Aerangis mystacidii RCHB F CHLTR - orchidee.de · ein Synonym für Mystacidium capense (L.F.)...

7
Aerangis mystacidii ( RCHB . F .) SCHLTR . Porträt eines afrikanischen Mauerblümchens (M.E.) Aerangis mystacidii Foto: D.O.G.-Archiv 1

Transcript of Aerangis mystacidii RCHB F CHLTR - orchidee.de · ein Synonym für Mystacidium capense (L.F.)...

Page 1: Aerangis mystacidii RCHB F CHLTR - orchidee.de · ein Synonym für Mystacidium capense (L.F.) SCHLTR. Die Pfl anzen stammten aus der Nähe von Durban an der süd-afrikanischen Ostküste.

Aerangis mystacidii (RCHB. F.) SCHLTR.Porträt eines afrikanischen Mauerblümchens

(M.E.)

Aerangis mystacidii Foto: D.O.G.-Archiv1

Page 2: Aerangis mystacidii RCHB F CHLTR - orchidee.de · ein Synonym für Mystacidium capense (L.F.) SCHLTR. Die Pfl anzen stammten aus der Nähe von Durban an der süd-afrikanischen Ostküste.

Aerangis mystacidii gehört zu den kleinwüchsigen Arten dieser afrika-nisch-madagassischen Gattung und was den Blüten an XXL-Maßen fehlt, machen sie durch ihre Blühfreudigkeit wett. In Kultur ist die Art allerdings ein Mauerblümchen geblieben und wird wie viele andere afrikanische Orchi-deen stiefmütterlich behandelt. Auch wenn oft gesagt wird, dass Vergleiche hinken, so könnte man diese Orchidee mit einem Mädchen vergleichen, das nur selten zum Tanz aufgefordert wird, obwohl es überhaupt nicht hässlich ist und darüber hinaus herrlich tanzen kann.

Aerangis mystacidii (RCHB. F.) SCHLTR.Diese Spezies wurde 1847 von Heinrich Gustav REICHENBACH als Angraecum mystacidii beschrieben. Er hat sie nicht, wie manchmal angenommen wird, nach dem griechischen Wort geheim-nisvoll benannt. Rudolf SCHLECHTER (1917) zufolge entstand das spezifi sche Epitheton „wegen seiner Aehnlichkeit mit Mystacidium fi licornu LDL.“, heute ein Synonym für Mystacidium capense (L.F.) SCHLTR. Die Pfl anzen stammten aus der Nähe von Durban an der süd-afrikanischen Ostküste. Gesammelt wurden sie von Wilhelm GUEINZIUS (1813-1874), der seine Sammlungen damals an Prof. POEPPIG in Leipzig schickte, der wiederum bestimmte Pfl anzen an den Orchideologen REI-CHENBACH in Hamburg weiterreichte. GUEINZIUS war 1838 nach Kapstadt (Südafrika) ausgewandert und betrieb dort zunächst eine Apotheke, zog je-doch 1841 nach KwaZulu-Natal, wo er seinen Lebensunterhalt als Pfl anzen- und Tiersammler verdiente.

Bei Aerangis mystacidii handelt es sich um eine kleinwüchsige Art mit einem gut entwickelten Wurzelwerk. Die Wur-zeln sind sehr lang und 3 – 4 mm dick. Die Pfl anzen besitzen 2 – 6(8) oliv- bis

Key words: Aerangis mystacidii, ein Porträt

Summary: Aerangis mystacidii is a small-growing, free-fl owering, monopodial orchid species which was described by Rudolf SCHLECHTER as “a charming south-east African orchid”. This paper takes a look at the species, but is mainly concerned with its distribution and habitat, with a few reminiscences and ideas on cultivation.

»breitem« Spezies-Konzept, das darin bestand, die zahlreichen und z. T. sehr variablen, weitverbreiteten Taxa der gleichen Spezies zuzuordnen, anstatt wie zuvor fast jeder morphologischen Abweichung taxonomische Eigenstän-digkeit zu geben. Der Taxonomie sind auf diese Weise Unmengen synonymer Arten, Unterarten und Varianten erspart geblieben.

VERBREITUNG Die ökologische Nische, in der Aeran-gis mystacidii wächst, ist in Simbabwe recht speziell und deshalb begegnet man ihr fast nur im feuchten Gebirgs-klima der Eastern Highlands, in Ge-genden mit einer Niederschlagsmenge von mindestens 1.200 mm1), wo es darüber hinaus ausreichend Feuchtig-keit während der Trockenmonate gibt. Man sieht sie meist in schattigen im-mergrünen Galeriewäldern entlang von Flüssen und in Bergschluchten. Oft wächst sie auf Augenhöhe, denn sie meidet sonnige Standorte, also laub-abwerfende Bäume und Baumkronen. Tropische Wärme ist nicht unbedingt erforderlich. Darüber hinaus fi ndet man sie in einigen Regeninseln im südlichen Landesteil. Auf den ersten Blick ver-wundert es, dass diese Spezies nicht im nördlichen Landesteil vorkommt, obwohl die Niederschläge dort höher und zuverlässiger sind als im Süden. Doch die Trockenzeit ist dort schrof-fer, und dieses Nadelöhr ist für Aergs. mystacidii offensichtlich zu eng. Statt-dessen wird sie in einigen Regeninseln im Norden durch Aergs. somalensis ersetzt. Insgesamt ist Aergs. mystacidii in Simbabwe so selten, dass wir ihr bei der Orchideensuche nur alle drei oder vier Jahre begegneten, davon nur ein-mal in Blüte. Doch wo wir sie fanden, sahen wir große bis riesige Populatio-nen. In der südlichen Hemisphäre blüht

dunkelgrüne, stark geaderte zungen-förmige Blätter, die an der Spitze un-gleich gekerbt sind und deren Länge 5 – 20 cm beträgt. Die Pfl anzen sind blühfreudig und entwickeln bis zu vier Blütenstände, manchmal auch mehr. Sie entspringen unterhalb der Blattan-sätze, stehen horizontal oder sind mehr oder weniger hängend, werden bis zu 25 (30) cm lang und tragen jeweils bis zu 15 sternförmige schneeweiße Blü-ten, die in einer versetzten Doppelreihe angeordnet sind. Ihre Größe beträgt 15 – 25 mm im Durchmesser. Sepalen und Petalen sind sehr ähnlich in Form und Größe, wobei alle außer des dor-salen Sepalums stark zurückgebogen sind. Die Lippe ist kaum oder leicht vergrößert. Auffallend, doch nicht un-bedingt selten sind bei den Angraekoi-den die 6 – 9 cm langen Nektarröhren; vergl. LA CROIX et CRIBB (1998: 388).

Aufgrund ihrer Variabilität wurde diese Spezies viermal beschrieben; näm-lich als Angraecum mystacidii RCHB. F. 1847, Angraecum saundersiae BOLUS 1888, Angraecum pachyurum ROL-FE 1897 und Aerangis mystacidioides SCHLTR. 1915. Rudolf SCHLECHTER, dem großen Reformer, verdanken wir die Wiederherstellung der Gattung Ae-rangis. Bei der taxonomischen Überar-beitung der Angraekoiden (1918: 112) hielt er „es für durchaus angebracht, hier die von REICHENBACH f. im Jah-re 1865 aufgestellte Gattung Aerangis wieder aufl eben zu lassen“. Er sammel-te zunächst die zahlreichen, in anderen Gattungen verstreuten Arten in Aeran-gis. Das waren damals etwa 50 Arten, „doch ist es wohl sicher, daß noch eine ganze Reihe weiterer dazukommen werden“ (ebd.: 113). Außerdem unter-suchte er bereits viele Arten auf Syno-nymie. Erst Joyce STEWART (1979) setzte diese Arbeit fort und unterzog die kontinental-afrikanischen Arten einer gründlichen Überarbeitung. Da-bei folgte sie Victor SUMMERHAYES'

Aerangis mystacidiiDie Orchidee 68(1), 2017 35

Autoren: Werner Fibeck und Virgi-nia PhiriNähere Angaben zu den Autoren siehe Seite 15.Alle Abbildungen sind vom Autor, falls nicht anders angegeben.

1) Alle Niederschlagsdaten sind Jahres-niederschläge.

Page 3: Aerangis mystacidii RCHB F CHLTR - orchidee.de · ein Synonym für Mystacidium capense (L.F.) SCHLTR. Die Pfl anzen stammten aus der Nähe von Durban an der süd-afrikanischen Ostküste.

Aerangis mystacidii Die Orchidee 68(1), 201736

sie im April und Mai, also am Ende der sommerlichen Regenzeit. LA CROIX et CRIBB (1998) zufolge kann sie in den Bergen in Höhenlagen bis 1.800 m vor-kommen.

Das Verbreitungsgebiet im östlichen und südöstlichen Afrika ist riesig; näm-lich von Südtansania über Sambia, Ma-lawi, Mosambik, Simbabwe, Swasiland bis nach Südafrikas Eastern Cape Pro-vince. Das ist eine Nordsüd-Entfernung von 25 Breitengraden. Auf europäische Verhältnisse übertragen entspricht das der Entfernung vom norwegischen Oslo bis zur Mittelmeerinsel Kreta

(bzw. bis Gibraltar). Grob geschätzt beträgt das Verbreitungsgebiet etwa 1 Mill. km2. Viele Standorte sind jedoch durch große Strecken aus Miombo-Feuchtsavanne2) voneinander getrennt, die mit ihrer schroffen jahreszeitlichen Trockenzeit kein geeignetes Habitat für diese Spezies sind. Die Standortver-inselung hilft natürlich, die starke Va-riabilität zu erklären. STEWART (1979: 292)*3) hat sich bei der Überarbeitung der afrikanischen Aerangis-Arten ein-gehend damit befasst und stellte fest: „Diese Spezies ist sehr variabel in Grö-ße, Form und Kerbung der Blattspitzen, in der Blütenzahl, die die Infl oreszenz

trägt, in der Größe ihrer Blütensegmen-te und in der Spornlänge. Zu einem gewissen Grade kann die Variation mit der Geografi e in Zusammenhang ge-bracht werden.“ Das heißt, hier haben sich verschiedene Ökotypen gebildet, genetisch stabile Anpassungen an kli-matische Standortbedingungen. Die Variabilität der Beblätterung ist z. B. auf einigen Abbildungen gut zu erkennen.

Vor allem die Blütengröße und die Länge der Nektarröhren sind sehr va-riabel. Die Beziehung dieser Arten zu ihren Bestäubern ist offenbar dyna-misch: Schwärmer, die längere Rüssel als die Nektarröhre haben, können an den Nektar gelangen, ohne die Säu-le zu berühren, also ohne die Blüte zu bestäuben. Der Selektionsdruck solcher Bestäuber wirkt demnach in Richtung längerer Nektarröhren, weil der Schwärmer erst beim tiefen Ein-dringen die Säule berührt. Längere Blütensporne können ihrerseits zu ei-nem Selektionsdruck hin zu längeren Rüsseln führen, weil Schwärmer mit kürzeren Rüsseln den Nektar nicht er-reichen. Die Entwicklungstendenz geht also zu längeren Nektarröhren und Schwärmerrüsseln. Aerangis-Blüten werden von Nachtfaltern bestäubt, von Schwärmern der Familie Sphingidae, die nicht auf den Blüten landen, son-dern vor ihnen schweben; vergl. WAS-SERTHAL (2015). Sie werden durch den Blütenduft angelockt.

HABITATBEOBACHTUNGENMan beginnt diese Spezies besser zu verstehen, wenn man ihr in der Natur begegnet. So hatten wir z. B. vor eini-gen Jahren Gelegenheit, an einer Ex-kursion ins Rusitu-Tal teilzunehmen, einer nur 300 – 500 m hoch gelegenen Gegend in den Eastern Highlands mit feucht-tropischem Klima. Dank des benachbarten Chimanimani-Gebirges erhält die Gegend mehr als 1.400 mm Niederschlag, vor allem auch einen gewissen Anteil während der Trocken-

Der Waldsaum des Haroni ist ein typisches Habitat von Aerangis mystacidii.

2) Miombo (suaheli) ist der aus Ostafri-ka stammende, oft verwendete Begriff für Brachystegia-Wälder.3) Alle mit einem Stern (*) gekennzeich-neten Zitate wurden von den Autoren aus dem Englischen übersetzt.

2

Page 4: Aerangis mystacidii RCHB F CHLTR - orchidee.de · ein Synonym für Mystacidium capense (L.F.) SCHLTR. Die Pfl anzen stammten aus der Nähe von Durban an der süd-afrikanischen Ostküste.

Aerangis mystacidiiDie Orchidee 68(1), 2017 37

monate. Orchideen kann man hier besonders in Galeriewäldern fi nden (siehe Abb. 2), wo die älteren Bäume mit allen möglichen Arten von Epiphy-ten bewachsen sind. Bulbophyllum fallen aufgrund ihrer Pseudobulben besonders ins Auge, die blattlosen Microcoelia aphylla (Syn. Solenangis aphylla) sind leicht zu übersehen. Im Verlauf der Exkursion gelang es, in diesem relativ kleinen Gebiet etwa 50 epiphytische Orchideenarten nachzu-weisen, also mehr als die Hälfte der in Simbabwe vorkommenden Arten. Die Zahl der Erdorchideen ist in solchen feucht-tropischen Gebieten dagegen vergleichsweise gering.

Es dauerte nicht lange, die ersten Ae-rangis mystacidii-Pfl anzen zu fi nden. Sie wuchsen auf Augenhöhe im schat-tigen Gebüsch direkt am Haroni-Ufer (Abb. 3). Weiter oben in den Bäumen war es den Pfl anzen oft zu sonnig. Nur einmal sahen wir eine Population weit

oben in einem großen Baum. Es han-delte sich um eine ungewöhnliche Epi-phyten-Gemeinschaft, bestehend aus dem Farn Microsorum punctatum (Po-lypodiaceae), der großen hängenden Ripsalis baccifera (Cactaceae) und Ae-rangis mystacidii (Orchidaceae). Hätte Letztere nicht so auffallend geblüht (siehe das rechte obere Viertel in Abb. 4), wäre die Kolonie nicht zu erkennen gewesen. Offensichtlich ist jedoch, wie schattig sie wächst.

Epiphytische Orchideen sind in Rusi-tu aufgrund der hohen Niederschläge auch weitab von Flüssen zu fi nden. Als wir beim Botanisieren einmal eine Ab-kürzung durch einen Obstgarten nah-men und trotz unserer Eile einen Blick in einen der zahlreichen Mangobäume warfen, waren wir überrascht, unter dem Blätterdach etwa 15 – 20 Aeran-gis mystacidii-Pfl anzen zu erblicken. Sie waren bereits verblüht und fast jede Infl oreszenz trug einige Samenkapseln.

Aerangis mystacidii unter dem Blätterdach eines großen Man-gobaumes

Eine kleine Aerangis mystacidii-Pfl an-ze im Galeriewald wachsend

3

Epiphytische Pfl anzengemeinschaft im Galeriewald mit Aerangis mystacidii in Blüte (siehe Text)

4 5

Page 5: Aerangis mystacidii RCHB F CHLTR - orchidee.de · ein Synonym für Mystacidium capense (L.F.) SCHLTR. Die Pfl anzen stammten aus der Nähe von Durban an der süd-afrikanischen Ostküste.

Aerangis mystacidii Die Orchidee 68(1), 201738

Bei manchen Pfl anzen betrug die Be-stäubungsrate bis zu 80%. (Hier muss zur nächtlichen Bestäubungszeit ein reges Kommen und Gehen geherrscht haben.)

Epiphytische Orchideen im Mango-baum? Selbst Leser, die nur auf Ur-laubsreisen Gelegenheit haben, in den Tropen nach Orchideen zu suchen, müssten jetzt die Stirn runzeln. Denn das Mangoblätterdach ist so dicht, dass nur stark gefi ltertes bzw. ge-schwächtes Licht hindurchdringt. Das ist Zwielicht! Am nächsten Tag fanden wir in einem anderen Mangohain eine blühende Kolonie. In diesem Däm-merlicht zu fotografi eren, erforderte viel Geduld. Man sieht Abb. 5 nicht die Schwierigkeiten an, unter denen sie entstand. Im Nachhinein sind wir allerdings froh, diese Pfl anze im Man-gobaum zeigen zu können, sodass die Geschichte nicht als Aprilscherz ab-getan werden kann. Insgesamt fanden wir mehrere hundert Pfl anzen in ver-schiedenen Mangohainen. Die meisten Pfl anzen waren klein, strotzten aber vor Kraft und hatten oft mehr als einen Blütenstand entwickelt. – Es ist bemer-kenswert, in welch tiefem Schatten Ae-rangis mystacidii wachsen und gedei-hen kann. Würde man einen Sonnen-licht-Gradienten konstruieren und den knapp 100 in Simbabwe vorkommen-den epiphytischen Arten darauf einen Platz zuteilen, würde man Ansellia af-ricana sicherlich ans oberste sonnigste Ende stellen, Aerangis mystacidii dage-gen ans absolut unterste Ende.

Viele epiphytische Orchideenarten be-vorzugen in Simbabwe dicke fl echten-bewachsene Äste mit rauer Borke. Bei Aerangis mystacidii ist uns jedesmal aufgefallen, wie gerne diese Spezies auf Wirten mit glatter Borke wächst. Die Borke eines Mangobaumes ist z. B. be-sonders glatt, sogar bei alten Bäumen. Beim genaueren Hinsehen erkennt man in Abb. 5, dass die Mangobaum-Borke leicht bemoost ist. Auch fi ndet man Aergs. mystacidii immer wieder auf relativ dünnen Ästen wachsend, selbst fi ngerdicke Zweige reichen aus.

Ein anderes Mal fanden wir Aergs. mys-tacidii auf der Fahrt in den semi-ariden

südlichen Landesteil. Gegen Mittag hielten wir an einem kleinen Parkplatz an der Hauptstraße. Allerdings lag er in unangenehm praller Sonne. Doch es gab einen Pfad, der hinab in ein schat-tiges Tal mit einem Bach führte. Richtig idyllisch! Groß war unser Erstaunen, dass der dünne immergrüne Galerie-wald voller Aergs. mystacidii war. Das Habitat war heller als jene Mangohai-ne in Rusitu. Das täuschte aber nicht darüber hinweg, dass die Pfl anzen die schattigsten Standorte besetzten. Es fi el auf, wie sehr sich die Population auf einen schmalen Bereich entlang des Baches beschränkte, weil hier der Trockenstress am geringsten war. Of-fenbar nahm die Luftfeuchte mit wach-sendem Abstand zum Bach stark ab. Ein weiterer Grund war die Lichtfülle in der umgebenden Savannenvegetation, die hier hauptsächlich aus laubabwer-fenden Brachystegia boehmii-Bäumen bestand, also keine ganzjährig schat-tigen Standorte garantieren konnten. Der damit verbundene Stress in der Trockenzeit muss für Aergs. mystacidii eine unüberwindliche Barriere sein, ei-nem ökologischen Getto mit gläsernen Wänden vergleichbar.

Später begannen wir zu rechnen: Ei-ner guten Landkarte zufolge liegt der Standort auf etwa 1.400 m Höhe. Auf-grund der Topografi e handelt es sich um eine Regeninsel mit 1.000 – 1.200 mm Niederschlag in einer Umgebung mit weniger als 800 mm. Dem Meteoro-logical Service (1962) zufolge fallen hier von Mai bis Oktober nur etwa 5 – 7% der Niederschläge. Während dieser Trockenmonate steht diesen Pfl anzen monatlich etwa 10 mm Regen zur Ver-fügung. Wenn man die hohen Verduns-tungsraten berücksichtigt, ist das nicht mal ein Tropfen auf den heißen Stein. Entscheidend sind hier Guti-Perioden; ein periodisches, mehrere Tage andau-erndes Wetterphänomen in der süd-lichen Landeshälfte Simbabwes, das leichten Sprühregen, bedeckten Him-mel und niedrige Temperaturen bedeu-tet4); siehe TORRANCE (1981: 151f)*. Diese Feuchtigkeit wird von normalen Niederschlagsmessern nicht erfasst und das mag dazu beitragen, dass man den Betrag unterschätzt. Anderer-seits kann man leicht beobachten, wie

existentiell wichtig die Guti-Perioden zum Überleben bestimmter Epiphyten sind. SCHULZE et McGEE (1978: 35f)* zufolge haben Messungen mit speziel-len Nebelsammlern ergeben, dass die Wassermengen, die in manchen Ge-genden durch Nebel zusammenkom-men, auf keinen Fall vernachlässigt werden dürfen. Darüber hinaus bewirkt die hohe atmosphärische Feuchte in Verbindung mit niedrigen Temperatu-ren eine größere Stressverminderung als ein gelegentlicher Regenschau-er, dessen Wirkung sogleich verpufft. Außerdem sollte die frühmorgendliche Taubildung in den wechselfeuchten Tropen berücksichtigt werden. Die nächtlichen Temperaturen sinken hier auf etwa 10 ºC (oder darunter) ab, stär-ker als im niedrig gelegenen Rusitu5).

KULTURRudolf SCHLECHTER (1917) bezeich-nete Aerangis mystacidii als „eine rei-zende südostafrikanische Orchidee. (...) Mit ihren schönen, eleganten Trau-ben der schneeweißen Blüten ist sie eine Zierde jedes Gewächshauses.“ Ihm war aufgefallen, wie selten diese Art damals in Sammlungen und auf Ausstellungen zu sehen war. Um sei-nen Worten Nachdruck zu verleihen, fügte er seinem Artikel eine für damali-ge Verhältnisse „schöne Photographie“ hinzu. Wenn man die D.O.G.-Orchide-enbewertungshefte der letzten Jahre als Maßstab nimmt, hat Aerangis mys-tacidii in Deutschland immer noch den Status eines Mauerblümchens.

Natürlich kann es nicht darum gehen, jedem ein afrikanisches Mauerblüm-chen aufzuschwatzen. Das geht auch in Simbabwe nicht! Wir erinnern uns z. B. daran, wie es in den frühen 90er-Jahren in Harare in bestimmten Liebhaberkrei-sen nahezu verpönt war, afrikanische Orchideen zu kultivieren, mit Ausnah-

4) Ein ähnliches Phänomen kennt man in Malawi unter dem Namen Chiperoni; siehe LA CROIX et al. (1991: 3).5) COX et MOORE (1985: 44)* zufolge verringern sich die Temperaturen um durchschnittlich 0,6 ºC für jeden 100 m-Höhenanstieg. Dieser Betrag variiert allerdings entsprechend örtlichen Ge-gebenheiten.

Page 6: Aerangis mystacidii RCHB F CHLTR - orchidee.de · ein Synonym für Mystacidium capense (L.F.) SCHLTR. Die Pfl anzen stammten aus der Nähe von Durban an der süd-afrikanischen Ostküste.

Aerangis mystacidiiDie Orchidee 68(1), 2017 39

109

6. – 10. Eine Auswahl von Kulturpfl an-zen aus Simbabwe (siehe Text)

7 8

6

Page 7: Aerangis mystacidii RCHB F CHLTR - orchidee.de · ein Synonym für Mystacidium capense (L.F.) SCHLTR. Die Pfl anzen stammten aus der Nähe von Durban an der süd-afrikanischen Ostküste.

Aerangis mystacidii Die Orchidee 68(1), 201740

me von Ansellia africana natürlich. Die-jenigen, die Bulbophyllum- oder Po-lystachya-Arten in ihren Sammlungen hatten, mussten sich manch spöttische Bemerkung anhören. Aerangis-Arten erhielten in der Regel Lob, denn diese langspornigen Angraekoiden sehen ja ausgesprochen hübsch aus. Doch es wurde oft wie zur Entschuldigung da-rauf hingewiesen: „Aber das ist eine afrikanische Orchidee!“ Man muss das erlebt haben, wie nahtlos kolonia-les Denken auf das gärtnerische Hob-by durchschlug. Es ist zwar gelungen, die Vorurteile gegenüber afrikanischen Orchideen abzubauen, aber viele Verei-ne im südlichen Afrika tun sich schwer, ihren Status als geschlossene Gesell-schaft aufzugeben.

Die Kulturanweisung für Aerangis mystacidii passt auf einen Bierdeckel: feucht, warm bis temperiert und schat-tig. Das beschrieb bereits SCHLECH-TER (1917): „Während der Wachstums-zeit im Sommer sollte sie regelmässig feucht gehalten werden, bis sich die Blüten im Herbst entwickeln. Im Winter darf sie nicht zu viel Wasser bekommen, ja sie sollte sogar von Zeit zu Zeit völlig austrocknen und nur so viel erhalten, dass ein Schrumpfen der Blätter ver-hindert wird.“ Beim Habitatverständnis gab es dagegen Schwierigkeiten, denn er sprach von „einer recht luftigen, hel-len Stelle, nicht zu fern vom Glase“. Für diesen Fehler sollte man Nach-sicht üben, denn er hat diese Spezies nie in der Natur gesehen; auch nicht in KwaZulu-Natal (Südafrika), wo er 1893 kommerziell sammelte. Aufgrund der ledrigen Blätter vermutete er sicher, dass es sich um eine sonnenhungrige Spezies handelt. Inzwischen weiß man, dass Aerangis-Arten, mit Ausnahme weniger Savannenarten, schattige Standorte bevorzugen. Auch andere Autoren hatten Schwierigkeiten mit der Ökologie. BAUMANN et WOLFF (1992) verorteten sie in Gegenden mit „rd. 300 mm“ Jahresniederschlag und Jahres-durchschnittstemperaturen von „ca. 29 ºC“. Diese Daten beschreiben, ohne übertreiben zu wollen, lebensfeindliche Gegenden irgendwo in der Kalahari. – Ältere Bilder zeigen die Kultur von Aerangis-Pfl anzen in Epiphytenkör-ben. Dabei können die Wurzeln nicht

so gut abtrocknen wie sie möchten, und die Blütenstände kommen nicht so zur Geltung wie es wünschenswert ist. Dieses Problem wurde zwischenzeit-lich durch die Benutzung von Epiphy-tenästen gelöst.

Zum Schluss dieses Artikels wollen wir versuchen, das Potential des Mauer-blümchens anhand einiger Kulturpfl an-zen zu zeigen. Man sieht in den Abb. 6-10, dass Aerangis mystacidii in Sim-babwe nur auf dem Epiphytenast kulti-viert wird. Pfl anzen kann man während der kühlen Ruhezeit ohne zusätzliches Wässern mit erhöhter Luftfeuchte über-wintern lassen. Das reicht bei vielen ostafrikanischen Epiphyten. Andere Kultivateure wollen nicht auf das Ritual des wöchentlichen Wässerns verzich-ten, gute Dränage und Frischluft vor-ausgesetzt. Aerangis mystacidii ist dar-über hinaus ziemlich temperaturtolerant und nicht nur mit einem warmen, son-dern auch einem temperierten Kultur-raum zufrieden. Die Abb. 7 und 8 zeigen gewöhnliche Kulturpfl anzen mit jeweils drei Infl oreszenzen. Einige Kultivateure bevorzugen es, mehrere Pfl anzen auf den Epiphytenast eng beisammen zu setzen. Auf jener Ausstellung, auf der Abb. 9 entstand, fand die Pfl anzengrup-pe wenig Beachtung, auch nicht bei den Juroren. Doch sie schaffte es 1999 prompt auf die Titelseite dieser Zeit-

schrift. Abb. 10 zeigt eine Kulturpfl anze mit 7(!) Infl oreszenzen, wovon einige un-gewöhnlich lang gewachsen sind.

Diese Bilder erinnern uns an längst vergangene Zeiten; u. a. an ein Or-chideentreffen, zu dem jemand ei-nen Jackpot mitgebracht hatte. Ein dreisporniges Mauerblümchen! Alle Sporne hatten die gleiche Länge und die beiden Zusatzsporne standen seitlich im nahezu rechten Winkel ab. Die Pfl anze wirbelte anständig Staub auf und der Finder-Kultivator-Besitzer war so stolz, dass er kaum gehen konnte. Er war der Überzeugung, eine neue Spezies gefunden zu haben, die womöglich seinen Namen tragen wür-de. Groß war wohl die Enttäuschung, als ihm zugetragen wurde, dass sol-che Mutationen in der Taxonomie als Missbildungen betrachtet werden und keine taxonomische Würdigung fi nden. Mit etwas Weitsicht wäre viel-leicht ein Schuh daraus geworden: Hätte man dieser interessanten Mu-tation Zeit gegeben, sich in Ruhe in der Natur zu vermehren, anstatt wie damals noch üblich die einzige Pfl an-ze sogleich mitzunehmen, hätte man heute vielleicht eine Varietät tricalca-rata. Leider sahen wir diese Pfl anze nie wieder und in der Hitze der Dis-kussion war es versäumt worden, ein Bild zu machen.

Literatur:BAUMANN, W. & WOLFF, M. (1992): Ae-

rangis mystacidii (Rchb. f.) Schltr. 1917; Orchideenkarte 687 – 688, Beilage zu Die Orchidee 43(3)

COX, C. B. & MOORE, P. D. (1985): Bio-geography: An Ecological and Evolu-tionary Approach. Blackwell Scientifi c Publications, Oxford

LA CROIX, I. & CRIBB, P. J. (1998): Orchi-daceae. In POPE, G. V. (Hrsg.): Flora Zambesiaca 11(2). Royal Botanic Gar-dens, Kew/London

LA CROIX, I. F., LA CROIX, E. A. S. & LA CROIX, T. M. (1991): Orchids of Malawi. Balkema, Rotterdam

METEOROLOGICAL SERVICE (1962): The Agricultural Climates of Southern Rho-desia. Government Printer, Harare

SCHLECHTER, R. (1917): Aerangis mysta-cidii Schltr. Orchis 11(1): 17 – 19

SCHLECHTER, R. (1918): Versuch einer natürlichen Neuordnung der afrikani-schen angraekoiden Orchidaceen. Bei-hefte zum Bot. Centralblatt 36: 62 – 181

SCHULZE, R. E. & McGEE, O. S. (1978): Climatic indices and classifi cations in relation to the biogeography of southern Africa (S. 19 – 52). In WERGER, M. J. A. (Hrsg.): Biogeography and Ecology of Southern Africa. Junk Publishers, The Hague/Niederlande

STEWART, J. (1979): A revision of the Afri-can species of Aerangis (Orchidaceae). Kew Bulletin 34: 239 – 319

TORRANCE, J. D. (Hrsg.) (1981): Climate Handbook of Zimbabwe. Department of Meteorological Services, Harare

WASSERTHAL, L. T. (2015): Angraecum-Orchideen und langrüsslige Schwärmer; Die Orchidee 66(3): 174 – 181