orte vorgestellt, wobei verschiedene Variablen aus Konsonantismus und Vokalismus in unterschiedlichen Erhebungssituationen thematisiert werden. KEHREIN, R. (2012): Regionalsprachliche Spektren im Raum- Zur linguistischen Struktur der Vertikale. Stuttgart:

Steiner (Zeitschrift für Dialektologie und Linguistik. Beihefte. 152.) KLAUSMANN, H., KUNZE, K., SCHRAMBKE, R. (1994): Kleiner Dialektatlas. Alemannisch und Schwäbisch in Baden-

Württemberg. 2., durchgesehene und ergänzte Auflage. Bühl/Baden: Konkordia. SCHWARZ, C. (2015): Phonologischer Dialektwandel in den alemannischen Basisdialekten Südwestdeutschlands

im 20. Jahrhundert. Eine empirische Untersuchung zum Vokalismus. Stuttgart: Steiner (Zeitschrift für Dialektologie und Linguistik. Beihefte. 159.)

WIESINGER, P. (1983): Die Einteilung der deutschen Dialekte. In: BESCH, W. [u.a.] (Hrsg.) (1982/1983). 2. Teilband, 807–900. Dialektologie. Ein Handbuch zur deutschen und allgemeinen Dialektforschung. 2 Teilbände. Berlin/New York: Walter de Gruyter (Handbücher zur Sprach- und Kommunikations-wissenschaft. 1.1–1.2).

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Ellen Brandner

Der Dialekt als ein Fenster zur Universalgrammatik. Oder: mer schwätzet halt so wi üs de Schnabbel gwachse isch Noch immer werden Dialekte – insbesondere die dialektale Syntax – häufig als „defizitär“ oder als „unsystematisch“ angesehen und als nicht klar geregelt. Beschreibungen dialektaler Syntax beschränken sich daher auch oft auf eine Aufzählung der Abweichungen vom Standarddeutschen. Ein Grund dafür ist sicherlich der Variationsreichtum, der sich schon bei einer oberflächlichen Betrachtung erkennen lässt. So ist es keine Seltenheit, dass auch ein und derselbe Sprecher – je nach „Tagesform“ - mitunter andere Urteile über die Grammatikalität eines Satzes oder eine Konstruktion abgibt. Wir als Sprachwissenschaftler sollten dieses Phänomen ernst nehmen und nicht nur als Performanzfehler abtun sondern diese offenkundige inhärente Variabilität als eine konstitutive Eigenschaft natürlicher Sprache ansehen. Dies hat natürlich Konsequenzen für das Modell, das zur Erklärung der menschlichen Sprachfähigkeit entworfen wird. Vor dem Hintergrund der neueren Ansätze zur Universalgrammatik, die auch außersprachliche Faktoren berücksichtigt (3. Faktor) werde ich anhand von einigen Fallbeispielen aus dem Alemannischen ein Modell skizzieren, das dieser inhärenten Variabilität Rechnung trägt und dabei trotzdem die Systematizität der Grammatik natürlicher Sprachen berücksichtigt.

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Rudolph Bühler

Sprachalltag II und das Arno-Ruoff-Archiv. Ein Projektbericht Am LUI läuft seit 2015 das Projekt „Sprachalltag II“, das neben der abschließenden Bearbeitung des 2009 begonnenen „Sprachatlas von Nord-Baden-Württemberg“ (SNBW) und der Erstellung eines populären, online verfügbaren „Sprechenden Sprachatlas von Baden-Württemberg“ die Aufgabe hat, das umfangreiche Material des Arno-Ruoff-Archivs zu erschließen und zu digitalisieren. Dieses Vorhaben umfasst besonders die Transkription und Alignierung der von Ruoff und Bausinger seit 1955 für das Zwirner-Korpus gesammelten Dialektaufnahmen sowie die Publikation der bearbeiteten Texte in Kooperation mit dem IDS in einer Datenbank. Nachdem am Korpus bisher vornehmlich auf morphologischer /syntaktischer Ebene geforscht worden ist, ermöglicht das Projekt nun über die Datenbank auch phonologische Untersuchungen der gesprochenen Sprache in ganz Baden-Württemberg und Bayerisch-Schwaben. Mein Vortrag soll Art und Umfang der bis dahin bearbeiteten Aufnahmen genauer vorstellen und zeigen, wie im Sinne einer fächerübergreifenden Zusammenarbeit auch die Empirische Kulturwissenschaft von der inhaltlichen Erschließung des Tübinger Korpus profitieren kann. Im Zuge der Bearbeitung werden die Texte abschnittsweise verschlagwortet und thematischen Kategorien zugeordnet. Dadurch wird die Durchsuchbarkeit des Korpus um eine inhaltliche Ebene erweitert, die kulturwissenschaftliche Forschungsfelder wie Freizeit oder Modernisierung bedienen kann. Klausmann, Hubert (Hrsg.) (2015): Sprachatlas von Nord Baden-Württemberg. Band 1: Kurzvokalismus,

Tübingen. [online ressource: http://hdl.handle.net/10900/71279] Klausmann, Hubert (Hrsg.) (2016): Sprachatlas von Nord Baden-Württemberg. Band 2: Langvokalismus und

Diphthonge. Konsonantismus und Vokalquantitäten, Tübingen. [online ressource: tttp://hdl.handle.net /10900/ 71487]

Ruoff, Arno (1973): Grundlagen und Methoden der Untersuchung gesprochener Sprache. Eine Einführung in die Reihe „Idiomatica“ mit einem Katalog der ausgewerteten Tonbandaufnahmen. Tübingen [Idiomatica 1]. Ruoff, Arno (Hrsg.) (1992): Die fränkisch-alemannische Sprachgrenze. Statik und Dynamik eines Übergangsge-

biets. untersucht und dargestellt in einem Projekt des Ludwig-Uhland-Instituts der Universität Tübingen. Tübingen [Idiomatica 17.I+II].

Ruoff, Arno (1997): Die Geschichte der Tübinger Arbeitsstelle „Sprache in Südwestdeutschland“ 1955-1995. Mit einer Bibliographie, in: Ruoff, Arno und Peter Löffelad (Hrsg.), Syntax und Stilistik der Alltagssprache. Beiträge der 12. Arbeitstagung zur alemannischen Dialektologie. 25. bis 29. September 1996 in Ellwangen/Jagst. Tübingen [Idiomatica 18], S. 283-296. www.sprachalltag.de https://www.forschungsdatenarchiv.escience.uni-tuebingen.de/escience/sprachatlas

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Helen Christen

„Adelboden-Lenk... dänk!“1 – Von Sätzen, die zu Partikeln werden Der Vortrag widmet sich den sprachlichen Grössen glaub, dänk, meini und schiints, die in schweizerdeutschen Sätzen u. A. wie folgt verwendet werden können: D Alemannetaagig findet glaub/dänk/meini/schiints z Friiburg schtatt. Die Herkunft dieser unflektierbaren Wörter aus Matrixsätzen soll ebenso beleuchtet werden wie deren formale Varianz (glaub, glaubs, glaubi) und deren syntaktische Besonderheiten. Während bisher vor allem die nicht eindeutige Kategorisierbarkeit von süddeutschem glaub(e) als Modalpartikel, Modaladverb oder Matrixsatz problematisiert wurde (Imo 2006, Schoonjans 2012), stellt sich vor dem Hintergrund des Sachverhalts, dass in der Deutschschweiz verschiedene solche ‚Satzabkömmlinge’ existieren, nicht nur die Frage, ob diese Grössen übereinstimmendes syntaktisches Verhalten zeigen, sondern auch, wozu diese Vielfalt an Partikeln überhaupt genutzt wird. Glaub gilt als „Unschärfemarker“ (Knöbl/Nimz 2013), der zu einem „reinen Subjektivitätsmarkierer“ (Schoonjans 2012) tendiert und der damit die Sprechereinschätzung im Hinblick auf den Realitätsgrad eines Sachverhaltes auszudrücken vermag. Dänk, meini, schiints dagegen – und dies wird anhand von Belegen zu diskutieren sein – scheinen bei gewissen Gebrauchsweisen anzugeben, ob und welche Art von Informationsquelle die Sprecher/innen für ihre Aussagen geltend machen. Damit kommt Evidentialität als eine semantisch-funktionale Domäne in den Blick, die als „neues Feld der germanistischen Forschung“ (Diewald/Smirnova 2011) gilt und zu der die alemannische Dialektologie zumindest einschlägige und bislang kaum beachtete Phänomene beisteuern kann.

Diewald, Gabriele/Smirnova, Elena (Hg.) (2011): Modalität und Evidentialität. Trier. Imo, W. (2006): „Da hat des kleine glaub irgendwas angestellt“ – ein construct ohne construction? In: S.

Günthner/W. Imo (Hg.): Konstruktionen in der Interaktion. Berlin, 263-290. Knöbl, Ralf/Nimz, Madlen (2013): Sprachräumliche Aspekte des Gebrauchs der deverbalen Modalpartikel

glaub(e) zur Modulierung des Geltungsanspruchs von Äusserungen. In: N. L. Shamne (Hg.): Raum in der Sprache, Raum der Sprache, Raum der Interaktionen. Wolgograd, 91-108.

Schoonjans, Steven (2012): Aus Verba sentiendi hervorgegangene Partikeln im Deutschen: Formen, die zwischen den Stühlen sitzen? In: Muttersprache 122 (2012), 177-193.

1 Werbeslogan der Schweizer Skiregion Adelboden-Lenk; dänk behelfsweise zu übersetzen als ‚auf jeden Fall’,

‚was/wohin denn sonst’.

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Antje Dammel

Evaluative Morphologie. Eine vergleichende Analyse alemannischer

Nomina actionis der Bildungsmuster –ete und –erei In diesem Vortrag geht es um einen Funktionsbereich der Wortbildung, der in Dialekten des Deutschen besonders variationsreich ausgeprägt zu sein scheint, nämlich Wortbildungsmuster, die (neben denotativen Funktionen) auch eine subjektive Evaluation durch den/die SprecherIn vermitteln. Ein Beispiel aus dem Standarddeutschen sind Vorgangsnominalisierungen wie Gesinge und Singerei (gegenüber Singen), die in Dialekten

sehr unterschiedliche Entsprechungen haben. Nach einer kurzen Einführung in das Forschungsfeld evaluative Morphologie werden am Fallbeispiel der Nomina actionis mit dem Suffix alem. -ete (z.B. Brüelete 'Brüllerei', Schmierete 'Geschmier') in einer vergleichenden Wörterbuchstudie zum Hoch- und Oberrheinalemannischen (Idiotikon vs. Badisches Wörterbuch) unterschiedliche Funktionsspektren von -ete herausgearbeitet und es wird gefragt, inwiefern es sich (noch) um evaluative Morphologie handelt. Dieses Bild wird mit dem standardnahen Konkurrenzmuster -(er)ei verglichen. Abschließend werden die Befunde auf einen übergreifenden Pfad der funktionalen Alterung von Nomina actionis bezogen. Dabei bietet sich eine schemabasierte Modellierung an. Dammel, A./O. Quindt. 2016. How do evaluative derivational meanings arise? A bit of Geforsche or Forscherei.

In: Finkbeiner, R./J. Meibauer/H. Wiese (eds): Pejoration. Amsterdam, 41-74. Hartmann, St. 2016. Wortbildungswandel. Eine diachrone Studie zu deutschen Nominalisierungsmustern.

Berlin, Boston: De Gruyter (Studia Linguistica Germanica 125). Seidelmann, E. 2004. Wortbildung im Sprachvergleich: Verbalabstrakta des Bairischen und Alemannischen. In:

Glaser, E. u.a. (Hg): Alemannisch im Sprachvergleich. Beiträge zur 14. Arbeitstagung für alemannische Dialektologie in Männedorf (Zürich) vom 16.-18.9.2002. Stuttgart:, 409-417.

Tovena, L. M. 2015. Evaluative Morphology and Aspect/Actionality. In: Grandi, N./ L. Körtvélyessy (eds): Edinburgh Handbook of Evaluative Morphology. Edinburgh, 108-120.

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Sophie Dettwiler, Karin Madlener, Mirjam Weder

«Tün Si au gern aperöle, käffle und lädele oder lieber proseccöle, ipödle und kungfule?» Zur Erhebung dialektaler Wortbildungsproduktivität in schriftlichen Befragungen

Die Ableitung denominaler Verben des Musters [N-­(e)le] im Hoch-­/Höchstalemannischen scheint nach der Erstbeschreibung bei Kuhn (1961) weitgehend aus dem Blickfeld der Forschung geraten zu sein. Aktuell lässt sich neben einer überschaubaren Anzahl etablierter, lexikali-sierter Bildungen (z.B. käffele, aperöle, schlittle, lädele, sünnele) eine substanzielle Anzahl produktiv-innovativer Neu- und Gelegenheitsbildungen nachweisen (Hörbelege z.B. ipödle, kungfule;; schriftliche Belege z.B. facebookele, proseccöle und velöle). Auch medial erhält der Wortbildungsprozess Aufmerksamkeit (http://www.benvatter.ch/ u.a. zu kolümnele, flugsimulatörle). Unser Beitrag skizziert erste Befunde einer Pilotstudie zur Erfassung dieser Produktivitätsmuster in schriftlichen Befragungen. Durchgeführt wurde eine 20-­minütige schriftliche Umfrage bei Germanistikstudierenden im ersten Studiensemester (n=80). Die Auswahl der Stimuli erfolgte auf Basis von Bestandsaufnahmen in Wörterbüchern, Korpora und www sowie zweier verbal fluency-­Aufgaben (n=22). In der Befragung wurden die -­(e)le-­Verben als Einzelwörter (n=34) oder im Satzkontext (n=46) präsentiert. Erhoben wurden jeweils 36 Ratings für den rezeptiven und produktiven Sprachgebrauch; für die Einzelwort-Stimuli wurden zudem Bedeutungs-paraphrasen und Satzproduktionen elizitiert. Die Stimuli unterscheiden sich systematisch nach

(i) Häufigkeit: häufige/lexikalisierte (z.B. lädele, z’mörgele) vs. seltene (z.B. trottinettle, bierle) vs. frei erfundene (z.B. akrobätle, klavierle)

(ii) Semantik: Essen/Trinken (z.B. käffele, schnäpsle) vs. Sport/Freizeit/Fortbewegung (z.B. bällele, böötle) vs. Andere (z.B. dökterle, schätzele)

(iii) Konstruktionskontext (nur Satz-­Stimuli): typischerweise erwartbar (go + Infinitiv, tue + Infinitiv) vs. unerwartet (finite Verben im Präsens, Perfekt).

Folgende Fragestellungen wurden im Rahmen der Pilotstudie bearbeitet:

(1) Produktivität: Gibt es Evidenz für die (analogie-­ und/oder schemabasierte, vgl. Barđdal 2008) Produktivität des Wortbildungsmusters?

(2) Frequenz-­/ Familiaritätseffekte: Werden häufige, lexikalisierte Items als akzeptabler bewertet als seltenere bzw. frei erfundene -­(e)le-­Verben?

(3) Typizitätseffekte: Sind seltene bzw. erfundene Items bei Zugehörigkeit zu typischen semantischen Klassen oder Einbettung in typische Konstruktionskontexte akzeptabler?

(4) Analogieeffekte: Führen semantische Analogieeffekte zu prototypischen belegten Typen zu höherer Akzeptabilität einzelner Neubildungen?

Unsere vorläufigen Analysen deuten auf eine hohe Produktivität des Wortbildungsmusters hin:

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1. Erfundene Items vom Typ teele werden (als Einzelwörter) zwar als signifikant weniger

akzeptabel bewertet als lexikalisierte häufige (produktiv: Kruskal-­Wallis chi-­sq.=348.48, df=1, p<0.001;; rezeptiv: K.-­W. chi-­sq.=375.34, df=1, p<0.001) und als belegte seltenere Bildungen (produktiv: K.-­W. chi-­sq.=155.39, df=1, p<0.001; rezeptiv: K.-­W. chi-­sq.=195.55, df=1, p<0.001), aber dennoch nicht von allen Gewährspersonen rundweg abgelehnt.

2. Einige dieser erfundenen Items fallen sogar durchaus in den Bewertungsbereich der seltener belegten existierenden Wortbildungen, was, wie vertiefende qualitative Analysen zeigen, durch semantische Analogien zu häufigen lexikalisierten Typen zu erklären sein dürfte, welche auch explizit als solche vermerkt werden (z.B. teele: „ähnlich wie käffele“).

3. Schliesslich sind die Gewährspersonen auch bei stärker abgelehnten erfundenen Items in der Lage, (i) typische semantische Elemente (d.h. etw. gemütlich/genussvoll und in Gesellschaft tun) und (ii) typische Konstruktionskontexte (go + Infinitiv, z.B. in Gömer go z’nünele?) produktiv aufzurufen.

4. Entsprechende Typizitätseffekte ergeben sich (wenn auch nicht reliabel durchgängig) auch für die Bewertung der verschiedenen angebotenen Satzkontexte.

Abschliessend möchten wir die Aussagekraft der Pilotergebnisse zur Diskussion stellen. Bedingt durch das Spannungsfeld zwischen der Mündlichkeit dialektaler Wortbildungsmuster und der Schriftlichkeit der Befragung ergibt sich eine potenzielle Verzerrung der Ratings in Form eines Trends zur Ablehnung unabhängig von der tatsächlichen Vorkommenshäufigkeit sowohl für ­(e)le-Verben als auch für andere Helvetismen (Distraktoren). Diese Problematik, verschärft gerade im spezifischen Seminarkontext und in der Zielgruppe der Pilotstudie durch die Präsenz starker (standardbezogener) Normvorstellungen, soll in der geplanten Folgestudie berücksichtigt werden.

Barđdal, Johanna. Productivity: Evidence from Case and Argument Structure in Icelandic. Amsterdam, Philadel-phia: John Benjamins.

Kuhn, Hans (1961). Verbale l- und r-Bildungen im Schweizerdeutschen. Frauenfeld: Huber.

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Oscar Eckhardt

Von der lokalen Variante zur regionalen Norm

Die Graubündner Hauptstadt Chur (Schweiz) erfüllt im Churer Rheintal eine bedeutende Zentrumsfunktion, was wohl auch dazu geführt hat, dass Laien die alemannischen Dialekte in Graubünden als „Churerdeutsch“ bezeichnen. Das „Churer Rheintal“ umfasst tatsächlich mehrheitlich Ortschaften, in denen ein dem Churerdialekt nahe stehender churerrheintalischer Dialekt gesprochen wurde und wird. Thusis und Trimmis hingegen weisen im Sprachatlas der Deutschen Schweiz (SDS) klar walserische Züge auf, Churwalden und Maladers erscheinen noch als Walserorte; Domat/Ems und der von uns ausgewählte Vergleichsort Ilanz in der Surselva sind im SDS nicht erfasst, da sie als rätoromanischsprachig galten. Für unsere Studie befragten wir 150 Jugendliche und junge Erwachsene mündlich und schriftlich. Die gewonnenen Daten stellten wir den vergleichbaren SDS-Daten gegenüber. Die rund 22'000 ins IPA-System transkribierten Formen erlaubten in der Folge eine Mehrfachauswertung. In einem ersten Schritt konnten wir die Häufigkeit der verwendeten Formen ermitteln und dabei klare Hinweise zum Bestand und zur Entstehung einer (neuen) regionalen Norm gewinnen. In einem zweiten Schritt haben wir, ausgehend von der phonetischen Distanz der Laute, mit Hilfe des Damerau-Levenshtein-Algorithmus die Distanzen zwischen den Ortschaften und Chur berechnet, dies sowohl für die SDS-Daten als auch für die aktuellen Daten. Für den dritten Schritt haben wir die Daten typologisiert und anschliessend die Distanzen im Bereich Phonetik, Morphosyntax und Lexik ermittelt. In einem vierten Schritt versuchten wir, die Veränderungsrichtung festzulegen. Aus der dreijährigen Studie ergaben sich unter anderem folgende Erkenntnisse: Für fast alle erhobenen Marker ergeben sich Formen, die aufgrund der Häufigkeit als regionale Norm bezeichnet werden können. Die Formen weichen zu einem grossen Teil von den SDS-Formen ab, was natürlich auch an der Untersuchungsanlage liegt. Fast alle salienten Formen und Lautungen sind geschwunden, salient in dem Sinne, dass sie nicht zur neuen regionalen Norm passen. Auf morphosyntaktischer Ebene können wir teilweise rigorose Veränderungen feststellen: das Verb ‚sehen’ hat im Paradigma die im SDS verzeichnete standardsprachliche Struktur verloren und ist zu einem Kurzverb geworden. Das System der Possessivpronomen hat sich im Singular von einem genusindifferenten zu einem übergeneralisierenden System verändert. In der Pluralbildung von ‚Bruder’ hat sich eine neue übergeneralisierende Form etabliert. Hiess es im SDS noch Bruader-Brüader heisst es heute mehrheitlich Bruader-Brüadara. Die rätoromanischen Ortschaften haben sich mit ihren alemannischen Dialekten problemlos in den alemannischen Gesamtsprachraum integriert. Alle diese Befunde weisen klar auf eine Regionalisierung der alemannischen Dialekte im Churer Rheintal hin, was sich nicht zuletzt auch in der Bezeichnung des eigenen Dialekts durch die Informantinnen und Informanten ausdrückt: ein Grossteil sagt, sie sprächen ‚Bündnerdeutsch’. Die Identität mit dem eigenen Ortsdialekt ist offensichtlich nicht mehr ausgeprägt vorhanden. Eckhardt, Oscar (2016): Alemannisch im Churer Rheintal. Von der lokalen Variante zum Regionaldialekt. Franz

Steiner Verlag. (Zeitschrift für Dialektologie und Linguistik. Beiheft 162)

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Sophie Ellsäßer

Vom Idiolekt zum Areal: Geographie der oberdeutschen Kasusmorphologie Basierend auf dem Grundlagenartikel von Shrier (1965) lassen sich unterschiedliche Synkre-tismustendenzen für oberdeutsche Kasussysteme annehmen: Während man im Zentrum von einem weitestgehend erhaltenen Drei-Kasus-System ausgeht, tendieren insbesondere mas-kuline Relationen standardabweichend zu einem Synkretismus von Nominativ und Akkusativ im Westen und von Akkusativ und Dativ im Osten des Gebiets. Ein Kasussystem und dessen Funktion lassen sich allerdings nicht isoliert von syntaktischen und semantischen Kategorien, wie etwa der Serialisierung oder der Belebtheit, betrachten. Da diese, wie auch Kasus, der Markierung semantischer Relationen dienen, ist eine Interaktion der Kategorien nicht auszuschließen. So konnten bisherige Arbeiten beispielsweise einen Zusammenhang von Kasussynkretismus und Belebtheit feststellen (vgl. Alber/ Rabanus 2011), der teilweise, bedingt durch die Notwendigkeit eine Relation zu disambiguieren, auch variierende Kasusdistinktionen auslöst (vgl. Dal Negro 2004 und Rohdenburg 1998). Eine besonders geeignete Datengrundlage für derartige Tendenzen ist das idiolektale Systems einzelner Sprecher. Dabei ist zu untersuchen, inwiefern Variation in Synkretismus und Distinktion nicht ausschließlich auf die Eigenheiten unterschiedlicher Sprecher zurückzuführen ist, sondern systematisch in idiolektalen Systemen verankert sein kann. Im Rahmen des Vortrags werde ich erste Ergebnisse einer gebrauchs- und frequenz-basierten Korpusanalyse zum oberdeutschen Kasussystem vorstellen und insbesondere auf systematisch auftretende idiolektale Variation eingehen. Dabei werde ich mich vor allem mit möglichen Ursachen (wie etwa phonologischem oder morphosyntaktischem Einfluss), aber auch mit der spezifischen geographischen Verbreitung idiolektal variierender Kasusmarkierung beschäftigen. Hierbei soll auch der Frage nachgegangen werden, inwiefern idiolektale Variation als Indiz für einen diachronen oder geographischen Übergang zwischen verschie-denen Kasussystemen gewertet werden kann. Alber, Birgit/ Rabanus, Stefan (2011): Kasussynkretismus und Belebtheit in germanischen Pronominal-

paradigmen. In: Elvira Glaser/ Natascha Frey/ Jürgen Erich Schmidt (Hgg.): Dy-namik des Dialekts – Wandel und Variation. Stuttgart: Steiner Verlag: (Zeitschrift für Dialektologie und Linguistik Beihefte, 144 (3)), S. 23–46.

Dal Negro, Silvia (2004): Artikelmorphologie. Walserdeutsch im Vergleich zu anderen ale-mannischen Dialekten. In: Elvira Glaser/ Peter Ott/ Rudolf Schwarzenbach (Hgg.): Aleman-nisch im Sprachvergleich. Wiesbaden: Steiner Verlag: (Zeitschrift für Dialektologie und Linguistik Beihefte 129), S. 101–111.

Rohdenburg, Günter (1998): Zur Umfunktionierung von Kasusoppositionen für referentielle Unterscheidungen bei Pronomen und Substantiven im Nordniederdeutschen. In: Zeitschrift für Dialektologie und Linguistik 65, S. 293–300.

Shrier, Martha (1965): Case Systems in German Dialects. In: Language 41 (3), S. 420–438.

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Pascale Erhart

Von der Staatsgrenze zur Dialektgrenze: Wird der Rhein als «Grenze» im elsässischen Teil des alemannischen Sprachraums am Oberrhein wahrgenommen?

Im Rahmen des deutsch-französischen ANR/DFG-Projekts „Auswirkungen der Staatsgrenze auf die Sprachsituation im Oberrheingebiet (Baden-Württemberg, Elsass)“ sollte erforscht werden, ob das, was politisch, kulturell, wirtschaftlich, …, als „grenzüberschreitende Region“ gilt oder benannt wird, auch von Dialektsprechern aus diesem Gebiet als sprachlich-mundartliche Region betrachtet wird, von Menschen mit ähnlichem Habitus bewohnt wird und welche Nähe sie auf beiden Seiten des Rheins zueinander empfinden. In diesem Beitrag geht es darum, wie die Informanten einerseits im Diskurs diese Fragen angehen, und andererseits wie sie sie thematisch behandeln und eventuell Stellung dazu beziehen. Kurz, wie steht das „hüben“ (ego) zu dem „drüben“ (alter, insbesondere zum proximus alter) und umgekehrt? Somit wurden im Erhebungsgespräch, das prinzipiell im Dialekt zu verlaufen hatte, Themen angesprochen, die sich mit den Sprachen, d.h. vor allem den Mundarten auf beiden Seiten des Rheins beschäftigten, wie die gesprochenen Sprachen eingeschätzt werden, wie und was die Leute auf beiden Seiten eigentlich sprechen, wie das Verständnis zwischen beiden Seiten zustande kommt, was von den Leuten, die auf der anderen Seite leben, gehalten wird, etc. Mit anderen Worten: es ging darum zu erfahren, wie sich die Informanten sich selber und ihre Grenznachbarn vorstellten (représentations) und inwiefern diese Vorstellungen bei mehreren oder vielen Gewährsleuten vorkommen und als „geteilte“ soziolinguistische bzw. soziale Vorstellungen (représentations sociales ou sociolinguistiques partagées) darstellen. Anderseits wurde auch untersucht, wie solche Äußerungen formuliert wurden, auf welche linguistische Weise d.h. mit welchen Wörtern und Worten die Vorstellungen verbalisiert wurden. Auffällig ist bei der Auswertung der Aussagen, wie stark die staatlich-nationale Grenze, mit den dazugehörenden Amtssprachen, wie in anderen europäischen Grenzsituationen, die Vorstellungen prägt, sowie die Wahl der Wörter, die diese Vorstellungen verbalisieren, sodass die proximus alter-Stellung immer mehr zur alter-Stellung rückt.

Abric Jean-Claude (2003) Pratiques sociales et représentations, Paris, Presses Universitaires de France Anders Christina Ada, Hundt, Markus & Lasch Alexander (eds.) (2010) „Perceptual Dialectology“: Neue Wege

der Dialektologie, Berlin, New York: Walter de Gruyter Bothorel-Witz Arlette (2008) « Le plurilinguisme en Alsace : les représentations sociales comme ressources ou

outils de la description sociolinguistique », Les Cahiers de l’ACEDLE, 5, n°1, Recherches en didactique des langues – L’Alsace au cœur du plurilinguisme, pp. 41-63, http://acedle.org/old/spip.php?article1018.

Jodelet Denise (dir.) (31993) Les représentations sociales, Paris, Presses Universitaires de France Kremer Ludger, Niebaum Hermann (Hrsg.) (1990) Grenzdialekte. Studien zur Entwicklung kontinental-

westgermanischer Dialektkontinua, Hildesheim, Zürich, New York, Georg Olms Verlag (= Germanistische Linguistik 101-103/1990)

Py Bernard (2004) « Pour une approche linguistique des représentations sociales », Langages « Représentations métalinguistiques ordinaires et discours », n°154, pp. 6-19

Seidelmann Erich (1989) « Der Hochrhein als Sprachgrenze » in Putschke Wolfgang, Veith Werner, Wiesinger Peter (Hrsg.) Dialektgeographie und Dialektologie. Günter Bellmann zum 60. Geburtstag von seinen Schülern und Freunden, Marburg, N.G. Elwert Verlag, S. 57-88

Smits Tom F.H. (2011) Strukturwandel in Grenzdialekten. Die Konsolidierung der niederländisch-deutschen Staatsgrenze als Dialektgrenze, Tübingen, Franz Steiner Verlag (= Zeitschrift für Dialektologie und Linguistik – Beihefte, Bd. 146)

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Julia Fritzinger

‘s Alice ísch nítt kòmme, es wùrd verreist sín. Zur Soziopragmatik neutraler Rufnamen und Pronomen für weibliche Personen im Niederalemannischen

Dieser Vortrag präsentiert erste Ergebnisse aus einem DFG-Projekt, das den soziopragmatisch gesteuerten Gebrauch neutraler Rufnamen und Pronomen für weibliche Personen in deutschen Dialekten (und im Luxemburgischen) untersucht. Hierbei liegt der Schwerpunkt auf den Resultaten zum Niederalemannischen. In der Regel gilt im Deutschen bei der Referenz auf Personen das sog. natürliche Geschlechtsprinzip, d.h., Personenbezeichnungen (die Mutter, der Vater) und (nicht-diminuierte) Personennamen (die Anna, der Otto) weisen strikte Genus-Sexus-Korrelationen auf. Das Niederalemannische (sowie einige andere deutsche Dialekte und das Luxemburgische) brechen diese Korrelation, indem sie für weibliche Personen neben einer femininen auch eine neutrale Genusklassifizierung vorsehen. Dies betrifft weibliche Rufnamen und ihre Pronomen (s. Titelbeispiel: 'Das (n.) Alice ist nicht gekommen, es (n.) wird verreist sein'), aber auch die Pronominalisierung femininer Personenbezeichnungen: der Schwester sin Mann 'der Schwester sein (n.) Mann'. Obwohl es sich hierbei um ein ‒ zumindest für Außenstehende ‒ salientes Phänomen handelt, hat die Dialektologie diese Neutra bislang übersehen. Im Rahmen des DFG-Projekts „Das Anna und ihr Hund ‒ Weibliche Rufnamen im Neutrum. Soziopragmatische vs. semantische Genuszuweisung in Dialekten des Deutschen und Luxemburgischen“ werden die dialektalen Genussysteme mit neutraler Referenz auf weibliche Personen erstmals in ihrer Ausdehnung und Struktur erfasst. Bei diesem trinational angelegten Forschungsvorhaben handelt es sich um eine Kooperation zwischen Deutschland (Mainz), Schweiz (Fribourg) und Luxemburg (Luxemburg). Das Kernstück des Projekts bildet die direkte Erhebung von Sprachdaten aus einzelnen Orten, die durch qualitative Interviews zur Verwendung und Konnotation der neutralen Formen ergänzt wird. Zusätzliche Daten (v.a. zur Arealität) werden aus einem Online-Fragebogen gewonnen. Insgesamt zeigt sich, dass die jeweilige Genuszuweisung soziopragmatisch gesteuert ist, d.h., die Wahl zwischen Femininum und Neutrum ist abhängig von der Beziehung des Sprechers oder der Sprecherin zur Referenzperson sowie weiteren sozialen Parametern (z.B. ihrem Alter oder Sozialstatus). Die gewonnenen Erkenntnisse führen zu einem theoretisch vertieften Verständnis des soziopragmatischen Genus als bis dato unbekannte Genusart. Busley, Simone/Fritzinger, Julia (demn.): Es Stefanie is jetzt verheirat… Zum Funktionswandel dialektaler Genus-

systeme mit neutraler Referenz auf weibliche Personen. Erscheint in: Stephan Hirschauer und Damaris Nübling (Hg.): Namen und Geschlecht - Zu einer transdisziplinären Onomastik (Linguistik - Impulse & Tendenzen).

Christen, Helen (1998): Die Mutti oder das Mutti, die Rita oder das Rita? Über Besonderheiten der Genuszuweisung bei Personen- und Verwandtschaftsnamen in schweizerdeutschen Dialekten. In: André Schnyder und Karl-Ernst Geith (Hg.): "Ist mir getroumet mîn leben"? Vom Träumen und vom Anderssein. Festschrift für Karl-Ernst Geith. Göppingen, 267–281.

Nübling, Damaris/Busley, Simone/Drenda, Juliane (2013): Dat Anna und s Eva – Neutrale Frauenrufnamen in deutschen Dialekten und im Luxemburgischen zwischen pragmatischer und semantischer Genuszuweisung. In: Zeitschrift für Dialektologie und Linguistik 80/2, 152-196.

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Brigitte Ganswindt

Landschaftliches Hochdeutsch im Schwäbischen. Die orale Prestigevarietät im 19. Jahrhundert Wie sprach ein Schwabe im 19. Jahrhundert, wenn er überregional verstanden werden oder sich durch seine Sprachverwendung ein gewisses Prestige verschaffen wollte? Er sprach sein „bestes“ Hochdeutsch. Dieses Hochdeutsch unterschied sich aufgrund seines dialektalen schwäbischen Hintergrundes von dem Hochdeutsch etwa hessischer oder bairischer Sprecher, weshalb es hier als „landschaftliches Hochdeutsch“ bezeichnet wird. Jüngst konnte erstmals in größerem Umfang empirisch basiert nachgewiesen werden, dass diese historische Prestigevarietät regional divergent und zudem unterschiedlich stark dialektal geprägt war (vgl. Ganswindt 2016). Zudem konnte gezeigt werden, dass es sich bei diesen landschaftlichen Oralisierungsnormen der Schriftsprache um die historischen Vorläufer der modernen standardnahen Varietäten und Sprechlagen handelt. In dem Vortrag wird das landschaftliche Hochdeutsch im Schwäbischen näher betrachtet. Der Fokus liegt dabei auf den charakteristischen phonetisch-phonologischen Merkmalen der historischen Prestigevarietät. Diese werden zudem einerseits mit dem zugrunde liegenden Dialekt und andererseits mit der Schriftsprache vergleichend in Beziehung gesetzt. Neben der Betrachtung des landschaftlichen Hochdeutsch wird zudem die Salienz der rekonstruierten Merkmale in den Blick genommen. Ganswindt, Brigitte (2016): Landschaftliches Hochdeutsch. Rekonstruktion der oralen Prestigevarietät im aus-

gehenden 19. Jahrhundert. Dissertation. Philipps-Universität Marburg.

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Julian Ging

„Objektive“ und „subjektive“ Dialektgrenzen am Beispiel von Villingen und Schwenningen

In der vorliegenden Arbeit wird mit Hilfe aktuell erhobener Sprachdaten untersucht, ob zwischen den traditionell bodenseealemannischen Dialekten der Stadtbezirke Villingen und Schwenningen heutzutage Unterschiede bestehen und wie die befragten DialektsprecherInnen die Dialekte im Gebiet Villingen-Schwenningen räumlich gliedern und bewerten. In der sprachlichen Analyse dieser Arbeit werden aktuelle Abfragedaten bezüglich verschiedener linguistischer Teilbereiche untersucht und Vergleiche zu Sprachatlasdaten sowie zu spontansprachlichen Daten gezogen. Forschungshintergrund ist zunächst die Beobachtung, dass heutzutage immer noch Probleme hinsichtlich der Beziehungen zwischen den ehemals badischen Villingern und den ehemals württembergischen Schwenningern bestehen. Zudem zeigen sprachwissenschaftliche Arbeiten nicht nur, dass die Dialektgrenze zwischen dem (Bodensee-)Alemannischen und dem Schwäbischen durch ethnodialektologische Laien häufig zwischen Villingen und Schwenningen festgesetzt wird (vgl. Auer 2004), sondern deuten auch auf eine Entwicklung des Schwenninger Dialekts in Richtung des Schwäbischen (vgl. Streck 2012). Die Analyse der Sprachdaten offenbart keine eindeutige sprachliche Entwicklung. Vielmehr zeichnen sich verschiedene, scheinbar lexikalisch gesteuerte Wandelprozesse ab, die oftmals beide Stadtbezirke betreffen und die sowohl einerseits in Richtung des Schwäbischen, andererseits aber auch teilweise in Richtung des Alemannischen verlaufen. In der ethnodialektologischen Analyse tritt zu Tage, dass beinahe alle InformantInnen der Meinung sind, dass der Villinger Dialekt ganz anders als der der Schwenninger ist. Außerdem weisen individuelle Äußerungen der Befragten zum einen auf gegenseitige Vorbehalte, zum anderen aber auch auf eine tendenzielle Verbesserung der Beziehungen zwischen Villingen und Schwenningen hin. Auer, Peter (2004): „Sprache, Grenze, Raum“. In: Zeitschrift für Sprachwissenschaft 23.2, 149-179. Streck, Tobias (2012): Phonologischer Wandel im Konsonantismus der alemannischen Dialekte Baden-

Württembergs. Sprachatlasvergleich, Spontansprache und dialektometrische Studien. Stuttgart: Franz Steiner.

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Elvira Glaser, Alfred Lameli, Philipp Stöckle

Die Wenkerbogen in der Deutschschweiz – Daten und Karten Aus der Enquête anfangs der 1930er Jahre zur Erhebung der sog. 40 Wenkersätze in der Deutschschweiz sind ca. 1700 ausgefüllte Formulare vorhanden. Auch wenn bislang lediglich eine partielle Auswertung dieser laienbasierten Dialektverschriftungen, insbesondere unter syntaktischen Gesichtspunkten (z. B. Kakhro 2005, Fleischer 2014) erfolgte, konnte für die beobachteten Phänomene dennoch eine hohe Abbildungsqualität nachgewiesen werden, so z. B. durch Glaser & Bart (2015: 94f.), die Koinzidenzen zwischen den von Kakhro gefundenen syntaktischen Verteilungen und den Befunden jüngerer Datenerhebungen feststellen. Um eine vielfältige Auswertung des Materials zu ermöglichen, wurde an der Universität Zürich in den vergangenen Jahren die Volltexterschließung dieses Schweizer Wenkermaterials vorgenommen. In einem ersten Schritt wurden ca. 600 Ortspunkte herausgegriffen, die sich mit bisherigen Untersuchungen (SDS, SADS) decken oder diesen möglichst nahekommen. Anschließend wurden für diese Orte vollständige Transliterationen der Erhebungsformulare angefertigt, die in einem dritten Arbeitsschritt unter Auflösung der Wortstellungsbesonderheiten lexikalisch separiert und als Einzelrepräsentationen aligniert wurden. Unser Vortrag will nun dieses Material vorstellen und einer genaueren Bewertung unterziehen. Dabei wird zu zeigen sein, welche räumlichen Informationen sich aus den Daten grundsätzlich gewinnen lassen und in welcher Weise sich die Ergebnisse in die bekannte Raumstruktur der Deutschschweiz einordnen lassen. Erste Analysen verdeutlichen zunächst eine Nord-Süd-Clusterung der Daten mit signifikanter Grenzbildung im Alpenraum. Eine vertiefte Analyse weist ergänzend verschiedene Teilräume aus, die den dialektologischen Erwartungen, etwa auf der Grundlage des SDS aber auch jüngeren quantitativen Ansätzen (z. B. Scherrer & Stöckle 2016), weitgehend entsprechen, dabei aber auch räumliche Relationen aufweisen, die so bislang nicht im Fokus standen. Fleischer Jürg (2014): Das flektierte prädikative Adjektiv und Partizip in den Wenker-Materialien. In: Dominique

Huck (Hrsg.): Alemannische Dialektologie: Dialekte im Kontakt. Stuttgart: Steiner, S. 147–168. Glaser, Elvira & Gabriela Bart (2015): Dialektsyntax des Schweizerdeutschen. In: Kehrein, Roland, Alfred Lameli

& Stefan Rabanus (Hrsg.): Regionale Variation des Deutschen. Projekte und Perspektiven. Berlin, Boston: De Gruyter, S. 81–107.

Kakhro, Nadja (2005): Die Schweizer Wenkersätze. In: Linguistik Online 24/3, 155–169. Scherrer, Yves & Philipp Stöckle (2016): A quantitative approach to Swiss German - Dialectometric analyses and

comparisons of linguistic levels. In: Dialectologia et Geolinguistica 24, 92–125

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Johanna Hantsch

Die Ortsneckereien im Badischen Wörterbuch Ortsnecknamen sind eine typische Erscheinung in den Dialekten. Man geht davon aus, dass sie vor allem in 15. und 16. Jahrhundert aufkamen. In der volkskundlichen Forschung wurden diese scherzhaften Bezeichnungen der Ortseinwohner durch die Bevölkerung benachbarter Orte bereits in einigen Dialekten gesammelt und für die Nachwelt erhalten. Es wurde jedoch noch kein Versuch unternommen, sie zu systematisieren. Ortsneckereien stellen eine Art Diskriminierung dar, werden die damit Bezeichneten doch auf ein bestimmtes Merkmal oder eine Eigenschaft festgelegt. Sie beruhen auf unseren Vorstellungen über Fremdgruppen, auf Stereotypen, deren Funktion darin besteht, die Komplexität der Welt und damit den kognitiven Aufwand für ihre Verarbeitung zu reduzieren. Wie auch andere mundartliche Äußerungen können Ortsnecknamen ihrem Gehalt und ihrer Form nach recht harsch werden und reichen von der humorvollen Neckerei hin zur beißenden Satire. Ausgehend von Marcin Kudlas Kategorisierung attributiver Ethnonyme soll der Versuch unternommen werden, die Ortsneckereien aus dem Badischen Wörterbuch zu kategorisieren. Kudla identifiziert 16 verschiedene attributive Modelle für die Beschreibung einer Fremdgruppe. In Bezug auf attributive Ethnonyme stellt er fest, dass die Anspielung auf die Küche des anderen Landes eine häufig genutzte Methode im Englischen darstellt. Es soll deshalb der Frage nachgegangen werden, ob bestimmte Merkmale bevorzugt die Grundlage für die Bildung von Uznamen im Badischen bilden und ob weitere Besonderheiten erkennbar sind. Für die Übertragung auf die Ortsnecknamen müssen einerseits Kudlas Kategorien modifiziert werden. Andererseits stellt sich das Problem, dass für die meisten Uznamen der Grund für die Bildung und damit auch ihre Bedeutung nicht mehr nachvollziehbar ist. Depenau, David (2002): Die Ortsnecknamen in Heidelberg, Mannheim und dem Rhein-Neckar-Kreis. Von

Bloomäuler, Lellebollem und Neckarschleimer. Ubstadt-Weiher: regionalkultur. Graumann, Carl F / Wintermantel, Margret (2007): Diskriminierende Sprechakte. Ein funktionaler Ansatz. In:

Herrmann et al (Hg.): Verletzende Worte. Die Grammatik sprachlicher Missachtung. Bielefeld: Transcript. 147-178.

Kudla, Marcin (2016): A study of 'attributive ethnonyms' in the history of English with special reference to 'foodsemy'. Frankfurt am Main: Peter Lang Edition. Moser, Hugo (1950): Schwäbischer Volkshumor : die Necknamen der Städte und Dörfer in Württemberg und

Hohenzollern, im bayerischen Schwaben und in Teilen Badens sowie bei Schwaben in der Fremde; mit einer Auswahl von Ortsneckreimen. Stuttgart: Kohlhammer.

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Adriana Hanulíková

Wahrnehmung dialektaler Variation – eine empirische Untersuchung zur Rolle der Sprecher und Hörer

Erwachsene Hörer können normalerweise mühelos bestimmen, ob ein Sprecher eine standardnahe oder eine standardferne Aussprache aufweist. Wie mühelos können aber Hörer dialektale Variation in der Syntax beurteilen? Es gibt wenig Forschung dazu, wie Hörer syntaktische Variation abhängig von der Aussprache des Sprechers wahrnehmen und beurteilen (Hanulíková et al., 2012, Hanulíková & Carreiras, 2015) und welche Rolle sprachliche Erfahrung der Hörer dabei spielt. Der erste Teil des Projekts bestand aus einer Online-Befragung von 72 Teilnehmer*innen, in der erarbeitet wurde, welche schriftlich präsentierten syntaktischen Varianten von Hörern als dialektal eingestuft werden. Die Teilnehmer*innen konnten aufgrund der selbst gemachten Angaben in unterschiedliche Gruppen bezüglich des dialektalen Hintergrunds eingeteilt werden, allerdings war die Fehlerquote in der Einstufung der dialektalen Varianten in der dialekterfahrenen Gruppe nur gering kleiner als bei der unerfahrenen Gruppe. Vier sprachliche Variablen wurden für den zweiten Teil der Studie ausgesucht, weil sie 70-90% der Fälle als dialektale Varianten eingestuft wurden: wo in Relativsätzen, wo in Temporalsätzen, die Bildung des Konjunktivs II mit täte und das Doppelperfekt. Im zweiten Teil wurde ein Dialog zwischen einem alemannischen und einem standardnahen Sprecher vorgespielt, in dem die vier dialektalen Varianten und deren Standardentsprechungen gleich häufig vorkamen. Grammatikalische Akzeptabilitätsurteile wurden dann in unterschiedlichen Hörergruppen (Student*innen, Berufsschüler*innen, Gymnasialschüler*innen, und Autist*innen) von insgesamt 79 Teilnehmer*innen erhoben. In der Bewertung der standardsprachlichen und dialektalen Varianten ergaben sich signifikante Unterschiede zwischen den Hörergruppen in Abhängigkeit vom Sprecher, der den jeweiligen Satz äußert. Insgesamt wurden Varianten in standardnaher Aussprache als akzeptabler bewertet. Hanulíková, A. & Carreiras, M. (2015). Electrophysiology of subject-verb agreement mediated by speaker’s

gender. Frontiers in Psychology: Cognition 6:1396. Hanulíková, A., Van Alphen, P. M., Van Goch, M., & Weber, A. (2012). When one person’s mistake is another’s

standard usage: The effect of foreign accent on syntactic processing. Journal of Cognitive Neuroscience 24 (4), 878-887. doi:10.1162/jocn_a_00103.

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Luise Kempf

Dialekt trifft Konstruktionsmorphologie: ver-Verben im Alemannischen Ver-zähle, ver-wische, ver-rode – die alemannischen Dialekte sind bekannt für ihre „ver-Freudigkeit“. Diese ist v.a. dadurch bedingt, dass alem. ver- häufig mit standardsprachlichem er- und auch anderen Präfixen korrespondiert (s. z.B. Staub & Tobler 1881: 905, Fischer 1908: 67, Ochs et al. 1942-1974: 43, Rash 2002: 123), wie z.B. beim niederalem. ver-knülle ‚zer-knüllen‘. Beide Suffixe bedienen hier die Funktion ‚vollständige Durchführung/Abschluss einer Handlung‘, Kühnhold & Wellmann 1973: 168). Das Ziel dieser Untersuchung ist es, funktionale Konvergenzen und Divergenzen zwischen standarddt. und alem. ver- festzustellen und dies zur morphologischen Theoriebildung zu nutzen. Zum Vergleich der Varietäten wird ein Instrument zur Erfassung der funktionalen Bandbreite benö-tigt. In deskriptiven Studien werden Funktionsklassen i.d.R. weitgehend heuristisch festgelegt. So kommen etwa Kühnhold & Wellmann (1973) auf elf, Motsch (2004) dagegen auf 18 Funktionen von ver-. Mögen diese Funktionsklassen das Standarddeutsche adäquat beschreiben, ist indes unklar, ob sie Unterschiede zwischen den Varietäten erfassen können. Als empirische Basis dieser Untersuchung dienen alem. und standarddt. Wörterbuchdaten (zunächst Ochs et al. 1942-1974 und Drosdowski 21995, in einem zweiten Schritt auch Staub & Tobler 1881 sowie Fischer 1908). Die Derivate werden nicht in vorkonzipierte Funktionsklassen eingeordnet, son-dern mehrdimensional auf Einzelmerkmale wie Basiswortart (z.B. Verb), Valenzveränderungen (z.B. Transitivierung bei ver-lachen) oder Aktionsart (z.B. perfektiv bei ver-glasen) annotiert. Dadurch lassen sich für jede Varietät die tatsächlichen funktionalen Cluster der ver-Derivation in einem datenba-sierten Bottom-up-Verfahren ermitteln. Unterschiede treten nicht als unterschiedliche Nutzung vordefinierter Funktionsklassen zutage, sondern durch divergierende Clusterungen funktionaler Merk-male. Diese Herangehensweise basiert auf konstruktionsmorphologischen Überlegungen. Wesentlich ist dabei das Konzept des netzwerkartig organisierten sprachlichen Wissens. Komplexe Derivationsmus-ter werden oft in hierarchischen Netzwerken dargestellt (Riehemann 1998, Booij 2010, Kempf 2016), in denen abstrakte Kopfschemata (z.B. „-bar-Adjektiv“) ihre Eigenschaften an nachgegliederte Sub-schemata („-bar-Adjektiv der Möglichkeit mit intransitiver Basis“, z.B. brennbar, Riehemann 1998: 64) weitergeben. Die oben skizzierte Bottom-Up-Methode versteht sich als eine Weiterentwicklung, die nicht mehr von hierarchisch vererbenden, sondern von „ungerichteten“ Netzwerken ausgeht, in denen jede Verbindung je nach Stärke auf benachbarte Eigenschaften und Verbindungen einwirken kann. Wird z.B. eine kritische Masse an Derivaten erreicht, die den ‚Abschluss einer Handlung‘ mit ver- realisieren, kann dies auf benachbarte zer-Derivate im Sinne einer Suffixersetzung einwirken. Diese Studie zeigt, wie Dialektforschung wichtige Impulse zur morphologischen Theoriebildung liefern kann.

Booij, Geert (2010): Construction Morphology. Oxford. Drosdowski, Günther (Hg.) (21995): Duden. Das große Wörterbuch der deutschen Sprache. Bd. 8. Mannheim

[u.a.]. Fischer, Hermann (Hg.) (1908): Schwäbisches Wörterbuch. Bd. 2. Tübingen.

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Kempf, Luise (2016): Modeling polyfunctional word formation patterns. A Construction Morphology account of

adjectival derivation in the history of German. In: SKASE Journal of Theoretical Linguistics 13(2), 140–163. Kühnhold, Ingeburg & Hans Wellmann (1973): Deutsche Wortbildung. Typen und Tendenzen in der

Gegenwartssprache. Teil 1: Das Verb. Düsseldorf. Ochs, Ernst, Karl Friedrich Müller & Gerhard W. Baur (1942-1974). Badisches Wörterbuch. Bd. 2. Lahr. Rash, Felicity (2002): Die deutsche Sprache in der Schweiz. Mehrsprachigkeit, Diglossie und Veränderung. Bern

[u.a.]. Riehemann, Susanne Z. (1998): Type-based derivational morphology. In: The journal of comparative Germanic

linguistics 2 (1), 49–77. Staub, Friedrich & Ludwig Tobler (1881): Schweizerisches Idiotikon. Wörterbuch der schweizerdeutschen

Sprache. Frauenfeld.

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Simon Kistler

Zur historischen Lautlehre berndeutscher Dialekte Die Berner Forschungsstelle für Namenkunde verfügt über eine Hunderttausende Zettel umfassende Sammlung von historischen und aktuellen Ortsnamenbelegen. Im Rahmen eines Dissertationsprojekts versuche ich, aus dieser Sammlung Aufschluss über die lautliche Entwicklung der hoch- und höchstalemannischen Dialekte des Kantons Bern (und wo möglich darüber hinaus) zu gewinnen. Aus dieser Arbeit mochte ich einige besonders interessante Fragen aus der älteren und jüngeren Geschichte präsentieren, so etwa die folgenden: - Im Kt. Bern treffen Gebiete, die konsequent entrunden (schön > scheen, Hüser > Hiiser),

auf eine Gegend, wo weitgehende Rundungen auftreten (schwimme > schwümme, Beri > Böri „Beere“). Wie müssen wir entrundete Formen im Rundungsgebiet interpretieren (Öy > Ey, Grü(y)erz > Greyerz)?

- Wo lassen sich Einflüsse aus benachbarten Dialektraumen, dem Nhd. und der Schriftform beobachten (etwa bei der Wirkung des Staub’schen Gesetzes, also des n-Schwundes vor Frikativ mit Ersatzdehnung/Diphthongierung des Vokals; z.B. Ranft ‒ Raaft ‒ Rauft)?

- Was können wir uber die Entwicklungen im Nebentonvokalismus sagen (etwa anhand der Ortsnamen Hasle/Hasli oder Mülene/Müline)?

Ausserdem sollen auch die Grenzen solcher Studien thematisiert werden (so in der Frage von Vokalkürzungen oder bezüglich der Entwicklung der mhd. Phoneme e/ë/ä). Ortsnamenbuch des Kantons Bern (alter Kantonsteil). Bd. I: Dokumentation und Deutung. 1. Teil: A-F. Hrsg. von

Paul Zinsli. Bern 1976; 2. Teil: G-K/CH. Hrsg. von Paul Zinsli und Peter Glatthard. Bern 1987; 3. Teil: L-M. Hrsg. von Thomas Franz Schneider und Erich Blatter. Basel/Tubingen 2008; 4. Teil: N-B/P. Hrsg. von Thomas Franz Schneider und Erich Blatter. Basel/Tubingen 2011; 5. Teil: Q-SCH. Hrsg. von Thomas Franz Schneider und Roland Hofer. Basel/Tubingen (im Druck).

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Kristin Kopf

Der s-Plural im Alemannischen: (k)ein Fremdkörper?

Wo der s-Plural im Standard klar etabliert ist, d.h. insbesondere bei vollvokalisch auslautenden Substantiven, wird er dialektal häufig vermieden. Stattdessen integrieren die SprecherInnen die Lexeme in das bestehende Flexionsklassensystem, z.B. als Nullplural (1a, vgl. auch Kopf 2010, 2014) oder ne-Plural (1b).

(1) a. Auto: s'Auto – d'Auto (Befragung, Kopf 2010)

b. Foto: Ich froi mi uf dini photene (Schweizer SMS-Korpus)

I.d.R. wird der s-Plural daher nicht als Teil des Flexionssystems betrachtet (z.B. Öhmann 1924, Lötscher 1983). Er wird aber unbestreitbar auch dialektal genutzt, und zwar sowohl im Oberrheinalem., wo starker Kontakt mit dem Standard besteht (2a), als auch im Schweizerdt. (2b; vgl. auch Häcki Buhofer/Burger 1998).

(2) a. CD: d’CD– d‘CDs (Befragung, Kopf 2010)

b. Velo: so eis wo mä 2 velos chent zämä mache? (Schweizer SMS-Korpus)

Dabei fällt für das Oberrheinalem. auf, dass der s-Plural insbesondere bei Feminina auftritt. Aus phonologischen Gründen verbietet sich hier der übliche Schwa-Plural. Der bei Maskulina und Neutra beliebte Nullplural führt bei Feminina zu einer mangelnden Numerusdistinktion im Syntagma (Ich hob d’CD gsähne). Damit liegt eine Integration des s-Plurals in das Gesamtsystem nahe. In anderen alem. Dialekten stehen dagegen auch für die Feminina alternative Pluralflexive zur Verfügung, so der (e)ne-Plural in (1b). Ziel meines Vortrags ist es, anhand von vielseitigem Quellenmaterial (Befragungen, schriftsprachliche und gesprochensprachliche Korpora) zu zeigen, dass der s-Plural im Alem. nicht nur ein gelegentlich aufscheinendes Sprachkonktaktphänomen ist, sondern dass er sich funktional in das bestehende – kleinräumig stark variierende (Nübling 2008, Kopf 2010) – Flexionsklassensystem einfügt. Häcki Buhofer, Annelies & Harald Burger (1998): Wie Deutschschweizer Kinder Hochdeutsch lernen. Stuttgart. Kopf, Kristin (2010): Flexionsklassen diachron und dialektal: Das System der Substantivklassen im Alemanni-

schen. Magisterarbeit, Universität Mainz. Kopf, Kristin (2014): D'Audo, d'Keffer, d'Kuchine: Alemannische Substantivmorphologie am Beispiel des

Schuttertäler Ortsdialekts. In: Dominique Huck (Hg.): Alemannische Dialektologie: Dialekte im Kontakt. Stuttgart. 201-213.

Lötscher, Andreas (1983): Schweizerdeutsch. Geschichte, Dialekte, Gebrauch. Frauenfeld, Stuttgart. Nübling, Damaris (2008): Was tun mit Flexionsklassen? Deklinationsklassen und ihr Wandel im Deutschen und

seinen Dialekten. In: ZDL 75.3, 282–330. Öhmann, Emil (1924): Der S=plural im deutschen. Helsinki. Stark, Elisabeth, Simone Ueberwasser & Beni Ruef (2009-2015): Schweizer SMS-Korpus. Universität Zürich.

www.sms4science.ch

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Markus Kunzmann

VerbaAlpina: Crowdsourcing als komplementäres Verfahren der Erhebung der Dialektdatenerhebung

Das Projekt VerbaAlpina (www.lmu.de/verbaalpina) untersucht seit 2014 die spezifisch alpine dialektale Lexik des Untersuchungsgebietes. Dies bewerkstelligt das DFG-Projekt durch Retrodigitalisierung inzwischen älterer Quellen in eine Datenbank mittels eines maßgeschneiderten Web-Portals. Die Daten selbst stammen aus Dialektatlanten und Wörterbücher. Um diesen Bestand durch aktuelle Belege zu ergänzen, betreibt VerbaAlpina seit Februar 2017 eine Online-Neuerhebung. Über eine eigens hierfür geschaffene Crowdsourcing-Plattform kann hier aktuelles Dialektmaterial zielgerichtet erhoben werden. Der Vortrag liefert einen aktuellen Einblick in die Crowdsourcing-Kampagne des Projekts und zeigt unter anderem auf, welche Vorarbeiten notwendig sind, um Informanten zu gewinnen und welchen Rücklauf die Aktion generierte. Außerdem werden Wege beschrieben, wie dieses Belegmaterial sprachwissenschaftlich zu verwerten ist. Am konkreten Beispiel des Sprachatlas der deutschen Schweiz (SDS) wird entwickelt, welche methodischen Schritte für

den Abgleich mit den Daten der Neuerhebungen notwendig sind und gezeigt, wie sich daraus

auch Wandeltendenzen feststellen lassen.

Munro, Robert u.a., Crowdsourcing and language studies: the new generation of linguistic data, Proceedings of the NAACL HLT 2010 workshop on creating speech and language data with Amazon’s Mechanical Turk, Los Angeles, 6. 6. 2010, The Association for Computational Linguistics: Stroudsburg, PA, 2010, 122–130, http://www.aclweb.org/anthology/W/W10/W10-0719.pdf [letzter Zugriff 17. 8. 2016].

Reips, Ulf-Dietrich u. a., Methodological challenges in the use of the Internet for scientific research: Ten solutions and recommendations, Studia Psychologica: Advance online publication, 2015.

Hotzenköcherle, Rudolf u. a. 1962–2003. Sprachatlas der deutschen Schweiz. Bern/Basel: Francke Verlag. VerbaAlpina (VA), http://www.verba-alpina.gwi.uni-muenchen.de, 16/2.

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Adrian Leeman, Marie-José Kolly, Stephan Schmid und Dieter Studer-Joho

/r/ in der deutschsprachigen Schweiz Kaum eine Lautklasse weist ähnlich viel sprachliche und dialektale Variation auf wie die /r/-Laute. In der deutschsprachigen Schweiz sind mindestens fünf Varianten in Verwendung: [r, ɾ, ʀ, ʁ, ʁ]. Bisherige, meist ältere Untersuchungen deuten auf eine grossräumige Arealität hin: uvulare (hintere) /r/-Varianten sind vor allem in der Ostschweiz sowie im Großraum Basel belegt (SDS 1962–2003; Werlen 1980; Schrambke 2010), apikale (vordere) /r/ finden sich im Rest der deutschsprachigen Schweiz. Seit den Erhebungen für den Sprachatlas der deutschen Schweiz wurden kaum mehr großflächige Untersuchungen durchgeführt – neuere Studien zu /r/-Realisierungen existieren nur punktuell (e.g. Schifferle 1995; Hofer 1997; Siebenhaar 2000). Wie sieht die areale Verteilung von /r/ heute aus? In diesem Beitrag präsentieren wir Resultate aus auditiven Analysen basierend auf Sprachaufnahmen aus dem Dialäkt Äpp Korpus (Leemann & Kolly 2013). Vier PhonetikerInnen kodierten die /r/- Realisierungen von 2870 SprecherInnen aus 483 Ortschaften. Pro SprecherIn wurde eine /r/- Realisierung (im Wort ‘trinken’) analysiert. Jede Aufnahme wurde von mindestens drei unterschiedlichen PhonetikerInnen kodiert.

Illustration 1 zeigt die areale Verteilung der fünf Varianten; angezeigt wird für jeden Erhebungsort die dominante Variante. Ausgenommen von wenigen nicht-apikalen Varianten im Mittelland stellen sich besonders zwei Regionen als interessant heraus: die Nordostschweiz (die Kantone Thurgau, St. Gallen und Schaffhausen) sowie die Kantone Basel-Stadt und Basel-Land. Im Vergleich zum SDS finden wir in beiden Regionen ein stärkeres Auftreten der uvularen Varianten. Unser Vortrag widmet sich einer synchronen und diachronen Analyse insbesondere dieser beiden Regionen.

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Hofer, L. 1997. Sprachwandel im städtischen Dialektrepertoire. Eine variations-linguistische Untersuchung am

Beispiel des Baseldeutschen. Tübingen/Basel: Francke. Leemann, A. Kolly, M.-J. 2013. Dialäkt Äpp. URL: <https://itunes.apple.com/ch/app/dialakt-

app/id606559705?mt=8>. SDS = Sprachatlas der deutschen Schweiz (1962–2003). Bern (I–VI)/Basel: Francke (VII– VIII). Schifferle, H.-P. 1995. Dialektstrukturen in Grenzlandschaften. Untersuchungen zum Mundartwandel im

nordöstlichen Aargau und im benachbarten südbadischen Raum Waldshut. Bern u.a.: Lang. Schrambke, R. 2010. Realisierungen von /r/ im alemannischen Sprachraum. Dialectologia et Geolinguistica,

18(1), 52-72. Siebenhaar, B. 2000. Sprachvariation, Sprachwandel und Einstellung. Der Dialekt der Stadt Aarau in der

Labilitätszone zwischen Zürcher und Berner Mundartraum. Stuttgart: Steiner. Werlen, I. 1980. R im Schweizerdeutschen. Zeitschrift für Dialektologie und Linguistik 47, 52–76.

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Jens Leonhard

Doppelperfekt und Plusquamperfekt im Alemannischen Südwestdeutschlands und des Elsass Ziel dieses Beitrags ist es, die synchronen Verwendungsweisen von Doppelperfekt und Plusquamperfekt im Alemannischen Südwestdeutschlands und des Elsass aufzuzeigen. Grundlage der Untersuchung bildete ein spontansprachliches Korpus. Die Forschungsbeiträge zur Funktion des Doppelperfekts lassen sich grundsätzlich in zwei Lager einteilen. Die traditionellere erste Gruppe sieht einen direkten Zusammenhang zwischen oberdeutschem Präteritumschwund (und dem daraus folgenden Verlust des Plusquamperfekts) und Entstehung des Doppelperfekts. Nach Meinung dieser Autoren sind Doppelperfekt und Plusquamperfekt funktionsgleich, weshalb ersteres als Substitution für letzteres im Oberdeutschen gebraucht wird (vgl. u.a. Behaghel 1924: 271-272). Eine zweite jüngere Gruppe schreibt dem Doppelperfekt unter anderem die Möglichkeit zu, perfektiven Aspekt ausdrücken zu können, und betrachtet die Entstehung des Doppelperfekts und den oberdeutschen Präteritumschwund als Folge derselben Ursache: der Grammatikalisierung des Perfekts und dem damit verbundenen Verlust des vom Perfekt vermittelten perfektiven Aspekts (vgl. u.a. Rödel 2007: 202). Die beiden Hypothesen, die ich als Plusquamperfekt-Ersatz-Hypothese und Aspekt-Ersatz-Hypothese bezeichne, gehen also von einem substitutiven Charakter des Doppelperfekts aus. In meinem Vortrag werde ich aufzeigen, dass beide Tempora synchron verwendet werden und mit dem Ausdruck von Vorvergangenheit dieselbe Grundbedeutung besitzen. Dabei hat Doppelperfekt keinen Ersatzstatus, sondern bildet mit Plusquamperfekt ein komplementäres System, in dem die beiden Tempora aufgrund ihres unterschiedlichen morphologischen Designs in verschiedenen Kontexten auftreten. Auf die Tempuswahl haben gerade das zur Tempusbildung gebrauchte Hilfsverb und die Verbposition großen Einfluss. Eine Betrachtung der diachronen Entwicklung der letzten 100 Jahre soll zudem die Frage beantworten, ob die zeitgleich existierenden Tempora mit derselben Semantik ein Hinweis auf einen aktuellen Sprachwandel sind, bei dem das Plusquamperfekt das Doppelperfekt wieder verdrängt. Ausgehend von diesen Ergebnissen möchte ich schließlich die Frage diskutieren, welche Rückschlüsse auf die Entstehung des Doppelperfekts gezogen werden können. Rödel, Michael (2007): Doppelte Perfektbildungen und die Organisation von Tempus im Deutschen. Tübingen:

Stauffenburg. Behaghel, Otto (1924): Deutsche Syntax. Eine geschichtliche Darstellung. Band II: Die Wortklassen und

Wortformen. Heidelberg: Winter.

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Ann-Marie Moser

Sprachgeografische und sprachstrukturelle Beobachtungen zu negative concord in den deutschen Dialekten, mit einem Schwerpunkt im Alemannischen

Negative concord, also das Auftreten mehrerer Negationsmarker in einem Satz mit einfacher semantischer Bedeutung, ist in den germanischen Sprachen aus früheren Sprachstufen bekannt (vgl. Ingham 2013 für das Alt- und Mittelenglische, Jäger 2008 für das Alt- und Mittelhochdeutsche). In den modernen deutschen Varietäten ist diese Form der Negationsrealisierung ebenfalls belegt, allerdings bisher nur punktuell bzw. für einzelne Varietäten (vgl. z.B. Weiß 1998 für das Bairische, Glaser/Frey 2007 für das Alemannische in der Schweiz, Elmentaler/Borchert 2012 für das Niederdeutsche) oder in summarischer, sich teils widersprechender Form ohne Datengrundlage (vgl. Eroms 1993:10 vs Jäger 2008:180 und Lenz 1996:190). Meine Dissertation möchte diese Forschungslücke schließen, indem sie negative concord in allen deutschen Varietäten mit einem Schwerpunkt im Alemannischen untersucht. Als Datengrundlage wurden drei Quellentypen für jeden deutschen Dialekt (Alemannisch, Bairisch, West- und Ostmitteldeutsch, West- und Ostniederdeutsch) ausgewertet: Dialektgrammatiken, (großlandschaftliche) Wörterbücher und transkribierte Interviews (Zwirner-Korpus: 2.394 Interviews, DDR-Korpus: 117 Interviews). In diesem Vortrag sollen nun drei Beobachtungen vorgestellt werden: erstens die (grobe) sprachgeografische Verteilung von negative concord in allen deutschen Dialekten, bzw. anders formuliert: Welche Negationsstrategien werden in welcher Varietät verwendet (negative doubling und/oder negative spread)? Interessanterweise verhält sich das Alemannische in diesem Zusammenhang im Vergleich zu den anderen Varietäten ungewöhnlich, denn negative concord ist hier (bis auf wenige, begründete Ausnahmen) nur in Form von negative spread, d.h. zwei oder mehr negative Indefinita, möglich. Alle anderen Dialekte kennen jedoch beide Realisierungsformen. Kommentare aus Dialektgrammatiken zum Alemannischen (z.B. Hodler 1969 zum Berndeutschen) bestätigen dieses Ergebnis. In einem zweiten Schritt soll dargestellt werden, in welchen Kombinationen negative concord auftritt: Negative doubling, d.h. negatives Indefinitum mit Satznegation, wird so beispielsweise durchgängig in allen deutschen Dialekten am häufigsten mit dem ehemals negativen Polaritätselement dehein/kein (vgl. dazu auch Jäger 2008) realisiert. Schließlich soll drittens aufgrund der "einseitigen" Negationsstrategie des Alemannischen dessen sprachgeografische Verbreitung besonders detailliert untersucht werden. Neben den bereits genannten Quellentypen wurden hierzu zusätzlich Daten aus dem SADS, SynAlm und ALCORP ausgewertet. Dabei hat sich gezeigt, dass man weniger von einer syntaktischen Isoglosse als vielmehr von einem Übergangsgebiet zwischen alemannischer und bairischer Negationssyntax sprechen sollte: Je weiter man in den Osten von Baden-Württemberg vordringt und sich damit der bayerischen Landesgrenze nähert, desto höher ist die Wahrscheinlichkeit, dass negative doubling möglich ist. Elementaler, Michael/Borchert, Felix (2012): Niederdeutsche Syntax im Spannungsfeld von Kodex und

Sprachpraxis. In: Langhanke, Robert/Berg, Kristian/Elmentaler, Michael/Peters, Jörg (Hrsg.): Niederdeutsche Syntax. Hildesheim u.a., 101–135.

Eroms, Hans Werner (1993): Der indefinite Nominalnegator kein im Deutschen. In: Vuillaume, Marcel/Marillier, Jean-Francois/Behr, Irmtraud (eds.): Studien zur Syntax und Semantik der Nominalgruppe. Tübingen: Gunter Narr Verlag, 1–18.

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Glaser, Elvira/Frey, Natascha (2007): Doubling Phenomena in Swiss German Dialects. Meertens

Instituut,Amsterdam. URL: http://www.meertens.knaw.nl/projecten/edisyn/Online_proceedings/Paper_Glaser-Frey.pdf [letzter Zugriff: 26.02.17].

Hodler, Werner (1969): Berndeutsche Syntax. Bern: Francke. Ingham, Richard (2013): Negation in the history of English. In: Willis, David/Lucas, Christopher/Breitbarth, Anne

(eds.): The history of Negation in the Languages of Europe and the Mediterranean. Bd. 1: Case Studies. Oxford: University Press, 119–150.

Jäger, Agnes (2008): History of German Negation. Amsterdam u.a.: Benjamins. Lenz, Barbara (1996): Negationsstärkung und Jespersens Zyklus im Deutschen und in anderen europäischen

Sprachen. In: Lang, Ewald/Zifonun, Gisela (eds.): Deutsch – typologisch. Berlin/New York: de Gruyter, 183–200.

Weiß, Helmut (1998): Syntax des Bairischen. Studien zur Grammatik einer natürlichen Sprache. Tübingen: Niemeyer.

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Damaris Nübling

"Hybrid pronouns" in ober- und mitteldeutschen Dialekten

Im Alemannischen, Westmitteldeutschen, Luxemburgischen, auch im Nordfriesischen (Fering) finden sich Personalpronomen mit Genus/Sexus-Konflikt: Sie beziehen sich semantisch ausschließlich auf Frauen bzw. Mädchen, oft auch weibliche Haustiere, die allesamt neutrale Namen tragen, z.B. s Ingrid – ääs. Auch exophorisch (ohne sprachlichen Bezug auf eine vorgenannte Frau) kommen solche grammatischen Neutra zum Einsatz. Formal sind sie von neutralen Pronomen für Inanimata unterschieden: alem. ääs vs. (e)s für unbelebt, lux. hatt vs. dat für unbelebt, nordfries. hat. Auch im Akkusativ finden sich mit alem. ihn(e)s, wmd. ihnt solche bislang unzureichend erklärten und verstandenen Formen. In seiner Berndeutsch-Syntax von 1969 schreibt Hodler: "Als persönlichen Akkusativ hat man die Form īns, īs neu gebildet. So ame tolle Wyb sy Ma cha si …. uf ihs verlah" [So einer tollen Frau ihr Mann kann sich … auf ihns = sie verlassen]" (190). Diese Objektform scheint sich aus dem maskulinem Akkusativpronomen ihn- und dem neutralen Suffix -es bzw. -et zusammenzusetzen. Im Hunsrücker Dialekt von Idar-Oberstein erscheinen solche Nominativ- und Akkusativformen ohne Lautverschiebung: dat Hilde – mer kenne ihnt. Gelegentlich besetzen solche Formen sogar die Subjektposition: ihnt is so alt wie ich (Rosar 2016). Diesen immer nur beiläufig erwähnten Sonderformen ist bislang nicht die Beachtung teilgeworden, die sie verdienen. In Nübling (2017: 193) habe ich diese gemischten Pronomen als "hybrid pronouns" bezeichnet. Ob es sich dabei tatsächlich um solche handelt oder welcher Art dieser Genus/Sexus-Konflikt ist, ist bei genauerem Hinsehen nicht ganz einfach zu beantworten und soll im Vortrag diskutiert werden. Hodler, Werner (1969): Berndeutsche Syntax. Bern. Nübling, Damaris/Busley, Simone/Drenda, Julia (2013): Dat Anna und s Eva – Neutrale Frauenrufnamen in

deutschen Dialekten und im Luxemburgischen zwischen pragmatischer und semantischer Genuszuweisung. In: ZDL 80/2, 152-196.

Nübling, Damaris (2017): Funktionen neutraler Genuszuweisung bei Personennamen und Personenbezeich-nungen im germanischen Vergleich. In: Helmbrecht, Johannes et al. (eds.): Namengrammatik. Linguistische Berichte, Sonderheft 23, 173-211.

Rosar, Anne (2016): Is dat det Heidi? Ich kenn die nit! Weibliche Rufnamen im Neutrum im Dialekt von Idar-Oberstein. Master-Arbeit JGU Mainz.

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Martin Pfeiffer / Peter Auer

Ortsloyalität und Stereotypisierung des Anderen diesseits und jenseits der Grenze im Oberrheingebiet Wie jüngere phonologische Untersuchungen zur sprachlichen Situation entlang der deutsch-französischen Grenze im Oberrheingebiet zeigen, entwickelt sich der Rhein immer mehr zu einer Dialektgrenze (vgl. Auer / Breuninger / Pfeiffer, im Druck). Die Divergenz der Dialekträume ist darauf zurückzuführen, dass das Elsässische mehr oder weniger stabil bleibt, während die alemannischen Dialekte auf der deutschen Seite zunehmend durch Regionaldialekt oder regionalen Standard ersetzt werden. In unserem Beitrag fragen wir danach, ob diese divergente Entwicklung durch die Vorstellungen von/ Einstellungen zur Sprache und den Sprechern (représentations, vgl. Bothorel-Witz 2008) auf der anderen Rheinseite unterstützt werden. Der Vortrag stützt sich auf die inhaltliche Auswertung unserer leitfadengestützten Interviews mit den elsässischen und badischen Gewährspersonen. Im Mittelpunkt stehen die Antworten auf die Interviewfrage "Wenn Sie wegziehen müssten und die Wahl hätten zwischen Freiburg und Dijon (elsässische GP) / Straßburg und Stuttgart (badische GP), wo würden Sie hinziehen?", die in 43 elsässischen und 164 badischen Interviews gestellt wurde. Wir werden zeigen, dass deutliche Unterschiede zwischen den Gewährspersonen hinsichtlich ihrer Ortsloyalität und stereotypen Vorstellungen von den Anderen bestehen. Auer, Peter, Julia Breuninger und Martin Pfeiffer (im Druck): Neuere Entwicklungen des Alemannischen an der

französisch-deutschen Sprachgrenze im Oberrheingebiet. In: Helen Christen, Peter Gilles, Christoph Purschke (Hg.): Räume, Grenzen, Übergänge. Akten des 5. Kongresses der Internationalen Gesellschaft für Dialektologie des Deutschen (IGDD). ZDL Beihefte. Stuttgart: Steiner.

Bothorel-Witz, Arlette (2008): Le plurilinguisme en Alsace: les représentations sociales comme ressources ou outils de la description sociolinguistique. Les Cahiers de L’Acedle 5 (1), 41-63.

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Javier Caro Reina

Alemannisch im Rahmen der Typologie der Silben- und Wortsprachen Die Typologie der Silben- und Wortsprachen erlaubt es, Sprachen und Sprachvarietäten nach der Relevanz der prosodischen Kategorien der Silbe und des phonologischen Wortes zu klassifizieren. Zu den Bereichen, in denen diese Typologie Anwendung gefunden hat, zählen die Sprachvariation und der Sprachwandel. Hinsichtlich der Sprachvariation wurde das alemannische Sprachgebiet von Nübling & Schrambke (2004: 299–304) untersucht, die einen Gegensatz zwischen einem wortsprachlichen Nordalemannisch und einem silbensprachlichen Südalemannisch vorschlagen. Diese Klassifikation hebt sich somit von früheren Einteilungen des alemannischen Sprachgebiets ab, die zwischen Oberrheinalemannisch, Schwäbisch und Südalemannisch unterscheiden (Maurer 1942: 196–213). Sprachhistorisch wurde das Althochdeutsche als eine Silbensprache klassifiziert (Szczepaniak 2007: 57–147). Auf der Arbeit von Nübling & Schrambke (2004) und Szczepaniak (2007) aufbauend werde ich eine synchrone und diachrone Analyse der Phonologie des Alemannischen durchführen. Die synchrone Darstellung beruht auf dem Südwestdeutschen Sprachatlas (SSA) und ausgewählten Ortsgrammatiken. Der diachronen Beschreibung liegt hauptsächlich das Übersetzungswerk Notkers zugrunde (Sehrt & Legner 1955). Die Relevanz der Silbe und des phonologischen Wortes wird anhand folgender Parameter bestimmt: Silbenstruktur, Distribution des Vokal- und Konsonanteninventars und phonologische Prozesse (vgl. Caro Reina & Szczepaniak 2014: 16–20). Die phonologischen Prozesse, die zur Optimierung des phonologisches Wortes beigetragen haben, umfassen u.a. die Vokaltilgung (Apokope und Synkope), die Konsonantenepenthese und die Dezentralisierung von Schwa im Hauptton. Die Ergebnisse der Analyse liefern ein verfeinertes Bild der typologischen Einteilung in Nord- und Südalemannisch. Erstens ist das Südalemannische wortsprachlicher als bisher angenommen. Hiervon zeugen wortsprachliche Merkmale wie Silbenkomplexität, Vokalreduktion im Nebenton und Konsonantenepenthese an den Worträndern. Und zweitens finden sich typologische Unterschiede innerhalb des Nordalemannischen, wobei sich das Schwäbische als wortsprachlicher erweist als das Oberrheinalemannische.

Caro Reina, Javier & Renata Szczepaniak. 2014. Introduction: Syllable and word languages. In Javier Caro Reina & Renata Szczepaniak (Hg.), Syllable and word languages, 8–40. Linguae & Litterae 40. Berlin, Boston: de Gruyter.

Maurer, Friedrich. 1942. Zur Sprachgeschichte des deutschen Südwestens. In Friedrich Maurer (Hg.), Oberrheiner, Schwaben, Südalemannen: Räume und Kräfte im geschichtlichen Aubau des deutschen Südwestens, 167–336. Straßburg: Hünenburg.

Nübling, Damaris & Renate Schrambke. 2004. Silben- versus akzentsprachliche Züge in germanischen Sprachen und im Alemannischen. In Elvira Glaser, Peter Ott & Rudolf Schwarzenbach (Hg.), Alemannisch im Sprachvergleich. Beiträge zur 14. Arbeitstagung für alemannische Dialektologie in Männedorf (Zürich) vom 16.-18.9.2002, 281–320. Zeitschrift für Dialektologie und Linguistik – Beihefte 129. Stuttgart: Steiner.

Sehrt, Edward Henry & Wolfram K. Legner (1955). Notker-Wortschatz. Das gesamte Material. Halle (Saale): Niemeyer.

Szczepaniak, Renata. 2007. Der phonologisch-typologische Wandel des Deutschen von einer Silben- zu einer Wortsprache. Studia Linguistica Germanica 85. Berlin: de Gruyter.

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Tobias Roth

Digitalisierung und Online-Publikation der Originalaufnahmen des Schweizerdeutschen Sprachatlas (SDS)

Der Sprachatlas der deutschen Schweiz (SDS) dokumentiert in acht Bänden auf mehr als 1500 Sprachkarten die alemannischen Mundarten der deutschen Schweiz einschliesslich der Walserdialekte Norditaliens. Der SDS steht nicht nur für sich als ein wichtiges Werk für die schweizerdeutsche Dialektforschung, es bauen auch immer wieder Arbeiten direkt auf ihm auf. Zu nennen sind etwa der Kleine Sprachatlas der deutschen Schweiz (Christen, Glaser & Friedli 2010), der SDS-Karten für ein breiteres Publikum anschaulicher aufbereitet und kommentiert, oder die von Yves Scherrer digitalisierten SDS-Karten und Weiterbearbeitungen davon auf http://dialektkarten.ch. Die SDS-Karten basieren auf direkten Erhebungen bei älteren Gewährspersonen in den Jahren 1939 bis 1957. Seit Fertigstellung des SDS ist das Originalmaterial der Aufnahmen in Form von rund 170'000 handschriftlich beschriebenen Blättern beim Schweizerischen Idiotikon archiviert. Um eine Sicherungskopie zu erhalten und gleichzeitig die Verfügbarkeit für die Forschungsgemeinschaft zu erhöhen, wurde beschlossen, die gesamten Originalaufnahmen zu digitalisieren und anschliessend online zu veröffentlichen (Publikation für 2017 geplant auf https://www.sprachatlas.ch). Das gesamte Material wurde eingescannt. Da es sich um handschriftliche Aufzeichnungen handelt, vornehmlich phonetisch transkribierte Formen und stenographische Notizen, wäre eine Transkription nur manuell mit entsprechend grossem Aufwand möglich. Durchgeführt wurde hingegen die Zuordnung der unverzichtbaren Metadaten Ortspunkt und Fragebuchseite zu den einzelnen Scans. Diese Metadaten konnten halbautomatisch aus dem Material rekonstruiert werden, einerseits aus der Anordnung des Materials heraus, andererseits durch OCR der in Farbe aufgestempelten Ortsnummern und -namen, mit manueller Korrektur von Zweifelsfällen. Bereits diese wenigen Metadaten erlauben eine dynamische Präsentation des digitalisierten Materials online: Neben der Konsultation nach Fragebuchseite und Kanton, so wie das Material physisch archiviert ist, kann gezielt eine bestimmte Fragebuchseite zu einem einzelnen Ortspunkt (Einzelabfrage) oder alle Fragebuchseiten eines Ortspunktes abgefragt werde (Rekonstruktion des ursprünglichen Fragebogens). Das SDS-Originalmaterial ist damit für Forschende von überallher so gut zugänglich wie noch nie und gleichzeitig durch digitale Archivierung gesichert. Rudolf Hotzenköcherle (1962): Sprachatlas der deutschen Schweiz. Einführungsband A: Zur Methodologie der

Kleinraumatlanten. B: Fragebuch. Transkriptionsschlüssel. Aufnahmeprotokolle. Bern: Francke. Sprachatlas der deutschen Schweiz (SDS). Begründet von Heinrich Baumgartner und Rudolf Hotzenköcherle. In Zusammenarbeit mit Konrad Lobeck, Robert Schläpfer, Rudolf Trüb und unter Mitwirkung

von Paul Zinsli, hrsg. von Rudolf Hotzenköcherle (1962–1997). Bände I–VIII. Bern: Francke. Trüb, Rudolf (2003): Sprachatlas der deutschen Schweiz. Abschlussband. Werkgeschichte,

Publikationsmethode, Gesamtregister. Tübingen: Francke. Christen, Helen / Elvira Glaser / Matthias Friedli (Hrsg.) (2013): Kleiner Sprachatlas der deutschen Schweiz. Mit

Karten und Grafiken von Manfred Renn. 5., überarbeitete und erweiterte Auflage. Frauenfeld: Huber.

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Andrea Schamberger-Hirt

Das Bayerische Wörterbuch und seine neuen digitalen Möglichkeiten

Das Bayerische Wörterbuch arbeitet seit Mai 2016 mit dem neuen Redaktionssystem „LexHelfer“, das den Redaktoren die Bearbeitung der ca. 6,5 Millionen Fragebogen-Antworten erleichtert. Seit 1958 sind über 100.000 Fragebögen mit jeweils 60 Fragen an durchschnittlich 400 bis 500 Mundartsprecherinnen und Mundartsprecher in ganz Altbayern versandt worden. Zur Erstellung der Wörterbuchartikel mussten diese Fragebögen bisher alle mühsam händisch durchgeblättert und exzerpiert werden. Mit „LexHelfer“ können nun zunächst die irrelevanten „Nein“- oder Leer-Antworten aussortiert und danach die relevanten Mundartbelege schnell und einfach vorsortiert (nach Frage, Ort, Landkreis, Bezirk) sowie lemmatisiert werden. Auf der neuen Website https://bwb.badw.de sind diese Mundartbelege zudem einer breiten Öffentlichkeit zugänglich. Außerdem können nun die aktuellen Fragebögen, genannt Wörterlisten, auch online ausgefüllt werden. Unter https://bwb.badw.de sind etwa 1.800 bislang unpublizierte Sprachkarten von Eberhard Kranzmayer und Bruno Schweizer aus den 1930er und 40er Jahren einsehbar. Kranzmayer plante einen Bayerisch-Österreichischen Dialektatlas, Schweizer einen Dialektatlas für Altbayern einschließlich Bayerisch-Schwabens. Das Bayerische Wörterbuch kann aufgrund seiner neuen digitalen Möglichkeiten und kleinerer redaktioneller Veränderungen nunmehr mit zwei Lieferungen pro Jahr erscheinen. Publiziert ist bislang die Alphatstrecke A- bis DAM/TAM. Das Arbeitsgebiet des Bayerischen Wörterbuchs umfasst nicht nur Oberbayern, Niederbayern und die Oberpfalz, sondern auch das schwäbisch-bairische Übergangsgebiet im Lechrain und den ostfränkisch-nordbairisch geprägten Nürnberger Raum.

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Yves Scherrer

ArchiMob: Ein multidialektales Korpus schweizerdeutscher Spontansprache Ressourcen für die dialektologische und computerlinguistische Forschung nur begrenzt verfügbar. In diesem Beitrag stellen wir ein frei verfügbares multidialektales Korpus schweizerdeutscher Spontansprache vor. Es besteht aus Transkriptionen von Videointerviews mit Zeitzeugen des Zweiten Weltkriegs in der Schweiz, die im Rahmen des ArchiMob-Projekts (http://www.archimob.ch) vor ca. 15 Jahren aufgenommen wurden. Jedes Interview wird mit einer Gewährsperson geführt und dauert zwischen 1 und 2 Stunden. Die erste Version mit 34 transkribierten Interviews (durchschnittlich 15 500 Wörter pro Aufnahme, insgesamt 500 000 Wörter) ist 2016 veröffentlicht worden (Samardžić et al. 2016); eine zweite Version mit 9 zusätzlichen Interviews ist für Sommer 2017 geplant. Im ersten Teil des Beitrags beschreiben wir, wie die Dokumente transkribiert, segmentiert und mit den Tondaten aligniert wurden, wie wir versuchen, die massive (dialektale, sprecherspezifische und transkriptorenspezifische) Variation mittels einer zusätzlichen Normalisierungsebene zu vereinheitlichen, und wie wir die Daten mit spezifisch angepassten Korpuswerkzeugen zugänglich machen. Im zweiten Teil des Beitrags möchten wir anhand mehrerer Beispiele illustrieren, wie dieses Korpus computerlinguistische und dialektologische Fragestellungen neu beantworten kann: • Die Normalisierung kann mithilfe von Techniken aus der maschinellen Übersetzung

automatisiert werden, mit einer korrekten Normalisierungsrate von bis zu 90%. (Scherrer & Ljubešić 2016).

• Ein Teil der Transkriptionen ist für einen internationalen Wettbewerb benutzt worden, um automatische Dialektidentifizierungssysteme zu evaluieren (Zampieri et al. 2017).

• Anhand der Normalisierungsmodelle können dialektale Unterschiede erkannt und mit existierenden Datenquellen (zum Beispiel dem SDS) verglichen werden.

• Mittels für jedes Interview separat erstellter Sprachmodelle können Distanzmatrizen berechnet werden, die dann mit bekannten dialektometrischen Analysemethoden weiterverarbeitet und visualisiert werden können. Diese Sprachmodelle erlauben uns auch, Transkriptoreneffekte und –inkonsistenzen zu lokalisieren.

Tanja Samardžić, Yves Scherrer & Elvira Glaser (2016): ArchiMob - A corpus of Spoken Swiss German.

Proceedings of LREC 2016, S. 4061-4066, Portorož, Slowenien. Yves Scherrer & Nikola Ljubešić (2016): Automatic normalisation of the Swiss German ArchiMob corpus using

character-level machine translation. Proceedings of KONVENS 2016, S. 248-255, Bochum. Marcos Zampieri, Shervin Malmasi, Nikola Ljubešić, Preslav Nakov, Ahmed Ali, Jörg Tiedemann, Yves Scherrer,

Noëmi Aepli (2017): Findings of the VarDial Evaluation Campaign 2017. Proceedings of the VarDial 2017 Workshop, EACL, Valencia, Spanien.

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Alexandra Schiesser

«je nach dem sägids de e ,weissi’ oder ,e bruini’ bradwurscht» – Zum Gebrauch soziosymbolisch relevanter Dialektmerkmale Vor dem Hintergrund des wahrnehmungsdialektologischen Grundsatzes, dass laienlingu-istische Konzeptualisierungen Sprecher/innen in ihrem Sprachgebrauch steuern (z.B. Preston 2005), interessiert sich vorliegende Studie für zweierlei: Ausgangspunkt bildet die Frage, welche sprachlichen und aussersprachlichen Informationen Sprecher/innen interindividuell mit ihrem Dialektraum in Verbindung bringen. Elizitiert werden diese Informationen mittels Draw-a-map-Tasks, in denen die Proband/innen die von ihnen gezeichneten Dialektkarten erläutern müssen (vgl. Anders 2010, Stoeckle 2014). Die Metakommunikate, die so gewonnen werden, können vor dem Hintergrund einer soziolinguistischen Perspektivierung von Metasprache als diskursiv gewachsen gelten und ermöglichen einen Einblick in die dialektbezogenen Ideologien der Proband/innen (Coupland/Jaworski 2004). Mit Rückgriff auf Oglesbys (1991) Modell dialektaler Entsprechungen werden die laienlinguistischen Metakommunikate an dialektologische Variablen angebunden, da zweitens interessiert, wie der Gebrauch dieser Variablen beschaffen ist, die als soziosymbolisch relevant gelten können: Dass Sprachvariablen, die von der Sprachgemeinschaft eine gewisse Bewertung erfahren, beim Sprachgebrauch eine wichtige Funktion einnehmen können, davon ist die Soziolinguistik seit jeher überzeugt (Chambers 2003, Kristiansen 2004). Unter korrelativ globaler (Gilles 2002) Perspektive wird danach gefragt, inwiefern Muster des Gebrauchs der soziosymbolisch relevanten Variablen an aussersprachliche Grössen wie die Bildung, die Herkunft und die Ortsloyalität der Proband/innen angebunden werden kann; unter konversationell lokaler Perspektive wird danach gefragt, wie die soziosymbolisch relevanten Variablen zu Stilisierungszwecken eingesetzt werden: Wer greift in welcher Situation auf welche Varianten zurück? Was lässt sich diesbezüglich über die Sprecher/innen resp. auch über die sprachlichen Varianten aussagen, die gebraucht werden (Eckert 2000, Eckert 2012)? Den Kontext des Beitrages, einer im Entstehen begriffenen Dissertation, bildet das SNF-Projekt „Länderen: Die Urschweiz als Sprach(wissens)raum“ (Leitung Prof. Helen Christen), in welchem in den Kantonen Ob- und Nidwalden 60 Proband/innen hinsichtlich ihres sprachbezogenen Wissen wie auch ihres aktuellen Sprachgebrauchs befragt wurden. Anders, Christina Ada (2010b): Wahrnehmungsdialektologie. Das Obersächsische im Alltagsverständnis von

Laien. Berlin: De Gruyter. Chambers, Jack K. (2003): Sociolinguistic theory. Linguistic variation and its social significance. 2. ed. Oxford:

Blackwell. Coupland, Nikolas; Jaworski, Adam (2004): Sociolinguistic perspectives on metalanguage: Reflexivity, evaluation

and ideology. In: Nikolas Coupland, Dariusz Galasiński und Adam Jaworski (Hg.): Metalanguage. Social and ideological perspectives. Berlin, New York: Mouton de Gruyter, S. 15–51.

Eckert, Penelope (2000): Language variation as social practice. The linguistic construction of identity in Belten High. Malden, Mass., Oxford: Blackwell.

Eckert, Penelope (2012): Three waves of variation study: The emergence of meaning in the study of variation. Annual Review of Anthropology 41: 87-100.

Gilles, Peter (2002): Zugänge zum Substandard. Korrelativ globale und konversationell lokale Verfahren. In: Jannis Androutsopoulos und Evelyn Ziegler (Hg.): Standardfragen. Soziolinguistische Perspektiven auf Sprachgeschichte, Sprachkontakt und Sprachvariation. Frankfurt am Main: Lang, S. 195-215.

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Kristiansen, Tore (2004): Social meaning and norm-ideals for speech in a Danish community. In: Nikolas

Coupland, Dariusz Galasiński und Adam Jaworski (Hg.): Metalanguage. Social and ideological perspectives. Berlin, New York: Mouton de Gruyter, S. 167–192.

Oglesby, Stefan (1991): Mechanismen der Interferenz zwischen Standarddeutsch und Mundart in der Schweiz. Eine empirische Untersuchung mit Einwohnern der Agglomeration Luzern. Bern u.a.: Lang.

Preston, Dennis (2005): „What is Folk Linguistics? Why should you care?“ In: Lingua Posnaniensis 47, S. 143–162.

Stoeckle, Philipp (2014): Subjektive Dialekträume im alemannischen Dreiländereck. 1., 2014. Hildesheim: Olms.

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Julia Schmitt

Bilektaler Spracherwerb von Südalemannisch und Standarddeutsch. fMRT-Studie zum Textverstehen in verschiedenen deutschen Varietäten und einer Fremdsprache Menschen, die mehrere Sprachen von Geburt an sprechen, zeigen andere neuronale Verarbeitungsstrukturen von Sprachen als Monolinguale (Abutalebi, 2008). Es scheint sogar, als ob das Erlernen von späteren Fremdsprachen für Bilinguale erleichtert sein könnte (Bloch et al., 2009). Darüber hinaus wird nach wie vor darüber debattiert, ob auch andere kognitive Prozesse durch einen bilingualen Hintergrund erleichtert sein könnten (Bialystok, 2009). Im Gegensatz zu der Fülle an neuro- und psycholinguistischen Bilingualismusstudien gibt es so gut wie keine neurokognitive Forschung zu Bilektalen, die eine Standardsprache und einen regionalen Dialekt sprechen. Die wenigen existierenden neurolinguistischen Dialektstudien konzentrieren sich i.d.R. auf phonetische Dialektmerkmale. In einer fMRT-Studie wurde daher die funktionelle Neuroanatomie von Textverstehen in den zwei deutschen Dialekten Südalemannisch und Mittelbairisch, der deutschen Standardsprache und der Fremdsprache Englisch untersucht. 40 Versuchspersonen wurden mithilfe eines speziell für diese Studie entwickelten Dialektfrage-bogens ausgewählt. Die Hälfte davon sprach ausschließlich Standarddeutsch. Die andere Hälfte zusätzlich – von Geburt an – das Südalemannische. Alle hatten in der Schule Englisch als Fremd-sprache erworben. 24 Märchen wurden ausgewählt, übersetzt und von Sprecherinnen des Südale-mannischen, Mittelbairischen, Standarddeutschen und Englischen auf Band gesprochen. Kurze Text-passagen auf Vietnamesisch dienten als Kontrollbedingung. Whole-brain-Analysen für alle Probanden zusammen zeigten Aktivierungen im Extended Language Network (ELN; Ferstl, Neumann, Bogler & Cramon, 2008) für alle verständlichen Bedingungen. Die Fremdsprache Englisch und unbekannte bzw. ungelernte Dialekte führten im Vergleich zu Standard-deutsch zu stärkeren Aktivierungen außerhalb des ELN, bspw. bilateral im Gyrus temporalis superior, dem supplementär motorischen Cortex oder im anterioren Cingulum. Standarddeutsch hingegen führte zu stärkeren Aktivierungen in den bilateralen Gyri angulari oder den beiden aTLs (lobus temporalis anterior). Im Gruppenvergleich zeigte sich, dass die bilektalen Probanden den linken aTL im Vergleich von Standarddeutsch und Südalemannisch für die alemannische Bedingung signifikant stärker aktivierten als die Monolektalen. Die Ergebnisse legen nahe, dass nicht nur Fremdsprachen, sondern auch unbekannte/ungelernte Dialekte zu mehr Aktivierungen in Arealen außerhalb des ELN führen, die Verständnisschwierigkeiten und Unsicherheit widerspiegeln (Abutalebi, 2008). Im Gegensatz dazu zeigten die nativen Varietäten mehr Aktivierung im ELN und dort insbesondere in Arealen, die mit Textverarbeitung auf hohem linguistischem Niveau assoziiert werden (Ferstl et al., 2008). Die geringere Aktivierung der Monolektalen in der alemannischen Bedingung verweist auf Verständnisschwierigkeiten. Die Ergebnisse zeigen, dass bilektale Sprachverarbeitung der von Bilingualen ähnelt und dass insbesondere der linke aTL eine zentrale Rolle bei der Verarbeitung von Muttersprachen bzw. muttersprachlich erworbenen Varietäten spielt.

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Abutalebi, J. (2008). Neural aspects of second language representation and language control. Acta

Psychologica, 128 (3), 466-478. Bialystok, E. (2009). Bilingualism: The good, the bad, and the indifferent. Bilingualism: Language and Cognition,

12 (01), 3-11. Bloch, C., Kaiser, A., Kuenzli, E., Zappatore, D., Haller, S., Franceschini, R. et al. (2009). The age of second

language acquisition determines the variability in activation elicited by narration in three languages in Broca's and Wernicke's area. Neuropsychologia, 47 (3), 625-633.

Ferstl, E. C., Neumann, J., Bogler, C. & Cramon, D. Y. von. (2008). The extended language network: a meta-analysis of neuroimaging studies on text comprehension. Human Brain Mapping, 29 (5), 581-593.

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Christa Schneider und David Bichsel

Can you English? Anglizismen im Berndeutschen

Der Sprachatlas der Deutschen Schweiz (SDS) enthält ca. 1500 Dialektkarten und wurde zwischen 1962 und 1997 in 8 Bänden publiziert. Um das Berner Mittelland sprachlich zu beschreiben, dokumentierten Hotzenköcherle et al. die Dialekte von 20 verschiedenen Orten. Seit den Erhebungen zum SDS wurden die Dialekte des Berner Mittellandes nicht mehr als Ganzes untersucht, es existieren aber Studien zu einzelnen spezifischen Faktoren (z.B. Hodler 1969 zur berndeutschen Syntax, Marti 1976 zur berndeutschen Grammatik oder Siebenhaar 2000 zum Stadtberndeutschen). Auch Studien, die die Akzeptanz und Einbettung von Fremdwörtern in die berndeutschen Dialekte aufzeigen, fehlen bis heute. Meine Forschung thematisiert die Frage, wie sich die Dialekte im Berner Mittelland seit den SDSErhebungen verändert haben und sucht nach Gründen für die vorliegenden Sprachwandel. In dreiteiligen Interviews (Wortliste, Übersetzung und freies Gespräch) werden Daten zu den Dialekten im Untersuchungsgebiet erhoben. An jedem bereits im SDS dokumentierten Ort werden drei Sprecher*innen aus verschiedenen Altersgruppen sowie ein Landwirt oder eine Landwirtin befragt. Die erfragten Variablen entsprechen einer Auswahl aus den Befragungen zum SDS, daneben wurden jedoch auch neue Variablen hinzugefügt, die beispielsweise den Umgang mit Anglizismen im Berndeutschen aufzeigen sollen. Anglizismen, also Elemente aus der englischen Sprache, die in eine andere Sprache

eingeflossen sind, findet man auch im Berndeutschen, beispielsweise das Wort Steak, das

als stɛɪk, ʃtɛik(x) oder ʃti:kx ausgesprochen wird. Die unterschiedliche Realisation dieser Variable ergibt sich aus den folgenden, möglichen Gründen:

1. Phonologische Angleichung des Anglizismus ans Berndeutsche ʃti:kx wie ʃti:f (steif)

2. Englischkenntnissen der Sprecher*innen, wobei davon ausgegangen wird, dass jüngere Sprecher*innen durch ihre ausbildungsbedingten Englischkenntnisse eher gemäss der

englischen Norm realisieren stɛɪk 3. Mischung der beiden obengenannten Gründe ʃtɛik(x) Ob dies der Fall ist und wie es sich bei anderen Variablen verhält, soll an der 19. Arbeitstagung zur Alemannischen Dialektologie dargestellt werden. Baumgartner Heinrich, Hotzenköcherle Rudolf (1962-2003). Sprachatlas der deutschen Schweiz. Bern, Basel:

Francke Verlag Hodler, Werner (1969). Berndeutsche Syntax. Bern: Francke Verlag. Marti, Werner (1985). Berndeutsch-Grammatik für die heutige Mundart zwischen Thun und Jura. Bern: A.

Francke Siebenhaar Beat, Stäheli Fredy, Ris Roland (2000). Stadtberndeutsch : Sprachportrats aus der Stadt Bern.

Murten: Licorne-Verlag

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Christian Schwarz und Philipp Stöckle

Ethnodialektale Räume in der Deutschschweiz

In unserem Vortrag möchten wir die Ergebnisse einer empirischen Studie vorstellen, die wir jüngst von den Standorten Basel und Zürich aus in der deutschsprachigen Schweiz durchgeführt haben. Den forschungstheoretischen Hintergrund dieser Studie bildet die sog. Wahrnehmungs- oder Ethnodialektologie, die sich in den letzten Jahrzehnten als eigener Forschungszweig innerhalb der Soziolinguistik etabliert hat und das subjektive Wissen der Sprachbenutzer zu sprachlicher bzw. dialektaler Variation zum Gegenstand hat. Eine Methode zur Elizitierung dialektbezogenen Laienwissens stellt die Erhebung handgezeichneter Dialektkarten – sog. mental maps – dar. Dabei werden Informanten gebeten, auf einer Grundkarte ihnen bekannte Dialektgebiete einzuzeichnen (vgl. Montgomery & Stoeckle 2013). Diese handgezeichneten Gebiete können dann, je nach Forschungsfrage, durch weitere Kommentare (bspw. zu sprachlichen Besonderheiten, Verständlichkeit oder Ähnlichkeit) charakterisiert werden. Da bislang für das Gebiet der Deutschschweiz nur wenige Studien dieser Art existieren (vgl. Christen et al. 2015, Hofer 2004) und diese einen regional eingeschränkten Fokus haben, bestand das Ziel dieser vom UFSP Sprache und Raum an der Universität Zürich unterstützten Studie darin, ein möglichst umfangreiches Korpus an mental maps (inkl. sprachlicher und evaluativer Charakterisierungen) zum Schweizerdeutschen zu erheben. Die Befragungen dazu, an denen insgesamt 326 Informanten teilnahmen, wurden an den Standorten Basel, Bern und Zürich im Rahmen von universitären Lehrveranstaltungen mit (dialektologisch ungeschulten) Studierenden sowie an verschiedenen Schulen (Berufsschule, gymnasiale Oberstufe) in den Kantonen Aargau, Thurgau und Zürich durchgeführt. Bisher sind die Daten noch nicht abschließend analysiert, jedoch lassen die bereits durchgeführten Untersuchungen einige generelle Strategien erkennen, nach denen die Teilnehmer die schweizerdeutschen Dialekte geographisch gliedern. Besonders prominent treten dabei politische Grenzen wie die Staatsgrenze oder die Kantonsgrenzen hervor. Die Topographie scheint überraschenderweise eine eher untergeordnete Rolle zu spielen. Als weiteres Ergebnis zeichnet sich ab, dass die Kantonsstruktur nicht in Bezug auf alle Teilregionen der Deutschschweiz die subjektive Dialekteinteilung determiniert, sondern sich besonders stark im Gegensatz Zürich-Bern manifestiert und daneben noch zur Identifikation einiger Regionen wie GRAUBÜNDEN oder WALLIS herangezogen wird. Darüber hinaus existieren weitere häufig genannte Dialektraumkonzepte wie ZENTRALSCHWEIZ, INNERSCHWEIZ oder OSTSCHWEIZ, bezüglich derer stärker divergierende Vorstellungen herrschen und deren Detailanalyse, auf die wir in unserem Vortrag ebenfalls eingehen möchten, besonders vielversprechend erscheint. Christen, Helen, Nadja Bucheli, Manuela Guntern & Alexandra Schiesser (2015): Länderen: Die Urschweiz als

Sprach(wissens)raum. In: Roland Kehrein, Alfred Lameli & Stefan Rabanus (Hg.): Regionale Variation des Deutschen. Projekte und Perspektiven. Berlin; Boston: de Gruyter, 621–643.

Hofer, Lorenz (2004): Sprachliche und politische Grenzen im (ehemaligen) Dialektkontinuum des Alemannischen am Beispiel der trinationalen Region Basel (Schweiz) in den Karten von SprecherInnen. Linguistik online 20, 23–46.

Montgomery, Chris & Philipp Stoeckle (2013): Geographic information systems and perceptual dialectology: a method for processing draw-a-map data. Journal of Linguistic Geography 1, 52–85.

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Theresa Schweden

s Meiers und s Müllers Schorsch: Dialektgrammatik der Personennamen in Südwestdeutschland

In Dialektgrammatiken und generell in der Dialektologie werden Onyme oft nur am Rande behandelt. Umgekehrt treten in der Onomastik namengrammatische Aspekte meist hinter etymologischen Fragen zurück. Thematiken der dialektalen Namengrammatik wurden also bisher eher stiefmütterlich behandelt. Ein namengrammatisches Phänomen, das durchaus nicht nur neue Erkenntnisse für die Onomastik erbringt, sondern auch für Morphosyntax und Soziopragmatik interessante Einblicke eröffnet, stellen dialektale Referenzsysteme für abwesende Personen dar, bei denen der Familienname vor dem Rufnamen geführt wird. Sie treten in den meisten deutschen Dialekten auf, zeigen sich aber im südwestdeutschen Raum in besonderer Gestalt: Hier werden sie mit elliptischem Genitivartikel verwendet (z.B. s Schribers Marie (Feldkirch, Vorarlberg)). Aus diesen konservierten synthetischen Genitiven, der letzten Domäne des Genitivs in diesen Dialekten, haben sich elliptische Kollektiva für mehrere Mitglieder einer Familie entwickelt (z.B. Bi s Brandebärge (Zug)). An die Stelle des Genitivartikels kann auch ein nominativischer Artikel treten (z.B. der Aigner Heinl (Tirol)). V.a. im Nordosten Deutschlands erscheinen die onymischen Formen ohne Artikel (z.B. Helzken Fritze (Aken a. d. Elbe)). Neben dem starken Genitiv-s tritt auch das ehemalige schwache Genitivsuffix -e(n) (z.B. Bosche Luile (Albstadt)) oder Nullmarkierung (z.B. der Süppinger Karl (Südbaden)) auf. Bis heute sind diese onymischen Konstruktionen weitestgehend unerforscht, doch können Ortsgrammatiken und Mundartliteratur Aufschluss über Strukturoptionen der Konstruktionen, Verwendungsweisen dieser komplexen Namen, Verteilung der Suffixe und Artikelformen sowie Korrelationen zwischen beiden geben. Aus solchen Zeugnissen geht hervor, dass es sich bei den dialektalen Onymen um Ausdrücke der Zugehörigkeit zur Zuordnung einer Referenzperson zu einer Familie, einem Haus oder einem Familienoberhaupt handelt. Anhand dieser Quellen lässt sich auch nachweisen, dass synthetische Genitive dialektal nicht nur in Eigennamenkonstruktionen konserviert sind, sondern auch in Kombinationen aus Eigennamen und Appellativa (z.B. Śaifrds Gin 'Seiferts Sohn' (Vogtland)), bei eigennamenähnlichen Appellativa (z.B. s Vatters Huus (Schweiz)) – sogar mit starkem Genitivsuffix bei Feminina (z.B. s Mūəedrs Khēnd (Wallis)) – und bei einigen anderen Substantiven.

BACH, Adolf (1952): Die Verbindung von Ruf- und Familiennamen in den deutschen, insbesondereden rheinfränkischen Mundarten. In: MEISEN, K/F. Steinbach/L. Weisgerber (Hrsg.): Rheinische Vierteljahrsblätter 17 (Mitteilungen des Instituts für geschichtliche Landeskundeder Rheinlande an der Universität Bonn: Ludwig Rohrscheid Verlag, S. 66-89.

BERCHTOLD, Simone/DAMMEL, Antje (2014): Kombinatorik von Artikel, Ruf- undFamiliennamen in Varietäten des Deutschen. In: DEBUS, Friedhelm/Rita HEUSER/Damaris NÜBLING (Hrsg.): Linguistik der Familiennamen (Germanistische Linguistik 225-227). Hildesheim, Zürich. New York: Olms und Weidmann, S. 249 280.

NÜBLING, Damaris (2012): Auf dem Weg zu Nicht-Flektierbaren: Die Deflektion der deutschenEigennamen diachron und synchron. In: ROTHSTEIN, BJÖRN (Hrsg.) NichtflektierendeWortarten. Berlin/New York (Reihe Linguistik – Impulse & Tendenzen 47). Berlin/New York: De Gruyter, S. 224-246.

NÜBLING Damaris/Mirjam SCHMUCK (2010): Die Entstehung des s-Plurals bei Eigennamen als Reanalyse vom Kasus- zum Numerusmarker. Evidenzen aus der deutschen undniederländischen Dialektologie. In: Zeitschrift für Dialektologie und Linguistik 77/2, S. 145 182.

SCHMUCK, Mirjam (2011): Vom Genitiv- zum Pluralmarker: Der s-Plural im Spiegel der Familiennamengeographie. In: HEUSER, Rita/Damaris NÜBLING/Mirjam SCHMUCK (Hrsg.): Familiennamengeo-graphie. Ergebnisse und Perspektiven europäischer Forschung. Berlin/NewYork: De Gruyter.

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Erich Seidelmann

Sprachwissen und Spontaneität – Erfahrungen aus der Feldforschung

In neuerer Zeit wurden die Dokumentationen traditioneller Sprachatlanten in mehreren Arbeiten der grundsätzlichen Kritik unterzogen, sie böten auf Grund der angewandten Fragetechnik lediglich veraltetes Beleggut, während der tatsächliche Sprachstand zur Erhebungszeit erst durch spontansprachliche Äußerungen belegt werde. Es wird in diesem Referat in systematischer Auswertung spontanen und evozierten Belegmaterials aus dem Südwestdeutschen Sprachatlas eine differenziertere Belegqualifizierung herausgearbeitet, die auch Kriterien des Sprachbewußtseins und der Normvorstellung berücksichtigt.

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Guido Seiler

Alemannisch im Kontakt: Konvergenz und Divergenz in der Sprachinsel des «Shwitzer» (Indiana, USA) Bei der Entstehung neuer Sprachen sind sehr häufig sowohl Divergenz (Auseinander-entwicklung) als auch Konvergenz (Aufnahme linguistischer Merkmale aus Kontaktsprachen) beteiligt. Während es meist jedoch sehr schwierig ist, die genaue Anatomie von Divergenz- und Konvergenzvorgängen zu bestimmen und die konkreten Auswirkungen von unterschiedlich hohen Kontaktintensitäten zu isolieren, liegt in der Sprachinsel des ‘Shwitzer’ in Indiana (USA) ein einmalig günstige Laboratoriumssituation vor, da entsprechende Vergleichspopulationen existieren. Shwitzer wird von den Nachfahren von Berner Täufern gesprochen, die Mitte des 19. Jahrhunderts eingewandert sind (Bachmann-Geiser & Bachmann-Geiser 1988, Humpa 1996, Meyers & Nolt 2005, Fleischer & Louden 2010). Shwitzer hat seither eine Reihe von Eigenentwicklungen aufzuweisen, in denen es sich vom europäischen Berndeutschen (der ersten Vergleichspopulation) unterscheidet. Zudem und zentral für den vorliegenden Beitrag haben sich innerhalb der Sprachinsel zwei Varietäten ausgebildet, eine mennonitische und eine amische. Dabei weist die amische Varietät zahlreiche Neuerungen auf, wodurch sie von der mennonitischen Varietät (der zweiten Vergleichspopulation) deutlich divergiert. Die meisten dieser Merkmale sind durch den intensiven Kontakt zum Pennsylvaniadeutschen zu motivieren. Der Vortrag verfolgt drei Ziele. Erstens bietet er einen kurzen Überblick über die Entstehung und die aktuelle Situation der Sprachinsel (aufgrund von zwei Feldforschungsaufenthalten). Zweitens sollen die wichtigsten strukturellen Unterschiede zwischen mennonitischem und amischem Shwitzer skizziert werden. Drittens wird die Relevanz der Befunde im allgemeineren Kontext der Kontaktlinguistik diskutiert. Dabei werden wir die Hypothese vorschlagen, dass amisches Shwitzer die Struktur einer Grammatik-Lexikon-Mischsprache aufweist (Thomason 2001, Velupillai 2015), es sich aber anscheinend um die erste als solche beschriebene Mischsprache handelt, deren Elternsprachen (Berndeutsch und Pennsylvaniadeutsch) genetisch und strukturell relativ eng verwandt sind. Bachmann-Geiser, Brigitte & Bachmann-Geiser, Eugen (1988): Amische. Die Lebensweise der Amischen in

Berne, Indiana. Bern: Benteli. Fleischer, Jürg & Louden, Mark (2010): Das Amish Swiss German im nordöstlichen Indiana: eine alemannisch-

pfälzische Mischmundart? In: Alemannische Dialektologie: Wege in die Zukunft, ed. by Christen, Helen et al. (Zeitschrift für Dialektologie und Linguistik, Beiheft 141.) Stuttgart: Steiner. 231–245.

Humpa; Gregory J. (1996): Retention and loss of Bernese Alemannic traits in an Indiana Amish dialect: a comparative-historical study. Unpublished PhD thesis Purdue University.

Meyers, Thomas J. & Nolt, Steven M. (2005): An Amish Patchwork. Indiana’s Old Orders in the Modern World. Bloomington: Indiana University Press.

Thomason, Sarah G. (2001): Language Contact. An Introduction. Washington D.C.: Georgetown UP. Velupillai, Viveka (2015): Pidgins, Creoles and Mixed Languages. An Introduction. Amsterdam/Philadelphia:

Benjamins.

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Beat Siebenhaar

Veränderung der Dialektschreibung in elektronischer Kommunikation

Die 'neuen Medien' sind nicht mehr neu, sie sind schon lange nicht mehr auf junge Sprachteilnehmer_innen aus technikaffinen Tätigkeitsfeldern beschränkt, sondern absolut normaler Bestandteil unseres alltäglichen Kommunikations- und Medienverhaltens. Die Forschung konnte schon vor gut 20 Jahren zeigen, dass v. a. quasisynchronen Kommunikationsformen konzeptionell näher am Mündlichkeitspol liegt (Werry 1996, Dürscheid 2003) und so auch eine Vielzahl regionalsprachlicher Merkmale aufweist. Das hat dazu geführt, dass auf der Basis solch medial schriftlicher Daten dialektologische Untersuchungen durchgeführt wurden (zum Alemannischen u.a.: Kelle 2000; Aschwanden 2001, Burri 2003, Siebenhaar 2003, Frick 2017). Inzwischen liegen für die Deutschschweiz mehrere Datensammlungen elektronischer Kommunikation vor: IRC-Daten 2003-2009 (Siebenhaar 2008), SMS 2009–2011 (Stähli u.a. 2011), WhatsApp-Nachrichten 2014 (Ueberwasser/Stark i. Dr.). Anhand dieser unterschiedlichen Korpora, die aber je einen Dialektanteil von deutlich über 75 % aufweisen, wird im Vortrag der Frage nachgegangen, inwiefern sich die dialektale Schreibung von Laien verändert hat, welche Formen sich etablieren konnten und auch welche Tendenzen sich abzeichnen. Entsprechende Veränderungen, beispielsweise die Verwendung von ‹sh› für ‹sch›, sind dabei kaum auf dialektale Änderungen zurückzuführen, sondern auf das Eingabemedium und auch auf Schreibmoden, in Einzelfällen (l-Vokalisierung) sind aber doch Entwicklungen sichtbar, die auch auf Änderungen der Dialektgrammatik i.w.S. hindeuten.

Aschwanden, Brigitte (2001): "Wär wot chätä?" Zum Sprachverhalten deutschschweizerischer Chatter. Online. (= Networx 24) (http://www.mediensprache.net/networx/networx-24.pdf)

Burri, Gabriela (2003): "Spontanschreibung im Chat". Linguistik online 15, 3: 3–31. (http://www.linguistik-online.com/15_03/burri.pdf)

Dürscheid, Christa (2003): "Medienkommunikation im Kontinuum von Mündlichkeit und Schriftlichkeit. Theoretische und empirische Probleme". Zeitschrift für angewandte Linguistik 38: 37–56.

Frick, Karina (2017): Elliptische Strukturen in SMS. Eine korpusbasierte Untersuchung des Schweizerdeutschen. Berlin / Boston: de Gruyter. (= Empirische Linguistik 7)

Kelle, Bernhard (2000): "Regionale Varietäten im Internet-Chat als Wegbereiter einer regionalen Schriftlichkeit". Deutsche Sprache 4/2000: 357–371.

Siebenhaar, Beat (2003): "Sprachgeographische Aspekte der Morphologie und Verschriftung in schweizerdeutschen Chats". Linguistik online 15: 125–139. (https://bop.unibe.ch/linguistik-online/article/view/818/1412)

Siebenhaar, Beat (2008): "Quantitative Approaches to Linguistic Variation in IRC: Implications for Qualitative Research".

Language@Internet 5: article 4. (http://www.languageatinternet.org/articles/2008/1615/siebenhaar.pdf) Stähli, Adrian, Christa Dürscheid und Marie-José Béguelin (2011): "sms4science: Korpusdaten,

Literaturuberblick und Forschungsfragen". Linguistik online 38: 3–18. Ueberwasser, Simone und Elisabeth Stark (2017): "Whats up, Switzerland? A corpus based research project in

multilingual Switzerland". Zur Publikation eingereicht. Werry, Christopher C. (1996): "Linguistic and interactional features of Internet Relay Chat". In: Herring, Susan C.

(Hg.): Computer-Mediated Communication. Linguistic, Social and Cross-Cultural Perspectives. Amsterdam/Philadelphia: John Benjamins: 47–64. (= Pragmatics & Beyond, new series; 39)

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Augustin Speyer

Zur Verbindung zwischen der Schweizerdeutschen Verbverdopplung und der Schwäbischen ge+Infinitiv-Konstruktion

Eine mit der alemannischen, insbesondere Schweizerdeutschen Verbverdopplung (= SDV; ausführlich dazu Burgmaier 2006) verwandte Konstruktion im Schwäbischen ist der mit Verbalpartikel ge verbundene Infinitiv (= ge-Inf) wie in (1).

(1) a. I gang ge schwimmë (Rottenburg, Kreis TÜ) ich gehe GE schwimmen b. I gang no ge Sach eikaufë. (Rottenburg, Kreis TÜ) ich gehe noch GE Sachen einkaufen

In dem Vortrag wird derFrage nachgegangen, wie der Zusammenhang des ge-Inf mit der SDV ist. Lötscher (1993) entwirft für die SDV ein Szenario, in dem zwei Grammatikalisierungsprozesse einander bedingen: die eigentliche Verbverdopplung und die Herkunft der Partikel aus der Präposition gen. Für den ge-Inf ist die Herkunft aus der Präposition gen sehr viel plausibler (vgl. auch Seidelmann 2000a,b), wie sich am Fehlen von Merkmalen, die für die SDV typisch sind, zeigt (z.B. Einbezug anderer Verben wie kommen), sowie der Existenz anderer konkurrierender Konstruktionen mit Richtungspräpositionen (2).

(2) I gang ins schaffë (Stetten, Kreis ES) ich gehe in-das Schaffen

Dazuhin ist der Grammatikalisierungsgrad deutlich schwächer als in der SDV, und zwar mit wenig arealen Unterschieden (was u.a. daran ersichtlich ist, dass sie positionell eingeschränkter ist und kontextsensitiver ist). Der Grammatikalisierungsprozess weist Ähnlichkeiten zum am-Progressiv auf (dazu s. Ramelli 2016). Eine Hypothese zum Zusammenhang zwischen SDV und ge-Inf ist, dass die SDV, wie der ge-Inf, ursprünglich aus der Präpositiom gen + substantivierter Infinitiv entstanden ist und eine Grammatikalisierung von Nomenpräposition zu Verbalpräposition (wie das zu beim Staus-II-Infinitiv) stattgefunden hat. Im Schweizerdeutschen aber hat (im Gegensatz zum Schwäbischen) eine weitere Reanalyse stattgefunden, in deren Verlauf die Verbalpräposition zu einer reduzierten Infinitivform als Exponent eines aspektuellen Kopfes umkategorisiert wurde, von wo aus per Extension andere semantisch passende Verben als Aspektköpfe rekrutiert werden, wie kommen und anfangen. Diese Prozesse sind also nicht gleichzeitig zu denken (contra Lötscher 1993).

Burgmaier, Markus (2006): I gang go schaffa – Zur Vorkommensweise der Infinitivpartikel ‚go‘ in alemannischen Dialekten. Lizensiatsarbeit, Universität Zürich.

Lötscher, Andreas (1993): Zur Genese der Verbverdopplung bei gaa, choo, laa, aafaa („gehen“, „kommen“, „lassen“, „anfangen“) im Schweizerdeutschen. In: Abraham, Werner & Josef Bayer (Hgg.): Dialektsyntax. Linguistische Berichte Sonderheft 4. Opladen: Westdeutscher Verlag, 180-200.

Ramelli, Christian (2016): Über progressive und konservative Rheinfranken. In: Speyer, Augustin & Philipp Rauth (Hgg.): Syntax aus Saarbrücker sicht 1. ZDL Beiheft 165. Stuttgart: Steiner, 69-90.

Seidelmann, Erich (2000a): Karte III/1.401. Infinitivpartikeln: „ich gehe … essen“ u.ä. Gesamtkarte. In: Knoop, Ulrich, Volker Schupp & Hugo Steger (Hgg.): Kommentare zum südwestdeutschen Sprachatlas. 2. Lieferung. Marburg. 4 S.

Seidelmann, Erich (2000b): Karte III/1.402. Infinitivpartikeln: „es kommt … regnen“ In: Knoop, Ulrich, Volker Schupp & Hugo Steger (Hgg.): Kommentare zum südwestdeutschen Sprachatlas. 2. Lieferung. Marburg. 6 S.

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Andrea Streckenbach

Isoglossen in Real- und Apparent-Time

Anhand zweier Variablen-Beispiele (mhd. ie und Formen von nichts) erläutere ich methodische Möglichkeiten und Probleme bei der Untersuchung von Sprachwandel im Oberrheingebiet (rechtsrheinisch) ab der Zeit der Wenker-Bögen bis in die Gegenwart. Besonderes Augenmerk richte ich auf die Frage, wie sich Real- und Apparent-Time-Analysen über verschiedene Korpora und Teil-Korpora hinweg sinnvoll kombinieren lassen. Ich möchte hierbei eine Vorgehensweise diskutieren, bei der die einzelnen Korpora und Teilkorpora auf einer Zeitachse verortet werden (Chronologisierung), um auf dieser Basis Sprachwandelanalysen vornehmen zu können. Wie sich inzwischen gezeigt hat, verhalten sich einzelne Variablen hinsichtlich ihrer Chronologisierung unterschiedlich. So gibt es Fälle, in denen Datensätze aus Abfragematerial sehr konservativ sind, also sehr weit links auf dem Zeitstrahl zu verorten sind, außerdem solche, in denen die Abfrage der jüngeren Personen sich quasi mit der Spontansprache der nächstälteren Generation deckt. In diesem Vortrag möchte ich zur Überprüfung meiner bisherigen (quantitativen) Beobachtungen auf das Konzept der Isoglosse zurückgreifen. Isoglossen verstehe ich dabei (wie Sprachkarten) als konzeptionelle Modelle, nicht als genaue Abbilder der Realität. Ich möchte zeigen, dass sich über das Konzept der Isoglosse, also über die Betrachtung der räumlichen Verhältnisse bei Sprachwandel (mit recht hohem Abstraktionsgrad), Beobachtungen aus quantitativen Analysen stützen lassen und sich Chronologisierungstypen auch hierüber bestimmen lassen.

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Rebekka Studler

Alter Wein in neuen Schläuchen? Sprachwahrnehmung, Sprachbeurteilung und Sprachhandeln in der Deutschschweiz

Die komplexe Sprachsituation in der Deutschschweiz, die vorwiegend durch das alltägliche Nebeneinander von Schweizerdeutsch und Hochdeutsch geprägt ist, bringt verschiedenste Einstellungen zu den beiden Varietäten hervor. Während dem Dialekt nahezu ausschliesslich positive Gefühle entgegengebracht werden, hat das Hochdeutsche keinen einfachen Stand. Verschiedene Untersuchungen haben gezeigt, dass die überwiegend negativen Einstellungen auf die Wahrnehmung von Hochdeutsch als Leistungssprache der Schule (Sieber/Sitta 1986, Häcki Buhofer/Studer 1993) und das angespannte Verhältnis zu den Deutschen zurückzuführen ist (Schläpfer et al. 1991, Siebenhaar 1994). Da die genannten Studien auf Daten aus den 1980er- und 1990er-Jahren basieren, drängt sich die Frage auf, ob sich die Wahrnehmung und die Beurteilung der beiden Varietäten und deren Implikationen für die Einstellungen in den letzten Jahrzehnten geändert haben. Eine aktuelle Studie basierend auf Daten aus den Jahren 2013/14 nimmt sich dieser Frage an. Das Projekt „Zur Genese von Spracheinstellungen zu Schweizerdeutsch und Hochdeutsch in der Deutschschweiz“ untersucht im Paradigma der direkten Spracheinstellungsforschung laienlinguistische Metasprache, d.h. bewusste Reaktionen und Einstellungsäusserungen (Niedzielski/Preston 2000). In einem Mixed Methods-Design (Teddlie/Tashakkori 2009) werden quantitative und qualitative Daten aus Fragebögen mit 750 Befragten und Indepth-

Interviews analysiert. Der Vortrag präsentiert die wichtigsten Resultate dieser Studie. Es soll zum einen gezeigt werden, wie die Sprachsituation in der Deutschschweiz aktuell wahrgenommen und beurteilt wird und welche Konsequenzen dies für die Spracheinstellungen und das Sprachhandeln hat. Zum anderen sollen die Faktoren in der (Sprach-)Sozialisierung und im Sprachgebrauch identifiziert werden, die dafür verantwortlich zeichnen. Neben der Analyse der gängigen soziolinguistischen Variablen Alter, Geschlecht und Bildung zählen dazu auch Mehrsprachig-keit im weiteren Sinne (Erstsprache, Zweitsprache, Fremdsprachen), Spracherwerbssituation (Erstkontakt, Erwerbsart und Erwerbszeitpunkt der Varietäten, vermitteltes Prestige) sowie die kontextbezogene Sprachverwendung. Die neue Studie bestätigt ausserdem, dass zwar gängige Stereotype bestehen bleiben (vgl. Scharloth 2005, Berthele 2010), dass aber der selbstverständliche Umgang mit der hochdeutschen Varietät dank der zunehmenden Durchdringung in Familie, Beruf und Alltag vermehrt positive Einstellungen hervorruft (vgl. Christen et al. 2010).

Berthele, Raphael (2010): Der Laienblick auf sprachliche Varietäten. Metalinguistische Vorstellungswelten der Deutschschweizerinnen und Deutschschweizer. In: Anders, Christina et al. (Hgg.): Perceptual dialectology – Neue Wege der Dialektologie. Berlin/New York, de Gruyter: 245-267.

Christen, Helen et al. (2010): Hochdeutsch in aller Munde. Eine empirische Untersuchung zur gesprochenen Standardsprache in der Deutschschweiz. Stuttgart: Steiner.

Häcki Buhofer, Annelies/Studer, Thomas (1993): Zur Entwicklung von Sprachdifferenzbewusstsein und Einstellung zu den Varianten des Deutschen in der deutschen Schweiz. In: Iwar Werlen (Hg.): Schweizer Soziolinguistik – Soziolinguistik der Schweiz. Bulletin CILA 58, 179-200.

Niedzielski, Nancy A./ Preston, Dennis R. (2000): Folk Linguistics. Trends in Linguistics. Berlin: de Gruyter.

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Scharloth, Joachim (2005): Asymmetrische Plurizentrizität und Sprachbewusstsein. Einstellungen der

Deutschschweizer zum Standarddeutschen. In: Zeitschrift für Germanistische Linguistik 33.2, 236–267. Schläpfer, Robert et al. (1991): Das Spannungsfeld zwischen Mundart und Standardsprache in der deutschen

Schweiz: Spracheinstellungen junger Deutsch- und Welschschweizer. Aarau: Sauerländer. Siebenhaar, Beat (1994): Regionale Varianten des Schweizerhochdeutschen. Zur Aussprache des

Schweizerhochdeutschen in Bern, Zürich und St. Gallen. In: Zeitschrift für Dialektologie und Linguistik 61: 31-65.

Sieber, Peter/Sitta, Horst (1986): Mundart und Standardsprache als Problem der Schule. Aarau u.a.: Sauerländer.

Teddlie, Charles/Tashakkori, Abbas (2009) : Foundations of Mixed Methods Research: Integration Quantitative and Qualitative Approaches in the Social and Behavioral Sciences. Thousand Oaks: Sage.

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Katrin Würth

Heuslers Gesetz – Neutralisierung unter phonetischer und phonologischer Perspektive In seiner 1888 erschienenen Untersuchung Der alemanische Consonantismus in der Mundart von Baselstadt formuliert Andreas Heusler eine Gesetzmäßigkeit, die später nach ihm benannt wird:

stimmlose Lenis und Fortis bewahren ihre gegensätzliche Natur nur in sonorer Umgebung. Treffen zwei oder mehr stimmlose Laute zusammen, so erhalten ihre Articulationen eine gewisse mittlere Intensität, kräftiger als die der Lenis, etwas schwächer als die der Fortis. Wir können für diese Laute die Bezeichnung ‚neutrale‘ brauchen.

Heusler (1888: 24)

Heuslers Gesetz gilt auch für das Zürichdeutsche (z.B. Weber 1948: 38, Moulton 1986: 386f.): In Obstruentenverbindungen kann der fortis/lenis-Kontrast nicht aufrechterhalten werden. Dabei ist es unerheblich, in welcher Kombination Fortes und Lenes aufeinandertreffen: „In all four patterns, the opposition between fortis and lenis obstruents is neutralized ...“ (Fleischer/Schmid 2006: 248). Auch spielt es keine Rolle, ob die Neutralisierung durch Morphemkonkatenation oder über Wortgrenzen hinaus entsteht.

In meinem Beitrag zeige ich zum einen auf, dass Heuslers Gesetz im Zürichdeutschen eine empirische Grundlage hat. Zur Überprüfung wurde eine Spracherhebung mit 8 Sprechern durchgeführt. Dabei wurden den Sprechern Kontexte vorgelegt, in denen sie Heuslers Gesetz möglichst natürlich realisieren. Die Aufnahmen wurden hinsichtlich der Dauer der Obstruenten ausgewertet, dem gemäß Willi (1995) einzigen phonetischen Korrelat der fortis/lenis-Opposition. Die Ergebnisse bestätigen Heuslers Gesetz: aufeinandertreffende Fortes und Lenes fallen in einem „mittleren“, „neutralen“ Wert zusammen. Dieses Ergebnis wirft zum anderen theoretische Fragen auf. Unter Neutralisierung wird gemeinhin die Aufhebung eines bestehenden Kontrasts „zugunsten des unmarkierten Segments“ verstanden (Hall 2000: 97). Dass der neutralisierte Laut ein „Zwischending“ ist, ist aus phonologischer Sicht nicht unbedingt erwartbar. Zudem legen neuere Arbeiten zur Phonologie von Schweizer Dialekten nahe, die segmentale Unterscheidung in fortis/lenis aufzugeben und stattdessen eine Geminate/Einzelkonsonant- Opposition anzunehmen: „Fortes“ sind nicht nur phonetisch länger (Willi 1995), sondern verhalten sich auch phonologisch wie Geminaten (Spaelti 1994; Würth 2002; Kraehenmann 2003). Da Geminaten sich von Einzelkonsonanten nicht in einem segmentalen Merkmal unterscheiden (Schein/Steriade 1985), kann Neutralisierung nicht über Merkmalswerte erklärt werden. Ich schlage vor, Heuslers Gesetz im Rahmen der Morentheorie (MT, Hayes 1989) zu erklären. In der MT sind Geminaten inhärent moraisch, während Einzelkonsonanten nur an bestimmten Positionen moraisch sein können (sog. weight-by-position, vgl. Hayes 1989). Für diese Positionen sagt MT Neutralisierung voraus. Es wird außerdem diskutiert, inwiefern sich die unterschiedlichen Längen als mora sharing (Broselow et al. 1997) erklären lassen. Broselow, Ellen et al. (1997). Syllable weight: convergence of phonology and phonetics. Phonology 14/1, 47–82. Fleischer, Jürg / Schmid, Stephan (2006). Zurich German. Journal of the IPA 36/2, 243–253.

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Hall, Tracy Alan (2000). Phonologie. Eine Einführung. Berlin/New York: de Gruyter. Hayes, Bruce (1989). Compensatory Lengthening in Moraic Phonology. Linguistic Inquiry 20/2, 253–306. Heusler, Andreas (1888). Der alemannische Consonantismus in der Mundart von Baselstadt. Straßburg: Karl J.

Trübner. Kraehenmann, Astrid (2003). Quantity and Prosodic Asymmetries in Alemannic. Berlin/New York: Mouton. Moulton, William G. (1986). Sandhi in Swiss German dialects. In: H. Andersen (Hrsg.): Sandhi Phenomena in the

Languages of Europe. Berlin [etc.]: Mouton de Gruyter, 385–392. Schein, Barry / Steriade, Donca (1986). On Geminates. In: Linguistic Inquiry 17, 691–744. Spaelti, Philip (1994). Weak edges and final geminates in Swiss German. Ms., University of California, Santa

Cruz. ROA-18. Rutgers Optimality Archive, http://roa.rutgers.edu. Weber, Albert (1948). Zürichdeutsche Grammatik. Zürich: Schweizer Spiegel Verlag. Willi, Urs (1996). Die segmentale Dauer als phonetischer Parameter von ‘fortis’ und ‘lenis’ bei Plosiven im

Zürichdeutschen. Stuttgart: Steiner (= ZDL Beihefte 92). Würth, Kathrin (2002). Zur phonologischen Klassifikation der Fortis/Lenis-Opposition im Zürichdeutschen.

Lizentiatsarbeit, Universität Zürich.

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Urban Zihlmann

Eine phonetische Studie über die Obstruentenneutralisierung im Zürichdeutschen

Alemannische Dialekte haben die typologisch seltene Eigenschaft, keine stimmhafte Obstruenten zu besitzen (für Zürichdeutsch vgl. Fleischer & Schmid 2006:244). Der phonologische Kontrast zwischen fortis und lenis wird durch die absolute Konsonantendauer (Willi 1996:97 ff.) oder Verschlussdauer (Kraehenmann 2001:109-110) realisiert. In gewissen Kontexten wird dieser Konstrast jedoch aufgehoben (Moulton 1986:386-390. Fleischer & Schmid 2006:248-249). Ziel der vorliegenden Studie war, die Wahrnehmung des Fortis-lenis-Kontrastes (bzw. dessen Neutralisierung) anhand von zürichdeutschen Daten zu untersuchen. Dafür wurde das folgende Perzeptionsexperiment erstellt: Zwei Minimalpaare mit einsilbigen, maskulinen Substantiven (Bass [bɒs] ‘Tuba’ vs. Pass [pɒs] ‘Identitätsdokument’ und Dip [dip] ‘Eintunksauce’ vs. Tipp [tip] ‘Hinweis’) wurden ausgewählt und auf ihre Frequenz geprüft, um Familiaritätseffekte zu minimalisieren. Gemäss dem deutschen TenTen Korpus (Sketch Engine), bestehend aus 16,5 Mia Wörtern, kommt Bass 13,0-mal vor pro Mio Wörter, Pass 20,3-mal, Dip 0,9-mal (Summe aus Dip (0,8) und dem häufigen orthografisch falschen *Dipp (0,1)), und Tipp 102,8-mal (Summe aus Tipp (91,0) und dem häufigen orthografisch falschen *Tip (11,8)). Diese Wörter wurden dann in kontextneutrale Trägersätze (siehe (1)) eingesetzt, die sich in Ihrer Artikelbestimmtheit und in Singular/Plural unterschieden, und von einem Muttersprachler aufgenommen.

Elf Deutschschweizer, deren Aufgabe es war, die Obstruenten zu identifizieren, hörten sich die Sätze via Kopfhörer an. Die Ergebnisse in Tab. 1 zeigen, dass die Obstruenten im Plural-bestimmt-Kontext am unzuverlässigsten identifiziert werden konnten. Dies liegt daran, dass der Artikel <d> eine Fusion der Verschlussdauern des Artikels selbst und des wortinitialen Obstruenten provoziert. Das resultierende Segment, unabhängig davon ob es ursprünglich fortis oder lenis war, tönt zwar eher nach fortis, ist jedoch weder wirklich fortis noch lenis (Fleischer & Schmid 206:249). Moulton (1986:386) nannte dies ‘halb-fortis’.

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Dieser Befund weist darauf hin, dass die neutralisierten Obstruenten ohne Kontext nicht voneinander unterschieden werden können. Überraschenderweise zeigen die Resultate auch, dass bilabiale Minimalpaare einfacher zu unterscheiden sind als alveolare, was allerdings auf die ähnlichere Frequenzrate der Wörter zurückzuführen sein könnte.

Fleischer, J., & Schmid, S. (2006). Zurich German. Journal of the International Phonetic Association JIPA, 36

(02), 243-243. doi:10.1017/S0025100306002441. Kraehenmann, A. (2001). Swiss German stops: Geminates all over the word. Phonology, 18, (01), 109-145. Moulton, W. G. (1986). Sandhi in Swiss German dialects. In Andersen, H. (ed.), Sandhi Phenomena in the Languages of Europe, 385–392. Berlin & New York: de Gruyter. Sketch Engine. (n.d.). German TenTen corpus. Retrieved January 10, 2016, from

https://the.sketchengine.co.uk/auth/corpora/ Willi, U. (1996). Die segmentale Dauer als phonetischer Parameter von ‘fortis’ und ‘lenis’ bei Plosiven im Zürichdeutschen. Eine akustische und perzeptorische Untersuchung. Stuttgart: Steiner.

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