Algebra || Transzendente Körpererweiterungen

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23 Transzendente Körpererweiterungen * Übersicht 23.1 Transzendenzbasen ................................................. 265 23.2 Der Transzendenzgrad .............................................. 269 Ist L/K eine Körpererweiterung, so ist ein Element a in L entweder algebraisch oder transzendent über K. Die Körpererweiterung L/K selbst nannten wir algebraisch, wenn jedes Element a L algebraisch über K ist. Eine nichtalgebraische Körpererweiterung heißt transzendent – bei einer solchen Körpererweiterung gibt es also in L über K transzendente Elemente. Es muss aber keineswegs jedes Element aus L\K transzendent über K sein. Falls dies aber doch so sein sollte, so nennt man die Erweiterung L/K rein transzendent. Wir zeigen, dass es zu jeder Körpererweiterung L/K eine sogenannte Transzendenzba- sis B L gibt. Diese Menge B hat die Eigenschaft, dass K(B)/K rein transzendent und L/K(B) algebraisch ist. Und wir führen den Transzendenzgrad ein – er ist die Mächtigkeit einer (und damit jeder) Transzendenzbasis; also ein Analogon zum Di- mensionsbegriff für Vektorräume. Voraussetzung. Es sei L/K eine Körpererweiterung. 23.1 Transzendenzbasen In der linearen Algebra beweist man, dass jeder Vektorraum eine Basis besitzt. Wir zeigen nun analog dazu, dass jede Körpererweiterung eine sogenannte Transzendenz- basis enthält. Im Fall einer algebraischen Körpererweiterung ist eine solche Basis die leere Menge. C. Karpfinger, K. Meyberg, Algebra, DOI 10.1007/978-3-8274-3012-0_24, © Springer-Verlag Berlin Heidelberg 2013

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23 TranszendenteKörpererweiterungen *

Übersicht23.1 Transzendenzbasen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 265

23.2 Der Transzendenzgrad . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 269

Ist L/K eine Körpererweiterung, so ist ein Element a in L entweder algebraisch odertranszendent überK. Die Körpererweiterung L/K selbst nannten wir algebraisch, wennjedes Element a ∈ L algebraisch über K ist. Eine nichtalgebraische Körpererweiterungheißt transzendent – bei einer solchen Körpererweiterung gibt es also in L über K

transzendente Elemente. Es muss aber keineswegs jedes Element aus L\K transzendentüber K sein. Falls dies aber doch so sein sollte, so nennt man die Erweiterung L/K

rein transzendent.Wir zeigen, dass es zu jeder Körpererweiterung L/K eine sogenannte Transzendenzba-sis B ⊆ L gibt. Diese Menge B hat die Eigenschaft, dass K(B)/K rein transzendentund L/K(B) algebraisch ist. Und wir führen den Transzendenzgrad ein – er ist dieMächtigkeit einer (und damit jeder) Transzendenzbasis; also ein Analogon zum Di-mensionsbegriff für Vektorräume.

Voraussetzung. Es sei L/K eine Körpererweiterung.

23.1 Transzendenzbasen

In der linearen Algebra beweist man, dass jeder Vektorraum eine Basis besitzt. Wirzeigen nun analog dazu, dass jede Körpererweiterung eine sogenannte Transzendenz-basis enthält. Im Fall einer algebraischen Körpererweiterung ist eine solche Basis dieleere Menge.

C. Karpfinger, K. Meyberg, Algebra, DOI 10.1007/978-3-8274-3012-0_24,© Springer-Verlag Berlin Heidelberg 2013

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23.1.1 Algebraisch unabhängige Elemente

Elemente a1, . . . , an ∈ L heißen algebraisch unabhängig über K, falls

P (a1, . . . , an) = 0 für jedes Polynom P ∈ K[X1, . . . , Xn] \ {0} ,

andernfalls heißen sie algebraisch abhängig über K.Die algebraische Unabhängigkeit kann auch mit dem Einsetzhomomorphismus aus-gedrückt werden: Die Elemente a1, . . . , an sind genau dann algebraisch unabhängig,wenn der Einsetzhomomorphismus P �→ P (a1, . . . , an) injektiv ist (vgl. das Monomor-phiekriterium 13.3).Sind a1, . . . , an algebraisch unabhängig über K, so folgt demnach K[a1, . . . , an] ∼=K[X1, . . . , Xn] und damit K(a1, . . . , an) ∼= K(X1, . . . , Xn).Eine Teilmenge T ⊆ L heißt transzendent, falls jede endliche Teilmenge von T alge-braisch unabhängig ist.

Bemerkung. Dass ein Element a ∈ L algebraisch unabhängig über K ist (das ist derFall n = 1), heißt gerade, dass a über K transzendent ist; es gilt K(a) ∼= K(X).

23.1.2 Transzendenzbasis

Die Körpererweiterung L/K heißt rein transzendent, falls es eine transzendenteMenge T ⊆ L gibt mit L = K(T ). Eine Menge B ⊆ L heißt Transzendenzbasis vonL/K, falls B transzendent ist und L/K(B) algebraisch ist.

Beispiel 23.1Im rationalen Funktionenkörper L = K(X1, . . . , Xn) in den UnbestimmtenX1, . . . , Xn sind X1, . . . , Xn algebraisch unabhängig über K, ebenfalls die Ele-mente X2

1 , , . . . , X2n, aber nicht X1, X

21 , X2, X

22 , . . . , Xn, X

2n.

Für jede algebraische Erweiterung L/K ist ∅ eine Transzendenzbasis.{X} ist eine Transzendenzbasis von K(X)/K, eine andere Transzendenzbasis ist{X2}. Man beachte in diesem Beispiel K(X2) = K(X). Jedoch ist X algebraischüber K(X2) (mit Minimalpolynom Y 2 −X2), somit ist K(X)/K(X2) algebraisch.

Bemerkung. Besitzt die KörpererweiterungL/K eine Transzendenzbasis B, so setzt sichdie Erweiterung L/K zusammen aus einer reintranszendenten Erweiterung K(B)/K und ei-ner algebraischen Erweiterung L/K(B).

L

beliebig

algebraisch

K(B)

rein transzendent

K

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23.1 Transzendenzbasen 267

23.1.3 Kennzeichnung einer Transzendenzbasis

Die Transzendenzbasen von L/K sind genau die bzgl. der Inklusion maximalen trans-zendenten Teilmengen von L:

Lemma 23.1Eine Teilmenge B ⊆ L ist genau dann eine Transzendenzbasis von L/K, wenn gilt:

(1) B ist transzendent über K.

(2) B ist ein maximales Element (bzgl. der Inklusion) in der Menge aller über K

transzendenten Mengen aus L, d. h.: Ist C ⊆ L transzendent über K und B ⊆ C,dann gilt bereits B = C.

Beweis: Es sei B eine Transzendenzbasis von L/K. Die Aussage in (1) ist dannerfüllt. Wir begründen (2). Dazu sei C ⊆ L eine über K transzendente Menge mitB ⊆ C. Es sei c ∈ C \B. Per Definition ist c algebraisch über K(B). Somit gilt

(∗) a0 + a1c+ · · ·+ arcr = 0

mit gewissen a0, . . . , ar ∈ K(B), die nicht alle gleich 0 sind. Die Elemente ai ausK(B) sind von der Form ai = fi(b1,..., bm)

gi(b1,..., bm)mit paarweise verschiedenen bk ∈ B und

fi, gi ∈ K[X1, . . . , Xm], gi = 0.Wir multiplizieren die Gleichung (∗) mit dem Produkt aller Nenner der ai. Da-zu setzen wir di := g0 · · · gi−1 gi+1 · · · gr ∈ K[X1, . . . , Xm] für i = 0, . . . , r

und P (X1, . . . , Xm, X) :=∑

fi di Xi ∈ K[X1, . . . , Xm, X]. Dann gilt P = 0

und P (b1, . . . , bm, c) = 0 (dies ist die mit g0 · · · gr(b1, . . . , bm) multiplizierteGleichung (∗)). Dies besagt, dass b1, . . . , bm, c algebraisch abhängig sind. Wegen{b1, . . . , bm, c} ⊆ C widerspricht das der Transzendenz von C; somit gilt C \ B = ∅bzw. C = B. Das ist die Maximalität von B.Umgekehrt sei B eine maximale transzendente Menge und a ∈ L transzendent überK(B). Dann ist sicher a nicht in B und B ∪ {a} wegen der Maximalität von B

auch nicht transzendent. Folglich gibt es b1, . . . , br ∈ B, sodass b1, . . . , br, a alge-braisch abhängig sind. Daher gibt es ein Polynom P ∈ K[X1, . . . , Xr, X], P = 0, mitP (b1, . . . , br, a) = 0. Wir ordnen nach Potenzen von a:

0 = P (b1, . . . , br, a) =∑

fi(b1, . . . , br) ai .

Aus der Transzendenz von a über K(B) folgt fi(b1, . . . , br) = 0 für alle i. Da wenigs-tens eines der Polynome fi ∈ K[X1, . . . , Xr] von null verschieden ist, gibt das einenWiderspruch zur Transzendenz von B. Also ist L/K(B) algebraisch.

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Die Existenz von Transzendenzbasen begründen wir mit dem Zorn’schen Lemma (vgl.Abschnitt A.2.3). Es sei L/K eine Körpererweiterung und T := {A ⊆ L |A transzen-dent über K}. Die Menge T ist nicht leer (wenn L/K algebraisch ist, enthält T dieleere Menge) und bzgl. der Inklusion induktiv geordnet. Nach dem Zorn’schen Lemmagibt es ein maximales Element in T , welches nach Lemma 23.1 eine Transzendenzbasisist. Damit ist gezeigt (für den Teil (b) beachte man die Bemerkung auf Seite 266):

Satz 23.2(a) In jeder Körpererweiterung L/K gibt es eine Transzendenzbasis B.

(b) In jeder Körpererweiterung L/K gibt es einen Zwischenkörper M , sodass L/Malgebraisch und M/K rein transzendent ist.

Bemerkung. Obiger Beweis ist sofort modifizierbar, um zu zeigen, dass es zu jederüber K tranzendenten Menge A eine Transzendenzbasis B von L über K gibt mitA ⊆ B.

Lemma 23.3Gibt es in einer Körpererweiterung L/K eine endliche Transzendenzbasis B =

{b1, . . . , bn}, dann hat jede andere Transzendenzbasis ebenfalls n Elemente.

Beweis: Wir führen das aus der linearen Algebra bekannte Steinitz’sche Austausch-verfahren durch und zeigen:

Sind a1, . . . , ar algebraisch unabhängig, dann ist r ≤ n, und wir können die aj gegengewisse bi austauschen, nach eventueller Umnummerierung gegen b1, . . . , br, sodass{a1, . . . , ar, br+1, . . . , bn} eine Transzendenzbasis ist.Wir beginnen mit der Menge {a1, b1, . . . , bn}, die wegen der Maximalität von B al-gebraisch abhängig ist. Es sei P ∈ K[X, X1, . . . , Xn] ein von null verschiedenes Po-lynom mit P (a1, b1, . . . , bn) = 0. In P (a1, b1, . . . , bn) kommt a1 echt vor und auchwenigstens ein bi (weil a1 transzendent ist über K); nach eventueller Umnummerie-rung sei dies b1. Also ist b1 algebraisch über K(a1, b2, . . . , bn). Es ist L algebraischüber K(b1, . . . , bn) (Definition von Transzendenzbasis), somit erst recht algebraischüber K(a1, b2, . . . , bn)(b1). Dieser Körper ist algebraisch über K(a1, b2, . . . , bn) (vgl.Lemma 21.4). Folglich ist L/K(a1, b2, . . . , bn) algebraisch nach Lemma 21.6.Wir zeigen nun, dass {a1, b2, . . . , bn} auch algebraisch unabhängig ist.Falls Q(a1, b2, . . . , bn) = 0 mit Q ∈ K[X, X2, . . . , Xn] und Q = 0, so muss wegen deralgebraischen Unabhängigkeit der bi das Element a1 auf der linken Seite echt vorkom-men; d. h., a1 ist algebraisch über K(b2, . . . , bn). Dann sind L/K(b2, . . . , bn)(a1) undK(b2, . . . , bn)(a1)/K(b2, . . . , bn) algebraisch, also ist auch L über K(b2, . . . , bn) alge-braisch. Widerspruch – b1 ist nämlich nicht algebraisch über K(b2, . . . , bn). Damit istauch {a1, b2, . . . , bn} eine Transzendenzbasis. Mit dieser Transzendenzbasis und demElement a2 wird das Verfahren wiederholt, und wir gelangen nach eventueller weiterer

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23.2 Der Transzendenzgrad 269

Umnummerierung zu einer Transzendenzbasis {a1, a2, b3, . . . , bn}. Solange der Vorratder ai reicht, wird ausgetauscht. Wäre r > n, dann wäre {a1, . . . , an} eine Transzen-denzbasis, die in einer größeren transzendenten Menge enthalten ist, das widersprichtLemma 23.1. Sind nun A = {a1, . . . , ar} und B = {b1, . . . , bn} Transzendenzbasen, sogilt nach obigen Überlegungen r ≤ n und n ≤ r.

23.2 Der Transzendenzgrad

Es sei L/K eine Körpererweiterung mit einer Transzendenzbasis B. Die Mächtigkeitvon B wird als Transzendenzgrad trg(L/K) bezeichnet:

trg(L/K) := |B| .

Bemerkung. Man kann mit dem Austauschverfahren auch zeigen, dass beliebigeTranszendenzbasen einer Körpererweiterung gleiche Mächtigkeit haben.

Beispiel 23.2Der Körper der rationalen FunktionenK(X) überK hat {X} als Transzendenzbasisund damit den Transzendenzgrad 1. Die ErweiterungK(X)/K ist rein transzendent.Jede algebraische Erweiterung L von K(X) hat den Transzendenzgrad 1 über K.Da die Euler’sche Zahl e transzendent über Q ist, hat die Erweiterung Q(e,

√2)/Q

den Transzendenzgrad 1.SindX1, X2 Unbestimmte überQ, dann hat Q(X1,X2,

√X1,

√2, 3

√5)/Q den Trans-

zendenzgrad 2.Die KörpererweiterungC/Q hat unendlichenTranszendenzgrad, genauer trg(C/Q) =|R| (vgl. Aufgabe 23.2).Jede algebraische Erweiterung hat den Transzendenzgrad 0.

Uns interessiert nun die Frage (analog zum Gradsatz), wie wir bei gegebenem Körper-turm K ⊆ M ⊆ L aus Transzendenzbasen A von L/M und B von M/K eine solchevon L/K finden. Die Antwort ist einfach (vgl. den Beweis zum nächsten Lemma): Manwähle A ∪B, diese Vereinigung ist sogar disjunkt. Damit erhalten wir den Satz:

Satz 23.4Für jeden Körperturm K ⊆ M ⊆ L gilt:

trg(L/K) = trg(L/M) + trg(M/K) .

Beweis: Es seien A eine Transzendenzbasis von L/M und B eine solche von M/K.Wir begründen, dass A ∪B eine Transzendenzbasis von L/K ist sowie A ∩B = ∅.

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Die Menge A ∪ B ist transzendent über K: Es seien {a1, . . . , an, b1, . . . , bm} eineendliche Teilmenge von A ∪ B und P ein Polynom in n + m Unbestimmten mitP (a1, . . . , an, b1, . . . , bm) = 0. Wir betrachten P (a1, . . . , an, b1, . . . , bm) als Polynomin a1, . . . , an mit Koeffizienten Qi(b1, . . . , bm) mit Qi ∈ K[X1, . . . , Xm]. Da A trans-zendent über M ist, gilt Qi(b1, . . . , bm) = 0. Da B transzendent über K ist, zeigt diesQi = 0. Es folgt P = 0.Die Erweiterung L/K(A ∪ B) ist algebraisch: Nach Voraussetzung sind die Erweite-rungen L/M(A) und M/K(B) algebraisch. Dann ist jedes Element aus M erst rechtalgebraisch über K(A∪B). Und M(A) = K(A∪B)(M) ist algebraisch über K(A∪B)

– denn zu x ∈ M(A) gibt es eine endliche Teilmenge {m1, . . . , mr} ⊆ M , sodassx ∈ K(A ∪ B)(m1, . . . , mr); nun beachte Lemma 21.4. Nach Lemma 21.6 ist dannauch L/K(A ∪B) algebraisch.Damit ist gezeigt, dass A∪B eine Transzendenzbasis von L/K ist. Die Aussage A∩B =

∅ ist klar: A ∩B ⊆ A ∩M = ∅. Insbesondere gilt

trg(L/K) = |A ∪B| = |A|+ |B| = trg(L/M) + trg(M/K) .

Beispiel 23.3Es gilt trg(R/Q) = trg(C/Q), denn es ist trg(C/R) = 0. Nach Aufgabe 23.2 gilt damittrg(R/Q) = |R|.

Aufgaben

23.1 Zeigen Sie, dass B = {π} eine Transzendenzbasis von Q(π, i)/Q ist. Geben Sie eineweitere Transzendenzbasis C von Q(π, i)/Q an, sodass Q(B) �= Q(C) gilt.

23.2 Zeigen Sie: trg(C/Q) = |R|.