Allein mit dem Meister

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    Christliche

    Literatur-Verbreitung e.V.

    Postfach 110135 33661 Bielefeld

    Jakob Kroeker

    Allein

    mit dem Meister

  • 8/8/2019 Allein mit dem Meister

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    . Auflage der Lizenzausgabe

    der Lizenzausgabe by CLV Christliche Literatur-VerbreitungPostfach Bielefeld by Brunnen-Verlag, GieenUmschlag und Satz: CLVDruck und Bindung: Graphische Grobetriebe Pssneck

    ISBN ---

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    Inhaltsverzeichnis

    Vorbemerkungen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

    Ruhet ein wenig! . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

    Beiseite genommen . . . . . . . . . . . . . . . . . .

    Tabors-Hhen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

    Wir sahen seine Herrlichkeit . . . . . . . . .

    Von Klarheit zu Klarheit . . . . . . . . . . . . . .

    Tabor-Segnungen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

    Lebende Propheten . . . . . . . . . . . . . . . . . . Das prophetische Wort . . . . . . . . . . . . . . .

    Des Vaters Stimme . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

    Auf den hrt! . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

    Htten bauen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

    Jesus allein . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

    Heiliges Schweigen . . . . . . . . . . . . . . . . . .

    Ungelste Fragen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

    Gttliche Lsungen . . . . . . . . . . . . . . . . . .

    Hinab in die Welt . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

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    Blick auf unsere Vergebung der Snden, auf unsere

    Gewissheit des Heils, auf unsere lebendige Zukunfts-

    erwartung weit mehr zur Ruhe gekommen in unsererBekehrung als in der Aktivitt Gottes. Wir bauten

    das Reich Gottes, indem wir Gott in unser Wirken hin-

    einzuziehen suchten, und vergaen, dass die ganze er-

    lsende Ttigkeit des Heiligen Geistes darauf gerich-

    tet ist, uns in das Wirken Gottes hineinzuziehen. Da-

    her sahen wir auch vielfach weit mehr den frommen

    Menschen in seiner Aktivitt fr Gott als die Kraft

    Gottes in ihrem erneuernden Wirken innerhalb des

    frommen Menschen.

    Die Frmmigkeit in ihrer verschiedenartigsten Aus-

    prgung war uns weit mehr Wurzel als Frucht. Wirglaubten weit mehr an unsere Frmmigkeit als an Gott.

    Dass unser Blick wieder gelst werde von uns, auch

    von unserem bekehrten Ich, und hingelenkt werde

    auf Gott selbst und seine Offenbarung in Christus

    Jesus, dazu mchten auch die schlichten Ausfh-

    rungen auf vorliegenden Blttern beitragen. Auch dienoch so tief gepflegte Frmmigkeit macht dennoch

    mde, wenn sie Wurzel sein soll und nicht Frucht ist

    einer weit hheren Kraft.

    Dieses Bchlein hat eine ganze Geschichte. Ur-

    sprnglich war es ein Vortrag ber die Verklrung Jesu.Daraus entstand dann eine kleine Broschre, die mit

    ihrer starken Betonung der Notwendigkeit des Mit-

    Gott-allein-Seins so manche Saiten in der Seele vieler

    Leser weckte.

    Seitdem ist Auflage um Auflage erschienen. Jedes

    Mal glaubte der Verfasser, einiges ergnzen und ande-

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    res ndern zu sollen. Den ursprnglichen Charakter

    suchte er jedoch dem Bchlein zu erhalten. Auch bei

    der gegenwrtigen vlligen Neubearbeitung hofft derVerfasser, dass der ursprngliche Charakter geblieben

    ist. Unsere Gegenwart ist vllig anders. Wir sind alle

    ohne Ausnahmen reicher an Erfahrungen geworden.

    Die hinter uns liegenden Zeiten mit ihren Erschtte-

    rungen, Kmpfen, Enttuschungen und Gerichten

    sind nicht vergeblich an uns vorbergegangen. Ob

    wir innerlich verloren oder gewonnen haben sie

    haben uns dennoch etwas zurckgelassen, was wir vor-

    dem nicht besaen. Es ist daher selbstverstndlich,

    dass unsere geistlichen Bedrfnisse in der Gegenwart

    auch weit grer sind, als sie vordem waren. In unsleben Fragen, die wir frher nicht kannten. Wir be-

    weinen innerliche Verluste, die wir im Kampfe davon-

    getragen haben. In den politischen Wirren der Zeit

    haben manche den Adlerflug ihres Geistes verloren.

    Viele sind mde geworden all der menschlichen Stim-

    men, die an ihr Ohr drangen, und bewusster denn jesehnen sie sich danach, die Stimme ihres Meisters al-

    lein zu hren.

    Der Verfasser hat daher versucht, die groen Be-

    drfnisse der Gegenwart nach der einen oder der ande-

    ren Seite hin zu bercksichtigen. Zwar wird auch dasin der gegenwrtigen Auflage Gebotene das Geprge

    groer Unvollkommenheit und den Charakter der

    Vergnglichkeit nicht verleugnen knnen. Ist doch

    all unser Erkennen zunchst nur Stckwerk, und selbst

    unsere tiefsten Erfahrungen sind stark begrenzt. So

    hat der Inhalt auch dieses Bchleins seine bestimm-

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    ten Grenzen. Es will auch nicht streng exegetisch und

    theologisch, sondern rein erbaulich gelesen werden.

    Seine Mission ist nur die eines Predigers in der W-ste. Es mchte nichts selbst bieten, sondern nur zu

    dem hinleiten, in dem die ganze Gottesflle beschloss,

    Wohnung zu nehmen, und dessen Gnade ausreichend

    fr jeden einzelnen und frs Ganze ist. So wertvoll

    auch immer ein Trunk aus der Quelle ist, nie kann

    ein solcher die Quelle selbst ersetzen. Was der ein-

    zelne unter dem Volk Gottes von heute braucht, sind

    jedoch nicht nur einzelne Segnungen, sondern das ist

    Er, der Segnende. Er muss wieder so der Mittelpunkt

    unseres ganzen Lebens und so die Quelle unserer Kraft

    werden, dass es auch in unserem Leben und Dienenwieder Wirklichkeit und nicht nur Bekenntnis ist:

    Nicht aber lebe ich, sondern Christus lebt in mir.

    Der Verfasser

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    Ruhet ein wenig!

    Da sprach Er zu ihnen: Kommt, lasst uns allein in

    eine menschenleere Gegend gehen; da ruhet ein

    wenig!

    Markus,

    Wer Menschen mit Ewigem dienen will, muss von Gott

    aus zum Menschen kommen. Darin liegt das Geheim-

    nis der Jngerschaft und des Aposteldienstes. Das Ziel

    in der Fhrung des Nchsten muss der Ausgang der

    Sendung sein, d. h. zu dem hinfhren, von dem mangesandt worden ist. Jesus konnte Menschen zum Va-

    ter bringen, weil Er vom Vater kam. Seine Erlsung

    blieb nicht stecken bei Tempel, Priester und Opfer-

    kultus. Er kam von weit hher, daher wies auch sein

    Dienst mit dem damit verbundenen Heil weit dar-

    ber hinaus. Die Menschen priesen Gott, wenn sieIhn wirken sahen. Sein Himmelreich war Heil fr den

    Menschen auf allen Gebieten des Lebens, aufgrund

    gegenwrtiger Gottesherrschaft.

    In diesen Geist seiner persnlichen Sendung such-

    te Jesus auch seine berufenen Jnger hineinzuziehen.Er wusste, dass das entscheidend fr ihr Leben und

    ihren Apostelberuf sein wrde. Wenn durch sie fort-

    leben sollte, was Ihm vom Vater zum Heil der Welt

    geworden war, so musste ihre Botschaft aus demselben

    Geiste flieen, aus dem sein Evangelium an die Welt

    floss. Vollmachten, von denen sein Handeln getragen

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    wurde, mussten auch das Geheimnis der Kraft in dem

    Dienste der Jnger werden. Wie des Vaters Sendung

    hinter seinem Messiasberuf stand, sollte seine Persondas Programm ihrer Jngerbotschaft sein. Nicht etwa

    rein uerlich fortsetzen, sondern dem Geiste nach

    durch das Leben fortfhren sollten die Jnger, was

    ihr Meister als Heiland der Welt vom Vater brachte.

    Daher war spter auch Paulus nicht der Zweite nach

    Jesus, sondern der Erste in Christo.

    Diese Sehnsucht bestimmte Jesus, mit seinen Jn-

    gern so oft allein zu sein. Er kannte die Gefahr, die

    auch mit dem hchsten und heiligsten Dienst ver-

    bunden sein kann. Daher sprach Er auch diesmal zu

    seinen Jngern: Kommt und ruhet ein wenig!Denn soeben waren die Zwlfe mit tiefen Eindr-

    cken von ihrer Mission zurckgekehrt. Ausgerstet

    mit weitestgehenden Vollmachten (Mark. ,) hatte

    Er sie zu zwei und zwei unter das leidende Volk ge-

    sandt. Ihr Dienst unter Besessenen und Kranken war

    nicht vergeblich gewesen, ihr Wort an Mhselige undBeladene nicht ohne Frucht geblieben. Nun war ihre

    Seele voll von dem, was sie getan und gelehrt hatten.

    Selbst die bsen Geister waren ihnen untertnig ge-

    wesen. Dieser Erfolg ihrer Mission bedrohte ihre Seele.

    Die Jnger standen in der Gefahr, dass ihnen die Fruchtihres Dienstes hher stand als das Wort ihres Meisters,

    whrend das Geheimnis ihres Erfolges doch in der

    Sendung und in der Vollmacht lag, die sie vom Herrn

    empfangen hatten.Nicht sie waren das Geheimnis ih-

    res Segens, sondern es war sein Wort durch sie. Deshalb

    fhrte Er sie in eine menschenleere Gegend, um ih-

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    nen Zeit und Gelegenheit zu geben, mit Ihm wieder

    allein zu sein.

    Zudem hatte der Dienst die Jnger auch krper-lich und seelisch mde gemacht. Die Not ihres Vol-

    kes war so gro, die Sehnsucht nach der neuen Bot-

    schaft so lebendig, dass es ein stndiges Kommen und

    Gehen der Volksmengen war. Die Jnger hatten viel-

    fach nicht einmal Zeit zum Essen gefunden. Im Rin-

    gen um die Not ihres Volkes und im Kampf mit den

    geistigen Mchten der Finsternis hatten sie Krfte aus-

    gegeben, ohne Zeit zu gewinnen, neue Krfte zu sam-

    meln. Das musste zu einer Schwchung fhren. Ohne

    neue Zndungen in ihrer Seele durch dauernde leben-

    dige Worte ihres Meisters musste aber auch ihr gesegne-ter Dienst zu einer rein uerlichen und gewohnheits-

    migen Routine werden, in der man vielleicht noch

    von der Kraft der Vergangenheit, aber nicht mehr von

    der Inspiration der Gegenwart lebt.

    In solcher suchten Phariser und Schriftgelehrte

    dem wartenden Volke das Reich Gottes zu bringen.Aber es kam nicht, trotz all ihres Dienstes. Damit ihr

    Krper und ihr gesamtes Innenleben neue Kraft ge-

    wnne, nahm Jesus die Jnger mit sich und fhrte

    sie in die Stille. Der Umgang mit Ihm sollte ihnen

    Gelegenheit geben, Neues zu empfangen, bevor sieWeiteres zu geben hatten.

    Dieses Geheimnis hat sich auch fr die dienenden

    Jnger und Jngerinnen unserer Tage noch nicht ge-

    ndert.Allein im lebendigen Umgang mitChristus, liegt

    das verborgene Wurzelgebiet eines fruchtbringenden Le-

    bens. Christus als Herr seiner Kirche wei, wie sehr

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    wir der Ruhe bedrfen, wenn unsere Seele gearbeitet

    und unsere Liebe gelitten hat unter der Not des Vol-

    kes. Daher waren Ihm auch unsere Zeiten der Ruhezur Sammlung neuer Krfte niemals verlorene Zei-

    ten. Er fhrte auch uns aus der Flle unserer Arbeit

    in die Stille, um mit uns allein zu sein.

    Zwar leben wir in einer Zeit, die auf allen Gebieten

    mehr als je auf den Dienst der Kirche Christi wartet. Es

    gibt kaum eine organisierte Reichsgottesarbeit, in der

    ihren Trgern noch Zeit zur innerlichen Strkung und

    zur stillen Sammlung bliebe. Es scheint, als ob alles

    in der Welt reif zur Ernte wre. Denn die ganze Gegen-

    wart liegt wie in Geburtswehen. Fragen, die einst nur

    einzelne bewegten, haben ganze Volksschichten er-fasst. Die Welt hat auf so unendlich vielen Gebieten

    die erschtterndsten Gerichte erlebt. Wie vieles ist

    ihr hoffnungslos zusammengebrochen, da es sich fr

    das Reich Gottes als vllig untauglich erwies! Was ihr

    Erlsung bringen sollte, wurde ihr zum Fluch. Daher

    sehnt sich in ihr alles nach dem Durch- und Anbruch

    einer hheren Weltordnung. Das Volk schaut aus nach

    jenem Weg, auf dem es zu einer Erlsung gelangen

    kann, die nicht zusammenbricht. Alles ringt um eine

    berzeitliche Wirklichkeit. Die einen sehen sie hier,

    die andern dort. Kaum je ist daher ein so bewusstesSuchen nach Wahrheit, aber auch kaum je ein so be-

    wusstes Kmpfen wider die Wahrheit gesehen worden wie

    in unseren Tagen.

    Es ist verstndlich, dass solche Zeiten besondere

    Ansprche an die einzelnen Glieder und an die Ge-

    samtkirche Christi stellen. Herzen und Lnder stehen

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    der Botschaft vom Kreuz offen. Einzelne und ganze

    Vlker warten bewusst und unbewusst auf den Augen-

    blick, wo ihnen jemand im Auftrage Gottes dienenwird. Unzhlige Herden rufen nach wahren Hirten.

    Verlorene suchen in der Nacht ihres Lebens nach je-

    nen Fhrern, durch die sie zurck zum Vaterhause

    geleitet werden. Gebrochene Herzen harren auf Hn-

    de, die Schwaches tragen und Wunden heilen kn-

    nen. Im wilden Durcheinander der Gegenwart mchte

    Jugend und Alter Anschluss an das Starke und Befes-

    tigte finden, um nicht im Strudel der Zeit unterzuge-

    hen. Mde aller fleischlichen Waffenrstung schaut

    man aus nach Kmpfern, die in gttlicher Vollmacht

    den Kampf des Glaubens zu fhren suchen. Auf allenGebieten des Lebens sehnt man sich nach Mnnern,

    die angesichts groer Widerwrtigkeiten einen noch

    weit greren Gott kennen, nach Persnlichkeiten, in

    deren Wort und Leben Christus mit seinem Heil zu

    einem Programm fr die Zukunft geworden ist.

    Solche Zeiten groer Aufgaben waren jedoch auch im-

    mer Zeiten groer Gefahren. Man frchtet, die gegebe-

    nen Gelegenheiten zu verpassen, die sich wahrem, hin-

    gegebenem Dienste bieten. Oder wenn die Not von

    allen Seiten ruft, kann der Jnger leicht ber den

    Dienst an anderen den Dienst seines Meisters an sichvergessen. Wer jedoch dauernd Seelen pflegen und dem

    Nchsten dienen will, muss eine von Gott gepflegte Seele

    in sich tragen. Denn an sich kann auch die ehrlichste

    Arbeit uns nicht vor einer Verflachung und Seelen-

    verarmung bewahren. Schpferische Krfte werden

    nur durch einen dauernden Umgang mit dem Schp-

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    fer selbst gewonnen. Eine gebte Zunge fr den

    Dienst an den Mden der Zeit gewinnt man nur,

    wenn man hren gelernt hat wie ein Jnger. Nur je-nes Ohr, das sich jeden Morgen ffnen lsst fr die

    Aufgaben des Tages, wird vertraut mit Gottes Fh-

    rung und Absichten. Dauernd fruchtbringend zu die-

    nen vermag daher nur, wer sich zuvor dauernd von

    oben dienen lsst.

    Auch der treueste Jnger Jesu ist in sich selbst kei-

    ne lebendige Quelle. Diese ist allein Christus. Von

    Ihm vermag Paulus zu bezeugen: dass nach Gottes

    Wohlgefallen in Ihm die ganze Flle wohnen sollte,

    um durch Ihn alles zu vershnen, was im Himmel

    und auf Erden ist (Kol. ,f). Ewig frisches, leben-diges Wasser zu geben vermag nur Er. Wir knnen

    nur Kanle dieser Quelle sein: Zeugen seines Lebens

    und seiner Auferstehungskrfte. Wer sich aus dieser

    Quelle in der Stille fllen lsst, wird im Gerusch des

    Tages auch quellfrisches Wasser zu geben haben.

    Fruchtbar und frisch bleiben mithin allein jene Jn-ger, die Zeit haben zu hren, wenn der Meister redet.

    Sie lernen Schritt halten mit dem Wirken des Heili-

    gen Geistes. Im Umgang mit dem Auferstandenen

    empfangen sie Licht ber die Plne Gottes zum Auf-

    bau der Gemeinde und zur Rettung der Welt. Sie glei-chen jenen Propheten, die wie ein Jeremia und Haba-

    kuk auf hoher Warte stehen und sich ihren Blick durch

    allerlei politische und religise Strmungen nicht tr-

    ben lassen. Hier gewinnen sie eine Orientierung, ei-

    nen Weitblick und eine Fernsicht, wie sie niemand

    sonst zu gewinnen vermag.

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    Daher werden sie nicht mutlos selbst in den dunkel-

    sten Zeiten und wissen eine kommende Erlsung zu

    knden. Sie erweisen sich stark, wo andere haltlos zu-sammenbrechen. Sie wagen Vorarbeiten des Glaubens

    zu tun und Vorbereitungen fr neue Segenszeiten zu

    treffen, weil sie solche in der Zukunft kommen sehen.

    Sie sind nicht ohne Hoffnung, daher wecken sie Zu-

    versicht und Vertrauen in den Schwachen. Sie lenken

    den Blick der Zagenden auf das Kommende, das Gott

    zu geben und zu wirken vermag. Ihr Dienst hebt die

    weinende Gemeinde Zions an den Wassern Babels ber

    die Leiden der Gegenwart hinaus und redet von je-

    nem Tempel Gottes der Zukunft, dessen Herrlichkeit

    unvergnglich sein wird (Hag. ,-).Als ich noch in den deutschen Kolonien Sdruss-

    lands lebte, hatten wir zweimal im Jahre fr die

    Reichsgottesarbeiter einen achttgigen Bibelkursus.

    Diese Kurse erwiesen sich fr manchen mden

    Gottesknecht als eine seltene Gelegenheit der Str-

    kung und Ausrstung. Manche, die innerlich gebro-chen zum Kursus kamen, kehrten in neuer Kraft und

    mit neuem Vertrauen in den Dienst ihrer Gemeinde

    zurck. Jedoch die Kurse hatten auch ihre stillen

    Gegner. Als ich eines Tages mit einem solchen ber

    die in Aussicht stehende achttgige Zusammenkunftsprach, antwortete er mir, dass er keine Zeit habe,

    acht volle Tage nur mit Bibelstunden auszufllen. Ich

    konnte ihm darauf keine Antwort geben. Es vergingen

    Jahr und Tag, und ich traf abermals mit dem Bruder

    zusammen. Bald merkte ich, wie seine Seele litt. Wh-

    rend der Unterredung teilte er mir mit, was ihn so

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    tief bewegte. Er hatte entdeckt, wie wenig sein Dienst

    dem wachsenden Bedrfnis der Gemeinde entspr-

    che. Er fhlte, wie seinem Geist die Schwingen, sei-nem Zeugnis die Kraft, seinem Dienst die Frische des

    Lebens und der Unmittelbarkeit fehlte. Ich wunderte

    mich nicht darber.

    Wenn wir uns die Gelegenheit entgehen lassen, wo

    der Meister zunchst uns dienen mchte, bevor wir

    anderen zu dienen haben kein Wunder, dass unser

    Innenleben alsdann leer wird und unsere Worte ohne

    Seele und unsere Botschaft ohne Klang der Ewigkeit

    sind. Unser Gott hat daher Zeit, mit uns zu reden, wenn

    wir nur Zeit haben, Ihn zu hren. Sein Herz sehnt

    sich danach, uns seine Kraft und Auftrge mitzuteilen.Er wei, welch einen Gewinn es fr uns und fr die

    Welt bedeutet, wenn wir Zeit haben fr den Umgang

    mit Ihm. Knnten wir hier die Geschichte der Kir-

    che Christi in ihrem Werdegang durch die Jahrhun-

    derte reden lassen, so wrden wir klarer erkennen,

    dass das Geheimnis der grten Mnner, die so erfolg-reich in ihrem Dienste waren, immer wieder darin

    bestand, dass sie Zeit hatten, mit Gott allein zu sein.

    Das machte ihr Leben so reich an Licht und Gnade,

    ihren Dienst so fruchtbar in einer bankrotten Welt.

    Jenen Abraham, der unter den schattigen EichenMamres seine Zelte aufschlug und Zeit hatte, dem

    Herrn einen Altar zu erbauen, whrend in der Jordan-

    aue der Kampf wtete, konnte der Herr gebrauchen,

    als es galt, einen Lot mit seiner Familie aus der Ge-

    fangenschaft Kedor-Laomers zu retten. So bedeutete

    es auch einst fr die israelitische Gemeinde in der

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    Wste keinen Verlust, dass Mose auf das Wort Got-

    tes hinaufstieg in das Dunkel, wo Gott war, und vier-

    zig Tage im verborgenen Umgang mit Gott verharrte.Als er zurckkehrte, strahlte nicht nur sein Angesicht

    die Herrlichkeit des Herrn wider, sondern er durfte

    mit einem gttlichen Gesetz und mit einer gttlichen

    Offenbarung fr die Zukunft unter sein Volk treten.

    In der Gegenwart Gottes hatte er Eindrcke emp-

    fangen, die spter entscheidend waren fr seinen pries-

    terlichen Dienst unter seinen vielfach so wankelmti-

    gen Brdern. Nur aus diesem Umgang mit Gott her-

    aus wurde er fhig, jene groe Aufgabe zu lsen, die

    er immer wieder in der Mitte seines Volkes fand.

    Jene Maria, die da ruhte, whrend Martha diente,verstand spter zu dienen, wie es weder ihre Schwes-

    ter noch sonst jemand vermochte. Sie hatte sich vom

    Meister dienen lassen, daher verstand auch sie wie-

    derum zu dienen. Sie begriff, dass Jesu Gegenwart zu-

    nchst ihr etwas zu bieten hatte, bevor sie Ihm etwas

    bot. Auch wusste sie, dass das, was der Meister ihr gab,

    viel wertvoller war, als was sie Ihm zu bringen hatte.

    Daher ruhte sie, whrend Er diente. Ihr Herz hing an

    ihres Meisters Lippen, und ihr Auge ruhte in seinem

    Auge. Seine Gegenwart war ihr wie ein frischer Mor-

    gentau. Ihre drstende und aufgeschlossene Seelesehnte sich, gesttigt zu werden mit dem Leben, das

    von Ihm floss. Es weiteten sich in dem Licht, das ihr

    vom Herrn wurde, mehr und mehr ihr Herz und

    Blick, so dass sie immer klarer die Plne Gottes und

    die Messiasaufgaben ihres Meisters erfasste. Zu sei-

    nen Fen reifte sie daher zu jenem Opfer aus, von

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    dem der Herr bezeugte: Solches hat sie behalten zum

    Tage meines Begrbnisses (Joh. ,). Auch sie htte

    nie das Verstndnis fr den Tod Jesu gewonnen, wennsie nicht geruht htte, whrend andere dienten. Aber

    sie ruhte, als Jesus ihr diente; sie schwieg, als Er rede-

    te. Wer aber schweigen kann, wenn Gott redet, wird

    durch Wort und Tat reden knnen, wo andere schwei-

    gen.

    Am reinsten hat das Jesus selbst in seinem Um-

    gang mit dem Vater ausgelebt. Er wollte seine Jnger

    in denselben Geist hineinziehen, in dem Er vor dem

    Vater lebte. Zwar liebte Er die Welt, wie sie niemand

    vor Ihm und nach Ihm geliebt hat. Und doch zog Er

    sich aus der Menge zurck, die Ihn suchte, um imUmgang mit dem Vater neue Kraft zu sammeln fr

    seinen Dienst. Bildet es doch in unseren Evangelien

    einen sehr wesentlichen Zug in dem Lebensbilde Jesu,

    dass es von Ihm immer wieder heit: Er ging aber

    allein, um zu beten. Wohl hrte am Tage die Welt

    seine wunderbaren Worte, die voller Geist und Le-ben waren. Wohl sah man in der Not des Volkes sein

    segnendes Wirken, das Liebe und Mitleid atmete.

    Wohl empfand man, dass in dem groen Propheten

    von Nazareth der wunderwirkende Gott der Vter

    wieder gegenwrtig sei und sein verlassenes Volk heim-suchte. Aber die Kraftquelle dieses Propheten kannte

    man nicht.

    Diese lag in dem verborgenen Umgang des Soh-

    nes mit dem Vater. Jesus hatte Zeit fr Gott. Daher

    konnte Ihm anvertraut werden, was Phariser und

    Schriftgelehrte nicht empfingen. Der Vater hatte Ge-

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    legenheit, zum Sohne zu reden. Daher hatte der Sohn

    auch so Groes ber den Vater dem Volke zu kn-

    den. In den Stunden des Alleinseins mit dem Vaterbesprach der Sohn die Nte der Zeit. Daher blieb Er

    am Tage auch Herr dieser Nte und verstand Er, in

    denselben mit innerlicher Vollmacht zu dienen. Er

    ging mit der am Tage offenbar gewordenen Feindschaft

    der Phariser und Schriftgelehrten zum Vater und lie

    sie dort beleuchten vom gttlichen Lichte. Daher

    wusste Er sich am nchsten Tage auch stark den An-

    griffen der Hlle gegenber. So reich sein Dienst auch

    wurde, so sehr die Sehnsucht des Volkes auch wuchs,

    so gro die Not auch war, die auf seine Hilfe warte-

    te diesen verborgenen Umgang mit dem Vater lieEr sich nicht nehmen. Wer jedoch wie Jesus Zeit hat

    fr Gott, wird auch wie ErZeit haben, in gttlicher

    Vollmacht einer verlorenen und wartenden Menschheit

    zu dienen.

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    Beiseite genommen

    Sechs Tage spter nahm Jesus Petrus, Jakobus und

    Johannes mit sich und fhrte sie ganz allein auf

    einen hohen Berg.

    Markus ,

    Jesus wollte wieder mit seinen Jngern allein sein, wie

    Er es fter gewesen war. Jedoch diesmal nahm Er nur

    Petrus, Jakobus und Johannes zu sich und fhrte sie

    aus dem Gerusch des Tages in die Stille. Ihre Seele

    war tief bewegt durch das, was sie aufs Neue in derNachfolge ihres Meisters gesehen und gehrt hatten.

    Sie hatten jedoch in der letzten Zeit aus seinem Mun-

    de Worte ber bevorstehende Leiden vernommen, die

    sie nicht mit dem Messiaswerk vereinbaren konnten,

    das zu erfllen Er gekommen war. Zwischen dem,

    was Jesus tat, und dem, was Jesus sagte, waren fr sieGegenstze offenbar geworden, die sie nicht zu ber-

    brcken vermochten. Hatten sie es doch miterlebt,

    wie unlngst Jesus in der den Gegend Tausende speis-

    te, wie Er die Bitte der Syro-Phnizierin erhrte und

    deren Tochter von dmonischen Mchten befreite,wie Er den Taubstummen im Gebiet der zehn Stdte

    heilte und wie Er seine Hnde auf die Augen des Blin-

    den in Bethsaida legte und ihn sehend machte.

    Alle diese Geschehnisse hatten in der Menge des

    auf den Messias wartenden Volkes berschwnglichen

    Jubel ausgelst, waren es doch die untrglichen Zei-

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    chen einer messianischen Heilszeit. In Jesus schien

    volle Erfllung zu werden, was Propheten lngst ge-

    schaut und als Gottes Sieg ber die Welt der Sndeund des Todes angekndigt hatten. Obwohl Jesus dem

    Volke verbot, von den erlebten Wundern zu sprechen,

    ging es dennoch hin und verkndete die groen Ta-

    ten Gottes. In seiner Freude sprach es: Er hat alles

    wohl gemacht; auch die Tauben macht Er hren und

    die Sprachlosen reden (Mark. ,). Und als Jesus

    sich eines Tages an seinen engsten Jngerkreis mit der

    Frage wandte: Und ihr, was sagt denn ihr, dass ich

    sei?, da wurde Ihm durch Petrus die eindeutige Ant-

    wort: Du bist der Messias! (Mark. ,),d.h. derGesalbte Gottes.

    Umso unverstndlicher war es nun den Jngern,

    dass Jesus in den letzten Tagen von seinem Leiden,

    Sterben und Auferstehen gesprochen hatte. Er hatte

    es ihnen nmlich frei herausgesagt, dass der Men-

    schensohn von den ltesten, Hohenpriestern und

    Schriftgelehrten verworfen und gettet werden wr-de und dass Er alsdann am dritten Tage auferstehen

    werde. Durch diese Worte waren die Jnger so er-

    schttert worden, dass Petrus gleich darauf den Meis-

    ter beiseite nahm und ernst auf Ihn einzureden ver-

    suchte. Jesus jedoch sprach zu ihm: Hebe dich hin-ter mich, Satan! Ein Skandalon, ein Ansto bist du

    mir! Denn du sinnst nicht aufs Gttliche, sondern

    aufs Menschliche, urteilst nicht nach Gottes, sondern

    nach der Menschen Art (Mark. ,).

    Dass auch Jesu Leiden und Sterben nichts anderes als

    Messiasdienst sein sollte, hatten die Jnger noch nicht

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    begriffen. Ihnen war es vielmehr ganz unverstndlich,

    dass ein neuer Leidensweg, hnlich dem der Pro-

    pheten, der Ausgang des so gesegneten und von Gottlegitimierten Dienstes ihres Meisters sein sollte. Un-

    mglich knne solch ein Ausgang der Schlussakt des

    angebrochenen Reiches Gottes sein. Wie hatten sie

    sich gefreut, wenn Lahme gingen, Blinde sahen, Kran-

    ke heil wurden und Mhselige und Beladene in Ihm

    den Trost und die Ruhe fanden, nach denen sie sich

    so lange gesehnt hatten! Waren sie doch Zeuge ge-

    wesen von den gewaltigen Taten, die durch Ihn ge-

    schahen. Vor der kniglichen Gestalt ihres Meisters

    schwanden die Schmerzen, schwieg die Angst, ver-

    wandelte sich der Zweifel in Vertrauen. Vor seinemErscheinen flohen die bsen Geister, und die von der

    Angst Gepeinigten und die seelisch Zerrissenen sam-

    melten sich zu seinen Fen und gesundeten in sei-

    ner Gegenwart. Von seinem Wort ging solch eine er-

    lsende und glaubenweckende Kraft aus, dass das

    Volk berwltigt von seiner Rede sprach: Er re-det ja als ein Berufener und nicht wie die Schrift-

    gelehrten (Matth. ,).

    Und wie reich war ihr eigenes Leben und Dienen

    seit jenen Tagen geworden, wo sie vom Meister in

    dessen Nachfolge gerufen worden waren! Der Herrhatte Vollmachten in ihr Leben gelegt, durch die sie

    fhig waren, im Zeichen einer wahren Messiaszeit

    ihrem leidenden Volke zu dienen. Kam doch eines

    Tages der aus siebzig Personen bestehende grere

    Jngerkreis von seiner Mission mit der Kunde zu-

    rck: Herr,auch die bsen Geister gehorchen uns,

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    wenn wir deinen Namen aussprechen (Luk. ,).

    Im Umgang mit dem Herrn als ihrem Messias war

    ihrem Glauben eine geistige Wirklichkeit aufgegan-gen, die nicht von dieser Welt war. Umso unverstnd-

    licher war ihnen nun die Sprache Jesu in den letzten

    Tagen gewesen. Da ruft Jesus sie, nicht, um sie gleich

    wieder neu auszusenden, sondern um mit ihnen al-

    lein zu sein.

    Denn obgleich eine Welterlsung auf seiner Seele

    lag, Jesus strmte nie. Wenn auch das Volk Ihn drng-

    te und suchte, niemals strzte Er sich in die Arbeit,

    die seiner auf allen Gebieten des menschlichen Elends

    wartete. Sein Dienst war von einer einzigartigen Ruhe

    getragen. Daher fhrte Er auch alle Mden in dieRuhe. Er konnte auf das Drngen seiner Mutter ant-

    worten: Meine Stunde ist noch nicht gekommen

    (Joh. ,f). Trotz der schwersten Krankheit seines

    Freundes Lazarus in Bethanien blieb Er noch zwei

    Tage an dem Ort, wo Er war. Jesus konnte warten,

    wenn andere eilten, und Er konnte eilen, wo anderedurch ihr Zgern Gottes Stunde verpassten. Daher

    lag Ihm auch das rein Betriebsame des Reiches Got-

    tes so vllig fern. Er kannte keinen Bekehrungseifer

    und weinte doch ber Jerusalem. Er wies jede knst-

    liche Mache von sich und sprach dennoch: Ich musswirken, solange es Tag ist, und zwar die Werke des-

    sen, der mich gesandt hat. Es kommt die Nacht, wo

    niemand wirken kann (Joh. ,).

    Seine Passivitt war jedoch kein trges Ruhen, son-

    dern immer eine zurckgehaltene und auf die Stunde

    Gottes wartende Aktivitt. Wohl war Er gekommen,

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    die Werke des Teufels zu zerstren, aber nicht mit

    den Machtmitteln der Gewalt. Es gengte Ihm nicht,

    den Feind uerlich zu besiegen, sondern sein Siegbestand in der Erlsung, in die Er seine Feinde hin-

    einzuziehen suchte. Er rang mit der Finsternis, in-

    dem Er Licht in sie hineintrug. Er triumphierte ber

    den Hass der Welt, indem Er die Gewaltttigen zu

    Lmmern im Knigreich der Himmel seines Vaters

    machte. Er zankte nicht mit den Irrenden, sondern

    erzhlte ihnen zu ihrem Heil das Gleichnis vom ver-

    lorenen Sohn. Er wusste: Was dem Menschen von Gott

    und dessen Heil bekannt werden soll, mussihm zuvor

    von Gott her geoffenbart werden. Dazu aber war Er er-

    schienen, darin lag das Geheimnis seiner Messias- undHeilandsmission.

    Um die Jnger in denselben Geist gttlicher Sen-

    dung und in die Art eines wahren Messiasdienstes hin-

    einzuziehen, fhrte Er sie oft in das Alleinsein mit sich

    selbst. Ihr Ohr hatte so viele andere Stimmen ver-

    nommen, nun sollte es wieder Ihn hren. Ihr Augehatte so groe und herrliche Dinge in dem angebro-

    chenen Reiche Gottes geschaut, nun sollte es wieder

    Gelegenheit finden, die weltberwindende Seelen-

    gre und Herrlichkeit dessen zu sehen, der sie ge-

    sandt hatte. Ihr Herz war so voll von dem, was Jesusdurch sie getan hatte, nun sollte es wieder voll werden

    von dem, was Jesus ihnen sein wollte. Sie hatten so viel

    Gelegenheit gehabt, die Wunden ihres Volkes zu se-

    hen, nun sollten sie aufs Neue den Arzt ihres Volkes

    und das Geheimnis seiner Kraft sehen. Hatten sie

    anderen gedient, nun wollte der Meister ihnen die-

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    nen und ihnen vllig neue Seiten der Herrlichkeit sei-

    nes Wesens und seiner Mission erschlieen. Sie soll-

    ten in ihrem Dienen mit Ihm auf eine weit hhereStufe gestellt werden, als jene war, auf der die herr-

    schende Frmmigkeit derzeit stand. Wie sein Wirken

    aus dem inneren Kontakt mit dem Vaterfloss und sich

    allein der geistigen Mittel bediente, um gttliche Zie-

    le zu erreichen, so sollten auch sie erfassen, wes Geis-

    tes Kinder sie geworden waren. Nicht Feuer vom Him-

    mel fallen lassen sollten sie, wenn man sie nicht auf-

    nehmen wollte, sondern mit dem Menschensohn der

    Menschen Seelen gewinnen und erretten. Daher fhrte

    Er sie beiseite, um mit ihnen allein zu sein.

    Selig jedoch jene Knechte und Mgde auch in unse-ren Tagen, die dann Zeit haben, wenn sie von ihrem

    himmlischen Meistergerufen werden!Im Alleinsein mit

    Gott werden sie jene Segnungen und Offenbarungen

    erleben, die ihrem Dienen neue Vollmacht und dau-

    ernde Frische geben.Denn das Geheimnis eines gesegne-

    ten Dienstes liegt nicht in den geistlichen Reserven, die

    man besitzt, sondern in den Inspirationen, die man er-

    lebt. Um zu Gott zu fhren, muss man von Gott her

    kommen. Die Gewinnung neuer Perspektiven, die

    Sammlung hherer Krfte, die Lsung ungelster Fra-

    gen liegen auch fr uns allein im verborgenen Um-gang mit Gott. Dauernd zu dienen vermag nur, wer

    dauernd mit Gott verkehrt. Wir gewinnen nur inso-

    weit Seelen, als unsere Seele von Gott gewonnen ist.

    Es haben daher zu allen Zeiten die Berufenen und

    Auserwhlten ihre tiefsten Segnungen in jenen Stun-

    den gefunden, wo sie mit Gott allein waren. So fand

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    einst Abraham die Erfllung jener Gottesverheiung,

    ein Segen fr die Vlker zu werden, allein auf dem

    Wege, dass er Vaterland, Freundschaft und Vaterhausin seiner urchaldischen Heimat verlie und mit Gott

    allein in jenes Land zog, das Gott ihm zeigte. Um der

    Welt mit Hherem dienen zu knnen, musste er zu-

    vor Hheres in Gott gefunden haben. Wenn Er sie

    mit ewigen Gtern segnen wollte, durfte er nicht mehr

    an ihre Segnungen gebunden sein. Zu solch einem

    Separatismus des Glaubens wurde Abraham jedoch

    erst fhig, als er der Stimme der gttlichen Berufung

    folgte, um ein Fremdling und Pilger auf Erden zu sein.

    Jahrzehnte spter fand Jakob nach allen Irrungen

    und Kraftentfaltungen seines eigenen Lebens imAlleinsein mit Gott an der Furt Jabboks jenes Pniel,

    wo ihm Gottes Angesicht leuchtete. Er rang mit Gott,

    whrend Gott mit ihm rang. Er konnte unmglich

    vor seinen Bruder Esau treten, bevor nicht Gott den

    Sieg in seinem Leben davongetragen hatte. In eige-

    ner Kraft und mit fleischlichen Machtmitteln konn-te und sollte Esau nie durch Jakob berwunden wer-

    den. Daher musste Gott zuvor Jakobs Kraft brechen,

    damit er als Israel Gottes, d. h. als ein von Gott ber-

    wundener, das Angesicht seines Bruders schaute. Wre

    Jakob seinem Bruder ebenfalls im Bewusstsein seinerStrke mit einem bewaffneten Heer entgegengetre-

    ten, wie dieser ihm entgegenzog, so wre er gewiss

    unterlegen. In Pniel siegte jedoch Gott in Jakob, da-

    her siegte spter Jakob auch in der Welt.

    Gebrochen in seiner Kraft sprach er: Ich lasse dich

    nicht, ehe du mich gesegnet hast! In der Ohnmacht

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    fand er nun seinen Sieg, im Gebet weltberwindende

    Kraft, in der Abhngigkeit vom Sieger die Rettung

    und Zukunft seines Lebens. Auf diesem Boden ste-hend, durfte er hinfort auch Esau begegnen. Denn

    wer erst lernt, im Angesicht des Unbekannten und mit

    ihm Ringenden das Angesicht Gottes zu schauen, dem

    gehrt die Zukunft, selbst wenn auf ihr zunchst auch

    noch der dunkle Schatten Esaus ruht.

    Jahrhunderte spter standJosua einst zitternd vor

    Jericho (Jos. ,f ). Er sollte ein ohnmchtiges Heer

    in diese Festung fhren, die den Schlssel jenes heili-

    gen Landes bildete, das der Herr dem Volke verspro-

    chen hatte. Da begegnete ihm der Frst ber die Heere

    Gottes. Er fiel auf sein Angesicht, betete an undsprach: Was sagt mein Herr seinem Knechte? So

    fand er im Alleinsein mit Gott jene innere Stellung,

    wo ihm das Programm gegeben werden konnte, wie

    Jerichos starke Mauern durch den Glauben seines

    Volkes berwunden werden konnten.

    In den Tagen eines Samuel befand sich der Benja-minite Saul, der Sohn des begterten Kis in Israel,

    auf der Suche nach den verlaufenen Eselinnen seines

    Vaters. Da er sie nicht finden konnte, wandte er sich

    in seiner Not an den Propheten Samuel. Diese Be-

    gegnung fhrte jedoch zu jenem Alleinsein mit Gott,wo der Prophet im gttlichen Auftrage Sauls Haupt

    mit heiligem l salben, ihn kssen und mit den

    Worten begren konnte: Hat nicht der Herr dich

    zum Frsten ber sein Erbteil gesalbt? (. Sam. ,).

    Vllig entmutigt kam einst der sonst so glaubens-

    khne ProphetElia an den Berg Horeb. Die Drohung

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    Isebels hatte seine Seele gepackt, und sein Glaube sah

    hinfort nicht mehr die Macht dessen, von dem er ge-

    sandt war, sondern nur den Arm des Fleisches, dersich gegen ihn erhoben hatte. Durch den Gottessieg

    auf dem Berge Karmel hatte er gehofft, ganz Israel fr

    Gott gewonnen zu haben. Er musste jedoch erleben,

    dassBegeisterung fr Gott noch nicht Hingabe an Gott

    ist. Vllig entmutigt und mit zerrissener Seele war er

    daher zum Berge Horeb gekommen. Hier ging der

    Herr an ihm vorber: nicht im Winde, nicht im Feu-

    er, auch nicht im Erdbeben, sondern erst im stillen,

    sanften Sausen. Er war mit Gott allein, und nun wur-

    de ihm jenes wunderbare Geheimnis jeglichen Pro-

    phetendienstes erschlossen, dass die Kraft prophetischer Mission nicht in ueren Machtmitteln und vernich-

    tenden Gerichten besteht, sondern allein in jenem gtt-

    lichen Lebensodem, der still wirkend und Leben weckend

    durch die Herzen des Volkes weht. Und Trger und

    Dolmetscher solch einer Gottesoffenbarung soll auch

    der Prophet sein (. Kn. ,-).In den Tagen eines Elisa seufzte eine Propheten-

    witwe schwer unter den Schulden, die ihr Mann

    zurckgelassen hatte. Man drohte ihr das Hchste zu

    nehmen, das sie als israelitische Mutter besa, nm-

    lich ihre zwei Shne. In dieser Not wandte sie sich anden Propheten Gottes. Als dieser erfuhr, dass sie in

    ihrem Hause nichts als einen Krug mit etwas l hat-

    te, sprach er zu ihr: Besorge dir eine Anzahl leerer

    Krge, nimm deine beiden Shne und bleibe bei ver-

    schlossener Tr mit Gott allein! Sie tat es. Und als

    sie nun anfing, die leeren lkrge mit dem l ihres

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    Kruges zu fllen, da fand sichs, dass sie goss und goss,

    bis alle Gefe gefllt waren. In Gottes Gegenwart

    wurde ihr stehendes l flieendes l und gab ihr dieMglichkeit, nicht nur alle ihre drckenden Schul-

    den zu bezahlen, sondern auch mit ihren Shnen vom

    berfluss zu leben (. Kn. ,-).

    Erst von dem Augenblick an konnte der grte

    aller Propheten des Alten Bundes, Jesaja, mit gerei-

    nigten Lippen seinem Volke dienen, als er mit Gott

    allein gewesen war. Und im gttlichen Lichte erkannte

    er nun, dass er unreine Lippen hatte und unter ei-

    nem Volke mit unreinen Lippen wohnte und daher

    untauglich war, seinem Volke zu dienen. Als er je-

    doch erst in dieser tiefen Selbsterkenntnis vor demHerrn stand, erlebte er jene wunderbare Offenbarung,

    dass Gottes Gegenwart nicht nur aufdeckt, sondern

    auch zudeckt. Seine Lippen wurden mit einer gl-

    henden Kohle vom Altar berhrt, und seinem Leben

    wurde die wunderbare Kunde: Siehe, deine Snden

    sind von dir genommen! Nun konnte er als einer,der von Gott gereinigt worden war, auch seinem Vol-

    ke Reinigung verknden. Nachdem er selbst die Ver-

    gebung seiner Snden empfangen hatte, konnte er

    auch in das so schwer belastete Leben seiner Brder

    Vergebung tragen (Jes. ,-).Ist doch auch die Offenbarung des Neuen Testa-

    ments von jenem Johannes geschrieben worden, der

    um des Namens Jesu willen auf der einsamen Insel

    Patmos sa. Und doch war er nicht allein. Gott war

    mit ihm, und er sah am Tage des Herrn nicht nur die

    Leiden und Kmpfe der kleinasiatischen Gemeinden,

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    sondern auch die Herrlichkeit und Majestt des ge-

    krnten Lammes. Seinen Augen bot sich hier ein Ab-

    schluss der ganzen Welt- und Heilsgeschichte dar, wiees nur ein Glaube zu schauen vermag, den Gott in sei-

    ne Offenbarung und Herrlichkeit hineinziehen kann.

    Daher lsst auch Johannes alles Weltgeschehen ausklin-

    gen mit einem neuen Himmel und einer neuen Erde,

    ber deren Sein und Leben fr ewige Zeiten geschrie-

    ben steht: Es ist alles neu geworden! (Offb. ,).

    Mit Gott allein! Welch eine Flle von Licht und Gna-

    de, von Kraft und Herrlichkeit kann es fr ein Leben

    bedeuten, das dem Rufe des Meisters folgt, wenn Er es in

    die Stille fhren will!

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    Tabors-Hhen

    und fhrte sie allein auf einen hohen Berg.

    Markus ,

    Tabors-Hhen, auf denen wir die Herrlichkeit unseres

    Meisters schauen, sind nicht der Segen einer heiligen rt-

    lichkeit, sondern der gttlichen Offenbarung. Wir wis-

    sen nicht einmal genau, welches der hohe Berg war,

    auf dem Jesus vor seinen Jngern verklrt wurde. Die

    berlieferung nimmt an, dass es der schne Berg Ta-

    bor gewesen sei. Jedoch nach Jesus ist niemand mehrauf ihm verklrt worden. Denn nicht der Berg war

    die Quelle dieses Segens fr die Jnger, sondern dass

    der Vater dort seinen Sohn verklrte. Woimmer unse-

    rer Seele ein tieferer Einblick in die verborgene Herr-

    lichkeit Jesu Christi geschenkt werden konnte, da be-

    wegte sie sich auf einer Tabors-Hhe.

    Daher ist der Name Tabor auch in der Sprache der

    Kirche Jesu Christi zur Bezeichnung der tiefsten Seg-

    nungen im Reiche Gottes geworden. Denn welch eine

    Bergeshhe es im Lande Jesu und der Apostel auch

    war, wo die Jnger das Groe an der Seite ihres Meis-ters erlebten, der Segen war nicht an den Ort an sich,

    sondern an die gttliche Offenbarung gebunden. Die-

    se kann aber nur erlebt und nicht hier oder dort ein-

    fach gefunden werden. Alles Erleben ist allein an die

    Gegenwart dessen gebunden, der sich uns in der Fl-

    le seines Lebens offenbaren will. Wer da glaubt, Ta-

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    bors-Hhen an heiligen Orten oder in heiligen Einrich-

    tungen an sich zu finden, der wird vergeblich auf die

    Offenbarung Gottes und seines Gesalbten warten. Wohlheiligt Gott Orte und Handlungen, wenn Er sie in

    seine Offenbarung hineinziehen kann, aber niemals

    heiligen Orte und Einrichtungen den Menschen. Der

    feurige Busch in der Wste brannte nur so lange, als

    Gott von ihm Besitz genommen hatte. Als Gott erst

    seine Berufung an Mose vollendet hatte, verlor er

    wieder sein Feuer und seine Weihe. Orte und Mittel

    sind daher nur insoweit geheiligt und geweiht, als sie

    Gott dienen, uns seine Herrlichkeit und Majestt zu

    enthllen. Er hat mithin unsere Erwartungen, Tabor-

    stunden zu erleben, nicht an heilige rtlichkeiten undEinrichtungen gebunden, sondern allein an sich selbst

    als den Quell jeglicher Segnung und Offenbarung.

    Dasselbe gilt auch von unseren Glaubenskonfe-

    renzen, Bibelstunden, Erbauungsversammlungen und

    Gottesdiensten allerart. Auch sie brennen nur in ei-

    nem heiligen Feuer, insoweit Gott in ihnen gegen-wrtig ist. Auch sie heiligen uns nicht, sondern Gott

    heiligt uns, der sie benutzt, uns mit seinem Lichte

    und mit seiner Kraft vertraut zu machen. Fehlt Gott

    in unseren Gottesdiensten, dann ist alles Zusammen-

    kommen nur frommer Betrieb: Kultus mit dem Heili-gen anstatt Anbetung des Heiligenden, seelische Erhebung

    und mystische Stimmung anstatt geistliche Auferbauung

    des Leibes Jesu Christi.

    Daher kehrte das Bild der kleinasiatischen Lao-

    dizea-Gemeinde auch in der Geschichte der Kirche

    Christi immer wieder. Laodizea besa uerlich al-

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    les, was eine Gemeinde fr ihr geistliches Leben und

    Wachstum an heiligen Einrichtungen ntig hatte. Sie

    konnte im Blick auf das Bestehende sagen: Ich binreich und habe Schtze gewonnen und bedarf nichts

    (Offb. ,). Aber Christus, der Herr der Kirche, fehlte

    ihr. Der Herr der Herrlichkeit zeltete nicht in der Ge-

    meinde, sondern stand anklopfend und wartend

    auerhalb seiner Gemeinde. Laodizea begngte sich

    mit der Herrlichkeit und Flle ihres christlichen

    Eigenlebens und konnte die Gegenwart der Person

    ihres Herrn und Heilandes entbehren. Die Beschf-

    tigung mit den Heilsgtern war dieser Kirche viel

    wertvoller als der innerliche Glaubensumgang mit

    Christus als ihrem Heilsspender und ihrem Haupte.Wohl wirkte sie fr Christus, aber ohne das Wirken

    Christi in ihr.Laodizea-Dienst ist nicht mehr die sicht-

    bare Frucht der Christusaktivitt innerhalb der Ge-

    meinde, sondern die Gemeindeaktivitt als christliche

    Pflicht fr Christus. Christus ist es jedoch nicht in er-

    ster Linie um die Gabe seiner Kirche, sondern um sieselbst als Person zu tun. Er sehnt sich nach der Ge-

    meinschaft derer, die Ihm innerlich in ihrer Gesin-

    nung verwandt geworden sind. Kann man doch Geis-

    tesgemeinschaft nur mit Geistesverwandten pflegen.

    Wie viele gibt es aber auch in unseren Tagen, diefr ihr Leben die Taborsegnungen weit mehr von ei-

    ner Sache als von Ihm, der erhhten und doch gegen-

    wrtigen Person, erwarten!Man pflegt das Heilige, an-

    statt Gemeinschaft mit dem Heiligen zu haben. Man

    bekennt sich zwar zum Kreuz Christi, aber lebt ohne

    den Geist des Gekreuzigten. Man glaubt zwar an den

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    Auferstandenen, aber praktisch rechnet man nicht mit

    dessen Gegenwart, die uns in sein Wirken hineinzu-

    ziehen sucht. Man verkndigt zwar die Vershnung,aber als Dogma der Kirche und nicht als die schpfe-

    rische Gotteskraft, die aus Feinden des Kreuzes Apo-

    stel der Barmherzigkeit Gottes macht. Begriffund

    Lehre mssen Leben und Gemeinschaft ersetzen.

    Jedoch Begriffe an sich, und wenn es auch die tief-

    sten und herrlichsten sind, knnen keine Lebenskraft

    vermitteln. Wohl erweitern sie das Wissen ber Gott,

    aber nicht die Gemeinschaft mit Gott. Wohl knnen

    sie zu einer gesetzlichen Forderung werden, aber nie-

    mals zu einer gttlichen Kraft, die in uns ein neues

    Leben auslst. Gttliche Krfte mit ihrem Lebenpflanzen sich nur durch den geistigen Umgang von

    Person zu Person fort. Keine Lehre noch Einrichtung,

    keine Grundstze noch Handlungen knnen uns in

    unserm tiefsten und heiligsten Erleben den ersetzen,

    der in seiner Person allein das Leben und die Wahr-

    heit ist.Mithin gelangen wir allein durch Christus selbst

    zu jenem neuen Leben, das uns die ganze Flle seines

    Segens erschliet.

    Gttliches Geistesleben entsteht allein durch gttliche

    Geistesmitteilung, und zwar aufgrund der Gemein-schaft zwischen dem gttlichen du und dem mensch-

    lichen ich. Was Christus in seinen Jngern wirken

    will, ist nicht die uere Befolgung seiner Lehre, son-

    dern die innere Wesensverwandtschaft mit seinem

    Geiste. Christi Lehre uerlich zu befolgen hat die

    Kirche auch in solchen Zeiten versucht, wo sie Anders-

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    glubigen Folter und Scheiterhaufen schuf. Mit dem

    Geiste Christi hatte sie jedoch nichts zu tun. Um die

    uere Befolgung der Lehre Jesu bemhte sich in gro-er Selbstaufopferung auch der russische Schriftstel-

    ler Tolstoi. Aber dem Geiste des Evangeliums blieb er

    innerlich fremd. Ihm fehlten zwar nicht christliche

    Ideale, heilige Grundstze, opferfreudige Entschls-

    se, selbstauferlegte Entsagungen. Was ihm jedoch fehl-

    te, war der persnliche Umgang seines Ichs mit dem

    gttlichen du, der verborgene Verkehr seiner Seele mit

    ihrem erhhten und doch gegenwrtigen Herrn.

    Aber leidet nicht letzthin berhaupt unser heuti-

    ges Geschlecht unter der Annahme, dass Ideale und

    Grundstze die Quelle unserer Handlungen wren?Verwechseln wir nicht bis tief in die christlichen Kreise

    hinein Frucht und Wurzel? Glauben wir nicht wieder

    viel mehr an unsere christlichen Institutionen und

    deren gesetzliche Kraft als an die unmittelbaren Sch-

    pfungen des Auferstandenen in den gegenwrtigen

    Gliedern seines Leibes?Gilt unser Vertrauen nicht weit

    mehr dem, was wir fr Gott tun, als dem, was Gott in

    uns tut?Wir haben eine Moral, aber eine christlich-

    gesetzliche. Sie ist nicht das Ergebnis des gttlichen

    Wirkens innerhalb seiner Neuschpfung. Wir suchen

    Leben, aber in unserer religisen Vielgeschftigkeit.Hinter ihr steht aber vielfach weder Gottes Auftrag

    noch die Vollmacht seines Geistes. Wir meinen Gott,

    aber verstehen darunter weit mehr unser Lehren ber

    Gott als unsere Gemeinschaft mit Gott.

    Diese Verwechslung macht uns heute bei all unse-

    rer Christlichkeit und Frmmigkeit so unendlich arm

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    und heimatlos. Wir sind weder in der Welt noch in

    Gott zu Hause. Wir mchten nicht von der Welt,

    aber auch nicht von Gott sein. Wir ruhen in unsererchristlichen Religion mit ihrer gesetzlichen Betrieb-

    samkeit und nicht in Gott und dessen Wirken. Wir

    sind fromm, aber nicht, weil Gott in uns wirkt, son-

    dern um einmal selig zu sterben. Wir wollen in den

    Himmel, aber nicht um Gottes willen, sondern um

    des wunderschnen Himmels willen, den wir auf Er-

    den bei all unserem Hasten und Rennen, bei all unse-

    rer Religion und Frmmigkeit nicht finden konnten.

    Wir nehmen in den Tagen der Not und Angst unsere

    Zuflucht zu Gott, aber nicht um des innerlichen Kon-

    takts mit Gott willen, sondern um der Hilfe von Gottwillen. Was uns jedoch Not tut, ist mehr als nur Hil-

    fe. Wonach unsere verarmte Seele schreit, ist mehr

    als nur ein zuknftiger Himmel. Was uns in unserer

    seelischen Vereinsamung fehlt, ist mehr als ein reli-

    giser, kirchlicher und missionarischer Betrieb. Was

    die Welt in uns zu sehen wnscht, ist mehr als einefromme uerliche Moral in pharisischer Selbstber-

    hebung. Was uns von der Welt und ihrem Wesen

    scheiden soll, ist mehr als selbstauferlegte Askese und

    rumliche Weltflucht.

    Kennen wir jenes Sehnen nach Wesenhaftem?Esist jenes Sehnen, das nicht den Berg der Verklrung sucht,

    sondern den Christus der Offenbarung. Es ist jener Hun-

    ger nach Wahrheit, der das Gttliche nicht als einen

    dogmatischen Begriff, sondern als geborenes Leben be-

    sitzt. Es ist jenes innerliche Suchen, das nicht den

    Glanz der Tempel, sondern die Herrlichkeit des Herrn

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    sehen mchte. Es ist jene bewusste Armut im Geiste,

    der es nicht um eine neue Kirchlichkeit, sondern um

    neue Kraftwirkungen des gttlichen Lebens zu tun ist.Diese Kraftwirkungen gehen jedoch allein von

    Dem aus, der die Flle des Lebens und jeglichen Heils

    ist: Christus. Er allein vermag irgendeinen Ort der Ihm

    Gelegenheit gibt, sich zu offenbaren, fr uns zu einer

    Tabors-Hhe zu machen. Dennwo immer wir seine

    Herrlichkeit schauen, da sind Tabors-Hhen fr unser

    Glaubensleben. Und Er ist es selbst, der als unser Meis-

    ter uns von Fall zu Fall beiseite nimmt, um mit uns

    nach all dem im Kampf und im Dienst Erlebten al-

    lein zu sein. Denn ruhen, wie Maria ruhte, und Herr-

    lichkeiten schauen, wie sie die Jnger auf dem Ver-klrungsberge sahen, kann man nicht nach mensch-

    lichen und kirchlichen Paragraphen und Rezepten.

    Unsere rzte knnen unseren physisch Leidenden und

    Nervsen zwar Zeiten der Erholung und der Ruhe

    verordnen, damit sie zu neuer Kraft gelangen. Das

    knnen wir auf dem Boden des geistlichen Lebensund des Glaubens nicht. Da wird jeder persnlich ge-

    fhrt und geleitet. Denn unser Jesus ist souvern auch

    in seinem Segnen. Er bestimmt selbst die Zeit, das

    Ma und auch den Ort unserer Segnungen. Sein

    knigliches Hohepriesterherz wgt ab, wie viel Lichtund Schatten, wie viel Regen und Sonnenschein in

    unser Leben fallen darf. Als treuer Hirte fhrt Er sei-

    ne Schafe ein und aus und bestimmt fr sie die Zeit,

    wann sie ruhen drfen an frischen Lebensquellen. Wo

    diese fr uns rauschen, wei Er weit besser zu be-

    urteilen, als wir es vermgen.

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    Im Sden Russlands hatten wir vor Jahren zwei

    aufeinander folgende Glaubenskonferenzen. Fr bei-

    de war ein einheitliches Thema bestimmt worden. Aufder ersten sollte die vor-antichristliche und auf der

    zweiten die nach-antichristliche Zeit beleuchtet wer-

    den. Ich freute mich lange im Voraus auf den Segen,

    den ich in diesen Tagen zu finden hoffte. Die Tage

    kamen. Aber durch Gottes Fgung durfte ich weder

    zu der einen noch zu der anderen Konferenz fahren.

    Das beugte mich. Ich prfte mich vor dem Herrn, ob

    meine innere Stellung vielleicht so sei, dass ich ein

    Hindernis fr die Konferenz gewesen wre. Aber ich

    konnte nicht sagen, dass der Heilige Geist auf irgend-

    eine Sache in meinem Innenleben besonders seinenFinger legte. Als ich so fragend vor dem Herrn stand,

    offenbarte Er mir ein kstliches Geheimnis. Er zeigte

    mir, dass der Segen, den ich erwartete, diesmal nicht

    in der Konferenz fr mich liege, sondern allein auf

    jenem Wege, den Er mich fhrte.

    Ja, man kann sagen, dassvielfach unsere tiefsten Seg-

    nungen und hchsten Offenbarungen gerade da liegen,

    wo wir sie am wenigsten erwarten. Jakob fand einst

    einen offenen Himmel auf einsamer Landstrae. Solch

    eine Gottesoffenbarung hatte er hier nicht erwartet.

    Es war nur verstndlich, dass seine Seele sich nach allden schweren Erlebnissen im Elternhause unendlich

    verlassen fhlen musste. Sein Bruder hatte ihm mit

    dem Tode gedroht. Sein Vater war alt, und er konnte

    kaum erwarten, ihn je wiederzusehen. Die Verwandt-

    schaft seiner Mutter kannte er nicht. Dunkel, voller

    Sorgen und Rtsel lag daher die Zukunft vor ihm,

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    aber nicht vor dem Herrn des Lichts und der Offen-

    barung. Was der Herr ihm im Elternhause und in der

    Gemeinschaft mit andern nicht hatte erschlieen kn-nen, konnte ihm hier geoffenbart werden. In dem

    Bilde einer Leiter wurde ihm gezeigt, dass Gottes Gegen-

    wart hinabreicht auch auf seinen einsamen Weg. So dun-

    kel die Welt und die Zukunft auch vor ihm lagen,

    ber ihm stand der Himmel offen, und Gottes Engel

    stiegen auf und ab, um den Segen zu vermitteln, der

    oben fr ihn bereit lag. Als er am nchsten Morgen

    erwachte, bezeugte seine Seele mit Anbetung: Ge-

    wisslich ist der Herr an diesem Ort, und ich wusste

    es nicht (. Mose ,).

    Jene Witwe, die, innerlich von tiefem Schmerz ge-beugt, der Leichenbahre ihres Sohnes zum Stadttor

    hinaus folgte, um ihre einzige Sttze zur letzten Ruhe

    zu geleiten, ahnte nicht, dass sie gerade auf diesem

    Wege dem begegnen werde, der Vollmacht vom Va-

    ter hatte, ihr auch Verlorenes wiederzugeben.Aufdem

    Wege ihres tiefsten Wehs fand sie den Quell ihrer hchs-

    ten Freude:Jesus, der zu ihr sprach: Mutter, nimm

    deinen Sohn! (Luk. ,-).

    Jene zwei Jnger, die ber all die Dinge, die in den

    letzten Tagen geschehen waren, tief bewegten Herzens

    Jerusalem verlassen hatten, um nach Emmaus zu ge-hen, sahen alle ihre Hoffnungen zusammengebrochen,

    die sie mit dem Auftreten Jesu fr sich und ihr Volk

    erwartet hatten. Ihre Seele stand unter den erscht-

    ternden Eindrcken von Golgatha, wo der, auf den

    sie alle Hoffnungen gesetzt hatten, von Pilatus im Auf-

    trag der Obersten und Schriftgelehrten ihres Volkes

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    gekreuzigt worden war. Durch das Kreuz der Welt und

    durch den Hass der eigenen Fhrer war ihnen Jesus

    genommen worden. Zwar behaupteten einige Frau-en, die am Grabe gewesen waren, dass das Grab leer

    sei und Jesus auferstanden wre. Ihnen erschienen aber

    diese Mitteilungen mrchenhaft. Nun sollten die bei-

    den Jnger gerade auf diesem Wege den wiederfinden,

    den sie verloren hatten. Denn ihr Herzfing an zu bren-

    nen, als Jesus begann, ihnen die Schrift zu ffnen (Luk.

    ,). Und als Er dann mit ihnen zu Tische sa und

    ihnen das Brot brach, da erkannten sie, dass Er es war,

    der ihnen zwar durch das Kreuz genommen, aber

    durch die Auferstehung wiedergegeben war.

    Israel fand einst mitten in der Wste ein Elim mitsiebzig Palmbumen. Denn Gott hat immer wieder

    fr jedes Mara das Holz des Lebens gefunden, durch

    das die bitteren Wasser s wurden.

    Aus tiefstem Erleben heraus bezeugte daher der alt-

    testamentliche Snger, dass unser Gott in seinen

    Offenbarungen weder an Zeiten noch an Orte ge-bunden ist. Im Blick auf das groe Knnen Gottes

    singt er zum Troste der Mden und Heimgesuchten:

    Er macht Strme zur Wste und lsst Wasserquel-

    len vertrocknen. Fruchtbares Land wird zur Salzwste

    um der Bosheit derer willen, die darinnen wohnen.Ermachte aber auch die Wste zum Wasserteich und

    drres Land zu Wasserquellen und lie Hungrige da-

    selbst wohnen, und sie grndeten eine bewohnte Stadt.

    Und sie besten die cker und bepflanzten Weinberge

    und hatten von den Frchten einen schnen Ertrag

    (Ps. ,ff).

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    Dieses ergreifende Bild hatte der Psalmist als

    Gleichnis aus den allerschmerzlichsten Erlebnissen

    seiner Seele gewonnen. Denn kein Bild drckte soden Zustand der Hoffnungslosigkeit aus als das einer

    Wste und das eines Felsens. Sowohl der den W-

    ste als auch dem kahlen Felsen fehlen jegliche Vor-

    bedingungen fr organisches Leben und Wachstum.

    Auf ihrem Boden erstirbt das Leben und herrscht der

    Tod. Aber der Gott, der Auswege hat auch aus dem

    Tode, vermag auch eine Wste zu einem Garten Got-

    tes umzuwandeln. Er kann gebieten, dass Felsen Was-

    ser geben und dass Wsten Grten werden. Er ff-

    nete den Felsen, und esfloss Wasser heraus, es lief ein

    Bach in der Wste (Ps. ,).Denn fr unseren Gott gibt es keine so einsamen

    Wege und so dunkle Stunden, dass Er einer Seele

    nicht, wie einst Jakob, einen offenen Himmel geben

    knnte. Er vermag auch da, wo das natrliche Auge

    nur Schwierigkeiten, Unfruchtbarkeit und geistliche

    Armut sieht, dem Glauben Gelegenheit zu schenken,neue Lebensquellen zu entdecken, die alles zu neuer

    Blte und neuem Wachstum werden lassen. Daher

    bezeugte der von Gott begnadete Snger des Alten

    Bundes auch von der Pilgergemeinde, die aus der

    Fremde kommend durch die den Bakkatler zuden heiligen Altren Gottes in Jerusalem wallt: Und

    gehen sie durch ein Bakkatal, so macht Er es zu ei-

    nem Quellort, denn der Frhregen bekleidet es mit

    Segen. Sie gehen von Kraft zu Kraft, bis sie vor Gott

    in Zion erscheinen (Ps. ,).

    Tabors-Hhen knnen daher auch im Kranken-

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    zimmer und am Sterbebett und auf einsamer Landstrae

    liegen. Denn wo immerChristus seine Herrlichkeit ei-

    ner Seele in besonderer Weise offenbaren kann, da stehtsie auf einer Tabors-Hhe.

  • 8/8/2019 Allein mit dem Meister

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    Wir sahen seine Herrlichkeit

    Dort trat vor ihren Augen in seinem ueren eine

    Wandlung ein; auch seine Kleider wurden so gln-

    zend und wei, wie sie kein Bleicher auf Erden

    machen knnte.

    Markus ,-

    Die Taborstunden lieen die Jnger tiefer denn je hin-

    einschauen in die Herrlichkeit dessen, dem sie nach-

    folgten. Jesus ward vor ihnen verklrt. Das war der

    groe Segen, den sie in diesem Alleinsein mit demMeister auf hohem Berge fanden.

    Zwar hatten sie schon manches an der Seite Jesu

    erlebt. Manche Herrlichkeiten waren ihnen durch sein

    Wirken enthllt worden. Denn die innere Herrlich-

    keit einer Persnlichkeit wird sichtbar in deren Wor-

    ten und in deren Handlungen. An diesen zeigt es sich,was eine Person an Licht und an Kraft in sich trgt.

    Wenn Johannes in seinen spteren Jahren den Ge-

    samteindruck zusammenfasste, den er mit den ande-

    ren Jngern von dem Wirken ihres Meisters erhalten

    hatte, so tat er das mit dem Zeugnis: Das Wort istFleisch geworden und hat fr eine Weile unter uns

    gewohnt. Wir haben seine Herrlichkeit gesehen,ja, eine

    Herrlichkeit, wie sie ein einziger Sohn empfngt von

    seinem Vater: voller Gnade und Wahrheit. Der bishe-

    rige Umgang der Jnger mit Jesus hatte ihnen daher

    so manche Gelegenheit gegeben, mit der vor der Welt

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    verborgenen Herrlichkeit ihres Meisters vertraut zu

    werden. Wie tief hatten sie gelegentlich hineinge-

    schaut in die Herrlichkeit seines Wesens, in die Kraftseiner Worte und in die Vollmacht seines segnenden

    Dienstes!

    Wie viel Licht war ihnen von Fall zu Fall geworden

    durch sein Wort! Wenn Er zum Volke redete, so lehr-

    te Er nicht, sondern zeugte; so forderte Er nicht, son-

    dern bot. Jesus trat in seiner Botschaft nicht als ein

    zweiter verbesserter Mose auf. Auch war Er nicht der

    Grte unter den israelitischen Schriftgelehrten. Er

    war Prophet und mehr als das. Er war in seiner Person

    die verkrperte Botschaft Gottes an die Welt, das Evange-

    lium des Vatersan seine verlorenen Shne und Tchterauf Erden. Daher lag auch in seinen Worten solch eine

    unmittelbare Kraft. Aus ihnen sprach nicht eine from-

    me Theorie, sondern das persnliche Leben. Seine

    Zeugnisse waren nichts anderes als die reife Frucht

    seines vertrauten Umgangs mit Gott. Er schaute Ewi-

    ges, daher trug Er die Ewigkeit in die Vergnglich-keit. Er atmete die Lebenssphre seines himmlischen

    Vaters, daher zeugte Er vor den verlorenen Shnen

    von einem Vater in den Himmeln. Er war vertraut

    mit der ganzen Flle einer vergebenden Gnade, da-

    her fhrte Er Zllner und Snder zu dieser Gnade.Das Reich seines Vaters war Ihm die Summe alles

    Heils, daher lenkte Er den Blick aller Wartenden auf

    den Anbruch dieser Gottesherrschaft auf Erden. Er

    pries die Armen im Geiste selig, weil fr sie Raum

    war in diesem Knigreich der Himmel. Das berwlti-

    gende, das in der Unmittelbarkeit und in der ber-

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    zeitlichkeit seiner Worte lag, empfand das Volk. Da-

    her sprach es, wenn es Ihn hrte: Der redet ja wie

    einer, der Vollmacht hat, und nicht wie die Schrift-gelehrten.

    Niemand vermochte sich daher der Kraft seiner

    Worte zu entziehen. Wie groe Persnlichkeiten alles

    an sich ziehen, was innerlich ihrem Geiste verwandt ist,

    und alles abstoen, was nicht ihre Art in sich trgt, so

    war dies in erhhtem Mae auch bei Jesus der Fall. Alle

    der Vergnglichkeit Mden freuten sich ber den

    vollen Klang der Ewigkeit, der in seinen Worten lag.

    Alle nach einer hheren Gerechtigkeit Hungernden

    und Drstenden horchten innerlich auf, wenn Er von

    einer Gerechtigkeit sprach, die besser sein msse alsdie der Schriftgelehrten und Phariser. Die Zllner

    und Snder gewannen Zuversicht auch fr ihr ver-

    lorenes Leben, wenn in den Worten Jesu eine Gnade

    sichtbar wurde, die weit grer war als ihre Schuld.

    Mhselige und Beladene begriffen, dass das Leben in

    dem Knigreich der Himmel, wie Jesus lebte und be-zeugte, kein drckendes Joch und keine schwere Last

    sein knne. Petrus fasste daher eines Tages seine Ein-

    drcke in das tief bezeichnende Bekenntnis zu-

    sammen: Du hast Worte des ewigen Lebens!

    Die einzigen Gegner fand Jesus zunchst in denReihen der Schriftgelehrten und Phariser.Denn hier

    standen sich nicht Meinung und Meinung gegenber,

    sondern Leben und Leben, Gesetz und Evangelium, Ge-

    meinschaft mit Gott und Religion, gttliches Wirken und

    menschliche Leistung, Ewigkeit und Vergnglichkeit.

    Zwar waren viele der Schriftgelehrten und Phariser

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    hohe Idealisten, groe Kenner des Gesetzes, leiden-

    schaftliche Verehrer der Propheten und fanatische

    Freunde ihres Volkes. So manche verzehrten sich imEifer fr Gott und Vaterland. Auch waren sie zu den

    grten Opfern und schwersten Selbstentsagungen

    fhig, wenn es galt, ihre religisen Ideen und ihre ho-

    hen Ziele zu verwirklichen. Aber so sittenrein ihr Le-

    ben vielfach auch war, so sehr sie sich auch auf Mose

    und die Propheten beriefen, so eifrig sie auch dem

    Kommen der messianischen Heilszeit die Wege zu

    ebnen suchten, zwischen ihnen und Jesus lag eine un-

    berbrckbare Kluft. Jesu Art war von der ihren

    grundverschieden. Sie glaubten an das Erlsende in

    der gesetzlichen Forderung, an die bessernden Krfteheiliger Institutionen, an die Erlangung der gttlichen

    Ziele durch die Pflege eines sittlichen Lebens. Sie

    waren daher in ihrem Fhlen und Denken, in ihrem

    Beten und Opfern, in ihrem Weinen und Warten ein-

    gestellt auf das, was der Mensch vor Gott zu seinem

    Heil zu tun versucht. Ihr religises Leben wurzelte inder eigenen Kraft, ihr Evangelium legte immer neue

    Lasten auf, ihre Zukunft war rein national und ir-

    disch, ihr Ziel auf dem Wege neuer Taten neue Men-

    schen zu erziehen.

    Diese pharisische Art und Geistesrichtung sah sichdurch die ganze Art Jesu verurteilt und gerichtet.

    Denn Jesus wusste, dass neue Taten erst von neuen

    Menschen kommen knnen. Daher brachte Er zu-

    nchst das Himmelreich und lebte in dessen Kraft

    und orientierte sich in dessen Licht. Was Er von die-

    sem Licht und von dieser Kraft und von diesem Le-

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    ben des Himmelreichs in sich trug, wollte Er nicht

    begrifflich lehren, sondern innerlich bertragen.Denn

    nicht durch Verbreitung neuer Prinzipien, sondern durchinnerliche Vermittlung neuer Lebensenergien werden

    neue Menschen erzogen. Jesu Art kann nur aus Jesu

    Geist flieen, Jesu Himmelreich nur da Wirklichkeit

    werden, wo man in demselben Umgang mit Gott als

    seinem Vater lebt, den Er pflegte.

    Wer sich daher seinem Geiste erschloss, der sah in

    seinen Worten und in seinem Wirken die Herrlich-

    keit Gottes und des Vaters voller Gnade und Wahr-

    heit. Alles auf sich selbst eingestellte Leben und alle

    in der eigenen Kraft und in selbstgerechter Frmmig-

    keit wurzelnde Religion sah sich jedoch durch dieseganz eigenartige Einstellung Jesu verurteilt und ge-

    richtet.Jesus war von Anfang an das Ende aller Reli-

    gion und der Anbruch der Gottesherrschaft im Menschen.

    Denn in Jesus kam Gott, nicht das Fleisch, die lebendige

    Gemeinschaft mit dem Vater, nicht jdischer Kultus

    die Gottesherrschaft auf Erden, nicht das nationale

    Knigtum eines Volkes zur Geltung.

    Nicht weniger war Jesu innere Herrlichkeit sicht-

    bar geworden vor den Augen der Jnger in seinem

    wundervollen Wirken. Da war fast alles ein Wunder:

    gttliche Unmittelbarkeit. Ob man diese Wunder ver-stand oder nicht verstand, ob man ihre Kraftquelle

    begriffoder nicht begriff: Die Blinden am Wege wur-

    den sehend, Ausstzige kehrten gereinigt zu ihren Ver-

    wandten und Freunden zurck. Tausende wurden in

    der Wste gesttigt mit wenigen Broten und Fischen;

    die Schwiegermutter eines Petrus verlie das Fieber,

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    als Jesus sie berhrte; das blutflssige Weib durfte von

    ihrer unheilbaren Krankheit genesen, als sie dem vor-

    berziehenden Propheten von Nazareth begegneteund im Glauben den Saum seines Kleides berhrte.

    Ja, Kraft ging von Ihm aus, eine Kraft, die sich

    nicht durch die bestehenden Naturgesetze bestimmen

    und binden lie, sondern in gttlicher Unmittelbar-

    keit wirkte. Denn die Wunder wollen nicht an der

    Natur, sondern anGott gemessen werden. Wunderist ganz einfach gttliche Unmittelbarkeit. Diese wirk-

    te sich in Jesus aus zum Heil der Leidenden, Hilf-

    losen, Verzagten und Gebundenen. Durch Ihn kam

    das Volk mit jener unmittelbaren Gotteskraft in Be-

    rhrung, die sich in ihrem Wirken nicht an die Ge-setze von Raum, Zeit und Stoffgebunden wei. Wun-

    der sind daher bewusste, gttliche Geistestaten, die ih-

    ren eigenen Gesetzen folgen, gleichviel, ob diese sich

    scheinbar innerhalb oder auerhalb von dem bewegen,

    was wir Naturgesetze nennen mgen. Wer Gott je in

    seinem unmittelbaren Wirken erlebte, wem seine gtt-liche Kraft geoffenbart wurde, die sich strker erwies

    als die Gesetze des Stoffes, der Zeit oder des Raumes,

    der glaubt an gttliche Wunder, wenn er sie auch nicht

    erklren und beweisen kann.

    Auch in den Tagen Jesu konnte vieles nicht erklrtund bewiesen werden. Die Phariser und Schrift-

    gelehrten retteten sich, indem sie erklrten: Er treibt

    die Teufel aus durch Beelzebub, den obersten der Teu-

    fel. Wer nie Gottes Unmittelbarkeit in sich trug, wird

    auch nie Gottes unmittelbares Wirken zu fassen

    vermgen. Wem jenes Einssein mit dem Vater fehlt,

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    in dem Jesus lebte, wird nie solche unmittelbaren

    Gottestaten zu wirken vermgen, wie Jesus sie zum

    Heil des leidenden Volkes wirkte. Gott war in Ihmgegenwrtig und wandelte heilend unter den verlore-

    nen Schafen vom Hause Israel.

    Am strksten kam dieses Wunderbare jedoch zum

    Ausdruck in der Heilung der Dmonischen. In dem

    Leben dieser Kranken handelte es sich nicht nur um

    ein physisches, krperliches Leiden, sondern um eine

    innerliche Seelenstrung. Die Kranken sahen sich

    vielleicht ihnen selbst mehr unbewusst von einem

    fremden Ich beeinflusst, sie wurden von unsauberen

    Geistern oder Dmonen geknechtet. Der Zustand

    dieser Armen war vielfach derart entsetzlich und hoff-nungslos, dass er unertrglich zu sein schien. Und

    doch musste er ertragen werden, bis sich der Tod als

    eine Erlsung fr den Kranken einstellte.

    Da kam Jesus. Sein Weg fhrte auch an dieser Not

    vorber. Er erkannte sogleich die fremde Macht, die

    sich in ihrer inneren Lust in den Kranken auslebteund deren Seele und Krper zerrttete und zugrunde

    richtete. Vor dem, der mit dem Vater des Lichts in

    unmittelbarer Verbindung stand, gab es kein Versteck-

    spiel. Da musste auch die Hlle offenbar werden als

    das, was sie war, so sehr sie sich auch in das reinMenschliche zu hllen versuchte. So erklrt es sich,

    dass die Dmonischen vor Angst schrien, wenn sie

    mit Jesus in Berhrung kamen. Sie fhlten, dass sie

    einer Geistesmacht gegenberstanden, der sie nicht

    zu widerstehen vermochten. Denn Jesus hatte Voll-

    macht auch ber die uns unsichtbare Welt der Fins-

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    ternis und des Todes. Sein Leben erwies sich strker

    als das Leben aus dem Abgrund. War dieses auch f-

    hig, einzelne so in seine Gewalt zu bekommen, dassderen Leben nichts anderes als ein willenloser Orga-

    nismus einer fremden Macht wurde, Jesu Majestt

    und Reinheit gegenber konnte dieses Leben aus dem

    Abgrund nicht bestehen.Die Hlle vermag im mensch-

    lichen Leben nur auf jenen Gebieten zu herrschen, die

    ihr wesensverwandt sind. Jesus jedoch konnte sagen:

    Es kommt der Frst dieser Welt, und er hat nichts

    an mir. Sooft und so tief Jesus auch versucht wurde,

    der Teufel suchte vergeblich in dem Menschensohn

    nach dem, was der Hlle verwandt gewesen wre.

    Daher hatte Jesus auch Vollmacht ber alle Fins-ternismchte, in welcher Form und Wesensart sie auch

    immer auftreten mochten. In Ihm trat ein Reich in

    Erscheinung, das sich vllig gelst und unabhngig

    erwies von den Krften der unteren Welt und daher

    auch dieser gegenber die Herrschaft behielt. Das

    Reich der gttlichen Liebe in Ihm begegnete demReich der dmonischen Selbstsucht in den Besesse-

    nen und erlste die Gebundenen aus ihrer Qual und

    ihrem Kerker. Jesus bezeugte sich auch auf dem Ge-

    biet des Dmonischen und der Hlle als Heiland und

    Retter, als der Gesandte und Gesalbte des Vaters. Sooffenbarte Er die Herrlichkeit der oberen Welt, die

    Er in sich trug, zum Heil derer, die unter der Knech-

    tung dmonischer Mchte hier unten seufzten.

    Jedoch gab es noch ein Gebiet im menschlichen

    Leben, den Jesus in seinem Wirken mit gttlicher Voll-

    macht begegnete. Das war das so dunkle Gebiet der

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    Snde. Hier trat am strksten die grundstzliche Ver-

    schiedenheit zwischen Ihm und den geistlichen Fh-

    rern des israelitischen Volkes zutage. Als Jesus, ergriffenvon dem Glauben der Leute, zu dem Gichtbrchigen

    sagte: Mein Sohn, deine Snden sind dir vergeben!

    empfanden das die anwesenden Schriftgelehrten als

    eine Gotteslsterung. Selbst die spter erfolgte

    wunderbare Heilung dieses Kranken rumte nicht die-

    sen unbesiegbaren Ansto aus ihrem Herzen hinweg.

    Ihre Welt war eine andere als die, in der Jesus lebte.

    Jesus wollte die Quelle alles bels, die Wurzel alles

    Verderbens aufdecken und den Menschen nicht nur

    von einzelnen Folgen seines Elends, sondern von dem

    Elend selbst erlsen. Es handelte sich in seinem Hei-landswirken nicht nur um die Beseitigung bestimmter

    bel, sondern um die Erneuerung des inneren Zustands.

    Sein Reich sollte dem Menschen nicht nur einiges

    Neue bringen, sondern in erster Linie den Menschen

    selbst neu machen. In Jesu Welt war daher alles auf

    innerste Erlsung, auf eine vllige Neuschpfung an-gelegt.

    Das war nicht die Welt der Schriftgelehrten und

    Phariser. Ihr Gott war weltfern und rein zuknftig.

    Ihre Welt trug nichts Ewiges in sich und kannte nichts

    von einer gttlichen Gegenwart, die sich in un-begrenzter Sndenvergebung und in schpferischer

    Erneuerung in seufzenden Menschen auszuwirken

    vermag. Daher konnten die Schriftgelehrten auch nie

    die gttlichen Sendboten einer Sndenvergebung sein,

    wie Jesus sie verkndigte. Sie trugen nichts Neues in

    sich, darum konnten sie ihrem leidenden Volke nichts

  • 8/8/2019 Allein mit dem Meister

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    Neues knden. Ihr Gott war durch das Gesetz ge-

    bunden und ging im Gesetz auf und wusste sich da-

    her nur im grten Gegensatz zum Zustand des Men-schen. Und vergeblich suchte der Fromme durch sei-

    ne Religion diesen Gegensatz zwischen sich und Gott

    zu berbrcken. Er fand nicht den Weg zurck zu

    Gott. Und ob ihm tausend Mittel und tausend Wege

    genannt wurden, er kam nicht mit dem Gott zu-

    sammen, der ihn zu erlsen vermochte.

    In Jesus zeltete jedoch die Herrlichkeit Gottes. In

    Ihm war sie gegenwrtig den Schuldbeladenen und

    den nach Vergebung und Gerechtigkeit Drstenden

    und Hungernden. Nur fr die Satten hatte Er kein

    Brot, fr die Gesunden keine Arzneien und fr dieSelbstgerechten keine Vergebung. Seine gttliche Sen-

    dung galt den Armen im Geist, den Ausgestoenen

    im Hause Israel, den Mhseligen und Beladenen un-

    ter dem auserwhlten Volk, den Verlorenen unter den

    neunundneunzig Gerechten. Fr sie hatte Er eine

    Kunde, die Evangelium war: eine Gnade, die vergibt;

    ein Leben, das frei machte; ein Joch, das beglckte; ein

    Gottesreich, das nicht mehr untergehen sollte; einen Frie-

    den, den niemand nehmen konnte; eine Zukunft, die

    das Vollendete bringen wrde.

    Das alles erlebten die Jnger mit an der Seite ihresMeisters. Kein Wunder, wenn Johannes im Rckblick

    auf all das Geschaute und Miterlebte schreiben konn-

    te: Aus seiner Flle haben wir alle genommen Gna-

    de um Gnade. Aber so tief die Segnungen auch ge-

    wesen waren, die die Jnger ihres Meisters erlebten,

    soviel sie auch in Jesu Worten und Handlungen von

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    der Herrlichkeit Gottes im Menschensohn gesehen

    hatten, das Bevorstehende bot mehr als alles bisher

    Empfangene. Im Umgang mit Jesus wird der Stromdes Lebens mit der sich offenbarenden Gottesherr-

    lichkeit immer tiefer, in den die Jnger sich von ih-

    rem Meister gefhrt sehen.

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    Von Klarheit zu Klarheit

    Dort trat vor ihren Augen in seinem ueren eine

    Wandlung ein; auch seine Kleider wurden so gln-

    zend und wei, wie sie kein Bleicher auf Erden

    machen knnte.

    Markus ,-

    Jeder Segen des Himmelreichs ist in seinem tiefsten We-

    sen so angelegt, dass er nach der Enthllung des Ganzen

    strebt. DasReich Gottes will sich dem Menschen nicht

    nur teilweise, sondern in seiner ganzen Flle mitteilenund ihn in die volle Erlsung hineinziehen, die es in

    sich trgt. Wie hatte der bisherige Umgang mit Jesus

    die Jnger bereits reich gemacht an Erkenntnis und

    Leben, an Friede und Freude im Heiligen Geist! An

    der Seite Jesu waren sie vertraut geworden mit der

    gegenwrtigen Kraft Gottes, die in Zllnern und Sn-dern ein Neues schuf. Diese Gotteskraft machte nicht

    halt vor den Kranken und Gebundenen, sondern

    brachte ihnen Genesung. Dort, wo in der Welt bis-

    her der Tod und die Snde so souvern geherrscht

    hatten, schuf sie neues Leben. Durch die Berufungin die Nachfolge ihres Meisters war fr die Jnger

    das ersehnte Gottesreich angebrochen und hatte sie

    zu Zeugen seiner Kraft und Herrlichkeit gemacht.

    Aber was die Jnger bisher an der Seite Jesu auch

    erlebt hatten, in der gegenwrtigen Verklrungsherr-

    lichkeit hatten sie Ihn noch nicht gesehen. In dieser

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    Glorie und Majestt seines Innenlebens hatte Er bis-

    her nie vor ihnen gestanden. Whrend Jesus mit sei-

    nen drei Jngern allein auf dem Berge im Gebet mitdem Vater weilte, brach pltzlich und unerwartet

    durch, was Er in seinem innersten Wesen war. Er war

    das Licht. Er stand in engster Wesensverwandtschaft

    mit dem Vater des Lichts. Die Herrlichkeit Gottes

    zeltete in Ihm und war der Charakter seines Innen-

    lebens. Wenn sie auch durch die Knechtsgestalt, in

    der Er wandelte, verhllt wurde, so fehlte sie jedoch

    nicht seinem wahren Sein und Wesen.

    Wohl war das Wort Fleisch geworden, um unter

    uns zu wohnen. Nur so konnte es von uns verstan-

    den werden. Aber hier auf dem Berge verklrte freinige Augenblicke der in Ihm wohnende Geist der

    Herrlichkeit auch Jesu ueres Wesen. Er strahlte wie

    die Sonne. In seinen Kleidern wurde jeder Farbton so

    von dem Licht verschlungen, dass sie glnzend und

    wei wurden, wie sie kein Bleicher auf Erden ma-

    chen konnte. Nun sah das Auge der Jnger, dass dieeinstige Schechina, die Herrlichkeit Gottes, die in den

    Tagen der Vter whrend deren Wanderung durch

    die Wste im Heiligtum zeltete, in dem Propheten

    von Nazareth wohnte.

    Was diese wunderbare Verwandlung fr Jesus selbstbedeutete, blieb wohl fr immer sein eigenes, persn-

    liches Geheimnis. Und doch forscht unser Geist nach

    diesem Geheimnis und sucht es zu verstehen. Er

    mchte erfassen, welche Bedeutung die Verklrung fr

    Jesus selbst und in Ihm fr uns alle hatte. Jedenfalls stand

    sie im engsten Zusammenhang mit seinem Innen-

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    und Geistesleben. Kann man doch bei innerlich ab-

    geklrten und geheiligten Persnlichkeiten die Wahr-

    nehmung machen, dass in ihrem ganzen Wesen undin ihrer ganzen Art ein Abglanz der Ewigkeit liegt. Es

    spricht aus ihrem Auge und ihrem Angesicht eine

    Reinheit und Klarheit, ein Friede und eine Harmo-

    nie der Seele, eine Ruhe und eine Entschlossenheit

    des Handelns, wie sie der gewhnliche Mensch nie

    besitzen kann. Esgibt einen Heiligenschein, der zwar

    nicht von Knstlerhnden gemalt werden kann, den aber

    ein heiliges, harmonisches Geistesleben in einer Weise aus-

    strahlt, dass dadurch die ganze Persnlichkeit wie ver-

    klrt erscheint.

    Jesu Verklrung stand daher in engstem Zusammen-hang mit seinem inneren Geistesbesitz. Nur so wird

    sie verstndlich. Welch eine neugestaltende und um-

    bildende Kraft dem Heiligen Geist zugeschrieben

    wird, geht aus den zahllosen Stellen des Alten und

    Neuen Testaments hervor, die seine gttliche Ttig-

    keit beleuchten. Wo es sich je im Leben des einzel-nen oder in dem Verlauf der Geschichte darum han-

    delte, dass der Mensch aus der Sphre seines natr-

    lichen in die Sphre des gttlichen Lebens versetzt

    wurde, so geschah es immer durch den Geist. Daher

    kennt die uns berlieferte Heilsgeschichte auch kei-ne gttliche Berufung und keine Wiedergeburt ohne

    den Geist, keinen Wandel mit Gott und keine prophe-

    tische Schau ohne die Erleuchtung des Geistes, keine

    Volkserneuerung und keine Herrschaft des Gottes-

    reiches auf Erden ohne die Kraft des Geistes. Ja, Pau-

    lus bringt sogar die Auferstehung der Glieder des Lei-

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    bes Christi in engste Verbindung mit dem Geist. So

    bezeugt er im Rmerbrief: Wohnt aber dessen Geist

    in euch, der Jesus von den Toten hat erweckt, so wird,der Christus von den Toten erweckte, auch eure Lei-

    ber, die dem Tode verfallen sind, lebendig machen

    durch seinen Geist, der in euch wohnt (Rm. ,).

    Auch die Apostel und die Urgemeinde nach Pfings-

    ten knnen in ihrem Verhalten zu Christus, als ihrem

    erhhten Herrn, nur verstanden werden, wenn man

    sie im Besitz jener heiligen, gttlichen Kraft des Geis-

    tes wei, durch die sie sich als Glieder aufs engste mit

    ihrem Haupt verbunden wussten. Die geschichtlichen

    Ostererlebnisse htten nie gengt, solch einen welt-

    berwindenden Glauben in den Jngern zu wirken,solch eine innere Lebensgemeinschaft mit dem er-

    hhten Herrn trotz aller Leiden und Trbsale zu pfle-

    gen, solche welterneuernden Krfte in Gesinnung und

    Dienst zu offenbaren und solch eine siegesgewisse Zu-

    versicht von dem endlichen Triumph der Gottesherr-

    schaft ber alles Fleisch zu bekunden. Was Apostelund Gemeinden zu dem vllig Neuen und Einzig-

    artigen in der Weltgeschichte machte, was sie aus dem

    natrlichen Gang des Geschehens heraushob und zu

    Trgern einer neuen, hheren Schpfung werden lie,

    das war der Heilige Geist, der in ihnen wohnte undwirkte.

    Diesen Geist besa Jesus in seiner ganzen Flle.

    Ihm war der Geist Gottes, der in Ihm wohnte, eine

    unerschtterliche Realitt. Er war das Tragende in

    seinem messianischen Selbstbewusstsein, das Ge-

    heimnis seiner einzigartigen Vollmachten, die un-

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    mittelbare Kraft seiner Worte, die Gewissheit von dem

    unbedingten Sieg des gttlichen Lebens ber die

    Welt trotz des Schattens von Golgatha. Er rechnetemit dessen Kraft in seinem Wirken und Segnen. Er

    lie sich durch dessen Licht leiten in seinen verschie-

    denen Handlungen. Er erwartete dessen unmittelbare

    Machtwirkungen in der Heilung der Kranken und

    Besessenen. Er wusste sich durch Ihn innerlich eins

    mit dem Vater. So erlste Gott durch seinen Geist in

    der Person Jesu Christi die Menschen aus dem Macht-

    bereich des Frsten dieser Welt und brachte sie unter

    die verheiene Herrschaft des angebrochenen Himmel-

    reichs. Der Geist des Vaters kam in seiner ganzen Flle

    in Ihm zur Ruhe und wirkte sich durch Ihn aus alssichtbare Gottesherrschaft auf Erden.

    In diesem Geistesbesitz sah Jesus daher auch die

    Erfllung der messianischen Prophetie. Er konnte in

    der Synagoge zu Nazareth, wo Er aufgewachsen war,

    mit dem Bekenntnis auftreten: Der Geist des Herrn

    ruht auf mir, denn Er hat mich gesalbt. Den Armensoll ich frohe Botschaft bringen: Dazu hat Er mich

    ausgesandt; den Gefangenen soll ich Freiheit knden

    und den Blinden, dass sie sehend werden; den Be-

    drckten soll ich Erlsung schenken: Ein Gnaden-

    jahr des Herrn soll ich ausrufen (Luk. ,-). Warim Alten Testament durch die Propheten verheien

    worden, dass der Geist in berstrmendem Mae dem

    Messias zuteil werden sollte, so nahm Jesus die Erfl-

    lung ganz fr sich in Anspruch und begngte sich

    nicht nur mit einem bestimmten Teil des Geistes.

    Wenn durch Ihn die volle und abschlieende Gottes-

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    erkenntnis vermittelt werden sollte, so konnte dies

    nur durch den Vollbesitz des Geistes geschehen. Und

    sollte diese messianische Heilszeit eine alles erneu-ernde und neubildende sein, wo Gott in den Gang

    der Dinge eingreifen und die Welt verwandeln sollte,

    so konnte es nur geschehen, wenn Ihm der Geist in

    solch einer Vollmacht gegeben war, dass Ihm in kei-

    nem Machtbereich der Schpfung etwas entgegen-

    treten knnte, das sich grer und strker erwies als

    die in Ihm wohnende Gotteskraft.

    Bisher war Jesus in seinem Leben und Wirken solch

    einer Macht nicht begegnet. Vielmehr zeigte sich, dass

    Er durch den Heiligen Geist von seinem Vater Voll-

    macht empfangen hatte ber alles Fleisch (Joh. ,).Nun wurde aber eine dunkle Macht mehr und mehr

    in seinem Leben sichtbar. Wird sie nicht vielleicht

    doch siegen? Das war Golgatha mit dem Kreuzestod.

    Seit einiger Zeit wusste Jesus, dass der Tag nicht mehr

    fern sei, wo die ltesten und Schriftgelehrten seines

    Volkes Ihn verwerfen und dem Kreuzestod berlie-fern wrden. Sowohl Markus als auch Lukas weisen

    in ihren Berichten darauf hin, dass die Verklrung in

    engstem Zusammenhang mit den vorangegangenen

    Leidensverkndigungen stand. Sollte wirklich auch

    Jesus den gewhnlichen Tribut der Snde zahlen undsterben wie jeder andere Snder?

    Die Antwort lag in der Verklrung. Sein Tod sollte

    nicht der Tribut sein, den auch Er wie jeder andere als

    Snder zu zahlen htte. Der Vollbesitz des Geistes

    durchdrang fr Aug