Alzheimer mit Hybridmolekülen in die Zange nehmen

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S Mit nur wenigen Ausnahmen erkranken Menschen erst ab etwa 65 Jahren an Alzheimer-Demenz, unter den 85-Jährigen leidet aber bereits jeder vierte daran. 1,3 Mil- lionen Kranke gibt es in Deutsch- land. 1) Diese Entwicklung führte in den vergangenen Jahren zu enor- men Forschungsanstrengungen und zu vielen neuen Erkenntnissen über die biochemischen Prozesse, die der Krankheit zugrunde lie- gen. 2) Diesen Erkenntnissen steht aller- dings ein eklatanter Mangel an pharmakotherapeutischen Optio- nen gegenüber. Diese beschränken sich auf einige Hemmstoffe des En- zyms Acetylcholinesterase (AChE) sowie auf das Amantadinderivat Memantin, einen Antagonisten des NMDA-Rezeptors, die bei Patien- ten die Kognitionsleistung in gerin- gem Umfang verbessern können. Der AChE-Inhibitor Tacrin (Abbil- dung 1), der erste zugelassene Wirkstoff bei Alzheimer-Demenz, verbessert die Kognitionsleistung der Patienten ebenfalls signifikant, aber er wirkt ausschließlich symp- tomatisch und nur zu Beginn der Erkrankung. 3) AChE-Inhibitoren blockieren den Abbau des Neuro- transmitters Acetylcholin (ACh) und erhöhen so dessen Konzentra- tion bei der Übertragung von Im- pulsen zwischen Nervenzellen. Es ist lange bekannt, dass gerade die cholinergen Neuronen, also solche Nervenzellen, die ACh als Trans- mitter nutzen, bei der Alzheimer- Demenz zugrunde gehen. Bei die- sen Nervenzellen scheint insbeson- dere der muscarinische Acetylcho- linrezeptor vom Typ 1 oder kurz M 1 -Rezeptor eine herausgehobene Stelle für die Kognitions- und Ge- dächtnisleistung einzunehmen. AChE-Inhibitoren verstärken so in- direkt die cholinerge Transmission und stabilisieren dadurch die Ge- dächtnisleistung. Sowohl sein medizinisch-chemi- scher Wirkmechanismus als auch sein pharmakologisches Profil ma- chen den Wirkstoff Rivastigmin in- teressant (Abbildung 1): pharma- kologisch, da Rivastigmin auch die zweite Cholinesterase im menschli- chen Körper, die Butyrylcholineste- rase (BChE) hemmt, was einigen Autoren als Ursache für dessen kli- nische Effizienz gilt. Medizinisch- chemisch, da Rivastigmin ein Car- bamat ist, das den Carbamatrest auf die Hydroxygruppe einer Serinami- nosäure im aktiven Zentrum der Cholinesterasen kovalent über- trägt. Die Substanz wirkt deshalb über diese Hemmung sehr lange (genau genommen ist die Hem- mung pseudo-irreversibel, da sich das Carbamat durch Hydrolyse langsam wieder vom Enzym löst). 4) Tacrin wurde, obwohl es beide Cholinesterasen wirksam hemmt, in vielen Ländern vom Markt ge- nommen, weil es hepatotoxisch ist; es schädigt dosisabhängig die Leber – ein Problem, das leider auch bei vielen anderen unentbehrlichen Arzneistoffen auftritt, etwa dem Tuberkulosemittel Isoniazid oder bei Methotrexat, das in der Chemo- therapie bei Krebs und bei rheuma- tischen Erkrankungen eingesetzt wird. 5) Michael Decker, Sarah Wehle Bislang lässt sich die Alzheimer-Demenz nur symptomatisch und das auch mehr schlecht als recht behandeln. Einem neuen Ansatz gegen komplexe Erkrankungen folgen Hybridmoleküle: Sie verbinden in einer Struktur unterschiedliche Wirkstoffmoleküle und adressieren so gleichzeitig verschiedene biologische Prozesse. Alzheimer mit Hybridmolekülen in die Zange nehmen BMedizinische ChemieV O N N O H Rivastigmin N NH 2 Tacrin Abb. 1. Arzneistoffe mit Acetylcholinesterase-inhibierender Wirkung: der Heterocyclus Tacrin und das Phenylcarbamat Rivastigmin. VV Da Alzheimer-Demenz eine multifaktorielle Er- krankung ist, liegt die Idee nahe, auf chemische Weise verschiedene Wirkstoffmoleküle mitei- nander zu kombinieren. Ein solches Hybridmole- kül wirkt synergistisch auf mehrere biologische Prozesse. VV Beim Design und bei der Entwicklung von Hybridmolekülen lassen sich die strukturellen Veränderungen im Molekül nutzen, um Aktivitä- ten und Selektivitäten zu verbessern. S QUERGELESEN 871 Nachrichten aus der Chemie| 61 | September 2013 | www.gdch.de/nachrichten X

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Page 1: Alzheimer mit Hybridmolekülen in die Zange nehmen

S Mit nur wenigen Ausnahmen erkranken Menschen erst ab etwa 65 Jahren an Alzheimer-Demenz, unter den 85-Jährigen leidet aber bereits jeder vierte daran. 1,3 Mil-lionen Kranke gibt es in Deutsch-land.1) Diese Entwicklung führte in den vergangenen Jahren zu enor-men Forschungsanstrengungen und zu vielen neuen Erkenntnissen über die biochemischen Prozesse, die der Krankheit zugrunde lie-gen.2)

Diesen Erkenntnissen steht aller-dings ein eklatanter Mangel an pharmakotherapeutischen Optio-nen gegenüber. Diese beschränken sich auf einige Hemmstoffe des En-zyms Acetylcholinesterase (AChE) sowie auf das Amantadinderivat Memantin, einen Antagonisten des NMDA-Rezeptors, die bei Patien-ten die Kognitionsleistung in gerin-gem Umfang verbessern können. Der AChE-Inhibitor Tacrin (Abbil-dung 1), der erste zugelassene Wirkstoff bei Alzheimer-Demenz, verbessert die Kognitionsleistung der Patienten ebenfalls signifikant, aber er wirkt ausschließlich symp-tomatisch und nur zu Beginn der Erkrankung.3) AChE-Inhibitoren blockieren den Abbau des Neuro-transmitters Acetylcholin (ACh) und erhöhen so dessen Konzentra-tion bei der Übertragung von Im-pulsen zwischen Nervenzellen. Es

ist lange bekannt, dass gerade die cholinergen Neuronen, also solche Nervenzellen, die ACh als Trans-mitter nutzen, bei der Alzheimer-Demenz zugrunde gehen. Bei die-sen Nervenzellen scheint insbeson-dere der muscarinische Acetylcho-linrezeptor vom Typ 1 oder kurz M1-Rezeptor eine herausgehobene Stelle für die Kognitions- und Ge-dächtnisleistung einzunehmen. AChE-Inhibitoren verstärken so in-direkt die cholinerge Transmission und stabilisieren dadurch die Ge-dächtnisleistung.

Sowohl sein medizinisch-chemi-scher Wirkmechanismus als auch sein pharmakologisches Profil ma-chen den Wirkstoff Rivastigmin in-teressant (Abbildung 1): pharma-kologisch, da Rivastigmin auch die zweite Cholinesterase im menschli-chen Körper, die Butyrylcholineste-rase (BChE) hemmt, was einigen Autoren als Ursache für dessen kli-nische Effizienz gilt. Medizinisch-chemisch, da Rivastigmin ein Car-bamat ist, das den Carb amat rest auf die Hydroxygruppe einer Serinami-nosäure im aktiven Zentrum der Cholinesterasen kovalent über-trägt. Die Substanz wirkt deshalb über diese Hemmung sehr lange (genau genommen ist die Hem-mung pseudo- irreversibel, da sich das Carbamat durch Hydrolyse langsam wieder vom Enzym löst).4)

Tacrin wurde, obwohl es beide Cholinesterasen wirksam hemmt, in vielen Ländern vom Markt ge-nommen, weil es hepatotoxisch ist; es schädigt dosisabhängig die Leber – ein Problem, das leider auch bei vielen anderen unentbehrlichen Arzneistoffen auftritt, etwa dem Tuberkulosemittel Isoniazid oder bei Methotrexat, das in der Chemo-therapie bei Krebs und bei rheuma-tischen Erkrankungen eingesetzt wird.5)

Michael Decker, Sarah Wehle

Bislang lässt sich die Alzheimer-Demenz nur symptomatisch und das auch mehr schlecht als recht

behandeln. Einem neuen Ansatz gegen komplexe Erkrankungen folgen Hybridmoleküle: Sie verbinden

in einer Struktur unterschiedliche Wirkstoffmoleküle und adressieren so gleichzeitig verschiedene

biologische Prozesse.

Alzheimer mit Hybridmolekülen in die Zange nehmen

BMedizinische ChemieV

ON

N

OH

Rivastigmin

N

NH2

Tacrin

Abb. 1. Arzneistoffe mit Acetylcholinesterase-inhibierender Wirkung:

der Heterocyclus Tacrin und das Phenylcarbamat Rivastigmin.

VV Da Alzheimer-Demenz eine multifaktorielle Er-

krankung ist, liegt die Idee nahe, auf chemische

Weise verschiedene Wirkstoffmoleküle mitei-

nander zu kombinieren. Ein solches Hybridmole-

kül wirkt synergistisch auf mehrere biologische

Prozesse.

VV Beim Design und bei der Entwicklung von

Hybridmolekülen lassen sich die strukturellen

Veränderungen im Molekül nutzen, um Aktivitä-

ten und Selektivitäten zu verbessern.

S QUERGELESEN

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Forschung an Hybridmolekülen. Zum einen, da bekannt ist, wie er im aktiven Zentrum (catalytic active site, CAS) bindet, und zum anderen, weil Tacrin ein so starker Inhibitor ist. Als trizyklisches vinyloges Ami-din besitzt er zudem eine höchst einfache Struktur (Abbildung 1).7)

AChE lässt sich nicht nur durch die Blockade der Esterasefunktion in der CAS hemmen. Dies zeigen unter anderem die „Bis-Tacrine“ genannten Hybride des Tacrins mit sich selbst: zwei Tacrinmoleküle, die über einen Alkylenspacer mitei-nander verbunden sind (Abbil-dung 2). Dies wird allerdings nicht als Hybrid, sondern als bivalente Verbindung bezeichnet. Solche Bis-Tacrine binden sehr stark an die AChE; der erste Tacrinteil bindet an der CAS, der zweite an einer Bindungsstelle am Ausgang der Bindetasche (peripheral anionic si-te, PAS), die trotz ihres Namens tat-sächlich eine aromatische Bin-dungsstelle ist.8) Das Besondere da-bei ist, dass AChE die Aggregation von b-Amyloid beschleunigt, also einen Kernprozess bei der Alzhei-mer-Demenz. Dies hängt aber nicht mit ihrer Esterasefunktion zusam-men, sondern wird direkt durch die PAS vermittelt. Folglich können Bis-Tacrine zusätzlich die b-Amy-loid-Aggregation hemmen.9)

Um die Relevanz beider Bin-dungsstellen zu beweisen und um

Hybridmoleküle

S Die Ursache der Alzheimer-De-menz ist schlichtweg unbekannt, und eine Kausaltherapie deshalb nicht möglich.2) Allerdings wurden neben den als Auslösern geltenden b-Amyloid-Plaques und den neuro-fibrillären Bündeln biochemische Prozesse identifiziert, welche die Krankheit (mit-)verursachen oder zumindest ihren Verlauf beschleu-nigen. Dazu gehört oxidativer Stress, also die Bildung reaktiver Sauerstoffspezies (reactive oxygen species, ROS), der zum Untergang

von Neuronen beiträgt. Die Alzhei-mer-Demenz ist also eine multifak-torielle Erkrankung. Damit liegt die Idee nahe, auf chemische Weise verschiedene Wirkstoffmoleküle miteinander zu kombinieren, um so mehrere biologische Effekte sy-nergistisch zu verbinden, und zwar in einem einzigen Molekül. Solche Hybridmoleküle werden auch bei anderen Krankheiten, etwa Krebs oder Malaria, als Wirkstoffe entwi-ckelt.6)

Trotz seiner Hepatotoxizität dient der AChE-Inhibitor Tacrin häufig als Modellsubstanz für die

Abb. 3. AChE-induzierte Ab1–40-Aggregation. Die �-Amyloid-Aggregation wird konzentrationsabhängig von der offenen Struktur (2a) des

photo-schaltbaren Bis-Tacrins inhibiert (durchgezogene Linien). Für die geschlossene Form (2b) liegen die Inhibitionskurven (gestrichelte

Linie) nah der Nulllinie (schwarze durchgezogene Line). Die Dockingpose von (2a) zeigt eine Wasserstoffbrücke des protonierten Tacrins mit

dem Carbonylsauerstoff des His440 im katalytisch aktiven Zentrum (catalytic active site, CAS) sowie eine �-�-Wechselwirkung zwischen

dem zweiten Tacrin und den aromatischen Aminosäureseitenketten von Tyr70 und Trp279 in der peripheral anionic site (PAS). Die PAS-

Inhibierung erklärt die Hemmung der �-Amyloid-Aggregation der entsprechenden Photoform. Pink: CAS (Ser200, His440, Glu327), orange:

Trp84, grün: PAS (Tyr70, Tyr121, Trp279), gelb: Dockingpose der offenen Inhibitorform, grau: Enzymrückgrat in Cartoon-Darstellung.

0 2 4 6-10

-5

0

5

10

0�2 µM 2b

1 µM 2b

5 µM 2b

Blank

0�2 µM 2a

1 µM 2a

5 µM 2a

Zeit (h)

Zune

hmen

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luor

ezen

z (a

.u.)

Abb. 2. Bis-Tacrin (1) aus der für molekulare Dockingstudien verwendeten Kristallstruktur 2CKM (PDB-ID) und ein

photoschaltbares Bis-Tacrin (2).

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Page 3: Alzheimer mit Hybridmolekülen in die Zange nehmen

beide Enzymfunktionen in biologi-schen Testsystemen selektiv inhi-bieren und damit steuern zu kön-nen, haben wir ein chemisches Strukturelement, das als Photo-schalter fungiert, in den Spacer der Bis-Tacrine eingebaut. Dies geschah in Zusammenarbeit mit dem Ar-beitskreis von Burkhard König aus Regensburg. So synthetisierten wir einen potenten Inhibitor der AChE, genauer der CAS der AChE, und charakterisierten ihn biologisch. Unter UV-Licht (k = 312 nm) wan-delt er sich in eine rot gefärbte ringgeschlossene Form um. Der Prozess ist reversibel: Im Licht (k > 420 nm) entsteht wieder die ringoffene Form (Abbildung 2). Beide Photoisomere sind Hemmer der CAS. Mit den richtigen Spacer-längen ist die ringgeschlossene Form ein Hemmer der CAS und da-mit der Esterasefunktion. Dagegen kann sich nur die ringoffene Form so orientieren, dass sie zugleich die PAS und damit die b-Amyloid-Ag-gregation hemmt (Abbildung 3). Diese biologische Funktion der AChE ist so beispielsweise in biolo-gischen Testsystemen mit Licht ein- und ausschaltbar.10)

Wider den oxidativen Stress

S Besondere Bestandteile von Hy-bridmolekülen sind Antioxidan-tien, also Strukturen, die reduzie-rend wirken und/oder ausgeprägte Radikalfänger sind.11) In der Mehr-heit sind solche Antioxidantien na-türlichen Ursprungs, etwa die pflanzliche Phenolcarbonsäure Ferulasäure (Abbildung 4). Da sich in Zellen ständig reaktive Sauerstoff- und Stickstoffspezies (ROS und RNS) bilden, benötigt die Natur entsprechende Antioxidantien, um Schäden zu vermeiden. Gerade bei neurodegenerativen Erkrankungen wie Alzheimer-Demenz spielt oxi-dativer Stress eine entscheidende Rolle, denn es lassen sich erhöh-te Protein- und DNA-Oxidation und Lipid-Peroxidation nachwei-sen. Antioxidantien könnten den Verlauf der Erkrankung brem-sen.12) Auch b-Amyloid ruft in

N

NH

HN

IC50 (AChE) = 4,4 nMfjalfjljafljfsIC50 (BChE) = 6,7 nM

Trolox Äq. = 1,5

O

OH

OCH3OCH3

OH

O

HO

Ferulasäure Tacrin-Ferulasäure-Hybrid (3)

n

n = 4IC50 (AChE) = 38,6 nMnjalfjalfjljafljfsIC50 (BChE) = 34,1 nM

Trolox Äq. = 1,3

n = 1Trolox Äq. = 3,4

Abb. 4. Tacrin und Ferulasäure wurden über eine Alkylenkette zm Tacrin-Ferulasäure-Hybrid (3) verbunden.

Es zeigt sich eine verbesserte ChE-Inhibierung mit längerer Kettenlänge (n = 4 versus n = 1).

(Ein Trolox-Äquivalent entspricht der antioxidativen Wirkung des wasserlöslichen Vitamin-E-Derivats Trolox.)

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***

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(4b): R = OH

N

NR

(5)

N

NO

HN

O

H3C6

IC50 (AChE) = keine InhibitionnjalfjalfjljafljfsIC50 (BChE) = 0,060 µM

Selektivität > 10000

Trolox Äq. = 0,30

(4a): R = H

IC50 (AChE) = 145 µMnjalfjalfjljafljfsIC50 (BChE) = 44 µM

Selektivität = 3,3

Trolox Äq. = 0,92

IC50 (AChE) = 110 µMnjalfjalfjljafljfsIC50 (BChE) = 44 µM

Selektivität = 2,5

Trolox Äq. = 2,87

Abb. 5. Tetrazyklische Chinazolinstrukturen (4a) und (4b) sowie ein hochselektives und -affines Chinazolingrund-

gerüst mit einem Carbamatsubstituenten (5). Neuroprotektive Wirkung der phenolischen Verbindung (4b) und

des Carbamates (5). Bei diesen Versuchen wird in einer hippocampalen Zelllinie durch Glutamat ROS-Bildung und

damit letztlich Zelltod ausgelöst. Der Naturstoff Quercetin stellt die Positivkontrolle als Antioxidans dar.

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0

20

40

60

80

100

Glutamat 5 mM - + + + + + + + + + + Quercetin 25 l M - - + - - - - - - - - Co-drug (in l M) - - - 1 10 25 50 - - - - Tacrin/Silibinin (in lM) - - - - - - - 1 10 25 50

* * *

***

Viab

ilität

[% d

er K

ontr

olle

]

Neuronen oxidativen Stress hervor und gleichzeitig fördern ROS die b-Amyloid-Bildung – so entsteht ein Teufelskreis.

Es ist also wünschenswert, bei-spielsweise an AChE-Inhibitoren Strukturen zu binden, die neuro-protektiv sind oder solche Pharma-kophore, also neuroprotektive Strukturelemente, in die chemi-schen Strukturen von AChE-Inhi-bitoren einzubauen. In zwei Bei-spielen gelang dies auf unter-schiedliche chemische Art und Weise:

Im ersten Beispiel wurde wieder-um Tacrin verwendet, diesmal ver-bunden mit Ferulasäure. Dabei war die Cholinesterase-Hemmung mit antioxidativer Kapazität kombiniert (Abbildung 4, S. 873). Das Besonde-re an diesem Tacrin-Ferulasäure-Hybrid ist, dass es nicht nur die Summe der biologischen Aktivitä-ten beider Bestandteile darstellt, sondern mehr kann: Es inter agiert zusätzlich mit der PAS und hat da-mit das Potenzial, auch die b-Amy-loid-Aggregation zu hemmen.13) En-zymkinetische Messungen bestätig-ten diese Interaktion. Es ist dadurch möglich, dass der Tacrinteil des Mo-leküls mit der CAS und der aromati-sche Rest des Ferulasäureteils mit der PAS inter agiert.

Im zweiten Beispiel wurde ein ähnliches Ziel mit einer anderen chemischen Struktur erreicht. Zu-dem sollte auch die Butyrylcholi-nesterase (BChE) inhibiert werden, ohne AChE zu hemmen. Solch ein BChE-selektiver Inhibitor hilft, mehr über die Rolle der BChE im Körper, insbesondere bei der Alz-heimer-Demenz zu erfahren. BChE wird nämlich im Gegensatz zur AChE nicht vermindert gebildet, wenn bei Alzheimer-Demenz choli-nerge Neurone zugrunde gehen. Die BChE-Inhibierung kompen-siert dann den Effekt der nun nicht mehr möglichen AChE-Inhibie-rung und bewirkt damit eine Ko-gnitionsverbesserung.14)

Wie erwähnt greift der Arznei-stoff Rivastigmin (Abbildung 1, S. 871) auch an der BChE an. In vor-hergehenden Arbeiten waren, aus-

Silibinin (hepatoprotektiv und antioxidativ)

O

OOH

OH

HOO

O

O

OH

OH

IC50 (AChE)= 53,9 nMnjalfjalfjljafljfsIC50 (BChE)= 49,7 nM

(6)Silibinin-Tacrin-Codrug

O

OOH

OH

HOO

O

O

OH

O

O HN

O

HN

N6

- Erhöht Viabilität einer neuronalen Zelllinie- keine Hepatotoxizität in vivo- verbessert Kognitionsdefizite der Ratte wie Tacrin- zeigt ausgeprägtere Wirkung als die Mischung Tacrin/Silibinin

Abb. 6. Ein Co-Drug aus Tacrin und dem leberschützenden Naturstoff Silibinin zeigt Neuroprotektion und die

gleichen prokognitiven Effekte wie Tacrin in vivo – ohne dessen Hepatotoxizität in vitro und in vivo aufzuweisen.

Zusätzlich zeigt die Abbildung den neuroprotektiven Effekt des Co-Drugs, der bei einer bloßen Mischung der

Komponenten nicht zu beobachten ist.

S Alzheimer-Demenz

Was wir heute als Alzheimer-

Demenz bezeichnen, beschrieb

klinisch schon vor über 100 Jah-

ren der Psychiater Alois Alzhei-

mer in Frankfurt. Er erfasste die

verheerenden Kognitions- und

Gedächtniseinbußen der Patien-

ten, in seinem Fall bei Auguste

Deter. Bei Alzheimer-Demenz

sind diese Prozesse so drama-

tisch, dass Patienten in späten

Erkrankungs stadien oft den Weg

in die eigene Wohnung nicht

mehr finden oder die eigenen

Kinder nicht mehr erkennen. Be-

merkenswerterweise erkannte

bereits Alzheimer die patho -

physiologischen Veränderungen

im Gehirn, die bis heute als Kern-

prozesse gelten: die Ab lagerung

eines neurotoxischen Proteins,

des b-Amyloids, im Gehirn in

Plaques und die Bildung von Neu-

rofibrillen in Nervenzellen.

874 BMagazinV Medizinische Chemie

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Page 5: Alzheimer mit Hybridmolekülen in die Zange nehmen

gehend von Alkaloiden, neue tri- und tetracyclische Verbindungen synthetisiert worden, die eine mo-derate Hemmung der BChE mit ei-ner gewissen Selektivität verban-den (Abbildung 5, S. 873). Ihre chemische Struktur ließ zudem neuroprotektive Eigenschaften er-warten (verbunden mit der Bildung eines Chinonimins) – also neuro-protektive Elemente innerhalb der enzymhemmenden Struktur. Aus dieser heterocyclischen Verbindung wurden über die phenolische OH-Gruppe wie im Rivastigmin ver-schiedene Carbamate synthetisiert. Unter der Vielzahl von Verbindun-gen mit unterschiedlichen Carba-matstrukturen, verschiedenen Ring-größen und sowohl Tri- als auch Tetra cyclen fanden wir Strukturen, die BChE hochaffin hemmen, AChE aber nicht.15) Zudem schützen diese Substanzen eine neuronale Zelllinie vor durch intrazelluläre ROS-Bil-dung ausgelöstem Zelltod (Abbil-dung 5, S. 873).

Hier zeigt sich eine weitere Opti-on beim Design und der Entwick-lung von Hybridmolekülen: Die strukturellen Veränderungen im Molekül lassen sich nutzen, um Aktivitäten und Selektivitäten zu verbessern. Allerdings müssen hierzu die chemischen Strukturele-mente, die Pharmakophore, be-kannt sein, die für die biologische Wirkung verantwortlich sind, und es ist wichtig zu verstehen, wie man die Parameter verändern kann, um gewünschte biologische und pharmakologische Profile zu erhalten. Hierzu ist die Synthese von vielen Verbindungen notwen-dig. Auch Kenntnisse über die 3D-Strukturen der biologischen Targets helfen. Dies zeigen die pho-toschaltbaren Bis-Tacrine, bei de-nen molekulares Docking Hinwei-se auf die molekulare Interaktion gab (Abbildung 3, S. 872).

Tacrin als Co-Drug

S Um die Hepatotoxizität des Ta-crins zu verringern, verknüpften wir es mit dem Naturstoff Silibinin (Abbildung 6). Dieses Flavolignan

ist einer der Hauptbestandteile des Silymarins, des Extrakts der Mari-endistel Silybum marianum. Es wirkt gegen verschiedene Leberer-krankungen.16) Aufgrund der ho-hen Molmasse und damit zu erwar-tender geringer Bioverfügbarkeit wurde Tacrin hier nicht stabil an Silibinin gebunden, sondern als Co-Drug, das erst in der Leber in wirksame Bestandteile gespalten wird (Abbildung 6). Labyrinthver-suche mit Ratten zeigten, dass das Co-Drug genauso prokognitiv wirkt wie Tacrin. Bei der Untersu-chung der Hepatotoxizität ist nicht nur der Vergleich zum Tacrin allein interessant, sondern auch der zur gleichzeitigen Gabe von Tacrin und Silibinin. Schon die Tacrin-Silibi-nin-Mischung war weniger hepato-toxisch als Tacrin, das Co-Drug war noch wesentlich ungiftiger, und in vivo war mit dem Co-Drug bei therapeutischer Dosierung gar keine Hepatotoxizität zu beobach-ten. Zudem zeigt das Co-Drug ei-nen neuroprotektiven Effekt, der beim chemisch unveränderten Sili-binin nicht auftritt.17) Worin die Ursache dieser überadditiven Ef-fekte liegt, ist nicht leicht zu beant-worten, aber es gibt Hinweise, dass die bei der Spaltung in vivo gebil-deten Molekülbestandteile die Ef-fektunterschiede hervorrufen.18)

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18) K. Zenger, X. Chen, M. Decker, B. Kraus,

J. Pharm. Pharmacol. 2013, im Druck.

Michael Decker, Jahrgang

1973, ist seit dem Jahr 2012

Professor für pharmazeuti-

sche und medizinische Che-

mie an der Universität

Würzburg. Zuvor war er –

nach Studium und Promotion in Cambridge

und Bonn und Habilitation in Jena – als Wis-

senschaftler und Dozent an der Harvard Medi-

cal School, der School of Pharmacy der Queen’s

University in Belfast und zuletzt am Institut für

Pharmazie der Universität Regensburg tätig.

[email protected]

Sarah Wehle, Jahrgang 1986,

ist seit Juli 2012 Doktoran-

din im Arbeitskreis Decker.

Davor studierte sie von 2006

bis 2011 in Basel Chemie

und forschte für ihre Mas-

terarbeit in der Organometallkatalyse der Ar-

beitsgruppe von Andreas Pfaltz. Ein Synthese-

praktikum bei Roche in Basel brachte sie zur

medizinischen Chemie und somit zum For-

schungsgebiet ihrer Promotion.

875Medizinische Chemie BMagazinV

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