Ärztedichte: Bedarfsplanung plant am Bedarf vorbei (Themenblatt)

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Views Landärztegesetz verfehlt sein Ziel Faktencheck Gesundheit der Bertelsmann Stiftung: Neue Planung führt nicht zu einer gerechteren Ärzteverteilung Auf dem Land müssen sich auch künftig erheblich mehr Patienten einen Arzt teilen als in den Städten. An dieser ungleichen und viel kritisierten Verteilung der Ärzte in Deutschland ändert auch das Landärztegesetz wenig, obwohl genau dies vor zwei Jahren erklärtes Ziel des Gesetzgebers war. Zu diesem Ergebnis kommt der aktuelle Faktencheck Gesundheit der Bertelsmann Stiftung. Zwar könnte sich die Versorgung mit Allgemeinmedizinern in bevölkerungsschwachen Regionen verbessern. Trotzdem erreicht das Landärztegesetz noch nicht einmal in jedem zweiten Landkreis eine bedarfsgerechte Verteilung der Arztsitze. Rückschritte drohen insbesondere bei der Verteilung der Fachärzte, die wohnortnah benötigt werden. Mehr zum Thema unter: www.faktencheck-aerztedichte.de

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Im internationalen Vergleich ist in Deutschland die Gesamtzahl der Ärzte relativ hoch. Doch die Ärztedichte in den Regionen entspricht nicht überall dem regionalen Bedarf. Die neu gestaltete Bedarfsplanung gemäß dem „Landärztegesetz“ verbessert diese Situation nur bei der hausärztlichen Versorgung. Hier stimmen künftig die regionalen Unterschiede bei Bedarf und geplanter Ärztedichte besser überein.

Bei Fachärzten, die ähnlich wie Hausärzte wohnortnah verfügbar sein sollten – Kinder-, Frauen- und Augenärzte – ändert sich an der ungleichen regionalen Verteilung zwischen Stadt und Land hingegen nichts Wesentliches. Bei diesen Gruppen orientiert sich die geplante Ärzte-dichte in vielen Regionen auch nach der neuen Planung nicht stärker an den regionalen Bedarfsunterschieden.

Regionale Verteilung zwischen Stadt und Land

unverändert

Knapp ein Drittel der Kinderarztpraxen und ein gutes Drittel der Frauen- und Augenarztpraxen befinden sich aktuell in

Großstädten, obwohl nur ein Viertel der Bevölkerung dort lebt. Diese ungleiche Verteilung bleibt auch nach der verän-derten Planung bestehen. Der Grund: Es wird davon ausge-gangen, dass Städte das Umland auch bei diesen Fachärzten, die wohnortnah verfügbar sein sollten, mitversorgen (vgl. Abb. 1).

Bei der Planung der Kinder-, Frauen- und Augenarztsitze werden daher für die verschiedenen Regionstypen (z. B. Stadt oder ländliches Umland) sehr unterschiedliche Vorgaben hinsichtlich der Ärztedichte gemacht: Die Verhältniszahlen zwischen Arzt und Einwohner sind nach Regionstyp ver-schieden. So werden regionale Ungleichheiten – unabhängig vom Versorgungsbedarf – fortgeschrieben.

Bei Fachärzten keine stärkere Bedarfsorientierung

Setzt man die bisherige und neue Planung der Kinder-, Frauen-, Augen- und Hausarztsitze ins Verhältnis zu rele-vanten Bedarfsindikatoren (Alter, Geschlecht, Arbeitslosen-quote, Einkommen, Pflegebedürftigkeit und Sterblichkeit), ergeben sich die folgenden Ergebnisse.

Ärztedichte

Abbildung 1: Ärzteverteilung nach Regionstypen

Quelle: Faktencheck Gesundheit 2014.

Angaben in Prozent

32,9 11,1 10,1 16,3 23,6 5,9

6,1

6,3

6,1

6,1

5,9

16,8 23,5

23,3

24,6

22,8

22,8

15,9

16,3

15,5

15,6

9,9

9,2

8,9

9,3

9,3

11,0

9,8

10,1

10,1

10,2

32,8

35,8

34,2

36,0

36,0

Großstadtzentrum

nahes Nebenzentrum

nahe Umgebung einer Großstadt

weitere Umgebung einer Großstadt

außerhalb der Umgebung einer Großstadt

Ruhrgebiet

Ärztedichte: Bedarfsplanung plant am Bedarf vorbei Nur Verteilung der Hausärzte wird bedarfsgerechter

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Abbildung 2: Kinderärztedichte

Quelle: Faktencheck Gesundheit 2014, Daten und Berechnung IGES Institut.

Mecklenburg-Vorpommern hat die jeweiligen Daten nicht zur Verfügung gestellt.

deutlich niedriger (14)

niedriger (111)

höher (112)

deutlich höher (15)

ausgewogen (106) deutlich niedriger (38)

niedriger (81)

höher (127)

deutlich höher (23)

ausgewogen (89)

Aktuelle Ärztedichte gegenüber relativem BedarfPlankreise, Klasseneinteilung nach Grad der Abweichung

Geplante Ärztedichte gegenüber relativem BedarfPlankreise, Klasseneinteilung nach Grad der Abweichung

Kinderärzte

Unterschiede in der regionalen

Verteilung, insbesondere zwischen West- und

Ostdeutschland, werden verschärft.

Bundesweit steigt durch die neue Planung der Anteil der Regionen, in denen die Kinderärztedichte nicht den regionalen Bedarfsunterschieden entspricht, von aktuell 70,4 auf 75,1 Prozent. Vor allem in Ostdeutschland wird die geplante Ärzteverteilung sogar noch weniger den regionalen Bedarfsunterschieden entsprechen.

Darüber hinaus wird die Verhältniszahl in der neuen Bedarfsplanung so angepasst, dass die geplante Gesamt-zahl der Kinderärzte im bundesweiten Durchschnitt um

Abbildung 2: Kinderärztedichte

Quelle: Faktencheck Gesundheit 2014, Daten und Berechnung IGES Institut.

Mecklenburg-Vorpommern hat die jeweiligen Daten nicht zur Verfügung gestellt.

deutlich niedriger (14)

niedriger (111)

höher (112)

deutlich höher (15)

ausgewogen (106) deutlich niedriger (38)

niedriger (81)

höher (127)

deutlich höher (23)

ausgewogen (89)

Aktuelle Ärztedichte gegenüber relativem BedarfPlankreise, Klasseneinteilung nach Grad der Abweichung

Geplante Ärztedichte gegenüber relativem BedarfPlankreise, Klasseneinteilung nach Grad der Abweichung

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Derzeit weicht in 72,9 Prozent aller Regionen die Augen-ärztedichte vom relativen Bedarf ab. Durch die veränderte Planung sinkt dieser Anteil auf 66,5 Prozent. Das heißt, die neue Planung führt zu einer leichten Verbesserung der bedarfsorientierten regionalen Verteilung der Augenärzte.

Das dürfte vor allem daran liegen, dass der Anteil der über 65-Jährigen, deren augenärztlicher Versorgungs bedarf besonders hoch ist, in der neuen Planung deutlich stärker berücksichtigt wird.

Hausärzte

Die regionale Verteilung der Hausärzte wird stärker

bedarfsorientiert.

Bei der aktuellen Hausärzteverteilung lässt sich gemessen an den regionalen Bedarfsunterschieden ein deutliches West-Ost-Gefälle feststellen. In den alten Bundesländern ist insbesondere im Süden die Ärztedichte gemessen am relativen Bedarf überproportional hoch.

Durch die veränderte Planung steigt der Anteil der Regionen, deren Hausärztedichte dem relativen Versor-gungsbedarf entspricht, von aktuell 18,7 auf 46,4 Prozent.

Diese positive Entwicklung wird für die Patienten aber nur dann spürbar, wenn es gelingt, freie Arztsitze in unter-versorgten Regionen tatsächlich zu besetzen und Über-versorgung abzubauen.

24,3 Prozent gegenüber heute zurückgeht. Für einige Regionen, deren Ärztedichte aktuell noch ihrem relativen Versorgungsbedarf entspricht, sinkt damit die Zahl der Kinderarztsitze.

Methodischer Hinweis: Die veränderte Planung der Kinderarztsitze berücksichtigt nur die Bevölkerung unter 18 Jahren. Zwischen unterschiedlichen Altersgruppen der Kinder wird dabei allerdings nicht unterschieden.

Frauenärzte

Vorhandene Versorgungsunterschiede werden fort-

geschrieben.

Derzeit entspricht in 81 Prozent aller Regionen die Frau-enärztedichte nicht den regionalen Bedarfsunterschieden. Die veränderte Planung ändert daran nichts: Hier liegt der Anteil mit knapp 82 Prozent sogar leicht höher.

In vielen ostdeutschen Regionen ist die Versorgung gemes-sen am relativen Bedarf unterdurchschnittlich, in vielen westdeutschen Regionen dagegen überdurchschnittlich.

Methodischer Hinweis: Die veränderte Planung der Frauen-ärzte berücksichtigt nur die weibliche Bevölkerung. Dabei wird der Versorgungsbedarf der über 65-Jährigen geringer gewichtet.

Augenärzte

Bedarfsorientierung kann leicht

verbessert werden.

Die Augenärztedichte ist aktuell für die Mehrheit der ostdeutschen Regionen gemessen an ihrem relativen Versorgungsbedarf zu gering.

MEHR PRIVAT VERSICHERTE = MEHR ÄRZTE?

Eine Studie der Universität München zeigt: Ein Prozent mehr

PKV-Versicherte erhöht die Ärztedichte um rund zwei Prozent,

insbesondere bei Fachärzten. Mehr dazu unter: › faktencheck-krankenversicherung.de

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Bertelsmann Stiftung

Carl-Bertelsmann-Straße 256 | 33311 Gütersloh | Tel.: +49 5241 81-81226 | Fax: +49 5241 81-681226

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Für die Bedarfsplanung auf Bundesebene (Gesetzgeber und Gemeinsamer Bundesausschuss) und Landesebene (Kassenärztliche Vereinigungen und Landesverbände der Krankenkassen) ergeben sich folgende Forderungen:

Verringerung des Stadt-Land-Gefälles

Festsetzung einer bundesweit einheitlichen Verhältnis-zahl („Arzt-zu-Einwohner“) für Kinder-, Frauen- und Augen ärzte (analog zu Hausärzten) oder zumindest einer deutlich geringeren Spreizung zwischen den Regionstypen.

Kleinräumigerer Zuschnitt der jeweiligen Zulassungs-regionen für Kinder-, Frauen- und Augenärzte (analog zu Hausärzten).

Stärkere Bedarfsorientierung der Bedarfsplanung

Berücksichtigung morbiditätsbezogener Faktoren der regionalen Bevölkerung, z. B. Sterblichkeit und Pflege-bedürftigkeit, bei der Verteilung von Haus-, Kinder-, Frau-en- und Augenärzten.

Einbeziehung sozioökonomischer Faktoren der regiona-len Bevölkerung, z. B. Arbeitslosigkeit und Einkommens-situation, bei der Verteilung von Haus-, Kinder-, Frauen- und Augenärzten.

Entwicklungs- und zielorientierte Bedarfsplanung

Planung auf Basis der zukünftigen demografischen Bevölkerungsentwicklung der Regionen.

Konkrete Planungsziele für unterschiedliche, klar definier-te Zeiträume, z. B. für die kommenden fünf, zehn, fünfzehn und zwanzig Jahre.

Sanktionen bei Nichteinhaltung von Planzielen.

Von der Planung zur Versorgungsrealität

Um Planungsziele wie den Abbau von Überkapazitäten auf der einen und Unterversorgung auf der anderen Seite zu verwirklichen, bedarf es eines Bündels von Maßnahmen. Hierzu gehören u. a.:

Verbesserung der Umfeldfaktoren, wie z. B. Mieten, Kinderbetreuung, Arbeitsangebot für Lebenspartner, in versorgungsschwachen Regionen.

Ermöglichung einer ausgewogenen Work-Life-Balance durch kooperative Anbieterstrukturen (z. B. Medizinische Versorgungszentren) und Teilzeitangebote.

Finanzielle Anreize, wie z. B. Zu- und Abschläge bei der ärztlichen Vergütung je nach Versorgungsbedarf.

Systematischer regelbasierter Aufkauf von Arztsitzen in überversorgten Regionen durch die Kassenärztlichen Vereinigungen.

Verbesserungsansätze und Handlungsempfehlungen

INFORMATIONEN ZUM FAKTENCHECK GESUNDHEIT – ÄRZTEDICHTE

Interaktive DeutschlandkarteDer Faktencheck Gesundheit – Ärztedichte – zeigt anhand interaktiver Karten für alle Regionen, ob die geplante Vertei-lung von Haus-, Kinder-, Frauen- und Augenarztsitzen den regionalen Bedarfsunterschieden entspricht oder wie stark sie davon abweicht. Interessierte Bürger, Ärzte und Politiker können die Ergebnisse für ihre Region direkt ablesen und mit anderen Regionen vergleichen.

Faktencheck-ReportIm Auftrag von Faktencheck Gesundheit analysierte das IGES Institut sowohl die aktuelle als auch die geplante Verteilung von Haus-, Kinder-, Frauen- und Augenarztsitzen auf regionaler Ebene. Beide Planungen werden mit dem relativen Versorgungsbedarf in diesen Regionen (regionale Abweichung vom Bundesdurchschnitt) verglichen.

Weitere Informationen auf › faktencheck-ärztedichte.de und › faktencheck-gesundheit.de