ALS ÖSTERREICH GRIECHENLAND WAR - gbw.at · insgesamt, wie der Skandal um die „Lagarde-Liste“...

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1. EINLEITUNG INHALT 1. Einleitung 1 2. Enorme Rezession und Arbeitslosigkeit 2 3. Entdemokratisierung Schritt für Schritt 4 4. Fazit: Griechenland darf nicht Österreich 7 werden KRISENPOLITIK DAMALS UND HEUTE ALS ÖSTERREICH GRIECHENLAND WAR: Valentin Schwarz ist Historiker, arbeitet im journalistischen Bereich und engagiert sich beim globalisierungskritischen Netzwerk Attac. Kontakt: [email protected] Der folgende Text ist als Kurzfassung im Arbeit&Wirtschaft-Blog der AK Wien und in der Volksstimme erschienen. Nicht alle LeserInnen werden die Geschichte der Zwischenkriegszeit detailliert kennen. Daher ein kurzer Überblick über die Entwicklungen vor und während der Weltwirt- schaftskrise: Mit dem Zerfall der Donaumonarchie 1918 wird Österreich zu einem Kleinstaat. Eine große Koalition aus konservativer Christlich-Sozialer Partei und Sozialdemokratischer Arbeiterpartei (SDAP) setzt soziale Reformen wie den Achtstundentag oder das Recht auf BetriebsrätInnen um. 1920 geht die SDAP in Opposition, ab nun regieren konser- vative Koalitionen. Beide Lager verfügen über Wehrverbände, die politische Gewalt nimmt gegen Ende der 1920er zu. Nach Ausbruch der Weltwirtschaftskrise 1929 radi- kalisiert sich der größte konservative Wehrverband, die Heimwehr. Ihre Führer beken- nen sich zum Faschismus. Ein Putschversuch einer regionalen Heimwehr scheitert 1931 schnell. Auch der Nationalsozialismus gewinnt parallel zur Entwicklung in Deutschland an Stärke. Als die christlich-sozial geführte Koalition 1932 in Folge einer Bankenrettung zerbricht, tritt die Heimwehr-Partei in die Regierung ein. Die Koalition hat im Parla- ment eine Mehrheit von lediglich einem Mandat. Am 4. März 1933 nützt der christlich- soziale Kanzler Engelbert Dollfuß eine Geschäftsordnungskrise des Parlaments, um dieses auszuschalten und regiert autoritär mittels Notverordnungen. Schritt für Schritt geht die Regierung nun gegen die demokratischen Institutionen und die oppositionel- le Sozialdemokratie vor. Letztere wird im Februar 1934 in einem kurzen Bürgerkrieg gewaltsam zerschlagen. Mit der Verfassung vom 1. Mai 1934 enden Demokratie und Republik in Österreich auch formell: Der austrofaschistische Ständestaat wird gegrün- det. Während eines nationalsozialistischen Putschversuchs im Juli 1934 wird Dollfuß er- mordet. Sein Nachfolger Kurt Schuschnigg herrscht bis zum sogenannten „Anschluss“ Österreichs an Nazi-Deutschland 1938. Flickr Sindre Wimberger 2007 DER AUTOR GRÜNE WERKSTATTSCHRIFTEN NUMMER 6/2014 EINE REIHE DER GRÜNEN BILDUNGSWERKSTATT

Transcript of ALS ÖSTERREICH GRIECHENLAND WAR - gbw.at · insgesamt, wie der Skandal um die „Lagarde-Liste“...

1. EINLEITUNG

INHALT1. Einleitung 12. Enorme Rezession und Arbeitslosigkeit 23. Entdemokratisierung Schritt für Schritt 44. Fazit: Griechenland darf nicht Österreich 7 werden

KRISENPOLITIK DAMALS UND HEUTE

ALS ÖSTERREICHGRIECHENLAND WAR:

Valentin Schwarz ist Historiker, arbeitet im journalistischen Bereich und engagiert sich beim globalisierungskritischen Netzwerk Attac. Kontakt: [email protected] folgende Text ist als Kurzfassung im Arbeit&Wirtschaft-Blog der AK Wien und in der Volksstimme erschienen.

Nicht alle LeserInnen werden die Geschichte der Zwischenkriegszeit detailliert kennen. Daher ein kurzer Überblick über die Entwicklungen vor und während der Weltwirt-schaftskrise:

Mit dem Zerfall der Donaumonarchie 1918 wird Österreich zu einem Kleinstaat. Eine große Koalition aus konservativer Christlich-Sozialer Partei und Sozialdemokratischer Arbeiterpartei (SDAP) setzt soziale Reformen wie den Achtstundentag oder das Recht auf BetriebsrätInnen um. 1920 geht die SDAP in Opposition, ab nun regieren konser-vative Koalitionen. Beide Lager verfügen über Wehrverbände, die politische Gewalt nimmt gegen Ende der 1920er zu. Nach Ausbruch der Weltwirtschaftskrise 1929 radi-kalisiert sich der größte konservative Wehrverband, die Heimwehr. Ihre Führer beken-nen sich zum Faschismus. Ein Putschversuch einer regionalen Heimwehr scheitert 1931 schnell. Auch der Nationalsozialismus gewinnt parallel zur Entwicklung in Deutschland an Stärke. Als die christlich-sozial geführte Koalition 1932 in Folge einer Bankenrettung zerbricht, tritt die Heimwehr-Partei in die Regierung ein. Die Koalition hat im Parla-ment eine Mehrheit von lediglich einem Mandat. Am 4. März 1933 nützt der christlich-soziale Kanzler Engelbert Dollfuß eine Geschäftsordnungskrise des Parlaments, um dieses auszuschalten und regiert autoritär mittels Notverordnungen. Schritt für Schritt geht die Regierung nun gegen die demokratischen Institutionen und die oppositionel-le Sozialdemokratie vor. Letztere wird im Februar 1934 in einem kurzen Bürgerkrieg gewaltsam zerschlagen. Mit der Verfassung vom 1. Mai 1934 enden Demokratie und Republik in Österreich auch formell: Der austrofaschistische Ständestaat wird gegrün-det. Während eines nationalsozialistischen Putschversuchs im Juli 1934 wird Dollfuß er-mordet. Sein Nachfolger Kurt Schuschnigg herrscht bis zum sogenannten „Anschluss“ Österreichs an Nazi-Deutschland 1938.

Flickr Sindre Wimberger 2007

DER AUTOR

GRÜNEWERKSTATTSCHRIFTENNUMMER 6/2014

EINE REIHE DER GRÜNEN BILDUNGSWERKSTATT

Wer den österreichischen Weg in Diktatur und Bürgerkrieg verstehen will, muss sich mit der damaligen Wirtschaftskrise beschäftigen. Bereits 1932, lange vor der Parlamentsausschal-tung, sagt Justizminister Kurt Schuschnigg im Ministerrat: „Die Parlamente aller in wirtschaftlicher Not darniederlie-genden Staaten haben sich als ungeeignet erwiesen, Staat und Volk aus der Krise herauszuführen. Die Regierung stehe daher vor der Entscheidung, […] ob der nächste Kabinetts-wechsel nicht gleichbedeutend mit der Ausschaltung des Parlaments sein müßte. Bei einem solchen Notstand sei ein Regieren mit dem Parlament nicht möglich.“1 Aus Angst, mit ihrer Krisenpolitik in der Volksvertretung zu scheitern und als Folge die Macht zu verlieren, schaltet die Regierung Schritt für Schritt Parlament und sozialdemokratische Opposition aus. Dieser Kurs wird zum „Katalysator für den Weg in den Austrofaschismus“.2 Auch in der heutigen Eurokrise greifen die politischen Eliten angesichts wachsender Widerstände in der Bevölkerung zunehmend auf autoritäre Maßnahmen zurück. Am deutlichsten wird das in Griechenland. Welche Gemeinsamkeiten hat der Krisenstaat mit dem damaligen Österreich? Was können wir aus der Geschichte lernen?

Österreich damals Griechenland heuteRezession -22,5% (1929-1933)3 -22,1% (2009-2013)4

Arbeitslosigkeit 25,9% (1933)5 28% (November 2013)6

Arbeitslose 50% (1936/37)7 84,1% (Dezember 2013)8

ohne staatliche Unterstützung

Staatsschulden 43,5% (1935)9 177,3% (Prognose 2013)10

Die Parallelen beginnen bei den ökonomischen und sozialen Rahmendaten: Während in Österreich die Wirtschaftsleistung

1 Gertrude Enderle-Burcel (Hg.), Protokolle des Ministerrates der Ersten Republik, Abt. VII, Bd. 1, Wien 1980, S. 244.

2 Emmerich Tálos/Walter Manoschek, Zum Konstituierungsprozeß des Austrofaschismus, in Emmerich Tálos/Wolfgang Neugebauer (Hg.), Aus-trofaschismus. Politik – Ökonomie – Kultur 1933-1938, Wien 20126, 6-25, hier 12.

3 Vgl. Österreichs Volkseinkommen 1913 bis 1963 (=Monatsberichte des Österreichischen Instituts für Wirtschaftsforschung, 14. Sonderheft), Wien 1965, 5.

4 Vgl. Europäische Kommission, European Economic Forecast Winter 2014, Full forecasts for Greece, http://ec.europa.eu/economy_finance/eu/fore-casts/2014_winter/el_en.pdf, Zugriff 1. März 2014, S. 64.

5 Vgl. Volkseinkommen 1965, 6.6 Vgl. Eurostat, Arbeitslosenquoten nach Geschlecht und Altersgruppe –

monatliche Daten, http://epp.eurostat.ec.europa.eu/, Zugriff 1. März 2014.7 Vgl. Gerhard Senft, Anpassung durch Kontraktion, in Tálos/Neugebauer

2012, 182-199, hier 184.8 Vgl. OAED, Kurzbericht über die bei der Arbeitsagentur Registrier-

ten, Dezember 2013, http://www.oaed.gr/index.php?option=com_content&view=article&id=1878, Zugriff 1. März 2014, 4.

9 Vgl. Hans Kernbauer, Österreichische Währungs-, Bank- und Budgetpo-litik in der Zwischenkriegszeit, in Emmerich Tálos/Herbert Dachs/Ernst Hanisch/Anton Staudinger (Hg.), Handbuch des politischen Systems Österreichs, Erste Republik 1918-1933, Wien 1995, 552-569, hier 568.

10 Vgl. Europäische Kommission, European Economic Forecast Winter 2014, http://ec.europa.eu/economy_finance/eu/countries/greece_en.htm, Zugriff 1. März 2014.

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zwischen 1929 und 1933 um 22,5 Prozent fällt, schrumpft sie in Griechenland von 2009 bis 2013 um 22,1 Prozent. Ähnlich sind auch die Arbeitslosenquoten: Knapp 26 Prozent in Ös-terreich 1933, 28 Prozent in Griechenland heute. In beiden Fällen bedeutet das eine Verdreifachung gegenüber dem Vorkrisenniveau. Nicht vergleichbar sind hingegen die Staats-schulden, die in Österreich 1935 mit 43,5 Prozent des Brutto-nationalprodukts ihren Höhepunkt erreichen, während jene Griechenlands heute bei gut 177 Prozent liegen.

Politik gegen ArbeitnehmerInnen

In beiden Fällen reagieren die Verantwortlichen auf die Kri-se mit einer rigiden Austeritätspolitik, die deren Kosten der breiten Bevölkerung aufbürdet: Gekürzt wird etwa bei den Arbeitslosen. Die verschärften Zugangsbedingungen führen in Österreich 1934 dazu, dass 50 Prozent der Betroffenen als „Ausgesteuerte“ kein Arbeitslosengeld mehr erhalten. Schlimmer ist die Lage im heutigen Griechenland: Dort werden 84 Prozent der Arbeitslosen vom Staat nicht mehr unterstützt und leben damit auch ohne Krankenversicherung. Zu beiden Zeiten richtet sich die Krisenpolitik zudem gegen jene, die noch Arbeit haben: Im Austrofaschismus werden Gewerkschaften verboten und Kollektivverträge aufgehoben.11 In Griechenland werden 2012 zahlreiche „zutiefst anti-ge-werkschaftliche Gesetze“ beschlossen und Kollektivverträge ausgehöhlt. So dürfen etwa bestimmte Unternehmen nun ihnen genehme, „gelbe“ BetriebsrätInnen einsetzen und mit diesen für alle Beschäftigte verbindliche Verträge schließen. Auch dürfen sie ohne Zustimmung der Betroffenen Vollzeit- in Teilzeitverträge umwandeln. Entlassungen wurden erleich-tert und verbilligt.12 Wie in der Krise der 1930er nehmen im Griechenland der 2010er Jahre Hunger13 und Obdachlosig-keit14 enorme Ausmaße an.

Austerität vertieft die Krise

Heute wie damals verschlimmert der Staat die Rezession zudem, indem er seine Ausgaben stark zurückfährt. Die österreichische Regierung würgt 1932 die Konjunktur ab, als sie, dem „Dogma des ausgeglichenen Budgets“15 folgend, ihre Investitionen auf 0,7 Prozent der Ausgaben kürzt. Dieser Wert steigt später leicht, bleibt aber bis zum Ende des Regi-

11 Vgl. Emmerich Tálos, Sozialpolitik im Austrofaschismus, in ders./Neuge-bauer 2012, 222-235, hier 224.

12 Vgl. Zoe Lanara, Trade Unions in Greece and the Crisis. A Key Actor under Pressure, Berlin 2012, http://library.fes.de/pdf-files/id/ipa/09012.pdf, Zugriff 5. März 2014, 7f.

13 Vgl. Handelsblatt, In Griechenland setzt sich der Hunger fest, 1. März 2012, http://www.handelsblatt.com/politik/international/schuldenkrise-in-grie-chenland-setzt-sich-der-hunger-fest/6273708.html, Zugriff 5. März 2014.

14 Vgl. Wiener Zeitung, Athens neue Obdachlose, 23. Mai 2013, http://www.wienerzeitung.at/nachrichten/europa/europachronik/548167_Athens-neue-Obdachlose.html, Zugriff 5. März 2014.

15 Siegfried Mattl, Die Finanzdiktatur, in Tálos/Neugebauer 2012, 202-220, hier 206.

UND ARBEITSLOSIGKEIT2. ENORME REZESSION

KRISENPOLITIK DAMALS UND HEUTE

mes 1938 stets unter einem Drittel des Vorkrisenniveaus.16 In Griechenland und Europa insgesamt wird heute eine ähnlich krisenverschärfende Politik verfolgt: Die „ökonomische Welt-anschauung der frühen 1930er“ erkennt etwa der Ökonom Stephan Schulmeister im Fiskalpakt, der heute Regierungen europaweit zu Kürzungen zwingt.17

Geschützt werden Banken…

Damals wie heute gilt: Während die breite Bevölkerung leidet, werden die Interessen der Eliten geschützt. Die österreichi-sche Regierung rettet 1931 die Credit-Anstalt (CA), damals größte Bank des Lands, mit 883 Mio. Schilling und kürzt im Gegenzug massiv bei Post, Bahn und BeamtInnengehältern.18 Als Dollfuß nach der Ausschaltung des Parlaments diktato-risch regiert, rettet er zwei weitere Großbanken, den Wiener Bankverein und die Niederösterreichische Escomptegesell-schaft. Es kommt zu einer „organischen Verbindung zwischen Staat und Banken“, da dieser einen Großteil der Bankaktien besitzt.19 Die Regierung nützt diese Einflussmöglichkeit je-doch nicht, um gegen die „Kreditverweigerung“ der Banken vorzugehen, die dazu beiträgt, dass die Wirtschaft am Boden bleibt.20 Vielmehr verpflichtet sie sich gegenüber den Aus-landsgläubigerInnen der Banken, auf ihre Mehrheitsrechte zu verzichten.21 Warum diese bankenfreundliche Politik? Öster-reichs Konservative erhalten in den Jahren zuvor Parteispen-den durch die Banken. Zudem bestehen enge personelle Ver-flechtungen: Prominente Bankiers wie Richard Reisch oder Wilhelm Rosenberg sind vorübergehend als Finanzminister, Nationalbankpräsident oder Regierungsberater tätig. Außer-dem kontrollieren die Banken verschiedene Massen- und der Fachmedien und bestimmen die öffentliche Debatte.22 Auch in der griechischen Krise haben Bankenrettungen eine hohe Priorität: Für ihre Rekapitalisierung wurden bisher 58,2 Mrd. Euro an internationalen Hilfskrediten verwendet. Wie eine Attac-Studie zeigt, flossen von allen „Rettungsgeldern“ min-destens 77 Prozent in den Finanzsektor. Dessen Rettung kann als wahres Ziel der sogenannten „Hilfspakete“ betrachtet werden.23 Zu den ProfiteurInnen zählt etwa die Milliardärsfa-milie Latsis, Haupteigentümerin der staatlich aufgefangenen „Eurobank Ergasias“.24 Wie im Österreich der 1930er erfüllen

16 Vgl. Kernbauer 1995, 561 und 568.17 Stephan Schulmeister, EU-Fiskalpakt: Strangulierung von Wirtschaft und

Sozialstaat, Wien 2012, http://stephan.schulmeister.wifo.ac.at/fileadmin/homepage_schulmeister/files/Fiskalpakt_Misere__end_04_12.pdf, Zugriff 5. März 2014, 1.

18 Vgl. Fritz Weber, Staatliche Wirtschaftspolitik in der Zwischenkriegszeit, in Tálos et al. 1995, 541-551, hier 547.

19 Vgl. Mattl 2012, 212f.20 Weber 2010, 36.21 Vgl. Mattl 2012, 213.22 Vgl. Peter Berger, Ökonomische Macht und Politik, in Tálos et al. 1995,

395-411, hier 406f.23 Vgl. Attac Österreich, Griechenland-„Rettung“: 77 Prozent flossen in

Finanzsektor, 17. Juni 2013, http://www.attac.at/news/detailansicht/da-tum/2013/06/17/griechenland-rettung-77-prozent-flossen-in-finanzsektor.html, Zugriff 5. März 2014.

24 Vgl. Tagesschau, Milliardenhilfen für den Milliardär, 4. Juni 2012, http://www.tagesschau.de/wirtschaft/latsis100.html, Zugriff 5. März 2014.

die Banken jedoch ihre Hauptfunktion, die Kreditvergabe an die Realwirtschaft, weiterhin nicht.25

…und andere ökonomische Eliten

Eine zweite Gruppe, die von der griechischen Krisenpolitik geschont wird, sind die griechischen ReederInnen. Obwohl sie die größte Frachtschiffflotte der Welt kontrollieren und in den letzten zehn Jahren Gewinne im Ausmaß von 175 Mrd. Dollar (130 Mrd. Euro) machten26, wurden sie bis vor kurzem nicht besteuert. Eine Anfang 2013 eingeführte Steuer wird schätzungsweise 60 bis 80 Millionen Euro jährlich einbrin-gen27, was einem effektiven Steuersatz von nur 0,5 Prozent entspräche. Eine dritte geschützte Gruppe sind Vermögende insgesamt, wie der Skandal um die „Lagarde-Liste“ zeigt: Christine Lagarde, damalige französische Finanzministerin, übergibt der griechischen Regierung im Oktober 2010 eine Liste von rund 2.000 GriechInnen, die mutmaßlich Schweizer Banken für Steuerbetrug nützen. An deren Verfolgung zeigen die Behörden jedoch trotz enormer Einnahmenprobleme bis heute kein Interesse.28

Hayek und Mises liegen damals so falsch…

In beiden Krisen erhält die verfehlte Austeritätspolitik Un-terstützung durch führende ÖkonomInnen: Friedrich August Hayek erklärt 1931, dass nur eine Senkung von Löhnen und Preisen einen Aufschwung bringen könne.29 Noch weiter geht Ludwig Mises, der im selben Jahr Gewerkschaften und Staatseingriffe zu den Schuldigen an der Krise erklärt. Er fordert „starke Männer“, die Gewerkschaften und Arbeitslo-senversicherung abschaffen und Lohnsenkungen durchset-zen. Bereits 1927 hat er den italienischen Faschismus für seine „blutige Gegenaktion“ gegen die „marxistischen Sozialdemo-kraten“ gelobt. Dieses „Verdienst“ des Faschismus, so Mises, werde „in der Geschichte ewig fortleben“.30 Hayek, Mises und KollegInnen bilden ein „nahezu lückenlos geschlossenes Boll-werk“ gegen eine staatliche Investitionspolitik31 und vertreten die „liberale Orthodoxie der Haute Finance“. Ins Bild passt, dass Hayeks und Mises‘ Institut für Konjunkturforschung (das

25 Vgl. Tagesschau, Milliardenhilfen für den Milliardär, 4. Juni 2012, http://www.tagesschau.de/wirtschaft/latsis100.html, Zugriff 5. März 2014.

26 Vgl. Greek Reporter, Shipowners Say They’ll Leave Greece if They’re Taxed, 12. Juni 2012, http://greece.greekreporter.com/2012/06/12/shipow-ners-say-theyll-leave-greece-if-theyre-taxed/, Zugriff 5. März 2014.

27 Vgl. Bloomberg, Greece Taxes Foreign-Flagged Ships for First Time Amid Crisis, 16. Jänner 2013, http://www.bloomberg.com/news/2013-01-16/greece-taxes-foreign-flagged-ships-for-first-time-amid-crisis.html, Zugriff 5. März 2014.

28 Vgl. BBC, Greece arrests journalist over ‚Lagarde List‘ banks leak, 28. Oktober 2012, http://www.bbc.com/news/world-europe-20116548, Zugriff 5. März 2014.

29 Vgl. Weber 2010, Fn. 89.30 Vgl. ebd., 37 und Kernbauer 1995, 565.31 Gerhard Senft, Der Börsenkrach 1929 und seine Folgen in Österreich, in

Mugrauer 2010, 9-22, hier 15.

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heutige WIFO) vom österreichischen Bankenverband finan-ziert wird.32

…wie Reinhart und Rogoff heute

Eine ähnlich fatale Rolle spielen ExpertInnen in der heutigen Krisenpolitik, wenn auch großteils auf internationaler Ebene: Austeritäts-BefürworterInnen in Europa berufen sich gerne auf eine Studie der Harvard-ÖkonomInnen Carmen Reinhart und Kenneth Rogoff, der zufolge das Wirtschaftswachstum ab einer Staatsverschuldung von 90 Prozent des Brutto-inlandsprodukts einbreche.33 Mit Verweis auf diese Studie argumentiert etwa der für die Troika-Programme zuständige EU-Kommissar Olli Rehn, dass der Abbau der Staatsschulden auch dann oberste Priorität haben müsse, wenn das katas-trophale soziale und ökonomische Folgen habe.34 Kritike-rInnen wie Paul Krugman, die eine solche Formel für Unsinn halten35, werden im April 2013 bestätigt: Eine Überprüfung der Reinhart/Rogoff-Studie ergibt, dass ihre Rechnung auf unvollständigen Daten basiert und die 90-Prozent-Regel falsch ist.36 Auch die oben zitierte Demokratiefeindlichkeit von Ludwig Mises findet sich bei heutigen ExpertInnen: „We-niger Demokratie tut den Pleitestaaten gut“, schreibt etwa Melvyn Krauss, emeritierter Wirtschaftsprofessor der New York University. Die Demokratie verhindere „schmerzhafte, aber nötige Reformen im Süden der Euro-Zone“. Ungewählte TechnokratInnen sollten erzwingen, was demokratisch nicht durchsetzbar sei.37 Die Parallele zu Mises‘ Forderung nach „starken Männern“ ist offenkundig.

Technokraten-Premier erfüllt Troika-Wünsche

Krauss‘ demokratiefeindlicher Text, der im November 2011 erscheint, bezieht sich auf aktuelle Entwicklungen in Athen: Dort hat wenige Tage zuvor Lukas Papademos, ehemaliger Gouverneur der Zentralbank und EZB-Vizepräsident, das Amt des Regierungschefs übernommen. Jahre zuvor hat er im Vorfeld des griechischen Euro-Beitritts eine bislang un-geklärte Rolle bei der Manipulation der griechischen Staats-schuldenstatistik mit Hilfe der Investmentbank Goldman

32 Vgl. Berger 1995, 407.33 Vgl. Carmen Reinhart / Kenneth Rogoff, Growth in a Time of Debt (=Ame-

rican Economic Review 100/2), 573-578, http://scholar.harvard.edu/rogoff/publications/growth-time-debt, Zugriff 9. März 2014.

34 Vgl. Andrew Watt, Reading Rehn on Reinhart-Rogoff, 22. April 2013, http://www.social-europe.eu/2013/04/reading-rehn-on-reinhart-rogoff, Zugriff 9. März 2014.

35 Vgl. Paul Krugman, More on Reinhart-Rogoff, 22. Juli 2010, http://krug-man.blogs.nytimes.com/2010/07/22/more-on-reinhart-rogoff/, Zugriff 9. März 2014.

36 Vgl. Dean Baker, How much unemployment did Reinhart and Rogoff’s arithmetic mistake cause?, 16. April 2013, http://www.guardian.co.uk/com-mentisfree/2013/apr/16/unemployment-reinhart-rogoff-arithmetic-cause, Zugriff 9. März 2014.

37 Vgl. Melvyn Krauss, Weniger Demokratie tut den Pleitestaaten gut, 15. November 2011, http://web.archive.org/web/20111116153900/http:/www.ftd.de/politik/konjunktur/:europa-in-der-krise-melvyn-krauss-weniger-demokratie-tut-pleitestaaten-gut/60129358.html, Zugriff 9. März 2014.

Sachs gespielt.38 Papademos bleibt sechs Monate im Amt und bringt ein zweites Austeritätspaket auf Schiene. Dieses ent-hält etwa die oben genannten Einschnitte in Gewerkschafts- und Arbeitsrechte. Sie werden von dem nicht auf Wiederwahl angewiesenen Premierminister ohne Konsultation mit den So-zialpartnerInnen durchgesetzt.39 Auch in der österreichischen Krisenpolitik der 1930er spielt ein Notenbanker eine zentrale Rolle: Viktor Kienböck, ehemaliger Finanzminister und Präsi-dent der Nationalbank 1932 bis 1938, gilt wie Papademos als Vertrauensmann des Finanzsektors.40 Er verfolgt eine defla-tionistische Geldpolitik und droht 1933 mit Rücktritt, als die Regierung arbeitsplatzschaffende Maßnahmen diskutiert. Ihm gegenüber sind die Finanzminister dieser Jahre „vergleichs-weise machtlos“ und „rede[n] ihm nach dem Mund“.41

Die Machtübernahme des Technokraten Lukas Papademos ist vorübergehender Höhepunkt eines langfristigen Prozesses: der zunehmend autoritären Durchsetzung der Austeritätspo-litik. Papademos folgt auf den demokratisch gewählten Pre-mierminister Giorgos Papandreou. Dieser wollte eine Volks-abstimmung über die Kürzungsauflagen abhalten, worauf ihn Griechenlands internationale GläubigerInnen zum Rücktritt zwangen: ein klar antidemokratischer Akt.42 Die Einflussnah-me setzt sich fort, als im Frühjahr 2012 Neuwahlen anstehen. Die GläubigerInnen üben historisch ungekannten Druck auf die griechische Demokratie aus, um das gewünschte Wahler-gebnis zu erhalten. Als „Demagogen“ diffamiert der deutsche Finanzminister Wolfgang Schäuble die linke Oppositions-partei Syriza.43 Die Financial Times Deutschland übernimmt dieses Wording und ruft in einem auf Deutsch und Griechisch publizierten Leitartikel offen zur Wahl der konservativen Nea Dimokratia (ND) auf.44 Ähnlich, wenn auch zurückhaltender, äußert sich der französische Präsident François Hollande.45

38 Vgl. Le Monde, Goldman Sachs, le trait d‘union entre Mario Draghi, Mario Monti et Lucas Papadémos, 14. November 2011, http://www.lemonde.fr/europe/article/2011/11/14/goldman-sachs-le-trait-d-union-entre-mario-draghi-mario-monti-et-lucas-papademos_1603675_3214.html, Zugriff 9. März 2014.

39 Vgl. Lanara 2012, 8.40 Vgl. Mattl 2012, 201.41 Weber 2010, 39.42 Vgl. Der Standard, Papandreou: “Alle Macht an die Troika abgegeben“, 6.

März 2014, http://derstandard.at/1392687390019/Das-war-nicht-meine-Pflicht-als-Premierminister, Zugriff 9. März 2014.

43 Mannheimer Morgen, Nur wenn Athen die Reformen umsetzt kann das Geld weiterfließen, 25. April 2012, http://www.wolfgang-schaeuble.de/index.php?id=37&textid=1522&page=1, Zugriff 9. März 2014.

44 Vgl. Financial Times Deutschland, ǹȞIJȚıIJĮșİȓIJİ�ıIJR�įȘȝĮȖȦȖȩ – Wider-steht den Demagogen, 14. Juni 2012, http://archive.is/hX1r, Zugriff 9. März 2014.

45 Vgl. La Tribune, François Hollande donne des conseils aux électeurs grecs, 13. Juni 2012, http://www.latribune.fr/actualites/economie/union-europeenne/20120613trib000703721/francois-hollande-donne-des-conseils-aux-electeurs-grecs.html, Zugriff 9. März.

SCHRITT FÜR SCHRITT 3. ENTDEMOKRATISIERUNG

KRISENPOLITIK DAMALS UND HEUTE

Die von griechischer Seite als „Erpressung“46 gewertete Einflussnahme hat Erfolg: Neuer Ministerpräsident wird der ND-Politiker Antonis Samaras.

Das Parlament als Hauptgegner

In Österreich schaltet Kanzler Engelbert Dollfuß bekannt-lich nach dem 4. März 1933 das Parlament aus und errichtet nach dem Bürgerkrieg 1934 die austrofaschistische Diktatur. Doch auch hier ist der offene Putsch nur Höhepunkt einer längeren antidemokratischen Entwicklung. Diese ist in erster Linie gegen das Parlament gerichtet, in dem die konservative Regierung nur über eine knappe Mehrheit verfügt und die sozialdemokratische Opposition seit 1930 stärkste Kraft ist. Seit 1931 fordern verschiedene konservative Kanzler den Ein-satz von Notverordnungen, um krisenpolitische Maßnahmen über das Parlament hinweg zu beschließen. Dessen gänzliche Ausschaltung fordert Schuschnigg, wie eingangs zitiert, im Sommer 1932. Schließlich setzt die Regierung das autoritä-re Instrument der Notverordnung am 1. Oktober 1932 zum ersten Mal ein. Der Anlass – es geht darum, CA-Funktionäre für deren Verluste haftbar zu machen – ist so gewählt, dass es der Sozialdemokratie schwerfällt, dagegen aufzutreten. Die Maßnahme gilt aus heutiger Sicht als „antidemokratischer Versuchsballon“.47

Regierung missbraucht Kriegsrecht

Um Notverordnungen verwenden zu können, greift die Regie-rung auf das Kriegsrecht zurück, konkret auf das Kriegswirt-schaftliche Ermächtigungsgesetz von 1917. Auch im heutigen Griechenland setzt die Regierung regelmäßig Notstandsbe-stimmungen ein, um Streikende aus dem öffentlichen Dienst zur Arbeit zu zwingen.48 Das griechische Pendant zu den österreichischen Notverordnungen sind sogenannte „Legis-lativakte“, die es der Regierung erlauben, Beschlüsse über das Parlament hinweg zu fällen. Allerdings müssen sie binnen vierzig Tagen vom Parlament bestätigt werden, um in Kraft zu bleiben. Als die Regierung im Sommer 2013 den staatli-chen Rundfunk ERT mittels Legislativakt schließt, ignoriert sie diese Bestimmung jedoch. Eine Bestätigung durch die Volksvertretung bleibt auch ein halbes Jahr nach dem Be-schluss aus.49 Ob dieser Gesetzesbruch einmalig bleibt oder ebenfalls von einem „antidemokratischen Versuchsballon“

46 Vgl. Spiegel Online, Griechenland vor der Wahl: Europas hysterische Er-pressungsversuche, 15. Juni 2012, http://www.spiegel.de/politik/ausland/wahl-in-griechenland-europas-politiker-kueren-sieger-vorab-a-839155.html, Zugriff 9. März 2014.

47 Weber 2010, 34.48 Vgl. New York Times, Greek Civil Servants Walk Out Over Ban on

Teachers’ Strike, 14. Mai 2013, http://www.nytimes.com/2013/05/15/world/europe/greek-civil-servants-walk-out-over-ban-on-teachers-strike.html, Zugriff 9. März 2014.

49 Vgl. The Press Project, The new Greek public broadcaster: A story of crime and (non) punishment , 19. Dezember 2013, http://www.thepres-sproject.net/article/53483/The-new-Greek-public-broadcaster-A-story-of-crime-and-non-punishment, Zugriff 9. März 2014.

gesprochen werden kann, wird die weitere Regierungspraxis zeigen. Die Regierung Dollfuß jedenfalls setzt das erprobte Instrument der Notverordnung nach der Ausschaltung des Parlaments intensiv ein: 471 erlässt sie binnen zweier Monate. Als die Gemeinde Wien eine Notverordnung, die den Finanz-ausgleich zuungunsten der Hauptstadt ändert, beim Verfas-sungsgerichtshof anficht, legt die Regierung Dollfuß auch diesen lahm.50

Industrie radikalisiert sich

Wie zentral der Konflikt um die Krisenpolitik bei der Aus-höhlung der Demokratie ist, zeigt das Verhalten der öster-reichischen Industrie. Seit den Anfangsjahren der Republik betrachtet sie soziale Errungenschaften der ArbeiterInnen-bewegung wie den Achtstundentag, den Anspruch auf eine Woche Urlaub oder das Recht, BetriebsrätInnen zu wählen, als „revolutionären Schutt“, den es zu beseitigen gelte.51 Als in der Weltwirtschaftskrise Absätze sinken und Finan-zierungskosten steigen, schlägt die Industrie einen immer autoritäreren Kurs ein. Ziel der Industriellen ist es nun, über das Parlament hinweg die „Produktionskosten“ zu senken, um „konkurrenzfähig“ für den Export zu werden.52 Beinahe wortgleich fordert die deutsche Kanzlerin Angela Merkel heute von Griechenland eine Senkung der „Lohnstückkosten“, um „wettbewerbsfähig“ zu werden.53 Um dieses Ziel zu errei-chen, schlagen die österreichischen Industriellen Anfang 1932 Kanzler Karl Buresch ein Regime vor, das „nicht mehr auf der Grundlage des normalen parlamentarischen Verfahrens“, sondern auf der Basis „besonderer, erweiterter Vollmachten“ steht. Ab dem Sommer 1932 konkretisieren sie diese Forde-rung und treten offen für ein Regieren über Notverordnungen ein. Nach der erwähnten ersten Notverordnung vom 1. Okto-ber 1932 lobt Industriellen-Präsident Ludwig Urban diese als Beleg, dass „der außerparlamentarische Weg auch in Öster-reich gar nicht so schwer zu finden ist“. Die Maßnahme solle ein „Auftakt künftiger Regierungsmethoden“ sein.

Damals „notwendig“, heute „alternativlos“

Kurze Zeit nach der Ausschaltung des Parlaments verab-schiedet der Industriellenklub eine Resolution, die Dollfuß den Rücken stärkt und fordert ihn auf, nun Politik im Sinn der „wirtschaftlichen Notwendigkeit“ zu machen.54 Die sprach-liche Parallele zur angeblich „alternativlosen“ Politik in der

50 Vgl. Weber 2010, 35.51 Vgl. ebd., 24.52 Vgl. Mattl 2012, 204f.53 Vgl. Die Bundeskanzlerin, Regierungserklärung von Bundeskanzlerin Mer-

kel zum Europäischen Rat, 18. Oktober 2012, http://www.bundeskanzlerin.de/ContentArchiv/DE/Archiv17/Regierungserklaerung/2012/2012-10-18-merkel.html;jsessionid=DEF8309C8B5C2DABA30EC9C7AB390D4E.s3t1, Zugriff 9. März 2014.

54 Vgl. Karl Haas, Industrielle Interessenpolitik in Österreich zur Zeit der Weltwirtschaftskrise, in Jahrbuch für Zeitgeschichte 1978, 97-126, hier 113-121.

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Eurokrise ist offensichtlich.55 Gemeint sind damals wie heute Kürzungen beim Arbeitslosengeld, Eingriffe ins Arbeitsrecht und die Arbeitszeitgesetze. All das beschließt die Regierung Dollfuß noch 1933.56 Wie im heutigen Griechenland und Euro-pa hat die Austeritätspolitik jedoch nicht die von den Indust-riellen gewünschten Folgen: Die Nachfrage nach ihren Gütern bleibt im In- und im Ausland, wo ebenfalls Ausgaben gekürzt werden, gering. Bedenklicherweise verbessert sich die Auf-tragslage der österreichischen Industrie erst, als im Vorfeld des Weltkriegs die Rüstungsnachfrage steigt.57

Eliten kooperieren mit Rechtsextremen

Es sind nicht nur ÖkonomInnen wie die oben zitierten Mi-ses und Krauss, die angesichts der zunehmenden sozialen Konflikte ihre Sympathie für Faschismus und Autoritarismus erklären. Damals wie heute kooperieren konservative Parteien und Wirtschaftseliten direkt mit Rechtsextremen. Bereits seit 1922 finanziert die österreichische Industrie über einen Fonds die Heimwehr, eine paramilitärische Organisation, die sich 1930 offen zum Faschismus bekennt. Sie dient der Industrie als außerparlamentarisches Machtinstrument.58 Die Alpine-Montan, Österreichs größter Industriebetrieb, gründet 1928 eine ihr genehme, „gelbe“ Gewerkschaft, die von Heimwehr-leuten geführt wird. Das Management zwingt einen Großteil der Beschäftigten, aus der sozialdemokratisch dominierten Freien Gewerkschaft aus- und in die neue einzutreten. Auch Österreichs Banken finanzieren die Heimwehr bis zum Aus-bruch der Krise 1929.59 Auf politischer Ebene sucht Ignaz Seipel, zweimaliger konservativer Bundeskanzler, ab den frü-hen 1920ern die Nähe der Heimwehr. Er lobbyiert bei Banken und Industrie für finanzielle Unterstützung für den Wehrver-band.60 Ab 1932 wird die Heimwehr schließlich offiziell Teil der konservativ geführten Koalition. Ihre Führer nehmen im Austrofaschismus hohe Positionen ein.

Konservative mit LAOS verflochten…

Auch in Griechenland sind konservative und rechtsextreme Parteien seit Jahrzehnten personell verflochten. Bereits nach dem ersten Wahlerfolg einer rechtsextremen Partei Ende der 1970er laufen deren Abgeordnete im Lauf der Legisla-turperiode großteils zur konservativen ND über. LAOS, eine bis 2012 im Parlament vertretene rechtsextreme Partei, ist eine ND-Abspaltung.61 Ein Abgeordneter und der aktuelle

55 Vgl. Spiegel Online, Sprachkritik: „Alternativlos“ ist das Unwort des Jah-res, 18. Jänner 2011, http://www.spiegel.de/kultur/gesellschaft/sprachkri-tik-alternativlos-ist-das-unwort-des-jahres-a-740096.html, Zugriff 9. März 2014.

56 Vgl. Haas 1978, 122.57 Vgl. Senft 2010, 19.58 Vgl. Haas 1978, 110f.59 Vgl. Berger 1995, 404-406.60 Vgl. Weber 2010, 25f.61 Vgl. Antonis A. Ellinas, The Rise of Golden Dawn: The New Face of the Far

Right in Greece, in South European Society and Politics 2013, 543-565, hier 545-547.

Gesundheitsminister der ND kommen aus LAOS. Letzterer fiel in der Vergangenheit mit der Aussage auf, dass „alle große Banken den Juden gehören“ und dass „die jüdische Lobby“ über Griechenlands Auslandsschulden bestimme.62 Die heute stärkste rechtsextreme Kraft im griechischen Parlament ist die offen neonazistische Goldene Morgenröte (GM). Wie die Heimwehr stammt sie aus dem Milieu ehemaliger Militärs, MonarchistInnen und radikaler AntikommunistInnen. Wie der österreichische Wehrverband setzt sie Gewalt als politisches Mittel ein. Ihre Schlägertrupps tragen, wie aus dem italieni-schen Faschismus bekannt, schwarze Hemden und greifen bei regelmäßigen „Säuberungen“ MigrantInnen und Linke an. Noch 1998 wird Antonios Androutsopoulos, stellvertretender GM-Parteichef, zu 21 Jahren Haft verurteilt, nachdem er bei einer solchen Aktion einen Studenten schwer verletzt hat. Wie die faschistischen Bewegungen der Zwischenkriegszeit lehnt die GM offen den Parlamentarismus ab und vertritt eine Ideologie der Rassenungleichheit.63

…und nähern sich Goldener Morgenröte an

2013 treten sowohl ein konservativer Journalist64 als auch ein Ex-Justizminister und -Parlamentspräsident der Nea Dimokratia offen für eine Kooperation zwischen Goldener Morgenröte und ND ein.65 An der konservativen Spitze ist der rechtsextremen Diskurs bereits angekommen. So spricht Premierminister Samaras 2012 davon, dass die griechischen Städte „von illegalen Einwanderern besetzt“ worden seien und kündigt an: „Wir werden sie uns zurückholen.“ Lange Zeit nützt die konservative Regierung die Neonazis im politischen Diskurs, um sich als Mitte zwischen den angeblich gleich gefährlichen Extremen GM und Syriza zu positionieren.66 Die Dämonisierung der Linkspartei stellt eine weitere historische Parallele dar: Anfang 1932 warnen Regierungsmitglieder den Vertreter der Völkerbund-GläubigerInnen vor einer „Linksre-gierung“, die ein Schulden-Moratorium verhängen und den Schilling abwerten werde.67 Dieselben Argumente werden heute gegen Syriza verwendet: Die Linkspartei plane einen Stopp der Schuldenzahlungen und, heißt es fälschlicherwei-se, einen Austritt aus der Eurozone. Gegen die tatsächlich extremistische GM geht die Regierung Samaras erst vor, als im September 2013 der Rapper Pavlos Fyssas von GM-Aktivisten ermordet wird. Ein Verbot der Partei droht, eine

62 Vgl. The Times of Israel, Is Greece’s New Democracy party whitewashing neo-Nazis?, 2. Juli 2013, http://www.timesofisrael.com/is-greeces-new-democracy-party-whitewashing-neo-nazis/, Zugriff 9. März 2014.

63 Vgl. Ellinas 2012, 545-550.64 Vgl. GRReporter, Golden Dawn in the government as suggested by a

journalist, 12. September 2013, http://www.grreporter.info/en/golden_dawn_government_suggested_journalist/9969, Zugriff 9. März 2014.

65 Vgl. Tagesspiegel, Mit Neonazis gegen die Troika, 3. Juli 2013, http://www.tagesspiegel.de/politik/mit-neonazis-gegen-die-troika/8438352.html, Zugriff 9. März 2014.

66 Vgl. Der Freitag, Rassismus lässt sich nicht verhaften, 30. September 2013, http://www.freitag.de/autoren/the-guardian/rassismus-laesst-sich-nicht-verhaften, Zugriff 9. März 2014.

67 Vgl. Weber 2010, 38.

KRISENPOLITIK DAMALS UND HEUTE

Neugründung ist bereits in Planung. Damit ist eine potenziel-le Koalition zwischen ND und GM vorerst unwahrscheinlicher geworden.68

Leak: Wirtschaftseliten finanzieren Neonazis

Wie die Heimwehr kann auch die Goldene Morgenröte auf Unterstützung der ökonomischen Eliten zählen. Aktuell un-tersuchen die Behörden für Wirtschaftskriminalität die Finan-zierung der Partei. Laut vorläufigen, von Insidern geleakten Ergebnissen dieser Ermittlungen gehören ReederInnen, Wirtschaftstreibende und Bischöfe zu den GeldgeberInnen der Neonazis.69 Das würde erklären, warum die GM sich 2012 im Parlament dagegen ausgesprochen hat, die enorm privilegierten ReederInnen wie oben erwähnt erstmals zu besteuern.70 Ein weiteres Indiz für die Kooperation zwischen Wirtschaftseliten und Neonazis ist das Waffenlager, das die Polizei 2013 im Haus eines flüchtigen Wirtschaftskriminellen mit Verbindungen zu Banken und ReederInnen findet. Der Zeuge, der die Polizei eingeschaltet hat, behauptet, die ent-deckten automatischen Schusswaffen und Messer seien für die GM bestimmt gewesen.71

Völkerbund als „Troika der 1930er“…

Die letzte große Parallele zwischen dem Österreich der 1930er und dem Griechenland der 2010er Jahre besteht in der Rolle der internationalen GläubigerInnen. Dass die Troika aus EU-Kommission, EZB und IWF Griechenland eine Politik von Sozialabbau, Privatisierungen und Lohnsenkungen vor-schreibt, setze ich als bekannt voraus. Als „Troika der 1930er“ kann der Völkerbund bezeichnet werden. An diesen wendet sich die österreichische Regierung nach der CA-Rettung 1931 mit der Bitte um einen Notkredit, der in Form der „Lausanner Anleihe“ gewährt wird. Im Gegenzug verpflichtet der Völker-bund Österreich zu sofortigen massiven Ausgabenkürzungen und einer Senkung der „Produktionskosten“, also der Löhne und Sozialabgaben.72 Die Parallelen zu den „Memoranda of Understanding“, in denen sich Griechenland gegenüber seinen GläubigerInnen zu Sozialabbau und Austeritätspolitik verpflichtet, sind klar. Damals wie heute ist ein Großteil des

68 Vgl. Der Standard, Griechische Rechtsextreme gründen Ausweichpartei, 2. Februar 2014, http://derstandard.at/1389859061372/Griechische-Rechts-extreme-gruenden-Ausweichpartei, Zugriff 9. März 2014.

69 Vgl. When the Crisis hit the Fan, On ship-owners, bishops and Gol-den Dawn, 25. September 2013, http://whenthecrisishitthefan.com/2013/09/25/on-ship-owners-bishops-and-golden-dawn/, Zugriff 9. März 2014.

70 Vgl. Keep Talking Greece, Greece Will Levy Ship Owners; Golden Dawn Supported Tax Exemption, 8. November 2012, http://www.keeptalking-greece.com/2012/11/08/greece-will-levy-ship-owners-golden-dawn-supported-tax-exemption/, Zugriff 9. März 2014.

71 Vgl. Keep Talking Greece, Guns cache in fugitive businessman’s home, authorities probe links with Golden Dawn, 16. Oktober 2013, http://www.keeptalkinggreece.com/2013/10/16/guns-cache-in-fugitive-business-mans-home-authorities-probe-links-with-golden-dawn, Zugriff 9. März 2014.

72 Vgl. Weber 2010, 32.

Hilfskredits für den Schuldendienst vorgesehen, fließt also in den Finanzsektor. Zur Überwachung entsendet der Völker-bund einen Vertreter nach Wien, den niederländischen Dip-lomaten Meinoud Rost van Tonningen. Anders als die heutige Troika kann dieser nicht über die Auszahlung einzelner Hilfs-tranchen entscheiden, sondern lediglich Berichte an den Völ-kerbund schreiben.73 Auch hat er keinen direkten Einfluss auf das Staatsbudget. Dennoch entscheidet Rost van Tonningen über alle Ausgaben, die über den Schuldendienst hinausge-hen sowie über eine etwaige Neuverschuldung. Damit verfügt er über eine „nicht zu unterschätzende Machtfülle“.74

…für faschistisches Regime in Österreich

Der GläubigerInnen-Vertreter unterstützt die Regierung Dollfuß in ihrem diktatorischen Kurs. In seinem Tagebuch notiert Rost van Tonningen: „Zusammen mit dem Kanzler und [Nationalbank-Präsident] Kienböck haben wir die Ausschal-tung des Parlaments für nötig gehalten, da dieses Parlament die Rekonstruktionsarbeit sabotierte.“75 An den Völkerbund schreibt er lobend, dass der Beschluss einer Bankenreform per Notverordnung nur 36 Stunden gedauert habe, statt wie bisher lange Verhandlungen mit der Opposition zu benöti-gen. Anerkennende Worte findet Rost van Tonningen auch für das Vorgehen der Regierung gegen das Rote Wien und dessen Errungenschaften.76 Aus Sicht des Völkerbunds sind Kollektivverträge, soziale Rechte und Demokratie der „Sa-nierung des Staatshaushaltes“ untergeordnet. Österreich, so Rost van Tonningen in seinem Tagebuch, brauche eine neue Regierungsform: „[N]ach meiner Vorstellung sollte das ein faschistisches Regime sein.“77

Ich fasse zusammen: Im Griechenland der 2010er wie auch im Österreich der 1930er Jahre verschärft eine verfehlte Austeritätspolitik die Krise. In beiden Fällen setzen Regie-rung und internationale GläubigerInnen eine Politik des „Klassenkampfs“ (Noam Chomsky78) gegen die breite Bevöl-kerung durch. Dabei greifen sie zunehmend auf autoritäre Maßnahmen zurück und kooperieren mit Rechtsextremen. Doch trotz aller Parallelen gilt: Geschichte verläuft nicht nach

73 Vgl. Peter Berger, Im Schatten der Diktatur. Die Finanzdiplomatie des Vertreters des Völkerbundes in Österreich, Meinoud Marinus Rost van Tonningen 1931-1936, Wien 2000, 188.

74 Vgl. ebd., 247f.75 Vgl. Weber 2010, 35.76 Vgl. Berger 2000, 311.77 Vgl. Weber 2010, 33-35.78 Vgl. Tagesspiegel, Interview mit Noam Chomsky: „Europas Krisenstra-

tegie ist Selbstmord“, 5. August 2012, http://www.sebastian-meyer.net/interview-mit-noam-chomsky, Zugriff 9. März 2014.

GRÜNE WERKSTATTSCHRIFTEN 6/2014 07

DARF NICHT 4. FAZIT: GRIECHENLAND

ÖSTERREICH WERDEN

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ALS ÖSTERREICH GRIECHENLAND WAR

GRÜNE WERKSTATTSCHRIFTEN 6/2014

mechanischen Zwängen. Griechenland muss heute nicht wie Österreich 1933/34 in Diktatur und Bürgerkrieg abgleiten. Um das zu verhindern, muss die Politik aufhören, die Fehler der Vergangenheit zu wiederholen. Gerade das heutige Öster-reich sollte dabei vor dem Hintergrund seiner Geschichte eine aktive Rolle spielen. Schließlich ist die Troika auch Vertreterin unseres Staats. Bislang unterstützt die österreichische Regie-rung deren fatalen Kurs oder äußert zumindest keine öffent-liche Kritik daran. Mittlerweile hat das Europäische Parlament eine Untersuchung der Troika gestartet. Deren Ko-Vorsitzen-der, der französische Abgeordnete Liem Hoang Ngoc, betont, dass die Schwächung der Parlamente in der Vergangenheit „den Weg für totalitäre Regimes“ geebnet habe und fordert

die Auflösung der Troika. 79 Auch die österreichische Regie-rung sollte die Lehren aus der eigenen Geschichte ziehen und ihre PartnerInnen in der EU von einer grundlegend anderen, demokratischen und sozialen Krisenpolitik im Sinn der breiten Bevölkerung überzeugen. Andernfalls läuft sie Gefahr, von künftigen HistorikerInnen dort verortet zu werden, wo die „Troika der 1930er“ eindeutig stand: auf der falschen Seite der Geschichte.

79 Vgl. Griechenland-Blog, Troika ist außer Kontrolle und illegal, 14. Jänner 2014, http://www.griechenland-blog.gr/2014/01/griechenland-troika-ist-ausser-kontrolle-und-illegal/86901/, Zugriff 9. März 2014.

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