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Aus: J. Abel/H.J. Sperling (2001): Umbrüche und Kontinuitäten. Perspektiven nationaler und internationaler Arbeitsbeziehungen, München und Mering, S. 393-406 1 Alte und neue Arenen der industriellen Beziehungen - Resümee und Ausblick Jörg Abel/Peter Ittermann/Manfred Wannöffel Es war dem amerikanischen Wissenschaftler Robert Reich vorbehalten, auf der Wissenschaftlichen Konferenz „50 Jahre DGB“ im Oktober 1999 zu betonen, dass eine „langfristige Sicherheit durch die Konservierung der Vergangenheit oder auch der Gegenwart nicht erzielt werden (kann)“ (1999: 713). Die Beiträge dieses Bandes zeigen eindrücklich, wie sehr Gewerkschaften und Betriebsratsgremien aufgrund von Globalisierung, Krisen, Strukturwandel und Rationalisierung „auf den Prüfstand“ (Müller-Jentsch 1995a) geraten sind. Die Globalisierung ist der entscheidende „Knotenpunkt“ (Müller-Jentsch 1997: 79), der Veränderungen der nationalen und transnationalen Arbeitsregulierung bedingt. Die Reaktion der Unternehmen auf veränderte weltwirtschaftliche Rahmenbedingungen führt neben der Hinwendung zu posttayloristischen Managementkonzepten (Leanproduction) und zur Dezentralisierung von Organisationsstrukturen zu einer Verlagerung der Produktionsstätten: aus Kostengründen in Niedriglohnländer und/oder aus Gründen der Kundennähe in die Absatzmärkte. Zwangsläufig kommen mit den global ausgerichteten Modernisierungsstrategien und partizipativen Führungskonzepten auf die Akteure der betrieblichen Ebene ebenso neue Herausforderungen zu wie auf die der Ebene der Tarifautonomie hinsichtlich der Funktionalität von Kollektivverhandlungen und Flächentarifverträgen. Die von Müller-Jentsch herausgearbeiteten zwei Arenen industrieller Beziehungen, Tarifautonomie und Betriebsverfassung, unterliegen einem tief greifendem Umbruch. Darüber hinaus bilden sich – so die/unsere These – neben den beiden bestehenden Arenen mit der „direkten Partizipation“ (vgl. Weitbrecht in diesem Band) und den „europäischen Arbeitsbeziehungen“ zwei neue Arenen heraus. Diese Wandels- und Ausdifferenzierungsprozesse der Arenen der industriellen Beziehungen werden im Folgenden unter Bezugnahme auf das Arenen-Konzept von Müller-Jentsch näher analysiert. Hierbei finden die zentralen empirischen Ergebnisse zu den Entwicklungsperspektiven der deutschen Arbeitsregulierungssysteme, die in den weiteren Beiträgen dieses Bandes zum Ausdruck kommen, ihre Berücksichtigung. Das Arenenkonzept ist Bestandteil des „erweiterten institutionalistischen Ansatzes“ von Walther Müller-Jentsch (1997). Mit diesem Theorieansatz mittlerer Reichweite strebt er eine „Integration von historischem und steuerungstheoretischem Institutionalismus mit handlungstheoretischen Konzepten“ (ebd.: 77) an. Mit der historischen Konstitutionsanalyse wird die Genese von Institutionen erklärt (ebd.: 77- 80). Strukturelle Konfliktsituationen setzen eine soziale Dynamik frei, die zu der Herausbildung neuer, kollektiver Akteure (z. B. Gewerkschaften oder

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Aus: J. Abel/H.J. Sperling (2001): Umbrüche und Kontinuitäten. Perspektiven nationaler und internationaler Arbeitsbeziehungen, München und Mering, S. 393-406

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Alte und neue Arenen der industriellen Beziehungen - Resümee und Ausblick

Jörg Abel/Peter Ittermann/Manfred Wannöffel Es war dem amerikanischen Wissenschaftler Robert Reich vorbehalten, auf der Wissenschaftlichen Konferenz „50 Jahre DGB“ im Oktober 1999 zu betonen, dass eine „langfristige Sicherheit durch die Konservierung der Vergangenheit oder auch der Gegenwart nicht erzielt werden (kann)“ (1999: 713). Die Beiträge dieses Bandes zeigen eindrücklich, wie sehr Gewerkschaften und Betriebsratsgremien aufgrund von Globalisierung, Krisen, Strukturwandel und Rationalisierung „auf den Prüfstand“ (Müller-Jentsch 1995a) geraten sind. Die Globalisierung ist der entscheidende „Knotenpunkt“ (Müller-Jentsch 1997: 79), der Veränderungen der nationalen und transnationalen Arbeitsregulierung bedingt. Die Reaktion der Unternehmen auf veränderte weltwirtschaftliche Rahmenbedingungen führt neben der Hinwendung zu posttayloristischen Managementkonzepten (Leanproduction) und zur Dezentralisierung von Organisationsstrukturen zu einer Verlagerung der Produktionsstätten: aus Kostengründen in Niedriglohnländer und/oder aus Gründen der Kundennähe in die Absatzmärkte. Zwangsläufig kommen mit den global ausgerichteten Modernisierungsstrategien und partizipativen Führungskonzepten auf die Akteure der betrieblichen Ebene ebenso neue Herausforderungen zu wie auf die der Ebene der Tarifautonomie hinsichtlich der Funktionalität von Kollektivverhandlungen und Flächentarifverträgen. Die von Müller-Jentsch herausgearbeiteten zwei Arenen industrieller Beziehungen, Tarifautonomie und Betriebsverfassung, unterliegen einem tief greifendem Umbruch. Darüber hinaus bilden sich – so die/unsere These – neben den beiden bestehenden Arenen mit der „direkten Partizipation“ (vgl. Weitbrecht in diesem Band) und den „europäischen Arbeitsbeziehungen“ zwei neue Arenen heraus. Diese Wandels- und Ausdifferenzierungsprozesse der Arenen der industriellen Beziehungen werden im Folgenden unter Bezugnahme auf das Arenen-Konzept von Müller-Jentsch näher analysiert. Hierbei finden die zentralen empirischen Ergebnisse zu den Entwicklungsperspektiven der deutschen Arbeitsregulierungssysteme, die in den weiteren Beiträgen dieses Bandes zum Ausdruck kommen, ihre Berücksichtigung. Das Arenenkonzept ist Bestandteil des „erweiterten institutionalistischen Ansatzes“ von Walther Müller-Jentsch (1997). Mit diesem Theorieansatz mittlerer Reichweite strebt er eine „Integration von historischem und steuerungstheoretischem Institutionalismus mit handlungstheoretischen Konzepten“ (ebd.: 77) an. Mit der historischen Konstitutionsanalyse wird die Genese von Institutionen erklärt (ebd.: 77-80). Strukturelle Konfliktsituationen setzen eine soziale Dynamik frei, die zu der Herausbildung neuer, kollektiver Akteure (z. B. Gewerkschaften oder

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Arbeitgeberverbände) führen kann. Aus deren Lernprozessen und Interaktionen entwickeln sich drei Klassen von Institutionen: unilaterale Institutionen (z. B. Gewerkschaften), bilaterale Institutionen (z. B. Kollektivverhandlungen sowie Rechtsinstitute (z. B. Betriebsverfassung). Deren Entstehungsprozess wird „von der Logik der Macht und Gegenmacht bestimmt“ (ebd.: 79); der Veränderungsprozess der Institutionen folgt dann einem (national-)spezifischen Entwicklungspfad. Damit sich überhaupt Institutionen in Feldern mit konträren Handlungslogiken bilden können, muss der Staat eingreifen. Die Institutionenbildung bedingt verschiedene Emergenzen (ebd.: 80): Zunächst erhalten Klassen Handlungsfähigkeit durch die Gründung von Organisationen, von denen wiederum „Interessenmanagement“ betrieben wird. Drittens werden unilaterale Konfliktmechanismen durch bilaterale Regelungsvereinbarungen zum Teil ersetzt. Viertens entstehen durch staatliche Unterstützung Institutionensysteme, die Müller-Jentsch als Arenen bezeichnet. Arenen sind eine „qualitativ neue Stufe im Evolutionsprozess der industriellen Beziehungen“ und werden definiert als: „Wir verstehen unter Arena einen ‚Ort‘ geregelter Konfliktaustragung und institutionalisierter Problemlösung, aber auch einen ‚Kampfplatz‘ auf dem die jeweiligen Akteure nicht nur ihre widerstreitenden Interessen durchsetzen, sondern auch die prozeduralen Rahmenbedingungen zu verändern trachten. In diesem Sinne ist Arena sowohl ein komplexes Institutionensystem, das festlegt, welche Formen, Interessen und Akteure zugelassen sind, als auch ein abgegrenztes Konfliktfeld, das den Akteuren für die Lösung spezifizierter Probleme Handlungsmöglichkeiten - mit definierten Grenzen - einräumt.“ (ebd.: 80) Arenen dienen primär der Konflitregulierung; ihre Grenzen, die auch ein Überspringen von Konflikten von einer Arena in die andere verhindern, werden vom Staat gesetzt. Dementsprechend sind in den einzelnen Arenen andere Regeln, andere Akteure und andere Interessen dominierend. „Prototypische“ Arenen der deutschen industriellen Beziehungen sind die staatlich regulierten Regelungssysteme Betriebsverfassung (durch das Betriebsverfassungsgesetz, BetrVG) und Tarifautonomie (durch das Tarifvertragsgesetz, TVG) (vgl. Müller-Jentsch 1997). Müller-Jentsch (1999c) weist darauf hin, dass diese Arenen sich weiterentwickeln können, aber nicht müssen. Im Zentrum der folgenden Ausführungen steht, die Lernprozesse und Anpassungsfähigkeit dieser Arenen sowie die Herausbildung von Akteurs-, Interessen- und Regulierungssystemen in neuen Arenen zu untersuchen.

Arena im Wandel: Tarifautonomie Die Tarifautonomie stellt ein Regelungssystem dar, „das den Tarifvertragsparteien in einem staatlicherseits gewährten Freiraum die autonome Gestaltung der

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Arbeitsbeziehungen und ihrer eigenen Beziehungen mit prinzipiell offenem Ausgang überlässt“ (Müller-Jentsch 1997: 203). Die Tarifautonomie – aus den widerstreitenden Interessen von Kapital und Arbeit geboren – regelt und begrenzt somit die Interessen- und Verteilungskonflikte durch ein paritätisches, von staatlichen Einflüssen unabhängiges Konfliktregelungs- und Normsetzungsverfahren. Sie bildet einen fundamentalen Baustein des deutschen Modells der industriellen Beziehungen und hat zur wechselseitigen Akzeptanz und geregelten Auseinandersetzung von Gewerkschaften und Arbeitgeber(verbänden) beigetragen (ebd.). Weniger aufgrund veränderter Grundorientierungen der kollektiven Akteure als vielmehr als Folge der globalen wirtschaftlichen Entwicklung und ökonomischer Umbrüche sind die Institutionen der Arena Tarifautonomie - Tarifvertragsparteien sowie Tarifverhandlungen und (Flächen-)Tarifvertrag - in die Kritik geraten: Die Mitgliederverluste der Gewerkschaften, die Austritte und Nicht-Eintritte von Unternehmen bei den Arbeitgeberverbänden sowie die Zunahme „interessenvertretungsfreier Zonen“ sind unübersehbare Merkmale einer Krise der Tarifparteien sowie einer sinkenden Funktionalität des Flächentarifs (vgl. Schmidt in diesem Band). Die autonome bilaterale Regelung von Verteilungskonflikten durch die Tarifparteien gerät ins Wanken, wenn zum einen Bündniskonzepte Konjunktur haben, die zur Sicherung und zum Ausbau von Beschäftigung auch tarifvertragliche Regulierungsgegenstände einbeziehen, und zum anderen Arrangements auf der betrieblichen Handlungsebene getroffen werden, die auf unternehmensspezifische (und nicht selten tarifwidrige) Lösungen und Stärkung der Eigenverantwortlichkeit setzen.

Krisen und Lernprozesse der Tarifparteien Die Gewerkschaften befinden sich in einer strukturellen Krise, die den Stellenwert der Einheitsgewerkschaft und einer kollektiven - überbetrieblichen - Interessenvertretung in Frage stellt. Die Interessen der Beschäftigten differenzieren sich weiter aus, ein kollektives Arbeitnehmerbewusstsein und gewerkschaftliche Kampfparolen scheinen in Zeiten von neuen Arbeitsformen, sektoralem Strukturwandel und Globalisierungsstreben der Unternehmen überholt. Sind zum einen in den traditionellen Industriezweigen viele Arbeitsplätze (und somit Gewerkschaftsmitglieder) weggebrochen, so sind es zum anderen nicht zuletzt die jüngeren Arbeitnehmer in den innovativen Hightech-Unternehmen der „New Economy“, die selten den Zugang zu den Gewerkschaften finden. In vielen Betrieben bildet sich auf der Basis innovativer Formen der Arbeitsorganisation eine neue Form der Arbeitssolidarität heraus, die Lern- und Anpassungsprozesse seitens der Gewerkschaften verlangen (Kuhlmann/Schumann 2000: 26 f.). Vor diesem Hintergrund erscheint es wenig verwunderlich, dass die – wiedervereinigungsbedingten – Mitgliedergewinne der Gewerkschaften zu Beginn der neunziger Jahre Anfang des 21. Jahrhunderts weitgehend aufgebraucht sind. Der

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bemerkenswerte Mitgliederrückgang der Gewerkschaften (DGB: knapp vier Millionen Mitglieder in den neunziger Jahren) und ein gewerkschaftlicher Organisationsgrad von unter 30 Prozent sind deutliche Indizien einer sinkenden Bindungskraft (vgl. Müller-Jentsch/Ittermann i. E.). Aufgrund dieser Identitäts- und Mitgliederverluste sind die Industriegewerkschaften dazu übergegangen, ihre gewerkschaftliche Organisationsmacht im Zuge einer Strukturreform durch Fusions- und Rationalisierungsprozesse neu zu konzentrieren und damit zu festigen. Dennoch konnten die neu gebildeten Gewerkschaftsorganisationen (IG Bauen-Agrar-Umwelt, IG Bergbau-Chemie-Energie) sowie die Zusammenschlüsse der IG Metall mit der Gewerkschaft Holz und Kunststoff sowie der Gewerkschaft Textil und Bekleidung weder zu deutlichen Attraktivitäts- und somit Mitgliedergewinnen noch zur Herausbildung einer neuen gewerkschaftlichen Organisationsidentität beitragen. Auch die Gewerkschaften des Dienstleistungsbereiches streben durch die Bildung einer Großorganisation an, Kompetenzen, Ressourcen und Organisationsmacht zu konzentrieren. Dabei ist offen, inwiefern es im Rahmen einer Vereinten Dienstleistungsgewerkschaft „ver.di“ mit branchenbezogenen Fachbereichen gelingt, die Strukturveränderungen der Wirtschaft, der Arbeitsmärkte und Produktionsmodelle nachzuvollziehen und gleichzeitig bei hohen Flexibilitätsanforderungen den Ansprüchen und Interessenlagen der heterogenen Mitgliederorganisationen gerecht zu werden (vgl. Keller 1999). Es stellt sich die Frage, inwiefern die „neuen“ Gewerkschaften die Heterogenität ihrer Mitgliederinteressen harmonisieren, zur Stärkung kollektiver Interessenvertretung beitragen und durch die Entwicklung neuer Betreuungsformen und Dienstleistungen ihre Funktionalität und Attraktivität ausbauen können. Die aktuellen Diskussionen bei den Dienstleistungsgewerkschaften und die verbreitete Skepsis bei den (ÖTV-)Mitgliedern zeigen diese Problemlagen. Bei der (Mit-)Gestaltung neuer Arbeitsformen und Arbeitsverhältnisse (z. B. Telearbeit, Leiharbeit, neue Selbstständigkeit; vgl. Zwickel 1998: 110) stehen die Gewerkschaften vor der Herausforderung, verstärkt tarifpolitisches Neuland zu betreten (wie im Falle des EXPO-Tarifvertrages zur Zeitarbeit). Hinsichtlich der Unternehmen der New Economy müssen sie eine neue Dialogbereitschaft entwickeln, um die tarifpolitische Regulierungsebene zu sichern und neue Mitgliedergruppen zu rekrutieren. Das bedingt eine „staatliche Organisationshilfe“ etwa bei der Novellierung des Betriebsverfassungsgesetzes (Arbeitnehmerbegriff, Betriebs- und Branchenstrukturen). Auch bei der Zukunft der Erwerbsarbeit sind neue Wege in der Beschäftigungs- und Arbeitsmarktpolitik gefragt, die von den Gewerkschaften mitgetragen werden müssen, oder wie es Streeck (in diesem Band) formuliert: „Mitgestalten ist besser als ausgeschlossen werden.“ Das verlangt nach der Entwicklung einer beschäftigungsorientierten Tarifpolitik, die der Vielfalt der sich ausdifferenzierenden Erwerbsformen Rechnung trägt und Beschäftigungssuchenden den (Wieder-)Einstieg

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in das Erwerbsleben ermöglicht. Erste Ansätze der Mitgestaltung innovativer betrieblicher Beschäftigungspakte sind bereits vorhanden (vgl. Reinecke 2000). Doch nicht nur die Gewerkschaften, sondern auch die Arbeitgeberverbände stehen hinsichtlich Mitgliedersicherung und Neupositionierung vor großen Herausforderungen. Wie die Gewerkschaften weisen sie in ihren Mitgliedszahlen und Organisationsgraden eine abnehmende Tendenz auf. Die Zahl der Mitgliedsunternehmen in den Arbeitgeberverbänden ist deutlich gesunken (Gesamtmetall: rund 2.700 Betriebe in den neunziger Jahren). Die kollektive Interessenvertretung ist für die Unternehmen keine interessenpolitische Unabdingbarkeit (vgl. Traxler in diesem Band), wie die deutlich steigende Zahl von Firmentarifverträgen belegt. Neben den Unternehmen des neuen Marktes sind es insbesondere viele Klein- und Mittelbetriebe in den neuen Bundesländern, die nicht zum Verbleib bzw. zum Eintritt bei den Arbeitgeberverbänden zu bewegen sind. Die Folgen sind eine sinkende Bindungsfähigkeit und der Rückgang der tarifvertraglichen Deckungsrate.1 Die Öffnung der Arbeitgeberverbände hinsichtlich Mitgliedschaften ohne Tarifbindung (z. B. beim Verband der bayrischen Metall- und Elektroindustrie) deutet nicht nur auf neue Wege in der Mitgliederrekrutierung hin, sondern auch auf die Gefahren für die überbetriebliche Regulierungsebene. Ein zentrales Element der Diskussionen über die Perspektiven der industriellen Beziehungen und der Reformdebatte der Tarifparteien bleibt somit die Frage nach zukünftigen Entwicklungspfaden und Optionen einer neuen Profilbildung. Bei den Gewerkschaften sind Lösungen gefragt, die jenseits einer allein auf Verteilungskämpfe ausgerichteten Tarifpolitik („Ende der Bescheidenheit“) und „vulgärkeynesianischen Rezepte zur Lösung der Beschäftigungskrise“ (Streeck in diesem Band) neue Mitstreiter in Wirtschaft und Gesellschaft auf nationaler Ebene ansprechen. Die Bilanzierung der aktuellen Herausforderungen macht deutlich, dass die Gewerkschaften nicht nur eine Krise zu überwinden haben, sondern sich auch im Sinne von lernenden Organisationen offener, flexibler, moderner und attraktiver präsentieren müssen. Grundvoraussetzung hierfür ist, die „fast irrationale Angst, Modellversuche zu starten oder Experimente zuzulassen“ (Leminsky in diesem Band), zu überwinden. Hierzu zählen eine stärkere Dienstleistungsorientierung und eine offensive Mitgliederrekrutierung, d. h. eine über den Betrieb hinausgehende zielgruppenorientierte Ansprache von Beschäftigten, die bisher nur unterdurchschnittlich gewerkschaftlich organisiert sind: jüngere, weibliche und ostdeutsche Arbeitnehmer sowie die hochqualifizierten Angestellten in den neuen Dienstleistungsbranchen (Ansätze: IT-Arbeitskreise, DGB-Werbekampagne „Wer, wenn nicht wir?“ etc.).

1 Nach Angaben des IAB-Betriebspanels von 1998 unterlagen über die Hälfte aller Betriebe (51 Prozent) und rund ein Viertel aller Beschäftigten (24 Prozent) in Deutschland keinem gültigen Flächentarifvertrag (vgl. WSI 2000: 68 f.).

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Erosion und Evolution von Institutionen: Flächentarifvertrag und Tarifpolitik Mit den Problemlagen der Tarifparteien geht die Krise des Flächentarifvertrages einher. Sinkende Mitgliederzahlen schwächen die Verhandlungsposition und Durchsetzungsmacht der Gewerkschaften. Abnehmende Zahlen von Unternehmen, die den Flächentarifverträgen unterliegen, stellen die Funktionalität der Tarifverhandlungen und die Zukunft der Institution Tarifvertrag in Frage. Nicht zuletzt aufgrund der Ausgründungspraxis von Großunternehmen, den Entwicklungstrends im klein- und mittelbetrieblichen Bereich und in der New Economy nimmt die Zahl der Betriebe ohne betriebliche Interessenvertretung, nennenswerte Repräsentanz der Gewerkschaften und wirksame Tarifbindung zu und wächst der Bereich der ungeschützten und „interessenvertretungsfreien Zonen“. Zum einen sinkt somit die Zahl der tarifvertraglich geschützten Arbeitnehmer, zum anderen arbeiten „mehr als 60,5 Prozent der Beschäftigten im privaten Sektor in einer mitbestimmungsfreien Zone ohne Interessenvertretung durch einen Betriebsrat oder durch einen Aufsichtsrat“ (Hassel/Kluge 1999: 168). Zwar scheint es voreilig, „von einer generellen Krise des Flächentarifvertrages zu sprechen“ (Müller-Jentsch 1998: 581), gleichwohl ist die Notwendigkeit einer grundsätzlichen Reform von Kollektivverhandlungen und Flächentarifvertrag weitgehend unumstritten. Über die einzuschlagenden Pfade einer Neugestaltung herrscht hingegen wenig Konsens. Marktradikale Stimmen plädieren für eine Abschaffung der Tarifhoheit und kritisieren den Flächentarifvertrag als Relikt, als „gesetzlich verankertes Kartell von Arbeitgeberverbänden und Gewerkschaften“ (Henkel 1999: 149). Seitens der Unternehmen und Arbeitgeberverbände wird in den abgeschlossenen Standortvereinbarungen ein deutliches Indiz für eine dringend erforderliche weitere Flexibilisierung (und damit Sicherung) der Flächentarifverträge gesehen. Die radikale Dezentralisierung und Verbetrieblichung der Tarifpolitik, die Einführung genereller Öffnungsklauseln und die Änderung des Betriebsverfassungsgesetzes, die den Betriebsparteien den Abschluss von Tarifverträgen ermöglicht, sollen den Hemmnissen und Blockaden auf der Tarifebene entgegenwirken. In einer abgeschwächteren Form plädiert auch die Kommission Mitbestimmung (1998) aus ihrer konsensorientierten Sichtweise für eine offenere Gestaltung des Flächentarifs und mehr Spielräume für Betriebsräte bei gleichzeitig stärkerer Kontrolle und Ratifizierung der betrieblichen Vereinbarungen durch die Tarifvertragsparteien. Die Gewerkschaften setzen bei den Reformen von Flächentarifvertrag und Betriebsverfassungsgesetz und der Notwendigkeit einer beschäftigungsorientierten Tarifpolitik zwar einhellig auf die Entwicklung eigener sozialreformerischer Inhalte (Kuda/Lang 1999: 89), zeigen jedoch als „Traditionalisten“ und „Modernisierer“ wenig Konsens über konkrete Entwicklungspfade. Die Verlagerung der Tarifpolitik „nach unten“, d. h. auf die Ebene der Unternehmen, Betriebsräte und Arbeitnehmer, ist weiter umstritten, wenngleich bei der Betrachtung der betrieblichen Realität deutlich wird, dass die Neugestaltung des Flächentarifs längst im Gange ist,

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gekennzeichnet von Dezentralisierung und Verbetrieblichung der Tarifpolitik (Bispinck/Schulten 1999). Durch die Öffnung von Flächentarifverträgen, die Ausweitung von betrieblichen Regelungskorridoren in zentralen Regelungsbereichen wie Entlohnung oder Arbeitszeit sowie die Unterschreitung tariflicher Mindestnormen in Abhängigkeit von der wirtschaftlichen Situation und Leistungsfähigkeit des einzelnen Unternehmens sind die betrieblichen Handlungsspielräume in den letzten Jahren bereits sukzessive ausgeweitet worden (ebd.: 197 f.; vgl. Seifert in diesem Band). Zur zukünftigen Sicherung der Flächentarifverträge werden die Gewerkschaften und Arbeitgeberverbände weiter gefordert sein, die Spielräume für betriebliche Modernisierungspakte auszuweiten und gleichzeitig dem „Wildwuchs“ tarifwidriger Vereinbarungen durch eine stärkere Kontrolle und Verträglichkeitsprüfung der betrieblichen Regelungen Grenzen aufzuweisen (vgl. Höland 2000). Hierbei ist die Intensivierung des Kontakts bzw. des Austauschs mit der betrieblichen Ebene unabdingbar. In gelungenen Fällen von regulierten Dezentralisierungs- und Verbetrieblichungsprozesse ergeben sich für die Gewerkschaften neue Handlungsoptionen wie zusätzliche Aufgabenfelder (z. B. Bildungsarbeit, regionale Netzwerke, internationale Organisation, nachhaltige Entwicklung; zu letzterem vgl. Hildebrandt/Schmidt in diesem Band),) und intensivere Service-, Beratungs- und Qualifizierungsfunktionen (vgl. Ittermann 1999).

Stabilisierung der Arena Tarifautonomie Die Tarifparteien stehen vor großen Herausforderungen. Der Flächentarifvertrag gerät unter Reformdruck. Dennoch teilen wir nicht die Ansichten, die eine Erosion der Tarifautonomie konstatieren. Seitens des Gesetzgebers werden Koalitionsfreiheit, Streikrecht und Tarifvertragsgesetz nicht in Frage gestellt (vgl. Schmidt in diesem Band). Die Tarifautonomie wird durch Interventionen des Staates nicht untergraben, wenngleich aufgrund der aktuellen Beschäftigungsproblematik tripartistische Verhandlungsmodelle Konjunktur haben. Die Bekämpfung der Massenarbeitslosigkeit setzt ein (begrenztes) Zusammenwirken von Politik, Wirtschaft und Gewerkschaften voraus. Das bedeutet für diese „schmerzhafte Neuerungen“ (Streeck in diesem Band), Anpassungsprozesse an internationale Wirtschafts- und Finanzstrukturen und den Einbezug staatlicher Akteure in die Tarifpolitik. Für die Perspektiven der Arena Tarifautonomie zeigen die Bündnis-Bemühungen, „dass das deutsche Konsensmodell nicht tot ist, dass die Arbeit nicht völlig den Kräften des Marktes überlassen werden soll“ (Müller-Jentsch 1999a: 105). Vielmehr machen die Kooperatismusdebatte und die derzeit propagierten Bündnisse für Arbeit deutlich, dass von repräsentativen Interessenvertretungen und Kollektivverhandlungen konsensorientierte Reformmodelle und neue Synergieeffekte erhofft werden, wenngleich die Spielräume für konsensorientierte Reformmodelle begrenzt sind (vgl. Heinze in diesem Band).

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Eine vorläufige Bestandsaufnahme muss zu dem Ergebnis kommen, dass die aktuellen Reformüberlegungen zu den Institutionen der Arena Tarifautonomie allenfalls die Zwischenstufe eines grundlegenden Wandels der überbetrieblichen Arbeitsbeziehungen in Deutschland darstellen. Ist die Diskussion um deren Zukunft für die einen erlahmt, für die anderen hingegen voll entbrannt, so bleibt zwangsläufig ungewiss, ob diese „Zwischenstufe“ letztlich zur Beibehaltung und Stärkung der kollektiven Interessenvertretung beiträgt oder den schleichenden Untergang von verbandlicher Tarifpolitik und gewerkschaftlicher Organisationsmacht nur hinauszögert. Um letzteres zu verhindern, müssen sich die Tarifparteien den aktuellen Erfordernissen stellen und die – nicht zuletzt von Müller-Jentsch nachgewiesene - Effizienz und Integrationskraft der Kollektivverhandlungen weiter ausbauen. Insbesondere die sich rasant entwickelnde New Economy macht Interessenvertretungsstrukturen erforderlich, „die unter dem Gesichtspunkt der Effizienz, der Funktionalität und der Legitimation adäquat sind“ (Blessing 2000).

Arena im Wandel: Betriebsverfassung Die Stabilität der Arena Betriebsverfassung basiert nach Müller-Jentsch (1995b) auf den Strukturmerkmalen und den Konstitutionselementen von Arenen: Repräsentation der Gesamtbelegschaft, Gebot der vertrauensvollen Zusammenarbeit zwischen Betriebsrat und Management sowie Friedenspflicht, Vorrang des Tarifvertrags vor der Betriebsvereinbarung. Nach anfänglich starkem Widerstand seitens der Gewerkschaften (ebd.) und skeptischen wissenschaftlichen Analysen (Fürstenberg 1958) ist das durch die „Geburtshilfe des Staates“ (Müller-Jentsch 1997: 81) verankerte Betriebsverfassungsgesetz von Arbeitgebern, Gewerkschaften und Betriebsräten inzwischen akzeptiert (vgl. Kommission Mitbestimmung 1998). Gerade der heftig kritisierte „intermediäre Charakter“ des Betriebsverfassungsgesetzes (BetrVG) erweist sich in der Rückschau als das stabilisierende Moment. Momentan befindet die Arena Betriebsverfassung in einem Wandel. Die in der Einleitung skizzierten strukturellen Konfliktsituationen führten in den neunziger Jahren zu radikalen Veränderungsprozessen in den Unternehmen, die auf absehbare Zeit irreversibel zu sein scheinen. Insbesondere die Globalisierung der Märkte, Strukturwandel und ökonomische Krisen führten zu tief greifenden Veränderungen betrieblicher Produktionsprozesse. In der industriesoziologischen Debatte herrscht Einigkeit über die wesentlichen Charakteristika der aktuellen betrieblichen Reorganisation und Restrukturierung (vgl. Sauer/Döhl 1997; Tullius 1999; Moldaschl/Sauer 2000). Demnach werden Vermarktlichung und Dezentralisierung als die tragenden Säulen des Unternehmenswandels angesehen. Bei der strategischen und operativen Dezentralisierung (Faust u. a. 1995) handelt es sich um Neuausrichtungen des organisatorischen Zuschnitts auf der Ebene des Unternehmens, des Betriebs und der Arbeitsorganisation (Tullius 1999: 66 f.), deren Ziel eine Stärkung der Selbstorganisation spezifischer Einheiten im Unternehmen ist. Mit der Einführung marktnahen Handelns in die Unternehmung wird quasi eine neue Form

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der Kontrolle implementiert. Die Überprüfung der Leistung anhand marktbezogener Maßstäbe bedeutet eine neue Form der Koordination und Steuerung, nämlich den Übergang von der Hierarchie zum Markt. Allerdings stehen Vermarktlichung und Dezentralisierung in einem Spannungsverhältnis zueinander, das sich in der Gefahr eines Verlustes von Kernkompetenzen, einer Verschärfung der schon bestehenden Bereichsegoismen, des Flexibilitätsverlustes, „Entgrenzung“ etc. niederschlagen kann (vgl. u. a. Hirsch-Kreinsen 1995; Kotthoff 1997). Wir betrachten den Unternehmenswandel unter dem Gesichtspunkt der Veränderung betrieblicher Koordination und Steuerung und führen dafür den Begriff der diskursiven Koordinierung ein (vgl. Braczyk/Schienstock 1996; Abel u. a. 1998; Minssen 1999a; Minssen 1999b; Tullius 1999). Grundsätzlich geht es um eine engere, Kommunikation zwischen Akteuren, die „formalisiert, d. h. betrieblich genutzt wird“ (Minssen in diesem Band): Auf der überbetrieblichen Ebene sind dies die Unternehmen mit ihren Kunden, anderen Unternehmen oder Kooperationspartnern. Auf der betrieblichen Ebene sind die Akteure „sowohl in horizontaler als auch in vertikaler Hinsicht auf den mehrseitigen, verständigungsorientierten Austausch von Perspektiven angewiesen“ (Abel u. a. 1998: 15). Die diskursive Koordinierung ist dabei das „potenzielle Verbindungsstück zwischen den neuen Marktanforderungen und der organisatorischen Restrukturierung in den Unternehmen“ (Bracyzk/Schienstock 1996: 283).

Neue Interaktionsmuster durch diskursive Koordinierung Vermarktlichung, Dezentralisierung und diskursive Koordinierung haben tief greifende, noch nicht abgeschlossene Veränderungen der betrieblichen Arbeitsregulation bewirkt.2 Das Bild ist uneinheitlich (vgl. Abel u. a. 1998; Braczyk u. a. 2000): Zum einen hält die große Mehrheit der Unternehmen der industriellen Kernsektoren am Kollektivmodell fest, bei dem Tarifvertrag und Betriebsvereinbarung weiterhin wichtige Bezugspunkte des Akteurshandelns bilden. Das hindert Manager und Betriebsräte nicht, bei Arbeitszeit- oder Entgeltfragen die tarifvertraglichen Regelungen den betrieblichen Anforderungen entsprechend zu interpretieren, die in wirtschaftlich angespannten Zeiten bei vielen Betriebsräten eine höhere Priorität als der Flächentarifvertrag genießen. Die überbetrieblichen Regelungen werden von den Betrieben des Unternehmensmodells wesentlich entschiedener in Frage gestellt. Dabei brechen sie - zum Teil in Übereinstimmung mit Betriebsräten und Belegschaften - Tarifverträge oder treten aus dem Arbeitgeberverband aus. Bei Industriebetrieben werden Kostengründe in Anschlag gebracht, während die im Bereich hochqualifizierter Dienstleistungen tätigen

2 Uns ist bewusst, dass diese Charakteristika inzwischen einem erneuten Wandlungsprozess unterliegen, mit dem zu weit getriebene Restrukturierungs- und Reorganisationsprozesse wieder ein Stück weit zurückgenommen werden sollen (vgl. Springer 1999).

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Unternehmen die starren, betrieblichen Notwendigkeiten widersprechenden tarifvertraglichen Korsetts beklagen. Die Unternehmen des Individualmodells in der New Economy verweigern sich durch Nicht-Eintritt in die Arbeitgeberverbände der tarifvertraglichen Regulation und präferieren oftmals einzelvertragliche Regelungen mit ihren hochqualifizierten Angestellten im beiderseitigen Interesse (vgl. Hauser-Ditz/Kluge in diesem Band). Das Verhältnis von Betriebsrat und Management verändert sich durch die diskursive Koordinierung. Zum einen spielt jeder einzelne Beschäftigte für die neuen Managementstrategien eine zunehmend wichtigere Rolle. Ihnen werden direkte Partizipationsangebote unterbreitet (s. u.). Zum anderen müssen sich die Betriebsräte anpassen: Die zunehmende Heterogenisierung der Belegschaften mit ihren vielfältigen individuellen Interessen, die Renditeforderungen eines Shareholder-Value-Kapitalismus, die aufgrund der Umsetzung partizipativer Managementkonzepte befürchtete Konkurrenz zwischen direkter Partizipation und repräsentativer Vertretungspolitik sowie die Verbetrieblichung der Tarifpolitik führen dazu, dass die bundesdeutschen Betriebsräte sich kaum noch auf ihre Position einer klassischen Schutzpolitik zurückziehen können und verstärkt Gestaltungspolitik betreiben müssen. Der Co-Manager (Müller-Jentsch 1993; Kotthoff 1998; Bergmann in diesem Band) wurde zum neuen Leitbild betrieblicher Interessenvertretung.3 Aber auch das Management bleibt von seiner eigenen Reorganisation nicht unberührt. Wurden früher die Betriebsräte in vielen Fällen defensiv und streng nach den Buchstaben des Betriebsverfassungsgesetzes informiert und beteiligt, so suchen jetzt die Unternehmensführungen die Unterstützung der Betriebsräte; nur durch deren Mitwirkung lassen sich partizipative Managementkonzepte erfolgversprechend implementieren. Doch trotz dieser „gegenseitigen Ressourcenabhängigkeit“ (Müller-Jentsch 1997: 81) bleibt die Machtasymmetrie zwischen Kapital und Arbeit bestehen; den Abbau von Arbeitsplätzen zu verhindern, ist damit weiterhin die oberste Handlungsmaxime der Betriebsräte. Die Sorge um die gefährdeten Arbeitsplätze lässt Betriebsräte erpressbar werden (vgl. Bergmann u. a. 1998; Bergmann in diesem Band). Zudem zeigt eine Studie über Betriebsvereinbarungen zur Beschäftigungssicherung, dass „die Beteiligung der Interessenvertretungen an der - auch mit Zumutungen verbundenen - Veränderung der betrieblichen Strukturen zur Modernisierung die Bereitschaft der Arbeitgeber zu partiellen Beschränkungen ihrer Autonomie zur Voraussetzung (hat)“ (Heidemann 1999: 43).

Herausforderungen für die betrieblichen Institutionen

3 Allerdings ist dieser Idealtypus in der Realität nur selten anzutreffen. Eine repräsentative Befragung von Betriebsräten im Maschinenbau ergab, dass nur 7,2 Prozent der Betriebsräte dem Typus „Co-Manager“ zuzuordnen sind (Müller-Jentsch/Seitz 1998: 383). Zur Diskussion um Veränderungen betrieblicher Vertretungsmuster vgl. Seitz (in diesem Band).

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Trotz der angespannten ökonomischen Situation befinden sich die Betriebsräte nicht ausschließlich in der Defensive, vielmehr scheint sich zwischen den betrieblichen Akteuren eine Situation des „Geben und Nehmen“ herauskristallisiert zu haben. Inwieweit dieses weiterhin kooperativ und konsensorientiert geschehen wird, wird sich an dem Ausgang folgender zentraler betrieblicher Verhandlungsfelder zeigen. Die strategische Dezentralisierung bzw. die Entgrenzung von Unternehmen4 führen in verschiedenen Bereichen zu Koordinations- und Kooperationsproblemen für die betrieblichen Interessenvertretungen (Funder 1999). Zunächst resultiert aus der Ausgliederung von Unternehmensteilen ein quantitativer Anstieg von Belegschaftsvertretungen mit den Folgen eines erhöhten Koordinationsaufwandes und unter Umständen schwächeren Betriebsratsgremien. Als Folge können neue interessenvertretungsfreie Zonen entstehen. Zweitens eröffnen die Dezentralisierungsstrategien dem Management ein Ausspielen der Standortbetriebsräte. Daraus können sich neue Koalitionen jenseits des Kapital-Arbeit-Gegensatzes ergeben, wenn lokales Management, lokale Betriebsräte und lokale Belegschaften mit anderen Standorten um Produktionszuschläge konkurrieren. Drittens werden Betriebsräte mit der Drohung, Standorte ins Ausland zu verlagern, erpresst. Fraglich ist gleichwohl, ob es für die Betriebsräte einen Ausweg aus diesem Dilemma geben kann. Kooperation und Koordination in Gesamt-, Konzern-, Euro- oder gar Weltbetriebsräten scheinen momentan kaum geeignet, Vermarktlichungstendenzen und Standortkonkurrenz entgegenzuwirken. Auch die Kommission Mitbestimmung (1998) zeigt sich eher skeptisch und verweist auf Mitbestimmungsnetzwerke auf der Grundlage wirtschaftlicher Vorteile für das Unternehmen (Sydow 1997: 11, 52 f.). Ob das ohne gesetzliche Flankierung hinreichend sein wird, ist zu bezweifeln, so dass die betriebliche Interessenvertretung in Unternehmungsnetzwerken institutionell und auf Gesetzesebene abgesichert werden muss (vgl. Müller-Jentsch 1999b: 300). Besonders dramatisch stellt sich die Lage in den mitbestimmungsfreien Zonen dar. Hier ist aufgrund der situativen Verschiedenartigkeit ein Mix möglicher Antworten vorzuschlagen: Dazu zählt zentral die Modifizierung des Betriebsbegriffs, so dass beispielsweise Betriebsteile erst dann selbstständig im Sinne des Betriebsverfassungsgesetzes werden, wenn sie einen Betriebsrat haben. Ansonsten wäre der Gesamtbetriebsrat zuständig (vgl. zu weiteren Vorschlägen Hanau 1999). Zudem ist eine Verlagerung von der gesetzlichen auf die tarifvertragliche Ebene vorstellbar, auf der dann Regeln für die betriebliche Interessenvertretung in Kleinbetrieben ausgehandelt werden. Alternativ hierzu wären regionale Lösungen denkbar, indem etwa „‘Patenschaften‘ von größeren Unternehmen“ (Leminsky 1999: 61) übernommen werden. Auch hier kann die staatliche Gesetzgebung auf das Setzen von Rahmen beschränkt werden, die die betrieblichen und regionalen Akteure auf dem Verhandlungswege ausfüllen.

4 Vgl. zu dem immer wichtiger werdenden Phänomen der Unternehmungsnetzwerke u. a. Sydow (1997) sowie Sydow und Wirth (1999), zur Entgrenzung allgemein siehe Minssen (2000).

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Die neuen Herausforderungen folgen jedoch nicht nur aus den betrieblichen Reorganisations- und Restrukturierungsprozessen, sondern gleichfalls aus der Verbetrieblichung und der Erosion des Flächentarifvertrags. Die wirtschaftliche Situation vor Augen sind immer mehr Betriebräte willens, betriebliche Vereinbarungen unterhalb des tarifvertraglichen Niveaus zu akzeptieren. Zugleich wissen sie sehr genau, dass sie aufgrund der betrieblichen Machtasymmetrie und ohne Unterstützung des Flächentarifvertrags - von wenigen großbetrieblichen Ausnahmen abgesehen - kaum in der Position sind, das erreichte Niveau zu halten oder gar auszubauen. Aber die Verbetrieblichung birgt nicht nur Gefahren, sondern auch Chancen für die Betriebsräte bei der Aushandlung betriebsspezifischer Lösungen (vgl. Schartau in diesem Band). Damit die Betriebsräte die Rolle des Verhandlungspartners bei der betrieblichen Umsetzung tarifvertraglicher Vorgaben optimal umsetzen können, muss von Seiten der Gewerkschaften in deren Information, Beratung und Weiterbildung investiert werden (vgl. Ittermann 1999). Dies gilt in gleichem Maße für die Unterstützung der Betriebsräte bei der Mitwirkung an betrieblicherModernisierungspolitik. Forciert wird dieser Wandel im Umgang von betrieblichen Interessenvertretungen und Management durch neue „Weltbilder“ (vgl. Bosch 1997) beziehungsweise „Deutungsmuster“ (Müller-Jentsch 1997: 82) auf beiden Seiten. Eine dritte Herausforderung resultiert aus den Partizipationsangeboten an die Belegschaft. Durch die direkte Partizipation, die „Mitbestimmung in der ersten Person“, kann für den Betriebsrat eine Konkurrenzsituation entstehen, da die repräsentative, durch das Betriebsverfassungsgesetz geschützte Interessenvertretung unterminiert wird. Auch wenn die Betriebsräte Vertretungsverschiebungen konzedieren (vgl. Sperling 1994), werten viele diese Entwicklung jedoch nicht als Gefahr für die eigene Position, sondern erhoffen sich größere Freiräume für die Bearbeitung neuer, im Zuge von Reorganisation und Verbetrieblichung entstandener Aufgaben.

Stabilisierung der Arena Betriebsverfassung Trotz der teilweise dramatischen Entwicklungen ist von einer Erosion der betrieblichen Interessenvertretungen in Unternehmen des Kollektiv- und zum Teil des Unternehmensmodells nicht zu sprechen.5 Vielmehr gilt weiterhin die Auffassung, dass sich das Betriebsverfassungsgesetz zu einem erfolgreichen Modell betrieblicher Mitbestimmung entwickelt hat (vgl. Müller-Jentsch 1995b; Kommission Mitbestimmung 1998). Allerdings haben sich die betrieblichen Austauschbeziehungen zwischen dem Management und dem Betriebsrat seit den

5 Allerdings lässt sich nicht verhehlen, dass die „Institution Betriebsrat“ als quantitative Erscheinung abgenommen hat (vgl. zu den Zahlen und Gründen Kommission Mitbestimmung 1998; Rudolph/Wassermann 1998; Müller-Jentsch/Ittermann i. E.).

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achtziger Jahren sukzessive zugunsten letzterer gewandelt. Dies ist um so erstaunlicher, als die ökonomische Krise wider Erwarten zu einer Stärkung und erhöhten Vertretungswirksamkeit der betrieblichen Interessenvertretungen führte (Kotthoff 1994). Inzwischen lässt sich von einem generellen Wandel der Interaktionskultur zwischen Betriebsrat und Management sprechen (vgl. Bosch 1997). Auf der einen Seite ist zwar eine „Versachlichung, Rationalität und Professionalisierung“ (Müller-Jentsch 1998: 578) zu erkennen, auf der anderen Seite zeigt die Klage vieler Betriebsräte über ihre „Erpressbarkeit“ die Gefahren einer zunehmenden Machtasymmetrie zwischen Betriebsrat und Management. Verschärft wird die Situation durch eine neue Politik großer Unternehmen, ihr Management wesentlich flexibler einzusetzen, so dass vertrauensvolle, ungeschriebene Regeln beachtende Interaktionsbeziehungen sich in den Betrieben kaum noch etablieren können. Damit es nicht doch zu einer Erosion kommt, wird der Staat das Betriebsverfassungsgesetz novellieren müssen. Seine, durch Rechtsinstitut abgesicherte, schützende Hand muss aufgrund der Überforderung der betrieblichen Interessenvertretungen und der herrschenden betrieblichen Machtasymmetrie regulierend eingreifen.

Neue Arena: direkte Partizipation

Neue Akteurskonstellationen im Betrieb Die partizipativen Managementkonzepte führen zu Veränderungen in der betrieblichen Akteurskonstellation. Die diskursive Koordinierung bringt neue Koordinations- und Steuerungsformen ins Unternehmen, bei denen die Arbeitsgruppe oder die einzelne Arbeitskraft in den Mittelpunkt gestellt werden werden. Aber auch bei den Belegschaften sind Veränderungsprozesse in mehrfacher Hinsicht beobachtbar, wobei unumstritten ist, dass - sofern es das jemals realiter gab - ein einheitliches Belegschaftsinteresse kaum vorzufinden ist. Die zunehmende Segmentierung der Belegschaft in Rand- und Stammbelegschaft, die divergierenden Interessen von Vollzeit- und Teilzeitbeschäftigten, von Männern und Frauen, von niedrig und hoch qualifizierten Arbeitskräften etc. verbieten eine simple, auf wenige Aspekte reduzierte Betriebsratspolitik. Eine Veränderung erwächst aus der positiven Aufnahme der partizipativen Managementkonzepte mit deren Betonung diskursiver Koordinierung seitens der Beschäftigten, den Folgen einer Verantwortungsverlagerung „nach unten“ und dem Abfordern und Einbringen subjektiver Leistungen. Insbesondere die neuen Wachstumsbranchen mit ihrer Präferenz des Individualmodells sind dabei in der Vorreiterrolle; weder Management noch Beschäftigte vermissen hier den Betriebsrat als Ansprechpartner bei der Aushandlung betrieblicher Arbeitsbedingungen. Aber auch jenseits des Individualmodells in der New Economy kommen größere Beschäftigtengruppen in den Genuss von Partizipationsangeboten. Noch werden diese Offerten von den Beschäftigten mehrheitlich begrüßt. Während die Unternehmen

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Produktivitätsvorteile, größeren Kundenbezug oder Qualitätssteigerungen anstreben, sehen die Arbeitnehmer die „Mitbestimmung in der ersten Person“ auch als Einlösung höherer Ansprüche an Führungsstil und Arbeitsinhalt (vgl. Müller-Jentsch 1994).6 Diese aufgrund eines steigenden Lebensstandards, permissiver Erziehung und erweiterter Bildungschancen erwachsenden Anforderungen an die berufliche Tätigkeit ist mit den Interessen und der Handlungslogik der Unternehmensleitungungen kompatibel (vgl. Müller-Jentsch 1994). Trotz der Divergenzen entsteht mit der direkten Partizipation eine gemeinsame Schnittmenge zwischen dem Management und Teilen der Beschäftigten.

Arenenbildung zwischen Selbstorganisation und Institutionalisierung Aber es ist fraglich, inwieweit diese Interessenüberschneidung Bestand haben wird, denn die Partizipationsangebote sind bisher nur teilweise (interessanterweise in Betriebsvereinbarungen als Institution der Arena Betriebsverfassung) abgesichert; noch besteht entweder die Gefahr einer willkürlichen Gewährung oder Rücknahme seitens des Managements oder die Beschäftigten befinden sich in einem ständigen mikropolitischen Aushandlungsprozess mit ihren Vorgesetzten. Dementsprechend ist die Überwindung von Widerständen gegen die neuen Managementkonzepte keine „Überzeugungs- und Sozialisationsaufgabe“, sondern die Herausforderung „besteht in der Neufundierung und im Neuaustarieren der für Kooperation und organisationale Lernprozesse grundlegenden Interessenarrangements“ (Baethge/Kädtler 1998: 16). Denkbar sind auch Lösungen auf der tariflichen Ebene (vgl. Windeler/Sydow in diesem Band). Eine zukünftig zu beantwortende Frage wird sein, inwieweit die Institutionalisierung gesetzlich zu geschehen hat, oder ob nicht eine stärkere gesellschaftliche Selbstorganisation (vgl. Streeck 1999; Leminsky 1999) angepeilt werden sollte. Die gesetzlichen Ansätze müssten eine Modifizierung des Betriebsverfassungsgesetzes anstreben. So ist etwa die Möglichkeit der Verlagerung von Kompetenzen des Betriebsrates auf Gruppen oder Individuen vorstellbar. Dies würde den Interessen der Beschäftigten entgegenkommen, da ihr Engagement mit ihrer direkten Betroffenheit zunimmt. Es geht mithin um eine Vernetzung des „entstehenden Systems der direkten Partizipation mit dem System der repräsentativen Mitbestimmung“ (Müller-Jentsch 1999b: 298). Direkt mit dem Vordringen direkter Partizipation und der Expansion materieller Beteiligungsmodelle in Zusammenhang steht eine Fortentwicklung des Individualarbeitsrechts, zumal sich das Betriebsverfassungsgesetz als Kollektivarbeitsrecht angesichts der Zunahme mitbestimmungsfreier Zonen (Individualmodell) auf dem Rückzug befindet (vgl. Preis 1999). Dazu zählen unter 6 Das bedeutet nicht, dass Konflikte ausgeschlossen sind, wie Minssen (in diesem Band) am Beispiel der Gruppenarbeit zeigt.

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anderem der Kündigungsschutz, aber auch die Chance, durch ein Arbeitsvertragsrecht die gewachsenen Autonomiespielräume auf der individuellen Ebene zu stärken (vgl. Nielebock 1999). Um die Flexibilität nicht zu sehr zu beschneiden, muss der gesetzliche Rahmen entsprechende Freiräume für die kollektive (Betriebsrat) und die partizipative Interessenvertretung (Individuum) bieten. Plädiert wird also für eine stärker verhandlungsbasierte Interessenvertretung auf der Grundlage gesetzlicher Rahmensetzung mit dem Abschluss von Verträgen (Betriebsvereinbarungen, Arbeitsverträge etc.). Rechtsinstitute müssen dabei für die notwendige Absicherung der sich entwickelnden Arena „direkte Partizipation“ sorgen.

Neue Arena: Europäische Arbeitsbeziehungen Die internationale Ausrichtung von Unternehmen und Konzernen zeitigt unmittelbare Auswirkungen auf die nationalen Strukturen industrieller Beziehungen. Dies führt auf der einen Seite zu einem Verlust an Souveränität gesellschaftspolitischer Institutionensysteme (vgl. Altvater/Mahnkopf 1997) wie den Arenen Betriebsverfassung und Tarifautonomie, auf der anderen Seite können sich aber neue Institutionensysteme auf internationaler Ebene herausbilden. Es sind deutliche Anzeichen erkennbar, dass sich zumindest auf der europäischen Ebene Institutionalisierungsprozesse anbahnen bzw. schon abgeschlossen sind. Dabei sind in Verlängerung der nationalen Arenen unterschiedliche Entwicklungsstadien zu verzeichnen. Während die Arena Mitbestimmung mit der EU-Richtlinie „Europäische Betriebsräte“ in Europa schon institutionalisiert ist, gibt es beim Thema internationale Tarifpolitik lediglich erste Ansätze. Es ist somit eine doppelte Entwicklung zu konstatieren: Während die internationale „Mikro-Ebene“ als neue Arena gelten kann, trifft das für die „multi-sektorale“ und „sektorale“ tarifpolitische Ebene (Schulten 1998: 156) nicht zu.

Transnationale Akteurskonstellationen Die Unternehmen besitzen mit der Karte „Globalisierung“ einen wichtigen Trumpf in ihrem Bestreben, das Machtgefüge nationaler industrieller Beziehungen zu ihren Gunsten zu verschieben. Dabei ist es unerheblich, ob die Debatte über die bindungslosen Unternehmen einen realen Hintergrund hat oder nicht, für die Betriebsräte und nationalen Gewerkschaften ist die Drohung der Verlagerung von Standorten und damit Arbeitsplätzen wirkungsmächtig. Die Gefahr, die die Arbeitnehmervertreter eingehen, ist, zur Sicherung der Arbeitsplätze Zugeständnisse (Abbau übertariflicher Leistungen, Arbeitszeitflexibilisierung etc.) zu machen und damit eine Abwärtsspirale in Gang zu setzen. Andererseits sind die internationalen Kontakte von Betriebsräten - selbst in Großunternehmen - rudimentär gewesen. Nationale Standortkonkurrenz beherrschte Denken und Handeln der betrieblichen Arbeitnehmervertreter. Die Gewerkschaften bildeten keinen geeigneten

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Ansprechpartner, um die Defizite auszugleichen. Mit dieser Position mussten die Interessenvertretungen in die Defensive geraten. Auf der anderen Seite ist die Abstimmung der strategischen, international ausgerichteten Unternehmenspolitik für das Management der zentrale Ansatz zur Sicherung des Shareholder-Value. Häufige Treffen der Unternehmensspitzen zur Abstimmung der Unternehmenspolitik oder globaler Austausch von Führungskräften sind an der Tagesordnung. Die gegebene Machtasymmetrie zwischen Kapital und Arbeit bzw. zwischen Management und Betriebsrat verschärft sich unter den Bedingungen der Globalisierung nochmals. Bei den Gewerkschaften und Arbeitgebern existieren im Unterschied zu den Betriebsratsgremien zwar schon länger internationale Kontakte und Organisationen, aber deren Wirkung war äußerst beschränkt. Insbesondere die Gewerkschaften stehen angesichts der Entwicklung in der EU unter dem Zwang, neue Wege zu beschreiten. Die Gefahr einer Erosion der nationalen Tarifverträge durch unternehmensbezogene internationale Vereinbarungen zu Arbeitsbedingungen ist ebenso real wie die „rasche weltweite Verbreitung“ neuer Managementkonzepte: Diese Verbreitung „unter Vernachlässigung ihres jeweils zugrundeliegenden nationalen und weltregionalen Arbeitsbeziehungsmusters zeigt, in welchem Ausmaß nationale Arbeitsbeziehungssysteme und mit ihnen auch die Mitbestimmung und Tarifpolitik dem Druck internationaler Diffusion ausgesetzt sind“ (Lecher 1999a: 337). Von einem Export des dualen Systems bundesdeutscher industrieller Beziehungen kann demnach kaum die Rede sein. Es kann hier nicht die Konvergenz/Divergenz-Debatte aufgegriffen werden (vgl. Cattero 1999), aber es ist offensichtlich, dass trotz des Bröckelns bisher diskutierter Modelle der europäischen Arbeitsbeziehungen (vgl. Ebbinghaus/Visser 1997) die nationalen Gewerkschaftsbewegungen eine führende Rolle bei der Entwicklung europäischer Arbeitsbeziehungen einehmen müssen, die - wie Deutschland - in den wirtschaftlich starken EU-Staaten agieren. Der DGB müsste somit „eine tarifpolitische ‚Lokomotivfunktion‘ übernehmen“ (Lecher 1999a: 343). Allerdings ist die aktuelle gewerkschaftspolitische Debatte über die Neugestaltung der Arbeitsbeziehungen im Prozess der Marktintensivierung und -erweiterung dadurch gekennzeichnet, dass zunächst die nationalen gesellschaftlichen Bedingungen der Arbeitsregulation als Vor- und Nachteile für die globale Wettbewerbsfähigkeit von Nationalstaaten im Fokus der so genannten „Standortdebatte“ stehen (Hirsch 1998; Streeck 1998a). Zugleich muss auch ein Umdenken bei den internationalen Gewerkschaftsorganisationen einsetzen, die über 40 Jahre lang vornehmlich den Zielsetzungen und Interessen des Ost-West-Konfliktes „als Bollwerk gegen die Ausbreitung des Weltkommunismus“ untergeordnet waren (vgl. Jacobi in diesem Band). Die internationalen Arbeitgeberorganisationen sind in Bezug auf tarifpolitische Fragestellungen weit weniger entwickelt als die Gewerkschaften. So versteht sich etwa die UNICE (Union of Industrial and Employers‘ Confederations of Europe) als größte Dachorganisation der Wirtschaftsunternehmen nicht als Arbeitgeber-, sondern als Wirtschaftsorganisation. Dementsprechend werden mit den Gewerkschaften

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Gespräche höchstens über Fragen des Arbeitsschutzes oder der Aus- und Weiterbildung geführt (vgl. Müller-Jentsch 1997: 328 f.). Das bedeutet, dass den Gewerkschaften auf europäischer Ebene ein Pendant für Tarifverhandlungen fehlt.

Perspektiven der Arenenbildung in der EU Nach Müller-Jentsch kam dem Staat eine tragende Rolle bei der Genese und Stabilisierung der deutschen industriellen Beziehungen und seiner Arenen zu: Seine „Organisationshilfe“ hat entscheidend zur Stabilisierung der Arenen beigetragen. Im Zuge des europäischen Integrationsprozesses ist es zu einer Diskussion um die Souveränität der Nationalstaaten gekommen: Welche Entscheidungsrechte liegen noch bei den nationalen Parlamenten, welche sind in Brüssel verankert? Die „Euro-Pessimisten“ (vgl. Streeck 1998b; Keller in diesem Band) sind skeptisch; insbesondere Streeck weist auf den Widerspruch hin, dass die Nationalstaaten einem Erosionsprozess unterworfen sind, der aber nicht durch einen entsprechenden mächtigen Akteur auf der europäischen Ebene kompensiert wird (vgl. Cattero 1999: 95 f.). In einer optimistischeren Sichtweise lässt sich zumindest auf die weitgehende Integration der EU als Wirtschaftsunion (Europäische Wirtschafts- und Währungsunion, EWWU) verweisen; wann und wie jedoch aus der EU auch eine Sozialunion wird, bleibt abzuwarten. Während bei ersterer die Institutionen (Europäische Zentralbank, Euro als gemeinsame Währung) etabliert sind, gibt es bei den Institutionalisierungsprozessen im Bereich industrieller Beziehungen erheblichen Nachholbedarf.7 Dieser ist geringer auf der internationalen betrieblichen Ebene. Mit der Verabschiedung der EU-Richtlinie „Europäische Betriebsräte“ (EBR) 1996 hat die EU-Kommission ein erstes Zeichen zur Regulierung der europäischen Arbeitsbeziehungen gesetzt. Zwar bleiben die Befugnisse der EBR bisher auf reine Konsultations- und Informationsrechte beschränkt, aber zumindest räumt die Richtlinie die grundsätzliche Möglichkeit ein, in den sich globalisierenden Unternehmen mit mehr als 1.000 Beschäftigten eine europäische Arbeitnehmervertretung aufzubauen. Trotz der Begrenztheit der Einflussmöglichkeiten dieser europäischen Betriebsratsgremien bildet die EBR-Richtlinie eine erste tragfähige institutionelle Voraussetzung der Kooperation zwischen europäischen Arbeitnehmervertretungen, auf deren Basis es im Verlauf der perspektivischen Intensivierung grenzüberschreitender Zusammenarbeit für die Gewerkschaften und nationalen Regierungen gilt, weitergehende Mitbestimmungsrechte - etwa in Anlehnung an die deutsche Betriebsverfassung - durchzusetzen (upward harmonization) (Lecher 1999b). Wenn es gelänge, die Institution der EU-Betriebsräte auf einem höheren Gestaltungsniveau zu stabilisieren,

7 Zur Debatte um die Euro-Pessimisten und Euro-Optimisten vgl. Schulten (1998) und Cattero (1999), für die Gewerkschaften vgl. Jacobi (in diesem Band) und Keller (in diesem Band).

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würde dies Folgewirkungen auf die Ausgestaltung von Betriebsratsarbeit in Weltkonzernen auch über die Grenzen Europas hinaus zeitigen, wie die Beispiele von Volkswagen und DaimlerChrysler unterstreichen (vgl. Die Mitbestimmung 1999; Schartau in diesem Band). Die grenzüberschreitende betriebliche Mitbestimmung stellt die neuen Akteure zweifellos vor gewaltige Herausforderungen: Problematisiert Minssen (2000) bereits die enorme Beanspruchung von Betriebsräten im Prozess der diskursiven Koordinierung, so bedarf es auf der europäischen Ebene dringend entsprechender Initiativen seitens der Gewerkschaften, durch Qualifizierung die EU-Betriebsräte fachlich und überfachlich, d. h. methodisch und sozial, auf ihre Aufgabenfelder vorzubereiten. Auf der Ebene der Tarifparteien ist nach Abschluss des Amsterdamer Vertrages der sozialpolitische Dialog für die Bereiche Verbesserung der Arbeitsumwelt, Arbeitsbedingungen, Unterrichtung, berufliche Eingliederung und geschlechtliche Gleichbehandlung zwischen der EU-Kommission als Moderatorin, europäischen Gewerkschaften und Arbeitgeberverbänden als Einrichtung institutionalisiert, nachdem deren Arbeit in den Jahren zuvor eher symbolischer und nicht praktischer Art war (Keller 1997). Der neue, stärker formalisierte Soziale Dialog gewinnt steigenden Einfluss auf sozialpolitische Innovationen in der Europäischen Union. Ergänzt wird der Soziale durch den Sektoralen Dialog, der auf der Ebene der europäischen Branchen eine Interessenhomogenität der sozialen Akteure in der Tarifpolitik fördern soll. Das entscheidende Problem für die europäischen Gewerkschaften stellt jedoch die strukturelle Schwäche der europäischen Arbeitgeberverbände dar. Es fehlen zentrale Verhandlungspartner auf der transnationalen Ebene, so dass die bisherigen Ergebnisse des Sektoralen Dialogs innerhalb der EU in ihren praktischen Konsequenzen noch gänzlich unverbindlich bleiben. In der Intensivierung des europaweiten Sektoralen Dialogs liegt zukünftig das Aufgabenfeld der Internationalen Berufssekretariate der Gewerkschaften. Im Rahmen eines gemeinsamen Marktes und einer Gemeinschaftswährung steht die Koordinierung der Tarifpolitik im Zentrum grenzüberschreitender gewerkschaftlicher Koordination auf der Agenda. Das tarifpolitische Ziel ist es, die Tendenz einer downward harmonization auf den Gebieten Entlohnung, Arbeitsbedingungen und Sozialpolitik zu verhindern (Doorn-Initiative 1999). Zentrale Akteure dieses tarifpolitischen Koordinierungsansatzes sind die nationalen Branchengewerkschaften, wobei entsprechend des Gewichts der IG Metall dem Ansatz des Europäischen Metallarbeiterbundes perspektivisch eine Schlüsselposition zukommt. Dieser Ansatz besteht in der Ausarbeitung einer gemeinsamen Tarifformel für die EU und der Institutionalisierung einer regionalen Koordination in Form einer Bildung grenzüberschreitender Tarifbezirke (vgl. Gollbach/Schulten 1999). Innovativ ist hier die Stoßrichtung, der wirtschaftlichen Internationalisierung nicht lediglich durch Anpassung auf der nationalen Ebene durch Sozialpakte zu begegnen, sondern durch

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Überführung von Gestaltungsmacht auf neu entstehende transnationale Institutionen der tarifpolitischen Koordinierung. Insgesamt ist jedoch auf der Makroebene fraglich, inwieweit sich supranationale Strukturen durchsetzen können. Die Arbeitgeber und deren Verbände besitzen ein nur geringes Interesse an der Etablierung von arbeitsregulierenden Institutionen auf europäischer Ebene. Ihr Interesse ist es vielmehr, durch Europäisierung und Globalisierung die nationalen Institutionensysteme zu liberalisieren und flexibilisieren. Demzufolge müssen die Gewerkschaften - in der Hoffnung, verlorenes nationales Terrain wieder auf europäischer Ebene auszugleichen - darauf hoffen, dass sie Unterstützung bei nationalstaatlichen Akteuren finden und auf deren Interesse an einer sozialstaatlichen europäischen Integration zu setzen. Schulten schreibt den staatlichen Akteuren denn auch zu Recht eine zentrale Rolle beim Aufbau eines europäischen Kollektivvertragssystems zu (1998: 157). Auf der betrieblichen Mikroebene scheinen die Voraussetzungen für die Arenenbildung günstiger zu sein. So wie der Prozess der mikroökonomischen Globalisierung das tragende Element der makroökonomischen Globalisierung darstellt (Wannöffel 1996), kristallisiert sich heute vor allem die Mikroebene der Unternehmen als zentral für internationale Kooperationsbeziehungen heraus. Zwar muß die EBR-Richtlinie in ihrem Erfolg durchaus kritisch betrachtet werden, aber es ist immerhin feststellbar, dass die Unternehmen nach zunächst ablehnender Haltung dieser neuen Institution inzwischen aufgeschlossener gegenüberstehen. Dies nicht zuletzt deshalb, weil sie sich davon versprechen, die Gewerkschaften bei Tarifverhandlungen auf europäischer Ebene übergehen zu können. Hier müssen die Betriebsräte und die Gewerkschaften aufpassen, sich nicht auseinanderdividieren zu lassen.

Statt einer Schlussbemerkung: Offene Fragen Das Vorhaben, den Arenenansatz von Walther Müller-Jentsch hinsichtlich der Herausbildung neuer bzw. der Veränderung traditioneller Schauplätze der industriellen Beziehungen zu erweitern, ist nicht neu. Im Gegenteil: Die Arenen-Ausdehnung ist beim ihm selbst schon angelegt: „Sollte die Anpassung des deutschen Systems der industriellen Beziehungen an die neuen Entwicklungen und Herausforderungen gelingen, dann wäre als positives Szenario denkbar: ein flexibles, vernetztes Mehrebenensystem mit direkter und repräsentativer Mitbestimmung im Betrieb und Unternehmen einerseits sowie national-sektoralen und europäischen Tarifregelungen andererseits.“ (Müller-Jentsch 1999b: 301). Die Ausführungen haben gezeigt, dass bei den Arenen „direkte Partizipation“ und „europäische Arbeitsbeziehungen“ unübersehbare Anzeichen dafür zu erkennen sind, dass es sich um neue, zumindest um sich entwickelnde Institutionensysteme handelt. Die Anforderungen der Arenen-Definition von Müller-Jentsch werden erfüllt: Beide Arenen entwickeln sich zu „Orten geregelter Konfliktaustragung“; mit

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Betriebsvereinbarungen und der EBR-Richtlinie sind erste, wenngleich eher schwache Institutionalisierungen als Regelungen zur Interessendurchsetzung entstanden. Aber die neuen Arenen sind auch Kampfplätze: Weder sind die Hochburgen direkter Partizipation, die Unternehmen der New Economy, ausschließlich ein Hort ungetrübten konsensuellen Handelns, noch lässt sich dies von der europäischen Arena behaupten; dies zeigt die Entstehungsgeschichte der europäischen Betriebsratsgremien. Aber dennoch bleiben offene Fragen und sind weitere Forschungsanstrengungen nötig, um die hier vertretende These einer Erweiterung des Arenenkonzeptes zu verifizieren oder gegebenenfalls zu falsifizieren. So sind Fragen an das Arenen-Konzept zu beantworten, die aus den Institutionalisierungsprozessen der neuen Arenen resultieren: Erstens spricht Müller-Jentsch von kollektiven Akteuren bei der Genese von Arenen: Betriebsrat, Management, Gewerkschaften, Arbeitgeberverbände, Staat. Bei der direkten Partizipation haben wir es jedoch primär mit individueller, nicht repräsentativer Interessenvertretung zu tun. Welche Rückwirkungen hat das auf den theoretischen Ansatz? Zweitens charakterisiert Arenen, dass sie abgegrenzte Konfliktfelder darstellen, die das Überspringen von Konflikten von einer in die andere Arena verhindern sollen. Die Ausführungen haben jedoch eine Überschneidung von der Arena „Betriebsverfassung“ und der Arena „direkte Partizipation“ ergeben, wenn etwa Betriebsvereinbarungen als Institutionalisierung der Arena direkte Partizipation begriffen werden. Die Verknüpfung zwischen diesen beiden Arenen ist wesentlich enger, als sie zwischen den Arenen Betriebsverfassung und Tarifautonomie strukturell angelegt ist. Die Konflikte um „Zuständigkeiten“ der Mitbestimmung in der ersten Person und der repräsentativen Mitbestimmung in der Old Economy sind vorprogrammiert. Inwieweit die Institutionen der repräsentativen Mitbestimmung in der New Economy eine Rolle spielen werden bzw. von Modellen des „Mitunternehmertums“ und der direkten Partizipation abgelöst werden, ist zur Zeit noch nicht absehbar. Ein Szenario könnte in der Entwicklung vertrauensbasierter und auf Selbstorganisation beruhender Unternehmenskulturen bestehen. Drittens muss in weiteren Arbeiten geprüft werden, ob sich eine neue europäische Arena entwickelt, oder ob nicht - ähnlich wie bei den nationalen Arenen Betriebsverfassung und Tarifautonomie - analoge Arenen auf der europäischen Ebene bestehen (werden). Auch hier gilt es, die weitere Entwicklung abzuwarten. Einerseits sind die ersten Versuche einer europäischen Tarifpolitik nicht dazu angetan, von einer europäischen Arena Tarifautonomie zu sprechen, andererseits ist zu berücksichtigen, dass das Verhältnis von Betriebsrat und Gewerkschaften, wie gezeigt, auf der EU-Ebene ein anderes ist und sein muss, um die Strategie der Arbeitgeber zu konterkarieren, durch die Internationalisierung der Unternehmensstrategie nationale Arbeitsregulierungen zu unterlaufen. Hierzu ist auch die Mitwirkung der nationalen Regierungen sowie der Institutionen der Europäischen Union erforderlich.

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Der von Walther Müller-Jentsch eingeschlagene Weg ist, wie Weitbrecht es in seinem Beitrag formuliert, „es wert, weiter verfolgt zu werden“. Es wird eine lohnende Aufgabe sein, das Arenen-Konzept von Walther Müller-Jentsch in seinen empirischen Veränderungsprozessen und theoretischen Folgen zu beobachten, zu analysieren und gegebenenfalls an veränderte Realitäten im Bereich der industriellen Beziehungen anzupassen.

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