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Additive Fertigung durch Selektives Elektronenstrahlschmelzen der Nickelbasis Superlegierung IN718: Prozessfenster, Mikrostruktur und mechanische Eigenschaften Der Technischen Fakultät der Friedrich-Alexander-Universität Erlangen-Nürnberg zur Erlangung des Doktorgrades Dr.-Ing. vorgelegt von Harald E. Helmer aus Schwabach

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Additive Fertigung durch Selektives

Elektronenstrahlschmelzen der Nickelbasis Superlegierung IN718: Prozessfenster, Mikrostruktur

und mechanische Eigenschaften

Der Technischen Fakultät

der Friedrich-Alexander-Universität

Erlangen-Nürnberg

zur

Erlangung des Doktorgrades Dr.-Ing.

vorgelegt von

Harald E. Helmer

aus Schwabach

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II

Als Dissertation genehmigt

von der Technischen Fakultät

der Friedrich-Alexander-Universität Erlangen-Nürnberg

Tag der mündlichen Prüfung: 05.12.2016

Vorsitzende/r des Promotionsorgans: Prof. Dr. Reinhard Lerch

Gutachter/in: Prof. Dr. Robert F. Singer

Prof. Dr. Uwe Glatzel

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III

Vorwort

Die vorliegende Arbeit entstand während meiner Tätigkeit am Lehrstuhl

Werkstoffkunde und Technologie der Metalle (WTM) und am Zentralinstitut für Neue

Materialien und Prozesstechnik (ZMP) der Friedrich-Alexander-Universität Erlangen-

Nürnberg (FAU) im Rahmen des DFG-Projekts B2 der ersten Förderperiode des

Sonderforschungsbereichs Transregio 103 „Vom Atom zur Turbinenschaufel“.

Allen voran möchte ich meinem Doktorvater Herrn Prof. Dr.-Ing. Robert F. Singer

danken. Sein mir entgegengebrachtes Vertrauen und der gemeinsame

wissenschaftliche Diskurs über eine Vielzahl von Fragestellungen hat die vorliegende

Arbeit erst ermöglicht und in großem Maße bereichert. Weiterhin habe ich Frau Prof.

Dr.-Ing. habil. Carolin Körner für die tatkräftige Unterstützung dieser Arbeit zu

danken.

Die Größe der Arbeitsgruppe „Elektronenstrahlbasierte Additive Fertigung“

ermöglichte es wissenschaftliche Fragestellungen über Legierungen und

Legierungsgruppen hinweg zu beleuchten und hierdurch tieferes Verständnis der

physikalischen Eigenheiten des Selektiven Elektronenstrahlschmelzprozesses

(SEBM) zu erlangen. An dieser Stelle habe ich den Kollegen Dr.-Ing. Jan

Schwerdtfeger, M.Sc. Simon Eichler und Dipl.-Ing. Thorsten Scharowsky für

tiefgreifende, fachliche Diskussionen zu danken.

Neben der experimentellen Legierungsvielfalt hat die am Lehrstuhl WTM entwickelte

numerische Simulation weitere Erkenntnisgewinne ermöglicht. Mein besonderer

Dank gilt hier Dipl.-Phys. Fuad Osmanlic und Dipl.-Ing. Andreas Bauereiß. Die enge

Zusammenarbeit mit der Simulation hat einen erheblichen Beitrag zu dieser Arbeit

geleistet.

Weiterhin möchte ich allen meinen Kollegen am WTM, ZMP und NMF für die

kollegiale Zusammenarbeit und angenehme Arbeitsatmosphäre danken.

Ausdrücklich gilt es hier die tatkräftige Unterstützung des technischen Personals zu

erwähnen, ohne die jede experimentelle Arbeit unmöglich wäre. Weiterer Dank gilt

den äußerst hilfsbereiten Sekretariaten am WTM und ZMP, die jede bürokratische

Hürde mit Leichtigkeit gemeistert haben.

Aus meinem privaten Umfeld gilt der größte Danke meiner Frau und meinen Eltern,

die mich in jeder Situation bedingungslos unterstützt haben.

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IV

Abstract

Die Additive Fertigung (AM) weist gegenüber konventionellen Fertigungsverfahren

eine Reihe von Vorteilen auf: erhöhte Konstruktionsfreiheit, kostengünstige

Individualisierbarkeit, reduzierte Lebenszykluskosten und vereinfachte industrielle

Prozessketten. Diese und das zunehmende Angebot an industrietauglichen AM-

Maschinen hat großes Interesse in der Industrie geweckt. Mit Additiven

Fertigungsverfahren, wie dem Selektiven Elektronenstrahlschmelzen (SEBM), lassen

sich komplexe, endkonturnahe Bauteile direkt aus einem in Schichten geschnittenen

CAD-Model aufbauen, in dem schichtweise dünne Lagen metallischen Pulvers

entsprechend der CAD-Information der jeweiligen Schicht mit dem Elektronenstrahl

aufgeschmolzen und konsolidiert werden.

Diese Doktorarbeit beschäftigt sich mit der Prozessqualifizierung und -optimierung

der Legierung IN718 - der am häufigsten eingesetzten Nickelbasis Legierung

weltweit - für den SEBM-Prozess. Es wird ein Prozess- und Eigenschaftsprofil von

SEBM-IN718 erstellt, welches Prozessfenster für eine dichte und rissfreie

Verarbeitung, Wärmebehandelbarkeit, Kornstrukturoptimierung und statische und

dynamische Festigkeiten umspannt und den industriellen Einsatz ermöglicht. Um die

erarbeiteten Prozessfenster auf komplexe Bauteile übertragbar zu machen, wird ein

analytisches Modell auf Basis der thermischen Bedingungen vorgestellt. Die erzielten

Kornstrukturen innerhalb der Prozessfenster sind stark stängelkristallin. Durch den

Einsatz innovativer Scanstrategien wird ein lokaler Wechsel von stängelkristallinen

zu globulitischen Gefügen erzielt. Dieser wird mit der Hilfe von

Elektronenrückstreudiffraktometrie (EBSD) und numerischer Simulation auf einen

scharfen, schichtweisen Wechsel der Wärmestromrichtung zurückgeführt. Für das

stängelkristalline Gefüge zeigen sich weiterhin zum Knetmaterial vergleichbare

statische und dynamische Festigkeiten. Die dynamischen Eigenschaften im

hochzyklischen Bereich sind maßgeblich durch interne Defekte, wie Gasporen und

Einschlüssen, bestimmt. Während die in SEBM-IN718 bruchinitiierenden Gasporen

aus bereits im Pulver eingefrorenen Gasporen resultieren, wird für die vorliegenden

Einschlüsse ein schichtweiser Anreicherung- und Agglomerationsmechanismus auf

Basis der Schmelzbadkonvektion vorgestellt.

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V

Additive Manufacturing (AM) possesses many advantages compared to conventional

manufacturing techniques: increased design freedom, low-cost individualization,

reduced life cycle costs and facilitated industrial process chains. These and the

increasing availability of industrial-suited AM-machines have gained great interest in

the industry. With AM-processes, like Selective Electron Beam Melting (SEBM)

complex near net shape parts can be fabricated directly from a sliced CAD-model by

locally melting and consolidating thin powder layers with an electron beam according

to the CAD information in the specific layer.

This thesis is engaged with the process qualification and optimization of alloy

IN718 - most common nickel base superalloy worldwide - for the SEBM process. A

process and properties profile of SEBM-IN718 was developed ranging from process

windows for dense and crack-free fabrication, to heat treatment, grain structure

optimization and static and dynamic mechanical properties and enabling industrial

application. To transfer the achieved process windows to complex parts, an analytical

model on basis of the thermal conditions is presented. Grain structures in the

process windows are strongly columnar. By innovative scanning strategies the local

grain structure could be altered from columnar to equiaxed (CET). This CET was

linked to a sharp and layer-wise change of the heat flux direction by analysis with

electron beam backscatter diffraction (EBSD) and numerical simulation. For the

columnar grain structure static and dynamic strengths comparable to wrought

material can be achieved. The high cycle fatigue properties are mainly determined by

internal defects like gas pores and inclusions. Gas porosity is known to be connected

to trapped gas pores in the powder particles. For the observed inclusions a new

enrichment and agglomeration mechanism based on melt pool convection is

proposed.

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VI

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VII

Inhaltsverzeichnis

Vorwort ..................................................................................................................... III

Abstract .................................................................................................................... IV

Inhaltsverzeichnis .................................................................................................. VII

Verzeichnis der Formelzeichen und Abkürzungen ................................................ X

1 Motivation und Zielsetzung .............................................................................. 1

2 Literaturübersicht .............................................................................................. 3

2.1 Nickelbasis Superlegierung INCONEL 718 ................................................... 3

2.1.1 Mikrostruktur und Materialverhalten ........................................................ 3

2.1.2 Herstellungsprozesse und Wärmebehandlung ....................................... 7

2.2 Additive Fertigung (AM) ................................................................................. 8

2.2.1 Verfahren mit lokaler Werkstoffzufuhr ..................................................... 8

2.2.2 Pulverbettbasierte Verfahren .................................................................. 9

2.2.3 Scanstrategien ...................................................................................... 11

2.3 Erstarrung in additiven Strahlschmelzverfahren ....................................... 12

2.3.1 Erstarrungsmorphologien ...................................................................... 13

2.3.2 Columnar-to-equiaxed transition ........................................................... 15

2.3.3 Bevorzugte Wachstumsrichtung und Kornselektion .............................. 19

2.3.4 Scanstrategien und Textur .................................................................... 21

2.3.5 Mikrosegregation .................................................................................. 23

2.4 Dynamische Festigkeit ................................................................................. 25

2.4.1 Dauerschwingversuch ........................................................................... 25

2.4.2 Bruchinitiierung und Risswachstum ...................................................... 26

2.4.3 Hochzyklische Ermüdungsfestigkeit in der Additiven Fertigung ............ 28

2.4.4 Linearelastische Bruchmechanik (LEBM) ............................................. 29

3 Experimentelles Vorgehen ............................................................................. 33

3.1 SEBM von INCONEL® 718 ............................................................................ 33

3.1.1 Legierungspulver .................................................................................. 33

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VIII

3.1.2 Prozessqualifizierung ............................................................................ 34

3.1.3 Scanstrategien ...................................................................................... 36

3.2 Probenpräparation ........................................................................................ 37

3.3 Mikrostruktur- und Defektanalyse ............................................................... 37

3.3.1 Lichtmikroskop (LM) .............................................................................. 38

3.3.2 Rasterelektronenmikroskop (REM) ....................................................... 40

3.3.3 Elektronenrückstreudiffraktometrie (EBSD) .......................................... 42

3.3.4 Mikrosonde (EPMA) .............................................................................. 44

3.3.5 Chemische Zusammensetzung............................................................. 44

3.4 Wärmebehandlung ....................................................................................... 45

3.4.1 Dynamische Differenzkalorimetrie (DSC) ............................................. 45

3.4.2 Bestimmung der Lösungsglühtemperatur ............................................. 45

3.5 Mechanische Eigenschaften ........................................................................ 46

3.5.1 Additive Fertigung und Probenfertigung ................................................ 47

3.5.2 Resonanzfrequenzdämpfungsanalyse (RFDA) ..................................... 49

3.5.3 Kalt- und Warmzugversuch ................................................................... 49

3.5.4 Hochzyklischer Ermüdungsversuch (HCF) ........................................... 50

4 Numerisches Vorgehen .................................................................................. 52

5 Ergebnisse und Diskussion ........................................................................... 54

5.1 Prozessfenster für kolumnare Kornstrukturen (CG-IN718) ....................... 54

5.1.1 Aufschmelztiefe ..................................................................................... 56

5.1.2 Globale chemische Zusammensetzung ................................................ 57

5.1.3 Einfluss der thermischen Diffusion auf die Konsolidierung ................... 58

5.2 Schmelzbadgeometrie und Kornstruktur ................................................... 62

5.2.1 Einfluss der Strahlbreite ........................................................................ 63

5.2.2 Einfluss der Scanstrategie .................................................................... 67

5.2.3 Einfluss der Scanmustertiefe ................................................................ 73

5.2.4 Mechanismen der Neukornbildung ....................................................... 75

5.2.5 Entwicklung der Kornstruktur ................................................................ 81

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IX

5.3 Mikrostruktur und Wärmebehandlung ........................................................ 89

5.3.1 Mikrostruktur und thermische Historie ................................................... 89

5.3.2 Thermophysikalische Eigenschaften ..................................................... 93

5.3.3 Auflösung der δ-Phase .......................................................................... 93

5.3.4 Homogenisierung von Mikroseigerungen .............................................. 96

5.3.5 Definition der Lösungsglühung.............................................................. 99

5.4 Mechanische Eigenschaften und Textur .................................................. 100

5.4.1 Kornstruktur von Zug- und Ermüdungsproben .................................... 100

5.4.2 Elastizitätsmodul ................................................................................. 101

5.4.3 Statische Festigkeit ............................................................................. 102

5.5 HCF-Schwellfestigkeit ................................................................................ 105

5.5.1 Mikrostrukturelle Defektarten .............................................................. 105

5.5.2 Hochzyklische Schwellfestigkeit.......................................................... 108

5.5.3 Bruchinitiierungsdefektarten ............................................................... 109

5.5.4 Rissverlauf .......................................................................................... 111

5.5.5 Verarbeitungseinflüsse auf die HCF-Bruchinitiierung .......................... 112

5.5.6 Bruchmechanische Betrachtung der HCF-Schwellfestigkeit ............... 116

6 Zusammenfassung und Ausblick ................................................................ 119

Literaturverzeichnis ............................................................................................. 121

Anhang A. Prozessparameter im Vorheizschritt ................................................ 135

Anhang B. Definition der Strahlbreite ................................................................. 136

Anhang C. Energetische Betrachtung des Aufschmelzprozesses .................. 137

Anhang D. Thermodynamische Simulation ........................................................ 138

Anhang E. Wärmeleitfähigkeit von IN718 und Al2O3 .......................................... 139

Anhang F. Schwellwert des Spannungsintensitätsfaktors ............................... 140

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X

Verzeichnis der Formelzeichen und Abkürzungen

Formelzeichen

Symbol Beschreibung Einheit

𝑎 Kinetischer Parameter für dendritisches Wachstum s/m

𝑎 Risslänge m

𝑎 Thermische Diffusivität m2/s

𝑎 und 𝑏 Halbachsen einer Ellipse m

𝐴 Messfläche m²

𝐵 Mittlere vertikale Sehnenlänge m

𝑐0 Nominelle Zusammensetzung Gew.-%

𝑐𝐶𝑟+𝐹𝑒 Summe der Konzentrationen von Cr und Fe Gew.-%

𝑐𝐿 Konzentration der Schmelze Gew.-%

𝑐𝑁𝑏+𝑇𝑖 Summe der Konzentrationen von Nb und Ti Gew.-%

𝑐𝑆 Konzentration des Festkörpers Gew.-%

𝑐𝑚𝑎𝑥0 Maximale Elementkonzentration im wie gebaut Zustand Gew.-%

𝑐𝑚𝑎𝑥𝑡 Maximale Elementkonzentration im wärmebehandelten Zustand Gew.-%

𝑐𝑚𝑖𝑛0 Minimale Elementkonzentration im wie gebaut Zustand Gew.-%

𝑐𝑚𝑖𝑛𝑡 Minimale Elementkonzentration im wärmebehandelten Zustand Gew.-%

𝑑 Breite des Konzentrationsprofils m

𝑑𝑓 Strahlbreite m

𝑑𝑉 Volumenanteil aller Körner Vol.-%

𝐷𝐿 Diffusionskoeffizient der Schmelze m²/s

𝐸𝐴 Flächenenergie J/m²

𝐸𝐿 Linienenergie J/m

𝐸𝑉 Volumenenergie J/m3

𝑓𝑠 Festphasenanteil -

𝑔 Orientierung eines Korns in Bunge Konvention -

𝐺 Thermischer Gradient K/m

ℎ𝑑 Scanmustertiefe m

ℎ𝑠 Spurabstand m

𝐼 Emittierte Stromstärke A

𝐽𝑂𝐷𝐹 Texturindex -

𝑘 Gleichgewichtsverteilungskoeffizient -

𝑘𝑠 Seigerungsverteilungskoeffizient -

𝐾 Proportionalitätskonstante m3/4 K1/2 s-1/5

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XI

𝐾𝑡 Spannungsintensitätsfaktor -

𝑙𝐴 Aufschmelztiefe m

𝑙𝑠 Scanvektorlänge m

𝑙𝑡ℎ Thermische Diffusionslänge m

𝐿 Mittlere horizontale Sehnenlänge m

𝑛 Kinetischer Parameter für dendritisches Wachstum -

𝑛 Avrami-Exponent -

�⃑� Normalenvektor auf der Erstarrungsfront / Schmelzbadgeometrie -

𝑁 Lastwechselspielzahl -

𝑁 Anzahl an Dendriten in der Messfläche 𝐴 -

N0 Nukleationskeimdichte m-3

𝑂𝐷𝐹(𝑔) Orientierungsdichtefunktion -

𝑝 Prozesskammerdruck N/m²

𝑃 Strahlleistung kg m2 s-3

𝑅 Dendritenspitzenradius m

𝑅 Spannungsverhältnis -

𝑡 Auslagerungszeit s

𝑡𝑟 Rückkehrzeit s

𝑇𝐿 Liquidustemperatur °C

𝑇𝑚 Homologe Temperatur -

𝑇𝐿(𝑥) Liquidustemperatur vor der Erstarrungsfront °C

𝑇𝑆 Solidustemperatur °C

𝑇𝑄(𝑥) Lokale Schmelztemperatur vor der Erstarrungsfront °C

𝑈 Beschleunigungsspannung der Elektronenstrahlkanone V

𝑣 Ablenkgeschwindigkeit des Elektronenstrahls m/s

𝑣ℎ𝑘𝑙⃑⃑ ⃑⃑ ⃑⃑ ⃑⃑ Geschwindigkeitsvektor der bevorzugten Wachstumsrichtung -

𝑣ℎ𝑘𝑙 Geschwindigkeit der bevorzugten Wachstumsrichtung [hkl] m/s

𝑣𝑠 Erstarrungsfrontgeschwindigkeit m/s

𝑣𝑡 Transversale Fortschrittgeschwindigkeit m/s

𝑉 Volumenanteil von Körnern mit einer gewissen Orientierung 𝑔 Vol.-%

𝑊 Ausscheidungsanteil Vol.-%

𝑊0 Equilibriumsausscheidungsanteil Vol.-%

𝑌 Korrekturfaktor des zyklischen Spannungsintensitätsfaktors -

Γ Gibbs-Thomson-Koeffizient K m

𝛿 Restsegregationsindex -

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XII

𝜆1 Primärarmabstand m

𝜆2 Sekundärarmabstand m

∆𝐾𝐼 Zyklischer Spannungsintensitätsfaktor N/m3/2

∆𝐾𝑡ℎ Schwellwert des zyklischen Spannungsintensitätsfaktors N/m3/2

∆𝑇 Unterkühlung °C

Δ𝑇0 Erstarrungsintervall °C

Δ𝑇𝐶 Konstitutionelle Unterkühlung vor der Erstarrungsfront °C

Δ𝑇𝑁 Nukleationsunterkühlung °C

∆𝑇𝑡𝑖𝑝 Unterkühlung an der Dendritenspitze °C

∆𝜎 Zyklische Spannung N/m²

∆𝜎(𝑎) Kritische zyklische Spannung in Abhängigkeit von der Risslänge N/m²

𝜎𝑎 Spannungsamplitude N/m²

𝜎𝐷 Dauerfestigkeit N/m²

𝜎𝑚 Mittelspannung N/m²

𝜎𝑚𝑎𝑥 Maximalspannung in Umgebung einer Kavität N/m²

𝜎𝑛𝑜𝑟𝑚 Normalspannung N/m²

𝜎𝑜 Oberspannung N/m²

𝜎𝑢 Unterspannung N/m²

𝜏 Zeitkonstante s

𝜑 Winkel zwischen Wärmestrom- und Baurichtung °

𝜑𝑚𝑎𝑥 Winkel 𝜑 bei einer Schmelzbadhöhe von 50 µm °

𝜙 Volumenanteil an globulitischen Keimen -

𝜙𝑐 Kritischer Volumenanteil an globulitischen Keimen -

𝜓 Winkel zwischen �⃑� und 𝑣ℎ𝑘𝑙⃑⃑ ⃑⃑ ⃑⃑ ⃑⃑ °

Kristallographische Phasen und Ausscheidungen

Symbol Beschreibung

𝛾 Ungeordnete Matrixphase in Nickelbasis Superlegierungen

𝛾′ Intermetallische Härtungsphase Ni3(Al,Ti)

𝛾′′ Intermetallische Härtungsphase Ni3Nb

𝛿 Intermetallische Sprödphase Ni3Nb

NbC Niobcarbid

TiN Titannitrid

Al2O3 Aluminiumoxid

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XIII

Abkürzungen

Symbol Beschreibung

AM Additive Manufacturing

At.-% Atomprozent

At.-ppm Atom-parts per million

BS Bidirektionales Scanmuster

BSE Backscattered electrons

CET Columnar-to-equiaxed-transition

CG Columnar grained

CGHL Columnar grained by a high line offset

CGHS Columnar grained by a high spot size

CGLS Columnar grained by a low spot size

CNC Computerized Numerical Control

DA Direct-aged

DK Dendritenkern

DSC Differential scanning calorimetry

EBCHR Electron beam cold hearth refining

EBSD Electron backscattered diffraction

EDX Energy dispersive x-ray spectroscopy

EG Equiaxed grained

Gew.-% Gewichtsprozent

Gew.-ppm Gewichts-parts per million

HFW Horizontal field width

ICP-OES Inductively coupled plasma optical emission spectrometry

ID Interdendritischer Bereich

KAV Mittleres Kornaspektverhältnis

LBM Lattice Boltzmann Methode

LM Lichtmikroskop

MUD Multiples of a uniform distribution

PREP Plasma rotating electrode process

REM Rasterelektronenmikroskop

RFDA Resonanzfrequenzdämpfungsanalyse

SE Secondary electrons

SEBM Selective electron beam melting

SLM Selective laser melting

TBV Tiefenbreitenverhältnis

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XIV

TCP Topologically close packed phases

VAR Vacuum arc remelting

ZTU Zeit-Temperatur-Umwandlung

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1 Motivation und Zielsetzung 1

1 Motivation und Zielsetzung

Nach US-Präsident Barack Obama weist das „Additive Manufacturing“ (AM) das

Potential auf, die Art und Weise der industriellen Fertigung gänzlich zu verändern. In

einer Studie von Roland Berger Consultants wird gar eine Vervierfachung des

Marktvolumens in der Additiven Fertigung innerhalb der nächsten 10 Jahre

prognostiziert [Eisenhut2013]. Die positiven Aussichten für die Additive Fertigung

resultieren aus diversen Vorteilen gegenüber den konventionellen

Fertigungsverfahren. Ist in konventionellen Fertigungsverfahren, z.B. im Gießen,

Umformen und Zerspanen, eine Erhöhung der Stückkosten mit zunehmender

Bauteilkomplexität in Abb. 1.1 zu beobachten, so gilt gleiches für AM-Verfahren nicht.

In der Additiven Fertigung werden Bauteile schichtweise und endkonturnah

aufgebaut. In jeder Schicht wird lediglich das zum Bauteil zugehörige Material

erzeugt. Eine Erhöhung der Komplexität führt demnach zu keiner Steigerung der

Stückkosten bzw. Taktzeit. Weiterhin ermöglicht der schichtweise Aufbau eine hohe

Gestaltungsfreiheit. Geometrische Einschränkungen im Gießen oder Umformen

führen häufig zu verfahrensbedingt erhöhten Bauteildicken. Die erhöhte

Gestaltungsfreiheit in AM-Prozessen ermöglicht eine gegenüber den

Bauteilanforderungen angepasste Konstruktion, die durch Materialeinsparung eine

kostengünstige und effiziente Bauteilfertigung bei gleichzeitig erhöhter Komplexität

erlaubt. Der formlose Aufbau in AM-Prozessen führt weiterhin zu einer

kostengünstigen Fertigung von Prototypen und Kleinserien, da hohe

Anschaffungskosten von Guss- oder Schmiedeformen entfallen.

Abb. 1.1: Schematische Darstellung der Stückkosten und Taktzeit für konventionelle und

additive Fertigungsprozesse in Abhängigkeit von der Bauteilkomplexität [Eisenhut2013].

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1 Motivation und Zielsetzung 2

Gerade im Prototypenbau, z.B. in der Automobilindustrie, kommen AM-Verfahren

bereits heute zum Einsatz, tragen sie doch einen signifikanten Beitrag zur

Reduzierung der Entwicklungszyklen bei. Weitere Anwendungsfelder sind die Luft-

und Raumfahrt (Titanlegierungen und Nickelbasis Superlegierungen), der

Werkzeugbau (Stähle) und die Medizintechnik (Titan- und CoCr-Legierungen), in

welchen gerade die Ressourceneffizienz der AM-Prozesse bei der Verarbeitung

kostenintensiver Legierungen einen entscheidenden Vorteil mitbringt. Insbesondere

in pulverbettbasierten AM-Prozessen, wie dem Selektiven

Elektronenstrahlschmelzen (SEBM) und dem Selektiven Laserstrahlschmelzen

(SLM), können Bauteile endkonturnah aufgebaut werden und nicht aufgeschmolzene

Pulverpartikel rezykliert werden.

Trotz des vielseitigen industriellen Einsatzes von AM-Technologien liegen derzeit

gerade hinsichtlich der Prozess-Eigenschaften-Korrelation nur vereinzelte Arbeiten

vor [Thijs2013b, Kunze2015]. Das Ziel der vorliegenden Arbeit ist die

Prozessqualifizierung der Nickelbasis Superlegierung IN718 für das Selektive

Elektronenstrahlschmelzen und die Verbesserung des Prozessverständnisses

hinsichtlich der Gefügeentwicklung und der daraus resultierenden mechanischen

Eigenschaften. Die Legierung IN718 ist eine der am häufigsten eingesetzten

Nickelbasis Superlegierungen und wird aufgrund ihrer guten

Hochtemperaturfestigkeit und Korrosions- und Oxidationsbeständigkeit

beispielsweise in der Luftfahrt als Turbinenscheibenwerkstoff eingesetzt [Huan2012].

IN718 ist bekannt für seine sehr gute Schweißbarkeit und eignet sich folglich

exzellent für das Selektive Elektronenstrahlschmelzen [Henderson2004]. In der

vorliegenden Arbeit werden Prozessfenster für den dichten und rissfreien Aufbau

definiert und die resultierenden Gefüge mit den Prozessbedingungen in Verbindung

gebracht. Dem Einfluss von Scanstrategien mit hohen Ablenkgeschwindigkeiten auf

die Kornstrukturentwicklung wird besonderes Augenmerk zuteil. Ein weiterer

Schwerpunkt der Arbeit stellt die Betrachtung der mechanischen Eigenschaften eines

stängelkristallinen und eines globulitischen Gefüges dar, wobei insbesondere der

Elastizitätsmodul und die statische und dynamische Festigkeit untersucht werden.

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2 Literaturübersicht 3

2 Literaturübersicht

2.1 Nickelbasis Superlegierung INCONEL 718

Die Nickelbasis Superlegierung INCONEL® 718 (IN718, Werkstoffnummer 2.4668)

der Special Metals Corporation wurde in den 50er Jahren entwickelt und ist aufgrund

ihrer guten mechanischen und korrosiven Eigenschaften bei einem moderaten

Materialpreis die Nickelbasis Superlegierungen mit dem größten Produktvolumen

weltweit [Paulonis2001, Schafrik2001]. Anwendung findet IN718 beispielsweise in

der petrochemischen Industrie und im Gas- und Flugzeugturbinenbau. Die guten

mechanischen Festigkeiten resultieren aus der Mischkristallhärtung der Matrix und

der Ausscheidungshärtung auf Basis der Elemente Nb, Ti und Al (vgl. Tab. 2.1).

2.1.1 Mikrostruktur und Materialverhalten

Im Folgenden werden die verschiedenen Phasen und deren Einfluss auf das

Eigenschaftsprofil der Legierung dargestellt.

𝛾-Matrix

Den Hauptbestandteil der Legierung IN718 bildet ein kubisch flächenzentrierter Ni-

Mischkristall - die 𝛾-Matrix - mit hohen Eisen- und Chromanteilen (vgl. Tab. 2.1). Die

korrosive Beständigkeit resultiert aus einem hohen Chromanteil und der damit

verbundenen Ausbildung einer Cr2O3-Deckschicht. Weiterhin tragen die

Legierungselemente Cr, Fe und Mo im Sinne einer Mischkristallhärtung zur hohen

Festigkeit der Legierung bei [Decker1969]. Neben der Mischkristallhärtung wird ein

erheblicher Anteil der guten Warmfestigkeit von IN718 über eine

Ausscheidungshärtung durch die intermetallischen Härtungsphasen 𝛾′ und 𝛾′′

realisiert.

Tab. 2.1: Chemische Zusammensetzung von IN718 in Gew.-% nach [DIN17744].

Elemente /

Ni Cr Fe Ti Nb Mo Al Co C Konzentration

Minimum 50,00 17,00 Bal. 0,65 4,75 2,80 0,20 - -

Maximum 55,90 21,00 Bal. 1,15 5,50 3,30 0,80 1,00 0,08

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2 Literaturübersicht 4

𝛾′-Phase

Die kohärente 𝛾′-Phase mit der Stöchiometrie Ni3(Al,Ti) und einer geordneten L12-

Struktur stellt die übliche Härtungsphase in Nickelbasis Superlegierungen dar und

führt aufgrund hoher Solvustemperaturen zu der außerordentlichen Warmfestigkeit

dieser Legierungsklasse. In IN718 ist der Nb-Gehalt auf Kosten der in Nickelbasis

Superlegierungen üblicherweise hohen Al- und Ti-Gehalte erhöht, so dass sich der

Volumenanteil der 𝛾′-Phase auf lediglich 4-5 Vol.-% begrenzt [Groh1991]. Die 𝛾′-

Phase spielt daher eine eher untergeordnete Rolle in der Festigkeitssteigerung in

IN718.

𝛾′′-Phase

Die 𝛾′′-Phase mit der stöchiometrischen Zusammensetzung Ni3Nb hat mit einem

Phasenanteil von bis zu 14 Vol.-% den größten Anteil an der Festigkeitssteigerung

unter den Ausscheidungsphasen in IN718 [Paulonis1969, Groh1991]. Die Bildung

der 𝛾′′-Phase resultiert aus den im Verhältnis zu anderen Nickelbasis

Superlegierungen erhöhten Nb- und Fe-Gehalten. Quist et al. zeigen an binären Ni-

Nb-Legierungen, dass eine alleinige Erhöhung des Nb-Gehalts bis zu 12 Gew.-% zu

keiner 𝛾′′-Ausscheidung führt. Bei Zugabe von Fe ist eine 𝛾′′-Ausscheidung bei

deutlich geringeren Nb-Gehalten zu beobachten [Quist1971]. Die 𝛾′′-Phase hat eine

tetragonal raumzentrierte Kristallstruktur (D022) und liegt in der 𝛾-Matrix teilkohärent

vor. Die Teilkohärenz führt einerseits zu einer scheibenförmigen Morphologie der

Phase und andererseits zu einer klaren Orientierungsbeziehung zwischen den 𝛾′′-

Ausscheidungen und der 𝛾-Matrix in Gl. (2.1) [Slama2000].

{100}𝛾 ∥ (001)𝛾′′ , ⟨001⟩𝛾 ∥ [100]𝛾′′ (2.1)

𝛿-Phase und Phasenstabilität

Die 𝛿-Phase ist eine orthorhombische Ordnungsphase (D0a), die stöchiometrisch mit

der 𝛾′′-Phase übereinstimmt und inkohärent in der Matrix vorliegt. Die sogenannte

primäre 𝛿-Phase bildet sich während der Erstarrung an Korngrenzen. Bis zu einem

gewissen Gehalt ist die primäre 𝛿-Phase in Schmiedeprozessen erwünscht, da diese

die Korngrenzenmobilität herabsetzt und damit eine effektive Kontrolle der

Kornstruktur im Schmiedeprozess ermöglicht [Muzyka1971]. Die sogenannte

sekundäre 𝛿-Phase ist im Korninneren nach mehreren tausend Stunden bei

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2 Literaturübersicht 5

Einsatztemperaturen oberhalb von 650 °C vorzufinden und nicht erwünscht. Aus

Gründen gleicher stöchiometrischer Zusammensetzung kommt es mit Ausbildung der

𝛿-Phase zu einer Verarmung der Matrix an Nb und damit zu einer Reduzierung des

maximalen 𝛾′′-Phasenanteils. Die sekundäre 𝛿-Phase entsteht bei erhöhten

Temperaturen durch einen Vergröberungsprozess aus der metastabilen 𝛾′′-Phase

und stellt das Ende der Ausscheidungssequenz dar [Kirman1970, Azadian2001]. Mit

der Phasenumwandlung geht ein Verlust der Teilkohärenz einher, so dass die

inkohärente 𝛿-Phase keinen signifikanten festigkeitssteigernden Beitrag liefert

[Slama2000]. Vielmehr ist zum einen ein Festigkeitsverlust durch den im Zuge der

Phasenumwandlung reduzierten 𝛾′′-Phasenanteil und zum anderen eine reduzierte

Duktilität durch die spröden, plattenförmigen 𝛿-Ausscheidungen zu beobachten

[Slama2000].

Die Solvustemperatur der 𝛿-Phase findet sich im ZTU-Diagramm für geschmiedetes

IN718 in Abb. 2.1 bei einer Temperatur von etwa 1020 °C [Radavich1989, Oradei-

Basile1991, Azadian2004, Xie2005b]. In gegossenem IN718 lassen sich nach

Carlson et al. aufgrund erhöhter Nb-Gehalte im interdendritischen Bereich 𝛿-

Solvustemperaturen von bis zu 1050 °C beobachten [Carlson1989].

TCP-Phasen und keramische Einschlüsse

Neben den bereits genannten Phasen finden sich sowohl keramische Teilchen

(Oxide, Nitride, Carbide), als auch TCP-Phasen (topologically closed packed) in der

Mikrostruktur.

Im Zuge geringer Löslichkeit kommt es für die in konventionellen IN718 üblichen

nominellen Sauerstoff-, Stickstoff- und Kohlenstoffkonzentrationen zu einer

Abb. 2.1: ZTU-Diagramm für geschmiedetes

IN718 [Xie2005b]. Bei Temperaturen über

900 °C bildet sich bereits nach wenigen

Minuten 𝛿-Phase an Korngrenzen.

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2 Literaturübersicht 6

Überschreitung der Sättigungskonzentration in der Schmelze und damit zur

Ausscheidung von Oxiden, Nitriden und Carbiden beim Erkalten und/oder Erstarren

der Schmelze. Der in der Schmelze gelöste und der bereits ausgeschiedene Anteil

einer keramischen Verbindung lässt sich im Gleichgewicht mit Hilfe des

Löslichkeitsprodukts 𝐾𝐿 berechnen, welches in Gl. (2.2) für Titannitrid (TiN)

dargestellt ist.

𝐾𝐿 = [𝑐𝑇𝑖 ∙ 𝑓𝑇𝑖] ∙ [𝑐𝑁 ∙ 𝑓𝑁] (2.2)

Hierbei stellt 𝑐𝑖 den in der Schmelze gelösten Anteil und 𝑓𝑖 den Henry Koeffizienten

einer Komponente 𝑖 dar. In Tab. 2.2 finden sich die anhand des Löslichkeitsprodukts

berechneten Sättigungskonzentration der Elemente S, Mg, N und O in IN718 bei 𝑇𝑆

und 𝑇𝐿 [Mitchell1991, Cockcroft1992].

Die einzelnen Ausscheidungsvorgänge beeinflussen sich gegenseitig. Die sich

bereits bei höheren Schmelztemperaturen ausscheidenden Aluminiumoxide (Al2O3)

fungieren als Nukleationspunkte für Titannitride (TiN), die sich erst bei weiterer

Reduzierung der Schmelztemperatur bilden [Cockcroft1992, Mitchell1994b]. Die

Ausscheidungstemperatur ist dabei maßgeblich von der jeweiligen

Elementkonzentration abhängig. So kommt es beispielsweise bei nominellen

Stickstoffgehalten von weniger als 37 Gew.-ppm (parts per million) erst unterhalb von

𝑇𝐿 zur Bildung von TiN [Cockcroft1992].

Für nominelle Stickstoffgehalte von größer als 37 Gew.-ppm stehen TiN ebenfalls als

Keime für die sich während der Erstarrung bildenden Niobcarbide (NbC) zur

Verfügung [Mitchell1994b]. Strondl et al. konnten dieses Verhalten in SEBM-IN718

mit einem nominellen Stickstoffgehalt von 147 Gew.-ppm bestätigen [Strondl2008].

Diese sogenannten primären NbC bilden sich im interdendritischen Bereich, da es

Tab. 2.2: Sättigungskonzentration von S, Mg, N und O bei 𝑇𝑺 und 𝑇𝐿 in IN718 in Gew.-ppm

nach [Mitchell1991] und [Cockcroft1992].

Element /

S Mg N O Sättigungskonzentration

Bei 𝑻𝑺 2 5 5 2

Bei 𝑻𝑳 * * 37 5

* nicht verfügbar.

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2 Literaturübersicht 7

hier im Zuge von Mikroseigerungen (vgl. Kap. 0) lokal zu einer Anreicherung der

Schmelze mit Nb und C kommt [Knorovsky1989, Cieslak1989, Kang2004]. Sobald

die Sättigungskonzentration erreicht ist, scheidet sich NbC aus. Die nun an C

verarmte Schmelze reichert sich wiederum mit Nb an, bis die Bildung eines

Lavesphaseneutektikum den Erstarrungsvorgang beendet [Knorovsky1989].

Die Lavesphase ist als Sprödphase nachteilig für die mechanischen Eigenschaften.

Radhakrishna et al. beobachten für das Elektronenstrahlschweißen einen reduzierten

Lavesphasenanteil bei hohen Erstarrungsgeschwindigkeiten [Radhakrishna1997].

Für das Selektive Elektronenstrahlschmelzen (SEBM) detektieren Strondl et al. keine

Lavesphase [Strondl2008].

2.1.2 Herstellungsprozesse und Wärmebehandlung

Nach dem klassischen Herstellungsprozess durch Vakuuminduktionsschmelzen

(VIM, vacuum induction melting) und Vakuumlichtbogenumschmelzen (VAR, vacuum

arc remelting) finden sich in IN718 Nb-Makrosegregation [Yu1986, Carlson1989], die

häufig sowohl in Schmiede-, als auch Gussteilen verbleiben. Deren Beseitigung bzw.

Minimierung stellt die größte Herausforderung im Herstellungsprozess dar.

Neben den Makroseigerungen liegt das Gefüge nach dem Guss bzw.

Schmiedeprozess in einem ungünstigen Ausscheidungsgrad vor. Der Anteil der

Härtungsphasen ist reduziert und der Anteil der Sprödphasen (𝛿- und Lavesphase)

erhöht [Carlson1989]. IN718 wird daher ausschließlich im wärmebehandelten

Zustand eingesetzt um das volle Potential der Legierung auszuschöpfen.

Wärmebehandlungen für IN718 lassen sich in einen Lösungsglühschritt mit dem Ziel

der Auflösung der Härtungsphasen und Sprödphasen und einen Auslagerungsschritt

mit dem Ziel der homogenen und vollständigen Ausscheidung der Härtungsphasen

unterteilen. Für geschmiedetes IN718 sind zwei etablierte Wärmebehandlungen im

Folgenden dargestellt [ASM Handbook1991]:

Standard Wärmebehandlung (AMS 5664)

In einem einstündigen Lösungsglühschritt bei 1038 - 1066 °C werden die

Härtungsphasen 𝛾′ und 𝛾′′ und die 𝛿-Phase vollständig aufgelöst. Nach der

Luftabkühlung schließt sich eine zweistufige Auslagerung bei 760 °C und

649 °C für jeweils 10 h an. Im Zuge der vollständigen Auflösung der 𝛿-Phase

lassen sich mit dieser Wärmebehandlung grobe Korngefüge einstellen. Diese

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2 Literaturübersicht 8

Wärmebehandlung eignet sich für Hochtemperaturanwendungen unter

Kriechbeanspruchung.

High Strength Wärmebehandlung (AMS 5662)

Im einstündigen Lösungsglühschritt kommt es aufgrund von Temperaturen

von 927 - 1010 °C zu keiner vollständigen Auflösung der 𝛿-Phase, wodurch

das feine Korngefüge aus dem Schmiedeprozess bestehen bleibt. Nach der

Luftabkühlung erfolgt wiederum eine zweistufige Auslagerung bei 718 °C und

621 °C für jeweils 8 h. Die Wärmebehandlung eignet sich insbesondere für

Bauteile, die unter dynamischer Last beansprucht werden.

2.2 Additive Fertigung (AM)

Der Begriff Additive Fertigung (AM, additive manufacturing) beschreibt Verfahren, die

eine endkonturnahe Bauteilfertigung über einen additiven Materialaufbau realisieren.

Allen additiven Fertigungsverfahren sind die rechnergestützte Konstruktion (CAD,

computer-aided-design) und rechnergestützte Fertigung (CAM, computer-aided-

manufacturing) gemein. Erstere stellt die Erstellung eines 3D-Modells der

aufzubauenden Geometrie und Zweitere das Zerlegen dieses Modells in Schichten

konstanter Dicke unter Einbeziehung der Fertigungsinformation (Scanmuster und -

parameter) dar. Die Additive Fertigung von Metallen lässt sich in Verfahren mit

lokaler Werkstoffzufuhr und pulverbettbasierte Verfahren unterteilen.

2.2.1 Verfahren mit lokaler Werkstoffzufuhr

In Verfahren mit lokaler Werkstoffzufuhr (Auftragsschweißen) wird das aufzutragende

Material entweder über einen Pulverstrom oder über einen Draht zugeführt und durch

einen Energiestrahl, meist Laser- oder Ionenstrahl, aufgeschmolzen. Das

Schmelzbad wird durch einen Schutzgasstrom vor Oxidation geschützt, der

gleichzeitig als Transportmedium im Falle pulverförmiger Materialzufuhr genutzt wird.

Der bewegliche Prozesskopf (Material- und Energiequelle) und Bautisch erleichtern

den Aufbau überhängender Strukturen und ermöglichen den Auftrag auf unebenen

Substrukturen. Das Auftragsschweißen eignet sich daher besonders für die

Reparatur von kostspieligen Bauteilen, wie Turbinenschaufeln oder Pressmatrizen

[Gäumann2001, Levy2003, Kelbassa2006, Mokadem2007]. Das aufgetragene

Material weist meist ein feinkörniges Gefüge mit hohen relativen Dichten und zur

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2 Literaturübersicht 9

Guss- oder Schmiederoute vergleichbaren mechanischen Eigenschaften auf

[Qi2012]. Unter genauer Kontrolle der Erstarrungsbedingungen ist ein einkristalliner

Auftrag realisierbar [Gäumann2001, Mokadem2007].

2.2.2 Pulverbettbasierte Verfahren

Die beiden wesentlichen pulverbettbasierten Verfahren sind das Selektive

Laserstrahlschmelzen (SLM, selective laser melting) und das Selektive

Elektronenstrahlschmelzen (SEBM, selective electron beam melting), die sich

fundamental in der verwendeten Wärmequelle, aber geringfügig in ihrem

Funktionsprinzip unterscheiden. Der Schichtaufbau ist in Abb. 2.2 in vier

Prozessschritte unterteilt: Pulverauftrag, globales Beheizen und Versintern der

Pulverschicht (meist nur SEBM), selektives Schmelzen der Bauteilkontur und

des -volumens in der jeweiligen Schicht und Absenken des Bautisches. Dieser

Prozesszyklus wird Schicht für Schicht wiederholt, bis das Bauteil vollständig

aufgebaut ist.

Das globale Beheizen und Versintern des Pulverbetts erfolgt im SEBM-Prozess

ebenfalls mit Hilfe des Elektronenstrahls. Der Strahl wird, um eine oberflächliche

Anschmelzung der Pulverschicht zu vermeiden, stark verbreitert. Die Versinterung

jeder neu applizierten Pulverschicht ist bei Einsatz des Elektronenstrahls eine

notwendige Bedingung für eine erfolgreiche Verarbeitung, da andernfalls eine

explosionsartige Aufwirbelung des Pulverbetts durch elektrostatische Aufladung zu

beobachten ist [Eschey2009]. Im Selektiven Laserstrahlschmelzen ist eine

Temperierung und Versinterung des Pulverbetts üblicherweise nicht erforderlich, wird

aber aus Gründen einer verbesserten Verarbeitbarkeit von rissanfälligen

Werkstoffen, wie hoch 𝛾′-haltigen Nickelbasis Superlegierungen [Hagedorn2013] und

Titanaluminid-Legierungen [Gussone2015] untersucht. Das selektive Schmelzen

erfolgt mit einem fokussierten Strahl, der im SEBM-Prozess über elektromagnetische

Linsen und im SLM-Prozess über mechanische Spiegel abgelenkt wird. Die

Pulverschicht wird dabei unter Rückschmelzung des Substrats bzw. der zuvor

aufgebauten Schicht vollumfänglich aufgeschmolzen, so dass relative Dichten von

nahezu 100 % erzeugt werden können.

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2 Literaturübersicht 10

In beiden Verfahren findet die Verarbeitung innerhalb einer Prozesskammer (vgl.

Abb. 2.3) statt, die entweder evakuiert (SEBM) oder mit Schutzgas durchströmt wird

(SLM). Sowohl die Evakuierung, als auch die Schutzgasströmung dienen dem

Schutz vor Oxidation und Gasaufnahme im Schmelzschritt. Im SEBM-Prozess findet

die Verarbeitung aus Gründen einer besseren Prozessstabilität weiterhin in einer

kontrollierten Heliumatmosphäre (𝑝 = 2x10-3 mbar) bei Bautemperaturen in

Abhängigkeit der Sinterneigung des zu verarbeitenden Metalls statt. In den derzeit

kommerziell erhältlichen SEBM-Anlagen der Fa. Arcam AB (Mölndal, SE) kommt

eine Elektronenstrahlkanone mit einer Beschleunigungsspannung von 60 kV und

einer maximalen Strahlleistung von 3,5 kW zum Einsatz. Im SLM-Prozess kommen

verschiedene Lasertypen, z.B. CO2-, Nd:YAG- und Faserlaser, und Leistungsklassen

von 0,2 - 1 kW zum Einsatz. Namhafte Hersteller sind die Concept Laser GmbH

(Lichtenfels, D), die EOS GmbH (Krailling, D), die Renishaw plc (Wotton-under-Edge,

Abb. 2.2: Schematische Darstellung der Prozessschritte in pulverbettbasierten additiven

Fertigungsprozessen. Ausgehend vom Pulverauftrag wird das Pulverbett mit einem

verbreiterten Strahl beheizt und versintert (nur SEBM-Prozess) und anschließend mit

einem fokussierten Strahl entsprechend der jeweiligen Schichtinformation aus dem CAD-

Modell selektiv geschmolzen. Nach dem Absenken des Bautisches entsprechend der

Schichtdicke beginnt der Zyklus von neuem bis das finale Bauteil aufgebaut ist.

Pulverauftrag

Vorheizen/Versintern (SEBM)

Selektives Schmelzen

Absenken des Bautisches

Bautisch

Pulverbett

Startplatte

Bauteil

Pulverschicht

Versinterung (SEBM)

Rakel

DefokussierterStrahl

FokussierterStrahl

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2 Literaturübersicht 11

UK), die SLM Solutions GmbH (Lübeck, D) und die Trumpf Lasertechnik GmbH

(Ditzingen, D).

2.2.3 Scanstrategien

Der Begriff der Scanstrategie wird unter Betrachtung der selektiven

Strahlschmelzprozesse SLM und SEBM eingeführt. Unter Scanstrategie wird die Art

und Weise verstanden, wie eine Strahlquelle eine applizierte Pulverschicht unter

selektiver Aufschmelzung konsolidiert [Xie2005a, Zaeh2009, Thijs2013a]. In Abb. 2.4

sind die Bestandteile einer Scanstrategie schematisch anhand eines würfelförmigen

Probenkörpers dargestellt. Die quadratische Schmelzfläche wird in einer Schicht von

der Strahlquelle auf sogenannten Scanvektoren mit einer Ablenkgeschwindigkeit 𝑣

abgefahren und unter lokaler Aufschmelzung der Pulverschicht und des Substrats -

des sogenannten Schmelzbades - konsolidiert. Der Abstand zwischen zwei

nebeneinander liegenden Scanvektoren ist als Spurabstand ℎ𝑠 und die Länge eines

Abb. 2.3: Schematische Darstellung einer Selektiven Elektronenstrahlschmelzanlage. Es

ist der schichtweise Aufbau eines Bauteils innerhalb eines Pulverbetts mit Hilfe des

Elektronenstrahls dargestellt. Die mittels einer Rakel neu applizierte Schicht wird nach

einem Heiz- und Sinterschritt selektiv vom Elektronenstrahl geschmolzen. Anschließend

wird der Bautisch gesenkt und der Prozesszyklus beginnt von neuem. Der Prozesszyklus

wiederholt sich bis die letzte Schicht des Bauteils aufgebaut ist.

Bautisch

Pulverbett

Rakel

Startplatte

Bauteil

Pulver-behälter

Elektronen-strahlquelle

Elektro-magnetischeLinsen

Pulver-schicht

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2 Literaturübersicht 12

Scanvektors als Scanvektorlänge 𝑙𝑠 definiert [VDI3405/02]. Es wird zwischen uni-

und bidirektionaler Ausrichtung der Scanvektoren - dem Scanmuster - unterschieden.

Ausgehend von einem im Randbereich der Schmelzfläche liegenden Scanvektor

(gestrichelter Vektor in Abb. 2.4) verläuft der Strahl sukzessive entlang

nachfolgender Scanvektoren bis die Schmelzfläche vollständig konsolidiert ist. In der

darauffolgenden Schicht wird das Scanmuster meist um einen bestimmten Winkel

(im SEBM meist 90°) rotiert. Die Scanmustertiefe ℎ𝑑 ist ein Vielfaches der

Schichtdicke und beschreibt die Anzahl an Schichten bis eine Drehung des

Scanmusters vollzogen wird.

2.3 Erstarrung in additiven Strahlschmelzverfahren

Die Erstarrung metallischer Schmelzen lässt sich in die Schritte Nukleation und

Wachstum von Keimen bzw. Kristalliten unterteilen. Im Folgenden werden

wachstums- und nukleationskontrollierte Modelle aus Feingussverfahren mit

gerichteter Erstarrung und Strahlschmelzverfahren vorgestellt.

Abb. 2.4: Schematische Darstellung der einzelnen Bestandteile einer Scanstrategie in

pulverbettbasierten Strahlschmelzprozessen. Der Strahl verläuft auf Scanvektoren mit

einem uni- und bidirektionalen Scanmuster innerhalb einer Schicht. Die Ausrichtung des

Scanmusters wird meist schichtweise um einen bestimmten Winkel (im SEBM meist 90°)

gedreht. Die Häufigkeit der Drehung wird mit der Scanmustertiefe beschrieben.

Schmelzbad

Bauteil

Konsolidiertes Material

Scanvektor

Pulverschicht

Schmelzfläche

Spurabstand h s

v

Bidirektional Unidirektional

Scanmuster

90°

Beginn des Scanmusters

Schichtdicke

Scanmustertiefe h d

Scanvektorlänge l s

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2 Literaturübersicht 13

2.3.1 Erstarrungsmorphologien

Die Erstarrungsmorphologie von Legierungen ist maßgeblich vom thermischen

Gradienten 𝐺 und der Erstarrungsfrontgeschwindigkeit 𝑣𝑠 beeinflusst. Für additive

Fertigungsprozesse ist eine Wärmeabfuhr über den Festkörper (Substrat bzw.

bereits aufgebaute Schichten) zu beobachten, bei welcher sich je nach Größe der

Unterkühlung nukleationskontrollierte Bereiche mit globulitischer Morphologie oder

wachstumskontrollierte Bereiche mit planarer, gerichtet zellularer oder gerichtet

dendritischer Morphologie unterscheiden lassen [Kurz1998, Gäumann1997,

Mokadem2004a]. Die Zusammenhänge, die zu den unterschiedlichen Morphologien

führen, können vereinfacht anhand eines binären Legierungssystems erklärt werden.

An der Erstarrungsfront (fest-flüssig Phasengrenze) kommt es im Zuge der

Erstarrung zu einer inhomogenen Verteilung der beiden Legierungselemente

zwischen Festkörper und Schmelze. Der Gleichgewichts-Verteilungskoeffizient 𝑘 in

Gl. (2.3) beschreibt die hieraus resultierenden Konzentrationsunterschiede an der

Erstarrungsfront unter Annahme einer linearisierten Solidus- 𝑇𝑆 und

Liquidustemperatur 𝑇𝐿 im Zustandsdiagramm in Abb. 2.5. Dieser berechnet sich aus

dem Verhältnis der Konzentration im Festkörper 𝑐𝑠 und der Konzentration in der

Schmelze 𝑐𝐿 des jeweiligen Elements.

𝑘 =𝑐𝑆𝑐𝐿

(2.3)

Je nach Löslichkeitsverhalten kann 𝑘 Werte größer bzw. kleiner eins annehmen und

führt demnach zu einer Anreicherung im Festkörper bzw. in der Schmelze für das

jeweilige Element. Für den vorliegenden Fall eines binären Zustandsdiagramms

kommt es zu einer Anreicherung des Legierungselements 𝑖 in der Schmelze in

Umgebung der Erstarrungsfront. Die nominelle Zusammensetzung 𝑐0 ist in Abb. 2.5

in direkter Nähe zur Phasengrenze auf 𝑐0/𝑘 erhöht. Dies hat lokal eine veränderte

Liquidustemperatur 𝑇𝐿(𝑥) zur Folge. Liegt nun ein flacher thermischer Gradient 𝐺 an,

kann die lokale Temperatur der Schmelze 𝑇𝑄(𝑥) in Umgebung der Erstarrungsfront

unterhalb 𝑇𝐿(𝑥) fallen, so dass ein konstitutionell unterkühlter Bereich entsteht. Die

Bedingung der konstitutionellen Unterkühlung Δ𝑇𝐶 lässt sich demnach in Gl. (2.4) in

Bezug zur Breite des Konzentrationsprofils 𝑑 und des Erstarrungsintervalls Δ𝑇0

formulieren.

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2 Literaturübersicht 14

𝐺 ≤∆𝑇0

𝑑 (2.4)

Mit 𝑑 = 𝐷𝐿 𝑣𝑠⁄ lässt sich Gl. (2.4) in die übliche Form in Gl. (2.5) überführen, wobei

𝐷𝐿 den Diffusionskoeffizienten der Schmelze darstellt.

𝐺

𝑣𝑠 ≤

∆𝑇0

𝐷𝐿 (2.5)

Für den wachstumskontrollierten Bereich findet sich in Abb. 2.6 für ein konstantes

Verhältnis von 𝐺/𝑣𝑠 eine gleichbleibende Morphologie, die sich aber in ihrer Feinheit

Abb. 2.5: Modell der „columnar-to-equiaxed transition„ (CET) nach Hunt und Gäumann auf

Basis der konstitutionellen Unterkühlung nach Kurz [Kurz1998, Hunt1984]. Für einen

flachen thermischen Gradienten stellt sich vor der Erstarrungsfront ein konstitutionell

unterkühlter Bereich ein, in welchem globulitische Körner heranwachsen können und je

nach Volumenanteil in der kolumnaren Front eingebaut werden oder diese überwachsen.

TL(c )

0

TS(c )0

TL(x)

TL

c0

c /k0

cL

FlüssigFest

c0

c /k0

∆c 0

0

TQ(x)

TS

∆T

0d = /vDL S

Konzentration c

Te

mp

era

tur

TK

onze

ntr

atio

n c

d

∆TC

∆TN

Abstand von der Erstarrungsfront x

Konstitutionell unterkühlter Bereich

Kolumnare Front

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2 Literaturübersicht 15

unterscheiden kann. Als Maß für die Feinheit eignet sich der dendritische

Primärarmabstand 𝜆1. Bei Zunahme des Produkts aus 𝐺 und 𝑣𝑠 - der Abkühlrate -

wird das Gefüge feiner (bzw. 𝜆1 kleiner). Nach Kurz lässt sich 𝜆1 nach Gl. (2.6)

empirisch aus 𝐺 und 𝑣𝑠 berechnen [Kurz1998].

𝜆1 = 𝐾𝐺−0,5𝑣𝑠−0,25

(2.6)

𝐾 =4,3(Δ𝑇0𝐷𝐿Γ)

0,25

𝑘0,25 (2.7)

Die Proportionalitätskonstante 𝐾 kann für Nickelbasis Superlegierungen im

Allgemeinen zu 1440 m0,75K0,5s-0,2 angesetzt werden [Krug1998]. Im Speziellen lässt

sich 𝐾 für die entsprechende Legierung in Gl. (2.7) aus Δ𝑇0, 𝑘, 𝐷𝐿 und dem Gibbs-

Thomson-Koeffizient Γ berechnen.

2.3.2 Columnar-to-equiaxed transition

Im nukleationskontrollierten Bereich wird die kolumnare Erstarrungsfront durch das

Wachstum globulitischer Keime im konstitutionell unterkühlten Bereich unterbrochen.

Dieser Wechsel von einer dendritisch, kolumnaren zu einer dendritisch,

globulitischen Erstarrungsmorphologie (CET, columnar-to-equiaxed transition) wird

seit vielen Jahren in der Literatur kontrovers diskutiert [Winegard1954, O'Hara1967,

Hunt1984, Pollock1996, Kurz2001]. Es lassen sich zwei wesentliche Mechanismen

für die Entstehung von gleichachsigen Körnern herausarbeiten:

Abb. 2.6: 𝐺-𝑣𝑠-Diagramm mit nukleations-

kontrolliertem Bereich mit globulitischer

Erstarrungsmorphologie und wachstums-

kontrollierten Bereichen mit planarer,

gerichtet zellular und dendritischer

Erstarrungsmorphologie nach Kurz

[Kurz1998]. Für 𝐺 𝑣𝑠⁄ = 𝑘𝑜𝑛𝑠𝑡. ist eine

gleichbleibende Morphologie zu

beobachten, die sich aber in ihrer Feinheit

entsprechend der Abkühlrate 𝐺 ∗ 𝑣𝑠

unterscheiden kann.

10-1

100

101 102

103

10-4

10-3

10-2

10-1

100

101

102

globuliti

sch

gericht

et

dendriti

sch

geric

htet z

ellular

planar

CET

G/v =

konst.

G*v = konst.

Thermischer Gradient [K/mm]

Ers

tarr

un

gs

fro

ntg

esc

hw

ind

igk

eit

[mm

/s]

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2 Literaturübersicht 16

1. Heterogene Nukleation in der konstitutionell unterkühlten Schmelze vor der

Erstarrungsfront

2. Fragmentierung von dendritischen Primär-, Sekundär- oder Tertiärarmen im

Zweiphasengebiet

Heterogene Nukleation

Ein CET-Übergang auf Basis einer heterogenen Nukleation in einer konstitutionell

unterkühlten Schmelze wird erstmalig von Winegard und Chalmers diskutiert

[Winegard1954]. In einem ersten analytischen Modell beschreibt Hunt den CET-

Übergang in folgenden Teilschritten (vgl. Abb. 2.5) [Hunt1984]:

1. Nukleation: Spontane Nukleation im konstitutionell unterkühlten Bereich bei

Erreichen der Nukleationsunterkühlung Δ𝑇𝑁 mit der Nukleationskeimdichte N0.

2. Keimwachstum: Wachstum der stationären Keime in Abhängigkeit der

Unterkühlung ∆𝑇 bis zum Zusammentreffen mit der Erstarrungsfront.

3. Geometrische Auswahl: Liegt zum Zeitpunkt des Zusammentreffens mit der

Erstarrungsfront ein Volumenanteil an globulitischen Keimen 𝜙 von größer

49 % vor, kommt es zum CET-Übergang.

Die Berechnung des Keimwachstums erfolgt unter der Annahme stationärer

Bedingungen und eignet sich damit für Prozesse mit langsamer Erstarrung, z. B. für

den Bridgman-Prozess. Gäumann et al. passen das Modell unter Verwendung eines

variablen Konzentrationsfelds auf die Rascherstarrung in Strahlschmelzprozessen an

[Gäumann2001]. Die Unterkühlung an der Dendritenspitze ∆𝑇 wird mit Hilfe des

KGT-Modells (Kurz-Giovanola-Trivedi) berechnet [Kurz1986]. Die analytische Lösung

in Gl. (2.8) wird der nach dem KGT-Modell berechneten Unterkühlung angefittet.

∆𝑇 = ∆𝑇𝑐 = (𝑎 ∗ 𝑣𝑠)1/𝑛 (2.8)

𝑎 und 𝑛 stellen Fit-Parameter dar. Für ∆𝑇 wird ausschließlich ∆𝑇𝑐 herangezogen, da

andere Beiträge zu ∆𝑇, wie die thermische, die kinetische oder die

Krümmungsunterkühlung für die Rascherstarrung nicht relevant sind

[Gäumann1997]. Gleiches gilt für die Nukleationsunterkühlung ∆𝑇𝑁, die gleich Null

gesetzt wird [Gäumann1997]. Für diese Vereinfachung lässt sich das Modell nach

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2 Literaturübersicht 17

Hunt zu einer Beziehung zwischen der Nukleationskeimdichte, dem Volumenanteil

an globulitischen Körnern und den Erstarrungsbedingungen in Gl. (2.9) reduzieren

[Gäumann1997].

𝐺𝑛

𝑣𝑠= 𝑎 {√

−4𝜋𝑁0

3 𝑙𝑛[1 − 𝜙]

3 1

𝑛 + 1}

𝑛

(2.9)

Die Nukleationskeimdichte wird anhand von EBSD-Orientierungskarten

experimenteller Einzelspurversuche ermittelt und als materialspezifischer Parameter

angenommen. Entsprechend dem Modell von Hunt wird bei einem kritischen

Volumenanteil an globulitischen Körnern 𝜙𝑐 von kleiner als 0,66 % von einer

vollständig dendritisch, kolumnaren Erstarrung ausgegangen. Gäumann et al.

erstellen mit Hilfe von Gl. (2.9) Prozesskarten in einer 𝐺-𝑣𝑠-Auftragung nach Abb.

2.6, die die Möglichkeit eines vollständig einkristallinen Materialaufbaus im

Laserauftragsschweißen vorhersagen [Gäumann2001]. Mokadem entwickelt das

Modell nach Gäumann für das Laserauftragsschweißen auf einkristallinen Substraten

mit einer Fehlorientierung zwischen den bevorzugten kristallographischen <100>-

Wachstumsrichtungen und der Baurichtung (BR) weiter. Für eine Reihe von

Prozessparametern versagt das Modell hinsichtlich der Vorhersage des CET-

Übergangs. Die Annahme einer konstanten Nukleationskeimdichte auf Basis

heterogener Nukleation in den Modellen von Hunt und Gäumann wird für teilweise

gegensätzliche Tendenzen zwischen Modell und Experiment verantwortlich gemacht.

Mokadem konstatiert, dass die Nukleationskeimdichte eine Funktion der

Prozessparameter und der geometrischen Aspekte des dendritischen Netzwerks ist

und damit nicht als materialspezifisch erachtet werden kann [Mokadem2004b].

Dendritenfragmentierung

Neben der heterogenen Nukleation auf Basis einer konstanten

Nukleationskeimdichte werden Fragmentierungsmechanismen als Ausgangspunkt

eines CET-Übergangs diskutiert [O'Hara1967, Kou1986, Hellawell1997,

Herlach2001, Liu2002, Mathiesen2006, Ruvalcaba2007]. Dendritische Fragmente

von Sekundär- oder Tertiärarmen können aus dem Zweiphasengebiet in den

konstitutionell unterkühlten Bereich vor der Erstarrungsfront transportiert werden und

die kolumnare Front unterbrechen [Mathiesen2006, Ruvalcaba2007]. Die

Page 32: Additive Fertigung durch Selektives ... · Additive Fertigung durch Selektives Elektronenstrahlschmelzen der Nickelbasis Superlegierung IN718: Prozessfenster, Mikrostruktur und mechanische

2 Literaturübersicht 18

diskutierten Mechanismen lassen sich in mechanische oder konstitutionelle

Fragmentierung untergliedern:

1. Mechanische Fragmentierung: Mechanischer Bruch durch geringe

Festigkeiten des dendritischen Netzwerks im Zweiphasengebiet

2. Konstitutionelle oder thermische Fragmentierung: Abschmelzen dendritischer

Sekundär- und/oder Tertiärarme aus konstitutionellen und/oder thermischen

Gründen

Der Mechanismus der mechanischen Fragmentierung wird erstmalig von O’Hara

vorgeschlagen. O’Hara erkennt eine Kombination aus hohen Konvektionsströmen

und der geringen Festigkeit des dendritischen Netzwerks im Zweiphasengebiet als

ursächlich für einen mechanischen Bruch an [O'Hara1967]. Pilling und Hellawell

können anhand von strömungsmechanischen Berechnungen eine mechanische

Fragmentierung auch bei hohen Strömungsgeschwindigkeiten nicht bestätigen

[Pilling1996]. Billia et al. bestätigen diese Ergebnisse [Billia2004]. Paradies et al.

untersuchen mögliche Fragmentierungsmechanismen an Succinonitril- und Aceton-

Lösungen bei hohen Konvektionsströmen. Es findet sich eine gute Korrelation

zwischen der Fragmentierungsrate und der Strömungsgeschwindigkeit in Umgebung

des Zweiphasengebiets. Die Ursache der Fragmentierung wird ebenfalls nicht in

einer mechanischen, sondern in einer konstitutionellen Initiierung gesehen

[Paradies1997]. Die mechanische Fragmentierung ist demnach nach

übereinstimmenden Berichten unter nicht erzwungener Konvektion als

unwahrscheinlich zu erachten.

Liu und Hellawell untersuchen die konstitutionelle Fragmentierung mit Hilfe von

transparenten SCN-, NH4Cl- und [CH2CN]2-Lösungen auf Wasserbasis

[Hellawell1997, Liu2002]. Die Lösungen erstarren analog zu metallischen

Legierungen in einer dendritischen Morphologie und ermöglichen so eine in-situ

Analyse des Fragmentierungsmechanismus. Für eine kontinuierliche Verlangsamung

der Erstarrungsfrontgeschwindigkeiten 𝑣𝑠 beobachten Liu und Hellawell eine schnelle

Anpassung der Dendritenspitzenradien 𝑅 und Sekundärarmabstände 𝜆2. Die

Primärarmabstände 𝜆1 hinken dieser Anpassung hinterher, so dass es in der Folge

zu einer verstärkten Anreicherung von Lösungsbestandteilen im interdendritischen

Bereich (solute pile-up) kommt. Im Zuge dieser Anreicherung können Liu et al. eine

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2 Literaturübersicht 19

Abschmelzung der Verknüpfung zwischen Primär- und Sekundärarm anhand der

transparenten dendritischen Strukturen sichtbar machen. Der Gehalt an abgelösten

Sekundärarmen nimmt in ihren Experimenten mit zunehmender Verlangsamung von

𝑣𝑠 zu [Liu2002]. Mathiesen et al. untersuchen verschiedene

Fragmentierungsmechanismen in Al-Cu-Legierungen unter konstanten

Erstarrungsbedingungen mit Hilfe einer Synchrotron-Röntgenmikroskopie hinsichtlich

ihrer Wahrscheinlichkeit einen CET-Übergang hervorzurufen. Neben der

Fragmentierungsrate stellen die Position der Fragmentierung im Zweiphasengebiet

und der Transport von Fragmenten in den konstitutionell unterkühlten Bereich für den

CET-Übergang entscheidende Größen dar. Mathiesen et al. konstatieren einer

konstitutionellen Fragmentierung auf Basis eines lokalen solute pile-ups das höchste

Potential für die Ausbildung eines CET-Übergangs [Mathiesen2006].

2.3.3 Bevorzugte Wachstumsrichtung und Kornselektion

Ist die Wachstumsrichtung der planaren und zellularen Erstarrungsmorphologie

maßgeblich von der Richtung des Wärmestroms bestimmt, so lassen sich für eine

dendritische Morphologie bevorzugte Wachstumsrichtungen beobachten. Primäre,

sekundäre und tertiäre dendritische Arme wachsen in kubischen Metallen bevorzugt

in den kristallographischen <100>-Richtungen. In diesen Richtungen liegt aufgrund

der Anisotropie der Grenzflächenenergie die größte Anlagerungsgeschwindigkeit an

der Fest-Flüssig-Phasengrenze vor [Rappaz1986]. Die Orientierung des

Wärmestroms führt während der Erstarrung zur Auswahl von einer der 6

äquivalenten <100>-Richtungen. Die <100>-Richtung mit der geringsten

Fehlorientierung gegenüber dem Wärmestrom weist die höchste

Wachstumsgeschwindigkeit auf und stellt damit die bevorzugte dendritische

Wachstumsrichtung 𝑣ℎ𝑘𝑙 im jeweiligen Korn dar. Die Geschwindigkeit der

bevorzugten Wachstumsrichtung lässt sich unter Gleichgewichtsbedingungen

anhand der geometrischen Beziehung in Gl. (2.10) in Abhängigkeit von der

Isothermengeschwindigkeit 𝑣𝑖𝑠𝑜 bzw. Erstarrungsfrontgeschwindigkeit berechnen

[Rappaz1989].

|𝑣𝑠⃑⃑ ⃑| = |𝑣𝑖𝑠𝑜⃑⃑⃑⃑⃑⃑ ⃑| = |𝑣ℎ𝑘𝑙⃑⃑ ⃑⃑ ⃑⃑ ⃑| cos𝜓 (2.10)

Die Vektoren 𝑣𝑖𝑠𝑜⃑⃑⃑⃑⃑⃑ ⃑ und 𝑣ℎ𝑘𝑙⃑⃑ ⃑⃑ ⃑⃑ ⃑ spannen den Winkel 𝜓 auf. Die Größen sind in Abb. 2.7

für Korn 1 dargestellt.

Page 34: Additive Fertigung durch Selektives ... · Additive Fertigung durch Selektives Elektronenstrahlschmelzen der Nickelbasis Superlegierung IN718: Prozessfenster, Mikrostruktur und mechanische

2 Literaturübersicht 20

In Abb. 2.7 ist weiterhin der Mechanismus der Kornselektion einer dendritischen

Erstarrung zu beobachten. Korn 1 ist gegenüber dem Wärmestrom fehlorientiert. Die

bevorzugte kristallographische Wachstumsrichtung [100] weicht mit einem Winkel 𝜓

von der Wärmestromrichtung bzw. von 𝑣𝑖𝑠𝑜⃑⃑⃑⃑⃑⃑ ⃑ ab. Korn 2 zeigt keine Fehlorientierung

gegenüber dem Wärmestrom. Bei gleicher Unterkühlung ∆𝑇 haben beide Körner eine

identische dendritische Wachstumsgeschwindigkeit 𝑣[100]. Korn 1 muss jedoch

aufgrund der Fehlorientierung eine größere Strecke zurücklegen um der

Liquidusisotherme zu folgen und fällt daher gegenüber Korn 2 in einen Bereich

größerer Unterkühlung ∆𝑇1 bzw. höherer dendritischer Wachstumsgeschwindigkeit

𝑣[100] zurück. Auf dieser zurückgefallenen Position findet Korn 1 stärkere

Unterkühlung vor und kann jetzt mit gleicher 𝑣𝑖𝑠𝑜 folgen. Da nun Korn 2 räumlich vor

Korn 1 liegt, kann Korn 2 unter Ausbildung von Sekundärarmen das Wachstum

korngrenzennaher Primärarme von Korn 1 blockieren. Die Korngrenze verschiebt

sich dadurch zu Gunsten von Korn 2 bis Korn 1 vollständig überwachsen ist

[Walton1959]. Die Kornselektion basiert demnach auf dem Kriterium der minimalen

dendritischen Wachstumsgeschwindigkeit bzw. der minimalen Unterkühlung.

In Korn 1 kann ein weiteres Merkmal einer Fehlorientierung der dendritischen

Wachstumsrichtungen gegenüber dem Wärmestrom detektiert werden. Finden sich

in Korn 2 noch Sekundärarme mit einer symmetrischen räumlichen Ausprägung, so

ist in Korn 1 eine Bevorzugung der Sekundärarme mit der geringsten

Fehlorientierung zum Wärmestrom auszumachen. Die Auswahl basiert wiederum auf

dem Kriterium der minimalen dendritischen Wachstumsgeschwindigkeit.

Abb. 2.7: Schematische Darstellung zweier

Körner mit unterschiedlicher Orientierung

zum Wärmestrom. Korn 1 mit einer

größeren Fehlorientierung der bevorzugten

<100>-Wachstumsrichtung gegenüber dem

Wärmestrom fällt hinter das wohlorientierte

Korn 2 zurück und wird überwachsen

[Walton1959].

∆T1

∆T2

Tem

pe

ratu

r T

T (c )L 0

Q.

[100]

[010]

[10

0]

[001]

Korn 1 Korn 2

[010]

[001]

v[1 0 0 ]

viso

v viso [1 0 0 ]

=

ψ

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2 Literaturübersicht 21

2.3.4 Scanstrategien und Textur

Für den SEBM-Prozess lässt sich meist eine ausgeprägte (100)-Fasertextur mit einer

parallelen Orientierung zur Baurichtung beobachten. Strondl et al. zeigen erstmals

ein stark stängelkristallines Gefüge für die Nickelbasis Superlegierung IN718

[Strondl2009]. Al-Bermani stellen ebenfalls entlang der Baurichtung elongierte 𝛽-

Körner für die Titanlegierung TiAl6V4 fest [Al-Bermani2010]. Antonysamy et al.

bestätigen die Ausprägung einer (100)-Fasertextur für 𝛽-Körner in TiAl6V4 und

führen diese auf ein ebenes Schmelzbad für die verwendeten Prozessparameter

zurück [Antonysamy2013]. Eine Erklärung der beobachteten Fasertextur liefert Abb.

2.8.

In Strahlschmelzverfahren wird durch eine Strahlquelle ein Schmelzbad im Substrat

oder im bereits aufgebauten Material erzeugt. Die geometrische Ausgestaltung des

Schmelzbades wird von den Strahlparametern und den Wärmeleitungs- und

Strömungsbedingungen bestimmt. Das Substrat bzw. bereits aufgebautes Material

fungiert dabei als Wärmesenke und führt zu einer epitaktischen Erstarrung

Abb. 2.8: Schematische Darstellung des schichtweisen Aufbaus in pulverbettbasierten

additiven Fertigungsprozessen am Beispiel des Selektiven Elektronenstrahlschmelzens.

Jede Schicht wird durch ihre Nachfolgende partiell zurückgeschmolzen, so dass das

Schmelzbad auf der Kornstruktur der angeschmolzenen Schicht epitaktisch erstarrt. Für

das dargestellte, ebene Schmelzbad ist der Wärmestrom weitestgehend parallel zur

Baurichtung orientiert, so dass über kompetitives Wachstum die Ausbildung eines

stängelkristallinen Gefüges zu beobachten ist.

Zuvor aufgebaute Schichten

Pulverschicht

Elektronenstrahl

e-

e-

v

Schmelzbad

Partikelgröße

45-105 µm

Schichtdicke = 50 µm

Rückgeschmolzener

Bereich

Wärmestrom

Baurichtung

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2 Literaturübersicht 22

ausgehend von der angeschmolzenen Kornstruktur. Im Zuge der Wärmeabfuhr über

den Festkörper stellt die Normale des Schmelzbadrandes die Richtung des

thermischen Gradienten bzw. des Wärmestroms dar und definiert nach Gl. (2.10) die

bevorzugte kristallographische Wachstumsrichtung in der epitaktisch erstarrenden

Kornstruktur [Rappaz1989]. Für das im SEBM-Prozess meist ebene Schmelzbad ist

der Wärmestrom in Abb. 2.8 weitestgehend parallel zur Baurichtung orientiert. Das

schichtweise epitaktische Aufwachsen auf die in der jeweiligen Schicht

angeschmolzene Kornstruktur ermöglicht im Sinne einer Kornselektion über mehrere

Schichten hinweg die Auswahl von gegenüber dem Wärmestrom günstig orientierten

Körnern, so dass stängelkristalline Kornstrukturen mit [100]-Orientierung gegenüber

der BR zu beobachten sind.

Für den SLM-Prozess wird ebenfalls eine Fasertextur in Baurichtung beobachtet. Es

zeigen sich stängelkristalline Gefüge für die Nickelbasis Superlegierungen

Nimonic263 [Vilaro2012], IN738LC [Rickenbacher2013, Kunze2015], CM247LC

[Carter2014] und IN718 [Strößner2015]. Gleiches gilt für den korrosionsbeständigen

Stahl 316L [Riemer2014] und die 𝛽-Kornstruktur in der Titanlegierung TiAl6V4

[Simonelli2014]. Im SLM-Prozess ist die Fasertextur meist schwächer ausgeprägt als

im SEBM-Prozess. Dies erklärt sich aus den üblicherweise steileren

Schmelzbadflanken in SLM und den damit verbundenen größeren Abweichungen

des Wärmestroms von der BR. Die Schmelzbadgeometrien in SLM und SEBM sind

grundsätzlich von den verwendeten Prozessparametern abhängig. Unter der

Annahme identischer Strahlleistungsdichten lassen sich dennoch Unterschiede

zwischen den Wärmequellen Laser und Elektronenstrahl hinsichtlich der

Energiedeponierung herausarbeiten. Werden Elektronenstrahlen für die in SEBM

verwendete Beschleunigungsspannung von 60 kV in einer Tiefe von einigen

Mikrometern deponiert [Klassen2014a], so liegt die optische Eindringtiefe von

Photonen für die in SLM verwendeten Lasertypen lediglich bei einigen Nanometern.

Aus diesem Grund finden sich bei gleichen Leistungsdichten für SLM deutlich höhere

Oberflächentemperaturen, welche zu höheren Verdampfungsdrücken führen. Die

hieraus resultierende Schmelzbadkonvektion hat eine Vertiefung, aber keine

entsprechende Verbreiterung des Schmelzbades zur Folge, so dass im SLM-Prozess

meist steilere Schmelzbadflanken und eine stärkere Abweichung des Wärmestroms

von der BR zu beobachten sind.

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2 Literaturübersicht 23

Scanmustertiefe und Textur

Die Kornstruktur in additiven Fertigungsprozessen ist weiterhin von der verwendeten

Scanstrategie abhängig. Einen starken Einfluss zeigt die Scanmustertiefe. So lässt

sich für eine schichtweise Drehung des Scanmusters das bereits beschriebene

stängelkristalline Gefüge in der schematischen Zeichnung in Abb. 2.9 a) beobachten.

Die [100]-Richtung der Stängelkristalle ist parallel zur Baurichtung ausgerichtet.

Unterbleibt die schichtweise Drehung, zeigt sich im Laserauftragsschweißen

insbesondere für ein unidirektionales Scanmuster eine stängelkristalline Kornstruktur

mit einer Neigung zur Baurichtung [Dinda2009, Moat2009, Dinda2012, Parimi2014].

Die [100]-Richtung der Stängelkristalle weicht in Abhängigkeit von der

Schmelzbadgeometrie um bis zu 30° von der Baurichtung ab [Dinda2009,

Parimi2014]. Thijs et al. stellen für das Selektive Laserstrahlschmelzen der

Aluminiumlegierung AlSi10Mg bei einer gleichbleibenden Ausrichtung des

Scanmusters ebenfalls ein stängelkristallines Gefüge mit einer gewissen Neigung zur

Baurichtung fest [Thijs2013a]. Die Ausrichtung der Stängelkristalle spiegelt wiederum

die mittlere Orientierung des Wärmestroms über mehrere Schichten hinweg wieder.

Ohne Drehung des Scanmusters ist das Schmelzbad in jeder Schicht identisch

orientiert (vgl. Abb. 2.9 b). Je nach Gestalt des Schmelzbades weicht der

a) b)

Abb. 2.9: Einfluss der Scanstrategie auf die Orientierung der stängelkristallinen

Kornstruktur. Für eine Scanstrategie mit schichtweiser Drehung des Scanmusters zeigen

sich in a) Stängelkristalle mit einer parallelen Orientierung zur Baurichtung. Unterbleibt die

Drehung des Scanmusters, lässt sich ein stängelkristallines Gefüge mit einer Neigung zur

Baurichtung in b) beobachten. Die Vorgänge resultieren aus kompetitivem Wachstum

entsprechend der mittleren Orientierung des Wärmestroms über alle Schichten hinweg.

v

[1

00

]

90°

Schmelzbad

Kornstruktur

v

Schmelzbad

[1

00

]

Kornstruktur 0°

Mittlere Wärme-stromrichtung

Mittlere Kornorientierung

90° SchichtweiserDrehwinkel

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2 Literaturübersicht 24

Wärmestrom nun mehr oder minder von der Baurichtung ab. Über mehrere

Schichten stellt sich durch kompetitives Wachstum ein stängelkristallines Gefüge ein,

welches entsprechend der gleichbleibenden, mittleren Wärmestromrichtung zur

Baurichtung geneigt ist.

2.3.5 Mikrosegregation

Im Zuge der dendritischen Erstarrung von Legierungen kommt es zu einer

Ungleichverteilung von Legierungselementen im Festkörper und in der Schmelze.

Die sich hieraus bildenden Konzentrationsunterschiede sind zwischen Dendritenkern

und interdendritischen Bereich lokalisiert und werden gemeinhin als

Mikrosegregation bezeichnet. Dabei gibt es sowohl Legierungselemente mit einer

erhöhten Löslichkeit im Festkörper (k > 1), als auch mit einer erhöhten Löslichkeit in

der Schmelze (k < 1). Für die so genannte Gleichgewichtserstarrung, die einer

unendlich langsamen Erstarrung entspricht, können die entstehenden

Konzentrationsunterschiede über Festkörperdiffusion bis zur Einstellung der

nominellen Zusammensetzung 𝑐0 aufgelöst werden. Die Gleichgewichtserstarrung ist

aber nur theoretischer Natur, so dass in technischen Prozessen im Zuge der hohen

Abkühlraten Konzentrationsunterschiede im Festkörper verbleiben. Ausgehend von

dieser Beobachtung wurden verschiedene Erstarrungsmodelle entwickelt, die die

Bildung von Mikrosegregation beschreiben [Gulliver1922, Scheil1942, Burton1953,

Tiller1953, Bower1966]. Allen Modellen liegt die Annahme zu Grunde, dass es zu

keiner oder lediglich geringer Festkörperdiffusion während der Erstarrung kommt. Als

Ausgangspunkt gelten demnach die sich auf Basis der Verteilungskoeffizienten

einstellenden Konzentrationen in Festkörper und Schmelze zu Beginn der

Erstarrung. Das Modell von Scheil und Gulliver stimmt qualitativ meist gut mit den

experimentell gefundenen Konzentrationsprofilen überein und hat daher die größte

praktische Relevanz. Unter Annahme vollständiger Konvektion in der Schmelze wird

eine Veränderung der globalen Zusammensetzung der Schmelze im Verhältnis zur

nominellen Zusammensetzung bei fortlaufender Erstarrung bzw. zunehmendem

Festphasengehalt 𝑓𝑠 vorausgesagt. Ausgehend von der Anfangskonzentration 𝑘 ∙ 𝑐0

verläuft die Zusammensetzung des Festkörpers entlang der Soliduslinie und lässt

sich mit Hilfe der Scheil-Gulliver-Gleichung in Gl. (2.11) in Abhängigkeit des

Festphasengehalts 𝑓𝑠 berechnen [Gulliver1922, Scheil1942].

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2 Literaturübersicht 25

𝑐𝑆 = 𝑘𝑐0(1 − 𝑓𝑠)(𝑘−1) (2.11)

Häufig wird bei höheren Festphasenanteilen im Zuge der Mikrosegregation eine

Löslichkeitsgrenze in der Schmelze erreicht, so dass es zu einer eutektischen

Erstarrung kommt.

In Nickelbasis Superlegierungen findet sich eine Vielzahl stark seigernder

Legierungselemente. Um das Seigerungsverhalten jedes einzelnen Elements zu

beschreiben, wird häufig der sogenannte Seigerungs-Verteilungskoeffizient 𝑘𝑠

herangezogen. Dieser berechnet sich aus dem Verhältnis der Konzentration im

Dendritenkern und im interdendritischen Bereich des jeweiligen Elementes

[Sung1999, Caldwell2004]. Der Verteilungskoeffizient des jeweiligen

Legierungselements ist von der Legierungszusammensetzung abhängig [Heckl2010].

In IN718 ist besonders für Nb und Ti eine starke Anreicherung im interdendritischen

Bereich festzustellen [Carlson1989, Cieslak1990]. Andere Legierungselemente

zeigen kein starkes Seigerungsverhalten und verteilen sich demnach gleichmäßig

zwischen Dendritenkern und interdendritischen Bereich.

2.4 Dynamische Festigkeit

Die dynamische Festigkeit oder Ermüdungsfestigkeit hat für rotierende Bauteile in

Flugzeug- und Gasturbinen, wie Turbinenscheiben und -schaufeln, aufgrund der

nieder- und hochzyklischen Belastungen eine hervorgehobene Bedeutung. Die

Ermüdungsfestigkeit beschreibt einen Verformungs- bzw. Versagenswiderstand

gegenüber einer wiederkehrenden zyklischen Beanspruchung. Die Beanspruchung

kann dabei thermischer, mechanischer oder auch thermo-mechanischer Natur sein.

Die auftretenden Spannungen sind dabei meist unterhalb der Fließspannung des

Materials. Dennoch kommt es im Zuge der zyklischen Beanspruchung zu einer

lokalen plastischen Verformung an mikrostrukturellen Defekten im Bauteilinneren und

an der -oberfläche.

2.4.1 Dauerschwingversuch

Der Dauerschwingversuch dient der Bestimmung der Ermüdungsfestigkeit. Es wird

die ertragbare Lastwechselspielzahl 𝑁 bei einer Spannungsamplitude 𝜎𝑎 ermittelt.

Neben der Spannungsamplitude ist der Dauerschwingversuch über die

charakteristischen Größen Mittelspannung 𝜎𝑚, Oberspannung 𝜎𝑜 und

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2 Literaturübersicht 26

Unterspannung 𝜎𝑢 nach DIN50100 definiert [DIN50100]. Die genannten Größen sind

in Abb. 2.10 schematisch dargestellt.

Es lassen sich wechselnde und schwellende Beanspruchung anhand des

Spannungsverhältnisses 𝑅 in Gl. (2.12), dem Verhältnis aus Unter- und

Oberspannung, unterscheiden [DIN50100].

𝑅 =𝜎𝑢

𝜎𝑜 (2.12)

Weiterhin ist eine Einteilung in Nieder- (LCF, low-cycle fatigue) bis 104 Lastwechsel

und Hochzyklische Ermüdung (HCF, high-cycle fatigue) von 105 bis 107 Lastwechsel

üblich. Bei Temperaturen oberhalb 0,4 der homologen Temperatur 𝑇 > 0,4 𝑇𝑚 ist mit

einer Kriechermüdungswechselwirkung zu rechnen, wodurch die Belastungsfrequenz

einen großen Einfluss auf die Ermüdungsfestigkeit zeigt [Bürgel2011]. Die

Ergebnisse des Dauerschwingversuchs werden meist in einer doppellogarithmischen

Auftragung der Spannungsamplitude gegenüber der Lastwechselspielzahl nach

Wöhler dargestellt.

2.4.2 Bruchinitiierung und Risswachstum

Der Ermüdungsvorgang lässt sich in die Teilschritte Rissbildung bzw. -schärfung,

Mikrorisswachstum (Stufe I, II und III) und Restbruch unterteilen. Im hochzyklischen

Bereich ist die Rissbildung der geschwindigkeitsbestimmende Schritt und damit von

besonderer Bedeutung. Die Rissbildung oder auch Bruchinitiierung geht

üblicherweise von folgenden mikrostrukturellen Irregularitäten aus [Murakami2002,

Lange2014]:

Abb. 2.10: Schematische Darstellung

charakteristischer Größen des

Dauerschwingversuchs im Zugschwell-

bereich nach DIN50100 [DIN50100].

Page 41: Additive Fertigung durch Selektives ... · Additive Fertigung durch Selektives Elektronenstrahlschmelzen der Nickelbasis Superlegierung IN718: Prozessfenster, Mikrostruktur und mechanische

2 Literaturübersicht 27

- Keramische Einschlüsse

- Kavitäten, z.B. Poren und Lunker

- Korn- und Zwillingskorngrenzen

- Persistente Ermüdungsgleitbänder

Gleitbänder entstehen im Zuge der zyklischen Belastung und können in

Ermangelung anderer mikrostruktureller Defekte ausgehend von Ex- und Intrusionen

an der Bauteiloberfläche eine Bruchinitiierung hervorrufen. Andere mikrostrukturelle

Defekte sind eine Folge des Herstellungs- und/oder Verarbeitungsprozesses und

führen zu einer lokalen Spannungsüberhöhung in ihrer Umgebung. Die Größe der

Spannungsüberhöhung lässt sich über den theoretischen Spannungsintensitätsfaktor

𝐾𝑡 in Gl. (2.13) beschreiben.

𝐾𝑡 =𝜎𝑚𝑎𝑥

𝜎𝑛𝑜𝑟𝑚 (2.13)

In Abb. 2.11 ist die Spannungsüberhöhung mit der Maximalspannung 𝜎𝑚𝑎𝑥 in direkter

Umgebung zu einer elliptischen Kavität gegenüber der Normalspannung 𝜎𝑛𝑜𝑟𝑚

schematisch dargestellt. Mit zunehmendem Abstand vom Defekt nähert sich die

Spannungsüberhöhung der Normalspannung an.

Unter der Annahme eines elliptischen Defekts lässt sich die Maximalspannung auf

Basis einer elastischen Analyse nach Gl. (2.14) berechnen [Inglis1913].

A

𝜎𝑚𝑎𝑥 = 𝜎 (1 + 2𝑎

𝑏) (2.14)

𝑎 und 𝑏 stellen dabei die Halbachse der Ellipse dar. Ebene Defekte, die in AM-

Bauteilen als Bindefehler zwischen einzelnen Schichten beobachtet werden, führen

nach Gl. (2.14) zu einer erheblichen Spannungsüberhöhung.

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2 Literaturübersicht 28

Im Zuge des Spannungsabbaus in der Umgebung des Defekts beeinflusst der

Abstand des Defekts von der Bauteiloberfläche neben der

Bruchinitiierungsdefektgröße maßgeblich die Ermüdungsfestigkeit [Danninger2003,

Gao2004].

2.4.3 Hochzyklische Ermüdungsfestigkeit in der Additiven Fertigung

Die Knetvariante der Nickelbasis Superlegierung IN718 ist für ihre guten

hochzyklischen Ermüdungseigenschaften bei Einsatztemperaturen von bis zu 650 °C

bekannt. Oberhalb von 650 °C kommt es zu einer zunehmenden Versprödung des

Werkstoffs. Durch die vermehrte Umwandlung der metastabilen Härtungsphase 𝛾′′ in

die Gleichgewichtsphase 𝛿 stehen die größeren 𝛿-Teilchen als Rissausgangspunkte

zur Verfügung (vgl. Kap. 2.1). Mangels größerer interner Defekte ist die HCF-

Festigkeit von geschmiedetem IN718 stark von der Korngröße abhängig. Eine

Reduzierung der Korngröße verringert die Wahrscheinlichkeit größerer Mikrorisse, so

dass vergleichsweise hohe HCF-Festigkeiten für DA-IN718 (direct-aged) mit

Korngrößen von ASTM 10 zu beobachten sind [Gopikrishna1997, Korth1991]. Eine

reduzierte Korngröße zeigt sich in anderen Nickelbasis Superlegierungen ebenfalls

als vorteilhaft [Bain1988, Du2015, Deng2015].

In AM-Bauteilen zeigen sich üblicherweise geringere Ermüdungsfestigkeiten als in

den geschmiedeten oder den gegossenen Pendants [Liu2010, Qi2012, Brandl2012,

Edwards2013, Edwards2014, Leuders2014, Wycisk2014]. Die Bruchinitiierung geht

dabei im wie gebaut Zustand meist von der Bauteiloberfläche aus, welche aufgrund

einer hohen Rauigkeit als rissbehaftet betrachtet werden kann [Edwards2013,

Wycisk2014]. Für bearbeitete bzw. polierte Probenoberflächen geht die

Abb. 2.11: Spannungsüberhöhung 𝜎𝑚𝑎𝑥 in

Umgebung einer elliptischen Kavität. Mit

zunehmendem Abstand verringert sich die

Spannung bis auf das Niveau der

Normalspannung 𝜎𝑛𝑜𝑟𝑚.

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2 Literaturübersicht 29

Bruchinitiierung vermehrt von internen mikrostrukturellen Defekten aus, die sich in

folgende Defektarten unterteilen lassen:

- Bindefehler: Ebener Defekt parallel zur Schichtebene [Brandl2012,

Wang2012a, Leuders2013, Edwards2014, Wycisk2014]

- Gasporen: Sphärische Kavität [Qi2012, Brandl2012]

- Mikrolunker: Nicht sphärische Kavität [Brandl2012]

- Risse: Heiß-, Wiederaufschmelz- und Spannungsrisse [Edwards2014]

Die Ermüdungsfestigkeiten von SEBM- und SLM-TiAl6V4 sind um bis zu 80 %

gegenüber den Knetvarianten reduziert [Edwards2013, Edwards2014]. Nach

Edwards et al. sind die geringen HCF-Festigkeiten das Resultat hoher Porosität. Für

eine 0°-Belastung parallel zur Baurichtung zeigen sich dabei in SLM-TiAl6V4 die

geringsten Ermüdungsfestigkeiten und die größte Streuung der Ergebnisse

[Edwards2014]. Brandl et al. zeigen für AlSi10Mg ebenfalls geringere HCF-

Festigkeiten für eine 0°-Belastung und höhere für eine 90°-Belastung senkrecht zur

Baurichtung. Es wird darauf verwiesen, dass Defekte in der Additiven Fertigung

meist parallel zu den Schichten vorzufinden sind, wodurch eine 0°-Belastung zu der

größten Spannungsüberhöhung führt [Brandl2012]. Leuders et al. stellen an

heißisostatisch gepressten (HIP) SLM-TiAl6V4 eine mit konventionell verarbeiteten

TiAl6V4 vergleichbare Ermüdungsfestigkeit fest [Leuders2014]. Gleiches konnte

Wang an der selektiv laserstrahlgeschmolzenen Nickelbasis Superlegierung

Hastelloy® feststellen [Wang2012a]. Defekte, wie Poren und Lunker, werden

während des HIPens geschlossen und stehen für eine Bruchinitiierung nicht mehr zur

Verfügung [Leuders2014]. Für das Laserauftragsschweißen lässt sich für TiAl6V4

[Brandl2010] und IN718 [Amsterdam2009, Qi2012] eine mit geschmiedetem Material

vergleichbare Ermüdungsfestigkeit realisieren. Qi et al. detektieren für einen Teil des

Probenmaterials computertomographisch Gasporen mit einer Größe von 75 -

120 µm, die im anschließenden Schwingversuch bruchinitiierend wirken und die

Ermüdungsfestigkeit um eine Größenordnung herabsetzen [Qi2012]. Die

Ermüdungsfestigkeit polierter AM-Bauteile ist demnach das Resultat der Anzahl und

der Größe mikrostruktureller Defekte und der Belastungsrichtung.

2.4.4 Linearelastische Bruchmechanik (LEBM)

Die linearelastische Bruchmechanik liefert einen Ansatz technische Bauteile gegen

Ermüdung auszulegen. Mikrostrukturelle Defekte in technischen Bauteilen werden

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2 Literaturübersicht 30

dabei als Risse betrachtet. Maßgeblich für die technische Auslegung ist die

Ermüdungsrissausbreitung. Diese lässt sich im Mode I als Funktion der

Rissgeschwindigkeit 𝑑𝑎/𝑑𝑁 und des zyklischen Spannungsintensitätsfaktors ∆𝐾𝐼 mit

Hilfe von Rissfortschrittsmessungen beschreiben. Diese so genannte 𝑑𝑎/𝑑𝑁-Kurve

ist abhängig von der Temperatur, dem Spannungsverhältnis und dem Gefüge,

insbesondere der kristallographischen Textur des Materials. Der zyklische

Spannungsintensitätsfaktor berechnet sich nach Gl. (2.15) aus der zyklischen

Spannung ∆𝜎, der Risslänge 𝑎 und einem Korrekturfaktor 𝑌 [Richard2012].

∆𝐾𝐼 = ∆𝜎 √𝜋𝑎 𝑌 (2.15)

Bis zu einem Schwellwert ∆𝐾𝑡ℎ des zyklischen Spannungsintensitätsfaktors, der

einem unendlich langsamen Rissfortschritt entspricht, ist dabei keine

Rissausbreitung zu beobachten. Ausgehend von Gl. (2.15) lässt sich mit dem

Schwellwert des zyklischen Spannungsintensitätsfaktors 𝐾𝑡ℎ in Gl. (2.16) eine

kritische, zyklische Spannung ∆𝜎(𝑎) in Abhängigkeit von der Risslänge berechnen,

ab welcher mit Rissausbreitung zu rechnen ist.

∆𝜎(𝑎) =∆𝐾𝑡ℎ

𝑌√𝜋𝑎 (2.16)

Der Schwellwert 𝐾𝑡ℎ zeigt nach Lawless et al. in geschmiedetem IN718 eine

signifikante Abhängigkeit von der Korngröße und der Temperatur [Lawless2001]. Für

IN718 findet sich eine Zunahme des Schwellwerts mit zunehmender Korngröße und

zunehmender Temperatur. Der erhöhte Widerstand gegen Ermüdungsrisswachstum

in groben Kornstrukturen wird auf Basis des Verhaltens der reversiblen

Gleitvorgänge im Schwingversuch erklärt. In groben Kornstrukturen erstrecken sich

Ermüdungsgleitbänder auf größere Bereiche, so dass ein Versetzungsaufstau in

Umgebung der Korngrenzen seltener auftritt [Krueger1987, Gray1983].

Neben der Korngröße lassen sich für Mikrostrukturen mit elongierten bzw.

stängelkristallinen Körnern in konventionell verarbeiteten [Blochwitz2008] bzw.

mittels SLM aufgebauten austenitischen Stahl 316L [Riemer2014] eine Anistropie

des Schwellwert des zyklischen Spannungsintensitätsfaktors 𝐾𝑡ℎ feststellen. In SLM-

316L zeigt sich für das Ermüdungsrisswachstum parallel zur Längsachse der

Stängelkristalle und damit parallel zur Baurichtung ein um ca. 40 % verringerter

Schwellwert im Verhältnis zu einem Risswachstum senkrecht zur Baurichtung. Die

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2 Literaturübersicht 31

Anisotropie des Schwellwerts wird über den Rissverlauf erklärt. Während das

Risswachstum in Baurichtung entlang der Korngrenzen der Stängelkristalle nahezu

geradlinig und mit geringer Risslänge verläuft, ist das Risswachstum senkrecht zur

Baurichtung von der häufigen Durchquerung von Stängelkristallen und dem damit

gewundeneren Verlauf mit erhöhter Risslänge geprägt. Der Schwellwert 𝐾𝑡ℎ ist daher

für ein Risswachstum senkrecht zur Baurichtung bzw. zur Längsachse der

Stängelkristalle erhöht [Riemer2014].

Mit Hilfe des Schwellwerts des zyklischen Spannungsintensitätsfaktors ∆𝐾𝑡ℎ lassen

sich in einer Auftragung der zyklischen Spannungsamplitude gegenüber der

Risslänge bzw. des äquivalenten Defektradius in einem so genannten Kitagawa-

Takahashi-Diagramm in Abb. 2.12 Bereiche ohne und mit Risswachstum

einzeichnen [Kitagawa1976]. Für Kurzrisse wird dabei die kritische, zyklische

Spannung zusätzlich von der Ermüdungsfestigkeit des defektfreien Materials

begrenzt. Basierend auf den Kriterien der Ermüdungsfestigkeit und des zyklischen

Spannungsintensitätsfaktors lässt sich in Abb. 2.12 eine kritische Defektgröße

definieren, ab welcher die Risslänge die kritische, zyklische Spannung herabsetzt.

Weiterhin spielt der Randabstand des Defekts eine erhebliche Rolle hinsichtlich der

kritischen Defektgröße. Liegt ein Defekt oberflächennah vor, kann die

Spannungsüberhöhung nicht gänzlich im Probenquerschnitt abgebaut werden. Es

kommt zu einer Überlagerung der Spannungsüberhöhung in Umgebung des

Probenrands und des Defekts, der in Abhängigkeit zum Randabstand des Defekts

die Ermüdungsfestigkeit stark reduzieren kann. Der Korrekturfaktor 𝑌 aus Gl. (2.16)

trägt diesem Sachverhalt Rechnung und ermöglicht die Eintragung von Defekten mit

unterschiedlichen Randabständen in das Kitagawa-Takahashi-Diagramm

[Danninger2003].

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2 Literaturübersicht 32

Abb. 2.12: Zyklische Spannungsamplitude

in Abhängigkeit vom Defektradius in einem

sogenannten Kitagawa-Takahashi

Diagramm. Der Schwellwert ∆𝐾𝑡ℎ des

zyklischen Spannungsintensitätsfaktors und

die Ermüdungsfestigkeit des defektfreien

Materials spannen Bereiche mit und ohne

Risswachstum auf. Der Schnittpunkt beider

Kriterien liefert eine kritische Defektgröße,

ab welcher mit einer Abnahme der

bruchauslösenden Spannungsamplitude zu

rechnen ist.

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3 Experimentelles Vorgehen 33

3 Experimentelles Vorgehen

Für das Selektive Elektronenstrahlschmelzen wird die Nickelbasis Superlegierung

INCONEL® 718 (UNS N07718 / W.Nr. 2.4668) [DIN17744] qualifiziert. Das

Hauptaugenmerk liegt in einer dichten und maßhaltigen Verarbeitung. Neben der

Prozessqualifizierung wird der Einfluss verschiedener Scanstrategien auf die

Kornstrukturentwicklung im SEBM-Prozess untersucht. Es werden Prozessfenster

mit stängelkristalliner Kornstruktur (CG, columnar grained) und Parameterbereiche

mit gleichachsiger Kornstruktur (EG, equixial grained) experimentell bestimmt und

anhand zweier exemplarischer Parametersätze hinsichtlich ihrer

Wärmebehandelbarkeit und mechanischen Eigenschaften untersucht.

3.1 SEBM von INCONEL® 718

In der vorliegenden Arbeit wird eine Elektronenstrahlschmelzanlage des Typs A2

(ARCAM AB, Mölndal, SE) mit einer Beschleunigungsspannung von 60 kV und einer

Maximalleistung von 3,5 kW bei einer kontrollierten Heliumatmosphere von

2 x 10-3 mbar zum Aufbau von würfelförmigen Proben aus vorlegiertem Pulver der

Legierung IN718 verwendet (siehe Abb. 2.3).

Der Bauprozess beginnt auf einer Startplatte, welche entsprechend Abb. 2.3 im

Pulverbett eingebettet ist. Diese wird vor Beginn des Bauprozesses auf eine erhöhte

Temperatur vorgeheizt, welche charakteristisch für das jeweilige Material ist und für

IN718 bei 950 °C liegt. Der sog. SEBM-Prozess besteht aus einem Vorheizschritt,

welcher aus Gründen verbesserter mechanischer Stabilität und erhöhter elektrischer

und thermischer Leitfähigkeit eine Versinterung neu applizierter Pulverschichten

erzielt, und einem Schmelzschritt, welcher eine vollständige Konsolidierung der

Pulverschicht als Ziel hat. Der Vorheizschritt wird über alle Versuche hinweg

hinsichtlich der verwendeten Linienenergie (siehe Gl. (3.1)) konstant gehalten und ist

daher nicht Gegenstand der Untersuchung (vgl. Anhang A). Im Schmelzschritt wird

neben der Leistung und der Ablenkgeschwindigkeit, auch die Scanstrategie variiert.

3.1.1 Legierungspulver

Zum Einsatz kommt ein argongasverdüstes Legierungspulver der Nickelbasis

Superlegierung INCONEL® 718 (TLS Technik GmbH, Bitterfeld, D). Eine

Partikelgrößenmessung mit Hilfe eines Mastersizer 3000 (Malvern, Worcestershire,

U.K.) liefert eine Partikelgrößenverteilung von 45 - 105 µm und einen mittleren

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3 Experimentelles Vorgehen 34

Durchmesser dv 50 von 67,8 µm. Die Fließzeit beträgt 33,2 s nach [DIN4490] und die

Schüttdichte 57,2 % nach [DIN3923-1]. Die chemische Zusammensetzung des

Legierungspulvers wird mittels ICP-OES (inductively coupled plasma optical

emission spectrometry), Verbrennungsverfahren und Trägergas-Heißextraktion

bestimmt und findet sich in Tab. 3.1.

3.1.2 Prozessqualifizierung

Das Primärziel der Prozessqualifizierung metallischer Legierungspulver liegt in der

vollständigen Konsolidierung und demnach in einer hohen relativen Dichte des

aufgebauten Materials. Da für eine vollständige Konsolidierung das Aufschmelzen

des neu applizierten Pulvers der jeweiligen Schicht und das partielle

Zurückschmelzen der darunterliegenden Schicht erforderlich ist, wird das

Hauptaugenmerk in der Prozessqualifizierung auf die verwendete Leistung 𝑃 bzw.

die verwendete Stromstärke 𝐼 des Elektronenstrahls gerichtet. Die

Beschleunigungsspannung 𝑈 bleibt mit 60 kV konstant. Neben der Stromstärke wird

weiterhin die Ablenkgeschwindigkeit des Elektronenstrahls 𝑣 variiert, da sich bei

konstanter Stromstärke und unterschiedlichen Ablenkgeschwindigkeiten die örtlich

deponierte Energiemenge stark unterscheidet. Diesen Zusammenhang verdeutlicht

die Linienenergie 𝐸𝐿 in Gl. (3.1):

𝐸𝐿 = 𝑃

𝑣=

𝑈 ∗ 𝐼

𝑣 (3.1)

Zur Minimierung der Porosität werden demnach erster Hand die beiden

Prozessparameter 𝐼 und 𝑣 innerhalb der Bauversuche variiert. Ein Bauversuch ist

exemplarisch in Abb. 3.1 anhand einer technischen Zeichnung und einer Aufnahme

Tab. 3.1: Chemische Zusammensetzung des argongasverdüsten INCONEL 718®

Legierungspulvers in Gew.-%.

Element Ni Fe Cr Nb Mo Ti Al Co C

Konz. [Gew.-%] 53,00 19,60 17,50 5,15 3,02 0,84 0,57 0,14 0,022*

Element Ta N O B

Konz. [Gew.-%] 0.015 0,007** 0,005** <0,005

Chemische Analyse mittels ICP-OES durch die GfE Fremat GmbH in Freiberg. Elemente mit * und

** werden mit dem Verbrennungsverfahren (*) bzw. einer Trägergas-Heißextraktion (**) analysiert.

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3 Experimentelles Vorgehen 35

dargestellt und besteht aus 9 - 12 Probenkörpern mit einer quadratischen

Grundfläche von 15 mm x 15 mm und einer Höhe von 10 - 20 mm, die auf eine 10 -

20 mm dicke IN718-Bauplatte mit einem Durchmesser von 100-114 mm in einem

Abstand von 8 mm zueinander aufgebaut werden.

Die Korngröße im Startplattenmaterial liegt bei ca. 19 µm. Die Schichtdicke beträgt

50 µm. Die Scanvektorlänge wird bei 15 mm konstant gehalten. Es wird ein

bidirektionales Scanmuster mit einer Scanmustertiefe von 50 µm verwendet

(Scanstrategie BS). Das Scanmuster wird demnach nach jeder Schicht um 90°

rotiert. Innerhalb eines Probenkörpers werden die Prozessparameter über die

gesamte Bauhöhe konstant gehalten. Es werden 3 Prozessfenster für einen dichten

und maßhaltigen Aufbau mit stängelkristallinem Gefüge erstellt, welche sich

untereinander hinsichtlich der verwendeten Strahlbreite 𝑑𝑓 und/oder des

Spurabstands ℎ𝑠 unterscheiden. Durch die sich unterscheidenden Spurabstände ist

eine Auftragung über 𝐸𝐿 nicht zweckmäßig, da sich die auf die Fläche deponierte

Energiemenge indirekt proportional zu ℎ𝑠 verhält. Dieser Zusammenhang spiegelt

sich in der Flächenenergie 𝐸𝐴 in Gl. (3.2) wieder:

𝐸𝐴 = 𝐸𝐿

ℎ𝑠=

𝑈 ∗ 𝐼

ℎ𝑠 ∗ 𝑣 (3.2)

Eine Auflistung der Geschwindigkeits- und Flächenenergiebereiche der

Prozessfenster PI, PII und PIII findet sich in Tab. 3.2.

a) b)

Abb. 3.1: Technische Zeichnung in a) und Aufnahme in b) für einen Bauversuch bestehend

aus 9 würfelförmigen Probenkörpern mit einer Basislänge von 15 mm und einem Abstand

von 8 mm zueinander.

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3 Experimentelles Vorgehen 36

3.1.3 Scanstrategien

Neben der Prozessqualifizierung wird der Einfluss der Scanstrategie auf die

Kornstruktur untersucht. Es werden der Spurabstand, die Ablenkgeschwindigkeit und

die Scanmustertiefe variiert.

Veränderung des Spurabstands und der Ablenkgeschwindigkeit

Eine der wesentlichen Scanstrategien dieser Arbeit stellt die Reduzierung des

Spurabstands dar. Hiermit ist eine Erhöhung der vom Strahl abzufahrenden

Scanvektoren im Schmelzschritt verbunden. Bei Variierung des Spurabstandes mit

gleichbleibender Ablenkgeschwindigkeit ändern sich folglich die Schichtbauzeit und

damit das thermische Feld in Umgebung des Schmelzbades signifikant. Aus

Gründen der Vergleichbarkeit wird die Ablenkgeschwindigkeit in Abhängigkeit zum

Spurabstand angepasst, so dass die Schichtbauzeit und die transversale

Fortschrittgeschwindigkeit 𝑣𝑡 für jeden Parametersatz konstant bleiben. Die

Berechnung von 𝑣𝑡 aus Spurabstand, Ablenkgeschwindigkeit und Scanvektorlänge 𝑙𝑠

findet sich in Gl. (3.3).

𝑣𝑡 = ℎ𝑠 ∗ 𝑣

𝑙𝑠 (3.3)

ℎ𝑠 und 𝑣 werden bei einer konstanten 𝑣𝑡 von 0,022 m/s und einer konstanten

Flächenenergie von 1,8 J/mm² variiert. Weiterhin werden bei einem Spurabstand von

37,5 µm zusätzliche Flächenenergien abgefahren. Andere Parameter wie

Scanmuster, Schichtdicke etc. werden analog zu der Prozessqualifizierung konstant

gehalten.

Tab. 3.2: Auflistung der Geschwindigkeits- und Flächenenergiebereiche für die

Prozessfenster mit stängelkristallinem Gefüge.

Parameter /

𝑣 [m/s] 𝐸𝐴 [J/mm²] ℎ𝑠 [µm] 𝑑𝑓* [µm] Prozessfenster

PI 0,2 - 2,4 1,0 - 5,0 200 500

PII 0,2 - 2,4 1,0 - 5,0 200 400

PIII 1,0 - 4,5 1,1 - 2,4 100 300

* vgl. Anhang B.

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3 Experimentelles Vorgehen 37

Scanstrategie BS10: Veränderung der Scanmustertiefe

Um den Einfluss der Schmelzbadorientierung auf die Kornstrukturentwicklung zu

untersuchen wird für einen Parametersatz, welcher bei bidirektionalem Scanmuster

und schichtweiser 90°-Drehung der Scanvektoren zu einem hohen Gehalt an

Neukörnern (Parameter: 𝑣 = 8,8 m/s, ℎ𝑠 = 37,5 µm 𝐸𝐴 = 1,8 J/mm²) führt, das

bidirektionale Scanmuster erst in jeder zehnten Schicht um 90° gedreht.

3.2 Probenpräparation

Die Proben für die Mikrostrukturanalyse im wie gebaut und wärmebehandelten

Zustand werden als Längsschliff parallel zur Baurichtung und als Querschliff

senkrecht zur Baurichtung eingebettet. Der Probenkörper wird, wie in Abb. 3.2

dargestellt, für den Längsschliff in der Mitte und senkrecht zur Orientierung der

Scanvektoren der letzten Schicht getrennt. Für alle Untersuchungen wird jeweils die

linke Probenhälfte verwendet. Es kommt das Heißeinbettmittel Epo-Schwarz

(Heraeus Kulzer GmbH, Wehrheim, D) zum Einsatz. Die metallographische

Präparation erfolgt nach Tab. 3.3.

Für Mikrostrukturuntersuchungen verbleiben die Proben im polierten Zustand. Für die

Bestimmung der Schmelzbadgeometrie, der Aufschmelztiefe und des

Primärarmabstands findet eine elektrolytische Mikroätzung mit einer 10-% Oxalsäure

für 2-4 s unter einer Spannung von 6 V statt.

3.3 Mikrostruktur- und Defektanalyse

Die Prozessfenster für eine dichte und ebene Verarbeitung werden anhand von

Mikrostrukturanalysen licht- und elektronenmikroskopischer Aufnahmen bestimmt.

Untersuchungen an Längsschliffen werden, insofern nicht anders definiert, in einem

Tab. 3.3: Arbeitsschritte der metallographischen Präparation.

Parameter /

Scheibe Schmiermittel Dauer Kraft Umdrehungen Präparationsart

Schleifen SiC-Schleifpapier 80-2400 Wasser - - 300 U/min

Polieren MD-Mol 3 µm Lubrikant Grün 10 min 20 N 300 U/min

MD-Chem 0,25 µm OPU:H2O 1:5 10 min 15 N 150 U/min

Produktbezeichnung nach Fa. Struers (Struers GmbH, Willich, D).

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3 Experimentelles Vorgehen 38

Abstand von 1 mm zur Probenoberseite und bei einem Randabstand von 3 mm,

6 mm, 7,5 mm, 9 mm und 12 mm (ausgehend von der linken Seitenfläche)

entsprechend der schematischen Zeichnung in Abb. 3.2 erstellt.

Das Zug- und Ermüdungsprobenmaterial wird anhand einer 0°-Probe (Baurichtung

parallel zur Belastungsrichtung) einer mikrostrukturellen Defektanalyse unterzogen.

Es werden zusätzliche Aufnahmen in Abhängigkeit von der Bauhöhe erstellt.

Die Bildauswertung erfolgt, insofern nicht anders dargestellt, mit Hilfe der

Bildauswertungssoftware ImageJ (Version 1.47, Wayne Rasband, National Institut of

Health, USA).

3.3.1 Lichtmikroskop (LM)

Untersuchungen an lichtmikroskopischen Aufnahmen umfassen die Bestimmung der

Mikro- und Makroporosität, der Titannitridausscheidungsgröße (TiN), der

Aufschmelztiefe, der Schmelzbadgeometrie und des Primärarmabstands. Die

Aufnahmen erfolgen im Hellfeld an einem optischen Lichtmikroskop des Typs

DM6000M (Carl Zeiss AG, Oberkochen, D). Es werden je nach Aufnahmeart 3 bis 10

Aufnahmen entsprechend Abb. 3.2 mit unterschiedlichen Vergrößerungen

entsprechend Tab. 3.4 erstellt.

Abb. 3.2: Schematische Darstellung der Probengeometrie mit den Abmaßen

15x15x10-25 mm³. Die Betrachtungsebene des Längsschliffs liegt parallel zur Baurichtung

und senkrecht zu den Scanvektoren der letzten Schicht. Es werden in einem Abstand von

1 mm zur Probenoberseite Aufnahmen mit einem Randabstand von 3 mm, 6 mm, 7,5 mm,

9 mm und 12 mm erstellt. Der Längsschliff wird im Folgenden durch ein Quadrat mit Pfeil

im linken, unteren Bildrand angezeigt. Die Orientierung des Pfeils spiegelt die Baurichtung

wieder.

Y

Längsschliff

Scanvektoren der

letzten Schicht

Querschliff

15 mm

10-2

5 m

m

1 mm

Schliffebene

3 mm

6 - 9 mm

12 mmZ

X

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3 Experimentelles Vorgehen 39

Porosität

Die Porosität umfasst Gasporen, Mikrolunker und Konsolidierungsporosität und wird

für alle Proben der Prozessfenster- und Scanstrategieexperimente ermittelt, die auf

den Schmelzflächen keine Poren aufweisen. Die Porosität wird unter Verwendung

eines konstanten Schwellwerts mit Hilfe eines Matlab-basierten Skripts automatisch

ausgewertet [Franke2015]. Es wird eine relative Dichte 𝜌𝑟𝑒𝑙 von größer als 99,5 % als

dicht definiert.

TiN-Ausscheidungsgröße

TiN-Ausscheidungen werden hinsichtlich ihres Potentials einer Bruchinitiierung im

HCF-Versuch für das Zug- und Ermüdungsprobenmaterial analysiert. Unter

Verwendung eines konstanten Farbschwellwerts werden die goldfarbenen TiN-

Ausscheidungen von der Porosität getrennt. Es wird die Fläche und die Anzahl der

Ausscheidungen bestimmt.

Schmelzbadgeometrie und Aufschmelztiefe

Die Schmelzbadgeometrie wird an der letzten Schicht untersucht, da diese als

einzige nicht von einer nachfolgenden zurückgeschmolzen wird. Abbildung 3.3 liefert

eine schematische Darstellung der Schmelzbadgeometrie und der

Auswertemethode. Es wird die maximale Schmelzbadtiefe (bzw. Aufschmelztiefe)

und die halbierte Schmelzbadbreite anhand von Linienmessungen bestimmt. Als

Anfangspunkt der halbierten Breite dient die maximale Schmelzbadtiefe. Es werden

jeweils 3 Schmelzbäder an Längsschliffen bei einem Randabstand von 6 - 9 mm

analysiert. Neben einer alleinigen Betrachtung der Aufschmelztiefe wird die

Tab. 3.4: Einstellungen der Aufnahmearten der lichtmikroskopischen

Mikrostrukturanalysen.

Einstellungen /

Vergrößerung Anzahl der

Aufnahmen Lage Zustand Methode

Aufnahmeart

Porosität 100x 5 Längs Poliert Kontrastschwellwert

TiN-

Ausscheidungsgröße 100x 10 Längs Poliert Farbschwellwert

Schmelzbadgeometrie 200x 3 Längs Geätzt Linienmessung

Aufschmelztiefe 200x 5 Längs Geätzt Linienmessung

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3 Experimentelles Vorgehen 40

Schmelzbadgeometrie mit Hilfe des Tiefenbreitenverhältnisses (TBV) ausgewertet,

welches sich aus dem Quotienten der Schmelzbadtiefe und -breite berechnet.

Gesamthöhe des Oberflächenprofils

Neben der Porosität wird bei der Erstellung von Prozessfenstern die

Oberflächenqualität als Kriterium berücksichtigt. Hierzu werden Aufnahmen des

Längsschliffes entsprechend Abb. 3.4 mit einer 7,8-fachen Vergrößerung an einem

Stereomikroskop des Typs M205C (Leica MICROSYSTEMS, Wetzlar, D) erstellt. Als

Maß zur Beurteilung der Oberflächenqualität dient die Gesamthöhe des

Oberflächenprofils (Profiltiefe) 𝑃𝑡 nach [DIN EN ISO 4287]. Diese stellt den Abstand

zwischen der größten Profilspitze und des größten Profiltales dar und wird mit Hilfe

von Linienmessungen entsprechend der Abb. 3.4 bestimmt. Ab einem Grenzwert 𝑃𝑡

von 200 µm werden Versuchsproben der Prozessfensterversuche als uneben bzw.

nicht maßhaltig betrachtet.

3.3.2 Rasterelektronenmikroskop (REM)

Ein Rasterelektronenmikroskop des Typs XL30 (Phillips Electronics, Eindhoven,

Niederlande) wird für die Aufnahme der Kornstruktur und der δ-Phase an

Längsschliffen und für die Fraktographie der Ermüdungsbruchflächen genutzt. Eine

Auflistung der verwendeten Einstellungen liefert Tab. 3.5.

Abb. 3.3: Schema der

Schmelzbadgeometrie für einen

Längsschliff parallel zur Baurichtung und

senkrecht zu den Scanvektoren. Es wird die

max. Schmelzbadtiefe und die halbe

Schmelzbadbreite bestimmt.

Abb. 3.4: Bestimmung der Gesamthöhe des

Oberflächenprofils an einem Längsschliff als

Maß für die Beurteilung der

Oberflächenqualität. Prozessparameter

innerhalb des Prozessfensters haben einen

𝑃𝑡 von kleiner als 200 µm.

Schmelzbad-tiefe

Elektronenstrahl

Schmelzbadbreite

KonsolidierteSchichtdicke

2 mm

Profiltiefe

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3 Experimentelles Vorgehen 41

Korngröße im Linienschnittverfahren

Die Korngröße wird mit Hilfe des Linienschnittverfahrens nach DIN EN ISO 643 an

jeweils drei REM-Aufnahmen mit einem Randabstand von 6 - 9 mm entsprechend

Tab. 3.5 und Abb. 3.2 bestimmt. Es werden horizontale und vertikale Linien in die

Aufnahmen gelegt und bei jedem Schnittpunkt zwischen einer Linie und einer

Korngrenze eine Markierung gesetzt. Der Abstand zwischen zwei Markierungen

entspricht einer Sehnenlänge. Aus den einzelnen Sehnenlängen wird eine mittlere

Kornbreite (horizontale Messung) bzw. -länge (vertikale Messung) gebildet. Um eine

ähnliche Anzahl an Messpunkten in horizontaler und vertikaler Messung zu

erzeugen, werden aufgrund des zumeist stark stängelkristallinen Gefüges in der

vertikalen Messung 10 Linien und in der horizontalen 5 Linien in jeder Aufnahme

ausgewertet. Randkörner werden vollumfänglich mit einbezogen. Aus der mittleren

horizontalen Sehnenlänge (L) und vertikalen Sehnenlänge (B) berechnet sich das

mittlere Kornaspektverhältnis KAV in Gl. (3.4):

𝐾𝐴𝑉 = 𝐿

𝐵 (3.4)

Im untersuchten Parameterraum variiert KAV von 1 bis 7. Ein KAV von 1 stellt ein

vollständig globulitisches Gefüge dar, ein KAV von größer eins ein stängelkristallines.

Für einen ausgewählten Parametersatz wird mit Hilfe eines Matlab-Skripts die

mittlere Kornbreite in Abhängigkeit von der Bauhöhe mittels horizontalen

Linienschnittverfahren mit einem Linienabstand von 0,5 µm bestimmt.

Tab. 3.5: Aufnahmearten und verwendete Einstellungen am Rasterelektronenmikroskop.

Einstellungen /

Spannung Strahlbreite HFW Detektor Bemerkung Aufnahmeart

Kornstruktur 5 kV 5-6 1500 µm BSE Hoher Kontrast

δ-Phase 12,5 kV 6 200 µm BSE Hoher Kontrast

Fraktographie 20 kV 4-6 Verschieden SE, BSE, EDX -

HFW (horizontal field width), SE (secondary electrons), BSE (backscatter electrons),

EDX (energy dispersive x-ray spectroscopy)

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3 Experimentelles Vorgehen 42

δ-Phasenanteil

Die δ-Phase liegt aus Gründen einer prozessinhärenten thermischen Belastung des

Gefüges inhomogen vor. Der Phasenanteil wird an einem Längsschliff einer 0°-Probe

mit einer quadratischen Grundfläche von 15x15 mm² und einer Bauhöhe von 75 mm

an 6 verschiedenen Bauhöhen ermittelt. Bei hohem Kontrast und geringer Helligkeit

erscheinen Delta- und Lavesphase und NbC im BSE-Modus als helle Bereiche auf

dunklem Untergrund. Die genannten Phasen werden mit Hilfe eines

Konstrastschwellwerts vom Untergrund und die δ-Phase anschließend über einen

Formfaktor von 0,5 von den anderen Phasen getrennt.

Die Bestimmung des δ-Phasenanteils mittels Bildauswertung führt zu vergleichbaren

Volumenanteilen im Vergleich zu einer röntgendiffraktometrischen Bestimmung

[Hazotte2001].

Fraktographie der Ermüdungsproben

Die fraktographische Untersuchung der Ermüdungsbruchflächen dient der

Bestimmung der Fläche und des Randabstandes des bruchauslösenden Defektes.

Die Fläche wird anhand der kleinstmöglichen Ellipse, welche den Defekt gänzlich

umschließt, nach Murakami bestimmt [Murakami2002]. Nachdem der Defekt

gegenüber der Belastungsrichtung bzw. Betrachtungsebene geneigt vorliegen kann,

handelt es sich bei der gemessenen Defektfläche häufig um eine projizierte Fläche.

Bei Verdacht auf Fremdatomanteile werden neben SE-, auch BSE-Aufnahmen

erstellt und die Zusammensetzung mit Hilfe einer energiedispersiven

Röntgenspektroskopie analysiert.

3.3.3 Elektronenrückstreudiffraktometrie (EBSD)

Eine quantitative Analyse der kristallographischen Textur wird für eine Reihe von

exemplarischen SEBM-Proben mit stängelkristalliner und gleichachsiger Kornstruktur

mit Hilfe der Elektronenrückstreudiffraktometrie (EBSD, electron backscatter

diffraction) durchgeführt. Es kommt ein EDAX Texturanalysesystem (Ametek GmbH,

Wiesbaden, D) zum Einsatz, welches auf einem Helius 600i

Rasterelektronenmikroskop (FEI Company, Hillsboro, Oregon, USA) installiert ist. Zur

automatischen Indizierung der Elektronenrückstreumuster wird das Programm Aztec

(Oxford Instruments plc, Abingdon, UK) verwendet. Die Orientierungsbestimmung

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3 Experimentelles Vorgehen 43

erfolgt stets in der Probenmitte bei einem Randabstand von 7,5 mm. Eine Auflistung

der verwendeten Einstellungen liefert Tab. 3.6.

Mit Hilfe der Software HKL Channel 5 (Oxford Instruments plc, Abingdon, UK)

werden Orientierungskarten mit Farbcodierungen entsprechend der inversen

Polfiguren erstellt und Schmidfaktoren für die Belastungsfälle 0°-, 45°- und 90°-CG

(vgl. Kap. 3.5) berechnet. Es wird der höchste Schmidfaktor für jedes Korn in

Abhängigkeit von der angelegten Belastungsrichtung berechnet. Für die Bewertung

des Einflusses der Kornstruktur auf die mechanischen Eigenschaften wird der

mittlere Schmidfaktor 𝑚𝑠̅̅ ̅̅ aus der Mittelung der einzelnen Schmidfaktoren für jeden

Belastungsfall und für die beiden Gefügearten EG und CG berechnet. Für zwei

Orientierungskarten wird die Abweichung von einer (100)-Fasertextur mit paralleler

Orientierung zur Baurichtung berechnet. Korngrenzen mit einem Korngrenzenwinkel

von größer 10° sind in den Orientierungskarten in schwarz eingezeichnet.

Nukleationsmechanismus

Zur Untersuchung des Nukleationsmechanismus bei gleichachsiger Kornstruktur

werden hochaufgelöste EBSD-Aufnahmen der letzten Schichten mit einer

Schrittweite von 0,7 µm erstellt.

Orientierungsdichteverteilungsfunktion

Polfiguren mit Orientierungsdichtefunktion 𝑂𝐷𝐹(𝑔) (orientation distribution function)

werden mit der Matlab-Erweiterung Mtex in der Version 4.0.9 bei einer konstanten

Halbbreite von 5° erstellt [Bachmann2010]. Mit Hilfe der 𝑂𝐷𝐹(𝑔) aus Gl. (3.5) wird

eine quantitative Beschreibung der Textur eines polykristallinen Werkstoffs

ermöglicht. Die 𝑂𝐷𝐹(𝑔) gibt den Volumenanteil 𝑉 an Körnern mit einer gewissen

Orientierung 𝑔 nach Bunge Konvention gegenüber dem Volumenanteil aller Körner

𝑑𝑉 innerhalb der Messfläche wieder.

Tab. 3.6: Einstellungen für Aufnahmen mittels Elektronenrückstreudiffraktometrie.

Einstellungen /

Spannung Strom Schrittweite HFW Messposition Aufnahmeart

Kornorientierung 20 kV 0,69 nA 2-4 µm 1,5 mm Probenmitte

Nukleationsmechanismus 20 kV 0,69 nA 0,7 µm 1,0 mm Probenmitte

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3 Experimentelles Vorgehen 44

𝑂𝐷𝐹(𝑔) = 𝑑𝑉(𝑔)

𝑉 𝑑𝑔 (3.5)

Weiterhin wird der Texturindex 𝐽𝑂𝐷𝐹 für eine Beurteilung der Intensität der Textur

nach Gl. (3.6) berechnet. Für isotrope Materialien ist 𝐽𝑂𝐷𝐹 eins, für anisotrope größer

eins [Mainprice2014].

𝐽𝑂𝐷𝐹 = ∫|𝑂𝐷𝐹(𝑔)|2 𝑑𝑔 (3.6)

3.3.4 Mikrosonde (EPMA)

Mit Hilfe der wellenlängendispersiven Mikrosondenanalyse werden das

Segregationsverhalten im wie gebaut Zustand und das Homogenisierungsverhalten

im wärmebehandelten Zustand untersucht. Die Elementkarten werden in der

Probenmitte von Längsschliffen bei einem Abstand von 1 mm zur Probenoberseite

erstellt. Es kommt eine JEOL Mikrosonde des Typs LXA-8100 (JEOL Ltd., Tokyo,

Japan) zum Einsatz, die mit einer Beschleunigungsspannung von 20 kV betrieben

wird. Die Belegung der Monochromatorkristalle, welche für die Elementanalyse

Verwendung findet, ist in Tab. 3.7 aufgelistet.

Tab. 3.7: Belegung der Monochromatorkristalle in der Mikrosondenanalyse

Kristall TAP LIF PETJ PETH

Belegung Al Fe, Ni Nb, Cr Mo, Ti

Im Sinne einer quantitativen Analyse werden alle Messpunkte der Elementkarten mit

Hilfe eines lehrstuhlinternen Matlab-Skripts nach ihrem Festphasengehalt sortiert und

das daraus resultierende Konzentrationsprofil mit der Scheil-Gleichung in Gl. (2.11)

gefittet [Müller2015].

Für die gewählten Belegungen der Monochromatorkristalle und Geräteeinstellungen

ist eine aussagekräftige Analyse für das Element Al nicht möglich.

3.3.5 Chemische Zusammensetzung

Die globale chemische Zusammensetzung wird durch eine optische

Funkenspektroskopie in Abhängigkeit von der Flächenenergie und der

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3 Experimentelles Vorgehen 45

Ablenkgeschwindigkeit bestimmt. Bei der optischen Funkenspektroskopie wird ein

Lichtbogen zwischen Elektrode und Probe dazu genutzt, eine geringe Menge des

Probenmaterials zu verdampfen und zu ionisieren. Hierbei kommt es zur Emission

elementspezifischer Wellenlängen, deren Intensitäten im Vergleich zu einer

hinterlegten Datenbank Aufschluss über die Zusammensetzung des Materials liefern.

Zum Einsatz kommt ein Funkenspektrometer SpectroMaxx 06 (Spectro GmbH,

Kleve, D).

An einem 0°-Rohling der Zug- und Ermüdungsproben (vgl. 3.5) wird mit Hilfe einer

Trägergas-Heißextraktion der Sauerstoff- und Stickstoffgehalt ermittelt. Es werden

vier Probenstücke mit einer Masse von 0,035 ± 0,005 g dem Rohling etwa 1 mm

unterhalb der letzten Schicht (Probenoberseite) entnommen und in einer Horiba

EMGA - 620W (Horiba Ltd., Kyoto, J) vermessen.

3.4 Wärmebehandlung

Die Wärmebehandlung in SEBM-IN718 dient der Lösungsglühung einer

inhomogenen Ausscheidungsverteilung im wie gebaut Zustand und der

Ausscheidung der Härtungsphasen 𝛾′ und 𝛾′′ in der Auslagerung. Eine probate

Lösungsglühtemperatur wird anhand einer dynamischen Differenzkalorimetrie und

von Lösungsglühexperimenten bestimmt.

3.4.1 Dynamische Differenzkalorimetrie (DSC)

Mit Hilfe der dynamischen Differenzkalorimetrie DSC (differential scanning

calorimetry) wird die 𝛿-Solvustemperatur für eine Probe im wie gebaut Zustand mit

einem δ-Phasenanteil von 4,3 Vol.-% bestimmt. Es kommt eine DSC des Typs STA

409 C/CD (Netzsch GmbH, Selb, D) zum Einsatz. Die Messung wird unter

Argonschutzgasatmosphäre (Ar 5.0) in einem Al2O3-Tiegel mit einer Aufheizrate von

5 K/min durchgeführt. Die Auswertung der Messdaten erfolgt anhand der Software

NETZSCH PROTHEUS® (Netzsch GmbH, Selb, D).

3.4.2 Bestimmung der Lösungsglühtemperatur

In SEBM-IN718 findet sich im wie gebaut Zustand eine inhomogene Verteilung der

δ-Phase über die Bauhöhe. Um eine geeignete Lösungsglühung zu definieren,

werden gemäß Tab. 3.8 Lösungsglühtemperatur und -dauer an CG- und EG-IN718

variiert und der δ-Phasenanteil nach Kap. 3.3.2 bestimmt.

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3 Experimentelles Vorgehen 46

Die Lösungsglühungen werden an einem P330 Ofen (Nabertherm GmbH, Lilienthal,

D) durchgeführt. Das Probenmaterial wird in Wasser abgeschreckt, um eine

Beeinflussung der Mikrostruktur bei Probenabkühlung zu minimieren.

Tab. 3.8: Temperatur und Dauer der Lösungsglühexperimente für CG- und EG-Gefüge.

Parameter /

Temperatur [°C] Haltedauer [min] δ-Phasengehalt [Vol.-%] Gefüge

CG 1020 10, 30, 60, 120 2,2 und 4,3

1040 10, 30, 60, 120 2,2 und 4,3

1060 10, 30, 60, 120 2,2 und 4,3

EG 1020 120 0,9

1040 120 0,9

1060 120 0,9

3.5 Mechanische Eigenschaften

Die mechanischen Eigenschaften werden in Luft bei Raumtemperatur und bei

erhöhten Temperaturen bis 650 °C in Baurichtung (0°), in 45° und senkrecht zur

Baurichtung (90°) untersucht. Neben Proben mit stängelkristallinem Gefüge stehen

Proben mit gleichachsigem Gefüge in Baurichtung (0°-EG) zur Verfügung. Eine

schematische Darstellung der Beziehung zwischen Belastungsrichtung, Baurichtung

und Kornorientierung liefert Abb. 3.5.

Eine Auflistung der Probenanzahl für die jeweiligen mechanischen Prüfverfahren und

Probentypen findet sich in Tab. 3.9.

Abb. 3.5: Schematische Darstellung der

Belastungsfälle 0°, 45° und 90° und der CG-

und EG-Kornstruktur. Die Belastungsfälle

unterscheiden sich in der Orientierung der

Baurichtung gegenüber der

Belastungsrichtung. Für CG ist das

stängelkristalline Gefüge in Baurichtung

orientiert, so dass der Belastungsfall 0°-CG

einer Belastung entlang der [100]-Richtung

der Stängelkristalle entspricht.

90°-CG 0°-EG0°-CG 45°-CG

Kraft Baurichtung

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3 Experimentelles Vorgehen 47

3.5.1 Additive Fertigung und Probenfertigung

Das Probenmaterial der mechanischen Prüfverfahren wird mit den in Tab. 3.10

definierten Parametern für CG- oder EG-Gefüge aufgebaut. Aus Gründen konstanter

thermischer Schmelzbedingungen (Wärmeleitungs- und Randeffekte) wird das

Probenmaterial durch entsprechende Konstruktion und Orientierung im Bauraum mit

einer konstanten Scanvektorlänge von 15 mm entsprechend der Probengeometrie in

der Prozessqualifizierung (vgl. Kap. 3.1.2) aufgebaut. Die damit rechteckigen

Rohlinge werden mittels Drahterosion in eine zylindrische Probengeometrie überführt

und im Anschluss an die in Tab. 3.11 definierte Wärmebehandlung auf die finale

Probengeometrie entsprechend der jeweiligen Norm bzw. Prüfvorschrift abgedreht.

In Abb. 3.6 sind technische Zeichnungen und Aufnahmen der Rohlinge für die Zug-

und Ermüdungsproben dargestellt. Der Aufbau erfolgt auf quadratischen Startplatten

(Teil 1) mit einer Kantenlänge von 105 mm. In den Rohlingen (Teil 2) sind die

Probenentnahmestellen und daraus resultierende Beziehung zwischen Baurichtung

(Z-Achse) und Belastungsrichtung anhand von Ermüdungsproben (Teil 3) kenntlich

gemacht.

Tab. 3.9: Auflistung des Probentyps und der Probenanzahl im jeweiligen mechanischen

Prüfverfahren.

Probentyp /

0°-CG 45°-CG 90°-CG 0°-EG Knetmaterial Prüfverfahren

Kaltzugversuch 3 3 3 6 -

Warmzugversuch 3 3 3 - -

Schwingversuch 14 12 12 - 13

Tab. 3.10: Prozessparameter für den Aufbau des Probenmaterials für die mechanische

Prüfung. Es werden Parameter mit der höchsten Ablenkgeschwindigkeit aus dem

Prozessfenster PIII in Abb. 5.1 c) mit stängelkristallinem Gefüge und Parameter mit

gleichachsigem Gefüge (vgl. Abb. 5.15) verwendet.

Parameter /

𝑣 [m/s] 𝐸𝐴 [J/mm²] ℎ𝑠 [µm] 𝑑𝑓 [µm] Strategie Gefüge

CG 4,5 1,8 100 300 BS

EG 8,8 1,9 37,5 300 BS

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3 Experimentelles Vorgehen 48

a) b)

c) d)

e) f)

Abb. 3.6: Technische Zeichnungen und Aufnahmen der Rohlinge für die mechanischen

Versuchsproben der Belastungsfälle 0° in a-b), 45° in c-d) und 90° in e-f). Die Abmaße der

Startplatten (Teil 1) und Rohlinge (Teil 2) liefern die technischen Zeichnungen in a), c) und

e). Die Probenentnahmestellen sind anhand von eingezeichneten Ermüdungsproben (Teil

3) dargestellt.

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3 Experimentelles Vorgehen 49

Die zweiteilige Wärmebehandlung in Tab. 3.11 umfasst eine zweistündige

Lösungsglühung bei einer Temperatur von 1020 °C und eine zweistufige

Auslagerung nach AMS 6552 (vgl. Kap. 5.3). Es kommt ein Glühofen des Typs ME

12/13 (Rohde KG, Röttenbach, D) zum Einsatz.

Tab. 3.11: Tabellarische und schematische Darstellung der Wärmebehandlungsstufen. Die

zweiteilige Wärmebehandlung umfasst eine experimentell bestimmte Lösungsglühung auf

Höhe der δ-Solvustemperatur und eine zweistufige Auslagerung nach AMS 6552.

Parameter / Temperatur

[°C]

Rate

[K/min]

Haltezeit

[h]

Stufen

Lösungsglühung 1020 10 2

Luftabkühlung 20 - -

Auslagerung 1 719 10 8

Ofenabkühlung 719 621 0,93 -

Auslagerung 2 621 - 8

Luftabkühlung 20 - -

3.5.2 Resonanzfrequenzdämpfungsanalyse (RFDA)

Der Elastizitätsmodul wird bei RT mittels Resonanzfrequenzdämpfungsanalyse

(RFDA) ermittelt. Dabei kommt eine RFDA-Apparatur des Typs MF (IMCE NV,

Diepenbeck, BE) zum Einsatz. Der Elastizitätsmodul wird in Abhängigkeit der

Belastungsfälle und Gefügetypen an zylindrischen Proben mit einem Durchmesser

von 8 mm nach ASTM 1876 bestimmt. Nach Impulsgabe wird durch Ermittlung der

Eigenfrequenz der E-Modul berechnet. Die zylindrischen Proben werden

anschließend zur finalen Zug- bzw. Ermüdungsprobengeometrie abgedreht.

3.5.3 Kalt- und Warmzugversuch

Im Zugversuch werden die mechanischen Kennwerte in Abhängigkeit der

Belastungsrichtungen für CG- und EG-Gefüge ermittelt. Es wird die Probengeometrie

der Form B nach DIN 50125 mit einem metrischen Gewinde M8 verwendet

[DIN50125]. Der uniaxiale Zugversuch wird bei RT und 650° C mit einer

Prüfgeschwindigkeit von 1 mm/min an einer Universalprüfmaschine Zwick Roell Z100

(Zwick GmbH & Co. KG, Ulm, D) unter Zuhilfenahme des Programms testXpert II®

(Zwick GmbH & Co. KG, Ulm, D) durchgeführt. Zur Aufnahme der Last wird eine

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3 Experimentelles Vorgehen 50

100 kN Kraftmessdose und zur Aufnahme der Längenänderung ein Makro-

Feindehnungsaufnehmer verwendet. Die Warmzugversuche werden unter

Zuhilfenahme eines Konvektionsluftofens des Typs EC 76B-1-0-2-0 (Severn

Furnaces Ltd., Cam, Dursley, Gloucestershire, UK) durchgeführt. Nach Erreichen der

gewünschten Temperatur an dem oberen und unteren Probenthermoelement wird

die Temperatur vor Versuchsstart aus Gründen einer homogenen

Temperaturverteilung 15 min gehalten.

3.5.4 Hochzyklischer Ermüdungsversuch (HCF)

Die hochzyklische Schwellfestigkeit wird für stängelkristallines Probenmaterial in

Abhängigkeit des Belastungsfalls ermittelt.

Probenfertigung

Es liegt SEBM-Probenmaterial mit stängelkristallinem Gefüge in 0°, 45° und 90°

Orientierung zwischen Belastungs- und Baurichtung und Schmiedematerial mit einer

Korngröße von 18 µm als Referenz (wärmebehandelt nach AMS 6552:

Lösungsglühung bei 982 °C) vor. Die Ermüdungsproben werden aus vollständig

wärmebehandelten Rundproben mittels CNC-Drehen nach der technischen

Zeichnung in Abb. 3.7 gefertigt. Die Probengeometrie entspricht der Prüfvorschrift

des verwendeten Amsler Hochfrequenzpulsers des Typs 2 HFP 421 (Amsler

Prüfsysteme AG, Neftenbach, CH).

Die starke Abhängigkeit der Ermüdungsfestigkeit von der Oberflächenrauigkeit macht

eine Nachbearbeitung der Versuchslänge unumgänglich [Bargel2000]. Die

Ermüdungsproben werden bis auf einen arithmetischen Mittelrauheitswert 𝑅𝑎 von

kleiner 0,25 µm und einer Rauheitstiefe 𝑅𝑡 von kleiner 1 mm mit SiC-Papier der

Körnungen 2400 und 4000 geschliffen. Die Bestimmung der Rauigkeit erfolgt in

Belastungsrichtung mit Hilfe eines Konfokalmikroskops des Typs LEXT OLS4100

Abb. 3.7: Technische Zeichnung der

Ermüdungsprobengeometrie nach der

Prüfvorschrift des Amsler

Hochfrequenzpulsators des Typs 2 HFP

421.

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3 Experimentelles Vorgehen 51

(Olympus Scientific Solutions Americas Inc., Waltham, MA, USA). Es werden für jede

Probe 4 Positionen mit einer 20-fachen Vergrößerung entlang der Messstrecke

aufgenommen und mit jeweils 4 Einzelspurmessungen pro Aufnahme untersucht.

Versuchsdurchführung

Die hochzyklischen Ermüdungsversuche werden in Luft im Zugschwellbereich bei

einer Temperatur von 450 °C mit einem Spannungsverhältnis von R = 0 bis zu einer

Lastwechselspielzahl 𝑁 von 107 Lastwechseln durchgeführt. Die Prüffrequenz beträgt

90 ± 5 Hz. Um eine hohe Anzahl an Datenpunkten im hochzyklischen Bereich des

Wöhlerdiagramms (105 - 107 Lastwechsel) zu generieren, wird nach dem

Treppenstufenverfahren (Staircase-Methode) nach Dixon und Mood mit einer

Grenzlastspielzahl von 106 Lastwechseln und einer Spannungsstufenhöhe ∆σ von

25 MPa vorgegangen [Dixon1948]. Hier wird nach jedem Wöhlerversuch geprüft, ob

die Grenzlastspielzahl erreicht oder unterschritten wird und entsprechend die

Spannungsamplitude im nächsten Versuch um die Stufenhöhe verringert oder

erhöht. Im Unterschied zum üblichen Vorgehen wird der Schwingversuch nicht nach

Erreichen der Grenzlastspielzahl des Treppenstufenverfahrens, sondern erst bei

Erreichen einer Lastspielzahl von 107 Lastwechseln angehalten. Hierdurch wird die

Anzahl an Durchläufern verringert und die Anzahl an fraktographisch analysierbaren

Proben erhöht. Der Ermüdungsversuch wird über das Programm testXpert® (Zwick

GmbH & Co. KG, Ulm, D) gesteuert. Neben dem Erreichen von 107 Lastwechseln

wird als zweites Abbruchkriterium ein Frequenzabfall von 10 Hz gesetzt, um bei

einem Ermüdungsbruch eine Beschädigung der Ermüdungsbruchflächen zu

vermeiden.

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4 Numerisches Vorgehen 52

4 Numerisches Vorgehen

Die numerische Simulation auf Basis der Lattice Boltzmann Methode (LBM) wird

dazu genutzt, die Erstarrungsbedingungen in Abhängigkeit von der Scanstrategie zu

untersuchen. Das numerische Modell ermöglicht die Simulation pulverbettbasierter

additiver Fertigungsprozesse unter Berücksichtigung einer Vielzahl physikalischer

Effekte, wie z.B.: Strahlabsorption, Phasenübergänge, Wärmeleitung,

Benetzungsvorgänge und kapillare Kräfte. Der Schmelzprozess wird auf

Pulverebene simuliert und trägt so weiterhin der stochastischen Verteilung von

Pulverpartikeln innerhalb einer Schicht Rechnung.

Die Simulation des Schmelzprozesses erfordert die Berücksichtigung der hydro- und

thermodynamischen Vorgänge. Hierfür werden die Kontinuitätsgleichung in Gl. (4.1),

die inkompressible Navier-Stokes Gleichung in Gl. (4.2) und die Konvektions-

Diffusionsgleichung der spezifischen Enthalpie 𝐸 in Gl. (4.3) mit Hilfe der Lattice

Boltzmann Methode gelöst [Körner2011].

∇ ∙ �⃑� = 0 (4.1)

𝜕𝑡�⃑� + (�⃑� ⋅ ∇)�⃑� = −1

𝜌∇𝑝 + 𝜈∇2�⃑� + 𝐹 , (4.2)

𝜕𝑡𝐸 + ∇ ⋅ (�⃑� 𝐸) = ∇ ⋅ (𝑘∇E) + 𝜙, (4.3)

Die Gleichungen werden nach der Dichte 𝜌, der Geschwindigkeit der Schmelze �⃑�

und der spezifischen Enthalpie 𝐸 gelöst. Die Temperaturleitfähigkeit 𝑘 und die

kinematische Viskosität 𝜈 stellen Materialparameter dar, die bekannt sein müssen.

Die Dichte ist über die ideale Gasgleichung mit dem Druck 𝑝 verknüpft. Die

Energiequelle 𝜙 stellt die Energie dar, welche der Energiestrahl in das Material

einkoppelt. Mit Hilfe der externen Kraft 𝐹 können zusätzliche physikalische Effekte,

wie z.B. Gravitation, Benetzungs- und Verdampfungsvorgänge berücksichtigt werden

[Attar2009, Klassen2014a].

Die 2D-Simulationsebene weist eine Fläche von 2,5 x 15 mm² auf und wird in

quadratische Zellen mit einer Größe von 5 x 5 µm² unterteilt. Eine Zelle kann in

Abhängigkeit von der Temperatur und dem Füllgrad die feste, flüssige oder

gasförmige Phase annehmen. Der Übergang von der flüssigen Phase zur Gasphase

wird auf Grundlage der Volume-of-Fluid-Methode mit Hilfe von sogenannten

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4 Numerisches Vorgehen 53

Interface-Zellen nachverfolgt. Die Abgrenzung zwischen Fest- und Flüssigphase wird

anhand eines Temperaturschwellwerts innerhalb einer Zelle bewerkstelligt. Liegt die

Temperatur einer Zelle unterhalb 0,45 ∆𝑇0, wird diese als erstarrt angenommen.

In der Simulation wird ein idealisierter Schmelzprozess auf einem ebenen IN718-

Substrat ohne Berücksichtigung des Pulverbetts genutzt, um die

Schmelzbadgeometrie in Abhängigkeit der Scanstrategien zu untersuchen. Im

Vergleich zu vorangegangenen Simulationsläufen hat das Pulverbett keine

signifikante Beeinflussung des Schmelzbades im untersuchten Parameterfeld

gezeigt. Der Strahl verläuft transversal zur 2D-Simulationsebene in Abb. 4.1. Es wird

eine Reihe von Parameterpaaren der Scanstrategieexperimente mit einer

Substrattemperatur von 950 °C und einer Strahlbreite von 400 µm (4𝜎) simuliert

[Helmer2016]. Im Zuge des Schmelzprozesses kommt es anfangs zu einer

zunehmenden Erwärmung des Substrats bis sich nach etwa 1 bis 1,5 mm eine

Gleichgewichtstemperatur einstellt. Es wird daher lediglich das Ende der

Simulationsdomäne (1,5 - 2,5 mm) für die Untersuchung der Schmelzbadgeometrie

und der Erstarrungsbedingungen berücksichtigt. Als Approximation der

Erstarrungsfrontgeschwindigkeit wird die 0,45 ∆𝑇0-Isothermengeschwindigkeit

herangezogen. Diese Annahme ist für den Gleichgewichtszustand unter konstanten

Erstarrungsbedingungen zulässig. Für die sich stark ändernden Bedingungen in der

Schmelzbaderstarrung stellt die Isothermengeschwindigkeit die Obergrenze der

Erstarrungsfrontgeschwindigkeit dar, ist aber insbesondere für den Beginn der

Erstarrung am Schmelzbadboden eine zulässige Größe.

Abb. 4.1: Aufnahme aus einem beliebigen

Zeitpunkt der numerischen Simulation. Das

Pulver (weiß) wird von dem Elektronenstrahl

(hellgrau) aufgeschmolzen. Der Strahl

verfährt transversal zur Bildebene. Im

Schmelzbad wird die gesamte Fluiddynamik

gelöst.

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5 Ergebnisse und Diskussion 54

5 Ergebnisse und Diskussion

5.1 Prozessfenster für kolumnare Kornstrukturen (CG-IN718)

Die experimentell ermittelten Prozessfenster für eine dichte und maßhaltige

Verarbeitung von IN718 mit kolumnarer Kornstruktur mittels SEBM finden sich in

Abb. 5.1. Die Prozessfenster umschließen Prozessparameter, welche zu einer

relativen Dichte 𝜌𝑟𝑒𝑙 von größer als 99,5 % und einer ebenen Schmelzfläche mit

einer Profiltiefe 𝑃𝑡 von weniger als 200 µm führen. Die Prozessfenster PI, PII und PIII

gelten für eine Schichtdicke von 50 µm und eine Bautemperatur von ca. 950 °C. Sie

unterscheiden sich in der Strahlbreite 𝑑𝑓 (ca. 300 - 500 µm) und im Spurabstand ℎ𝑠

(100 - 200 µm).

Eine geringe relative Dichte, welche als untere Grenze des Prozessfensters fungiert,

lässt sich anhand von lichtmikroskopischen Aufnahmen des Längsschliffes durch das

Vorkommen großer Kavitäten verstehen. Diese sogenannte Makroporosität lässt sich

in Abb. 5.2 in Bindefehler mit einer meist parallelen Orientierung zur Schichtebene,

sphärische Gasporen und Konsolidierungsporosität mit einer beliebigen Form

unterteilen. Die Konsolidierungsporosität zeigt dabei den größten Einfluss auf die

relative Dichte und lässt sich durch eine Erhöhung der Flächenenergie bei

gleichbleibender Geschwindigkeit in den Prozessfenstern in Abb. 5.1 minimieren

bzw. vermeiden. Gasporen und Bindefehler verbleiben häufig auch bei hoher

relativer Dichte (𝜌𝑟𝑒𝑙 > 99,5 %) im Material und beeinflussen signifikant die

mechanischen Eigenschaften unter dynamischer Last (vgl. Kap. 5.5). Eine hohe

Oberflächenwelligkeit, welche die obere Grenze der Prozessfenster definiert, ist eine

Folge verstärkter Materialverfrachtung bei hohen Flächenenergien und stellt eine

signifikante Einschränkung der Oberflächenqualität und der Maßhaltigkeit dar. Die

Ursache wird in verdampfungsinduzierten Konvektionsströmen bei hohen

Oberflächentemperaturen gesehen. Abb. 5.1 d) gibt einen Überblick über die

Oberflächenqualität bei exemplarischen Proben mit geringer und hoher relativer

Dichte bzw. mit oberflächlicher Welligkeit.

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5 Ergebnisse und Diskussion 55

a) b)

c) d)

Abb. 5.1: Prozessfenster für eine dichte und maßhaltige Verarbeitung von IN718 mittels

SEBM in Abhängigkeit von der Flächenenergie und der Ablenkgeschwindigkeit. Die

Prozessfenster (grau unterlegte Bereiche) gelten für eine Schichtdicke von 50 µm und eine

Bautemperatur von 950 °C und unterscheiden sich in der Strahlbreite 𝑑𝑓 (PI in a) mit 𝑑𝑓 ≅

500 µm, PII in b) mit 𝑑𝑓 ≅ 400 µm, PIII in c) mit 𝑑𝑓 ≅ 300 µm) und im Spurabstand ℎ𝑠 (PI

und PII mit ℎ𝑠 = 200 µm, PIII mit ℎ𝑠 = 100 µm). Dichte und maßhaltige Proben (schwarze

Quadrate) weisen eine Profiltiefe 𝑃𝑡 von kleiner als 200 µm und relative Dichten 𝜌𝑟𝑒𝑙 von

größer als 99,5 % auf. In d) sind exemplarische Schmelzflächen der würfelförmigen

Probenkörper dargestellt. Der Verlauf des Prozessfensters im Geschwindigkeitsbereich

von 0,2 - 1 m/s ist durch Wärmeleitungsverlust getrieben, so dass die Flächenenergie mit

zunehmender Geschwindigkeit abnimmt. Bei höheren Geschwindigkeiten wird ein Plateau

erreicht, dessen Lage von der Strahlbreite bzw. Energiedichte des Strahls abhängt. Für

geringe Strahlbreiten in PII und PIII findet sich in b) und c) ein Plateau bei deutlich

niedrigeren Flächenenergien im Vergleich zu PI in a).

Poröse Oberfläche

Ebene Oberfläche

(meist dicht)

Wellige Oberfläche15 mm

Qualität der Würfeloberseite

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5 Ergebnisse und Diskussion 56

Der Verlauf des Prozessfensters ist stark von Wärmeleitungsverlusten im

Schmelzvorgang beeinflusst, die in Kap. 5.1.3 näher betrachtet werden. Mit

zunehmender Ablenkgeschwindigkeit ist ein steiler Abfall der für eine dichte und

maßhaltige Verarbeitung notwendigen Flächenenergie zu verzeichnen. Bei

Ablenkgeschwindigkeiten ab ca. 1 m/s flacht der Verlauf unter Bildung eines

Plateaus allmählich ab. Die Lage des Plateaus ist von der Strahlbreite abhängig, wie

im Vergleich zwischen PI und PII bzw. PIII deutlich wird. Die höhere Energiedichte

bei geringer Strahlbreite ermöglicht eine dichte Verarbeitung bei niedrigeren

Flächenenergien.

5.1.1 Aufschmelztiefe

Die Aufschmelztiefe 𝑙𝐴 ist für zwei Ablenkgeschwindigkeiten (aus PIII) in Abb. 5.3 a)

in Abhängigkeit von der Flächenenergie dargestellt. Mit zunehmender

Flächenenergie nimmt die Aufschmelztiefe für beide Ablenkgeschwindigkeiten linear

zu. Für eine Ablenkgeschwindigkeit von 4,5 m/s ist die Aufschmelztiefe bei gleicher

Flächenenergie tiefer als für 3,0 m/s. Dieser Versatz wird in Abb. 5.3 b) ebenfalls

anhand der Volumenenergie 𝐸𝑉 aus Gl. (5.1) deutlich.

𝐸𝑉 ∶= 𝐸𝐴

𝑙𝐴=

𝑃

𝑣 ∗ ℎ𝑠 ∗ 𝑙𝐴 (5.1)

Die Volumenenergie - der Quotient aus Flächenenergie und Aufschmelztiefe - zeigt

für die Ablenkgeschwindigkeiten von 3,0 m/s und 4,5 m/s keine Abhängigkeit von der

Flächenenergie, wird jedoch signifikant von der Ablenkgeschwindigkeit beeinflusst.

Für hohe Ablenkgeschwindigkeiten sind für eine dichte Verarbeitung geringere

Volumenenergien aufzuwenden. Ursächlich ist wiederum eine Verringerung von

Abb. 5.2: Darstellung der verschiedenen

Arten von Makroporosität an einer

lichtmikroskopischen Aufnahme. Es lassen

sich sphärische Gasporen, großflächige

Konsolidierungsporen und zur Schichtebene

ausgerichtete Bindefehler detektieren.

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5 Ergebnisse und Diskussion 57

Wärmeleitungsverlusten bei zunehmenden Ablenkgeschwindigkeiten (vgl. Kap.

5.1.3).

Weiterhin ist bei einer Ablenkgeschwindigkeit von 4,5 m/s das 3½-fache der

minimalen Volumenenergie 𝐸𝑉,𝑚𝑖𝑛 aufzuwenden, die eine energetische Betrachtung

auf Basis des Wärmeinhalts und der Schmelzenthalpie darstellt (vgl. Anhang C).

Dieser Unterschied resultiert aus den bereits genannten Wärmeleitungsverlusten,

aber auch aus Wärmestrahlungs- und Verdampfungsverlusten. Weiterhin wird ein

Teil der Elektronen des Strahls zurückgestreut, so dass lediglich 81 % der

Strahlleistung für den Aufschmelzvorgang zur Verfügung stehen [Klassen2012].

5.1.2 Globale chemische Zusammensetzung

Die chemische Zusammensetzung kann sich im SEBM-Prozess durch das selektive

Verdampfen einzelner Elemente mit hohem Verdampfungsdruck, wie z.B. Chrom und

Aluminium verändern [Juechter2014]. In SEBM-IN718 lässt sich für

Ablenkgeschwindigkeiten von 3,0 - 4,5 m/s (vgl. Abb. 5.1 c) innerhalb des

a) b)

Abb. 5.3: Aufschmelztiefe in Abhängigkeit von der Flächenenergie bei konstanter

Ablenkgeschwindigkeit in a) [Rothammer2015] und entsprechende Volumenenergie 𝐸𝑉 in

Abhängigkeit von der Flächenenergie in b) für die Ablenkgeschwindigkeiten 3,0 m/s und

4,5 m/s aus PIII (vgl. Abb. 5.1 c)). Aus der linearen Beziehung zwischen Aufschmelztiefe

und Flächenenergie resultiert eine konstante Volumenenergie 𝐸𝑉 bei konstanter

Ablenkgeschwindigkeit innerhalb des Prozessfensters. Der Abstand zwischen der

Volumenenergie und der minimalen Volumenenergie 𝐸𝑉,𝑚𝑖𝑛, welche einer energetischen

Betrachtung auf Basis des Wärmeinhalts und der Schmelzenthalpie entspricht, erhöht sich

mit abnehmender Ablenkgeschwindigkeit aus Gründen erhöhter Wärmeleitungsverluste.

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5 Ergebnisse und Diskussion 58

Prozessfensters PIII eine homogene chemische Zusammensetzung detektieren. Der

Chromgehalt, der als Maß für das Verdampfungsverhalten herangezogen wird,

verbleibt dabei im Mittel bei 17,2 ± 0,1 Gew.-%. Demnach kommt es bei der

Verarbeitung zu einem Chromverlust von etwa 0,3 Gew.-% im Verhältnis zum

nominellen Anteil von 17,5 Gew.-% (vgl. Tab. 3.1). In Abb. 5.4 ist der Chromgehalt in

Abhängigkeit von der Flächenenergie aus Gründen der Übersichtlichkeit lediglich für

eine Ablenkgeschwindigkeit von 4,5 m/s aufgetragen. Es zeigt sich ein

weitestgehend konstanter Chromgehalt innerhalb des Prozessfensters. Der

Chromgehalt verbleibt dabei oberhalb der nach AMS 6552 spezifizierten

Untergrenze. Für Prozessparameter außerhalb des Prozessfensters (𝐸𝐴 = 2,1 J/mm²)

ist ein leicht erhöhter Chromverlust zu beobachten. Die Zunahme der selektiven

Verdampfung ist eine Folge erhöhter Oberflächentemperaturen bzw.

Verdampfungsdrücke, die ihren Ausdruck auch in der Welligkeit der Würfeloberfläche

finden.

5.1.3 Einfluss der thermischen Diffusion auf die Konsolidierung

Der Scanprozess erfolgt im SEBM-Prozess meist mit einem bidirektionalen

Scanmuster entsprechend Abb. 5.5. Der Spurabstand ist dabei so gewählt, dass die

einzelnen Schmelzbäder zu einem gewissen Teil überlappen. Jedes Schmelzbad

wird von seinem Nachfolgenden partiell zurückgeschmolzen (vgl. Abb. 5.30). Das

Schmelzbad ist in der Folge von der Restwärme in Umgebung des vorherigen

Schmelzbades stark beeinflusst. Je nach Ablenkgeschwindigkeit verstreicht mehr

oder weniger Zeit zwischen zwei benachbarten Schmelzbädern bzw. Scanvektoren.

In dieser Zeit diffundiert Wärme in das Substrat und steht damit für den

Abb. 5.4: Chromgehalt in Abhängigkeit von

der Flächenenergie für eine

Ablenkgeschwindigkeit von 4,5 m/s in PIII.

Innerhalb des Prozessfensters findet sich

ein Chromverlust von 0,3 Gew.-%

gegenüber dem nominellen Cr-Anteil.

Parameter außerhalb des Prozessfensters

zeigen einen erhöhten Verlust.

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5 Ergebnisse und Diskussion 59

Schmelzprozess nicht mehr zur Verfügung. Diese sogenannte mittlere Rückkehrzeit

tr, in welcher oben beschriebener Wärmeverlust auftritt, berechnet sich aus dem

Quotienten der Rückkehrstrecke l (weiß in Abb. 5.5) und der Ablenkgeschwindigkeit

𝑣. Die mittlere Rückkehrzeit stellt die Zeit dar, die der Strahl von der Mitte eines

Scanvektors zur nächsten benötigt.

Das beschriebene Wärmeleitungsproblem wird näherungsweise mit der thermischen

Diffusionslänge 𝑙𝑡ℎ für eine Punktquelle in Gl. (5.2) und Gl. (5.3) beschrieben

[Carslaw1959].

𝑙𝑡ℎ = 2 ∗ (𝑎 ∗ 𝑙/𝑣)1/2 (5.2)

𝑙𝑡ℎ = 2 ∗ (𝑎 ∗ 𝑡𝑟)1/2 (5.3)

Die thermische Diffusivität a wird mit 5,0 * 10-6 m2 s-1 angesetzt. Dies entspricht dem

Mittelwert von a zwischen der Solidus- und der Liquidustemperatur von IN718

[Pottlacher2002b].

Abb. 5.5: Schema des bidirektionalen

Scanmusters im SEBM-Prozess. Das

Pulverbett wird von links nach rechts und

umgekehrt abgefahren, bis die gesamte

Schicht konsolidiert ist. Die aufzuwendende

Energie ist dabei vom Wärmeverlust

während der Rückkehrzeit abhängig. Zur

Berechnung der Rückkehrzeit wird jeweils

die Mitte eines Scanvektors betrachtet

(gestrichelte Mittellinie).

Schmelzbad

Bauteil

Konsolidiertes Material

Belichtungsvektor

Rückkehrstrecke

Pulverschicht

Schmelzfläche

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5 Ergebnisse und Diskussion 60

In Abb. 5.6 ist das Prozessfenster PII aus Abb. 5.1 b) in Abhängigkeit von der

thermischen Diffusionslänge erneut aufgetragen. In dieser Auftragung ist für die

untersuchten Ablenkgeschwindigkeiten eine lineare Beziehung zwischen der

thermischen Diffusionslänge und der für eine dichte und maßhaltige Verarbeitung

notwendigen Flächenenergie zu beobachten [Helmer2014b].

Der lineare Verlauf in Abb. 5.6 ermöglicht weiterhin eine Abschätzung der

notwendigen Flächenenergie für Schmelzflächen unterschiedlicher Größe. Mit Hilfe

einer linearen Regression lassen sich aus Abb. 5.6 die in Gl. (5.4) und Gl. (5.5)

dargestellten Abschätzungen ermitteln.

𝐸𝐴 = 4,54 ∗ 𝑙𝑡ℎ − 0,52 (5.4)

𝐸𝐴 = 4,54 ∗ 2 ∗ (𝑎 ∗ 𝑙/𝑣)1/2 − 0,52 (5.5)

Bei hohen Geschwindigkeiten bzw. geringen Diffusionslängen, nähert sich das

Prozessfenster im Zuge geringerer Wärmeleitungsverluste der minimalen

Flächenenergie 𝐸𝐴,𝑚𝑖𝑛 an, welche die Summe aus Wärmeinhalt und

Schmelzenthalpie darstellt, um eine 150 µm dicke Schicht mit einer

Substrattemperatur von 900 °C zu heizen und zu schmelzen (vgl. Anhang C). Die

Höhe des sich hierbei ausbildenden Plateaus ist, wie aus Abb. 5.7 ersichtlich,

weiterhin von der Strahlbreite abhängig. Im Prozessfenster PI ist aufgrund eines

Abb. 5.6: Flächenenergie in Abhängigkeit

von der thermischen Diffusionslänge für das

Prozessfenster PII aus Abb. 5.1 b). Die

Flächenenergie für dichte und maßhaltige

Bauteile (schwarze Symbole) nimmt mit

zunehmender 𝑙𝑡ℎ bzw. abnehmender 𝑣

aufgrund höherer Wärmeverluste zu. Bei

geringen 𝑙𝑡ℎ wird das theoretische Minimum

𝐸𝐴,𝑚𝑖𝑛 angenähert. 𝐸𝐴,𝑚𝑖𝑛 entspricht der

notwendigen Energie um eine 150 µm dicke

Schicht zu heizen und zu schmelzen

[Helmer2014b].

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5 Ergebnisse und Diskussion 61

breiten Strahls für den Bereich geringer thermischer Diffusionslängen bzw. hoher

Ablenkgeschwindigkeiten mehr Energie aufzuwenden im Vergleich zu

Prozessfenster PII mit einem feinen Strahl.

Abb. 5.7: Flächenenergie in Abhängigkeit

von der thermischen Diffusionslänge für die

Prozessfenster PI und PII. Für PI ist im

Zuge einer größeren Strahlbreite 𝑑𝑓 für den

Bereich geringer thermischer Diffusions-

längen (bzw. hoher Ablenk-

geschwindigkeiten) eine höhere

Flächenenergie aufzuwenden.

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5 Ergebnisse und Diskussion 62

5.2 Schmelzbadgeometrie und Kornstruktur

Die Kornstruktur in SEBM-IN718 ist meist stark stängelkristallin. Das

stängelkristalline Gefüge in Abb. 5.8 ist das Resultat eines Kornselektionsprozesses,

in welchem zum Wärmestrom günstig orientierte Körner epitaktisch über mehrere

Schichten wachsen und ungünstig orientierte Körner überwachsen (vgl. Kap. 5.2.5).

Ausgehend von einer polykristallinen IN718-Startplatte mit einer mittleren Korngröße

von 17 µm kommt es durch kompetitives Wachstum zu einer Zunahme der mittleren

Kornbreite der Stängelkristalle in Abb. 5.9. Das regellose Gefüge der Startplatte führt

in Startplattennähe zu wenigen günstig orientierten Körnern, die fehlorientierte

Körner überwachsen. Mit zunehmender Bauhöhe bzw. Dauer der Kornselektion

nimmt die Fehlorientierung der Stängelkristalle zur Baurichtung bzw. zum

Wärmestrom immer weiter ab, so dass ab einer Bauhöhe von 9 mm keine

signifikante Kornverbreiterung mehr zu beobachten ist. Die finale Kornbreite ist bei

ausschließlich epitaktischem Wachstum eine Folge der Korngröße und Textur des

Startplattenmaterials bzw. des Substrats [Helmer2014b].

In Strahlschmelzprozessen ist die Richtung des Wärmestroms während der

Erstarrung von der Schmelzbadgeometrie bestimmt [Rappaz1989]. Der thermische

Gradient 𝐺 steht senkrecht auf dem Schmelzbadrand und besitzt in Abhängigkeit von

der Schmelzbadgeometrie und -position einen Neigungswinkel 𝜑 zur Baurichtung

(BR). Folglich beeinflusst die Schmelzbadgeometrie maßgeblich die

Erstarrungsbedingungen und damit die Kornstrukturentwicklung. Im Folgenden

werden der Einfluss der Strahlbreite und von Scanstrategien auf die

Schmelzbadgeometrie und Kornstruktur dargestellt.

Abb. 5.8: Lichtmikroskopische Aufnahme

des stark stängelkristallinen Gefüges in CG-

IN718. Ausgehend von einer IN718-

Startplatte mit globulitischer Kornstruktur

wachsen zum Wärmestrom günstig

orientierte Körner epitaktisch über mehrere

Schichten und überwachsen ungünstig

orientierte Körner sukzessive. 500 µmIN718 Startplatte

SEBM-IN718

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5 Ergebnisse und Diskussion 63

5.2.1 Einfluss der Strahlbreite

Anhand ausgewählter Prozessparameter der Prozessfenster PI und PII wird im

Folgenden der Einfluss der Strahlbreite auf die Schmelzbadgeometrie und die

Kornstruktur dargestellt.

Schmelzbadgeometrie

Für langsame Ablenkgeschwindigkeiten von 0,2 - 1 m/s lassen sich in Abb. 5.10 die

für Strahlschmelzverfahren üblichen sphärischen Schmelzbäder in den

Längsschliffen der letzten Schicht beobachten. Aufgrund identischer

Ablenkgeschwindigkeiten und Strahlleistungen ist in Abb. 5.10 a) und b) der Einfluss

der Strahlbreite 𝑑𝑓 auf die Schmelzbadgeometrie zu beobachten. Für eine hohe

Strahlbreite CGHS1 (𝑑𝑓 ≅ 500 µm) findet sich ein breites und ebenes Schmelzbad in

Abb. 5.10 a). Die höhere Energiedichte bei einer niedrigen Strahlbreite CGLS1 (𝑑𝑓 ≅

400 µm) führt in Abb. 5.10 b) zu einem schmäleren Schmelzbad mit steileren

Schmelzbadflanken. Die im Fall der niedrigen Strahlbreite vorzufindenden höheren

Aufschmelztiefen und steileren Schmelzbadflanken sind die Folge der im Zuge der

Strahlfokussierung stärkeren Konvektionsströme, die in höheren

Oberflächentemperaturen bzw. Verdampfungsdrücken ihren Ursprung haben

[Klassen2014b].

1 CGHS und CGLS stehen für eine kolumnare Kornstruktur (CG, eng. columnar grain) bei einer hohen

Strahlbreite (HS, eng. high spot size) und einer niedrigen Strahlbreite (LS, eng. low spot size)

Abb. 5.9: Entwicklung der Kornbreite in

Abhängigkeit von der Bauhöhe ausgehend

von einer polykristallinen IN718-Startplatte.

Basierend auf der Auswahl von zum

thermischen Gradienten günstig orientierten

Körnern nimmt die Kornbreite der

Stängelkristalle sukzessive zu, bis sich

allmählich ein Plateau ausbildet

[Helmer2014b].

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5 Ergebnisse und Diskussion 64

Sichtbarkeit der Schmelzbadgeometrie

Die Sichtbarkeit der linienartigen Schmelzbadränder in Abb. 5.8 liegt in der

Veränderung der Erstarrungsbedingungen im Verlauf der Erstarrung eines

Schmelzbades begründet. Ist der thermische Gradient zu Beginn der Erstarrung steil

und die Erstarrungsgeschwindigkeit gering, so kehren sich diese Größen mit

fortschreitender Erstarrung um (vgl. Abb. 5.26). Das Rückschmelzen zuvor

aufgebauter Schichten und nebenliegender, bereits erstarrter Schmelzbäder bringt

nun Bereiche unterschiedlicher Erstarrungsbedingungen in direkten Kontakt. Die

Sichtbarkeit resultiert folglich aus dem Aufeinandertreffen unterschiedlicher

Erstarrungsmorphologien bzw. Konzentrationsprofile.

Kornstruktur

Die Kornstrukturen für CGHS und CGLS sind in den IPF-Z-Orientierungskarten in Abb.

5.11 stark stängelkristallin mit einer parallelen Orientierung entlang der Baurichtung.

Für CGHS in Abb. 5.11 a) finden sich ausschließlich Stängelkristalle, wohingegen für

CGLS in Abb. 5.11 b) einzelne Neukörner vorzufinden sind, die durch ihre von der

[100]-Richtung abweichende Einfärbung hervortreten. Neben einzelnen Neukörnern

zeigen sich feinere Stängelkristalle in CGLS. Die mittleren Kornbreiten in CGHS und

a) b)

Abb. 5.10: Lichtmikroskopische Aufnahmen der Schmelzbadgeometrie für einen breiten

Strahl in a) (𝑑𝑓 ≅ 500 µm, 𝑣 = 0,2 m/s, 𝐸𝐴 = 5 J/mm²) und einen feinen Strahl in b)

(𝑑𝑓 ≅ 400 µm, 𝑣 = 0,2 m/s, 𝐸𝐴 = 5 J/mm²). In Umgebung des Schmelzbadbodens findet

sich für den breiten Strahl eine weitestgehend parallele Orientierung des thermischen

Gradienten zur Baurichtung. Das Schmelzbad des fokussierten Strahls weist eine deutlich

stärkere Krümmung am Schmelzbadboden auf, welche auf einen höheren

Verdampfungsdruck schließen lässt und mit einer größeren Neigung des thermischen

Gradienten einhergeht.

100 µm

Elektronenstrahlh

s

100 µm

Elektronenstrahlh

s

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5 Ergebnisse und Diskussion 65

CGLS ergeben sich zu 39,3 µm bzw. zu 20,5 µm für eine Ablenkgeschwindigkeit von

0,2 m/s.

Die unterschiedlichen mittleren Kornbreiten lassen sich auch für höhere

Ablenkgeschwindigkeiten in Abb. 5.12 bestätigen. Für eine Strahlbreite von ca.

500 µm lässt sich bei Ablenkgeschwindigkeiten bis 0,8 m/s eine höhere mittlere

Kornbreite detektieren. Aus Gründen der Vergleichbarkeit weisen Datenpunkte mit

a) b)

Abb. 5.11: IPF-Z-Orientierungskarten für einen breiten Strahl CGHS und einen feinen Strahl

CGLS. Die mittlere Kornbreite ist für CGHS etwa doppelt so groß wie für CGLS. Für CGLS

zeigen sich vereinzelt Neukörner, die durch ihre von Rot abweichende Einfärbung von den

umliegenden Stängelkristallen unterscheidbar sind. Das Probenkoordinatensystem und

eine inverse Polfigur mit einer Einfärbung nach Kristallorientierungen finden sich unten

links und werden im Folgenden beibehalten.

Abb. 5.12: Mittlere Kornbreite für die

Prozessfenster PI (𝑑𝑓 ≅ 500 µm) und PII

(𝑑𝑓 ≅ 400 µm) in Abhängigkeit von der

Ablenkgeschwindigkeit. Die mittlere

Kornbreite ist bei einer Strahlbreite von

500 µm größer als bei 400 µm. Die Leistung

ist aus Gründen der Vergleichbarkeit für

Parameter gleicher Ablenkgeschwindigkeit

konstant.

100 µm 100 µm

Z

Y X

100

111

110

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5 Ergebnisse und Diskussion 66

gleicher Ablenkgeschwindigkeit einen identischen Strahlstrom bzw. eine identische

Leistung auf.

Kristallographische Textur

Das stark stängelkristalline Gefüge in CGHS und CGLS verdeutlicht sich in den (100)-

Polfiguren mit Orientierungsdichtefunktion in Abb. 5.13 a) bzw. b) durch klare MUD-

Maxima (multiples of uniform distribution) entlang der Baurichtung (Mittelpunkt der

betrachteten XY-Ebene). Demnach liegt für beide Gefüge eine stark ausgeprägte

(100)-Fasertextur vor. Die Textur von CGHS ist gegenüber CGLS etwas ausgeprägter,

was sowohl an den MUD-Maxima der (100)-Polfiguren von CGHS und CGLS in Höhe

von 41 zu 36, als auch an einem Texturindex von 29 zu 22 auszumachen ist.

a)

b)

Abb. 5.13: Polfiguren der YX-Ebene für CGHS in a) und CGLS in b) der

Orientierungskarten in Abb. 5.11. Der breite Strahl führt zu einem höheren MUD-

Maximum, welches einer geringeren Abweichung der Stängelkristalle zur

Baurichtung entspricht. Für beide Gefüge ist eine geringe sekundäre Anisotropie

hinsichtlich der bevorzugten Wachstumsrichtung der Sekundärarme zu

beobachten. Diese wachsen bevorzugt entlang der X- und Y-Scanvektorachsen.

(100)

Max:

41.25

Min:

0

X

Y

(110)

Max:

9.69

Min:

0

X

Y

(111)

Max:

12.37

Min:

0

MUD

X

Y

5

10

15

20

25

30

35

40

(100)

Max:

36.01

Min:

0

X

Y

(110)

Max:

8.24

Min:

0.01

X

Y

(111)

Max:

11.61

Min:

0

MUD

X

Y

5

10

15

20

25

30

35

40

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5 Ergebnisse und Diskussion 67

Neben der primären Anisotropie findet sich eine schwache sekundäre Anisotropie,

die insbesondere in den (110)-Polfiguren anhand klarer Maxima auf den X- und Y-

Achsen deutlich wird. Die sekundäre Anisotropie betrifft nicht die Abweichung der

kristallographischen [100]-Richtung (Primärarme) von der Baurichtung, sondern die

Orientierung der [010]- und [001]-Richtungen eines Stängelkristalls bzw. die

Orientierung der Sekundärarme des dendritischen Netzwerks innerhalb eines

Stängelkristalls. Die bevorzugte primäre und sekundäre Orientierung ist für einen

Dendriten in der (100)-Polfigur in Abb. 5.14 schematisch eingetragen. Für das

vorliegende stängelkristalline Gefüge sind die Sekundärarme demnach bevorzugt in

Richtung der X- und Y-Achse des Probenkoordinatensystems orientiert. Diese

Achsen entsprechen gemäß der Betrachtungsebene nach Abb. 3.2 den Richtungen

der Scanvektoren und werden im Folgenden als Scanvektorachsen bezeichnet. Die

Primärarme innerhalb der Stängelkristalle sind folglich bevorzugt parallel zur

Baurichtung und die Sekundärarme bevorzugt parallel bzw. senkrecht zu den

Scanvektorachsen orientiert (vgl. Kap. 5.2.5).

5.2.2 Einfluss der Scanstrategie

Die Scanstrategie zeigt einen signifikanten Einfluss auf die Schmelzbadgeometrie

und Kornstruktur. Es wird zuerst auf den Einfluss der Ablenkgeschwindigkeit auf die

Schmelzbadgeometrie eingegangen um ein grundlegendes Verständnis für den

Einfluss von Scanstrategien mit hohen Ablenkgeschwindigkeiten aufzubauen.

Einfluss der Ablenkgeschwindigkeit auf die Schmelzbadgeometrie

Der Einfluss der Ablenkgeschwindigkeit auf die Schmelzbadgeometrie wird anhand

exemplarischer Proben aus Prozessfenster PI und PII aus Abb. 5.1 dargestellt. In

Abb. 5.15 ist das Tiefenbreitenverhältnis (TBV) der Schmelzbadgeometrie in

Abhängigkeit von der Ablenkgeschwindigkeit dargestellt. Bei jeder

Abb. 5.14: (100)-Polfigur mit

Schemazeichnung der bevorzugten

dendritischen Orientierung. Die Primärarme

sind bevorzugt parallel zur Baurichtung und

die Sekundärarme bevorzugt parallel bzw.

senkrecht zu den Richtungen der

Scanvektoren (X- und Y-Achse) orientiert.

(100)

X

Y

[010]

[001]

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5 Ergebnisse und Diskussion 68

Ablenkgeschwindigkeit wird der Datenpunkt mit der niedrigsten Flächenenergie

innerhalb der Prozessfenster in Abb. 5.1 untersucht. Das TBV nimmt mit

zunehmender Ablenkgeschwindigkeit ab. Die für geringe Ablenkgeschwindigkeiten

charakteristischen sphärischen Schmelzbäder (hohes TBV) in Abb. 5.10 und 5.13 b)

(TBV1) dehnen sich bei hohen Ablenkgeschwindigkeiten auf Bereiche

nebenliegender Scanvektoren (niedriges TBV) in Abb. 5.17 a) und 5.13 b) (TBV2)

aus. Die Schmelzbadflanken sind in diesen Fall im Mittel stärker von der Baurichtung

geneigt. Dies ist wiederum auf geringere Wärmeleitungsverluste bei hohen

Ablenkgeschwindigkeiten zurückzuführen (vgl. Kap. 5.1.3).

Schmelzbadgeometrie und Scanstrategie

Die im Folgenden untersuchte Scanstrategie umfasst die Veränderung der

Ablenkgeschwindigkeit und des Spurabstands im Schmelzvorgang. Mit einer

Reduzierung des Spurabstands erhöht sich die Anzahl vom Strahl abzufahrender

Scanvektoren, so dass die Schmelzfläche sowohl lokal, als auch global häufiger vom

Strahl passiert wird. Die Scanstrategie wird so verändert, dass der Spurabstand

sukzessive erniedrigt und die Ablenkgeschwindigkeit in gleichem Maße erhöht wird,

so dass die globale Scanzeit bzw. die transversale Fortschrittgeschwindigkeit 𝑣𝑡 in

allen Experimenten konstant bleibt. Ein großer Spurabstand entspricht einer geringen

a) b)

Abb. 5.15: Entwicklung des Tiefenbreitenverhältnisses (TBV) der Schmelzbadgeometrie in

Abhängigkeit von der Ablenkgeschwindigkeit für die Prozessfenster PI und PII in a) und

schematische Darstellung des TBV für niedrige und hohe Ablenkgeschwindigkeiten in b).

Mit zunehmender Ablenkgeschwindigkeit ist eine Verbreiterung des Schmelzbades

senkrecht zu den Scanvektoren zu beobachten.

Elektronenstrahl

TBV bei v1 1

v < v & TBV > TBV1 2 1 2

TBV bei v2 2

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5 Ergebnisse und Diskussion 69

Ablenkgeschwindigkeit und umgekehrt. Die Scanstrategie nimmt Einfluss auf die Art

der Energieeinbringung und beeinflusst damit die Schmelzbadgeometrie, wie in den

schematischen Zeichnungen in Abb. 5.16 deutlich wird.

Für die geringste Ablenkgeschwindigkeit innerhalb der Scanstrategieexperimente

von 2,2 m/s (bei ℎ𝑠 = 150 µm) - im Folgenden als CGHL (HL, eng. high line offset)

bezeichnet - lassen sich in Abb. 5.17 a) transversal zu den Scanvektoren

ausgedehnte Schmelzbäder beobachten, die analog zu Ergebnissen in Abb. 5.15 ein

geringes Tiefenbreitenverhältnis aufweisen.

Für die höchste Ablenkgeschwindigkeit von 8,8 m/s (bei ℎ𝑠 = 37,5 µm) - im

Folgenden als EG (EG, eng. equiaxed grains) bezeichnet - lässt sich in Abb. 5.17 b)

der Schmelzbadboden, aber nicht die gesamte Schmelzbadgeometrie detektieren.

Der Schmelzbadboden weist im Gegenzug zu CGHL einen ebenen und keinen

welligen Verlauf auf. Nach den numerischen Ergebnissen (vgl. Kap. 5.2.4) ist für EG

anstatt eines Schmelzbades, welches bis zum Abfahren des nachfolgenden

a) b)

Abb. 5.16: Schematische Darstellung des Einflusses der Scanstrategie auf die

Schmelzbadgeometrie. Für hohe Spurabstände und geringe Ablenkgeschwindigkeiten in

a) folgt der Strahlquelle ein Schmelzbad, welches innerhalb eines Scanvektors erstarrt. In

b) wird aufgrund des häufigen Passierens (geringe Spurabstände) mit hohen

Ablenkgeschwindigkeiten eine Schmelzlinie erzeugt, die transversal über mehrere

Vektoren ausgedehnt ist und sich mit der transversalen Fortschrittgeschwindigkeit 𝑣𝑡

fortbewegt.

Schmelzbad

Bauteil

Konsolidiertes Material

Scanvektor

Pulverschicht

Schmelzfläche

Schmelzlinie

Bauteil

Pulverschicht

vt

Schmelzfläche

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5 Ergebnisse und Diskussion 70

Scanvektors erstarrt ist, eine permanente Schmelzlinie über mehrere Scanvektoren

entsprechend Abb. 5.16 b) zu beobachten [Helmer2014a, Körner2014, Helmer2016].

Für diese Scanstrategie ist innerhalb einer Schicht keine signifikante

Rückschmelzung von bereits erstarrten Bereichen vorzufinden, so dass ein

Aufeinandertreffen von stark unterschiedlichen Erstarrungsbedingungen

bzw. -morphologien als Voraussetzung der Schmelzbadsichtbarkeit nicht gewahrt

bleibt. Lediglich am Schmelzbadboden kommen weiterhin stark unterschiedliche

Erstarrungsbedingungen bzw. -morphologien in direkten Kontakt, so dass dieser

weiterhin sichtbar bleibt. Da die Schmelzbadgeometrie in EG über metallographische

Methoden nicht mehr zugänglich ist, wird in Kap. 5.2.4 und 5.2.5 mit Hilfe der

numerischen Simulation Einsicht in die Gestalt des Schmelzbades und die

Orientierung des Wärmestroms gewonnen.

Kornstruktur

Die IPF-Z-Orientierungskarten in Abb. 5.18 zeigen eine stängelkristalline

Kornstruktur für CGHL in a) und eine feinkörnige, globulitische Kornstruktur für EG in

b). Für CGHL zeigt sich neben Stängelkristallen, auch ein geringer Anteil an

Neukörnern. Dieser Anteil nimmt für EG stark zu. Trotz der Vielzahl an

Kornorientierungen ist für EG weiterhin eine bevorzugte Wachstumsrichtung parallel

zur Baurichtung anhand der roteingefärbten Körner festzustellen. Die mittlere

Kornbreite von CGHL liegt bei 54,7 µm und damit auf einem ähnlichen Niveau wie

a) b)

Abb. 5.17: Lichtmikroskopische Aufnahmen der Schmelzbadgeometrie für CGHL und EG.

Für CGHL sind senkrecht zu den Scanvektoren ausgedehnte Schmelzbäder zu

beobachten. In EG ist aufgrund einer permanenten Schmelzlinie nur der

Schmelzbadboden erkennbar. Einzelne Schmelzbadränder sind mit gestrichelten Linien

zur besseren Sichtbarkeit gekennzeichnet.

100 µm

hs

Elektronenstrahl

100 µm

hsElektronenstrahl

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5 Ergebnisse und Diskussion 71

CGHS in Abb. 5.12. Für EG findet sich aufgrund der hohen Anzahl an Neukörnern

eine geringere mittlere Kornbreite von 19,5 µm. Neukornbildung und -wachstum

verhindern die Ausprägung einer scharfen Fasertextur und führen zu globulitischen

Kornstrukturen.

Das mittlere Kornaspektverhältnis (KAV) wird als Maß für den Anteil an Neukörnern

in Abb. 5.19 in Abhängigkeit von der Ablenkgeschwindigkeit bzw. dem Spurabstand

für die Bauteilmitte dargestellt. Es ist entsprechend der Orientierungskarten ein

hohes KAV für CGHL von 6,5 und eines niedriges KAV für EG von 1,1 festzustellen.

Das KAV reduziert sich sukzessive von geringen Ablenkgeschwindigkeiten bzw.

hohen Spurabständen zu hohen Ablenkgeschwindigkeiten bzw. geringen

Spurabständen. Der höchste Gehalt an Neukörnern (kleines KAV) lässt sich zudem

a) b)

Abb. 5.18: IPF-Z-Orientierungskarten von CGHL in a) und EG in b). In CGHL findet sich ein

stängelkristallines Gefüge mit einzelnen Neukörnern. In EG ist der Flächenanteil an

Neukörnern stark erhöht. Die Neukörner scheinen parallel zu den Schichten zu entstehen.

Abb. 5.19: Mittleres Kornaspektverhältnis

(KAV) in Abhängigkeit von der Ablenk-

geschwindigkeit bzw. vom Spurabstand und

der Flächenenergie. Es lassen sich bei

hohen Ablenkgeschwindigkeiten

(𝑣 = 8,8 m/s) bzw. geringen Spurabständen

( ℎ𝑠 = 37,5 µm) und niedrigen

Flächenenergien (𝐸𝐴 = 1,9 J/mm²) nahezu

globulitische Gefüge (KAV ~ 1,1)

beobachten.

200 µm 200 µm

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5 Ergebnisse und Diskussion 72

für die höchste Ablenkgeschwindigkeit (bzw. den geringsten Spurabstand) und einer

Flächenenergie von 1,9 J/mm² finden. Bei weiterer Erhöhung der Flächenenergie von

1,9 J/mm² zu 2,1 J/mm² kommt es wiederum zu einer Erhöhung des KAV bis auf

etwa 6,2.

Kristallographische Textur

Die großen mikrostrukturellen Unterschiede zwischen CGHL und EG spiegeln sich in

den (100)-Polfiguren in Abb. 5.20 a) und b) durch stark unterschiedliche MUD-

Maxima entlang der Baurichtung wieder. Das weitestgehend gleichachsige EG-

Gefüge weist einen Texturindex von lediglich 4 im Verhältnis zu 21 für CGHL auf.

Für beide Kornstrukturarten lässt sich wiederum eine gewisse sekundäre Anisotropie

feststellen (vgl. Abb. 5.13).

a)

b)

Abb. 5.20: Polfiguren der XY-Ebene für CGHL in a) und für EG in b). Neben der starken

(100)-Fasertextur zeigt sich für CGHL eine leichte sekundäre Anisotropie hinsichtlich der

Drehung der Stängelkristalle um deren kristallographische [100]-Richtung. Die

dendritischen Sekundärarme zeigen bevorzugt entlang der Scanvektoren auf der X- und

Y-Achse (vgl. Kap. 5.2.5). In EG liegt eine deutlich geringere Fasertextur vor. Noch

vorhandene Stängelkristalle weisen eine vergleichsweise starke sekundäre Anisotropie

auf.

(100)

Max:

34.6

Min:

0

X

Y

(110)

Max:

7.71

Min:

0.02

X

Y

(111)

Max:

10.08

Min:

0

MUD

X

Y

5

10

15

20

25

30

35

40

(100)

Max:

9.85

Min:

0.21

X

Y

(110)

Max:

4.17

Min:

0.37

X

Y

(111)

Max:

6.05

Min:

0.23

MUD

X

Y

5

10

15

20

25

30

35

40

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5 Ergebnisse und Diskussion 73

5.2.3 Einfluss der Scanmustertiefe

In der Strategie BS10 wird das Scanmuster erst nach 10 Schichten (ℎ𝑑 = 500 µm) um

90° rotiert. Trotz der Verwendung von zu EG identischen Verfahrensparametern zeigt

sich in Abb. 5.21 ein stark stängelkristallines Gefüge. Der Gehalt an Neukörnern hat

im Vergleich zu EG merklich abgenommen. Neukörner treten in BS10 sporadisch auf

und werden meist innerhalb von einer Schicht von Stängelkristallen überwachsen.

Weiterhin ist in Abb. 5.21 eine Neigung der Stängelkristalle aus der Baurichtung zu

beobachten. Die Stängelkristalle sind für den Bereich gleichbleibender Orientierung

des Scanmusters im Mittel einheitlich gegenüber der Baurichtung geneigt. Wird das

Scanmuster nach 10 Schichten um 90° rotiert, ändert sich die Neigungsrichtung der

Stängelkristalle ebenfalls, so dass der Verlauf der Stängelkristalle entlang der

Baurichtung in Abb. 5.21 einem Zickzack-Muster gleicht.

Das Zickzack-Muster ist nicht die Folge einer Änderung der bevorzugten

dendritischen Wachstumsrichtung eines Stängelkristalls, beispielsweise von der

kristallographischen [100]- zur [010]-Richtung, sondern wird durch die Bildung von

Neukörnern ermöglicht. Neukörner können in der IPF-Z-Orientierungskarte in Abb.

5.22 sowohl bei einer konstanten Orientierung der Scanvektoren, als auch bei einer

Drehung der Scanvektoren beobachtet werden. Bei konstanter Orientierung der

Scanvektoren treffen Neukörner auf ein bereits gegenüber dem thermischen

Gradienten günstig orientiertes stängelkristallines Gefüge, so dass diese meist

innerhalb einer Schicht überwachsen werden. Nach der Drehung der Scanvektoren

und damit des thermischen Gradienten ist die angeschmolzene stängelkristalline

Abb. 5.21: REM-Aufnahme der Scan-

strategie BS10 mit identischen Verfahrens-

parametern zu EG. Es lassen sich von der

Baurichtung geneigte Stängelkristalle

beobachten. Die Stängelkristalle wachsen

nach jeder Drehung der Scanvektoren

entsprechend der neuen Orientierung des

Schmelzbades, so dass ein Zickzack-

Muster zu beobachten ist. Zur besseren

Orientierung sind drei Scanmusterdrehung

exemplarisch anhand der weißen Linien

auszumachen.

400 µm

90°-Drehung der

Scanvektoren

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5 Ergebnisse und Diskussion 74

Kornstruktur gegenüber dem neu orientierten thermischen Gradienten ungünstig

orientiert. Neukörner können dadurch bei günstiger Orientierung die nun ungünstig

orientierten Stängelkristalle leicht überwachsen. In der Folge kommt es durch

kompetitives Wachstum nach mehreren Schichten wiederum zu einem

stängelkristallinen Gefüge, welches gegenüber dem neuen thermischen Gradienten

ausgerichtet ist. Der sich nach jeweils 10 Schichten wiederholende

Richtungswechsel der Scanvektoren bzw. thermischen Gradienten führt zur

Herausbildung des beschriebenen Zickzack-Musters in Abb. 5.21.

Die Abweichung der Stängelkristalle von der Baurichtung lässt sich ebenfalls in den

Polfiguren in Abb. 5.23 beobachten. Das MUD-Maximum der (100)-Polfigur ist nicht

mehr kreisförmig, sondern entlang der Scanvektorachsen ausgedehnt. Die

Ausdehnung ist nicht symmetrisch, da in der Orientierungskarte in Abb. 5.22 das

Abb. 5.22: IPF-Z-Orientierungskarte für die

Scanstrategie BS10 mit identischen

Verfahrensparametern zu EG. Es treten

Neukörner auf, die meist innerhalb einer

Schicht überwachsen werden. Nach

erfolgter 90°-Drehung des Scanmusters

(gestrichelte Linie) wachsen Neukörner

entsprechend der neuen Neigungsrichtung

des Wärmestroms unter Ausbildung von zur

Baurichtung geneigten Stängelkristallen.

Abb. 5.23: Polfiguren der Scanstrategie BS10 entsprechend der Orientierungskarte in Abb.

5.22. Die Neigung der Stängelkristalle ist in der (100)-Polfigur anhand der Ausdehnung

des MUD-Maximums entlang der Scanvektorachsen X und Y nachzuvollziehen.

200 µm

(100)

Max:

20.56

Min:

0.01

X

Y

(110)

Max:

8.14

Min:

0.04

X

Y

(111)

Max:

11.67

Min:

0.01

MUD

X

Y

5

10

15

20

25

30

35

40

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5 Ergebnisse und Diskussion 75

Scanmuster nur einmal um 90° rotiert wird. Die Polfiguren bestätigen demnach eine

Neigung des stängelkristallinen Gefüges gegenüber der Baurichtung und senkrecht

zu den Scanvektoren.

5.2.4 Mechanismen der Neukornbildung

Ausgehend von den Ergebnissen der Scanstrategieexperimenten und ihrer

numerischen Pendants werden Mechanismen der Neukornbildung diskutiert.

Columnar-to-equiaxed transition (CET)

Die Blockierung der kolumnaren Erstarrungsfront durch Neukornbildung im

konstitutionell unterkühlten Bereich vor der Erstarrungsfront ist die Basis der

Prozesskarten für einkristallines Wachstum im Laserauftragsschweißen [Kurz2001,

Gäumann2001, Mokadem2004b]. Neukornbildung ist hier vermehrt am Ende der

Schmelzbaderstarrung zu beobachten, da sich die Erstarrungsbedingungen im

Verlauf der Erstarrung tendenziell in Richtung des CET-Übergangs bewegen

[Gäumann2001].

Im SEBM-Prozess ist für EG eine vermehrte Neukornbildung am Schmelzbadboden

in den IPF-Z-Orientierungskarten der letzten drei Schichten in Abb. 5.24

festzustellen. Im weiteren Verlauf der Schmelzbaderstarrung ist kompetitives

Wachstum unter Ausbildung von Stängelkristallen zu beobachten. Dieses Verhalten

lässt sich in Abb. 5.25 anhand der mittleren Kornbreite in Abhängigkeit vom Abstand

zur Probenoberseite bestätigen. Jeweils am Schmelzbadboden ist eine Reduzierung

Abb. 5.24: IPF-Z-Kornorientierungskarte der letzten Schichten von EG. Es ist jeweils am

Schmelzbadboden eine Nukleation von Neukörnern zu beobachten, die die kolumnare

Front teilweise blockiert. Insbesondere in der letzten Schicht ist der weitere Verlauf von

kompetitivem Kornwachstum geprägt. Neukörner treten hier nur noch sporadisch in

Erscheinung. Kleinere Unterschiede in der Schmelzbadtiefe resultieren aus lokal

variierenden Pulverschichtdicken.

Letzte Schicht

100 µm

Schmelzbadboden

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5 Ergebnisse und Diskussion 76

der mittleren Kornbreite festzustellen, was der Nukleation von Neukörnern

geschuldet ist. Anschließend ist eine Zunahme der mittleren Kornbreite zu

beobachten, bis wiederum Neukornbildung am Schmelzbadboden einer neuen

Schicht die mittlere Kornbreite abermals reduziert. Lediglich in der letzten Schicht ist

keine erneute Reduzierung der mittleren Kornbreite zu detektieren, was den

Schmelzbadboden als Bereich vermehrter Neukornbildung identifiziert.

Analog zum Laserstrahlschmelzen entwickeln sich die Erstarrungsbedingungen im

SEBM-Prozess im Verlauf der Schmelzbaderstarrung in Richtung des CET-

Übergangs. In Abb. 5.26 sind die Erstarrungsbedingungen aus der numerischen

Simulation in einer 𝐺-𝑣𝑠-Auftragung für EG und CGHL dargestellt [Bauereiß2015,

Helmer2016]. Es ist eine Zunahme der Erstarrungsfrontgeschwindigkeit und eine

Abnahme des thermischen Gradienten im Verlauf der Erstarrung zu beobachten2.

2 Der gezackte Verlauf der Erstarrungsbedingungen in Abb. 5.26 resultiert aus der

Betrachtung mehrerer Schmelzbäder im Verlauf der Erstarrung ausgehend vom

Schmelzbadboden bis zum Schmelzbadende. Der große Spurabstand in CGHL führt zu

einem kleineren Überlapp zwischen einzelnen Schmelzbädern, so dass ausgehend vom

Boden für den vorliegenden Fall nur ein weiteres Schmelzbad geschnitten wird. In EG sind

die Erstarrungsbedingungen im Zuge des kleinen Spurabstands durch die sich mehrmals

wiederholende Strahleinkopplung in die Schmelzlinie bestimmt, so dass es bei jeder

Strahleinkopplung zu einer kurzzeitigen Verlangsamung der Erstarrungsfrontgeschwindigkeit

kommt.

Abb. 5.25: Mittlere Kornbreite in

Abhängigkeit des Abstands zur

Probenoberseite für die IPF-Z-

Kornorientierungskarte in Abb. 5.24. An den

Schmelzbadböden lässt sich eine geringere

mittlere Kornbreite detektieren, die aus der

Neukornbildung erwächst. Anschließend ist

eine Kornverbreiterung zu beobachten, die

dem stängelkristallinen Wachstum im

weiteren Verlauf der Erstarrung Rechnung

trägt.

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5 Ergebnisse und Diskussion 77

Das stängelkristalline CGHL entwickelt sich tendenziell stärker in Richtung eines CET-

Übergangs, wohingegen das gleichachsige EG, insbesondere für den Bereich

vermehrter Neukornbildung am Schmelzbadboden den größten Abstand zum CET-

Übergang aufweist. Die Annahme einer konstanten Nukleationskeimdichte im Modell

nach Hunt und Gäumann ermöglicht demnach keine Beschreibung der

mikrostrukturellen Unterschiede zwischen EG und CGHL anhand des klassischen

CET-Modells [Hunt1984, Gäumann2001].

In einem erweiterten CET-Modell nach Mokadem wird neben der

Erstarrungsfrontgeschwindigkeit und dem thermischen Gradienten, die Orientierung

der Erstarrungsfront gegenüber dem thermischen Gradienten miteinbezogen. In der

sog. off-axis Konfiguration, also einer Neigung der bevorzugten Wachstumsrichtung

der Erstarrungsfront gegenüber dem thermischen Gradienten, verschiebt sich die

CET-Linie in Bereiche niedrigerer Erstarrungsgeschwindigkeiten bzw. höherer

thermischer Gradienten [Mokadem2004b]. Auch nach Verschiebung der CET-Linie

können die hier beobachtete vermehrte Ausbildung von Neukörnern am

Schmelzbadboden und die verringerte Ausbildung zum Ende der Erstarrung nicht

erklärt werden.

In neueren Arbeiten wird nicht mehr von einer materialspezifischen

Nukleationskeimdichte ausgegangen, sondern eine Abhängigkeit von den

Prozessparametern und den geometrischen Aspekten des dendritischen Netzwerkes

gesehen [Liu2002, Mokadem2004b, Mathiesen2006]. In EG muss es demnach zu

Abb. 5.26: 𝐺-𝑣𝑠-Diagramm für die

Scanstrategien EG und CGHL. Zu Beginn

der Erstarrung herrschen ein hoher

thermischer Gradient und eine geringe

Erstarrungsgeschwindigkeit. Im weiteren

Verlauf nimmt 𝐺 ab und 𝑣𝑠 zu. Der Bereich

vermehrter Neukornbildung liegt am Beginn

der Erstarrung und weist den größten

Abstand zum CET-Übergang auf. Die

dargestellte exemplarische CET-Linie

(𝐺 ∗ 𝑣𝑠) dient dem Vergleich zwischen EG

und CGHL.

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5 Ergebnisse und Diskussion 78

einer lokalen Erhöhung der Nukleationskeimdichte in Umgebung des

Schmelzbadbodens kommen, um die beobachtete Neukornbildung zu erklären.

Dendritische Fragmentierungsmechanismen werden im Folgenden als potentielle

Ursache für einen CET-Übergang diskutiert.

Dendritische Fragmentierung durch transiente Wärmestromrichtungen

Die unterschiedlichen Ablenkgeschwindigkeiten und Spurabstände in CGHL und EG

führen in Abb. 5.27 zu einer Veränderung der Schmelzbadgeometrie. Der

Neigungswinkel zwischen Wärmestrom- und Baurichtung 𝜑 ist für das globulitische

EG in Abb. 5.27 b) deutlich gegenüber dem des stängelkristallinen CGHL in a) erhöht.

Die schematischen Darstellungen basieren auf den Mikrostrukturaufnahmen in Abb.

5.17 und den numerischen Ergebnissen in Abb. 5.28 [Bauereiß2015, Helmer2016].

a) b)

Abb. 5.27: Schematische Darstellung der Schmelzbadgeometrie für CGHL in a) und EG in

b). Für EG ist eine starke Neigung der Wärmestromrichtung gegenüber der Baurichtung zu

beobachten. Die schematischen Darstellungen basieren auf den Mikrostrukturaufnahmen

in Abb. 5.17 und den numerischen Ergebnissen in Abb. 5.28.

Abb. 5.28: Winkel 𝜑 zwischen Wärmestrom-

und Baurichtung in Abhängigkeit von der

Schmelzbadhöhe aus der Simulation. Am

Schmelzbadboden (Höhe = 0 µm) liegt 𝜑 für

CGHL und EG bei 0°. Bis zum

Schmelzbadboden der nächsten Schicht

(Höhe = 50 µm) nimmt 𝜑 im Mittel für EG

bis auf 35° und für CGHL bis auf 20° zu.

Schmelzbad

Elektronenstrahl

vs

G

φ

Neue Schicht

hs

Vorherige Schichten

Schmelz-bad

Vorherige Schichten

Elektronenstrahl hs

vs

G

φ

Neue Schicht

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5 Ergebnisse und Diskussion 79

In Abb. 5.28 ist der Verlauf von 𝜑 aus der numerischen Simulation in Abhängigkeit

von der Schmelzbadhöhe für CGHL und EG dargestellt. Ausgehend vom

Schmelzbadboden (Höhe entspricht 0 µm) bis zum Schmelzbadboden der nächsten

Schicht (Höhe entspricht der Schichtdicke) nimmt der Neigungswinkel 𝜑 mit

zunehmender Schmelzbadhöhe stark zu. In CGHL ist eine geringere Zunahme von 𝜑

im Vergleich zu EG zu beobachten.

In Abb. 5.29 ist das mittlere Kornaspektverhältnis aus Abb. 5.19 neu in Abhängigkeit

von dem maximalen Neigungswinkel des thermischen Gradienten 𝜑50µ𝑚

aufgetragen. Im betrachteten Schmelzbadbereich vom Schmelzbadboden bis zum

Schmelzbadboden einer darauffolgenden Schicht findet sich 𝜑50µ𝑚 nach Abb. 5.28

bei einer Schmelzbadhöhe von 50 µm. Neben den bereits diskutierten Datenpunkten

CGHL und EG zeigt sich auch für die anderen Parameterpaare eine Abnahme des

mittleren Kornaspektverhältnisses mit zunehmender Neigung des thermischen

Gradienten. In Abb. 5.29 a) ist das Augenmerk auf Datenpunkte mit einer konstanten

Flächenenergie von 1,8 J/mm² (schwarze Symbole), aber variierenden

a) b)

Abb. 5.29: Mittleres Kornaspektverhältnis (KAV) in Abhängigkeit vom maximalen

Neigungswinkel 𝜑50µ𝑚 zwischen Baurichtung und thermischem Gradienten bei einer

Schmelzbadhöhe von 50 µm. Nimmt 𝜑50µ𝑚 zu, ist eine Abnahme des Aspektverhältnisses

bzw. eine Zunahme von Neukornbildung und -wachstum zu beobachten. In a) und b) sind

jeweils Datenpunkte ausgegraut um das Augenmerk zum einen auf die Abhängigkeit des

KAV von dem Spurabstand bzw. von der Ablenkgeschwindigkeit bei einer konstanten

Flächenenergie von 1,8 J/mm² in a) und zum anderen auf die Abhängigkeit des KAV von

der Flächenenergie bei einem konstanten Spurabstand von 37,5 µm in b) zu richten.

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5 Ergebnisse und Diskussion 80

Ablenkgeschwindigkeiten bzw. Spurabständen gerichtet. Hier ist eine Zunahme von

𝜑50µ𝑚 mit zunehmender Ablenkgeschwindigkeit bzw. abnehmendem Spurabstand zu

beobachten. Mit zunehmenden 𝜑50µ𝑚 nimmt das mittlere Kornaspektverhältnis von

6,7 auf 1,3 ab. Die Veränderung der Scanstrategie zu kleineren Spurabständen und

höheren Ablenkgeschwindigkeiten bei einer konstanten Flächenenergie von

1,8 J/mm² ermöglicht demnach das mittlere Kornaspektverhältnis durch Veränderung

der Schmelzbadgeometrie zu reduzieren. Für den kleinsten Spurabstand von

37,5 µm ist in Abb. 5.29 b) der Einfluss der Flächenenergie (schwarze Symbole) auf

das mittlere Kornaspektverhältnis zu beobachten. Mit zunehmender Flächenenergie

von 1,9 zu 2,1 J/mm² kommt es ebenfalls zu einer Abnahme von 𝜑50µ𝑚 und damit zu

einer Erhöhung des mittleren Kornaspektverhältnisses von 1,1 zu 6,5. Eine alleinige

Reduzierung des Spurabstands bzw. Erhöhung der Ablenkgeschwindigkeit ist

demnach nicht ausreichend um globulitische Gefüge und damit Neukornbildung zu

provozieren. Vielmehr sind Neukornbildung und -wachstum maßgeblich durch eine

Veränderung der Schmelzbadgeometrie und damit der Wärmestromorientierung

beeinflussbar.

Die von Schicht zu Schicht und innerhalb einer Schicht stark wechselnden

Wärmestromrichtungen für die Parameterpaare mit hohem 𝜑50µ𝑚 werden als

ursächlich für das reduzierte mittlere Kornaspektverhältnis bzw. die vermehrte

Neukornbildung gesehen. Diese wechselnde Neigung des Wärmestroms führt zu

einer Veränderung des Konzentrationsprofils im dendritischen Netzwerk im Verlauf

der Erstarrung. Stängelkristalle mit einer parallelen Orientierung zur Baurichtung sind

am Schmelzbadboden (𝜑0µ𝑚 ~ 0°) günstig orientiert. Für diesen Bereich wachsen

[100]-Primärarme parallel zum Wärmestrom und Sekundärarme symmetrisch in den

<100>-Richtungen senkrecht zum Wärmestrom. Mit zunehmender Schmelzbadhöhe

führt der von der Baurichtung immer deutlicher abweichende Wärmestrom zu einer

Veränderung der dendritischen Wachstumsbedingungen. Sekundärarme mit geringer

Abweichung zum Wärmestrom sind im Wachstum gegenüber fehlorientierten

bevorzugt. Es kommt zu einem vermehrten Wachstum günstig orientierter

Sekundärarme und damit zu einer Veränderung des dendritischen

Konzentrationsprofils (vgl. Abb. 2.7). Bei der Rückschmelzung einer zuvor

aufgebauten Schicht durch eine neu applizierte Schicht treffen die

Erstarrungsbedingungen des Schmelzbadbodens (𝜑0µ𝑚 ~ 0°) auf eine dendritische

Struktur, welche bei einem geneigten Wärmestrom (in EG: 𝜑50µ𝑚 ~ 37°) erstarrt ist.

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5 Ergebnisse und Diskussion 81

Diese von einer gerichteten Erstarrung stark abweichenden Bedingungen

erschweren epitaktisches Wachstum und werden als ursächlich für eine

Neukornbildung auf Basis einer konstitutionellen Fragmentierung gesehen. Liu und

Mathiesen konnten für wechselnde Konzentrationsprofile eine konstitutionelle

Fragmentierung feststellen, die die Nukleationskeimdichte in Umgebung der

Erstarrungsfront erhöhen kann [Liu2002, Mathiesen2006]. Dendritische Fragmente

können in der konstitutionell unterkühlten Schmelze vor der Erstarrungsfront

wachsen, die kolumnare Front blockieren und führen so zu einem CET-Übergang.

Die hier für eine Auswahl an Scanstrategien gefundenen transienten

Erstarrungsbedingungen werden als ursächlich für eine Neukornbildung auf Basis

einer konstitutionellen Fragmentierung gesehen.

Maßgeblich für die Ausbildung eines gleichachsigen Gefüges ist weiterhin das

kompetitive Wachstum zwischen Neukörnern und der stängelkristallinen

dendritischen Erstarrungsfront innerhalb einer Schicht und über mehrere Schichten

hinweg. Im Strategieexperiment BS10 ist trotz der Verwendung von zu EG

identischen Prozessparametern ein geringerer Flächenanteil an Neukörnern zu

beobachten (vgl. Kap. 5.2.3). Dieser Sachverhalt wird im folgendem Kap. 5.2.5

behandelt.

5.2.5 Entwicklung der Kornstruktur

Die Entwicklung der Kornstruktur ist maßgeblich von der Orientierung des

Wärmestroms und der Häufigkeit von Neukornbildung und -wachstum beeinflusst.

Hierbei hat lediglich ein Teilbereich des Schmelzbades Relevanz für die Entwicklung

der Kornstruktur des Bauteils. Dieser Schmelzbadbereich erstreckt sich zum einen

entlang der Baurichtung vom Schmelzbadboden bis zu einer -höhe entsprechend der

Schichtdicke (= 50 µm) und zum anderen senkrecht zur Baurichtung vom Rand eines

Schmelzbades bis zum Rand des darauffolgenden. Die hier vorgenommene

Abgrenzung des im Bauteil verbleibenden Schmelzbadbereichs resultiert aus der mit

dem Schmelzvorgang einer neuen Schicht einhergehenden partiellen

Rückschmelzung der zuvor aufgebauten Schicht. Weiterhin wird ein Teil des

Schmelzbades von dem darauffolgenden Schmelzbad innerhalb einer Schicht

ebenfalls zurückgeschmolzen, so dass der verbleibende Schmelzbadbereich

zusätzlich eine Funktion der Überlapprate aus Schmelzbadbreite und Spurabstand

ist. Die genannten Zusammenhänge führen für eine schichtweise 90°-Drehung des

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5 Ergebnisse und Diskussion 82

Scanmusters zu der schematischen Darstellung in Abb. 5.30, welche den

Mikrostrukturaufnahmen in Abb. 5.31 nachempfunden ist [Helmer2014b].

Kolumnare Kornstrukturen

In SEBM-IN718 zeigt sich meist eine stängelkristalline Kornstruktur mit einer

parallelen Orientierung zur Baurichtung, wie aus den Orientierungskarten für CG-

IN718 in Abb. 5.11 und in Abb. 5.18 a) und den entsprechenden Polfiguren in Abb.

5.13 und in Abb. 5.20 a) ersichtlich wird. Derartige Gefüge sind aus Gussprozessen

mit gerichteter Erstarrung (z.B. HRS-Prozess) bekannt. Der Wärmestrom ist hier

parallel zur Abzugsrichtung orientiert, wodurch im Zuge kompetitiven Wachstums die

Ausbildung von Stängelkristallen mit paralleler Orientierung zur Abzugs- bzw.

Wärmestromrichtung zu beobachten ist. In SEBM ist im relevanten

Schmelzbadbereich in Abb. 5.30 im Mittel eine Neigung des Wärmestroms von der

Baurichtung zu beobachten. Die Ursache der dennoch parallel zur Baurichtung

orientierten Stängelkristalle ist in der schichtweisen 90°-Drehung des Scanmusters

zu sehen. Der Wärmestrom weicht zwar innerhalb einer Schicht von der Baurichtung

ab, da sich aber in den darauffolgenden Schichten die Neigungsrichtung stets ändert,

stellt die Baurichtung über mehrere Schichten hinweg die bevorzugte

Wachstumsrichtung dar (vgl. Abb. 2.9 a). Unterbleibt die schichtweise Drehung des

Scanmusters, wie in der Scanstrategie BS10, weicht das stängelkristalline Gefüge

entsprechend der konstanten Neigungsrichtung des Wärmestroms ebenfalls von der

Baurichtung ab. Die Drehung des Scanmusters nach 10 Schichten führt zu einer

Kornselektion auf Basis der neuen Wärmestromrichtung und demnach zur

Ausbildung des in Abb. 5.21 dargestellten Zickzack-Verlaufs des stängelkristallinen

Gefüges.

Abb. 5.30: Schematische Darstellung des

im Bauteil verbleibenden und damit

relevanten Schmelzbadbereichs. Dieser ist

von der Rückschmelzung innerhalb einer

Schicht und der jeweiligen vorherigen

Schicht geprägt [Helmer2014b].

LinienabstandSchmelzbadbreite

RelevanterSchmelzbad-bereich

KonsolidierteSchichtdicke

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5 Ergebnisse und Diskussion 83

Die schichtweise Drehung führt, wie oben beschrieben, trotz des in einer Schicht

geneigten Wärmestroms zu einer parallelen Orientierung der Stängelkristalle zur

Baurichtung. Der Neigungswinkel 𝜑 zwischen Wärmestrom- und Baurichtung

beeinflusst aber dennoch die Kornstrukturentwicklung wie sich anhand der Versuche

mit unterschiedlichen Strahlbreiten zeigt. Der relevante Schmelzbadbereich ist für

den breiten Strahl in Abb. 5.10 a) und in Abb. 5.31 a) ebener und flacher im

Vergleich zum feinen Strahl in Abb. 5.10 b) und in Abb. 5.31 b). Dies führt zu einem

geringen Neigungswinkel 𝜑 zwischen Wärmestrom- und Baurichtung. Die

epitaktische Erstarrung verläuft weitestgehend gerichtet und hat die Ausbildung einer

starken Fasertextur in den Polfiguren in Abb. 5.13 zur Folge. Für den feineren Strahl

lassen sich eine geringere Korngröße und Neukörner beobachten. Dies ist das

Resultat der größeren Abweichung des Wärmestroms zur Baurichtung für die in Abb.

5.10 b) und in Abb. 5.31 b) dargestellten steileren Schmelzbadflanken bei einem

feinen Strahl. Neukörner können durch den stärker geneigten Wärmestrom häufiger

eine günstigere Orientierung bzw. günstigere Wachstumsbedingungen vorfinden als

die kolumnare Erstarrungsfront und überwachsen diese somit. Das kompetitive

Wachstum beginnt im Falle der Blockierung der kolumnaren Erstarrungsfront von

neuem, so dass die mittlere Kornbreite im Verhältnis zum Gefüge des breiten Strahls

reduziert ist und in den Polfiguren in Abb. 5.13 eine größere Abweichung von einer

(100)-Fasertextur zu beobachten ist.

a) b)

Abb. 5.31: Lichtmikroskopische Aufnahmen der Kornstruktur und Schmelzbadgeometrie

für einen breiten Strahl in a) und einen feinen Strahl in b). Der relevante

Schmelzbadbereich ist für den breiten Strahl ebener und flacher im Gegensatz zu den

steileren Schmelzbadflanken bei einem feinen Strahl. Exemplarisch sind einzelne

Schmelzbadbereiche nachgezeichnet.

200 µm 200 µm

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5 Ergebnisse und Diskussion 84

Gleichachsige Kornstrukturen

In EG gehen Neukörner meist vom Schmelzbadboden aus (vgl. Abb. 5.24). Die

starke Neigung des Wärmestroms für EG in Abb. 5.28 ermöglicht zum Wärmestrom

günstiger orientierten Neukörnern die kolumnare Front zu überwachsen. Das

Neukornwachstum ist maßgeblich vom Winkel zwischen der kolumnaren Front und

dem Wärmestrom abhängig. Wird das Scanmuster wie in der Strategie BS10 über 10

Schichten nicht gedreht, kommt es in Abb. 5.22 über kompetitives Wachstum zur

Ausprägung eines zur Baurichtung geneigten stängelkristallinen Gefüges. Die

Stängelkristalle sind hierbei entsprechend der Orientierung des Scanmusters bzw.

des Wärmestroms geneigt. Trotz der Verwendung von zu EG identischen

Prozessparametern ist in BS10 ein reduzierter Flächenanteil an Neukörnern zu

beobachten. Es lassen sich weiterhin eine Reihe von Neukörnern an den

Schmelzbadböden beobachten, die aber meist innerhalb einer Schicht überwachsen

werden. Dieser Vorgang resultiert aus der Ausprägung eines gegenüber dem

Wärmestrom ausgerichteten, stängelkristallinen Gefüges. Die beobachteten

Neukörner sind folglich meist ungünstiger gegenüber dem Wärmestrom orientiert als

die kolumnare Front, wodurch diese leichter überwachsen werden können. Das

Neukornwachstum ist demnach bei gleichbleibender Orientierung der Scanvektoren

bzw. des Wärmestroms eingeschränkt.

Werden die Scanvektoren wie in EG nach jeder Schicht um 90° gedreht, kommt es

dabei ebenfalls zu einer Drehung der Wärmestromrichtung. Der Richtungswechsel

führt nun, wie oben beschrieben, zu einer parallelen Orientierung der verbleibenden

Stängelkristalle zur Baurichtung. Dieses Verhalten ist in der Fehlorientierungskarte

für EG in Abb. 5.32 b) anhand der elongierten und in blau bzw. in dunkelgrün

eingefärbten Stängelkristalle zu erkennen. Diese weisen nur eine geringe

Fehlorientierung gegenüber einer (100)-Fasertextur mit paralleler Orientierung zur

Baurichtung auf. Weiterhin hat der Anteil an Stängelkristallen im Vergleich zur

Strategie BS10 merklich abgenommen. Vielmehr lässt sich ein hoher Flächenanteil

an Neukörnern beobachten, die stark von einer (100)-Fasertextur abweichen und in

der Fehlorientierungskarte in Abb. 5.32 eine grüne bis rote Einfärbung aufweisen.

Die mangelnde Anpassung der Stängelkristalle ermöglicht in jeder Schicht einer

großen Bandbreite von Neukörnern bezüglich des Wärmestroms günstiger orientiert

zu sein als die kolumnare Front. Weiterhin wachsen Neukörner mit einer gewissen

Fehlorientierung meist nur über ein bis zwei Schichten. Da in jeder Schicht die

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5 Ergebnisse und Diskussion 85

Neigungsrichtung des Wärmestroms im Zuge der Drehung der Scanvektoren stets

wechselt, sind zuvor günstig orientierte Körner nicht mehr bevorzugt und werden im

Weiteren schnell überwachsen. Dies ist insbesondere für Körner mit großer

Fehlorientierung gegenüber einer (100)-Fasertextur zu detektieren, die in der

Fehlorientierungskarte in Abb. 5.32 rot eingefärbt sind. In der Folge nimmt der

Flächenanteil mit zunehmender Fehlorientierung in Abb. 5.33 ab.

Im Vergleich zur Fehlorientierungskarte des stark stängelkristallinen Gefüges in Abb.

5.32 a) ist in Abb. 5.33 ein stark erhöhter Flächenanteil an fehlorientierten Körnern

festzustellen, welcher sich insbesondere auch in der Erhöhung des E-Moduls in 0°-

EG niederschlägt. Der E-Modul des stark stängelkristallinen CG-Gefüges mit

121 GPa kann durch Neukornbildung und -wachstum um 34 GPa auf 155 GPa

erhöht werden (vgl. Kap. 5.4.2). Der weiterhin erhöhte Anteil an Körnern mit geringer

Fehlorientierung führt zu der in Abb. 5.20 b) beobachteten schwachen (100)-

Fasertextur und verhindert eine weitere Annäherung an einen isotropen E-Modul von

ca. 200 GPa.

a) b)

Abb. 5.32: Fehlorientierungskarten für die Abweichung von einer (100)-Fasertextur parallel

zur Baurichtung für CGHL in a) und EG in b). Das stängelkristalline CGHL in a) weist eine

stark ausgeprägte Fasertextur auf. Das globulitische Gefüge EG zeigt in b) eine Vielzahl

von der Baurichtung abweichender Kornorientierungen. Die Einfärbung gibt entsprechend

dem Farbbalken die Abweichung des jeweiligen Korns wieder. Stark abweichende Körner

(grün bis rot) werden meist nach wenigen Schichten überwachsen. Einzelne

Stängelkristalle sind meist für geringe Abweichungen zu beobachten (blau).

200 µm 200 µm

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5 Ergebnisse und Diskussion 86

Sekundäre Anisotropie

Stängelkristalle sind, wie in Kap. 5.2.5 beschrieben, aufgrund der schichtweisen 90°-

Drehung des Scanmusters weitestgehend parallel zur Baurichtung orientiert. Neben

dieser primären Anisotropie der dendritischen Primärarme findet sich weiterhin eine

bevorzugte Ausrichtung der Sekundärarme entlang der Scanvektoren, die erstmals

von Antonysamy an 𝛽-Körnern in SEBM-TiAl6V4 beobachtet wird [Antonysamy2013].

Diese sekundäre Anisotropie ist insbesondere in den (110)-Polfiguren für kolumnare

Kornstrukturen in Abb. 5.13 und Abb. 5.20 a), als auch für gleichachsige

Kornstrukturen in Abb. 5.20 b) durch ausgeprägte MUD-Maxima auf den

Scanvektorachsen X und Y zu detektieren. Eine Erklärung liefert Abb. 5.34.

Die Primärarme von Korn 1 und 2 sind parallel zur Baurichtung orientiert. Beide

Körner weisen für die bevorzugte kristallographische <100>-Wachstumsrichtung

([100]-Primärarm) eine identische Unterkühlung und damit identische dendritische

Erstarrungsgeschwindigkeiten 𝑣ℎ𝑘𝑙 auf. Dennoch liegt Korn 2 per se oberhalb von

Korn 1. Dies ist dem Umstand geschuldet, dass der Wärmestrom für die im linken

Teil von Abb. 5.34 vorliegende Schmelzbadgeometrie größtenteils in der Ebene

parallel zur Baurichtung (Z-Achse) und senkrecht zu den Scanvektoren (Y-Achse)

geneigt ist. Die vorgelagerte Position ermöglicht nun Korn 2 unter Ausbildung von

Sekundärarmen das Wachstum des benachbarten Primärarms von Korn 1 zu

blockieren und damit die Korngrenze zu seinen Gunsten zu verschieben. Weiterhin

finden sich für die Sekundärarme in Korn 1 und 2 in Abhängigkeit von der

Fehlorientierung zum Wärmestrom unterschiedliche Wachstumsbedingungen, da der

Wärmestrom zur [100]-Wachstumsrichtung der Primärarme geneigt ist. Für eine

Abb. 5.33: Abweichung von einer (100)-

Fasertextur parallel zur Baurichtung für EG

und CGHL. Für EG zeigt sich eine deutlich

stärkere Abweichung von der Baurichtung

als für CGHL. Es zeigt sich weiterhin eine

Abnahme des Flächenanteils mit

zunehmender Abweichung von der

Baurichtung.

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5 Ergebnisse und Diskussion 87

geringe Fehlorientierung können Sekundärarme der Erstarrungsfront bei einer

geringeren Unterkühlung mit einer geringeren dendritischen

Erstarrungsgeschwindigkeit 𝑣ℎ𝑘𝑙 folgen und sind daher näher an 𝑇𝐿(𝑐0) lokalisiert. In

Korn 2 ist der [010]-Sekundärarm analog zum Wärmestrom in der XZ-Ebene

orientiert. Unter der Annahme von ausschließlich parallel zur Baurichtung

ausgerichteten Stängelkristallen ([100]-Richtung // BR) liegt in Korn 2 die geringste

Fehlorientierung zwischen dem Wärmestrom und der bevorzugten

Sekundärarmwachstumsrichtung vor. Neben der vorgelagerten Position von Korn 2

erleichtert die günstige Orientierung des [010]-Sekundärarms die Blockade des

Primärarms von Korn 1 an der Korngrenze. Für den Fall, dass Korn 1 in Abb. 5.34

oberhalb von Korn 2 liegt, ist dieser Vorgang erschwert. In Korn 1 sind die

Primärarme analog zu Korn 2 parallel zur Baurichtung ausgerichtet. Korn 1 ist aber

weiterhin um 45° auf der Z-Achse (= BR) rotiert. Die bevorzugten Sekundärarme in

Korn 1 weisen damit eine starke Fehlorientierung zum Wärmestrom auf und müssen

bei höheren dendritischen Erstarrungsgeschwindigkeiten wachsen um der

Erstarrungsfront zu folgen. Die hierfür benötigte höhere Unterkühlung führt zu einem

größeren Abstand zu 𝑇𝐿(𝑐0) und erschwert das Überwachsen von Korn 2.

Abb. 5.34: Kompetitives Wachstum zwischen Stängelkristallen mit unterschiedlicher

Orientierung der Sekundärarme bezogen auf die Orientierung der Scanvektoren bzw. des

geneigten Wärmestroms. Korn 2 liegt im Zuge des geneigten Wärmestroms per se

oberhalb von Korn 1 und kann dieses überwachsen. Dies erfolgt umso effektiver je

geringer die Fehlorientierung der Sekundärarme gegenüber dem Wärmestrom bzw. je

höher die Wachstumsgeschwindigkeit der Sekundärarme ist. Die Orientierung von Korn 1

und 2 kann anhand der kristallographischen Richtungen und Projektion unterhalb der

Körner nachvollzogen werden.

∆T

Q.

[010]

[100

]

∆T

[001]

Schmelz-bad

Vorherige Schichten

Elektronenstrahl hs

vs

G

φNeue Schicht

[1

00]

[010] [001]

Te

mp

era

tur

T

T (c )L 0

φ

Korn 1 Korn 2

X

Z

Y

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5 Ergebnisse und Diskussion 88

Das Sekundärarmwachstum von Korn 2 ist weiterhin nicht nur in einer Schicht,

sondern im Zuge der schichtweisen 90°-Drehung der Scanvektoren in jeder Schicht

gegenüber Korn 1 bevorzugt. Bei einer 90°-Drehung um die kristallographischen

<100>-Richtungen handelt es sich um eine der Rotationssymmetrien kubischer

Kristallgitter. Demnach kommt es bei einer 90°-Drehung der Scanvektoren unter der

Annahme von entlang der Baurichtung ausgerichteten Stängelkristallen ([100] // Z-

Achse) zu keiner Veränderung der Kornorientierung bezogen auf das

Koordinatensystem bzw. auf die Ausrichtung des Wärmestroms. Das

Sekundärarmwachstum in Stängelkristallen mit einer parallelen bzw. senkrechten

Orientierung der Sekundärarme gegenüber den Scanvektoren ist für die dargestellte

Schmelzbadgeometrie in jeder Schicht gegenüber Stängelkristallen mit anders

orientierten Sekundärarmen bevorzugt. Die ausgeprägte sekundäre Anisotropie ist

folglich dem Zusammentreffen einer kubischen Kristallstruktur und der schichtweisen

90°-Drehung der Scanvektoren bei einem von der Baurichtung geneigten

Wärmestrom geschuldet.

Kunze et al. beobachten in SLM-IN738LC ebenfalls eine sekundäre Anisotropie mit

paralleler bzw. senkrechter Orientierung zu den Scanvektoren [Kunze2015]. Die

sekundäre Anisotropie ist hier im Zuge der zellularen Erstarrung nicht auf das

Sekundärarmwachstum, sondern auf eine Änderung der kristallographischen

Wachstumsrichtung der Zellen während der Schmelzbaderstarrung zurückzuführen.

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5 Ergebnisse und Diskussion 89

5.3 Mikrostruktur und Wärmebehandlung

In diesem Kapitel wird die wie gebaut Mikrostruktur und die Wärmebehandelbarkeit

von kolumnaren (CG-IN718) und gleichachsigen Kornstrukturen (EG-IN718)

dargestellt.

5.3.1 Mikrostruktur und thermische Historie

Der SEBM-Prozess teilt sich, wie aus dem charakteristischen Verlauf der

Startplattentemperatur in Abb. 5.35 ersichtlich, in die Prozessschritte Vorheizen der

Startplatte, Materialaufbau und Abkühlung auf.

Nach Erreichen einer definierten Startplattentemperatur (hier 950 °C) beginnt der

schichtweise Materialaufbau direkt auf der Startplatte. Die Bauteiltemperatur kann

dabei in erster Näherung mit der Startplattentemperatur gleichgesetzt werden, da auf

der Bauteiloberfläche eingebrachte Energie durch die direkte Anbindung zwischen

Bauteil und Startplatte homogenisiert wird. Das schlecht leitende Pulverbett trägt

weiterhin zu einer thermischen Isolierung des Startplatten-Bauteil-Verbunds bei. In-

situ Pyrometermessungen der Bauteiloberfläche bestätigen Temperaturunterschiede

von wenigen Grad Kelvin zwischen Bauteiloberfläche und Startplattentemperatur

[Eichler2014]. Die Bauteiltemperatur verbleibt demnach über die Dauer des

Materialaufbaus innerhalb eines Temperaturbereichs von etwa 900 - 950 °C. Nach

Beendigung des Materialaufbaus erfolgt unter Helium-Flutung der Prozesskammer

eine Abkühlung auf Raumtemperatur.

Im SEBM-Prozess generierte Bauteile sind im Zuge der dauerhaft hohen

Bauteiltemperaturen einer hohen prozessseitigen thermischen Belastung ausgesetzt.

Der schichtweise Aufbau führt weiterhin zu einer inhomogenen thermischen

Abb. 5.35: Verlauf der

Startplattentemperatur in Abhängigkeit von

der Bauzeit mit den Prozessschritten

Vorheizen, Materialaufbau und Abkühlung.

Die Startplattentemperatur verbleibt für die

Dauer des Materialaufbaus bei ca.

900 - 950 °C.

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5 Ergebnisse und Diskussion 90

Belastung in Abhängigkeit von der Bauhöhe. Material, welches zum Prozessstart

aufgebaut wird, ist der Bautemperatur über die gesamte Dauer des Materialaufbaus

ausgesetzt und demnach thermisch stark belastet. Mit zunehmender Bauhöhe

reduziert sich die Dauer der thermischen Belastung bzw. die Auslagerungszeit

sukzessive, so dass die Mikrostruktur der letzten Schicht ausschließlich eine Folge

der Erstarrung und der Abkühlung in Prozessschritt III ist. Hier lässt sich

entsprechend der Ausscheidungssequenz nach Knorovsky et al. Lavesphase im

interdendritischen Bereich in Abb. 5.36 feststellen [Knorovsky1989]. Weiterhin

kommt es bei der Abkühlung zur Ausscheidung von δ-, γ‘- und γ‘‘-Phasen, die sich

ausgehend von hohen Nb-Gehalten vermehrt im interdendritischen Bereich

lokalisieren.

In Abb. 5.37 ist die Zunahme des δ-Phasenanteils anhand von zwei exemplarischen

rasterelektronenmikroskopischen Aufnahmen dargestellt. Die obere Aufnahme stellt

das Gefüge bei einer Auslagerungszeit von ca. 4 h dar. Die δ-Phase liegt hier

größtenteils intragranular im interdendritischen Bereich vor. Im Zuge der

dendritischen Erstarrung findet sich im interdendritischen Bereich ein erhöhter Nb-

Gehalt (vgl. Kap. 5.3.4) [Carlson1989]. Die Ausscheidung der Nb-reichen δ-Phase ist

demnach in diesem Bereich erleichtert. Die Mikrostruktur der unteren Aufnahme

entspricht einer Auslagerungszeit von ca. 12 h. Die δ-Phase liegt hier mit einem

deutlich erhöhten Anteil intragranular vor und ist über die interdendritischen Bereiche

hinausgewachsen.

Mit abnehmender Bauhöhe bzw. zunehmender Dauer der prozessseitigen

thermischen Belastung ist eine Zunahme des δ-Phasenanteils in Abb. 5.38 zu

beobachten. Demnach liegt in startplattennähe (Bauteilboden) der höchste und in

Abb. 5.36: Rasterelektronenmikroskopische

Aufnahme der Phasen in der letzten

Schicht. Es zeigen sich die Laves-, 𝛿-, γ‘-

und γ‘‘-Phasen. Eine Unterscheidung

ermöglichen die morphologischen und

chemischen Unterschiede.

2 µm

𝛿

Laves

𝛾′′

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5 Ergebnisse und Diskussion 91

Umgebung der letzten Schicht (Bauteilkopf) der geringste δ-Phasenanteil vor. Für

den vorliegenden Bauprozess findet sich in Abb. 5.38 ein maximaler δ-Phasenanteil

von 5,8 Vol.-% bei einer prozessseitigen Auslagerungszeit von ca. 12 h.

Der Ausscheidungsanteil 𝑊 lässt sich in Abhängigkeit von der Auslagerungszeit 𝑡

näherungsweise mit der JMA-Gleichung (Johnson-Mehl-Avrami) in Gl. (5.6)

beschreiben [Ilschner2010].

𝑊 = {1 − exp [−(𝑡 𝜏⁄ )

𝑛]} ∗ 𝑊0

(5.6)

Der Avrami-Exponent 𝑛 wird mit 3 und die Zeitkonstante 𝜏 mit 14 h angesetzt. Zum

Zeitpunkt 𝜏 liegt ein Ausscheidungsgrad 𝑊/𝑊0 von 1 − 𝑒−1 und damit von etwa 63 %

vor. Der Equilibriumsausscheidungsanteil W0 liegt bei einer Temperatur von 900 °C

bei ca. 14,2 Vol.-% [Azadian2004]. Die JMA-Kurve in Abb. 5.38 zeigt eine gute

Übereinstimmung mit den experimentellen Messpunkten. Es zeigen sich kleinere

Abweichungen im Bereich niedriger bzw. hoher δ-Phasenanteile, die auf

Messungenauigkeiten bzw. Temperaturschwankungen während des Bauprozesses

zurückzuführen sind.

Abb. 5.37: Rasterelektronenmikroskopische

Aufnahmen der 𝛿-Phase in Abhängigkeit

von der Bauhöhe für prozessinhärente

Auslagerungszeiten von ca. 4 h und 12 h.

Die 𝛿-Phase liegt bei einer Auslagerungs-

zeit von 4 h meist im interdendritischen

Bereich vor. Im Zuge der Mikroseigerung

finden sich hier erhöhte Nb-Gehalte,

wodurch sich die Triebkraft zur Bildung der

𝛿-Phase erhöht. Bei einer Auslagerungszeit

von 12 h nimmt der 𝛿-Phasenanteil zu. Die

𝛿-Phase liegt nun intragranular vor.

4 h

12 h

20 µm

Längsschnitt

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5 Ergebnisse und Diskussion 92

Die Auslagerung folgt dem ZTU-Diagramm für Knet-IN718 in Abb. 5.39, in welchem

die Prozesstemperatur und -dauer schematisch eingetragen sind. Im Gegensatz zu

Knet-IN718 zeigt sich in SEBM-IN718 die δ-Phasenausscheidung nicht an

Korngrenzen (KG), sondern bevorzugt im interdendritischen Bereich. Dieses

Verhalten wurde an Guss-IN718 von Carlson et al. ebenfalls bestätigt und ist dem

erhöhten Nb-Gehalt in diesem Bereich geschuldet [Carlson1989].

Sames et al. finden in SEBM-IN718 ebenfalls eine bauhöhenabhängige

Mikrostruktur. Es werden grobe δ-Ausscheidungen am Ende des Materialaufbaus

(Bauteilkopf) und feine δ-Ausscheidungen am Anfang des Materialaufbaus

(Bauteilboden) beobachtet. Diese Ergebnisse stehen im Kontrast zu der hier

beobachteten Vergröberung in Umgebung des Bauteilbodens und werden von

Sames et al. auf stark schwankende Bauteiltemperaturen zurückgeführt

[Sames2014].

Abb. 5.38: 𝛿-Phasenanteil in Abhängigkeit

von der prozessseitigen Auslagerungszeit

[Waigand2013]. Die hohe Bauteiltemperatur

von ca. 900 °C führt zur γ‘/γ‘‘-Ausscheidung

und anschließend zu einer γ‘‘-Vergröberung

zur δ-Phase. Einer geringen Bauhöhe

entspricht eine lange prozessseitige

thermische Belastung. Der Verlauf

entspricht näherungsweise der JMA-

Gleichung und ist mit einem Wert von

Azadian et al. ergänzt [Azadian2004].

Abb. 5.39: ZTU-Diagramm für Knet-IN718

nach [Xie2005b]. Die Prozessdauer und -

temperatur ist für den untersuchten

Bauprozess schematisch eingezeichnet und

erklärt die prozessseitige Ausscheidung der

𝛿-Phase.

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5 Ergebnisse und Diskussion 93

5.3.2 Thermophysikalische Eigenschaften

Zur Auswahl einer geeigneten Lösungsglühtemperatur ist die Kenntnis der δ-

Solvustemperatur erforderlich. In der Literatur findet sich für IN718 meist eine δ-

Solvustemperatur von 1020 °C [Radavich1989, Carlson1989, Cai2007]. In wie

gebaut SEBM-IN718 mit einem δ-Ausscheidungsanteil Wδ von 4,3 Vol.-% ist in der

DSC-Kurve in Abb. 5.40 eine δ-Solvustemperatur von ca. 1030 °C festzustellen.

Kleinere Unterschiede in der δ-Solvustemperatur sind die Folge unterschiedlicher

Nb-Gehalte, die sowohl global aus Gründen einer breiten Spezifikation (Nb-Gehalt:

4,7 - 5,5 Gew.-%) [DIN17744], als auch lokal durch Mikroseigerungen erwachsen

können [Radavich1989, Carlson1989]. Der Verlauf der DSC-Kurve ist weiterhin von

der Ausscheidung und Auflösung der Härtungsphasen γ‘ und γ‘‘ geprägt. Die

Härtungsphasen bilden sich in geringen Phasenanteilen lediglich bei der Abkühlung

von Bau- auf Raumtemperatur (vgl. Abb. 5.35), da die Bautemperatur während des

Materialaufbaus oberhalb der γ‘/γ‘‘-Solvustemperatur liegt (vgl. Abb. 5.39). Daher

lassen sich sowohl hohe Ausscheidungs-, als auch Auflösungsanteile detektieren.

Für die δ-Phase ist nur eine geringfügige Ausscheidung zu beobachten. Die

anschließende Auflösung zeigt einen größeren δ-Phasenanteil an, welcher auf den

bereits vorhandenen δ-Ausscheidungsanteil Wδ von 4,3 Vol.-% im Zuge der

prozessseitigen thermischen Belastung zurückzuführen ist.

5.3.3 Auflösung der 𝜹-Phase

Das Ziel der Lösungsglühung ist die Auflösung der Härtungs- und Sprödphasen um

eine gezielte Einstellung des Gehalts und der Ausscheidungsgröße der

Härtungsphasen in der Auslagerung zu ermöglichen. Aus dem im wie gebaut

Abb. 5.40: DSC von wie gebaut Material mit

einem 𝛿-Ausscheidungsanteil 𝑊𝛿 von

4,3 Vol.-%. Es lassen sich γ‘, γ‘‘ und δ

Ausscheidungs- und Auflösungstemperatur

herausarbeiten. Die δ-Phase löst sich bei

einer Temperatur von ca. 1030 °C

vollständig auf.

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5 Ergebnisse und Diskussion 94

Zustand bauhöhenabhängigen δ-Phasenanteil ergibt sich die Notwendigkeit einer

Homogenisierung des δ-Phasenanteils.

In Abb. 5.41 ist die Auflösung der δ-Phase für zwei Bauhöhen bzw.

δ-Ausscheidungsanteile Wδ für Lösungsglühtemperaturen von 1020 °C in a) und

1040 °C in b) in Abhängigkeit von der Lösungsglühdauer dargestellt. Nach einer

Dauer von 2 h bei einer Temperatur von 1020 °C findet sich für beide Bauhöhen ein

einheitlicher δ-Phasenanteil von ca. 0,2 Vol.-%. Bei einer Temperatur von 1040 °C

wird bereits nach einer einstündigen Lösungsglühung eine vollständige Auflösung

erzielt.

In Abb. 5.42 sind die Datenpunkte aus Abb. 5.41 a) und b) gegenüber dem

Auflösungsanteil ∆𝑊 aufgetragen. ∆𝑊 berechnet sich aus der Differenz des

ursprünglichen δ-Ausscheidungsanteils Wδ und des momentanen Phasenanteils in

Abhängigkeit von der Lösungsglühdauer Wδ(𝑡). Für die untersuchten

δ-Ausscheidungsanteile von 4,3 Vol.-% und 2,2 Vol.-% lässt sich für die

Lösungsglühtemperatur von 1040 °C eine schnellere Auflösungskinetik als bei

1020 °C detektieren. Die Auflösungskinetik der 𝛿-Phase ist aufgrund der zur 𝛾-Matrix

inkohärenten Phasengrenze nicht vom kurzreichweitigen Übergang von Nb-Atomen

a) b)

Abb. 5.41: Auflösung der 𝛿-Phase bei einer Lösungsglühtemperatur T von 1020 °C in a)

und 1040 °C in b) für einen 𝛿-Ausscheidungsanteil 𝑊𝛿 von 2,2 Vol.-% und 4,3 Vol.-% in

Abhängigkeit von der Lösungsglühdauer [Waigand2013]. Bei einer Temperatur von

1020 °C stellt sich in a) ein homogener 𝛿-Phasenanteil von 0,2 Vol.-% nach einer

Lösungsglühdauer von 2 h ein. Für 1040 °C erfolgt eine vollständige Auflösung der 𝛿-

Phase bereits nach 1 h.

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5 Ergebnisse und Diskussion 95

von der 𝛿-Phase in die 𝛿 / 𝛾-Phasengrenze abhängig, sondern von der

langreichweitigen Nb-Diffusion von der 𝛿 / 𝛾-Phasengrenze in die 𝛾-Matrix [Cai2003,

Cai2007]. Die erhöhte Auflösungskinetik bei geringen Lösungsglühdauern bei einer

Temperatur von 1040 °C lässt sich auf einen höheren Diffusionskoeffizienten bzw.

Diffusionsstrom zurückführen. Im weiteren Verlauf kommt es zu einem Abflachen der

Kinetik, da mit abnehmendem δ-Phasenanteil der Nb-Konzentrationsgradient flacher

und folglich der Diffusionsstrom verlangsamt wird.

Kornwachstum und Rekristallisation

Azadian et al. beobachten nach vollständiger Auflösung der δ-Phase einen

sprunghaften Anstieg der Korngröße in geschmiedeten IN718 [Azadian2004]. Nach

Muzyka et al. wird die Korngrenzenbewegung durch ausgeschiedene intragranulare

𝛿-Ausscheidungen behindert. In Schmiedeprozessen wird die 𝛿-Phase daher zur

Kontrolle der Korngröße eingesetzt [Muzyka1971]. Für das stängelkristalline Gefüge

CG-IN718 ist keine Veränderung der Kornstruktur als Folge der durchgeführten

Lösungsglühungen festzustellen. Die mittlere Kornbreite der Stängelkristalle verbleibt

vor und nach einer zweistündigen Lösungsglühung bei einer Temperatur von

1060 °C bei ca. 22 µm.

Das gleichachsige Gefüge EG-IN718 bleibt bis zu einer Temperatur von 1040 °C

ebenfalls unverändert. Für eine zweistündige Lösungsglühung bei 1060 °C ist eine

Rekristallisation der Probenmitte anhand der deutlich gröberen Kornstruktur und

anhand von Rekristallisationszwillingen in Abb. 5.43 zu erkennen. Das Bestreben zur

Rekristallisation wird maßgeblich durch das feinere Korn und die damit verbundene

größere Korngrenzenfläche in EG-IN718 erleichtert.

Abb. 5.42: Auflösungsanteil der 𝛿-Phase in

Abhängigkeit von der Lösungsglühdauer.

Bei einer Temperatur von 1040 °C findet

sich eine erhöhte Auflösungskinetik im

Vergleich zu 1020 °C. Diese ist maßgeblich

von der langreichweitigen Diffusion von Nb-

Atomen in die Matrix bestimmt. Mit

zunehmender Temperatur finden Platz-

wechselvorgänge durch einen erhöhten

Diffusionskoeffizienten schneller statt.

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5 Ergebnisse und Diskussion 96

5.3.4 Homogenisierung von Mikroseigerungen

Im Zuge der dendritischen Erstarrung bildet sich in SEBM-IN718 eine zu Guss-IN718

vergleichbare Mikrosegregation zwischen Dendritenkern (DK) und interdendritischen

Bereich (ID). Das stärkste Seigerungsverhalten ist für Nb zu beobachten. Es finden

sich für Nb sowohl in Guss- [Carlson1989], als auch in SEBM-IN718 stark erhöhte

Gehalte im ID. In den Mikrosondenelementkarten von Nb und Ti des wie gebaut

Zustands (WG) in Abb. 5.44 spiegelt das Segregationsverhalten die feine

dendritische Struktur wieder. Infolge einer zweistündigen Lösungsglühung bei einer

Temperatur von 1020 °C ist für den wärmebehandelten Zustand (WB) in Abb. 5.44

eine nahezu vollständige Auflösung der Mikrosegregation zu beobachten. Lediglich

einzelne Bereiche im interdendritischen Bereich zeigen weiterhin erhöhte Nb- und Ti-

Gehalte. Hierbei handelt es sich um NbC und Ti(CN), die sich gemäß der

Erstarrungssequenz in IN718 im ID ausscheiden und aufgrund hoher

Solvustemperaturen (NbCSolvus > 𝑇𝑆, Ti(CN)Solvus > 𝑇𝐿 [Cockcroft1992]) nicht während

der Lösungsglühung aufgelöst werden. Im Zuge des stängelkristallinen Gefüges ist

eine zeilige Anordnung des NbC, die sogenannte Carbidzeiligkeit, im WB-Zustand zu

beobachten.

a) b)

Abb. 5.43: Rasterelektronenmikroskopische Aufnahmen der Probenmitte von EG-IN718 im

wie gebaut Zustand (WG) in a) und im wärmebehandelten Zustand (WB) nach einer

Lösungsglühung von 2 h bei 1060 °C in b). Es lässt sich anhand der deutlich gröberen

Kornstruktur und anhand von Rekristallisationszwillingen ein hoher Anteil an

rekristallisierten Bereichen erkennen.

2 mm

WG

2 mm

WB

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5 Ergebnisse und Diskussion 97

Im Sinne einer quantitativen Analyse des Seigerungs- und Homogenisierungs-

verhaltens wird jedem Messpunkt der Mikrosondenelementkarten ein

Festphasengehalt 𝑓𝑠 zugeteilt um die mittlere chemische Zusammensetzung im ID

(𝑓𝑠 = 1) und DK (𝑓𝑠 = 0) über die gesamte Mikrosondenelementkarte hinweg zu

bestimmen. Diese Sortierung wurde von Gungor erstmalig für binäre und von

Karunaratne et al. weiterhin für Multikomponentenlegierungen angewandt

[Gungor1989, Karunaratne2000] und erfolgt unter Berechnung der

Konzentrationsdifferenz von stark seigernden Elementen für den jeweiligen

Messpunkt. In IN718 finden sich mit Nb und Ti in den ID und mit Cr und Fe in den DK

seigernde Elemente. Die Konzentrationsdifferenz der genannten

Legierungselemente ermöglicht in Gl. (5.7) für jeden Messpunkt eine Sortierung nach

dem Festphasengehalt.

𝑐𝑓𝑠 = 𝑐𝑁𝑏+𝑇𝑖 − 𝑐𝐶𝑟+𝐹𝑒

(5.7)

In Abb. 5.45 ist die Konzentration in Abhängigkeit des Festphasengehalts der

wichtigsten Legierungselemente in IN718 für den WG- in (a) und WB-Zustand in (b)

dargestellt. Die teilweise erheblichen Mikroseigerungen, insbesondere von Nb,

können nahezu vollständig abgebaut werden.

a) b)

Abb. 5.44: Mikrosondenelementkarten für Nb in a) und Ti in b) im wie gebaut (WG) und

wärmebehandelten Zustand (WB). Die erheblichen Nb-Seigerungen können in Folge der

Wärmebehandlung nahezu vollständig abgebaut werden. Es verbleiben lediglich NbC und

Ti(CN) im ID, die aus Gründen hoher Solvustemperaturen nicht in der Lösungsglühung

aufgelöst werden können.

20 µm

Nb WG

WB

20 µm

Ti WG

WB

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5 Ergebnisse und Diskussion 98

Das beobachtete Segregationsverhalten lässt sich mit Hilfe der Scheil-Gleichung in

Gl. (2.11) beschreiben. Die Gleichung wird dem jeweiligem Konzentrationsprofil in

Abb. 5.45 angefittet. Die Scheil-Gleichung liefert nun die Konzentration im ID 𝑐𝐼𝐷

(𝑓𝑠 = 0,95) und im DK 𝑐𝐷𝐾 (𝑓𝑠 = 0) für das jeweilige Element. Es wird ein 𝑓𝑠 von 95 %

für die Berechnung von 𝑐𝐼𝐷 verwendet, um die Konzentrationserhöhung im ID wegen

der während der Lösungsglühung unlöslichen NbC unberücksichtigt zu lassen. Der

Grad der Homogenisierung wird anhand des Restsegregationsindex 𝛿 aus Gl. (5.8)

beurteilt. Dieser berechnet sich aus den Differenzen der maximalen und minimalen

Elementkonzentrationen vor (𝑐𝑚𝑎𝑥0 − 𝑐𝑚𝑖𝑛

0 ) und nach der Wärmebehandlung (𝑐𝑚𝑎𝑥𝑡 −

𝑐𝑚𝑖𝑛𝑡 ).

𝛿 =𝑐𝑚𝑎𝑥𝑡 − 𝑐𝑚𝑖𝑛

𝑡

𝑐𝑚𝑎𝑥0 − 𝑐𝑚𝑖𝑛

0 (5.8)

Für Nb berechnet sich mit 0,11 der höchste Restsegregationsindex aller

Legierungselemente, welcher eine nahezu vollständige Homogenisierung der

Mikroseigerungen anzeigt. Die in wärmebehandelten Guss-IN718 starke

Restsegregation [Carlson1989] ist für SEBM-IN718 in Folge des feinen Gefüges und

der damit verbundenen geringen Diffusionslängen nicht zu beobachten.

a) b)

Abb. 5.45: Konzentrationsprofile in Abhängigkeit von dem Festphasengehalt im wie gebaut

in a) und wärmebehandelten Zustand in b). Im WG-Zustand wird insbesondere die starke

Anreicherung von Nb in den interdendritischen Bereichen - entspricht hohem

Festphasengehalt - deutlich. Die Segregation anderer Elemente ist deutlich weniger

ausgeprägt. Im WB-Zustand lassen sich nahezu keine Mikroseigerungen mehr detektieren.

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5 Ergebnisse und Diskussion 99

Im Zuge des feinen SEBM-Gefüges (𝜆1 < 10 µm) erfolgt die Analyse an der

Auflösungsgrenze der verwendeten Mikrosonde. Dies führt zum einen zu der

beobachteten Streuung der Messwerte und zum anderen zu einer Unterschätzung

der Minimal- und Maximalwerte in Abb. 5.45.

5.3.5 Definition der Lösungsglühung

Für die Lösungsglühung wird eine Temperatur von 1020 °C und eine Haltedauer von

2 h als tauglich erachtet. Es lässt sich hierbei ein geringer δ-Phasenanteil mit einer

homogenen Verteilung im Bauteil einstellen. Weiterhin ist bei einer vollständigen

Auflösung der δ-Phase mit Kornvergröberung und Rekristallisation zu rechnen (vgl.

Abb. 5.43). Mikroseigerungen in Abb. 5.44 können durch die geringen

Primärarmabstände (λ1 < 10 µm) bzw. geringen Diffusionslängen nahezu vollständig

abgebaut werden.

Page 114: Additive Fertigung durch Selektives ... · Additive Fertigung durch Selektives Elektronenstrahlschmelzen der Nickelbasis Superlegierung IN718: Prozessfenster, Mikrostruktur und mechanische

5 Ergebnisse und Diskussion 100

5.4 Mechanische Eigenschaften und Textur

Im Folgenden werden der Einfluss eines stängelkristallinen (CG) und eines

gleichachsigen Gefüges (EG) auf die mechanischen Eigenschaften dargestellt.

5.4.1 Kornstruktur von Zug- und Ermüdungsproben

Die Kornstruktur in EG-IN718 ist in der IPF-Z-Orientierungskarte in Abb. 5.18 b) und

den entsprechenden Polfiguren in Abb. 5.20 b) bereits beschrieben. Die Kornstruktur

in CG-IN718 ist stark stängelkristallin. Vereinzelt treten Streukörner in den IPF-Z-

Orientierungskarten in Abb. 5.46 durch ihre von Rot (entspricht (100) // BR)

abweichende Einfärbung hervor. Die stängelkristalline Kornstruktur verbleibt über die

gesamte Bauhöhe bei einer konstanten mittleren Kornbreite von ca. 22 ± 14 µm. In

den Polfiguren in Abb. 5.47 zeigt sich eine ausgeprägte (100)-Fasertextur. Der

Texturindex ist mit 13 etwas geringer im Vergleich zu CGHL mit 21. Es lässt sich

ebenfalls eine geringe sekundäre Anisotropie detektieren (vgl. Kap. 5.2.5).

Abb. 5.46: IPF-Z-Orientierungskarte von 0°-

CG Zug- und Ermüdungsprobenmaterial mit

Farbkodierung entsprechend der IPF

parallel zur Baurichtung. Es zeigt sich ein

stark stängelkristallines Gefüge mit

vereinzelten Streukörnern.

Abb. 5.47: Polfiguren zur Orientierungskarte in Abb. 5.46 für CG-IN718 (Zug- und

Ermüdungsproben). Neben der starken (100)-Fasertextur zeigt sich in CG-IN718 eine

leichte sekundäre Anisotropie bezüglich der Orientierung der kristallographischen [010]

und [001]-Richtungen der Stängelkristalle.

(100)

Max:

25.07

Min:

0.01

X

Y

(110)

Max:

5.97

Min:

0.03

X

Y

(111)

Max:

8.34

Min:

0.02

MUD

X

Y

5

10

15

20

25

30

35

40

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5 Ergebnisse und Diskussion 101

5.4.2 Elastizitätsmodul

In Abb. 5.48 ist der E-Modul aus RFDA-Messungen bei Raumtemperatur (RT) und

aus den Warmzugversuchen bei 650 °C in Abhängigkeit von der Temperatur für die

Belastungsfälle 0°, 45° und 90° und für die CG- und EG-Kornstruktur aufgetragen.

Für die stängelkristalline Kornstruktur findet sich bei RT in Baurichtung (0°-CG) ein

E-Modul von 121 GPa. Dies entspricht weitestgehend dem E-Modul von Nickel für

die kristallographische <100>-Richtung von 125 GPa [Reed2006] und ist der starken

(100)-Fasertextur entsprechend den Polfiguren in Abb. 5.47 geschuldet. Senkrecht

zur Baurichtung (90°-CG) ist ein E-Modul von 156 GPa bei RT zu beobachten.

Dieser resultiert aus der sekundären Ausrichtung der Stängelkristalle, also aus der

Drehung um deren Primärachse bzw. Primärarme. Die Stängelkristalle werden

folglich in <100>, <110> oder dazwischen beansprucht. Der E-Modul von 90°-CG

E90°-CG liegt damit in erster Näherung zwischen dem E-Modul der <100>- und <110>-

Richtungen von Nickel mit 125 GPa und 220 GPa. Für 45°-CG ist der höchste E-

Modul von 237 GPa für die drei untersuchten Belastungsfälle festzustellen, welcher

aus einer Belastung in den <110> oder höher indizierten Richtungen resultiert.

Die globulitische Kornstruktur weist in 0°-EG einen E-Modul von 155 GPa auf. Im

Vergleich zu 0°-CG ist eine Erhöhung des E-Moduls um 34 GPa bzw. ca. 28 % zu

beobachten, die auf die Vielzahl an Neukörnern in der Orientierungskarte in Abb.

5.18 b) und auf die deutlich schwächere primäre Anisotropie in den Polfiguren in

Abb. 5.20 b) zurückzuführen sind.

In SLM-IN738LC beobachten Kunze et al. für eine 0°-Belastung einen E-Modul von

158 ± 3 GPa [Kunze2015]. Dieser ist um 27 % gegenüber E0°-CG erhöht und liegt auf

Abb. 5.48: E-Modul aus RFDA (20 °C) und

Zugversuch (650 °C) in Abhängigkeit von

der Temperatur für 0°-, 45°- und 90°-CG

und für 0°-EG [Hartmann2013,

Wiedemann2015]. Der E-Modul für 0°- und

90°-CG und für 0°-EG liegt unterhalb dem

von isotropen IN718 (gestrichelte Linie nach

AMS 6552). Für 45°-CG findet sich ein

höherer E-Modul.

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5 Ergebnisse und Diskussion 102

gleichem Niveau wie E0°-EG. Der erhöhte E-Modul in SLM-IN738LC ist das Resultat

der üblicherweise geringeren Ausprägung einer (100)-Fasertextur im SLM-Prozess.

In Tab. 5.1 sind die E-Moduln aus RFDA- und Zugversuchsmessungen aufgelistet.

Es zeigt sich ein weitestgehend übereinstimmendes Bild.

5.4.3 Statische Festigkeit

Die Kalt- und Warmfestigkeit von CG-IN718 und EG-IN718 liegt in Abb. 5.49

innerhalb bzw. teilweise oberhalb der Normgrenzen nach AMS6552. Sowohl für die

Streckgrenze Rp,0,2%, als auch für die Zugfestigkeit Rm lässt sich ein Maximum für

45°-CG finden. Rp,0,2% und Rm nehmen in der Reihenfolge von 90°- über 0°- bis 45°-

CG zu. Anders als für den E-Modul lässt sich für 90°-CG keine höhere Festigkeit im

Vergleich zu 0°-CG beobachten. Die Festigkeiten resultieren im Gegensatz zu der

elastischen Anisotropie ausschließlich aus der kristallographischen Anisotropie des

Gefüges. Die 0°-, 45°- und 90°-Belastungsfälle führen nun zu einer unterschiedlichen

Orientierung der Körner zur angelegten Spannung. Hieraus ergeben sich günstig und

ungünstig orientierte Körner hinsichtlich der angelegten Normalspannung und der

daraus resultierenden Schubspannung für das jeweilige Korn. In erster Näherung

lässt sich der Einfluss der kristallographischen Textur auf das Verformungsverhalten

mit Hilfe des mittleren Schmidfaktors 𝑚𝑠̅̅ ̅̅ abschätzen. Für 90°-CG finden sich sowohl

die geringste Streckgrenze und Zugfestigkeit, als auch mit 0,46 der höchste mittlere

Schmidfaktor. Folglich stehen im Mittel 46 % der angelegten Normalspannung als

Schubspannung zur Verfügung. Der Schmidfaktor verringert sich weiterhin von 0,44

bei 0°-CG zu 0,42 bei 45°-CG und gibt somit wiederum die beobachtete Tendenz in

Tab. 5.1: Elastizitätsmoduln aus RFDA-Messungen und Zugversuchen in GPa

[Hartmann2013, Wiedemann2015]. Der E-Modul in CG-IN718 zeigt eine starke

Anisotropie, welche anhand einer Spanne von ca. 120 - 240 GPa deutlich wird. In 0°-EG

lässt sich ein gegenüber 0°-CG erhöhter E-Modul feststellen, welcher auf den Wechsel von

einem stark stängelkristallinen zu einem gleichachsigen Gefüge zurückzuführen ist.

Gefüge und Belastungsart /

0°-CG 45°-CG 90°-CG 0°-EG IN718 (geschmiedet)*) Versuchsart

RFDA RT 121 ± 1 237 ± 1 156 ± 2 155 ± 3 -

Zugversuch RT 127 ± 2 238 ± 14 150 ± 1 148 ± 1 200

Zugversuch 650 °C 98 ± 3 186 ± 4 117 ± 4 - -

*)Daten aus [Special Metals Corporation2007].

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5 Ergebnisse und Diskussion 103

der Streckgrenze und der Zugfestigkeit wieder. Die Festigkeitsunterschiede in

Abhängigkeit der Belastungsfälle können demnach qualitativ anhand von 𝑚𝑠̅̅ ̅̅

vorhergesagt werden. Eine quantitative Vorhersage wird mit den Modellen der

Kristallplastizität erreicht, die neben der Orientierung der Gleitsysteme zur

Belastungsrichtung, auch Härtungseffekte, die aus der Kornstruktur und aus

Ausscheidungsgehalten erwachsen, berücksichtigen [Kalidindi2004, Helm2011,

Baiker2014].

Für 0°-EG liegt der mittlere Schmidfaktor bei 0,45 und damit zwischen 0°- und 90°-

CG. Durch das feinere Gefüge ist von einem zusätzlichen Härtungseffekt

entsprechend der Hall-Petch-Beziehung auszugehen, der die zu 0°-CG vergleichbare

Streckgrenze erklärt.

Die Zugfestigkeit Rm und Streckgrenze Rp,0,2% von SEBM-IN718 sind auf einem

vergleichbaren oder höheren Niveau im Verhältnis zu SLM-IN718 [Blackwell2005,

Zhao2008, Amato2012, Wang2012b, Strößner2015].

Die Bruchdehnungen in Abb. 5.50 liegen für CG-IN718 meist innerhalb der

minimalen und maximalen Grenzen nach AMS6552. Lediglich für den

Warmzugversuch von 45°-CG lässt sich eine geringere Bruchdehnung von ca. 4 %

beobachten. An den Bruchflächen lassen sich oberflächliche Spaltbrüche erkennen,

a) b)

Abb. 5.49: Zugfestigkeit und Streckgrenze von CG- und EG-IN718 in Abhängigkeit von der

Temperatur [Hartmann2013, Wiedemann2015]. Die Streckgrenze und Zugfestigkeit nimmt

von 90°- über 0°- bis 45°-CG zu. 0°-EG besitzt eine identische Streckgrenze wie 0°-CG,

fällt aber in der Zugfestigkeit auf das Niveau von 90°-CG zurück.

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5 Ergebnisse und Diskussion 104

die wegen der damit verbundenen vorzeitigen Querschnittsverringerung eine

Erklärung für die geringen Bruchdehnungen liefern.

Strondl et al. beobachten für SEBM-IN718 bei RT in einem 0°-Belastungsfall

Bruchdehnungen von lediglich 1,1 % [Strondl2009]. Es wird ein Bruch an

Mikroporennestern mit einer parallelen Ausbreitung zu den Schichten bzw. senkrecht

zur Belastungsrichtung festgestellt. Für 0°-CG werden in dieser Arbeit

Bruchdehnungen von 17 % beobachtet. Mikroporennester in Zug- und

Ermüdungsprobenmaterial werden nicht festgestellt (vgl. Kap. 5.5.1).

Die Bruchdehnung von 0°-EG findet sich bei 6 % mit einer großen Streuung. In

fraktographischen Aufnahmen zeigen sich Bindefehler mit Defektradien von 50 -

500 µm [Wiedemann2015]. Die hieraus resultierende Querschnittsverringerung führt

letztlich zu einem vorzeitigen Bruch. Die hohe Streuung der Zugfestigkeit für 0°-EG

ist ebenfalls auf Bindefehler zurückzuführen.

Abb. 5.50: Bruchdehnungen von CG- und

EG-IN718 in Abhängigkeit von der

Temperatur [Hartmann2013,

Wiedemann2015]. Für CG-IN718 liegen die

Bruchdehnungen innerhalb und oberhalb

der Norm AMS6552. Die Bruchdehnung von

EG-IN718 findet sich unterhalb der Norm.

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5 Ergebnisse und Diskussion 105

5.5 HCF-Schwellfestigkeit

Die hochzyklische Ermüdungsfestigkeit wird für stängelkristallines Gefüge in

Abhängigkeit der Belastungsfälle dargestellt und mikrostrukturelle Defektarten und

tatsächliche Bruchinitiierungsdefektarten werden aufgeführt.

5.5.1 Mikrostrukturelle Defektarten

Es werden mikrostrukturelle Defektarten zwischen geschmiedetem und in CG-IN718

verglichen und hinsichtlich ihrer potentiellen bruchinitiierenden Wirkung bewertet.

Mikro- und Makroporosität

In Abb. 5.51 lassen sich Poren an Korngrenzen und im interdendritischen Bereich

beobachten, die meist eine Größenordnung kleiner sind im Vergleich zu der in Abb.

5.2 dargestellten Makroporosität. Diese sogenannte Mikroporosität lässt sich in

Erstarrungs- und Anschmelzporosität unterteilen. Während Erstarrungsporen aus

Rückflussproblemen im Verlauf der dendritischen Erstarrung erwachsen, sind

Anschmelzporen erst bei einer Rückschmelzung von bereits aufgebauten Schichten

zu beobachten.

Dies wird in Abb. 5.51 insbesondere in der letzten Schicht deutlich, in welcher

sporadisch feine interdendritische Erstarrungsporen, aber keine Anschmelzporen zu

detektieren sind. In den darunter liegenden Schichten, die aufgrund der partiellen

Rückschmelzung durch die jeweils nachfolgende Schicht als Wärmeeinflusszone

Abb. 5.51: Rasterelektronenmikroskopische Aufnahmen der letzten Schichten mit

Auftreten von Erstarrungsporen und Anschmelzporen. In der letzten Schicht treten

ausschließlich einzelne feine Erstarrungsporen auf. In bereits rückgeschmolzenen

Schichten lassen sich intergranulare und interdendritische Poren mit deutlich höherer

Porengröße detektieren.

100 µm 50 µm

Oberste

Schicht

Anschmelzporen im

interdendritischen Bereich

Schmelzbadboden

Anschmelzpore

an Korngrenze

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5 Ergebnisse und Diskussion 106

(WEZ) betrachtet werden können, zeigen sich nun sowohl interdendritische, als

intergranulare Anschmelzporen, die im Vergleich zu Erstarrungsporen eine deutlich

höhere Porengröße aufweisen.

Intergranulare Anschmelzporen (microfissuring) sind beim autogenen Schweißen von

IN718 häufig in der WEZ zu beobachten und werden auf die Bildung eines

eutektischen Korngrenzenschmelzfilms durch Auflösung von intergranularen NbC in

der 𝛾-Matrix zurückgeführt [Thompson1991, Huang1994, Agilan2012]. In SEBM-

IN718 liegen NbC-Ausscheidungen aufgrund der dendritischen Erstarrung nicht nur

intergranular, sondern auch interdendritisch vor [Knorovsky1989]. Im

stängelkristallinen SEBM-IN718 sind NbC-Ausscheidungen parallel zur Baurichtung

orientiert (vgl. Abb. 5.44) und können während der Rückschmelzung zu

Anschmelzungen im ID führen. Dabei kommt es häufig zu einer Aneinanderreihung

oder Verschmelzung einzelner Poren, so dass im Histogramm in Abb. 5.52 maximale

Feret-Durchmesser3 von bis zu 14 µm beobachtet werden. Nachdem

Anschmelzporen an Korngrenzen oder in interdendritischen Bereichen vorliegen und

damit für das stängelkristalline Gefüge parallel zur Baurichtung elongiert sind, tritt für

den 90°-Belastungsfall die größte Spannungsüberhöhung auf. Für die vorliegenden

Defektgrößen der Anschmelzporosität ist dennoch keine Beeinflussung der 90°-CG-

3 Der Feret-Durchmesser stellt im zweidimensionalen Raum den Abstand zwischen zwei parallelen

Linien dar, die ein Objekt begrenzen (Schieblehrenprinzip). Für alle nicht kreisförmigen Objekte

variiert der Feret-Durchmesser je nach Anordnung der parallelen Linien am Objekt. Der maximale

Feret-Durchmesser beschreibt den maximalen Abstand zwischen den parallelen Linien für ein Objekt

unter Berücksichtigung aller Anordnungsmöglichkeiten.

Abb. 5.52: Histogramm des maximalen

Feret-Durchmessers der Mikro- und

Makroporosität. Bei der dargestellten

Mikroporosität handelt es sich vornehmlich

um Anschmelzporen im ID. Diese sind

kleiner als die detektierte Gasporosität

(Makroporosität) und damit nicht

bruchinitiierend.

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5 Ergebnisse und Diskussion 107

Schwellfestigkeit auszumachen, da andere Defektarten mit größeren Durchmessern

(wie z.B. Gasporen) im Wöhlerversuch bruchinitiierend wirken.

Die Makroporosität lässt sich in Gasporosität und Konsolidierungsporosität (nicht

konsolidierte Pulverpartikel, Mikrolunker) unterteilen (vgl. Abb. 5.2). Für

Bauparameter innerhalb der Prozessfenster in Abb. 5.1 und damit auch für die hier

verwendeten, ist in der mikroskopischen Defektanalyse keine

Konsolidierungsporosität zu beobachten und wird daher nicht weiter beleuchtet. Die

Gasporosität ist durch eine sphärische Morphologie (vgl. Abb. 5.2) gekennzeichnet

und stellt eine der beobachteten Bruchinitiierungsdefektarten dar. Ursprung der

Gasporosität sind bereits im Pulver eingefrorene Gasporen, welche bei der

Schutzgasverdüsung eingebracht werden [Qi2009]. Der Durchmesser der Gasporen

im Bauteil wird zum einen durch das in den Pulverpartikeln eingeschlossene

Gasvolumen und zum anderen durch die Druckverhältnisse in der Schmelze beim

Verdüsungs- und additiven Fertigungsprozess bestimmt. Trotz einer

Partikelgrößenverteilung von 45 - 105 µm lässt sich in Abb. 5.52 lediglich ein

Defektdurchmesser von 23 µm ausmachen, der auf einen Anteil an Gasporen im

verwendeten Pulver von lediglich 0,2 Vol.-% und auf eine statistische Verteilung im

Bauteil zurückzuführen ist.

Nitride und Carbide

Titannitride stellen spröde Ausscheidungen dar, welche bei 𝑇𝐿 keine vollständige

Löslichkeit aufweisen [Cockcroft1992, Mitchell1994a]. Für den im Ausgangspulver

vorliegenden Stickstoffgehalt von 70 Gew.-ppm (vgl. Tab. 3.1) lässt sich mit Hilfe

einer thermodynamischen Simulation eine TiN-Solvustemperatur von 1543 °C

berechnen (vgl. Anhang D). Im Zuge hoher Schmelzbadtemperaturen und -

konvektion ist von einer vollständigen Lösung von TiN in der Schmelze auszugehen4.

Die TiN-Defektgröße ist im SEBM-Prozess demnach durch Keimbildung,

Keimwachstum und Agglomeration während des Erkaltens des Schmelzbades

bestimmt. In Abb. 5.53 können für SEBM-IN718 TiN-Ausscheidungen mit einem

maximale Feret-Durchmesser von bis zu 16 µm beobachtet werden. Abikchi et al.

4 Im SEBM-Prozess herrschen in der Wechselwirkungszone zwischen dem Elektronenstrahl und der

Metallschmelze Schmelzbadtemperaturen von etwa 3000 °C. Im Zuge hoher Verdampfungsdrücke

führen starke Konvektionsströme zu einer Durchmischung der Schmelze [Klassen2014b].

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5 Ergebnisse und Diskussion 108

stellen in geschmiedetem IN718 einen maximale Feret-Durchmesser von 25 µm und

damit eine gegenüber SEBM-IN718 erhöhte TiN-Ausscheidungsgröße fest

[Abikchi2013]. Eine Bruchinitiierung im Wöhlerversuch ist für CG-IN718 lediglich für

den 45°-CG-Belastungsfall zu beobachten. Nach fraktrographischer Untersuchung

der Bruchfläche wird eine oberflächennahen Lokalisierung der TiN-Ausscheidung

und die daraus resultierende Spannungsüberhöhung als ursächlich für das

einmalige Versagen betrachtet.

Weiterhin bilden sich gemäß der Erstarrungssequenz Niobcarbide und -carbonitride

(NbC bzw. Nb(CN)) im interdendritischen Bereich [Knorovsky1989, Strondl2008].

Ono et al. konnten in geschmiedetem IN718 an NbC-Nestern eine Bruchinitiierung im

HCF-Versuch feststellen [Ono2004]. In geschmiedetem IN718 lässt sich nach

Abikchi et al. eine maximale NbC-Ausscheidungsgröße von 20 µm finden

[Abikchi2013]. Im Gegensatz dazu weisen NbC in SEBM-IN718 aufgrund der deutlich

feineren dendritischen Mikrostruktur (λ1 < 10 µm) geringere Durchmesser auf und

haben daher keine Relevanz hinsichtlich der Ermüdungsfestigkeit.

5.5.2 Hochzyklische Schwellfestigkeit

Die HCF-Schwellfestigkeit liegt für SEBM-IN718 je nach Belastungsfall auf einem

vergleichbaren bzw. niedrigeren Niveau im Verhältnis zu geschmiedetem IN718 mit

einer Korngröße von 18 ± 1 µm. In Abb. 5.54 sind die Schwellfestigkeiten für die

Belastungsfälle 0°-, 45°- und 90°-CG und für geschmiedetes IN718 in einer

doppellogarithmischen Auftragung der Spannungsamplitude 𝜎𝑎 gegenüber der

Lastwechselspielzahl 𝑁 dargestellt. In dieser sogenannten Wöhlerauftragung weist

die 45°-Orientierung mit einer Dauerfestigkeit 𝜎𝐷 (107) von ca. 275 MPa bei einer

Abb. 5.53: Histogramm des maximale Feret-

Durchmessers der TiN und TiCN. Es lässt

sich ein maximaler Feret-Durchmesser von

bis zu 16 µm in der lichtmikroskopischen

Analyse detektieren. Nitride zeigen sich

lediglich für den Belastungsfall 45°-CG

bruchinitiierend.

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5 Ergebnisse und Diskussion 109

Lastwechselspielzahl von 107 eine zu geschmiedetem IN718 vergleichbare

Schwellfestigkeit auf. Die Schwellfestigkeiten von 0°- und 90°-CG liegen mit

Spannungsamplituden von ca. 225 MPa bzw. 250 MPa unterhalb der

Schwellfestigkeit von 45°-CG und von geschmiedetem IN718. Die Wöhlerauftragung

gilt für ein Spannungsverhältnis von R = 0 bei einer Frequenz von ca. 95 Hz und

einer Temperatur von 450 °C.

5.5.3 Bruchinitiierungsdefektarten

Die Bruchinitiierung stellt im hochzyklischen Bereich den

geschwindigkeitsbestimmenden Schritt des Ermüdungsbruches dar und ist daher von

besonderer Bedeutung. Im Histogramm in Abb. 5.55 sind die häufigsten

Bruchinitiierungsarten in CG-IN718 für die Belastungsfälle 0°, 45° und 90°

dargestellt. Es wirken meist Einschlüsse und Gasporen bruchinitiierend. Weniger

häufige bruchinitiierende Defektarten, wie Risse, TiN-Partikel und Bindefehler, finden

sich unter Diverse in Abb. 5.55. Eine Bruchinitiierung ausgehend von einem

Einschluss ist in Abb. 5.56 a) dargestellt. Die Einschlüsse weisen einen ebenen

Charakter mit einer parallelen Orientierung zur Schichtebene (senkrecht zur

Baurichtung) auf und zeigen in EDX-Punktanalysen hohe Gehalte an Aluminium und

Sauerstoff (vgl. Kap. 5.5.5). In Abb. 5.56 b) wirkt eine Gaspore bruchinitiierend.

Augenscheinlich ist die sphärische Form dieser Defektart.

Einschlüsse stellen die häufigste Defektart dar. Lediglich für den Belastungsfall 90°-

CG gehen ebenso viele Ermüdungsbrüche von Gasporen aus. Einschlüsse führen

aufgrund ihrer parallelen Orientierung zur Schichtebene zu einer geringeren

projizierten Defektgröße bzw. Spannungsüberhöhung für eine Belastung parallel zur

Abb. 5.54: Wöhlerauftragung der

Zugschwellfestigkeit in Abhängigkeit von

der Belastungsorientierung

[Rothammer2015]. Für den Belastungsfall

45°-CG lässt sich eine zu geschmiedetem

IN718 vergleichbare Schwellfestigkeit

𝜎𝐷 (107) von 275 MPa feststellen. Die

Schwellfestigkeit von 0°- und 90°-CG liegt

mit 225 MPa bzw. 250 MPa etwa 50 MPa

unterhalb der von 45°-CG.

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5 Ergebnisse und Diskussion 110

Schichtebene (90°-CG). Die sphärischen Gasporen zeigen dagegen eine isotrope

Spannungsüberhöhung, so dass diese in Ermangelung größerer Defekte in 90°-CG

deutlich häufiger bruchinitiierend wirken.

Die Bruchinitiierungsarten in SEBM-IN718 entsprechen den üblicherweise

beobachteten Defektarten in additiv gefertigten Bauteilen [Brandl2012, Qi2012,

Wang2012a, Leuders2013, Edwards2014, Wycisk2014]. Lediglich die Häufigkeit der

Defektart Einschluss steht im Kontrast zur Literatur und wird in Kap. 5.5.5 näher

erläutert.

Abb. 5.55: Histogramm der Bruchinitiie-

rungsarten für die Belastungsfälle. Der

Bruch geht meist von Einschlüssen und

Gasporen aus. In 90°-CG wirken Gasporen

häufiger bruchinitiierend als in 0°- oder 45°-

CG. Die sphärischen Gasporen führen zu

einer isotropen Spannungsüberhöhung.

Einschlüsse weisen dagegen aufgrund ihrer

parallelen Anordnung zur Schicht eine

starke Anisotropie auf.

a) b)

Abb. 5.56: Rasterelektronenmikroskopische Fraktographie der Bruchinitiierungs-

defektarten Einschluss in a) und Gasporosität in b) für den Belastungsfall 0°-CG. In

Umgebung der Defekte findet sich ein kristallographisches Bruchverhalten mit ebenen

Bruchflächen und Spaltlinien.

25 µm

0°-CG

25 µm

0°-CG

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5 Ergebnisse und Diskussion 111

5.5.4 Rissverlauf

Der Rissverlauf in CG-IN718 lässt sich grundsätzlich in vier Bereiche unterteilen, die

in Abb. 5.57 anhand einer Bruchfläche einer 0°-CG-Probe dargestellt sind. Der

Bruchinitiierung schließt sich ein kristallographischer Bruchbereich mit ebenen

Bruchflächen an, der in einen Bruch senkrecht zur Belastungsrichtung mit der

Ausbildung charakteristischer Schwingstreifen übergeht. Der Rissverlauf endet mit

einem Restbruch im Randbereich.

Die Bruchinitiierung an inneren Defekten ist auf die Spannungsüberhöhung in ihrer

Umgebung zurückzuführen. Die Defekte können dabei als Risse angenommen

werden. Der Bruchinitiierung folgt ein kristallographischer Rissbereich entlang von

{111}/⟨110⟩-Gleitsystemen, der in der Literatur als Stufe I der Rissausbreitung

bezeichnet wird und über ein ebenes Bruchbild mit charakteristischen

Gleitlinienspuren in Abb. 5.56 gekennzeichnet ist [Forsyth1961, Telesman1996].

Dieses Verhalten ist in einkristallinen Ni-Basissuperlegierungen bei niedrigen

Temperaturen und hohen Belastungsfrequenzen stark ausgeprägt und verläuft

üblicherweise entlang des Gleitsystems mit der größten aufgelösten Schubspannung

[Leverant1975, Telesman1996, Lange2014]. In CG-IN718 wird im jeweiligen Korn

ebenfalls meist ein Gleitsystem aktiviert. Der Riss verläuft kristallographisch jeweils

unter Auswahl des günstigsten Gleitsystems. Im Belastungsfall 0°-CG kommt es in

Abb. 5.57 zur Bildung eines Bruchkegels, an dessen Spitze der bruchinitiierende

Defekt lokalisiert ist. In 45°- und 90°-CG ist in der Stufe I der Rissausbreitung ein

Abb. 5.57: Fraktographische Aufnahme einer 0°-CG-Bruchfläche. Der Riss geht von einer

Einschluss aus und breitet sich an kristallographischen Ebenen in ca. 45° zur

Belastungsrichtung als Stufe I Riss aus. Mit zunehmender Rissausbreitung kommt es zu

einem Übergang zu Stufe II senkrecht zur Belastungsrichtung unter Ausprägung der

üblichen Schwingstreifen bis zum Restbruch.

500 µm

Bruchinitiierung

Stufe II der

Rissausbreitung

0°-CG

Stufe I der

Rissausbreitung

200 µm

Restbruch

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5 Ergebnisse und Diskussion 112

ähnliches Verhalten nicht zu beobachten. Der Bruch verläuft hier weitestgehend

eben. Mit zunehmender Risslänge wird die Spannungsüberhöhung in Umgebung des

Risses größer, so dass sich der Riss nun senkrecht zur angelegten Normalspannung

ausbreitet und damit in die Stufe II der Rissausbreitung mit den hierfür

charakteristischen Schwingstreifen übergeht.

5.5.5 Verarbeitungseinflüsse auf die HCF-Bruchinitiierung

Die häufigste Bruchinitiierungsart in SEBM-IN718 stellen nach Abb. 5.55 Einschlüsse

dar, die meist parallel zur Schichtebene vorliegen (vgl. Abb. 5.56 a). In der

Fraktographie einer 0°-Ermüdungsprobe in Abb. 5.58 wirkt ebenfalls ein Einschluss

bruchinitiierend. Dieser weist hohe Al- und O-Gehalte auf, wie aus den REM-EDX-

Elementkarten in Abb. 5.58 und -Punktmessungen in Tab. 5.2 ersichtlich ist.

Abb. 5.58: Rasterelektronenmikroskopische Aufnahme einer 0°-Ermüdungsbruchfläche mit

einem bruchinitiierenden Einschluss in der Bildmitte und entsprechende energiedispersive

Elementkarten der Elemente Ni, Al und O. Die Bruchinitiierungsstelle weist hohe Al- und

O-Gehalte auf. In der Umgebung der Bruchinitiierung erscheinen glatte, kristallographische

Bruchflächen mit Ermüdungsgleitbändern, die sich mit sprödgebrochenen Bereichen

abwechseln. Die erhöhten Sauerstoffgehalte der sprödgebrochenen Bereiche werden auf

eine Oxidation nach Versuchsende zurückgeführt. Schwarze Bereiche der Elementkarten

resultieren aus Verschattungseffekten aufgrund der Unebenheit der Bruchfläche. Die

100 µm

100 µm

Bruchinitiierung

O

Ni

100 µm

100 µm

Al

B

A

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5 Ergebnisse und Diskussion 113

Neben dem Vorkommen als Bruchinitiierung lassen sich auf den Schmelzflächen der

wie gebaut Rohlinge ebenfalls agglomerierte Einschlüsse beobachten, die in EDX-

Elementkarten und -Punktmessungen einer exemplarischen Schmelzfläche in Abb.

5.59 bzw. in Tab. 5.2 wiederum erhöhte Al- und O-Gehalte aufweisen. Sowohl der

bruchinitiierende Einschluss (Punkt A), als auch die agglomerierten Einschlüsse auf

den Schmelzflächen (Punkt C) weisen ein Al-O-Gewichtsverhältnis von ca. 1:1 auf.

Dieses lässt, aufgrund der unterschiedlichen Molmassen von Al und O, auf die

Stöchiometrie Al2O3 schließen. Weiterhin ist gegenüber der nominellen

Zusammensetzung (vgl. Tab. 3.1) bzw. der chemischen Zusammensetzung in

Umgebung der Einschlüsse (Punkte B und D) ein erhöhter Ti-Anteil festzustellen.

Alle weiteren Legierungselemente sind stark reduziert. Den Hauptbestandteil stellt in

beiden Fällen demnach Al2O3 dar.

Baurichtung steht senkrecht zur Bildebene und ist anhand des Symbols im unteren linken

Bildrand der REM-Aufnahme angegeben.

Abb. 5.59: Rasterelektronenmikroskopische Aufnahme einer exemplarischen

Schmelzfläche eines 0°-Rohlings mit EDX-Elementkarten der Element Ni, Al und O. Es

lassen sich auf der Schmelzfläche inhomogen verteilte keramische Agglomerationen mit

hohen Al- und O-Anteilen beobachten.

Al O

50 µm 50 µm

Ni

50 µm50 µm

C

D

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5 Ergebnisse und Diskussion 114

Der hohe Al2O3-Anteil und der Mangel an Cr2O3 in den Einschlüssen stehen im

Kontrast zu den üblicherweise beobachteten oxidischen Deckschichten in IN718.

Obgleich thermodynamisch nicht bevorzugt, bilden sich bei der Oxidation von IN718

aus kinetischen Gründen größtenteils NiO- und Cr2O3-Deckschichten und zu einem

kleinen Teil Al2O3-reiche Bereiche [Molins1993, Bürgel2011]. Unter zusätzlicher

Berücksichtigung der inhomogenen Verteilung der Einschlüsse auf der

Schmelzfläche in Abb. 5.59 sind diese nicht auf eine Oxidation der Schmelzfläche

nach dem Prozessende zurückzuführen, sondern stehen im Zusammenhang mit dem

Schmelzprozess.

Etwaige Oxide und Nitride in und auf den Pulverpartikeln können im Schmelzbad

aufgrund von hohen Schmelztemperaturen5 gelöst werden. Beim Erkalten des

Schmelzbades wird die Sauerstoff- und Stickstofflöslichkeit der Schmelze wiederum

unterschritten, so dass sich Al2O3 und TiN - das thermodynamisch stabilste Oxid

bzw. Nitrid - ausscheiden [Cockcroft1992]. Für den Sauerstoff- und Stickstoffgehalt

im verwendeten Legierungspulver von 50 Gew.-ppm und 70 Gew.-ppm kommt es

nach thermodynamischen Berechnungen bei einer Temperatur von ca. 1874 °C bzw.

1543 °C zur Ausscheidung von Al2O3 bzw. TiN in der Schmelze (vgl. Anhang D).

Bei nicht vollständiger Auflösung der Oxide im Schmelzprozess werden weiterhin die

thermodynamisch weniger stabilen Oxide NiO und Cr2O3 zu dem thermodynamisch

stabileren Oxid Al2O3 umgesetzt.

5 Im SEBM von TiAl6V4 finden sich nach Klassen et al. Schmelzbadtemperaturen von bis zu

ca. 3000 °C [Klassen2014b]. In IN718 stellt Cr2O3 mit einem Schmelzpunkt von 2435 °C das

höchstschmelzende Oxid dar [Bürgel2011]. Unter der Annahme identischer Schmelzbadtemperaturen

in TiAl6V4 und IN718 werden die Schmelzpunkte aller in IN718 relevanten Oxide erreicht.

Tab. 5.2: Chemische Zusammensetzung in Gew.-% aus EDX-Punktanalyse in den

Punkten A-D (vgl. Abb. 5.58 und 6.16).

Element /

O Al Ti Cr Ni Fe Nb Mo Messpunkt

A 25,3 28,6 3,7 9,2 21,6 8,4 2,1 1,3

B - 2,4 1 18,5 52,2 18,5 5 3,3

C 42,1 41,2 10 4,4 1,4 0,9 0,1 0

D 7,8 7,2 1,1 15,2 45,4 15,9 4,9 2,5

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5 Ergebnisse und Diskussion 115

Aus dem EBCHR-Prozess (electron beam cold hearth refining) ist bekannt, dass in

der Schmelze vorliegende Oxide und Nitride durch Konvektionsströme und Auftrieb

an die Schmelzbadoberfläche gelangen können und dort aufgrund geringerer Dichte

und schlechter Benetzung zur Schmelze verbleiben [Mitchell1994b, Vassileva2005].

Diese physikalische Separierung findet im SEBM-Prozess - mehr durch Konvektion,

als durch Auftrieb - in jeder Schicht statt und führt so zu einer allmählichen

Anreicherung und Agglomeration von Al2O3 und TiN im Bauteil und auf der

Probenoberseite im Verlauf des Materialaufbaus (vgl. Abb. 5.59). In einer Trägergas-

Heißextraktion von Probenmaterial in Umgebung der Probenoberseite finden sich

folglich gegenüber der chemischen Zusammensetzung des Pulvers erhöhte

Sauerstoff- und Stickstoffgehalte. Ist im Pulver noch ein Sauerstoffgehalt von

50 Gew.-ppm zu beobachten, so findet sich im konsolidierten Material ein Gehalt von

123 Gew.-ppm. Für den Stickstoffgehalt ist gleichermaßen eine Erhöhung von

70 Gew.-ppm im Pulver und zu 138 Gew.-ppm im Bauteil festzustellen.

Die in der Schmelze gelösten Oxide und Nitride stehen nach dem Henry-Gesetz in

Wechselwirkung mit der Prozessatmosphäre. In Vakuumumschmelzprozessen, wie

dem VAR und dem EBCHR, wird im Zuge von Prozessatmosphären mit niedrigen

Sauerstoff- bzw. Stickstoffpartialdrücken ein Ausdampfen von in der Schmelze

gelöstem Sauerstoff und Stickstoff realisiert, so dass hochreine Legierungen erzeugt

werden können [Mitchell1999, Vassileva2005, Zhang2014]. Im SEBM-Prozess findet

Abb. 5.60: Verlauf des Kammerdrucks und des Rakelstroms in einem exemplarischen

SEBM-Prozess. Infolge des Pulverauftrags (Rakelstrom ≠ 0 A) auf das sich bereits auf

Bautemperatur befindliche Bauteil erhöht sich der Kammerdruck. Es ist von einer

Desorption von an der Pulveroberfläche adsorbierter Gase auszugehen.

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5 Ergebnisse und Diskussion 116

der Materialaufbau bei einem konstanten Druck von 2x10-3 mbar unter kontrollierter

Zuleitung von Heliumgas mit einer Reinheit von 5,0 (𝑝𝑂2< 2 At.-ppm) statt. Für den

SEBM-Prozess lassen sich folglich ebenfalls niedrige Sauerstoffpartialdrücke von

4x10-9 mbar berechnen. Dieser Partialdruck ist jedoch nur theoretischer Natur, wie

sich in Abb. 5.60 anhand des Verlaufs des Kammerdrucks für 5 Prozesszyklen, samt

Pulverauftrag, Vorheiz-, Schmelzschritt und Tischabsenkung zeigt. Jeweils infolge

des Pulverauftrags (Rakelstrom ≠ 0) ist eine Erhöhung des Kammerdrucks zu

beobachten. Das Pulver wird auf das sich auf Bautemperatur (ca. 950 °C) befindliche

Bauteil appliziert, so dass es im Zuge der einsetzenden Temperaturerhöhung im neu

applizierten Pulver zur Desorption adsorbierter Gase (Sauerstoff, Stickstoff, Wasser)

kommt. Aufgrund der Desorption sind in der Prozesskammer erhöhte Sauerstoff- und

Stickstoffpartialdrücke in der Größenordnung von 10-4 mbar zu erwarten, wodurch

eine effektive Entgasung der Schmelze behindert wird.

Mit zunehmender Bauhöhe bzw. Anreicherung werden die an der

Schmelzbadoberfläche agglomerierten Oxidfilme im Schmelzprozess teilweise nicht

mehr aufgelöst und verbleiben folglich als ebene Defekte mit paralleler Orientierung

zur Schichtebene im Bauteil (vgl. Abb. 5.56 a). Der Einschluss der Oxidfilme

resultiert aus der Behinderung des Rückschmelzprozesses durch eine gegenüber

IN718 um eine Größenordnung reduzierte Wärmeleitfähigkeit der Al2O3-reichen

Oxidfilme (vgl. Anhang E). Die dargestellte Anreicherung und Agglomeration von

Einschlüssen führt zu dem im Vergleich zur Literatur allgemein erhöhten

Bruchinitiierungsanteil und im Speziellen zur starken Richtungsabhängigkeit dieser

Defektart in Abb. 5.55.

5.5.6 Bruchmechanische Betrachtung der HCF-Schwellfestigkeit

Auf Basis der Ermüdungsfestigkeit des defektfreien Materials 𝜎𝐷 und des

Schwellwerts des zyklischen Spannungsintensitätsfaktors ∆𝐾𝑡ℎ lässt sich in Abb. 5.61

das sogenannte Kitagawa-Takahashi-Diagramm zeichnen. Es ermöglicht eine

Vorhersage der ertragbaren zyklischen Spannungsamplitude 𝑅 für ein konstantes

Spannungsverhältnis und eine konstante Lastwechselspielzahl. Der Schwellwert

∆𝐾𝑡ℎ für DA-IN718 wird von Lawless et al. aus Rissfortschrittsmessungen bei einem

Spannungsverhältnis von 𝑅 = 0 zu MPa m1/2 bestimmt (vgl. Anhang F)

[Lawless2001]. Die Ermüdungsfestigkeit von DA-IN718 wird der Wöhlerauftragung in

Abb. 5.54 für eine Lastwechselspielzahl 𝑁 von 106 entnommen. Um

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5 Ergebnisse und Diskussion 117

Schwingversuche mit einer Lastwechselspielzahl von ungleich 106 ebenfalls in das

Diagramm eintragen zu können, wird für jeden Belastungsfall (0°-, 45°- oder 90°-CG)

eine lineare Regression in der Wöhlerauftragung in Abb. 5.54 auf Basis der Basquin-

Gleichung durchgeführt und mit Hilfe der Steigung der jeweiligen Basquin-Gerade die

Schwingversuche auf 106 Lastwechsel projiziert. Die Defektgröße wird aus

rasterelektronenmikroskopischen Aufnahmen der Bruchinitiierung anhand einer

elliptischen Projektion entlang der Belastungsrichtung bestimmt und unter Annahme

eines kreisrunden Defektes als äquivalenter Defektradius in das Kitagawa-

Takahashi-Diagramm eingetragen. Der Randabstand eines Defektes zeigt einen

signifikanten Einfluss auf die Ermüdungsfestigkeit [Murakami2002, Danninger2003,

Lamm2007]. Daher werden ausschließlich Defekte mit einem Randabstand von

größer 200 µm in Abb. 5.61 berücksichtigt.

Das Kitagawa-Takahashi-Diagramm beschreibt im Schnittpunkt der 𝜎𝐷- und ∆𝐾𝑡ℎ-

Geraden eine kritische Defektgröße, ab welcher eine Verringerung der zum Bruch

führenden Spannungsamplitude zu beobachten ist. Der kritische Defektradius liegt

für DA-IN718 und 𝑁 = 106 bei ca. 46 µm und ist damit größer als eine Vielzahl der

beobachteten Defekte in Abb. 5.61. Die Defekte führen demnach zu keiner

Reduzierung der Spannungsamplitude entsprechend ∆𝐾𝑡ℎ. Dennoch kommt es für

die Belastungsfälle 0° und 90° auch unterhalb der Ermüdungsfestigkeit des

defektfreien DA-IN718 Materials zum Bruch. Die unterschiedlichen

Schwellfestigkeiten der Belastungsfälle sind damit nicht das Resultat von

Unterschieden in den bruchinitiierenden Defektgrößen, sondern sind wiederum auf

die Beziehung zwischen kristallographischer Textur und Belastungsrichtung

zurückzuführen. Die Schwellfestigkeit der drei Belastungsfälle ist entsprechend dem

Verhalten in der uniaxialen Festigkeit ebenfalls richtungsabhängig. Durch eine

günstige Orientierung von Gleitsystemen gegenüber der Normalspannung in

Umgebung eines Defektes ist hier von einer frühzeitigen Bruchinitiierung

auszugehen. Für die Belastungsfälle 0° und 90° ist in Abb. 5.61 jeweils eine

Ermüdungsfestigkeit unterhalb der von DA-IN718 eingezeichnet. Lediglich für den

45°-Belastungsfall lässt sich eine korrekte Vorhersage ausgehend von den

Kennwerten für DA-IN718 beobachten. Im Gegensatz zu den uniaxialen Festigkeiten

ist für 0°-CG eine geringere Schwellfestigkeit als für 90°-CG zu beobachten. Die

Ursache für die verminderte 0°-Schwellfestigkeit ist in der zur Schichtebene

parallelen Orientierung der Defektart Einschluss zu sehen (vgl. Kap. 5.5.5). In 0°-CG

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5 Ergebnisse und Diskussion 118

weist diese Defektart damit die größte Spannungsüberhöhung aus. Weiterhin kann in

Umgebung des bruchauslösenden Defekts eine Vielzahl weiterer Defekte zur

Verfügung stehen, die zu einer Überlagerung der Spannungsüberhöhungen während

der Bruchinitiierung führen und die verringerte Ermüdungsfestigkeit erklären. In den

Belastungsfällen 45°- und 90°-CG liegen Einschlüsse mit einer reduzierten

projizierten Defektfläche vor, so dass es hier zu geringeren

Spannungsüberhöhungen bzw. -überlagerungen kommt.

Abb. 5.61: Modifiziertes Kitagawa-Takahashi-Diagramm für die Belastungsfälle 0°-, 45°-

und 90°-CG. Es lässt sich entsprechend der statischen Festigkeiten eine anisotrope

Schwellfestigkeit beobachten. Die 0°- und 90°-Schwellfestigkeit liegt unterhalb der

Schwellfestigkeit des Knetmaterials, obgleich die bruchinitiierenden Defekte kleiner als der

kritische Defektradius sind. Die Ermüdungsfestigkeit ist folglich von der Orientierung der

Gleitsysteme in Umgebung der Bruchinitiierung beeinflusst.

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6 Zusammenfassung und Ausblick 119

6 Zusammenfassung und Ausblick

Im Rahmen dieser Arbeit wurde die Nickelbasis Superlegierung IN718 für das

Selektive Elektronenstrahlschmelzen (SEBM) qualifiziert und hinsichtlich der

Wärmebehandelbarkeit, der Kornstruktur und der mechanischen Eigenschaften

charakterisiert.

Prozessfenster für eine dichte und rissfreie Verarbeitung wurden anhand von

würfelförmigen Probengeometrien erstellt. Unter Berücksichtigung der thermischen

Bedingungen wurde ein einfaches analytisches Modell auf Basis der thermischen

Diffusionslänge dargestellt, welches eine Übertragung des Prozessfensters auf

komplexe Bauteilgeometrien ermöglichen kann.

Es wurde eine Wärmebehandlung entwickelt, welche unter Erhaltung der

Kornstruktur die prozessbedingt bauhöhenabhängige δ-Phasenverteilung

homogenisiert und Mikroseigerungen vollständig auflöst. Für diese wärmebehandelte

Mikrostruktur konnten zum Knetmaterial vergleichbare statische und dynamische

Festigkeiten beobachtet werden. Das stängelkristalline Gefüge zeigte eine starke

Anisotropie, die auf die unterschiedliche Orientierung zwischen Gleitsystemen und

Belastungsrichtung für die untersuchten Belastungsfälle zurückgeführt wurde. Im

hochzyklischen Ermüdungsversuch wirkten meist Gasporen und Einschlüsse

bruchinitiierend. Gasporen sind auf die Verwendung von schutzgasverdüsten Pulver

zurückzuführen. Andere Verdüsungsverfahren, wie das PREP-Verfahren (plasma

rotating electrode process), liefern Pulverpartikel ohne Gaseinschlüsse und

verbessern nach Qi et al. die hochzyklischen Ermüdungseigenschaften in AM-

Bauteilen [Qi2009, Qi2012]. Die bruchinitiierende Wirkung von Einschlüssen wird auf

eine allmähliche Anreicherung und Agglomeration durch den schichtweisen

Schweißprozess zurückgeführt.

Im SEBM von IN718 lassen sich durch eine gezielte Anpassung der

Prozessparameter stark stängelkristalline und nahezu globulitische Kornstrukturen

einstellen. Das stängelkristalline Gefüge resultiert aus einer weitestgehend

gerichteten Erstarrung mit einer zur Baurichtung parallelen Wärmestromorientierung.

Wird die Erstarrung durch starke Richtungswechsel des Wärmestroms gestört,

lassen sich globulitische Gefüge beobachten. Maßgeblich ist eine Änderung der

Wärmestromrichtung innerhalb einer Schicht und von einer zur nächsten Schicht.

Auf Basis experimenteller und numerischer Experimente wird eine dendritische

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6 Zusammenfassung und Ausblick 120

Fragmentierung im Zuge transienter Wärmestromrichtungen als ursächlich für die

Neukornbildung erachtet.

Der gezielte Wechsel von stängelkristallinem zu globulitischem Gefüge eröffnet nach

Etter et al. die Möglichkeit, maßgeschneiderte Bauteile aufzubauen, die durch eine

lokale Anpassung der Mikrostruktur optimierte Bauteileigenschaften aufweisen

[Etter2015]. In Abb. 6.1 ist ein solcher Wechsel von einem stängelkristallinen zu

einem globulitischen Gefüge und wieder zurück für das Selektive

Elektronenstrahlschmelzen von IN718 dargestellt. Auf diese Weise könnten

beispielsweise Turbinenschaufeln im Schaftbereich mit einer feinkörnigen,

globulitischen Mikrostruktur aufgebaut werden, welche die für diesen Bereich

wichtige dynamische Festigkeit erhöht. Das Schaufelblatt kann anschließend mit

einer stängelkristallinen Kornstruktur versehen werden, die bei entsprechender

Ausrichtung zu einer Verbesserung der Kriecheigenschaften führt.

Neben der primären Ausrichtung der Stängelkristalle entlang der Baurichtung weist

das stängelkristalline Gefüge eine sekundäre Anisotropie in Richtung der

Scanvektoren auf. Der Kornselektionsmechanismus basiert auf einem bevorzugten

Wachstum von Primärarmen, als auch Sekundärarmen bei einem geneigten

Wärmestrom. Unter Ausschluss von Neukörnern ist eine genaue primäre und

sekundäre Ausrichtung des stängelkristallinen Gefüges einstellbar. Die Auswahl von

Stängelkristallen, die sowohl parallel zur Baurichtung, als auch parallel bzw.

senkrecht zu den Scanvektoren ausgerichtet sind, führt zu einer Reduzierung von

Großwinkelkorngrenzen und sollte unter präziser Ausnutzung des Mechanismus die

Ausbildung von technischen Einkristallen ermöglichen.

Abb. 6.1: Rasterelektronenmikroskopische

Aufnahme mit einem mikrostrukturellen

Wechsel zwischen stängelkristallinem und

globulitischem Gefüge und wieder zurück im

Selektiven Elektronenstrahlschmelzen der

Nickelbasis Superlegierung IN718.

500 µm

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Anhang A. Prozessparameter im Vorheizschritt 135

Anhang A. Prozessparameter im Vorheizschritt

Die Prozessparameter im Vorheizschritt verbleiben für den Materialaufbau im

Selektiven Elektronenstrahlschmelzen der Nickelbasis Superlegierung IN718

hinsichtlich der verwendeten Linienenergie konstant und können der Tab. A.1

entnommen werden.

Tab. A.1: Prozessparameter im Vorheizschritt für quadratische Flächen mit Kantenlängen

von 80 bzw. 100 mm.

Parameter /

𝑣 [m/s] 𝐼 [mA] 𝑈 [kV] 𝐸𝐿 [J/mm] ℎ𝑠 [mm] Vorheizfläche

80 x 80 mm² 14 17,5 60 0,075 0,5

100 x 100 mm² 18 22,5 60 0,075 0,5

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Anhang B. Definition der Strahlbreite 136

Anhang B. Definition der Strahlbreite

Die Strahlbreite lässt sich im SEBM-Prozess durch einen Fokusstrom, welcher

zusätzlich auf die Fokussierungsspulen angelegt wird, beeinflussen. Die Strahlbreite

wird anhand der Schmelzbadbreite von Einzelspurversuchen abgeschätzt. Es

werden jeweils 3 Einzelspuren bei Fokusströmen von 0-20 mA in eine Startplatte aus

korrosionsbeständigem Stahl (X5CrNi18-10) bei RT aufgeschmolzen. Die

Einzelspurversuche werden mit einer Ablenkgeschwindigkeit von 1,2 m/s bei einer

Strahlleistung von 420 W durchgeführt. Die Schmelzbadbreite wird anhand von

lichtmikroskopischen Aufnahmen bestimmt und ist in Abb. B1 in Abhängigkeit des

Fokusstroms dargestellt. Mit zunehmendem Fokusstrom erhöht sich die

Schmelzbadbreite. Die Schmelzbad- bzw. Strahlbreite lässt sich zwischen 300 µm

und 500 µm variieren.

Abb. B.1: Schmelzbadbreite in Abhängigkeit

vom angelegten Fokusstrom. Mit Zunahme

des angelegten Fokusstroms erhöht sich die

Schmelzbadbreite ausgehend von ca.

300 µm bei 0 mA bis ca. 500 µm bei 20 mA.

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Anhang C. Energetische Betrachtung des Aufschmelzprozesses 137

Anhang C. Energetische Betrachtung des Aufschmelzprozesses

In Strahlschmelzprozessen wird Material, d.h. das Substrat, bereits aufgebaute

Schichten oder Pulverpartikel, durch einen Energiestrahl aufgeschmolzen. Die hierfür

aufzuwendende Energiemenge setzt sich aus dem bis 𝑇𝑆 aufzubringenden

Wärmeinhalt, der Schmelzenthalpie und Wärmeleitungs-, Wärmestrahlungs- und

Verdampfungsverlusten zusammen. Im Falle des SEBM-Prozesses wird weiterhin

ein Teil der Energie des Elektronenstrahls durch Rückstreuung nicht im Material

eingekoppelt [Ito1992, Tabata1999]. Bei einer Beschleunigungsspannung von 60 kV

bemisst sich dieser Teil für Ni zu ca. 19 % [Klassen2012]. Die in Abb. 5.3 b)

dargestellte minimale Volumenenergie 𝐸𝑉,𝑚𝑖𝑛 berechnet sich nach Gl. (C.1) und stellt

die Summe des Wärmeinhalts und der Schmelzenthalpie dar.

𝐸𝑉,𝑚𝑖𝑛 = 𝜌𝑐𝑝(𝑇𝑆𝑢𝑏𝑠𝑡𝑟𝑎𝑡 − 𝑇𝐿) + 𝜌∆𝐻 (C.1)

Für die Berechnung wird eine Substrattemperatur 𝑇𝑆𝑢𝑏𝑠𝑡𝑟𝑎𝑡 von 1173,15 K und die

Dichte 𝜌 und spezifische Wärmekapazität 𝑐𝑝 bei 1373 K herangezogen. Die

verwendeten physikalischen Größen finden sich in Tab. C.1.

Die minimale Volumenenergie 𝐸𝑉,𝑚𝑖𝑛 berechnet sich zu 3,83 J/mm³ (vgl. Abb. 5.3).

Für eine Aufschmelztiefe von 150 µm lässt sich eine minimale Flächenenergie 𝐸𝐴,𝑚𝑖𝑛

von 0,57 J/mm² berechnen (vgl. Abb. 5.6).

Tab. C.1: Physikalische Größen der Nickelbasis Superlegierung IN718 aus

[Pottlacher2002a], die in der Berechnung von 𝐸𝑉,𝑚𝑖𝑛 Verwendung finden.

Physikalische Größe Wert

Dichte 𝝆 bei 1373 K [kg/m³] 7800

Schmelzenthalpie ∆𝑯 [J/kg] 227000

Spezifische Wärmekapazität 𝒄𝒑 bei 1373 K [J/kgK] 603

Liquidustemperatur 𝑻𝑳 [K] 1610

Substrattemperatur 𝑻𝑺𝒖𝒃𝒔𝒕𝒓𝒂𝒕 [K] 1173,15

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Anhang D. Thermodynamische Simulation 138

Anhang D. Thermodynamische Simulation

In Abb. D.1 ist ein quasibinäres Phasendiagramm für die nominelle

Zusammensetzung von IN718 in Tab. 3.1 in Abhängigkeit vom Sauerstoffgehalt

dargestellt. Das Phasendiagramm basiert auf thermodynamischen Rechnungen mit

ThermoCalc 3.1 [Ritter2015]. Es wird die Datenbank TTNi8 verwendet. Der

Schmelzpunkt von Al2O3 nimmt mit zunehmendem Sauerstoffgehalt zu.

Abb. D.1: Quasibinärer Schnitt für IN718 mit der chemischen Zusammensetzung aus Tab.

3.1 in Abhängigkeit vom Sauerstoffgehalt in Gew.-ppm. Der Schmelzpunkt von Al2O3

nimmt mit zunehmendem Sauerstoffgehalt bis 100 Gew.-ppm stark zu.

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Anhang E. Wärmeleitfähigkeit von IN718 und Al2O3 139

Anhang E. Wärmeleitfähigkeit von IN718 und Al2O3

In Abb. E.1 ist die Wärmeleitfähigkeit von IN718 aus [Pottlacher2002a] und von

reinem Aluminiumoxid Al2O3 aus [Touloukian1966] dargestellt. Bei 𝑇𝑆 von IN718 ist

die Wärmeleitfähigkeit von Al2O3 gegenüber IN718 um den Faktor 6 reduziert.

Aufgrund der hohen Verunreinigungsgrade in den Oxidfilmen - der Al2O3-Anteil liegt

bei ca. 82 Gew.-% - ist von einer reduzierten Wärmeleitfähigkeit im Vergleich zu

reinem Al2O3 auszugehen.

Abb. E.1: Wärmeleitfähigkeit in Abhängigkeit von der Temperatur für IN718

[Pottlacher2002a] und Al2O3 [Touloukian1966].

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Anhang F. Schwellwert des Spannungsintensitätsfaktors 140

Anhang F. Schwellwert des Spannungsintensitätsfaktors

Der Schwellwert des zyklischen Spannungsintensitätsfaktors 𝑘𝑡ℎ wird anhand von

Rissfortschrittsmessungen an DA-IN718 von Lawless et al. bestimmt [Lawless2001].

In Abb. F.1 ist 𝑘𝑡ℎ in Abhängigkeit von der Temperatur dargestellt.

Eine lineare Regression liefert 𝑘𝑡ℎ(𝑇) in Gl. F.1.

𝑘𝑡ℎ(𝑇) = 1,6144 + 0,0126 𝑇 (F.1)

Für eine Prüftemperatur der Wöhlerversuche von 450 °C lässt sich 𝑘𝑡ℎ zu ca.

7,2 MPa m1/2 abschätzen.

Abb. F.1: Schwellwert des zyklischen

Spannungsintensitätsfaktors 𝑘𝑡ℎ für DA-

IN718 in Abhängigkeit von der Temperatur

aus [Lawless2001]. Für eine Prüftemperatur

von 450 °C lässt sich ein 𝑘𝑡ℎ

von ca. 7,2 MPa m1/2 abschätzen.