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Jacques de Molay, hingerichtet 1314, war der letzte Großmeister desTemplerordens. Alain Demurger beschreibt das wechselvolle LebenMolays und beleuchtet das feingewobene Interessengeflecht, das dieHandlungen seiner Gegenspieler, des französischen Königs Philippdes Schönen und des Papstes Clemens V., bestimmte. Molay erkann-te zu spät, daß der habgierige König im Zusammenspiel mit demmachthungrigen Papst den Orden wegen seines Reichtums undseines Einflusses zerschlagen wollte. Den Strategien und Winkel-zügen seiner Gegner konnte er nicht mehr wirksam begegnen. Alser, so erzählt es die Legende, auf dem Scheiterhaufen König undPapst verfluchte, war der Untergang des Ordens längst besiegelt.Doch während seine Gegner innerhalb nur eines Jahres starben undin Vergessenheit gerieten, blieb die Geschichte des letzten Templersbis heute lebendig.

Alain Demurger, geboren 1939, lehrte an der Universität von Parisbis zu seiner Emeritierung 2001 Mittelalterliche Geschichte. Vonseinen Veröffentlichungen erschienen in deutscher Übersetzungu. a.: ‹Die Templer› (1991); ‹Die Ritter des Herrn. Geschichte dergeistlichen Ritterorden› (2003.)

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Alain Demurger

Der letzteTempler

Leben und Sterben desGroßmeisters Jacques de Molay

Aus dem Französischenvon Holger Fock und Sabine Müller

Deutscher Taschenbuch Verlag

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Juli 20072. Auflage Februar 2008

Deutscher Taschenbuch Verlag GmbH Co. KG,Münchenwww.dtv.de

© Éditions Payot & Rivages, Paris 2002Titel der französischen Originalausgabe: ‹Jacques de Molay.

Le crépuscule des templiers›© der deutschen Ausgabe: Verlag C.H. Beck oHG, München 2004

Das Werk ist urheberrechtlich geschützt. Sämtliche, auchauszugsweise Verwertungen bleiben vorbehalten.

Umschlagkonzept: Balk & BrumshagenUmschlagbild: ›Jacques Molay dans l’ordre du Temple en 1265‹ (1775–1849)

von François Granet (Musée Calvet, Avignon)Satz: Fotosatz Janß, Pfungstadt

Druck und Bindung: Druckerei C.H. Beck, NördlingenGedruckt auf säurefreiem, chlorfrei gebleichtem Papier

Printed in Germany · isbn 978-3-423-34420-3

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«Quar nous navons volu ne volons le Temple mettre enacune servitute se non tant come il hy affiert.»

«Denn wir wollten und wollen den Templerorden keineranderen als der vereinbarten Dienstbarkeit unterstellen.»

Poitiers, den 10. September 1307.Brief von Jacques de Molay an Exemen de Lenda

zu dessen Ernennung zum Meister der Provinz Aragón.

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INHALT

InhaltInhalt

VORWORT 13

1. DER JUNGE JACQUES DE MOLAY 19Wo und wann wurde er geboren? 19Die Welt zur Zeit des jungen Jacques de Molay 25Ludwig IX. und das Heilige Land 29Der Kreuzzug Ludwigs IX. 32Ludwig IX. als Beschützer des Heiligen Lands 35Ludwig IX. und die Templer 38

2. JACQUES DE MOLAY ALS EINFACHERTEMPELRITTER 44Der Templerorden um 1265 44Eintritt in den Orden 48Der Weg ins Heilige Land 53Das Heilige Land und die Konfrontation mit Baibars 56

3. THOMAS BÉRARD UND GUILLAUME DEBEAUJEU. ZWEI GROSSMEISTER MITUNTERSCHIEDLICHER POLITIK? 62Der Reformer Thomas Bérard 62Der kühne Guillaume de Beaujeu 64Der Mann der Angeviner 69Für die Unabhängigkeit des Templerordens 71Das Bündnis mit den Mameluken 73Eine Schaukelpolitik 79Jacques de Molay unter den Großmeistern Bérardund Beaujeu 83

4. GROSSMEISTER DES TEMPLERORDENS 87Von Akkon nach Zypern 87Thibaud Gaudin und die Verlegung des Ordensnach Zypern 95

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Die Wahl Jacques de Molays 100Otton de Grandson und das Beziehungsgeflechtder Freigrafschaft Burgund 109

5. DIE REISE IN DEN OKZIDENT 113Die Amtsübernahme 113Die Verteidigung von Zypern und Armenien 115Verlauf und Reiseroute 120Sinn und Zweck der Reise in den Okzident 126

6. DIE TEMPLER AUF RUAD 141Ein Feldzug in Armenien? 141Das Bündnis mit den Mongolen 146Die Templer auf Ruad 153

7. ZYPERN 161Jacques de Molay und Heinrich II. von Zypern 161Der Templerorden auf Zypern zur ZeitJacques de Molays 167Das Netz der Templer 171Pilger und andere Besucher oder der gastfreundlicheOrden 176Die ‹Regierung› des Ordens: Trägt sie die HandschriftJacques de Molays? 179Die Ernennung Exemen de Lendas zum Meistervon Aragón (8. bis 11. September 1307) 187Das Prinzip der Ordensautonomie 191

8. PLÄNE UND PROBLEME 196Was für ein Kreuzzug, mit welchem Ziel? 197Die Vereinigung der Orden 203Ausarbeitung und Anhörung 208

9. IN DEN NETZEN DES KÖNIGS VONFRANKREICH 214Gerüchte 215Jacques de Molay und Philipp der Schöne 220Die Schatzmeister-Affäre 223Jacques de Molay und Hugues de Pairaud 230Die Entscheidung des Königs 235

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10. IN DER FALLE 239Der Prozeßverlauf 239Jacques de Molay im Verhör 247Molays Verteidigungsstrategie 257

11. AUF DEM SCHEITERHAUFEN 265Vier Jahre Stillschweigen 265Ein Urteil ohne Verfahren 267Auf dem Scheiterhaufen 269Legendenbildung 274Der Fluch 275Ein Held des 19. Jahrhunderts 277

SCHLUSS. JACQUES DE MOLAY IM PORTRÄT 282Lebensgeschichte 282Porträt 288Die persönliche Verantwortung Jacques de Molays 295

ANHANG 303Corpus der Briefe von Jacques de Molay 305Jacques de Molay und die Templer in De casibusvirorum illustrium libri novem von GiovanniBoccaccio (1363–1364) 314Die Päpste 1227–1334 318Stammbäume 319Zeittafel 324Abkürzungen und Siglen 331Anmerkungen 333Bibliographie 366Personenindex 379Ortsindex 387

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Der Mittelmeerraum zu Zeiten des Kreuzzugs Ludwigs des Heiligen(1248–1254)

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VORWORT

Was wissen wir über Jacques de Molay, den letzten Großmeister derTempler, den dreiundzwanzigsten, seit Hugues de Payns den Orden1120 gegründet hat? Eigentlich nicht sehr viel, und über zwei Drittelseines Lebens ist so gut wie nichts bekannt. VorwortVorwort

Der Templerorden war der erste geistliche Ritterorden des abend-ländischen Christentums. Wer in diesen Orden eintrat, mußte einGelübde ablegen und lebte fortan nach einer Ordensregel, die Got-tesdienst und Stundengebete umfaßte. Doch anders als in den Bene-diktiner- oder Zisterzienserklöstern widmeten sich die Ordensbrüdernicht der Meditation und der Caritas, sondern sahen ihr opus Dei inder Übernahme militärischer Aufgaben im Dienste der Kirche. DieBezeichnung «Ritter Christi» (miles Christi), die eine lange Vorge-schichte hatte, verschmolz schließlich ganz und gar mit dieser neuentstandenen Form der geistlichen Ritterschaft.

Der Templerorden war im Rahmen der Kreuzzüge gegründetworden. Er entstand aus der Notwendigkeit, die Kreuzfahrer aufihrer Pilgerfahrt in das von den Ungläubigen, wie man die Muslimedamals nannte, befreite Jerusalem zu schützen und die während desersten Kreuzzugs 1098–1099 im Orient gegründeten lateinischenStaaten zu verteidigen. Diese Aufgaben dienten zur Rechtfertigung,einen neuen Ordenstypus einzurichten.

Das Haupthaus des jungen Ordens lag ursprünglich in den Ge-bäudekomplexen der al-Aqsa-Moschee auf dem Berg Moria, demheutigen Tempelberg, was dem Orden seinen Namen gab: «Die ar-men Kampfgefährten Christi und des salomonischen Tempels» (pau-peres commilitones Christi Templique Salomonici). Aufgrund zahl-reicher Schenkungen im Orient und im Okzident überzog er diechristliche Welt bald mit einem Netz von Komtureien, die zu Bal-leien und wiederum zu Provinzen (Ordensprovinzen) zusammenge-faßt waren. Sie alle unterstanden einem Meister und einer Gruppevon Würdenträgern, die den Orden anfänglich von Jerusalem aus

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leiteten, bevor der Sitz des Großmeisters nach dem Fall Jerusalemsim 13. Jahrhundert nach Akkon verlegt wurde. Der Templerordenwurde zum Vorbild für andere Ordensgemeinschaften sowohl imOrient (Hospitaliter, Deutscher Orden), wie in Spanien (Calatrava,Santiago etc.) und in den baltischen Ländern, wo der Deutsche Or-den kleinen Orden der «Schwertbrüder» und den «Orden von Do-brin» ablöste.

Jacques de Molay wurde zwischen 1245 und 1250 geboren undtrat 1265 in den Templerorden ein, dessen Großmeister er 1292 wur-de. Im Vorjahr waren die Franken oder Lateiner endgültig aus demHeiligen Land vertrieben worden, Akkon und die letzten Festungender Kreuzritter waren in die Hände der Mameluken-Sultane vonÄgypten und Syrien gefallen. Der Großmeister Jacques de Molayversah sein Amt auf Zypern bis zu jenem folgenschweren Tag, andem er zu einer Unterredung mit dem Papst nach Frankreich auf-brach. Dort fielen er und seine Ordensbrüder dem französischenKönig Philipp dem Schönen zum Opfer, der 1307 alle Templer fest-nehmen ließ. 1312 wurde der Orden verboten, Jacques de Molayschließlich am 18. März 1314 auf dem Scheiterhaufen verbrannt.

Man weiß also wenig über Jacques de Molay. Dennoch verfügenwir über Dokumente, die ihn erwähnen, und wenngleich diese Hin-weise häufig unspektakulär, beiläufig, ungenau und indirekt sind, er-möglichen sie es uns doch, in kleinen Pinselstrichen seine Biographiezu zeichnen, ohne allzu summarisch zu sein. Für die Zeit, in der erdie Geschicke der Templer lenkte, lassen sich die Grundzüge seinerAmtsführung herausarbeiten, und man muß weder das Quellenstu-dium noch die Wahrheit strapazieren, um in der Politik und in derFührung des Templerordens in den letzten zwanzig Jahren seinesBestehens die Handschrift des Großmeisters Jacques de Molay zu er-kennen.

Vor allem die zeitgenössischen Chroniken liefern ein Bild von denEreignissen, in die der Templerorden und seine Würdenträger ver-wickelt waren. Die Chronik des Templers von Tyrus (Chronique duTemplier de Tyr), der selbst kein Ordensmitglied, aber Sekretär desGroßmeisters Guillaume de Beaujeu war, stellt eine Hauptquelle zudieser Epoche dar. Sie wurde später von Francesco Amadi (Chroni-ques d’Amadi et de Strambaldi) und Florio Bustron (Chronique del’île de Chypre) fortgeführt und um einige Einzelheiten erweitert.

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Darüber hinaus geben die abendländischen Chroniken wie die vonGuillaume de Nangis (Chronique latine de Guillaume de Nangis)und ihre französischen Fortsetzungen, die Chroniken der italieni-schen Städte sowie die Chronik von Giovanni Villani (Cronica), aberauch die Chroniken englischer und fränkischer Klöster wertvolleHinweise.

Diese Quellen werden durch Briefe ergänzt. In den Archiven desKönigreichs Aragón in Barcelona finden sich zahlreiche unveröf-fentlichte Briefe, die jedoch einer sorgfältigen Prüfung bedürfen, dasie häufig nur als Abschrift vorliegen. Unter diesen Dokumenten be-finden sich auch Briefe von Jacques de Molay. Es handelt sich umzwei Denkschriften, die der Großmeister für Papst Clemens V. ver-faßt hat, von denen sich die eine mit dem Kreuzzug, die andere mitden Plänen zur Verschmelzung des Templerordens mit dem Ordender Hospitaliter auseinandersetzt, sowie um ein kleines Konvolutvon Briefen auf Latein und Französisch, das ich im Anhang zu einemprovisorischen Textcorpus zusammengestellt habe. Die Antwortenauf diese Briefe sind verloren, doch zumindest besitzen wir einigeBriefe, die an Jacques de Molay gerichtet waren und die unser Bildabrunden. Da sie zum Teil ins Persönliche gehen, stellen sie für unswertvolle Dokumente bei der Annäherung an die Persönlichkeit desGroßmeisters dar. Die päpstlichen Archive, zugänglich über die Re-gister der Papstbriefe, die unter Führung der École française vonRom erstellt wurden, enthalten ebenfalls zahlreiche Hinweise, dieman nach einem Vergleich mit den Originalhandschriften zu denQuellen hinzufügen muß.

Und schließlich sind da noch die Verhörprotokolle aus dem Prozeßgegen die Templer: in erster Linie die Aussagen Jacques de Molays(insgesamt fünf Protokolle) sowie alle anderen, in denen er genanntund manchmal beschuldigt wird. Sie stellen eine grundlegendeQuelle dar, auch wenn es schwer ist, sie richtig einzuschätzen. Stel-len Sie sich vor, man würde die Geschichte nur anhand von Polizei-berichten, gerichtlichen Untersuchungen oder Gedächtnisprotokol-len schreiben. Genau das ist die Aktenlage im Prozeß gegen dieTempler. Eine politisch-polizeiliche Maschinerie ist am Werk: Wollteman sich auf Guillaume de Nogaret verlassen, könnte man sichebenso gut auf den Chefankläger der Stalinprozesse, Wyschinskij,oder Senator McCarthy verlassen. Diese Verhöre wurden zuerst von

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Folterknechten, dann von Inquisitoren geführt, für die es nur Schul-dige gab. Außerdem entstammen die Zeugnisse all derer, die manverhört hatte, größtenteils der Erinnerung: Wieviele Ereignisse sindschon im Gedächtnis verfälscht, falsch situiert, falsch datiert wor-den? Gewiß liegt ihnen ein wahrer Kern zugrunde, aber wie stoßenwir auf den Kern, wie erkennen wir die Wahrheit? Wie tief müssenwir schürfen?

Alle Historiker, die sich mit der Geschichte der Templer und demtragischen Ende des Ordens befaßt haben, mußten sich mit diesemProblem auseinandersetzen. Doch sie haben (wie auch ich bisher)eine schematische Lösung verfolgt: Waren die Templer nun schuldigoder nicht? Im ersten Fall lieferten die Prozeßunterlagen ein zuver-lässiges Zeugnis, anderenfalls nicht. Gegenwärtig schlagen die Hi-storiker einen neuen Weg ein. Sie konzentrieren sich auf die Texteund suchen nach den zahlreichen Widersprüchen, Unzulänglichkei-ten und Irrtümern in ihnen, aber auch nach dem Körnchen Wahr-heit, das sie enthalten. Die Prozeßakten werden zerpflückt, um dieInteressenlagen und unterschiedlichen Zielrichtungen aller Beteilig-ten zum Vorschein zu bringen: Der Papst und die päpstlichen Kom-missare gingen der Frage nach den Verfehlungen der Templer andersnach als die königlichen Gerichte und ihre Verbündeten von der In-quisition. Sie hatten nicht das gleiche Ziel: Erstere wollten die Miß-stände im Orden beseitigen, letztere einen häretischen, gottesläster-lichen, unmoralischen, nutzlosen und sonstwie gescholtenen Ordenauslöschen.

Und die verhörten Templer wollten natürlich ihre Haut retten!Unter diesen Umständen wäre es naiv, wollte man sich blind auf

ihre Zeugnisse verlassen. Trotzdem liegen diese Aussagen vor!Die Lektüre des 2001 erschienenen Buchs von Barbara Frale,

L’ultima battaglia dei Templari, von dem ich während meiner Arbeitan dieser Biographie Kenntnis erhielt, hat mich schließlich dazu be-wogen, alle Dokumente mit einzubeziehen, die «zweifelhaft» sind,weil sie auf der Erinnerung – auch auf der Erinnerung unter derFolter –, auf dem Hören-Sagen, dem Gerücht und dem Zeugnis der-jenigen beruhen, die jemanden kannten, der jemanden kannte, derangeblich etwas wußte … Warum sollte man die Berichte der zahl-reichen «Beobachter» (wenn wir diese teilweise oder gänzlich an-onymen Botschafter, Gelegenheitsinformanten und Berichterstatter

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aus Paris und Poitiers einmal so nennen wollen) verwerfen, die mitdem König von Aragón, den Templern oder anderen Kirchenmän-nern seines Reichs Briefe wechselten, in denen sich Hinweise finden,die – wie könnte es auch anders sein – durch keine anderen Quellenbelegt werden, wenn man das ebenso fragwürdige, weil einzigeZeugnis eines Templers aus dem Prozeß für bare Münze nimmt?

Ich plädiere dafür, sie ‹einzubeziehen›, was nicht bedeutet, sie ‹fürbare Münze zu nehmen›, denn während des Abwägens, ob ein Zeug-nis brauchbar oder nutzlos ist, wird es zumindest überprüft. DerLeser versteht nun hoffentlich, warum ich bisweilen weiter aus-holen mußte, um zu einer Entscheidung zu gelangen. Schlimmsten-falls habe ich manchmal vielleicht die falsche Entscheidung ge-troffen.

Jacques de Molay hat mir die Aufgabe nicht gerade erleichtert. Ichbin ihm dankbar für die wenigen erhaltenen Briefe, die fast alle inBarcelona aufbewahrt werden und die eine ganz andere Persönlich-keit zeigen als den schwachen Mann, für den man ihn gewöhnlichhält. Doch nach seinen ersten und sehr knappen Aussagen zu Beginndes Prozesses hat er im weiteren Verlauf lieber geschwiegen. Wennman die Verhöre der Templer vor den päpstlichen Kommissionenzwischen 1310 und 1311 liest, fragt man sich unwillkürlich – auchwenn man die Verhöre nicht wörtlich nehmen darf –, warum Jacquesde Molay uns nicht mehr über seinen Orden und sich selbst mittei-len wollte. Natürlich hätte er sich gut überlegen müssen, was er be-richtet, doch umso bedauerlicher ist es, daß er sich für die falscheVerteidigungsstrategie entschieden hat.

Eine der größten Schwierigkeiten beim Verfassen dieser Biographiewar die zeitliche Abfolge der Ereignisse. Auf die Gefahr hin, langatmigzu werden, mußte ich manche Fragen sehr ausführlich erörtern, umdie Ereignisse dingfest zu machen und richtig zu datieren. Es ist mirnicht immer gelungen. Die meisten Briefe von Jacques de Molay sinddurch keine Jahreszahl gekennzeichnet. Dasselbe gilt für viele Brief-wechsel unter den Templern oder zwischen Templern und ihren Brief-partnern aus dem Königreich Aragón. In den meisten Fällen erlaubtder Kontext eine annehmbare Datierung, häufig jedoch landeten mei-ne Überlegungen im Papierkorb, nachdem für die Dokumente, auf de-nen sie beruhten, eine Neudatierung vorgenommen werden mußte.Den Demagogen einer undatierten Geschichtsschreibung (ihr Ge-

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dächtnis wird sich bald als sehr kurz erweisen!) sei gesagt: Ohne si-chere Datierung ist die Geschichtsschreibung auf Sand gebaut.

Ohne Studenten und Lehrer, ohne Kollegen und Kolloquien, ohneArbeitstreffen und Gedankenaustausch wäre dieses Buch noch un-vollkommener als es ohnehin ist. Ich bedanke mich an dieser Stelleherzlich bei allen, die mich mit ihren Anregungen, ihren Informatio-nen und ihrer Suche in den Archiven unterstützt haben und soliebenswürdig waren, mir ihr Wissen mitzuteilen: Pierre-VincentClaverie und Damien Carraz, Claude Mutafian in Frankreich, Frédé-rique Lachaud, Helen Nicholson in Großbritannien, Simonetta Cer-rini, Barbara Frale, Dominique Valerian, Yves Le Pogam in Rom,Philippe Josserand in Madrid sowie Alan John Forey, dessen Werküber die Templer des Königreichs Aragón mir äußerst hilfreich warund der zahllose Hinweise aus den Archiven von Barcelona beisteu-erte, in denen er sich auskennt wie in seiner Westentasche. Außer-dem danke ich meinen Freunden Joan und Carmen Fuguet, die mirzwei Forschungsaufenthalte in Barcelona ermöglichten und den Zu-gang zum Archiv des Königreichs Aragón erleichterten. Und ichdanke dem Archivar wie auch den Angestellten und den Lesern desArchivs, die mich immer freundlich empfangen und unterstützt ha-ben, besonders Françoise Bériac, die diesen oder jenen verschwom-menen, löchrigen, fleckigen, kurz gesagt: unleserlichen, aber überauswertvollen Brief von Jacques de Molay oder einem anderen für michentziffert hat.

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1 DER JUNGE JACQUES DE MOLAY1250

Wo und wann wurde er geboren?

Während seines Verhörs am 24. Oktober 1307 in Paris sagte Jacquesde Molay gegenüber den Anklägern aus, er sei 42 Jahre zuvor inBeaune durch Ritter Humbert de Pairaud in den Orden aufgenom-men worden.1 Im Gegensatz zu den meisten der 138 Templer, die vonOktober bis November 1307 in Paris verhört wurden, ist das Alterdes Großmeisters im Vernehmungsprotokoll nicht genannt. Zur Be-stimmung seines Geburtsjahrs müssen wir uns deshalb auf dieseeinzige bezifferte Altersangabe stützen. Wenn er 1307 seit 42 JahrenTempler war, muß die Aufnahme in den Orden 1265 stattgefundenhaben. Ein erster sicherer Anhaltspunkt? Ein Jahr später bei seinerVernehmung durch die päpstlichen Gesandten in Chinon sagte er er-neut aus, dem Orden 42 Jahre zuvor beigetreten zu sein. Demnachwar es 1266. Oder hatte er vielleicht nur seine frühere Aussage me-chanisch wiederholt?2 1. Der junge Jacques de Molay. 1250Wo und wann wurde er geboren?

Im Prinzip konnte man diesem Orden erst als Erwachsener beitre-ten:

«Obwohl es den Klöstern nach der Regel der Heiligen Väter [der Regel desHeiligen Benedikt] gestattet ist, Kinder aufzunehmen, empfehlen wir nicht,dergestalt zu verfahren […]. Wer nämlich sein Kind für immer dem ritter-lichen Orden geben möchte, muß es solange ernähren, bis es das Alter erreichthat, um mit kräftiger Hand die Waffen zu führen und die Feinde Jesu Christiaus dem Leben zu stoßen […], und außerdem ist es besser, das Gelübde nichtim Kindesalter, sondern als Erwachsener abzulegen […]».3

Molay war zwar adlig und von den Templern als Ritter aufgenom-men worden, aber er mußte noch nicht unbedingt zum Ritter ge-schlagen worden sein. Normalerweise geschah dies im Alter von20 Jahren. Vorausgesetzt, Molay wurde in diesem Alter der Ritter-schlag erteilt, könnte man sein Geburtsjahr auf 1245 oder 1244

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legen.4 Aber einige der 1307 verhörten Templer waren dem Ordenmit 16 oder 17 Jahren beigetreten; einer von ihnen, Guy Dauphin,Sohn des Grafen Robert II. von Clermont und Erbprinz der Auverg-ne, war sogar erst 11 und mit Sicherheit noch nicht zum Ritter ge-schlagen.5 Betrachten wir die 138 in Paris verhörten Templer: Bei123 von ihnen ist das Alter angegeben, und lediglich bei zwei vonihnen haben wir keine Angaben zum Datum ihres Eintritts in denOrden; alle anderen hielten sich an die Worte Jacques de Molays(«ich bin vor soundsoviel Jahren aufgenommen worden …»). ImDurchschnitt hatten die Templer 1307 ein Alter von 41 Jahren und8 Monaten und waren mit 27 Jahren und 9 Monaten zum Orden ge-stoßen. 28 von ihnen waren bereits mit 20 Jahren Ordensmitglieder(darunter gab es 12, die zwischen 11 und 16 Jahren eingetreten wa-ren), und 25 wurden es zwischen ihrem zwanzigsten und fünfund-zwanzigsten Geburtstag.6 Von den vier anderen Würdenträgern derTempler, die mit Molay in Chinon verhört wurden, gaben zwei ihrEintrittsalter an: Raimbaud de Caron sagte aus, er sei vor 43 Jahren(1265?) mit 17 «zum Ritter geschlagen und in den Orden der Temp-ler aufgenommen» worden7, und Geoffroy de Charney war zumZeitpunkt seines Beitritts 40 Jahre zuvor (1268?)8 ebenfalls 17 Jahrealt und bereits Ritter gewesen. Gesetzt den Fall, Jacques de Molaywäre ebenfalls 16 oder 17 gewesen, dann müßte er um 1248/49 oder1249/50 geboren worden sein.9 Diese Vermutung wird von einemanderen Hinweis gestützt: 1309 bezeichnete sich Jacques de Molay ineinem weiteren Verhör, bei dem er über die Zeit sprach, in der Guil-laume de Beaujeu Ordensmeister war (ab 1273), als Angehörigereiner Gruppe «junger Ritter». Bleibt anzumerken, daß die Jugendnach Auffassung der damaligen Epoche einen ziemlich langen Zeit-raum umfassen konnte.10

Das Geburtsjahr läßt sich also nicht eindeutig bestimmen. Wir be-schränken uns auf eine ungefähre Schätzung. Demnach wurdeJacques de Molay im fünften Jahrzehnt des 13. Jahrhunderts in derZeitspanne von 1244/45 bis 1248/49 geboren.

Seine frühe Kindheit fällt folglich in die Zeit des ersten Kreuzzugsvon Ludwig IX., den der König 1244 verkündet, von 1245 bis 1248vorbereitet und von 1248 bis 1250 geführt hatte. Im Anschluß daranwar er noch bis 1254 im Heiligen Land geblieben. Jacques de MolaysKindheit kann von diesem Kreuzzug geprägt worden sein, der König

1. Der junge Jacques de Molay. 125020