Aktuelle Erkenntnisse zur stationären Rehabilitation

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S260 Trauma und Berufskrankheit · Supplement 2 · 2000 Am 20. Februar 1989 gab die Deutsche Krankenhausgesellschaft eine Presseer- klärung heraus [2], die u. a. beinhaltet: „38% der über 60-jährigen und ca. 40% der unter 60-jährigen Patienten liegen zu lange im Krankenhaus. Etwa 18% aller Pflegetage in bundesrepubli- kanischen Akutkrankenhäusern sind aus medizinischen Gründen nicht notwendig.“ An einer anderen Stelle dieser Presseer- klärung heißt es: „Besonders die diagnose- bezogenen Auswertungen zeigen, daß höchste Fehlbelegungsraten bei jüngeren Unfallpatienten oder orthopädischen Krankheitsbildern eingeschätzt wurden und es stellt sich die Frage: Kann außerhalb der normalen stationären Versorgung regelmäßig eine qualitativ hinreichende, für den Patienten akzeptable Krankengymnastik, medizinisch-physikalische Therapie, Rehabilitations- oder sonstige Anschlußversorgung gewährleistet werden?“ Dieser Umstand veranlasste die Träger der gesetzlichen Unfallversicherung, über eine weiterführende stationäre Behand- lung mit physikalisch-therapeutisch re- habilitativem Schwerpunkt nachzuden- ken. Die damalige Gesetzeslage ließ der- artige strategische Überlegungen und Entscheidungen zu, da gemäß §26 SGB VII die Träger der gesetzlichen Unfall- versicherung alle geeigneten Maßnah- men zu erbringen haben, um die Ar- beitsfähigkeit des Verunfallten wieder- herzustellen, und nach §33,Abs. 1–3, SGB VII gehört auch die Heilbehandlung mit Unterkunft und Verpflegung in einem Krankenhaus oder einer Kur- oder Spe- zialeinrichtung (stationäre Behandlung) dazu [1]. Unter Berücksichtigung der Erfah- rungen aus dem AHB-Verfahren (AHB: Anschlussheilbehandlung) der gesetz- lichen Rentenversicherungen entwickel- ten die Unfallversicherungsträger da- mals ein neues, die Regelungen ergän- zendes Verfahren. Es ist nahe liegend, nach nunmehr 10 Jahren eine Zwischen- Trauma Berufskrankh 2000 · 2 [Suppl 2]: S260–S263 © Springer-Verlag 2000 Wirbelsäulenverletzungen Uwe Moorahrend · Bruno Schulz Abteilung für Unfallchirurgische Rehabilitation/Orthopädie, Fachklinik Enzensberg, Hopfen am See Aktuelle Erkenntnisse zur stationären Rehabilitation Berufsgenossenschaftlich stationäre Weiterbehandlung (BGSW) Dr. U. Moorahrend Abteilung für Unfallchirurgische Rehabilitation/ Orthopädie, Fachklinik Enzensberg, Höhenstraße 56, 87629 Hopfen am See (e-mail: [email protected], Tel.: 08362-121119, Fax: 08362-121110) Zusammenfassung Seit Einführung der berufsgenossenschaft- lich stationären Weiterbehandlung, die nicht nur in den berufsgenossenschaftlichen Un- fallkliniken erfolgte, sondern auch unter Ein- beziehung anderer stationärer Rehabilita- tionseinrichtungen durchgeführt wurde, hat sich dieses Verfahren durchwegs bewährt. Waren zu Beginn vornehmlich isolierte Gliedmaßenverletzungen zu rehabilitieren, hat sich im Lauf eines Jahrzehnts das Spek- trum der Rehabilitanden ganz in Richtung Mehrfachverletzte verschoben. Es wird eine aktuelle Analyse des Jahres 1998 an 144 Re- habilitanden vorgestellt, wobei eine Zuord- nung zu verschiedenen Verletzungsgruppen erfolgt und gruppenspezifisch die mittlere Verweildauer und die Behandlungsintensität in den einzelnen Verletztengruppen darge- stellt werden. Da in den letzten Jahren eine Verschiebung des Verletztenklientels zu be- obachten ist, wird empfohlen, eine Schwere- gradeinteilung der BGSW-Patienten vorzu- nehmen, um damit die Überführung in die berufsgenossenschaftlich-stationäre Weiter- behandlung für die weiterbehandelnde In- stitution besser zu strukturieren sowie einen speziellen Erhebungsbogen für die arbeits- spezifischen, ergonomischen Besonderhei- ten am Arbeitsplatz zu entwickeln. Hiermit würde es möglich, frühestmöglich Alterna- tiven zur Arbeitsplatzumgestaltung, die Umsetzung auf einen anderen Arbeitsplatz oder umschulende oder weiterführende Qualifizierung bei andauernden oder blei- benden körperlichen Funktionseinbußen zu initiieren. Schlüsselwörter Stationäre Rehabilitation · Verletzten- klientelverschiebung · Schweregradeintei- lung · Arbeitsplatzbesonderheiten

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Page 1: Aktuelle Erkenntnisse zur stationären Rehabilitation

S260 Trauma und Berufskrankheit · Supplement 2 · 2000

Am 20. Februar 1989 gab die DeutscheKrankenhausgesellschaft eine Presseer-klärung heraus [2], die u. a. beinhaltet:

„38% der über 60-jährigen und ca. 40% der unter 60-jährigen Patienten liegen zu lange im

Krankenhaus. Etwa 18% aller Pflegetage in bundesrepubli-

kanischen Akutkrankenhäusernsind aus medizinischen Gründen

nicht notwendig.“

An einer anderen Stelle dieser Presseer-klärung heißt es:

„Besonders die diagnose-bezogenen Auswertungen zeigen,daß höchste Fehlbelegungsraten

bei jüngeren Unfallpatienten oderorthopädischen Krankheitsbilderneingeschätzt wurden und es stellt

sich die Frage: Kann außerhalb dernormalen stationären Versorgung

regelmäßig eine qualitativ hinreichende, für den Patienten

akzeptable Krankengymnastik,medizinisch-physikalische

Therapie, Rehabilitations- odersonstige Anschlußversorgung

gewährleistet werden?“

Dieser Umstand veranlasste die Trägerder gesetzlichen Unfallversicherung, übereine weiterführende stationäre Behand-lung mit physikalisch-therapeutisch re-habilitativem Schwerpunkt nachzuden-ken. Die damalige Gesetzeslage ließ der-artige strategische Überlegungen undEntscheidungen zu, da gemäß §26 SGBVII die Träger der gesetzlichen Unfall-versicherung alle geeigneten Maßnah-men zu erbringen haben, um die Ar-beitsfähigkeit des Verunfallten wieder-herzustellen,und nach §33,Abs. 1–3,SGBVII gehört auch die Heilbehandlung mitUnterkunft und Verpflegung in einemKrankenhaus oder einer Kur- oder Spe-zialeinrichtung (stationäre Behandlung)dazu [1].

Unter Berücksichtigung der Erfah-rungen aus dem AHB-Verfahren (AHB:Anschlussheilbehandlung) der gesetz-lichen Rentenversicherungen entwickel-ten die Unfallversicherungsträger da-mals ein neues, die Regelungen ergän-zendes Verfahren. Es ist nahe liegend,nach nunmehr 10 Jahren eine Zwischen-

Trauma Berufskrankh2000 · 2 [Suppl 2]: S260–S263 © Springer-Verlag 2000 Wirbelsäulenverletzungen

Uwe Moorahrend · Bruno SchulzAbteilung für Unfallchirurgische Rehabilitation/Orthopädie, Fachklinik Enzensberg, Hopfen am See

Aktuelle Erkenntnisse zur stationären RehabilitationBerufsgenossenschaftlich stationäre Weiterbehandlung (BGSW)

Dr. U. MoorahrendAbteilung für Unfallchirurgische Rehabilitation/Orthopädie, Fachklinik Enzensberg,Höhenstraße 56, 87629 Hopfen am See(e-mail: [email protected],Tel.: 08362-121119, Fax: 08362-121110)

Zusammenfassung

Seit Einführung der berufsgenossenschaft-lich stationären Weiterbehandlung, die nichtnur in den berufsgenossenschaftlichen Un-fallkliniken erfolgte, sondern auch unter Ein-beziehung anderer stationärer Rehabilita-tionseinrichtungen durchgeführt wurde, hatsich dieses Verfahren durchwegs bewährt.Waren zu Beginn vornehmlich isolierteGliedmaßenverletzungen zu rehabilitieren,hat sich im Lauf eines Jahrzehnts das Spek-trum der Rehabilitanden ganz in RichtungMehrfachverletzte verschoben. Es wird eineaktuelle Analyse des Jahres 1998 an 144 Re-habilitanden vorgestellt, wobei eine Zuord-nung zu verschiedenen Verletzungsgruppenerfolgt und gruppenspezifisch die mittlereVerweildauer und die Behandlungsintensitätin den einzelnen Verletztengruppen darge-stellt werden. Da in den letzten Jahren eineVerschiebung des Verletztenklientels zu be-obachten ist, wird empfohlen, eine Schwere-gradeinteilung der BGSW-Patienten vorzu-nehmen, um damit die Überführung in dieberufsgenossenschaftlich-stationäre Weiter-behandlung für die weiterbehandelnde In-stitution besser zu strukturieren sowie einenspeziellen Erhebungsbogen für die arbeits-spezifischen, ergonomischen Besonderhei-ten am Arbeitsplatz zu entwickeln. Hiermitwürde es möglich, frühestmöglich Alterna-tiven zur Arbeitsplatzumgestaltung, die Umsetzung auf einen anderen Arbeitsplatzoder umschulende oder weiterführendeQualifizierung bei andauernden oder blei-benden körperlichen Funktionseinbußen zuinitiieren.

Schlüsselwörter

Stationäre Rehabilitation · Verletzten-klientelverschiebung · Schweregradeintei-lung · Arbeitsplatzbesonderheiten

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bilanz zu ziehen und dabei auch die ak-tuellen Erkenntnisse einer in dieses Ver-fahren eingebundenen, stationären Re-habilitationseinrichtung aufzuzeigen.

Nach den Vorgaben der gesetzli-chen Unfallversicherungsträger solltedie Entscheidung, ob ein Unfallpatientein solches Verfahren antritt oder nicht,in der Entscheidungsverantwortung desjeweiligen Chefarzts der chirurgisch/un-fallchirurgischen erstbehandelnden Ab-teilung verbleiben. Zur Weiterbehand-lung in stationären Rehabilitationsein-richtungen sind grundsätzlich alle Ver-letzungen und Verletzungsfolgen zuge-lassen, sie umfassen aber im Wesentli-chen:

– Verletzungen des Stütz- und Bewe-gungsapparats,

– Schädel-Hirn-Verletzungen und– periphere Nervenverletzungen.

Die Verletzten sollten grundsätzlich re-habilitationsfähig und frühmobilisiertsein. Sie sollten ferner in der Lage sein,ohne fremde Hilfe zu essen, sich zu wa-schen, sich anzuziehen und sich auf Sta-tionsebene zu bewegen.

Strukturmerkmale der stationären Rehabilitationseinrichtung

Die folgenden Erfahrungen und Erkennt-nisse kommen aus einer stationären Re-habilitationseinrichtung, die über insge-samt 440 stationäre Betten verfügt; hier-von sind 150 Betten nach §39 SGB V zurakutstationären Krankenhausbehand-lung im Krankenhausbedarfsplan deszuständigen Bundeslands zugelassen,und zwar 100 Betten für die konserva-tive Orthopädie, 20 Betten für die inter-disziplinäre Schmerztherapie und 30 Bet-ten für die Frührehabilitation neurolo-gischer Patienten (Schädel-Hirn-Ver-letzte, hypoxische Hirnschäden, Schlag-anfallpatienten mit ausgeprägten zen-tralen Störungsbildern). Die übrigen290 Betten der Einrichtung sind Bettender stationären Rehabilitation, entspre-chend §40 SGB V.

Die physikalisch-therapeutische Ab-teilung der Einrichtung beschäftigt ins-gesamt 130 Fachkräfte, hiervon 50 Kran-kengymnasten und Physiotherapeuten,40 Masseure, 10 Ergotherapeuten und 30Personen übriges Personal (Diplom-sportlehrer, medizinische Bademeister,

Gymnastiklehrer, Badehilfen u. a.). DieUnterbringung des Klientels im BGSW-Verfahren erfolgt indikationsbezogen:Betroffene mit Unfallzuständen und/oder -folgen am Stütz- und Bewegungs-system werden in die orthopädisch-un-fallchirurgische Rehabilitationsabteilungaufgenommen, Patienten mit führendenneurologischen Funktionsausfällen und/oder -störungen der neurologischen Ab-teilung zugewiesen.

Die Einrichtung hat seit ihrer Zu-lassung zum berufsgenossenschaftlich-stationären Weiterbehandlungsverfah-ren vor 8 Jahren insgesamt 795 Patien-ten behandelt. Das ist bei der Größe derEinrichtung und der durchschnittlichenPatientenzahl von 5500 Rehabilitanden/Jahr ein geringer Anteil von 2% über dengenannten Zeitraum.(Eine mögliche Ur-sache für diesen Umstand ist die Stand-ortnähe zu einer fachlich hoch qualifi-zierten, berufsgenossenschaftlichen Un-fallklinik.)

Mit der Zulassung zum BGSW-Ver-fahren nahm die Zuweisung des entspre-chenden Klientels jährlich zu (Tabelle 1).

Im Folgenden soll ausschließlichüber aktuelle Erkenntnisse aus dem Jahr1998 bei den 144 behandelten BGSW-Pa-tienten berichtet werden.

Geographischer Zuweisungsbereich

136 der zugewiesenen Patienten kamenaus stationären Einrichtungen im Um-kreis von 120 km. Von den verbleiben-den 8 Patienten kamen 5 aus Kranken-häusern, die zwischen 250 und 300 kmentfernt waren, 3 Patienten kamen ausEinrichtungen, die > 300 km entfernt la-gen.

Insgesamt wiesen 40 Akutkranken-häuser zum BGSW-Verfahren zu, da-runter befanden sich 5 Universitätskli-

U. Moorahrend · B. Schulz

Current attitudes to residential rehabilitation.Rehabilitation therapies approved by the employers’ liability insurance associations

Abstract

Since the introduction of in-patient rehabili-tation therapies approved by the employers’liability insurance associations that are notonly administered in the associations ownclinics, but also in other residential institu-tions for rehabilitation medicine, this proce-dure has certainly proved its worth.While atfirst most of the injuries concerned were iso-lated injuries to an extremity, in the course of a decade the spectrum of the patientsneeding rehabilitation has shifted in the di-rection of multiply injured patients. An up-to-date anaalysis of 144 rehabilitation pa-tients treated in 1998 is presented, with allo-cation to the different injury groups and themean length of stay and intensity of treat-ment in the individual injury groups. As ashift in the population of injured personsneeding rehabilitation over the past yearscan be observed, it is recommended that thepatients are classified by severity of injury tomake it possible to arrange the transfer tothe employers’ liability insurance associa-tions’ residential institutions for rehabilita-tion in a better way for the rehabilitationclinics and to develop a special form for usewhen ascertaining the work-specific er-gonomic features of the workplace.Thiswould make it possible to instigate sugges-tions for alternative ways of changing theworkplace, a change to another workplace,or retraining or new qualifications that couldlead to professional advancement if thereare long-term or permanent limitations ofphysical function.

Keywords

Residential rehabilitation · Shift in popula-tion of injured patients · Classification byseverity of injury · Special features of work-place

Tabelle 1Patientenzuweisung nach der Zu-lassung zum BGSW-Verfahren

Jahr Patienten

1992 761993 831994 1141995 1201996 1281997 1301998 144

Trauma Berufskrankh2000 · 2 [Suppl 2]: S260–S263 © Springer-Verlag 2000

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niken bzw. Kliniken der Maximalversor-gung,6 Einrichtungen der mittleren Ver-sorgungsstufe bzw. Fachkrankenhäuser(berufsgenossenschaftliche Unfallklini-ken), die übrigen 29 Einrichtungen wa-ren Kliniken der Grund- und Regelver-sorgung mit Zulassung zum Schwerver-letztenverfahren der Berufsgenossen-schaft.

Verteilung der Verletzungsmuster und Verletzungsschwere im BGSW-Verfahren

Von den 144 behandelten Patienten wa-ren 61 polytraumatisiert (entsprechend42,4%); hiervon 23 mit ZNS-Beteiligung,entsprechend 16%, und 38 Patienten oh-ne Beteiligung des zentralen Nervensys-tems (entsprechend 26,4%) (Abb. 1).

57,6%, entsprechend 83 Patienten,waren einfach Traumatisierte mit Ein-gliedmaßenverletzungen bzw.Frakturender Wirbelsäule mit und ohne Neurolo-gie (Abb. 1).

2⁄3 der Polytraumatisierten mit undohne ZNS-Beteiligung kamen aus denstationären Einrichtungen mit den höchs-ten Zuweisungszahlen, 1⁄3 (entsprechend17 Patienten) aus den verbleibenden 32Einrichtungen.

Verweildauer im BGSW-Verfahren und Therapiedichte pro Tag

81 Patienten (ausschließlich Angehörigeder Verletztengruppen 1 und 5) wieseneine durchschnittliche Verweildauer von25,3 Tagen auf (das entspricht 56,3% desGesamtklientels). 15 Patienten der Ver-letztengruppen 6 und 8 (das sind Mehr-

gliedmaßenverletzte und Verletzungendes Thorax, Abdomens und/oder desBeckens, allein oder in Kombination)hatten eine mittlere Behandlungsdauervon 28,4 Tagen. Die Polytraumatisierten(Verletztengruppen 2–4 und 7), entspre-chend 48 Patienten, hatten eine durch-schnittliche Behandlungsdauer von 63,8Tagen. Der Patientenanteil am Gesamt-kollektiv betrug 33,3%.

Entsprechend der Verletzungsschwe-re unterschied sich die Therapiedichtedeutlich. So waren Polytraumatisiertemit Beteiligung des ZNS am Tag 4 h inTherapie (± 1,5 h). Dieser scheinbar ho-he zeitliche Therapieanteil resultiert da-her, dass ein spezifisches Rehabilitati-onstraining in Form eines Selbsthilfe-trainings auch durch das Pflegepersonalam Patienten vorgenommen wird. Hier-zu zählen die Einweisung und Vertie-fung ergotherapeutischer Techniken,das An- und Ausziehtraining, aber auchdas Repetieren und das Abfragen vonneuropsychologischen Trainingsinhal-

ten. Ferner sind neben der alltäglichenKrankengymnastik, sofern erforderlich,bei Störungen des Sehens, ein Seh- undLesetraining,bei unfallbedingten Sprech-und Sprachstörungen ein logopädischesTraining täglich angezeigt.

Pro Patient und pro Tag reduziertsich die Therapiedichte entsprechenddem Verletzungsgrad bei unbeeinträch-tigter Vigilanz für aktive Maßnahmenauf durchschnittlich 3,5 h täglich, dafürnehmen passive Maßnahmen an Inten-sität und zeitlicher Dauer auf 1 h täglichzu. Einfach Traumatisierte haben imDurchschnitt eine Therapiedichte von3,5 h, wobei sich das Verhältnis von akti-ven zu passiven Therapiemaßnahmen inder Zeitdauer mehr und mehr angleicht.

Häufigkeit der sozialmedizinischen bzw. rehabilitationsberatenden Interventionsmaßnahmen(Abb. 2)

In der Gruppe der Polytraumatisiertenmit ZNS-Beteiligung sind die Wahr-scheinlichkeit der Berufsunfähigkeitoder die voraussichtlich zu erwartendeErwerbsunfähigkeit mit 33% am höchs-ten. Erfreulich ist hingegen, dass bei 2⁄3

dieser Gruppe bereits während des be-rufsgenossenschaftlich-stationären Wei-terbehandlungsverfahrens berufshelfen-de bzw. umschulende Maßnahmen be-antragt und eingeleitet wurden. Bei Po-lytraumatisierten ohne Beteiligung desZNS wurde nur bei 10,1% (entsprechend4 Patienten) eine Berufs- bzw. Erwerbs-unfähigkeit für wahrscheinlich gehal-ten. 50% der Polytraumatisierten warennach Ansicht der betreuenden Ärzte im

S262 Trauma und Berufskrankheit · Supplement 2 · 2000

Wirbelsäulenverletzungen

Abb. 1 m Verletzungsmuster und -kombinationen, 1 Wirbelfrakturen mit und ohneNeurologie, 2 mehrere Gliedmaßenfrakturen mit ZNS und Thorax oder Abdomenoder Becken oder WS, 3 Eingliedmaßenfraktur mit Thorax oder Abdomen oderBecken oder WS, 4 mehrere Gliedmaßenfrakturen mit Thorax oder Abdomen oderBecken oder WS, 5 Eingliedmaßenfraktur, 6 mehrere Gliedmaßenfrakturen,7 mehrere Gliedmaßenfrakturen mit ZNS-Beteiligung, 8 Thorax und/oder Abdo-men und/oder Becken

Abb. 2 m Häufigkeit der sozialmedizinisch/rehabilitationsberatenden Intervention

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Trauma und Berufskrankheit · Supplement 2 · 2000 S263

BGSW-Verfahren durch ihr Verletzungs-bild mit keinen, ihren bisherigen Ar-beitsplatz beeinträchtigenden Proble-men behaftet. 15 Betroffenen, entspre-chend 39%, wurde empfohlen, berufs-helfende und umschulende Maßnahmenaufzunehmen. Sämtliche Einfachtrau-matisierte ließen mittel- und langfristigkeine Arbeitsplatzproblematik erken-nen, bei 6% (entsprechend 5 Patienten)wurde bereits mit der Entlassung ausdem BGSW-Verfahren ein Termin zurWiederaufnahme der Arbeit vorgeschla-gen.

Diskussion

Überwiegten nach der Zulassung zumBGSW-Verfahren anfangs die einfachTraumatisierten, so ist in den letztenJahren eine Verschiebung zugunsten derPolytraumatisierten mit und ohne ZNS-Beteiligung eingetreten. Dies führte zueinem wesentlich höheren therapeuti-schen und rehabilitationspflegespezifi-schen Personaleinsatz. Damit erfüllt einTeil des Klientels nicht mehr die an dasAHB-Verfahren geknüpften Bedingun-gen, nämlich in der Lage zu sein, ohnefremde Hilfe zu essen, sich zu waschen,sich anzuziehen, sich auf Stationsebenezu bewegen. Trotzdem oder gerade des-halb ist dieses Klientel eine besondereHerausforderung für alle in die medizi-nische Rehabilitation Eingebundenen.Aufgrund der Verletzungsschwere undden daraus resultierenden, speziellenAnforderungen an die medizinische Re-habilitation drängt sich die Frage nachder abgestuften Einteilung der Verlet-zungsschwere des BGSW-Klientels (Ta-belle 2), ähnlich dem Phasenmodell inder neurologischen Rehabilitation, auf.

Durch diese Voreinteilung bei derAnmeldung und Zuweisung der einzel-nen Patienten wäre ein noch effektivererEinsatz von Therapiepersonal und The-rapiemitteln möglich. Dies würde letzt-endlich zur weiteren Verdichtung dertherapeutischen Maßnahmen am be-troffenen Patienten beitragen, was wie-

derum eine Verkürzung der stationärenBehandlungsbedürftigkeit der Betroffe-nen zur Folge hätte.

Auf einen weiteren Umstand sollkritisch hingewiesen werden: Geradewährend der berufsgenossenschaftlich-stationären Weiterbehandlung sind dieFragen zur beruflichen Wiedereinglie-derung des Unfallverletzten von zentra-lem Interesse. Auch wenn vom Unfall-verletzten selbst viele Detailinformatio-nen zum Arbeitsplatz beigebracht wer-den können, bleiben dem Rehabilitati-onsmediziner spezielle ergonomischeAnforderungen dennoch oftmals ver-borgen. Gerade diese speziellen Anfor-derungen können später, nach Ab-schluss des BGSW-Verfahrens, die be-rufliche Wiedereingliederung des Be-troffenen verzögern. Da es im Interesseder Träger der gesetzlichen Unfallversi-cherung, aber letztlich auch aller übri-gen, an der medizinischen Rehabilitati-on Beteiligten, liegt, den Unfallverletz-ten schnellstmöglich und mit den ge-ringsten Einbußen an seinen Arbeits-platz zurückzuführen, wären die Ent-wicklung und der Einsatz eines speziel-len Erhebungsbogens zur Erfassung undBeschreibung der arbeitsplatzspezifi-schen, ergonomischen Besonderheiten(ASEB) von besonderem Nutzen. DieserBogen könnte im Betrieb zusammen mitdem arbeitsmedizinischen Dienst, demBerufshelfer des jeweiligen Unfallversi-cherungsträgers und dem zuständigenBetriebstechniker (Betriebsmeister) er-stellt werden. Er sollte dann der sta-tionären Rehabilitationseinrichtung mit

den Unterlagen zum BGSW-Verfahrenzugeleitet werden.Anhand dieser Krite-rien könnte auf diejenigen funktionel-len Defizite, die eine Beeinträchtigungder arbeitsplatzspezifischen Bedingun-gen zur Folge haben könnten, noch ge-zielter eingegangen werden.

Abschließend ist festzuhalten: DasBGSW-Verfahren hat sich zweifelsohnefür alle Beteiligten, Träger der Unfall-versicherung, aber auch Ausführendeund Betroffene selbst bewährt. Es zeigtaber in seinem Abwicklungsverfahrengewisse Informationslücken auf, die sichdurch die Einführung von entsprechen-den Einteilungskriterien der Verlet-zungsschwere, aber auch Erhebungsin-strumenten für die speziellen ergono-mischen Anforderungen des Arbeits-platzes beseitigen ließen.

Da die Rehabilitation in sich ein dy-namischer Prozess ist, sollte diese Dy-namik nicht vor dem BGSW-Verfahren,seiner Weiterentwicklung und Verbesse-rung Halt machen.

Literatur1. Gesetzliche Unfallversicherung (1999) Gesetz-

liche Unfallversicherung – Sozialgesetz-buch VII (1996, BGBl im Sinne 1254). In:Aichberger F (Hrsg) Sozialgesetzbuch,Textsammlung. Beck, München, S 20–23

2. Schmitt KH (1990) Berufsgenossenschaftli-che stationäre Weiterbehandlung (BGSW)– eine neue Heilverfahrensart in der ge-setzlichen Unfallversicherung. BG 10:1–7

Tabelle 2Beispiel zur Einteilung der Verletzungsschwere vor der Einweisung

Schweregrad Definition

I Fußgänger mit und ohne Gehhilfen, Gehapparaten, ohne ZNS-Beteiligung

II Nichtfußgänger mit knöchernen Verletzungen, mehrfach an den Gliedmaßen, derWirbelsäule oder des Beckens und/oder anderer Körperhöhlen ohne ZNS-Beteiligung

III Immobilisierte nach Polytrauma und protrahierter ZNS-Beteiligung