«Alle reden über mich, aber nicht mit mir!» - · PDF fileObini aus Biel. Neun...

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Die Vorstellung, dass jede Frau an grausa- men und quälenden Folgen einer genitalen Beschneidung leidet, prägt auch die Fach- personen hier in der Schweiz. Entspre- chend begegnen sie den Betroffenen. Dr. Asefaw, viele Fachpersonen sind entsetzt und verunsichert, wenn sie einer beschnittenen Frau gegenüber- stehen und übertragen die berechtigte Ablehnung dieser Tradition jedoch un- reflektiert auf die beschnittene Frau. Ist es wünschenswert, wenn Fachper- sonen den Betroffenen ihr Mitgefühl zeigen? Meiner Erfahrung nach ist nicht Mitgefühl, was die Betroffenen von Fachpersonen wollen, sondern einen respektvollen Um- gang. Was meinen Sie damit? Wie kann eine Hebamme, Pflegefachfrau oder Freun- din das Thema richtig ansprechen? Das erfordert bereits, auf die Sprache zu achten: Die Betroffenen als «genital Be- schnittene» zu bezeichnen und nicht «als genital Verstümmelte». Damit wird ein Dia- log möglich. Eigene Projektionen müssen reflektiert und der Kontext der Migrantin- nen einbezogen werden. Man sollte wissen, dass für viele Frauen die Beschneidung in ihrer Heimat eine Normalität darstellt. Das Fachpersonal dort geht mit den Fragen rund um das Thema ungezwungen und sachlich um. Hier müssen sich die Frauen immer wieder gegen die aufgedrängte Op- ferrolle wehren, ein offenes Gespräch ist für sie kaum möglich, ohne nicht weitere Vor- urteile oder gar Verdacht auszulösen. Diese unprofessionellen Umstände können durchaus zu einer Verletzung oder gar Traumatisierung führen. Fachpersonen sollen die individuellen Hintergründe der Beschneidung direkt bei der Betroffenen erfragen und diskutieren, damit sie heraus- finden kann, welche Antworten und Ange- bote die Frau in ihrer Situation benötigt. Häufig ist es sinnvoll, möglichst bald den Partner in das Gespräch einzubeziehen. Genauso wichtig ist die fachliche Qualifika- tion: welche Komplikationen sind bei einer beschnittenen schwangeren Frau zu erwar- ten? Wie lassen sich diese behandeln und was kann man präventiv machen, damit die medizinischen Risiken für Mutter und Kind vermieden werden? Unter welchen Bedingungen kann es zu einer psychischen Beeinträchtigung oder gar Traumatisierung von Betroffe- nen kommen? Es wird immer wieder berichtet «die Mutter verspricht der Tochter Kind erst etwas Schönes, anschliessend wird es aber grausam beschnitten». Daraus wird aus westlicher Sicht der Psychotherapeuten angenommen, Vertrauensverlust bei der Beschnittenen sei die Folge. Hier urteilt aber der Psychotherapeut nur aus seinem kulturellen Kontext heraus. Dies ist ein Fehlschluss. Da die Beschneidung im so- ziokulturellen Kontext der Mädchen positiv besetzt ist, kommt es nicht zu einem Ver- trauensbruch. Der körperliche Schmerz führt dabei nicht automatisch zu einer psy- chischen Störung, da die persönliche Ein- stellung des Mädchens ausschlaggebend ist. Es besteht hier ein anderer Verarbei- «Alle reden über mich, aber nicht mit mir!» Interview Leiden alle beschnittenen Frauen? Wie helfen wir ihnen am besten? Eine vermeintlich simple Frage erfordert eine differenzierte Betrach- tung, damit den Betroffenen wirklich geholfen wird. Sie einfach in die Opferrolle zu drängen, ist der falsche Weg. Dr. Fana Asefaw, Ärztin und Autorin eines Buches über weibliche Genitalbeschneidung, rich- tet an die Fachpersonen in der Schweiz den eindringlichen Appell, die Betroffenen von weiblicher Beschneidung nicht generell als Trauma- tisierte zu betrachten. tungskontext. Kommt das Mädchen als Frau nach Europa und wird es dort mit Mit- leid und Vorwürfen konfrontiert, hat dies sehr wohl negative Auswirkungen auf ihre Identität. Im schlimmsten Fall kann sich ein Aufenthalt im Spital traumatisch auswirken. Die Frage bleibt aber offen, ob es nicht trotzdem Frauen gibt, die nach einer Beschneidung traumatisiert sind? In meiner Forschung und Aufklärungsarbeit ist mir noch keine Frau begegnet, die sich aufgrund der Beschneidung traumatisiert sieht. Wie findet die Fachperson heraus, wie das Mädchen oder die Frau zu ihrer Beschneidung steht? Fakt ist: Die Genitalbeschneidung betrifft den intimsten Bereich einer Frau. Somit ist die Frage, in welchem Zusammenhang man was wissen möchte. Geht es um die bestmögliche Geburtsvorbereitung, um eine adäquate medizinische Beratung für die Frau bei spezifischen Problemen oder möchte ich herausfinden, ob die Tochter gefährdet ist, ebenfalls beschnitten zu wer- den? Dies muss der beschnittenen Frau transparent gemacht werden, am besten sachlich und neutral. Fachleute müssen immer die Feststellung des Philosophen Thomas Nagel beherzigen: «Man kann nie wirklich ausserhalb der eigenen Kultur sein. Man kann nicht an ‹keinem Platz› sein, es gibt keine ‹Sicht vom Nirgendwo› her». Dr. Fana Asefaw engagiert sich seit Jahren gegen die weibliche Beschnei- dung. Sie forschte für ihre Promotion in Eritrea und in Deutschland zu den ge- sundheitlichen, insbesondere den psy- chischen Auswirkungen auf die Betrof- fenen und auf das Zusammenleben mit dem Partner. Zur Person Die Bilder stammen aus der Performance «Le chant de celle qui sait» der Theatergruppe Obini aus Biel. Neun Frauen aus verschiedenen Kulturkreisen verbinden Tanz, Theater, Musik und Gestik zu einer stimmigen, bildstarken Auseinander- setzung mit Formen von Gewalt, die Frauen erlei- den – und wie sie damit umgehen. «Singen bedeu- tet, die Stimme der Seele zu verwenden» (Clarissa Pinkola Estes). Regie: Delia Coto aus Kuba Kontakt: [email protected] Zu den Bildern

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Die Vorstellung, dass jede Frau an grausa-men und quälenden Folgen einer genitalen Beschneidung leidet, prägt auch die Fach-personen hier in der Schweiz. Entspre-chend begegnen sie den Betroffenen.

Dr. Asefaw, viele Fachpersonen sind entsetzt und verunsichert, wenn sie einer beschnittenen Frau gegenüber-stehen und übertragen die berechtigte Ablehnung dieser Tradition jedoch un-reflektiert auf die beschnittene Frau. Ist es wünschenswert, wenn Fachper-sonen den Betroffenen ihr Mitgefühl zeigen?Meiner Erfahrung nach ist nicht Mitgefühl, was die Betroffenen von Fachpersonen wollen, sondern einen respektvollen Um-gang.

Was meinen Sie damit? Wie kann eine Hebamme, Pflegefachfrau oder Freun-din das Thema richtig ansprechen? Das erfordert bereits, auf die Sprache zu achten: Die Betroffenen als «genital Be-schnittene» zu bezeichnen und nicht «als genital Verstümmelte». Damit wird ein Dia-log möglich. Eigene Projektionen müssen reflektiert und der Kontext der Migrantin-nen einbezogen werden. Man sollte wissen, dass für viele Frauen die Beschneidung in ihrer Heimat eine Normalität darstellt. Das Fachpersonal dort geht mit den Fragen

rund um das Thema ungezwungen und sachlich um. Hier müssen sich die Frauen immer wieder gegen die aufgedrängte Op-ferrolle wehren, ein offenes Gespräch ist für sie kaum möglich, ohne nicht weitere Vor-urteile oder gar Verdacht auszulösen.

Diese unprofessionellen Umstände können durchaus zu einer Verletzung oder gar Traumatisierung führen. Fachpersonen sollen die individuellen Hintergründe der Beschneidung direkt bei der Betroffenen erfragen und diskutieren, damit sie heraus-finden kann, welche Antworten und Ange-bote die Frau in ihrer Situation benötigt. Häufig ist es sinnvoll, möglichst bald den Partner in das Gespräch einzubeziehen. Genauso wichtig ist die fachliche Qualifika-tion: welche Komplikationen sind bei einer beschnittenen schwangeren Frau zu erwar-ten? Wie lassen sich diese behandeln und was kann man präventiv machen, damit die medizinischen Risiken für Mutter und Kind vermieden werden?

Unter welchen Bedingungen kann es zu einer psychischen Beeinträchtigung oder gar Traumatisierung von Betroffe-nen kommen?Es wird immer wieder berichtet «die Mutter verspricht der Tochter Kind erst etwas Schönes, anschliessend wird es aber grausam beschnitten». Daraus wird aus westlicher Sicht der Psychotherapeuten angenommen, Vertrauensverlust bei der Beschnittenen sei die Folge. Hier urteilt aber der Psychotherapeut nur aus seinem kulturellen Kontext heraus. Dies ist ein Fehlschluss. Da die Beschneidung im so-ziokulturellen Kontext der Mädchen positiv besetzt ist, kommt es nicht zu einem Ver-trauensbruch. Der körperliche Schmerz führt dabei nicht automatisch zu einer psy-chischen Störung, da die persönliche Ein-stellung des Mädchens ausschlaggebend ist. Es besteht hier ein anderer Verarbei-

«Alle reden über mich, aber nicht mit mir!»

Interview

Leiden alle beschnittenen Frauen? Wie helfen wir ihnen am besten? Eine vermeintlich simple Frage erfordert eine differenzierte Betrach-tung, damit den Betroffenen wirklich geholfen wird. Sie einfach in die Opferrolle zu drängen, ist der falsche Weg. Dr. Fana Asefaw, Ärztin und Autorin eines Buches über weibliche Genitalbeschneidung, rich-tet an die Fachpersonen in der Schweiz den eindringlichen Appell, die Betroffenen von weiblicher Beschneidung nicht generell als Trauma-tisierte zu betrachten.

tungskontext. Kommt das Mädchen als Frau nach Europa und wird es dort mit Mit-leid und Vorwürfen konfrontiert, hat dies sehr wohl negative Auswirkungen auf ihre Identität. Im schlimmsten Fall kann sich ein Aufenthalt im Spital traumatisch auswirken.

Die Frage bleibt aber offen, ob es nicht trotzdem Frauen gibt, die nach einer Beschneidung traumatisiert sind? In meiner Forschung und Aufklärungsarbeit ist mir noch keine Frau begegnet, die sich aufgrund der Beschneidung traumatisiert sieht.

Wie findet die Fachperson heraus, wie das Mädchen oder die Frau zu ihrer Beschneidung steht?Fakt ist: Die Genitalbeschneidung betrifft den intimsten Bereich einer Frau. Somit ist die Frage, in welchem Zusammenhang man was wissen möchte. Geht es um die bestmögliche Geburtsvorbereitung, um eine adäquate medizinische Beratung für die Frau bei spezifischen Problemen oder möchte ich herausfinden, ob die Tochter gefährdet ist, ebenfalls beschnitten zu wer-den? Dies muss der beschnittenen Frau transparent gemacht werden, am besten sachlich und neutral. Fachleute müssen immer die Feststellung des Philosophen Thomas Nagel beherzigen: «Man kann nie wirklich ausserhalb der eigenen Kultur sein. Man kann nicht an ‹keinem Platz› sein, es gibt keine ‹Sicht vom Nirgendwo› her».

Dr. Fana Asefaw engagiert sich seit Jahren gegen die weibliche Beschnei-dung. Sie forschte für ihre Promotion in Eritrea und in Deutschland zu den ge-sundheitlichen, insbesondere den psy-chischen Auswirkungen auf die Betrof-fenen und auf das Zusammenleben mit dem Partner.

Zur Person

Die Bilder stammen aus der Performance «Le chant de celle qui sait» der Theatergruppe Obini aus Biel. Neun Frauen aus verschiedenen Kulturkreisen verbinden Tanz, Theater, Musik und Gestik zu einer stimmigen, bildstarken Auseinander-setzung mit Formen von Gewalt, die Frauen erlei-den – und wie sie damit umgehen. «Singen bedeu-tet, die Stimme der Seele zu verwenden» (Clarissa Pinkola Estes).

Regie: Delia Coto aus Kuba Kontakt: [email protected]

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