Aktuelles zu Rückstellungen - Joachim Hennrichs · Rückstellungen für Jahresabschlusskosten...

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70. Düsseldorfer Steuerfachtagung 25. Februar 2019 Aktuelles zu Rückstellungen Prof. Dr. Joachim Hennrichs Direktor des Instituts für Gesellschaftsrecht und Inhaber des Lehrstuhls für Bürgerliches Recht, Bilanz- und Steuerrecht der Universität zu Köln

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70. Düsseldorfer Steuerfachtagung25. Februar 2019

Aktuelles zu RückstellungenProf. Dr. Joachim Hennrichs

Direktor des Instituts für Gesellschaftsrecht und Inhaber des Lehrstuhlsfür Bürgerliches Recht, Bilanz- und Steuerrecht der Universität zu Köln

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Übersicht

• Grundlagen

• Ungewisse (Außen-)Verbindlichkeit (gegenüber Dritten)

• Insbes.: Rückstellungen für künftige Verbindlichkeiten (die in der Vergangenheit wirtschaftlich verursacht sind)

• Wahrscheinlichkeit der Inanspruchnahme

• Bewertung und Maßgeblichkeitsgrundsatz

• Ausblick: BFH vs. IDW-HFA?

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Steuer-bilanzGoB

Maßgeblichkeitsgrundsatz

(materielle) Maßgeblichkeit

(§ 5 I 1 EStG)

umgekehrte Maßgeblichkeit (§ 5 I 2 EStG)

Prof. Dr. J. Hennrichs

GoB = • geschriebene handelsbilanzrechtliche Vorschriften (z.B. §§ 246, 247, 249, 252, 255

HGB) → Auslegung nach allg. juristischen Methoden; sowie • ungeschriebene Grundsätze → unbestimmter Rechtsbegriff; „durch Nachdenken“

zu ermitteln (deduktive vs. induktive Methode)• Vorbehalt besonderer steuerrechtlicher Vorschriften (z.B. §§ 4f, 5 Abs. 2a – 4b, Abs.

6 und 7; §§ 6 Abs. 1 Nr. 3a, 6a; 7 EStG)

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§ 249 I 1 HGB / § 5 I 1 EStG –Passivierungsvoraussetzungen• Ungewisse Verbindlichkeit →

• (Außen-)Verbindlichkeit (gegenüber Dritten), die

• Zwar dem Grund und / oder der Höhe nach ungewiss ist, aber am Bilanzstichtag (wahrscheinlich) besteht, oder

• zwar künftig entsteht, aber in der Vergangenheit wirtschaftlich verursacht ist;

• Wahrscheinlichkeit der Inanspruchnahme.

• Keine künftigen AHK.

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Übersicht

• Grundlagen

• Ungewisse (Außen-)Verbindlichkeit (gegenüber Dritten)

• Insbes.: Rückstellungen für künftige Verbindlichkeiten (die in der Vergangenheit wirtschaftlich verursacht sind)

• Wahrscheinlichkeit der Inanspruchnahme

• Bewertung und Maßgeblichkeitsgrundsatz

• Ausblick: BFH vs. IDW-HFA?

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BFH I R 70/15 (BStBl. II 2017, 780): Entsorgungskosten Elektrogeräte• Sachverhalt: Rückstellungen für künftige Entsorgungskosten für

Elektrogeräte (ElektroG) vor Erlass einer Abholungsanordung?

• Einordnung und Problematik: Es geht um eine Rückstellung für öffentlich-rechtliche Verpflichtungen vor Erlass einer Anordnung →Problem: Verbindlichkeit vor Anordnung hinreichend konkret?

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BFH I R 70/15 (BStBl. II 2017, 780): Entsorgungskosten Elektrogeräte• Leitsatz des Gerichts: Rückstellungen für Verpflichtungen, ab dem 13.

August 2005 in Verkehr gebrachte Energiesparlampen zu entsorgen, können erst gebildet werden, wenn sich diese Pflichten durch den Erlass einer Abholanordnung nach § 16 Abs. 5 ElektroG hinreichend konkretisiert haben.

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BFH I R 70/15 (BStBl. II 2017, 780): Entsorgungskosten Elektrogeräte• Tragende Gründe:

• Bei öffentlich-rechtlichen Verbindlichkeiten bedarf es der Konkretisierung in dem Sinne, dass sie inhaltlich hinreichend bestimmt, in zeitlicher Nähe zum Bilanzstichtag zu erfüllen sowie sanktionsbewehrt sind.

• Konkretisiert wird eine öffentlich-rechtliche Pflicht dabei regelmäßig durch einen Rechtsakt (Verwaltungsakt, Verfügung oder Abschluss einer entsprechenden verwaltungsrechtlichen Vereinbarung).

• Auch eine Pflicht, die sich allein aus gesetzlichen Bestimmungen ergibt, kann eine Rückstellung rechtfertigen; dies setzt allerdings einen entsprechend konkreten Gesetzesbefehl voraus.

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BFH I R 70/15 (BStBl. II 2017, 780): Entsorgungskosten Elektrogeräte• Abgrenzung zu BFH I R 53/05, BFH/NV 2007, 1102: dort ging es um

eine Verpflichtung zur kostenlosen Rücknahme von Altbatterien aufgrund einer Selbstverpflichtungserklärung; hier sah der Senat den „faktischen Leistungszwang“ bereits mit Lieferung der Batterien als ausreichend konkretisiert an.

• Kritik an BFH I R 70/15 (vgl. Hommel/Ummenhofer, BB 2017, 2219 (2221)): • Rücknahmeverpflichtung ist im Streitfall unentziehbar. • Auslösendes Moment ist Verkauf des Produkts (wie in BHF I R 53/05).• Dass sich Umfang der Pflicht nur schätzen lässt, liegt in der Natur der

Rückstellungen und kann Passivierung nicht hindern.

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BFH IV R 26/11 (BStBl. II 2014, 886): Rückstellungen für Jahresabschlusskosten• Ausgangssachverhalt: Mittelgroße X-AG → § 316 I HGB: gesetzliche

Prüfungspflicht. Die Gesellschaft passiviert die voraussichtlichen Kosten für die Durchführung der Prüfung des JA des vergangenen Geschäftsjahres.

• Abwandlung 1: Kleine GmbH (oder KG/OHG; kein § 264a HGB) →§ 316 I HGB (-). Aber: Prüfungspflicht ist im Kreditvertrag mit Bank vereinbart.

• Abwandlung 2: Wie Abwandlung 1, aber Prüfungspflicht ist ausschließlich im Gesellschaftsvertrag vorgesehen.

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BFH IV R 26/11 (BStBl. II 2014, 886): Rückstellungen für Jahresabschlusskosten• Rückstellungsbildung für Prüfungskosten des JA (+), bei:

• Gesetzlicher Prüfungspflicht (öffentlich-rechtliche Verpflichtung nach §§ 264a, 316 HGB; §§ 1, 6 I 1 PublG).

• Vertraglicher Verpflichtung gegenüber Bank.

• Dagegen nach BFH v. 5.6.2014, IV R 26/11, BStBl. II 2014, 886 (-), wenn Prüfungspflicht ausschließlich im Gesellschaftsvertrag gründet (arg.: in diesem Fall angeblich lediglich Innenverpflichtung gegenüber den Gesellschaftern).

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BFH IV R 26/11 (BStBl. II 2014, 886): Rückstellungen für Jahresabschlusskosten• Kritik (s. IDW-FN 1/2015, 53; Hennrichs, StuW 2015, 65 ff.; Prinz, DB 2014, 2188)

• Rechtlich bestehende Außenverbindlichkeit der Gesellschaft (arg. gesellschaftsrechtliches Trennungsprinzip; BFH wendet steuerlichen Transparenzgedanken systemwidrig bereits auf Ebene der Gesellschaftsbilanz an).

• Verpflichtung belastet das Gesellschaftsvermögen ebenso wie gesetzliche Prüfungspflicht. Für die Belastungssituation der Gesellschaft macht es keinen Unterschied, auf welchem Rechtsgrund die Prüfungspflicht beruht und wem gegenüber sie besteht.

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Exkurs: sog eigenbetrieblicher Aufwand

• Sog. eigenbetrieblicher Aufwand als rückstellungsbegrenzender Topos?• Dafür: BFH BStBl. II 2001, 570 (keine Rückstellung für Verpflichtung zur

Entsorgung eigenen Abfalls).

• Dagegen: Tiedchen, NZG 2005, 801; inzident wohl auch BFH v. 11.10.2012, I R 66/11, BStBl. II 2013, 676 (Rückstellung für die Verpflichtung zur Aufbewahrung von Geschäftsunterlagen).

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BFH I R 43/15 (BStBl. II 2017, 379): Wartung geleaste Luftfahrzeuge• Sachverhalt (vereinfacht): Kl. war als Leasingnehmerin aufgrund eines

Leasingvertrags verpflichtet, Flugzeuge auf ihre Kosten zu warten. Die Verpflichtung war unabhängig davon zu erfüllen, ob der Flugbetrieb über den Ablauf der Betriebszeit hinaus fortgeführt wurde. Bei Beendigung des Leasingvertrags vor Durchführung der Wartung hatte die LN dem LG den offenen Betrag der sog. Wartungsrücklage-Garantiebeträge zu zahlen. Kl. bildete in ihrer Steuerbilanz mit Rücksicht auf die bereits abgelaufenen Betriebszeiten eine Wartungsrückstellung.

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BFH I R 43/15 (BStBl. II 2017, 379): Wartung geleaste Luftfahrzeuge• Einordnung und Problematik:

• Rückstellungen sind gem. § 249 HGB nicht nur für am Bilanzstichtag (wahrscheinlich) bestehende, sondern unter zusätzlichen Voraussetzungen auch für bestimmte künftige ungewisse Verpflichtungen zu bilden.

• Zusätzliche Voraussetzung in diesen Fällen: wirtschaftliche Verursachung in der Vergangenheit.

• Schuldgrund (ob privat- oder öffentlich-rechtlich) aber gleichgültig.

• Umstr. war, ob Wartungsverpflichtung einen ausreichenden Vergangenheitsbezug hat. BFH v. 19.5.1987, VIII R 327/83 hatte das für die öff.-r. Wartungsverpflichtung verneint. Hier allerdings zusätzliche privatrechtliche Verpflichtung. →

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BFH I R 43/15 (BStBl. II 2017, 379): Wartung geleaste Luftfahrzeuge• Leitsätze des Gerichts:

• 1. Die Wartungsverpflichtung nach § 6 LuftBO ist wirtschaftlich nicht in der Vergangenheit verursacht, weil wesentliches Merkmal der Überholungsverpflichtung das Erreichen der zulässigen Betriebszeit ist, die den typischerweise auftretenden Ermüdungs- und Abnützungserscheinungen des Luftfahrtgeräts Rechnung trägt (Bestätigung des BFH-Urteils v. 19.5.1987, VIII R 327/83, BFHE 150, 140, BStBl. II 1987, 848).

• 2. Die Notwendigkeit der Bildung einer Rückstellung kann sich aus einer privatrechtlichen Verpflichtung auf Zahlung von Wartungsrücklagen-Garantiebeträgen ergeben, wenn bei Beendigung des Vertrages kein Anspruch auf Rückerstattung der Beträge besteht und der Steuerpflichtige deshalb stets mit den vereinbarten Beträgen belastet bleibt.

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BFH I R 43/15 (BStBl. II 2017, 379): Wartung geleaste Luftfahrzeuge• Tragende Gründe:

• Merkmal der Unentziehbarkeit der Verpflichtung! Kl. konnte sich ihrer privatrechtlichen Verpflichtung (anders als der öff.-r. Verpflicht!) nicht einmal durch Einstellung des Flugbetriebs vor Durchführung der nächsten Wartung entziehen, weil auch dann offene Wartungsrücklagen-Garantiebeträge zu zahlen waren.

• Anders geartete Interessenlage ggüb. der öff.-r. Verpflichtung:• Öff. R.: Sicherheit des Flugbetriebs ➔ keine Wartung mehr, wenn Flugbetrieb vorher

eingestellt wird.

• Hier / Leasingvertrag: Ausgleich für Wertabnutzung aufgrund Flugbetriebs der Vergangenheit.

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BFH I R 43/15 (BStBl. II 2017, 379): Wartung geleaste Luftfahrzeuge• Folgerungen:

• Bei sich überlagernden Pflichtenlagen (hier: öff.-r. Wartungsverpflichtung nach § 6 LuftBO einerseits und privatrechtliche Verpflichtung aus Leasingvertrag andererseits) sind Rückstellung wegen aller Pflichtenlagen zu prüfen.

• Merkmal der Unentziehbarkeit als entscheidendes Merkmal zur Prüfung der wirtschaftlichen Verursachung in der Vergangenheit.

Prof. Dr. J. Hennrichs 1818.02.2019

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BFH I R 35/15 (BStBl. II 2017, 768)

• Sachverhalt: Aufwendungen für Anlagen zur Ableitung oder Aufbereitung von Sickerwasser oder Deponiegasen = WG, die zu keinem Ertrag führen („wertlose WG“).

• Einordnung und Problematik: § 5 Abs. 4b S. 1 EStG• Ratio legis: AHK von künftig anzuschaffenden WG sind Aufwendungen erst

der späteren Perioden.

• Gilt als GoB auch für die HB (str.).

• Umstr. war, ob das Ansatzverbot teleologisch zu reduzieren ist, wenn die künftigen WG (wie im Urteilsfall) wertlos sind (so z.B. L. Schmidt/Weber-Grellet, EStG, § 5 Rn. 369; Hommel/Ummenhofer, BB 2017, 2219 (2222 f.)).

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BFH I R 35/15 (BStBl. II 2017, 768)

• Leitsatz des Gerichts: Das Passivierungsverbot des § 5 Abs. 4b Satz 1 EStG erfasst auch in künftigen Wirtschaftsjahren als Anschaffungs-oder Herstellungskosten eines Wirtschaftsgutes zu aktivierende Aufwendungen, die zu keinem Ertrag mehr führen können.

• Tragende Gründe:• Passivierungsverbot gilt nach Wortlaut und Zweck auch für solche WG.

Aufwand erst durch spätere Abschreibungen.

• Auch evtl. TWA auf die fraglichen „wertlosen“ WG gehören in künftige Perioden.

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BFH I R 35/15 (BStBl. II 2017, 768)

• Folgerungen: Rückstellungen sind danach nur zulässig, wenn die künftigen Ausgaben zur Erfüllung der Verpflichtung sofort abziehbare Ausgaben darstellen.

• Abgrenzung: BFH IV R 5/09, BStBl. II 2012, 122: Rückstellungen für Zulassungskosten der Rezeptur eines Pflanzenschutzmittels → HK eines selbst geschaffenen immateriellen WG des AV ist steuerlich sofort abzugsfähig, § 5 Abs. 2 EStG.

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Übersicht

• Grundlagen

• Ungewisse (Außen-)Verbindlichkeit (gegenüber Dritten)

• Insbes.: Rückstellungen für künftige Verbindlichkeiten (die in der Vergangenheit wirtschaftlich verursacht sind)

• Wahrscheinlichkeit der Inanspruchnahme

• Bewertung und Maßgeblichkeitsgrundsatz

• Ausblick: BFH vs. IDW-HFA?

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BFH v. 6.2.2013, I R 8/12 („TA Luft II“)

• Sachverhalt: öffentlich-rechtliche Anpassungsverpflichtung aufgrund behördlicher Anweisung gem. TA Luft; nach VA müssen Altanlagen den festgelegten Emissionswert ab einem bestimmten Zeitpunkt einhalten.

• BFH: Keine Rückstellung vor Ablauf dieses Zeitpunktes (Anschluss an BFH v. 13.12.2007, IV R 85/05 und insoweit Abweichung von BFH v. 27.6.2001, I R 45/97, „TA Luft I“).

• Arg.: • Verpflichtung bestehe vorher nicht (maßg. sog. innere Wirksamkeit des VA); • habe keinen ausreichenden Vergangenheitsbezug, weil die Pflicht der

Erhaltung der künftigen Betriebsbereitschaft dient.

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Zum Merkmal „Wirtschaftliche Verursachung in der Vergangenheit“• „Diese Passivierungsvoraussetzung erfordert, dass die wirtschaftlich

wesentlichen Tatbestandsmerkmale zu den maßgeblichen Bilanzstichtagen erfüllt sind und das Entstehen der Verbindlichkeit nur noch von wirtschaftlich unwesentlichen Tatbestandsmerkmalen abhängt. Maßgebend ist hiernach die wirtschaftliche Wertung des Einzelfalls im Lichte der rechtlichen Struktur des Tatbestands […]. Der rechtliche und wirtschaftliche Bezugspunkt der Verpflichtung muss in der Vergangenheit liegen, so dass die Verbindlichkeit nicht nur an Vergangenes anknüpft, sondern auch Vergangenes abgilt“ (BFH I R 53/15, Rz. 24; st. Rspr. [Hervorhebungen nicht im Original])

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BFH X R 30/15 (BFHE 257, 403): künftige Kammerbeiträge• Sachverhalt: Rückstellungen für Kammerbeiträge eines künftigen

Beitragsjahres?

• Einordnung und Problematik: Es geht wiederum um eine Rückstellung für künftige ungewisse Verpflichtungen (in Abgrenzung zu am Bilanzstichtag wahrscheinlich bestehenden Verpflichtungen) →Problem: wirtschaftliche Verursachung in der Vergangenheit?

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BFH X R 30/15 (BFHE 257, 403): künftige Kammerbeiträge• Leitsätze des Gerichts:

• 1. Eine Rückstellung kann auch für Verpflichtungen aus öffentlichem Recht gebildet werden, wenn die Verpflichtung wirtschaftlich in den bis zum Bilanzstichtag abgelaufenen Wirtschaftsjahren verursacht ist.

• 2. Die Verpflichtung muss nicht nur an Vergangenes anknüpfen, sondern auch Vergangenes abgelten. Das ist der Fall, wenn sie auch dann zu erfüllen ist, wenn der Betrieb zum Ende des Bilanzzeitraums aufgegeben würde.

• 3. Das Going-Concern-Prinzip bezieht sich auf die Bewertung, nicht den Ansatz von Bilanzpositionen.

• 4. Für Kammerbeiträge eines künftigen Beitragsjahres, die sich nach der Höhe des in einem vergangenen Steuerjahr erzielten Gewinns bemessen, kann keine Rückstellung gebildet werden

Prof. Dr. J. Hennrichs 2618.02.2019

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BFH X R 30/15 (BFHE 257, 403): künftige Kammerbeiträge• Tragende Gründe:

• Zwar Bezug zur Vergangenheit (wegen Anknüpfung an die Gewerbeerträge vorangehender Perioden).

• Aber weder rechtliche Entstehung noch wirtschaftliche Verursachung in der Vergangenheit: • Rechtlich entsteht Beitragspflicht erst in dem Jahr, in dem die Kammerzugehörigkeit

besteht.

• Auch keine wirtschaftliche Verursachung in der Vergangenheit. • Kammerzugehörigkeit im Beitragsjahr ist wesentliches Tatbestandsmerkmal, weil Grundlage

der Beitragspflicht.

• Entziehbarkeit, weil Beitragspflicht entfällt, wenn Geschäftsbetrieb vorher eingestellt wird.

Prof. Dr. J. Hennrichs 2718.02.2019

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BFH X R 30/15 (BFHE 257, 403): künftige Kammerbeiträge• Folgerungen:

• Auch in diesem Fall stellt der BFH für die Prüfung der wirtschaftlichen Verursachung in der Vergangenheit auf das Merkmal der Unentziehbarkeitab.

• Testfrage: wäre die fragliche Verpflichtung auch dann zu erfüllen, wenn der Stpfl. seinen Geschäftsbetrieb einstellen (oder insolvent werden) würde? Wenn ja ➔ Unentziehbarkeit (+) und damit wirtschaftliche Verursachung in der Vergangenheit (+). Vgl. dazu auch Pöschke, NZG 2013, 646 (649 f.).

Prof. Dr. J. Hennrichs 2818.02.2019

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BFH I R 11/15: Rückstellungen für Verbindlichkeiten aus Aktienoptionsprogramm• BFH I R 11/15: „Eine AG kann Rückstellungen für Verbindlichkeiten aus einem Aktienoptionsprogramm […]

nicht bilden, wenn die Optionen nur ausgeübt werden können, falls der Verkehrswert der Aktien zum Ausübungszeitpunkt […] 10 % des Ausübungspreises übersteigt und/oder wenn das Ausübungsrecht davon abhängt, dass es in der Zukunft zu einem Verkauf des Unternehmens oder einem Börsengang kommt. Der Grad der Wahrscheinlichkeit des Eintritts eines dieser (zukünftigen) Ereignisse ist in diesem Zusammenhang ohne Bedeutung.“

• IDW, WPH Edition, 15. Aufl., Kap. F Rz. 1290: ratierlicher Aufbau einer Rückstellung über den Erdienungszeitraum (wg. Erfüllungsrückstands).

• IDW, 249. Sitzung des HFA: BFH würdigt die vergangenheitsbezogenen Optionsmerkmale nicht angemessen; Rückstellung wirtschaftlich verursacht, soweit die Arbeitsleistung bis zum Stichtag erbracht worden ist.

Prof. Dr. J. Hennrichs

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BFH I R 53/15 (BStBl II 2018, 702): Nachteilsausgleich bei Altersteilzeit• Sachverhalt: Tarifvertrag zur Regelung der Altersteilzeit sieht

Nachteilsausgleich zugunsten der ArbN wegen der zu erwartenden Rentenkürzung bei vorzeitiger Inanspruchnahme der Rente vor. Für die künftige Abfindungszahlung passiviert der Stpfl. eine Rückstellung.

• BFH: Rückstellung (-)• Verpflichtung entstehe rechtlich erst mit tatsächlicher künftiger

Rentenkürzung.

• Keine ausreichende wirtschaftliche Verursachung in der Vergangenheit; das „wirtschaftlich wesentliche Tatbestandsmerkmal“ sei die künftige Rentenkürzung. (zu Recht krit.: Prinz, WPg 2018, 1152 (1154 f.): mindestens Ansammelrückstellung)

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Übersicht

• Grundlagen

• Ungewisse (Außen-)Verbindlichkeit (gegenüber Dritten)

• Insbes.: Rückstellungen für künftige Verbindlichkeiten (die in der Vergangenheit wirtschaftlich verursacht sind)

• Wahrscheinlichkeit der Inanspruchnahme

• Bewertung und Maßgeblichkeitsgrundsatz

• Ausblick: BFH vs. IDW-HFA?

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Rückstellungen bei Passivprozessen

• Sachverhalt: V ist in den USA auf Schadenersatz i.H.v. 500 Mio. EUR wegen angeblicher Produktfehler verklagt. V bestreitet seine Verantwortlichkeit. Seine Anwälte sind guter Dinge, den Prozess zu gewinnen. Daher wird keine Rückstellung gebildet. Der Abschluss wird uneingeschränkt testiert.

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Rückstellungen bei Passivprozessen

• FG Schleswig-Holstein v. 25.9.2012, 3 K 77/11: • Wird gegen den Steuerpflichtigen gerichtlich ein Anspruch geltend gemacht,

hat der Steuerpflichtige eine Rückstellung zu bilden. Auf die Erfolgsaussichten der Klage kommt es nicht an, es sei denn die Klage ist dem Grunde und/oder der Höhe nach offensichtlich willkürlich oder erkennbar nur zum Schein erhoben worden.

• Die Rückstellung ist grundsätzlich mit dem eingeklagten Betrag zu bewerten.

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Rückstellungen bei Passivprozessen

• BFH v. 16.12.2014 (VIII R 45/12, BB 2015, 1839 ff. m. Anm. Hennrichs)• Bei der Bildung einer Rückstellung für ungewisse Verbindlichkeiten ist

zwischen der Wahrscheinlichkeit des Bestehens der Verbindlichkeit und der Wahrscheinlichkeit der tatsächlichen Inanspruchnahme hieraus zu unterscheiden.

• Der Steuerpflichtige kann nach den Umständen des Einzelfalls nicht verpflichtet sein, eine Rückstellung für eine ungewisse Verbindlichkeit wegen eines gegen ihn geführten Klageverfahrens zu bilden, wenn nach einem von fachkundiger dritter Seite erstellten Gutachten sein Unterliegen im Prozess am Bilanzstichtag nicht überwiegend wahrscheinlich ist.

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Rückstellungen bei Passivprozessen

• Klage belegt zwar Wahrscheinlichkeit der Inanspruchnahme, aber für sich genommen nicht Wahrscheinlichkeit des Bestehens der Verbindlichkeit.

• Sorgfältige Würdigung der Klageaussichten sachgerecht.

• Aber: der Steuerpflichtige darf bei gegen ihn angestrengten Prozessen grundsätzlich von einer hinreichenden Wahrscheinlichkeit des Bestehens der eingeklagten Verbindlichkeit ausgehen. Soll trotz Passivprozess eine Rückstellung unterbleiben, müssen zusätzliche Umstände wie ein einschlägiges Rechtsgutachten eines Experten angeführt werden können.

➔ bei Passivprozessen in dubio pro Rückstellung (!?)

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Rückstellungen bei Passivprozessen

• Erfordert „Neutralität“ stets Gutachten von dritter Seite? • Erforderlich ist Qualität und Objektivität.

• Zur Konkretisierung der Anforderungen Anlehnung an sog. Business JudgmentRule (BT-Drucks. 15/5092, S. 12) und Diskussion zum Vertrauendürfen auf Expertenrat (dazu s. Koch in Hüffer, AktG, § 93 Rn. 45 m.w.N.).

➔ Externes Gutachten nicht zwingend erforderlich, Expertenrat (eigene Rechtsabteilung, prozessbegleitender RA/StB) kann durchaus genügen.

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Rückstellungen bei Passivprozessen

• Urteil des VIII. Senats steht im Spannungsverhältnis zur BFH v. 19.10.2005, XI R 64/04, BB 2006, 543: Danach soll selbst ein erstinstanzliches Urteil gegen einen Steuerpflichtigen in vergleichbarer Sache für eine Rückstellungsbildung nicht stets genügen. Dagegen aber z.B. Hennrichs in MünchKomm. BilanzR, § 249 HGB Rn. 50 m.w.N.

• Beachte noch: Prozessbeendende Maßnahmen, die erst nach dem Stichtag erfolgen (wie Klagerücknahme, Urteil oder der Abschluss eines Vergleichs), wirken wertbegründend!

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Übersicht

• Grundlagen

• Ungewisse (Außen-)Verbindlichkeit (gegenüber Dritten)

• Insbes.: Rückstellungen für künftige Verbindlichkeiten (die in der Vergangenheit wirtschaftlich verursacht sind)

• Wahrscheinlichkeit der Inanspruchnahme

• Bewertung und Maßgeblichkeitsgrundsatz

• Ausblick: BFH vs. IDW-HFA?

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FG Rheinland-Pfalz 1 K 1912/14 (EFG 2017, 693) (Rev. XI R 46/17)• Sachverhalt (vereinfacht): Die Kl. baut Lava ab. Für Verpflichtungen

zur Rekultivierung von Abbaugrundstücken bildet sie in HB und StBRückstellungen. • Der Wertansatz in der HB beträgt rd. 295 T€. Bei dessen Ermittlung wurden

geschätzte Kostensteigerungen bis zum Erfüllungszeitpunkt einbezogen. Der so ermittelte Erfüllungsbetrag wurde mit einem Zinssatz von 4,94% abgezinst.

• Steuerlich erfolgte die Ermittlung ohne künftige Kostensteigerungen. Der ermittelte Verpflichtungsbetrag wurde entsprechend dem BMF-Schreiben BStBl. I 1999, 1127 nicht abgezinst und betrug lt. Steuerbilanz rd. 350 T€.

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FG Rheinland-Pfalz 1 K 1912/14 (EFG 2017, 693) (Rev. XI R 46/17)• Einordnung und Problematik: § 6 Abs. 1 Nr. 3a EStG →

• Abzinsung gem. § 6 Abs. 1 Nr. 3a Buchst. e S. 2 EStG nur bis zum Beginn der Erfüllung. → Da im Streitfall sofort / laufend mit der Erfüllung der Rekultivierung begonnen wird, keine Abzinsung!

• IDW HFA 34 Tz.40; IDW RH HFA 1.009 Tz. 9: Abzinsung bis zum Ende der Erfüllung.

• Im Einzelfall niedrigerer HB-Wertansatz als in StB möglich.

• Problem: Rest-Maßgeblichkeit oder lex specialis-Regelung?

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FG Rheinland-Pfalz 1 K 1912/14 (EFG 2017, 693) (Rev. XI R 46/17)• Leitsatz des Gerichts: Der niedrigere Handelsbilanzwert für eine

Rückstellung bildet gegenüber einem höheren steuerlichen Rückstellungswert die Obergrenze.

• Tragende Gründe: • Wortlaut § 6 Abs. 1 Nr. 3a EStG, Einleitungssatz.

• Verschärfung zulasten der Stpfl. resultiert aus BilMoG, nicht aus Änderung des EStG.

• Ebenso R 6.11 Abs. 3 EStÄR 2012; beiläufig auch BFH v. 11.10.2012, I R 66/11, BStBl. II 2013, 676 (Tz. 14); Wacker, HFR 2013, 489.

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Kritik

• Wortlautargument nicht zwingend.

• Entstehungsgeschichte: StEntlG 1999/2000/2002 spricht für OFD-Auffassung. Aber: (jüngeres) BilMoG geht vor; danach Steuerneutralität gewollt.

• Steuerlich ein detailreiches, eigenes Abzinsungskonzept (lex specialis).

• „Meistbegünstigungsmaßgeblichkeit pro fisco“ ist nicht leistungsfähigkeitsgerecht.

• Lit.: Günkel, StbJb 2012/13, S. 385 (391 f.); Hennrichs in Tipke/Lang, Steuerrecht, 22. Aufl. 2015, § 9 Rn. 288b; Prinz/Hütig, StuB 2012, 798; Prinz, WPg 2017, 1316, (1322 f.); MüKo BilanzR/Schlotter, Anh. zu § 253 HGB Rn. 117; u.a.

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Unterschiede HB vs. StB

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Abzinsungszeitraum AbzinsungsbetragZinssatz

HGB: bis zum Ende der Erfüllung (IDW ERS HFA 34 Tz. 39; IDW RH HFA 1.009 Tz. 9).

EStG: bis zum Zeitpunkt des Beginns der Erfüllung (§ 6 Abs. 1 Nr.3a lit. e Satz 2 EStG).

HGB: durchschnittlicher Marktzinssatz der vergangenen sieben Geschäftsjahre (§ 253 Abs. 2 Satz 1 HGB).

EStG: typisierend 5,5 % (§ 6 Abs.1 Nr. 3a lit. e Satz 1 EStG).

HGB: Berücksichtigung künftiger Preis- und Kostenänderungen (IDW ERS HFA 34 Tz. 24f.).

EStG: keine Berücksichtigung künftiger Preis- und Kostensteigerungen (§ 6 Abs. 1 Nr. 3a lit. f EStG).

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FG Rheinland-Pfalz 1 K 1912/14 (EFG 2017, 693) (Rev. XI R 46/17)• Folgerungen und Ausblick:

• „Zwei-Stufen-Theorie“: 1. Stufe = Bewertung der Rückstellung nach EStG; 2. Stufe = Abgleich mit HB-Wertansatz; ist dieser niedriger, „Rückfall“ auf den niedrigeren HB-Wert.

• IDW-HGB-Auslegung „Abzinsung bis zum Ende der Erfüllung“ sollte überdacht werden. Gründe der Objektivierung und des vorsichtig bemessenen Schuldenausweises sprechen dafür, auch in der HB nur bis zum Beginn der Erfüllung abzuzinsen (Hennrichs, NZG 2017, 618 (621) m.w.N.).

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Übersicht

• Grundlagen

• Ungewisse (Außen-)Verbindlichkeit (gegenüber Dritten)

• Insbes.: Rückstellungen für künftige Verbindlichkeiten (die in der Vergangenheit wirtschaftlich verursacht sind)

• Wahrscheinlichkeit der Inanspruchnahme

• Bewertung und Maßgeblichkeitsgrundsatz

• Ausblick: BFH vs. IDW-HFA?

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BFH vs. HFA?

• Konfliktfälle aus der jüngeren Rspr.:• BFH IV R 26/11 (Kosten der Abschlussprüfung bei ausschließlich im

Gesellschaftsvertrag bestimmter Prüfungspflicht)

• BFH I R 11/15 (Aktienoptionsprogramme)

• BFH I R 53/15 (Nachteilsausgleich bei Altersteilzeit)

• BFH I R 77/08 (Bilanzierung bei Mehrkomponentengeschäften am Beispiel der sog. Handy-Subvention)

• BFH VIII R 25/11 (Gewinnrealisierung bei Abschlagszahlungen)

• BFH IV R 33/13; IV R 56/16 (Zurechnung bei Andienungsrecht des Leasinggebers)

• […]

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Rolle des BFH aus der Sicht des IDW

• IDW PS 201 Tz. 1: Das IDW legt fest, „welche Rechnungslegungs- und Prüfungsgrundsätze bei einer der Berufsauffassung entsprechenden Abschlussprüfung von Wirtschaftsprüfern unbeschadet ihrer Eigenverantwortlichkeit zu beachten sind (…)“.

• Ebda., Tz. 8: „Soweit höchstrichterliche Rechtsprechung […] Bedeutung über den entschiedenen Fall hinaus hat, ist sie bei der Interpretation der Rechnungslegungsnormen zu berücksichtigen. Gleiches gilt für die höchstrichterliche Rechtsprechung von Finanzgerichten, sofern diese Recht zu handelsrechtlichen Fragen sprechen.“

• Ebda., Tz. 13: „Der Abschlussprüfer hat sorgfältig zu prüfen, ob die IDW Stellungsnahmen zur Rechnungslegung in der von ihm durchzuführenden Prüfung zu beachten sind. Eine vertretbare Abweichung von den IDW Stellungsnahmen zur Rechnungslegung im Einzelfall ist schriftlich und an geeigneter Stelle (z.B. im Prüfungsbericht) darzustellen und ausführlich zu begründen, und zwar auch dann, wenn als Grund für die Abweichung eine höchstrichterliche Rechtsprechung angegeben wird.“

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Rolle des BFH für die GoB –Fallgruppenbildung • Auslegung betrifft genuin steuerrechtliche Vorschriften (z.B. §§ 6, 7 EStG) oder bringt besondere

steuerrechtliche Prinzipien zur Geltung (z.B. Art. 3 GG, vgl. BFH GrS 2/99) ➔ keine Relevanz für das Handelsrecht.

• Auslegung betrifft steuerrechtliche Vorschriften, die ein Pendant im HGB haben (z.B. § 5 V 1 EStG und § 250 I, II HGB; § 39 AO und § 246 I 2 HGB) ➔ keine unmittelbare Relevanz für das Handelsrecht, aber wichtige Erkenntnisquelle (erhebliches argumentatives Gewicht).

• Auslegung betrifft maßgebliche handelsrechtliche GoB (z.B. § 5 I 1 EStG i.V.m. § 249 I 1, § 252 I Nr. 4 HGB) ➔Vorfragenkompetenz des BFH (Wüstemann/Wüstemann, FS Krawitz 2010, 751 (755))!

• BFH legt handelsrechtliche GoB aus! Gewicht wie BGH-Entscheidungen.

• Aber: auch insoweit keine Gesetzeskraft und weiterhin kritischer Diskurs möglich. ➔ „a.A. HFA“ methodisch untadelig, aber Begründungslast.

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Kontakt

• Prof. Dr. Joachim HennrichsLehrstuhl für Bürgerliches Recht, Bilanz- und Steuerrecht Universität zu KölnAlbertus-Magnus-Platz50923 Köln

• Telefon: 0221 / 470-5694

[email protected]

• http://www.bilanzrecht.uni-koeln.de/

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