Adelheid Straten Lustig ist das Zigeunerleben?Lustig ist ... · szerelem MUSEUM AKTUELL Dezember...

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Adelheid Straten Lustig ist das Zigeunerleben? Lustig ist das Zigeunerleben? Lustig ist das Zigeunerleben? Lustig ist das Zigeunerleben? Die Zigeunerkultur in Die Zigeunerkultur in Die Zigeunerkultur in Die Zigeunerkultur in europäischen Museen europäischen Museen europäischen Museen europäischen Museen Vorweg ganz knapp und „krass“: Im letzten und vorletzten Sommer gab es Ausstellungen über solch ein Phänomen wie BarbiePuppen. Gleichzeitig fehlt uns das Wissen über die Geschichte und Kultur ganzer Volksgruppen und ein Bewußtsein für sie; gravierend trifft dies auf Zigeuner zu. Dieser Aufsatz möchte „Nachholbedarf' wecken. Aus der Geschichte „Zigeuner“ wurden offiziell erstmalig in Europa 1348 in Sibirien gesichtet und 1399 in Böhmen, dann 1407 in Hildesheim. 1417 sind sie urkundlich in der Nähe der Nordsee erwähnt. In vielen Ländern stellten sie sich als Pilger aus dem „Kleinen Ägypten“ (für Kleinasien) vor, die dafür büßen müßten, daß ihre Vorfahren der Heiligen Familie auf den Flucht vor Herodes nach Ägypten keine Hilfe geleistet hätten. Danach benannte man sie in Spanien Gitanos, im Englischen Gypsies und im Französischen Gitanes. Auf dem Balkan wurden sie mit einem Terminus belegt, der eigentlich eine Sekte bezeichnete – Athiganoi-Atsiganos, woraus im Italienischen Zingaro, im Französischen Tsigane, in deutsch Zigeuner, in slawischen Sprachen Cigani und das tschechische Cikani entstanden sind. Kaiser Sigismund gab ihnen 1423 einen Schutzbrief, der ihnen freies Geleit und eine eigene Gerichtsbarkeit zusicherte. Es heißt, die Zigeuner hätten diese Rechte zu stark ausgenutzt. Auf den Reichstagen 1496-98 in Lindau und Freiburg wurde der Schutzbrief für ungültig erklärt; fortan galten die Zigeuner hierzulande als vogelfrei. Sie verstanden sich auf die Kunst des Kartenlesens, kannten sich mit Heilkräutern und in der Zahlenmagie aus. Wegen Zauberei und Weissagens wurden sie mit Doctor Faustus in Verbindung gebracht. Ursächlich wohl wegen ihrer eigenen Sprache, die kaum ein Außenstehender verstand, wurden sie als „Spione der Türken“ verfolgt, was im 18. Jh. in Deutschland zu einer Verschärfung der Zigeunergesetze führte. Vor den Städten wurden „Zigeunerstöcke“ angebracht mit Schildern, daß Zigeuner unerwünscht seien (ein derartiger Bildstock befindet sich im Nördlinger Stadtmuseum). Man folterte sie. Der erste Schritt zur Antwort auf die Frage, wer die Roma seien, gelang durch Zufall 1763 dem ungarischen Theologiestudenten Stefan Vali. Er traf im holländischen Leyden einige Inder - Malabaren - die dort Medizin studierten. Vali war überrascht von ihrer Ähnlichkeit mit den Roma seiner ungarischen Heimat. Er schrieb über tausend malabrische Wörter zusammen mit ihrer Bedeutung auf. Nach seiner Rückkehr prüfte er bei den Roma die Bedeutung der notierten Wörter und konnte Gemeinsamkeiten in der Sprache nachweisen. Danach widmeten sich diverse Fachleute – linguisten, Historiker, Ethnologen – den Roma und ihrer Sprache. Ihre mittel- bzw. nordwestindische Abstammung steht inzwischen außer Zweifel; heute werden mindestens 20 Romadialekte unterschieden. In Indien gehörten sie wahrscheinlich zu den Unter- privilegierten, den Paria, die ab dem 9. Jh. von dort vertrieben wurden und sich durch Persien, Armenien und Kleinasien Richtung Westen wandten. Ein Indiz für ihre indische Abstammung sind auch einige ihrer Bräuche, ihre gesellschaftliche Struktur, die Auswahl der Berufe, ähn- liche Eisenbearbeitungsme- thoden etc. Ab 1828 nahm sich der „Evangelische Missionsverein zu Naumburg und Umgebung“ der Zigeuner in Friedrichlohra an. Sie sollten seßhaft werden, lesen, rechnen, schreiben lernen. Alte, typi- sche Zigeuner-Berufe sind Korbflechten und Kesselflicken, Schnitzen, Naturheilkunde, Wahrsagen und Gaukelei, die sie sie zugunsten neuer, gesellschaftlich höher bewerteter Tätigkeiten aufgeben sollten. Die Zigeunergesetze des 20. Jh. verboten das „Reisen in Horden“. Seitdem mußten sie sich am Übernachtungsort polizeilich melden. Unter den Nazis wurden sie als „fremdrassig“ gebrandmarkt, ähnlich wie die Juden. Dies steigerte sich zu Zwangssterilisationen, Deportationen und gipfelte in ihrer Vernichtung. Eine halbe Million Zigeuner (fünfhunderttausend) wurden im „Dritten Reich“ umgebracht. In der UDSSR sollen 500 000 bis 600 000 Zigeuner_ermordet worden sein. Durch diese Progrome wurden die gesellschaftlichen Strukturen der Zigeuner, ihre Familienbande und ihre Stammesstrukturen völlig zerstört. Das Leben war bis dahin in Großfamilien und Sippen geregelt. Für wichtige Informationen gab es als Sammel- und Anlaufpunkt Rechtssprecher. Die Anzahl intellektueller Zigeuner war größer, als man vielleicht vermutet. 1979 schätzte man die Zahl der Sinti, Roma und Lallere in der Bundesrepublik Deutschland auf ca. 30-50000; reich waren nur ganz wenige von ihnen (ca. 1%). Die meisten Sinti sind zu Beginn der 80er Jahre seßhaft geworden. Sie reisen nur noch ab und zu und haben sich angepaßt. Viele leben als selbständige Händler (63%) und verkaufen Teppiche, Trödel und Textilien. Man bemüht sich um die Rekonstruktion zigeunerspezifischen Bewußtseins, nicht aber in dieser institutionalisierten Konsequenz wie in Tschechien. Manchmal läßt sich die Neigung zum „Landfahren“ noch als Zirkusartist oder fliegender Händler verwirklichen. 1 Politische Aktivitäten Auf dem 5. Weltkongreß der Internationalen Roma-Union (lRU = Weltverband der Zigeuner) im vergangenen Juli im Prager Sitz des Senders Radio Freies Europa / Radio Liberty wurde die Anerkennung der Roma als Nation gefordert. Behandelte Themen waren die Situation der Roma im Kosovo, die Restitution des Eigentums von Roma-Opfern des Holocaust, die Migration der Roma aus Mittel- und Osteuropa und die Standardisierung der Roma-Sprache. Die Roma-Union wurde 1971 auf dem ersten Kongreß in london gegründet. (Hier wurde das Zigeunerlied „Gelem, gelem lungone 1 Anita Geigges: Zigeuner heute. 1979. Soziale Situation der Sinti in der BRD. (Schriftenreihe des Bundesministers für Jugend, Familie und Ge- sundheit; 129) 1982. Joachim S. Hohmann: Geschichte der Zigeuner- verfolgung in Deutschland. 1988 love amore szerelem MUSEUM AKTUELL Dezember 2000 Deckblatt von Zigeuner-Wahr- sagekarten mit 36 Blatt (Piat- nik, Wien)

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Adelheid Straten

Lustig ist das Zigeunerleben?Lustig ist das Zigeunerleben?Lustig ist das Zigeunerleben?Lustig ist das Zigeunerleben? Die Zigeunerkultur in Die Zigeunerkultur in Die Zigeunerkultur in Die Zigeunerkultur in europäischen Museeneuropäischen Museeneuropäischen Museeneuropäischen Museen Vorweg ganz knapp und „krass“: Im letzten und vorletzten Sommer gab es Ausstellungen über solch ein Phänomen wie BarbiePuppen. Gleichzeitig fehlt uns das Wissen über die Geschichte und Kultur ganzer Volksgruppen und ein Bewußtsein für sie; gravierend trifft dies auf Zigeuner zu. Dieser Aufsatz möchte „Nachholbedarf' wecken.

Aus der Geschichte „Zigeuner“ wurden offiziell erstmalig in Europa 1348 in Sibirien gesichtet und 1399 in Böhmen, dann 1407 in Hildesheim. 1417 sind sie urkundlich in der Nähe der Nordsee erwähnt. In vielen Ländern stellten sie sich als Pilger aus dem „Kleinen Ägypten“ (für Kleinasien) vor, die dafür büßen müßten, daß ihre Vorfahren der Heiligen Familie auf den Flucht vor Herodes nach Ägypten keine Hilfe geleistet hätten. Danach benannte man sie in Spanien Gitanos, im Englischen Gypsies und im Französischen Gitanes. Auf dem Balkan wurden sie mit einem Terminus belegt, der eigentlich eine Sekte bezeichnete – Athiganoi-Atsiganos, woraus im Italienischen Zingaro, im Französischen Tsigane, in deutsch Zigeuner, in slawischen Sprachen Cigani und das tschechische Cikani entstanden sind. Kaiser Sigismund gab ihnen 1423 einen Schutzbrief, der ihnen freies Geleit und eine eigene Gerichtsbarkeit zusicherte. Es heißt, die Zigeuner hätten diese Rechte zu stark ausgenutzt. Auf den Reichstagen 1496-98 in Lindau und Freiburg wurde der Schutzbrief für ungültig erklärt; fortan galten die Zigeuner hierzulande als vogelfrei. Sie verstanden sich auf die Kunst des Kartenlesens, kannten sich mit Heilkräutern und in der Zahlenmagie aus. Wegen Zauberei und Weissagens wurden sie mit Doctor Faustus in Verbindung gebracht. Ursächlich wohl wegen ihrer eigenen Sprache, die kaum ein Außenstehender verstand, wurden sie als „Spione der Türken“ verfolgt, was im 18. Jh. in Deutschland zu einer Verschärfung der Zigeunergesetze führte. Vor den Städten wurden „Zigeunerstöcke“ angebracht mit Schildern, daß Zigeuner unerwünscht seien (ein derartiger Bildstock befindet sich im Nördlinger Stadtmuseum). Man folterte sie. Der erste Schritt zur Antwort auf die Frage, wer die Roma seien, gelang durch Zufall 1763 dem ungarischen Theologiestudenten Stefan Vali. Er traf im holländischen Leyden einige Inder - Malabaren - die dort Medizin studierten. Vali war überrascht von ihrer Ähnlichkeit mit den Roma seiner ungarischen Heimat. Er schrieb über tausend malabrische Wörter zusammen mit ihrer Bedeutung auf. Nach seiner Rückkehr prüfte er bei den Roma die Bedeutung der notierten Wörter und konnte Gemeinsamkeiten in der Sprache nachweisen. Danach widmeten sich diverse Fachleute – linguisten, Historiker, Ethnologen – den Roma und ihrer Sprache. Ihre mittel- bzw. nordwestindische Abstammung steht inzwischen außer Zweifel; heute werden mindestens 20 Romadialekte unterschieden. In Indien gehörten sie wahrscheinlich zu den Unter-privilegierten, den Paria, die ab dem 9. Jh. von dort vertrieben wurden und sich durch Persien, Armenien und Kleinasien Richtung Westen wandten. Ein Indiz für ihre indische Abstammung sind auch einige ihrer Bräuche, ihre gesellschaftliche Struktur,

die Auswahl der Berufe, ähn- liche Eisenbearbeitungsme- thoden etc. Ab 1828 nahm sich der „Evangelische Missionsverein zu Naumburg und Umgebung“ der Zigeuner in Friedrichlohra an. Sie sollten seßhaft werden, lesen, rechnen, schreiben lernen. Alte, typi-sche Zigeuner-Berufe sind Korbflechten und Kesselflicken, Schnitzen, Naturheilkunde, Wahrsagen und Gaukelei, die sie sie zugunsten neuer, gesellschaftlich höher bewerteter Tätigkeiten aufgeben sollten. Die Zigeunergesetze des 20. Jh. verboten das „Reisen in Horden“. Seitdem mußten sie sich am Übernachtungsort polizeilich melden. Unter den Nazis wurden sie als „fremdrassig“ gebrandmarkt, ähnlich wie die Juden. Dies steigerte sich zu Zwangssterilisationen, Deportationen und gipfelte in ihrer Vernichtung. Eine halbe Million Zigeuner (fünfhunderttausend) wurden im „Dritten Reich“ umgebracht. In der UDSSR sollen 500 000 bis 600 000 Zigeuner_ermordet worden sein. Durch diese Progrome wurden die gesellschaftlichen Strukturen der Zigeuner, ihre Familienbande und ihre Stammesstrukturen völlig zerstört. Das Leben war bis dahin in Großfamilien und Sippen geregelt. Für wichtige Informationen gab es als Sammel- und Anlaufpunkt Rechtssprecher. Die Anzahl intellektueller Zigeuner war größer, als man vielleicht vermutet. 1979 schätzte man die Zahl der Sinti, Roma und Lallere in der Bundesrepublik Deutschland auf ca. 30-50000; reich waren nur ganz wenige von ihnen (ca. 1%). Die meisten Sinti sind zu Beginn der 80er Jahre seßhaft geworden. Sie reisen nur noch ab und zu und haben sich angepaßt. Viele leben als selbständige Händler (63%) und verkaufen Teppiche, Trödel und Textilien. Man bemüht sich um die Rekonstruktion zigeunerspezifischen Bewußtseins, nicht aber in dieser institutionalisierten Konsequenz wie in Tschechien. Manchmal läßt sich die Neigung zum „Landfahren“ noch als Zirkusartist oder fliegender Händler verwirklichen.1 Politische Aktivitäten Auf dem 5. Weltkongreß der Internationalen Roma-Union (lRU = Weltverband der Zigeuner) im vergangenen Juli im Prager Sitz des Senders Radio Freies Europa / Radio Liberty wurde die Anerkennung der Roma als Nation gefordert. Behandelte Themen waren die Situation der Roma im Kosovo, die Restitution des Eigentums von Roma-Opfern des Holocaust, die Migration der Roma aus Mittel- und Osteuropa und die Standardisierung der Roma-Sprache. Die Roma-Union wurde 1971 auf dem ersten Kongreß in london gegründet. (Hier wurde das Zigeunerlied „Gelem, gelem lungone

1 Anita Geigges: Zigeuner heute. 1979. Soziale Situation der Sinti in der

BRD. (Schriftenreihe des Bundesministers für Jugend, Familie und Ge-sundheit; 129) 1982. Joachim S. Hohmann: Geschichte der Zigeuner-verfolgung in Deutschland. 1988

love amore szerelem

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Deckblatt von Zigeuner-Wahr-sagekarten mit 36 Blatt (Piat-nik, Wien)

dromeja“ = „Ich bin einen weiten Weg gegangen“ zur internationalen Hymne erklärt.) Der zweite Kongress wurde 1978 nach Genf einberufen. 1979 wurde die IRU in das Verzeichnis der Sektion der Nichtregierungsorganisationen bei der UNO eingetragen. Der dritte Weltkongreß fand 1981 in Göttingen statt, der vierte 1990 im polnischen Serok. Das Museum für Kultur der Roma (Muzeum Romske Kultury) in Brünn (Brno)/Tschechische Republik

Im April 1991 schlossen sich Spezialisten und Freunde des Museums für Kultur der Roma zusammen und gründeten das Museum. Es ist der Abteilung Regionale und Nationale Kultur im Kulturministerium der Tschechischen Republik unterstellt. Ein signifikantes Ereignis war die Ausstellung „Die Roma in der Tschechoslowakei“, zu der Räume des Ethnographischen Institutes im Mährischen Museum in Brünn (Moravia Museum Brno) gemietet wurden. Die historische Entwicklung der Roma nach ihrem Weggang von Indien, ihre schrittweise Verbreitung über Europa, ihr Schicksal dort bis zur Tragödie des Holocaust, ihre Eingliederung, Roma-Gruppierungen und die Samt-Revolution im November 1991 wurden dargestellt. Gleichzeitig gab es Präsentationen der Roma-Kultur zu ihrem Lebensstil, speziellem Handwerk, Folklore und Tonaufnahmen. Um die Öffentlichkeit stärker einzubinden, wurden im April 1993 im Vortragsraum des Mährischen Museums Lesungen mit dem Thema „Wer sind die Roma?“ gestartet. Sammlungsaktivitäten konnten hinsichtlich von Dokumentationen, Objekten und Fotos, Spezialliteratur und sämtlichen Roma-Zeitschriften und -Zeitungen entwickelt werden. Das Archiv wächst und enthält Kopien verschiedener Dekrete, Patente und Dokumente zur Geschichte der Roma bis in die Gegenwart und macht sich einen Ausschnittdienst zunutze. Das Museum kooperiert mit dem Ethnographischen Institut (MZM) in Brünn, dem Moravisch-Slowakischen Museum in Uherske Hradiste, dem J. A. Komensky-Museum in Uhersky Brod und dem Nationalge-schichtlichen Museum in Oloumoc, um nur einige zu nennen. Auswärtige Partner des Museums sind: Das Ethnographische Institut SAV in Bratislava, das Slowakische Nationalmuseum, das Ethnographische Museum in Martina, das Provinzialmuseum in Tarnow (wo sich eine Dauerausstellung zum Leben der polnischen Roma befindet), das Ethnographische Museum in Budapest und das Holocaust Memorial in Washington, welches das Leid der Roma während des Zweiten Weltkrieges schildert. Der Mitarbeiterstab des Museums für Kultur der Roma besteht aus: Dr. Jana Horvàthovà (Direktion, Geschichte), Bartolomej Daniel (Geschichte), Dr. Eva Davidovà (Völkerkunde, Kunstgeschichte, Volkskunde), Jana Grycovà (Geschichte, Völkerkunde), Jana Brachtlovà (Bibliothek), Ales Hrad (Dokumentation). Adresse: Muzeum romske kultury, Jugoslavska 17, 61300 Brno / Tschechien, T. (+420-5) 581206, 571798 Weitere kulturelle Aktivitäten Brünn ist auch die Adresse für verschiedene Roma-Sozietäten in beispielhafter Komplexität, z.B. die Spolecenstvi Romu na Morave, spezialisiert auf außerschulische Bildung und Erziehung von Kindern und Jugendlichen im Hinblick auf die tschechische Integration. Eine andere Organisation vergibt Stipendien für studierende Roma. Die Nadace mosty mit Sitz in Prag, 1992 gegründet, unterstützt die Stärkung der Roma-Kultur und sucht nach Möglichkeiten der Koexistenz von Roma und Tschechen. Sie wird von ausländischen Sponsoren gefördert (z.B. vom Europorat und der holländischen Regierung). Roma-Organisationen für gleiche Rechte und für Menschenrechte, für Toleranz und gegen Rassis-mus, befinden sich, wie auch das Dokumentationszentrum für Menschenrechte, in Prag. Ein Roma-Studien-Zentrum gibt es seit 1996 in

Aussig an der Eibe (Usti nad Labem). Dessen Aufgabe ist es, Lehrer für die Sprache (Romany bzw. Romales) sowie für Geschichte und Kultur der Roma auszubilden. Über die Stiftung Nadace Nova Skola, welche die Erziehung von Roma-Schülern und -lehrern übernommen hat (Sitz in Prag), gibt es Beziehungen zu Roma-Schülern in Böhmen; dort leben besonders viele Roma. Im September 1998 wurde als Dr. Rajka Djurice-Stiftung (Prag) eine Sekundarschule für 50 Roma-Studierende probeweise in Kalin eröffnet. Auch hier sind die Fächer Sprache, Kultur und Geschichte der Roma vertreten, gleichzeitig werden aber auch Kommunikation und Konfliktvermeidung forciert. Die Stiftung versucht, ein privates Roma-Konservatorium in Liberec zu errichten. Dort sollen die tänzerischen und musikalischen Talente gefördert werden. Eine interessante Idee hatte der Schnitzer und Steinmetz Eduard Olah. Bekannt wurde er als Roma, der die Gedenkstätte für die Holocaust-Opfer in Hodonin u Kunstatu in Mähren an der Stelle des ehemaligen „Gypsy camp“ schuf. Er versucht, zwischen Rama- und Nicht-Roma-Kindern zu vermitteln, indem er ihnen künstlerische und handwerkliche Techniken beibringt. Dies findet in der friedlichen Umgebung eines Open-Air-Studios statt. Das „Studio zum roten Hund“ ist werktags von 14-16 h geöffnet, ist aber weit davon entfernt, perfekt zu sein. Etwas Ähnliches wurde 1996 von Olga Fecova gegründet; sie fördert Roma-Kinder in Sprache, Literatur, Kunsterziehung, Tanz, Musik und artistischem Training. Ihre Gruppe hatte großen Erfolg mit dem Roma-Musical „Tante lydia“ des Musikers Jozka Feco. Damit trat sie zur Finissage der Ausstellung „E luma romane jakhenca“ Im Palais Lobkovitz in Prag auf.2

Die Romaausstellung von 1993 in Schloß Kittsee 1993 zeigte das Ethnographische Museum Schloß Kittsee die Ausstellung „`Gelem, `gelem lungone dromeja - Ich bin einen weiten Weg gegangen - Aus dem Leben der Roma“. Die Ausstellung kam unter der Mitarbeit von Ethnologen aus Österreich und der Slowakei zustande. Das Museum für die Kultur der Roma in Brünn stellte Leihgaben zur Verfügung. Umfassend konnte man sich über das Leben der Roma, ihre Geschichte, ihre Kultur bis zu jungen Künstlern der Gegenwart informieren. In Österreich leben heute verschiedene Roma-Gruppen. Am längsten ansässig ist die Gruppe der Ungrika-Roma, wie in Ungarn und der Slowakei. Sie kamen während der Türkenkriege als Schmiede nach Mitteleuropa und wurden unter Maria Theresia und ihrem Sohn Joseph II. zwangsweise seßhaft gemacht. Sie arbeiteten aber weiter als Schmiede und beliebte Musiker, als Korbflechter, Ziegelmacher, Scherenschleifer oder Trogmacher in den Dörfern. Ihre Sprache und Kultur behielten sie bei, sie nahmen aber Einflüsse aus den jeweiligen Auftenthaltsländern darin auf. Im 19. Jh. kam eine weitere Zigeuner-Gruppe in die Gegend des Neusiedler Sees, die Lavara. In diesem Namen steckt das ungarische Wort für Pferd; sie waren wandernde Pferdehändler. Einen zentralen Platz nehmen Musik und Tanz im Leben der Roma ein, um nicht zu sagen, daß ihnen beides im Blut liegt. Und beides sind Kunstgattungen, die dem gemeinsamen Zusammenleben förderlich, dabei jedoch immateriell sind. Wie stark der Gedanke des Immateriellen ihre Kultur prägte, zeigt der Brauch, einem verstorbenen Musikanten sein Musikinstrument als Grabbeigabe mitzugeben. Von daher spielte auch das Wohnen in einem Haus nicht eine so große Rolle – wichtig war der Platz v o r dem Haus. Ein Einraum-Blockbau steht im Burgenländischen Freilichtmuseum Bad Tatzmannsdorf als Zeugnis für das Wohnen bis vor dem Zweiten Welt-

2 Angaben nach einer von Radio Prag für das Internet zusammenge- stellten Übersicht von 1999; 8.11.2000

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krieg. 1953 wurde die Hütte neben eine etwas ältere Hütte von Frieda H. und Stefan B. auf Gemeindegrund an einem sonnigen Flachhang an der Eisenstädter Bundesstraße 57 zwischen Güssing und Heiligenkreuz gebaut. Sie wohnten bis 1977 in ihrer in der Bauweise der Zwischenkriegszeit errichteten Hütte. Danach lebten Frieda H. und Gusti S. fünf Jahre darin. Das Bundesdenkmalamt stellte das Objekt als Kulturdenkmal unter Denkmalschutz. 1983 wurde das Haus seiner Besitzerin abgekauft und 1986 im Freilichtmuseum Bad Tatzmannsdorf wieder errichtet. Leider wurden die Nebengebäude nicht mit erworben, auch die Hanglage blieb unberücksichtigt. Die Hütte steht außerhalb des Museumszauns, um dadurch die frühere (und heutige) Außen-seiterposition der Roma anzudeuten. Sie ist das einzige derartige Bauobjekt dieser Art in Mitteleuropa und immer wieder Gegenstand wissenschaftlicher Bearbeitung. Die Inneneinrichtung ist vollständig übernommen worden, jedoch nicht öffentlich zugänglich.3 Die aktuelle Ausstellung in Pilsen Im westböhmischen Pilsen (Pizen) fand unlängst auf dem Messegelände die Ausstellung „Roma – Tradition und Gegenwart“ statt. Sie richtet sich vor allem an Kinder und Schüler, Roma und Nichtroma. Die jungen Roma wissen selbst nicht viel über ihre Vergangenheit. Sie erfahren hier etwas über das Leben ihrer Großeltern und sehen, daß es ihnen heute besser geht. Vor allem wendet sich diese, vom Prager Rathaus unterstützte Ausstellung, gegen Intoleranz. Ein Begleitprogramm für Kinder ermöglicht Singen, Malen und Tanzen; sie können auch zeigen, was sie einstudiert haben. 2001 gab es ein Musik-Festival der Roma-Jugend ge-plant.4 Die Roma in Ungarn 60-80% der Männer sind arbeitlos. Die ca. 400 000-500 000 Roma hatten zwar während des Kommunismus bis vor zehn Jahren alle eine Arbeit, befanden sich aber auch da in einer sozialen Randlage. Sie bekamen Hilfsjobs und verrichteten Tätigkeiten, für die man keine Ausbildung brauchte. Inzwischen haben sich die Vorurteile gegen Roma wieder verfestigt. Zwei Drittel der Ungarn glauben, daß die kriminelle „Neigung“ den Roma angeboren sei und fast Dreiviertel, daß die gegenwärtig höhere Geburtenrate der Roma „eine Bedrohung für die Sicherheit der Gesellschaft“ darstelle. Die Reproduktion der Armut und des. sozialen Randstatus beginnt in der Schule. Die meisten Roma-Kinder werden von den anderen separiert und in sog. „Sonderschulen“ oder „Sonderzügen“ unterrichtet, ohne daß jedoch Spezialprogramme oder besondere Methoden zum Abbau der Benachteiligung angeboten werden. Offiziell wird die Trennung damit begründet, daß die Roma-Kinder aufgrund ihrer benachteiligten Situation dem normalen Unterricht nicht folgen könnten. Die Roma-Kinder lernten langsamer und weniger und hätten demnach keine Aussicht auf Weiter-bildung und infolgedessen keine Chance auf einen Arbeitsplatz. Außerdem wollten nur wenige gut ausgebildetete Lehrer in den als problematisch geltenden Roma-Schulen unterrichten. Ein 1993 verab-schiedetes Gesetz über gewählte Minderheiten-Beiräte („Nationalitäten-Selbstverwaltung“) erfüllt optisch internationale Standards im Hinblick auf die Einbindung von Minderheiten in die politischen Prozesse. Doch die archaische politische Kultur der RomaGesellschaft macht es möglich, daß durch entsprechende Beeinflussungen auf Landesebene ein „pflegeleichter“ Beirat gewählt wird, der keine allzu hohen Forderungen stellt. Das 1997 von der sozialistischen Regierung Gyula Horn verabschiedete

3 Aus einem AusteIlungsmanuskript; Dank an Mag. Veronika Plöckinger,

Schloß Kittsee 4 Radio Prag, Internetseiten vom 4.11.2000 (www.search.radio.cz/romove Ivytvarne.html)

mittelfristige Roma-Akti- onsprogramm wurde 1999 vom neokonservativen Ka- binett unter Viktor Orban überarbeitet. Es enthält viel Gutgemeintes, aber keine Visionen. Horn „riet“ etwa den Roma, sich „von den Kriminellen in ihren Reihen zu distanzieren“; Orban meinte, die Roma sollten „mehr arbeiten und lernen“, wenn sie besser leben wollten. Rund 50 Roma aus dem Dorf Zamoly (70 km südwestlich von Budapest) flohen Mitte Juli nach Straßburg. 1997 riß ihnen die Gemeinde ihre nach einem Unwetter angeblich einsturzge-fährdeten Häuser ab. Im Nachbardorf, wo sie gleichfalls nicht bleiben durften, äußerte ein Politiker, „sie hätten keinen Platz unter den Menschen“ und wären „wie Parasiten aus der Tierwelt“ auszustoßen. Der Antrag auf politisches Asyl, den die Roma stellten, soll noch vor Jahresende vom Straßburger Bezirksgericht entschieden werden.

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High Heels! (Abdruck mit frdl. Genehmigung von Radio Prag)