Titel Suche nach Digital Natives NeueKauflust aufsDigitale · 2019-09-26 · stammten Unternehmen...

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Neue Kauflust aufs Digitale Foto: © ivector – stock.adobe.com Die Dynamik bei der digitalen Transformation drückt sich auch in der Attraktivität neuer Geschäftsmodelle aus. Über die Anwendung digitaler Standards hinaus geht es ange- stammten Unternehmen darum, eigene USPs zu generieren. Wie Mittelständler versuchen, über Zukäufe sowie direkte oder indirekte Beteiligungen neue Impulse zu bekommen. VON JÜRGEN HOFFMANN UND VOLKER HAAß 6 | Unternehmeredition 4/2019 Titel Suche nach Digital Natives

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Die Dynamik bei der digitalen Transformation drückt sich auch in der Attraktivität neuer

Geschäftsmodelle aus. Über die Anwendung digitaler Standards hinaus geht es ange-

stammten Unternehmen darum, eigene USPs zu generieren. Wie Mittelständler versuchen,

über Zukäufe sowie direkte oder indirekte Beteiligungen neue Impulse zu bekommen.

VON JÜRGEN HOFFMANN UND VOLKER HAAß

6 | Unternehmeredition 4/2019

Titel Suche nach Digital Natives

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Die Meldung kam für viele Medien-schaffende überraschend: Der Medienkonzern Axel Springer

steigt mit 36 Prozent bei Media Pioneer Publishing ein, dem neuen Projekt von Ex-Handelsblatt-Herausgeber Gabor Stein-gart. Springer-Vorstand Jan Bayer erklärt, dass sein Konzern mit der Transaktion darauf abziele, „künftig noch mehr Men-schen mit digitalem und interaktivem Qualitätsjournalismus zu begeistern“.

Der Coup des Springer-Konzerns folgt einem Trend im M&A-Geschäft: Die US- Beteiligungsgesellschaft KKR hat im Früh-jahr die Tele München Gruppe übernom-men (noch bevor Axel-Springer selbst Ziel einer Beteiligung von KKR wurde), die Deutsche Beteiligungs AG die beiden IT-Dienstleister Catalysts und Crisp Re-search. Der Beratungsriese Accenture hat sich die Digitalagentur SinnerSchrader einverleibt, und die Österreichische Post ist bei der Grazer Neugründung Send-hybrid eingestiegen, die sich mit dem sicheren elektronischen Dokumenten-versand beschäftigt. Alle diese Deals zielen auf einen wichtigen Zukunfts- Rohstoff ab: Digital-Know-how.

Unter Großunternehmen und gestan-denen Mittelständlern herrscht seit Mo-naten Aktionismus. Vielen Betrieben ist durch die Diskussionen über Zukunfts-themen wie autonomes Fahren, digitales Marketing, E-Commerce oder Internet der Dinge klar geworden, dass es ihnen an Technologien und Menschen fehlt, die man für die Transformation benötigt. Deshalb haben sich Unternehmen – aber auch Family Offices und Beteili-gungsfonds – auf die Jagd nach jungen, kleinen Firmen gemacht, die das haben, was den älteren und größeren abgeht: digitale Innovationskraft. So wundert es nicht, dass 2018 erstmals mehr Deals unterschrieben wurden, also mehr Trans-aktionen, die das Geschäftsmodell erwei-tern (Scope) und bei denen es nicht vor allem um Kostenvorteile (Scale) geht. Kurzum: Scope statt Scale. Das Gesamt-volumen strategischer M&A-Deals lag bei 3,4 Bio. US-Dollar, analysiert die Studie „M&A in Disruption: 2018 in Review“ der Unternehmensberatung Bain & Com pany. Bei 15 Prozent der größeren

Trans aktionen stand die Gewinnung neuer Kompetenzen im Mittelpunkt. Drei Jahre zuvor galt das für lediglich zwei Prozent. Bei kleineren Deals ist der Anteil noch weit größer. So sprechen die Stu-dien autoren davon, dass „bei jeder drit-ten Know-how-getriebenen Übernahme digi tales Know-how im Vordergrund“ stand. Die Treiber dieser Entwicklung liegen für die Unternehmensberater auf der Hand: „Der schnelle technologische Wandel, Kapital im Überfluss sowie ambi-tionierte Wachstumsziele setzen Unter-nehmen welt weit unter hohen Druck. Mit Übernahmen wollen sie diesen Heraus-forderungen begegnen“, fasst Bain- Part-ner und M&A-Experte Wilhelm Schmundt die Ergebnisse der Analyse zusammen.

Das tut auch not, denn allzu lange schien der Mittelstand zu schlafen. Nur jeder dritte bis vierte kleine oder mittlere Betrieb hat laut einer Studie der KfW in den vergangenen drei Jahren in den Einsatz digitaler Technologien investiert. Der Monitoring-Report des

Das Team von Media Pioneer Publishing rund um Gabor Steingart (ganz rechts): Der

Axel Springer Konzern will mit seiner Beteiligung nah dran sein an digitalen Innovationen

im Journalismus.

Foto: ©

Phil-Dera/M

edia Pioneer Publishing GmbH

Bundeswirtschaftsministeriums Wirt-

schaft Digital stellt bei knapp jedem fünften Mittelständler eine hohe Inves-titionsquote für digitale Projekte fest, die sich gemessen am Umsatz auf mehr als 20 Prozent beläuft.

Vertieft man die Analyse weiter und betrachtet die M&A-Aktivitäten des deut schen Maschinen- und Anlagenbaus, eine der Kernbranchen und Brutstätte vieler Hidden Champions, ergibt sich eine ernüch ternde Bilanz der vergange-nen Jahre: Hier dienten laut einer Stu-die von Porsche Consulting zwischen 2010 und 2018 lediglich neun Prozent der rund 630 Akquisitionen einem „klaren digitalen Zweck“. Bei diesen 58 Trans-aktionen ging es den Käufern im Einzel-nen um Technologien für Datenverarbei-tung, Datensammlung, Datenaggregation und -speicherung sowie datenbasierte Auto ma tion, etwa durch künstliche Intel ligenz. Sebas tian Lemm, Associate Partner bei Porsche Consulting, weckt aber Hoffnung: „Der Anteil von M&A-

74/2019 Unternehmeredition |

Suche nach Digital Natives Titel

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Transaktionen mit Fokus auf Tech no lo-gie und Assets steigt von Jahr zu Jahr.“

Der Mittelstand hat also auch etwas nachzuholen, wenn er jetzt zur Kompe-tenzoffensive bläst. Das wird nicht nur die eigenen Geschäftsmodelle verändern, sondern auch neue Dynamiken in den Märkten hervorbringen.

Auf Digitalisierung kann kein Mittelständler mehr verzichtenNach Ansicht von Dr. Christopher Meinecke, Leiter digitale Transformation beim Digitalverband Bitkom, ist die Ent-wicklung neuer Geschäftsmodelle über-lebenswichtig: „Logistikunternehmen bei-spielsweise, die bisher Waren von A nach B transportiert haben, können durch den 3D-Druck zu Produzenten werden, die Ersatzteile nicht nur liefern, sondern auch selbst herstellen.“

Ein zweites Beispiel: Der Reinigungs-gerätehersteller Kärcher verkauft heute nicht mehr nur Produkte, sondern ver-

netzt diese gleichzeitig mit einer Service- Cloud. Käufer können ihre Geräte ver-orten, Unterauslastung vermeiden und über den Batteriestatus die Ladeinter-valle steuern. Die Basisfunktionen sind dabei kostenlos, Premiumleistungen kos ten extra. Das Familienunternehmen wiederum kann Daten sammeln und diese auswerten, um neue Lösungen zu entwickeln – und damit Geschäfts mo-delle a la Reinigung as a Service, kurz RaaS (angelehnt an Software as a Service), anbieten. Um dieses Angebot zu erwei-tern, hat Kärcher erst im Mai das Start-up Service Partner One über nom men, das App-basierte Steuerungselemente für Gebäudereiniger anbietet. Der Vor-standsvorsitzende von Kärcher, Hart mut Jenner, bezeichnete die Übernahme als „Meilenstein in unserer Digitalstrategie“.

Um die Evolution des eigenen Ge-schäftsmodells zu bewerkstelligen, rät

Neuzugang bei Kärcher: Service One Partner soll App-basierte Angebote beim Reinigungsspezialisten erweitern.

Foto: ©

Service Partner ONE GmbH

„ Es geht um Daten, Daten, Daten“

Jerome Güls ist bei der Personalberatungsgesellschaft

Management Angels in Hamburg als Experte für digitale

Transformation, Automatisierung und Künstliche Intelligenz.

Als Provider hat Management Angels bis 2018 weltweit rund

1.700 Führungskräfte auf Zeit vermittelt.

Unternehmeredition: Bei etwa jeder dritten

Know-how-getriebenen Firmenübernahme

geht es um digitale Kompetenzen. Wel-

che Themen sind dabei die wichtigsten?

Jerome Güls: Es geht um Daten, Daten,

Daten. Hinter vielen Unternehmenskäufen

steht die Idee, neue, datenbasierte Ge-

schäfts modelle zu entwickeln. Big Data

ist die Voraussetzung für Zukunftsthemen

wie Internet of Things, autonomes Fahren

oder Cybersecurity.

Wie weit ist der deutsche Mittelstand bei

der Digitalisierung?

Noch nicht sehr weit. Die Problematik

beginnt mit der uneinheitlichen Definition

von Digitalisierung. Gelte ich als digitalisiert,

wenn ich Services via App anbiete, oder

erst, wenn ich KI nutze? Im Mittelstand ist

zwar ein Bewusstsein für die Notwendig-

keit der Digitalisierung vorhanden, aber es

fehlt oft an Entscheidungen. Dies liegt vor

allem an dem mangelnden Wissen über

die richtigen Technologien für die jeweili-

ge Kunden- und Marktsituation. Die Folge:

Die Digitalisierung der deutschen Wirt-

schaft geht zu langsam.

In welchen Ländern sind mittelständische

Unternehmen deutlich weiter?

Aus eigener fünfjähriger Erfahrung weiß ich,

dass schwedische Unternehmen bereits

weiter sind, insbesondere im Bereich der

Automatisierung. Auch in der Organisa-

tionsentwicklung werden dort technolo-

gische Möglichkeiten für Mitarbeiter besser

ausgeschöpft. Ähnliches lässt sich über

Dänemark sagen, dem Land mit den welt-

weit wohl besten digitalen Infrastrukturen.

Woran hakt die Entwicklung in Deutsch-

land auf politischer Ebene?

Eine der großen Hürden sind die staatlichen

Regulierungen. Nehmen Sie das Beispiel der

E-Scooter: Wieso benötigen wir in Deutsch-

land ein bis zwei Jahre länger als die meis-

ten Länder, um für diese Innovation einen

vernünftigen Rahmen festzulegen? Techno-

logiebegeisterte deutsche Gründer haben

es schwer, sich weltweit zu etablieren,

wenn Zulassung und Testläufe bei uns Jahre

dauern. Wir müssen in der Politik eine grö-

ßere, odenere und mutigere Entscheidungs-findung etablieren.

JeromeGüls

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Coffee Perfect Expansionskurs eines neuen, alten FamilienunternehmensSeite 20

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Neue Kaufl ust aufs DigitaleDer Mittelstand investiert in Digital Natives

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Know-how für den MittelstandMAGAZIN – ONLINE – EVENT – NETZWERK

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Bitkom-Manager Meinecke auch dazu, in Digitalisierungsfachleute zu investieren. Die allerdings sind derzeit rar: Laut dem Branchenverband fehlen bundesweit rund 82.000 IT-Experten. Dominic Mul-te rer, Interimsmanager beim Provider Management Angels, sieht diesen Eng-pass in seinen unterschiedlichen Man-daten. Er rät deshalb zu strategischen

M&A-Deals: „Wenn ein Mittelständler Technologien oder Fachleute nicht schon im eigenen Haus hat oder in Eigenregie entwickeln kann, muss er beides durch Zukäufe oder Fusionen akquirieren. Per-sonell ist das eine Technologieführung aus Managern und Spezialisten.“ Das bestätigt Bitkom-Experte Meinecke: „Der Mittelständler erhält durch Akquisitionen

technologisches Know-how und ein Ent-wicklungstempo, das er allein in seinem Haus meist nicht entwickeln kann.“

Skalierbarkeit digitaler Lösungen bei Start-upsEiner, der diese Deals genauer beobach-tet, ist Alexander Argyros. Er hat zusam-men mit Steffen Pauls das Berliner Fin-tech Moonfare gegründet, welches wohl-habenden Privatinvestoren den Zugang zu Private Equity-Fonds und anderen alternativen Assetklassen wie Infrastruk-tur oder Venture Capital ermöglicht. Für Argyros zählt zu den wichtigsten M&A-Deals der letzten Zeit die Über-nahme von Relayr durch Munich Re im Herbst 2018. Der Unternehmenswert des schnell wachsenden IoT-Start-ups betrug rund 300 Mio. US-Dollar. Laut Vermittler Argyros geht es bei dem Deal vor allem um die Kompetenzen, um Maschi nen zu überwachen oder gar Vor hersagen zu treffen – in der Fach-sprache Predictive Maintenance ge-nannt –, um somit Ausfälle zu minimie-ren. Private Equity-Agent Argyros sieht vor allem einen Grund für den aktuellen Run auf Digitalgründer: „Start-ups er-möglichen mit ihrem Digital-Know-how

Corporate Venturing bezeichnet die direkten Kooperationen

und Beteiligungen eines größeren Unternehmens mit und an

Start-ups. Die Facetten dieser Zusammenarbeit sind dabei so

bunt wie die deutsche Unternehmenslandschaft: Neben eige-

nen Beteiligungsarmen gibt es Inkubator- und Accelerator-

Programme sowie Initiativen, in deren Rahmen etablierte

Betriebe und Start-ups konkrete Projekte umsetzen.

Die meisten Schnittmengen entstehen dabei entlang der

Digitalisierung. Gerade hier suchen etablierte Unternehmen

vermehrt den Kontakt zu den Digital Natives, die sich auf

smarte Technologien spezialisieren. Die Suche ist international

angelegt: In sogenannten Pitches können Firmengründer ihre

Ideen präsentieren. Die anschließende Zusammenarbeit ist

ebenso modern organisiert: Statt fixe Verträge zu schließen,

treden sich die neuen Partner zu gemeinsamen Projekten.

Die neue Unverbindlichkeit soll Freiräume schaden bezie-

hungsweise bewahren.

Für beide Seiten entsteht daraus ein eigener Hebel. Der

Start-up-Szene erödnet sich über das finanzielle Engagement

der Konzerne und Mittelständler eine zusätzliche Kapitalquelle.

Was ist Corporate Venturing?

Im Rahmen der Inkubatoren und Acceleratoren können sie

die eigene Geschäftsidee weiterentwickeln und erhalten wert-

vollen Zugang zur Industrie. Bei der Umsetzung von Projekten

gewinnen die Jungunternehmen Referenzkunden.

Traditionsreiche Konzerne wiederum können Innovationen

frühzeitig erkennen. Daneben wollen sie oft auch ihre Unter-

nehmenskultur, oder auf Neudeutsch auch Spirit genannt,

audri schen. Wegen dieser Potenziale haben einige Unterneh-

men mittlerweile den Kontakt zur Start-up-Szene im wahrsten

Wortsinn zur Chefsache erklärt. Einer der Geschäftsführer oder

Vorstände ist also verantwortlich dafür, frische Ideen zu sam-

meln und Start-up-Perlen zu entdecken. Teilweise werden die

Mitarbeiter für ein Praktikum zum Lieblings-Start-up geschickt.

Oder es gibt eigene Laboreinheiten, in denen sie ihre eigenen

Geschäftsideen entwickeln können. Auch globale Ideenwett-

bewerbe über internationale Standorte hinweg sind keine

Rarität mehr, sondern werden systematisch eingesetzt, um

die Mitarbeiter an der strategischen Entwicklung zu beteiligen.

Das Ganze folgt dem Ziel, in einer großen Organisation agile

Inseln zu schaden – und Start-ups stehen hier Modell.

Das Team des VC-Fonds Eventures: Zahlreiche Familienunternehmen haben sich am Fundraising des neuen 400-Mio.-US-Dollar-Fonds beteiligt.

Foto: ©

e.ventures Managementgesellschaft mbH

| Unternehmeredition 4/2019 10

Titel Suche nach Digital Natives

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den Zugang zu den künftig wachstums-stärksten Marktsegmenten über Platt-formen, die flexibel und effizient sind.“

Die Berliner M&A-Beratung Saxen-hammer & Co. hat im vergangenen Jahr den Verkauf der multimodalen Reise-buchungsplattform FromAtoB an den Autobahn-Tankstellenbetreiber Tank & Rast durchgeführt. Über die Plattform lassen sich die Preise von Reisen mit Fernbus, Bahn, Flugzeug und Mietwagen vergleichen. „Damit hat Tank & Rast als reines Offlineunternehmen Zugang zu Onlinekompetenz und einem digitalen Geschäftsmodell bekommen“, erläutert Christian Saxenhammer den Mobility- Merger. „Der Zwang zur Digitalisierung betrifft nach Handel und Medien mittler-weile auch Produktions- und B2B- Unter-nehmen. Weil hier Lösungen jedoch deutlich schwieriger zu bewerkstelligen sind, ist der Zukauf von Know-how häu-fig der direktere Weg.“

Fast Follower warten bewusst länger als First MoverNicolas Gutbrod, Geschäftsführer und M&A-Experte bei SGP Schneider Geiwitz, sieht in den Akquisitionen nicht nur den Zukauf digitaler Kompetenzen, sondern auch eine transformative Wirkung für das gesamte Unternehmen. Er verweist auf die Übernahme des Softwareent-wicklers Critical Manufacturing mit Haupt sitz in Porto durch den asiatischen Elektronikkonzern ASM Assembly Sys-tems, einen ehemaligen Siemens-Ge-schäfts bereich. „Viele globale Automa-tisierer folgen der Digitalstrategie, sich langfristig von einem Hardwareher-steller zu einem Softwarehaus wandeln zu müssen“, erläutert M&A-Experte Gut-brod die von ihm begleitete Transaktion. Im Auge hätten die Asiaten insbeson-dere das Know-how von Critical Manu-facturing bei der Vernetzung von Ma-schinen und Systemen sowie von IT-Sys-

temen und Cloud-Lösungen: „Damit ergänzt ASM sein Portfolio von Industry 4.0-Lösungen und erweitert seine Soft-warekompetenz für den Aufbau intelli-genter Fabriken.“

Michael Euchner von der Prüfungs- und Beratungsgesellschaft Ebner Stolz konstatiert zwar, dass im Dienstleis-tungssektor bei Käufen und Zusammen-schlüssen der Erwerb neuer Fähigkei-ten das wichtigste Kriterium ist. Ein Beispiel sei der Griff von KPMG im ver-gangenen Jahr nach dem Data Science- Spezialisten Kiana Systems, der Themen wie Analytics, Data Mining und künstli-che Intelligenz beherrscht. „Bei M&A- Transaktionen im Industriesektor aber ist es die Ausnahme, dass der Käufer es ausschließlich auf Digitalisierungs- Know- how abgesehen hat“, betont Euchner. „Hier dreht es sich fast immer um einen Mix aus Scope und Scale.“ Der Experte legt Wert auf den Hinweis, dass nicht

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alle großen Unternehmen, die jetzt nach klei nen Digitalperlen tauchen, dazu ge-zwun gen sind, weil sie die Entwicklung verschlafen haben: „Nicht selten steckt dahinter auch pure Strategie: Im Gegen-satz zu typischen First Movern wie dem Ditzinger Laserspezialisten Trumpf inves-tieren Fast Follower nicht in Forschung und Entwicklung, sondern greifen sich lieber eine kleine Company, die bei die-sen Vorarbeiten erfolgreich war.“

Zugang zu Digital-Start-ups über FondsEinige Unternehmen flirten mit Start-ups über Umwege. So sind Bitburger, Deichmann, Dr. Oetker, Lidl, die Otto Group und Porsche an der Risikokapi-tal gesellschaft Eventures beteiligt, die gerade einen 400-Mio.-US-Dollar-Fonds aufgelegt hat. 175 Mio. US-Dollar davon sollen bis 2023 in junge europäische Tech-nologiestars investiert werden, 225 Mio. US-Dollar in amerikanische Pendants.

Porsche-Finanzchef Lutz Meschke: „Die digitale Transformation ist in vollem Gange. Wir wissen, dass wir die Zukunft nicht allein gestalten können, und erschlie ßen uns mit Eventures den Zu-gang zu Erfolg versprechenden Start-ups weltweit.“

Es geht auch eine Nummer kleiner: In Hamburg etwa sammelt die Venture Capital-Gesellschaft Neuhaus Partners gerade Kapital für ihren neuen, vierten Technologiefonds ein. Zielvolumen: 100 Mio. Euro. Ankerinvestor des Early Stage- Fonds ist die Stadt Hamburg. Der Anlagefokus liegt auf Jungunternehmen in der DACH-Region mit digitalen und dis-ruptiven Geschäftsmodellen. Vornehm-lich schauen sich die Fondsmanager Start-ups im B2B-Sektor an. „Wir bringen in moderierten Workshops unsere Fonds-investoren, insbesondere Corporates und Family Offices, mit den Portfoliofirmen zusammen, um beim Identifizieren und

Realisieren der Herausforderungen der digitalen Transformation Synergien zu erzielen“, erläutert Fondsmanager Mat-thias Grychta. Die Big Player erhalten Digitalisierungs-Know-how, die Start-ups lernen, was sich bei den Großen bewährt hat.

Neuhaus Partners bietet den New-comern smartes Kapital, also neben frischem Geld ein Netzwerk aus M&A-, Finanz-, Steuer- und Rechtsberatern und Interimsmanagern. Die Gesellschaft verweist auf einen guten Track Record über drei Fondsgenerationen. Zu den Stars unter den rund 60 Firmen, die Neu-haus Partners finanziert hat, gehören Blau Mobilfunk, die Internetapotheke DocMorris und das Kreditvermittlungs-portal Smava. Fondsmanager Grychta: „Die Digitalisierung der deutschen Wirt-schaft heute wird morgen entscheiden über den Erfolg oder Misserfolg unse-rer Unternehmen.“

„ Das sind klassische Buy or Build-Entscheidungen“

Jens Kengelbach von der Boston Consulting Group hat sich in der Studie „Cracking the Code of Digital M&A“ ausführlich mit digitalen Akquisitionen beschäftigt. Im Interview erklärt er die wichtigsten Treiber für die wachsende Attraktivität.

Jens Kengelbach

Unternehmeredition: Seit fünf Jahren

nimmt die Zahl an digitalen Zukäufen

weltweit zu. Was prognostizieren Sie

für die nächsten Jahre?

Jens Kengelbach: Allgemein ist die Anzahl

von Unternehmenstransaktionen in Europa

und auch in den USA seit circa drei Quarta-

len rückläufig. Diesem Trend werden sich

auch digitale Zukäufe mittelfristig nicht

widersetzen können. Jedoch erwarten

wir aufgrund der hohen Bedeutung der

raschen Digitalisierung von Kerngeschäften

bei vielen traditionellen Unternehmen, dass

diese nach wir vor viel im Digitalbereich kau-

fen werden und so der relative Anteil von

digitalen Unternehmenskäufen steigen wird.

Entsprechend der Marktdynamik steigen

auch die Multiples seit 2014 stark an.

Wie viel Spekulation steckt hinter diesen

Preisen, wie viel Substanz?

Multiples sind implizit immer eine Funktion

von vielen Faktoren, unter anderem Wachs-

tumserwartungen, Profitabilitätsniveaus

und Finanzierungskonditionen. Aktuell sehen

wir, dass die Multiples im Allgemeinen eher

sinken – von 13,6x EBITDA 2018 auf 12,5x

EBITDA in der ersten Jahreshälfte 2019.

In Ihrer Studie taxieren Sie die erhoUten

SynergieeUekte auf 40 Prozent des Kauf-

preises. Können die digitalen Start-ups

diese HoUnung Ihrer Erfahrung nach

rechtfertigen?

In der Regel messen wir Synergien nicht

in Prozent des Kaufpreises, sondern als

Prozentsatz der kombinierten Umsätze

oder Kostenbasis. Wenn man die jährlichen

Synergien nach Steuer jedoch kapitalisiert,

kann man sie ins Verhältnis zur Übernah me-

prämie setzen: Während Käufer historisch

maximal circa 35 Prozent der kapitalisierten

Synergien in Kaufpreisprämie „übersetzt“

haben, sehen wir jetzt eher ein Verhältnis

von 50/50, sprich: Wir bewegen uns gerade

bei digitalen Assets in einem Verkäufer-

markt.

Wie sollte ein Mittelständler seine Investi-

tionen in – teure und teils spekulative –

Scope-Deals strukturieren, gerade auch im

Rahmen seiner gesamten M&A-Strategie?

Die Kernfrage ist, ob die benötigten Kom-

petenzen auch intern schnell genug aufge-

baut werden können. Aktuell zeigt unsere

Studie, dass gerade traditionelle Brick and

Mortar-Unternehmen den Kauf digitaler

Assets nutzen, um ihre Kernprozesse zu

digitalisieren – und das sind klare Buy or

Build-Entscheidungen.

| Unternehmeredition 4/2019 12

Titel Suche nach Digital Natives

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Röchling-Vorstandschef Hanns-Peter Knae-bel: Das Familienunternehmen strebt über zwei Digitaleinheiten in München und Berlin zum „digitalen Kulturwandel“.

Foto: ©

Hirschvogel A

utomo tive Group

Einige Familienunternehmen versuchen sich als Company BuilderSo mancher Mittelständler nimmt den Umbau seines Hauses aber auch in Eigen-regie vor. Die Hirschvogel Automo tive Group beispielsweise. Der bayerische Zulieferbetrieb mit 5.500 Mitarbeitern, ein Spezialist für Massivumformung und Zerspanung von Stahl und Alumi nium, hat in seinen Fabriken diverse Entwick-lungsprojekte aufgesetzt, etwa für kol-laborierende Roboter. Ein zweites Bei-spiel ist Röchling. Als Familienunter-nehmer habe man, so Vorstandschef Hanns-Peter Knaebel, „die Verantwor-tung, auch im Sinne unserer Enkel-fähigkeit, das Unternehmen fit für das dritte Jahrhundert seiner Unternehmens-geschichte zu machen“. Dafür bauen er und Klaus-Peter Fett, ehemals Industry Leader bei Google Deutschland, den Mannheimer Spezialkunststoffhersteller mit seinen 11.000 Mitarbeiter um. Ein Ele-ment des angestrebten „digitalen Kul-

turwandels“ ist die Gründung von zwei Digitaleinheiten in Berlin und München, „um zum einen am Ökosystem der Start-up-Szene teilzuhaben und zum ande ren die Nähe zu Technologieunter-nehmen und der TU München zu nutzen“, begründet Knaebel die Initiative. Er geht von einem „mittleren einstelligen Millionenbetrag“ aus, den man jährlich in die Digitalisierung investieren werde. Außerdem evaluiere man mögliche Part-ner und Multiplikatoren aus der Start-up- Szene: „Wir sind für eine Zusammenar-beit offen.“ Zukäufe hat Röchling noch nicht getätigt. Vorstandschef Knaebel sagt dazu: „Denkbar ist alles, wenn es sinnvoll ist und sich betriebswirtschaft-lich rechnet.“

Auch Martin Viessmann, Chef des 100 Jahre alten Heizungsunternehmens, denkt über Generationen hinweg. Sei-nem Sohn Max obliege es, „das Unter-nehmen digital zu transformieren“. Der Junior hat dazu auch einen Company

Builder aufgesetzt: Wattx. In dem Berli-ner Melting Pot arbeiten digitale Talente aus Start-ups und Beratungshäusern. Bisher hat man hier fünf Firmen zum Laufen gebracht: „Mein Großvater

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Wie beteiligen Sie sich an digitalen

Innovatoren?

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hat durch innovative Produkte die Fir-ma im deutschsprachigen Raum positio-niert, mein Vater hat internationalisiert und diversifiziert, ich erfinde sie unter ande rem digital wieder neu.“ Bei der Transformation im Inneren würden Ta-lente von außen helfen, „die Erfahrun-gen mit agiler Entwicklung mitbringen“.

Digital-Start-ups sind begehrt und teuerSelbstfinanzierte Start-ups sind auch deshalb beliebt, weil der Zukauf vielver-sprechender Geschäftsmodelle teuer geworden ist. Derzeit sind die Be-wertungen von Digital-Start-ups hoch: Schon 2017 wurde für sie durchschnitt-lich das 26-Fache des operativen Ge-winns vor Zinsen und Steuern (EBIT) gezahlt, wie aus der aktuellen Studie „Cracking the Code of Digital M&A“ der Unternehmensberatung Boston Consul-ting Group hervorgeht. 2012 hatte der Multiplikator noch 17 betragen (siehe Grafik unten).

Moonfare-Co-Founder Argyros erwar-tet angesichts der enormen Kapital-menge, die derzeit am Markt ist, dass die Bewertungen ambitioniert bleiben werden: „Vor allem Jungunternehmen mit eindeutig exzellenter Qualität und schnellem Wachstum werden weiter rela tiv hohe Prämien aufweisen.“ Er ist

zudem überzeugt, dass Investoren sich künftig bereits in frühen Entwicklungs-phasen auf die Objekte der Begierde stürzen werden: „In zweiten und dritten Finanzierungsrunden werden wir dadurch höhere Volumina sehen.“ Die so gewon-nene höhere Liquidität ermögliche es, „einen Exit längere Zeit aufzuschieben“. Außerdem werde es mehr Joint Ventures geben, wie DriveNow, das mittlerweile vollständig zu BMW gehört.

Michael Euchner sieht höchstens in externen Schocks einen möglichen Rück schlag für neue, digitale Geschäfts-modelle. Wenn die in diesem Sommer eingetretene konjunkturelle Abkühlung anhalten sollte – Stichworte: Handels-krieg USA/China, Brexit –, könnte das als Bremse auf die Unternehmensbewer-tungen wirken: „Die Preise werden dann stehen bleiben, möglicherweise sogar ins Rutschen geraten.“

FAZITDie digitale Transformation, die mittler-weile auch im Mittelstand in vollem Gange ist, befeuert das M&A-Geschäft. Auf den Einkaufslisten stehen Digital- Start-ups mit innovativen Lösungen und Fachleute, die über die reine Digitalisie-rung hinaus Ideen für neue Geschäfts-modelle mitbringen. Folgerichtig steigt sowohl der Anteil als auch der Preis so-genannter Scope-Akquisitionen. Denn sie bergen für Mittelständler wie Groß-konzerne die Hoffnung, über gewöhnli-che Hebel wie Expansionen oder Markt-anteile hinaus neue Wachstumsquellen zu erschließen – und die scheinen gerade richtig zu sprudeln.

[email protected]

Nachfolger und Co-CEO Maximilian Viessmann: Er gilt als Vorreiter der digitalen Transformation durch die NextGen.

Foto: ©

Viessmann W

erke GmbH & Co. KG

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Ø

> Median

Entwicklung des EBIT-Multiples für digitale Zielunternehmen

Quelle: Thomson ONE Banker; BCG analysis

| Unternehmeredition 4/2019 14

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