Andreas Gläser - Pauschal ins Paradies

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COLLECT MIT AUDIO-CD ~ Jakob Hein ~ Ian Beer ~ Jan Oå ~ Ahne ~ Friederike von Königswald ~ Volker Strübing ~ Jochen Schmidt ~ Spider ~ Konrad Endler ~ Anne Hahn ~ Rigoleõi ~ Willi Wucher ~ Yaneq ~ Ice ~ u.a. ~ Andreas Gläser (Hg.)

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Hier gibt es eine kleine Leseprobe von "Pauschal ins Paradies"!

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COLLECTMIT AUDIO-CD

~ Jakob Hein ~ Ian Beer ~ Jan Oå

~ Ahne ~ Friederike von Königswald ~ Volker Strübing ~ Jochen Schmidt ~ Spider ~ Konrad Endler ~ Anne Hahn ~ Rigoleõi ~ Willi Wucher ~ Yaneq ~ Ice ~ u.a.

~ Andreas Gläser (Hg.)

Zum Hören

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Glä

ser

(Hg.)

Tracklist

ISBN-13 978-3-938424-20-9 € 14,80 (D)

live im Baiz:

Ahne Ich hab die Welt gesehen +

Frank Willmann Zarte Angriffstechniken +

Jochen Schmidt Salz auf unseren HodenUli Hannemann Malle und AbwinkenSpider Wie heißt das Zauberwort +

Konrad Endler Am Strand der Tränen +

Anne Hahn Nudelsuppe +

Andreas Gläser Geboren in Karl-Marx- Stadt, geflohen aus Chemnitz +

Frank Willmann Eine Nadelarbeit gefunden am Ankerplatz +

Friederike von Koenigswald Damen und Herren auf See +

Spider Pheromone +

Andreas Gläser & Konrad Endler Aeroflotpilot +

Bonustracks:

Robert Weber Vom Vergessen der WeltJan Off D.O.R.F. (Daseinsformen ohne rechte Funktion) +

+ zusätzlich auf CD

Gesamtspielzeit: ca. 65 min

www.voland-quist.de

~ Ahne »Ich hab die Welt gesehen«~ Jochen Schmidt »Salz auf unseren Hoden«~ Uli Hannemann »Malle und Abwinken«~ Spider »Wie heißt das Zauberwort«~ Friederike von Koenigswald »Damen und Herren auf See~ Jan Off »D.O.R.F« (Daseinsformen ohne rechte Funktion) ~ u.a.

Jakob Hein lästert über die Passagiere, mit denen er nach Mallorca fliegen wird, Matthias Klaß stressen im Ferienlager die Hormone, Ice sieht sich während einer Safari dem Überlebenskampf ausgeliefert, Marion Pfaus muss sich in Spanien von ih-rem Kind beschimpfen lassen, Ahne ist auf den Spuren bayrischer Mythen, Andreas Glä-ser droht vor Malta mit seinem Schiffchen zu kentern, Willi Wucher zeigt der Unter-schicht den Weg nach Sylt …

Das sommerliche Reisen in die Urlauber-hochburgen verlangt nach einer schrägen und wahren literarischen Aufarbeitung! In diesem Buch leisten Schriftsteller und Musiker ihre Beiträge für den Weltfrieden:

Auf der beiliegenden CD tragen einige der Autoren passende Geschichten, Lieder und Gedichte vor.

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IINN

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AANN

DDVV

OOLL

LL DD

OOLL

LLAA

RR

gabr

iele

dam

tew W ir stiegen kurz vor dem Kontrollpunkt an der

Brücke aus. Die Wagentür des rabenschwarzen 53erCadillac ploppte sanft zu. Auf der anderen Seite würden sie auf unswarten. Sagten sie.Wir waren nun auf uns allein gestellt. Die Mit-tagssonne knallte auf unsere Köpfe und ließ keinen Gedankenmehr zu, nur noch Verlustängste. Würde man sie beim Schwarz-taxifahren mit uns erwischen, wäre ihre Karre hin. Beschlagnahmt.Weg. Für immer oder ewig.Wir gingen an den ersten Posten vor-bei, die das schöne Varadero vor dem Rest der Kubaner beschütz-ten.Würden wir je Havanna erreichen?

Es war Mitte der Neunziger. Castro hatte gerade alle Huren Havannasverhaften lassen und die USA sagten ihm das nahende Ende seinesKubas voraus. Das kurbelte die kubanische Tourismusindustrie noch-mal so richtig an. Auch mein Freund kam nicht an einem Reise-büro vorbei, das auf kurzentschlossene Kunden aus war.Als er wie-der rauskam, war klar: Wir würden das sozialistische Inselparadiesbetreten, ehe dort schmierige Festlandamerikaner und schießwütigeExilkubaner wieder das Sagen hätten. Noch fideler stimmte uns derPreis von einem Tausender Deutschmark pro Person inklusive Flugund Hütte am Strand. Billig und romantisch. Fische fangen und dasKreuz des Südens suchen bis der Havana Club, 7 años, uns erst er-schöpfen und dann wieder zur Besinnung bringen würde.

Nachts am Flughafen von Havanna blinkten keine Sterne.Wirstanden in der riesigen Waschküche wie bestellt und nicht abgeholt.Eigentlich nicht mal bestellt. Unsere Hütte gab es seit dem letztenHurrican nicht mehr. Der lag ein dreiviertel Jahr zurück. PrimaReisebüro. Jetzt hielt uns der realexistierende Tourismus in seinenKlauen. Wir stiegen also erstmal in den Abholerbus zu den Passa-gieren, die wir schon nach einer von zehn Stunden Flug hassen ge-lernt hatten.Weitere drei Stunden Fahrt zur Halbinsel Varadero la-gen vor uns. Nach und nach stiegen die All-Inclusives im Fünfmi-nutentakt entlang der Hotelketten aus. Für die emsigen Reiseleiterwaren wir Luft, wenigstens taugten unsere Billig-Voucher noch als

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Brücke aus. Die Wagentür des rabenschwarzen 53erCadillac ploppte sanft zu. Auf der anderen Seite würden sie auf unswarten. Sagten sie.Wir waren nun auf uns allein gestellt. Die Mit-tagssonne knallte auf unsere Köpfe und ließ keinen Gedankenmehr zu, nur noch Verlustängste. Würde man sie beim Schwarz-taxifahren mit uns erwischen, wäre ihre Karre hin. Beschlagnahmt.Weg. Für immer oder ewig.Wir gingen an den ersten Posten vor-bei, die das schöne Varadero vor dem Rest der Kubaner beschütz-ten.Würden wir je Havanna erreichen?

Es war Mitte der Neunziger. Castro hatte gerade alle Huren Havannasverhaften lassen und die USA sagten ihm das nahende Ende seinesKubas voraus. Das kurbelte die kubanische Tourismusindustrie noch-mal so richtig an. Auch mein Freund kam nicht an einem Reise-büro vorbei, das auf kurzentschlossene Kunden aus war.Als er wie-der rauskam, war klar: Wir würden das sozialistische Inselparadiesbetreten, ehe dort schmierige Festlandamerikaner und schießwütigeExilkubaner wieder das Sagen hätten. Noch fideler stimmte uns derPreis von einem Tausender Deutschmark pro Person inklusive Flugund Hütte am Strand. Billig und romantisch. Fische fangen und dasKreuz des Südens suchen bis der Havana Club, 7 años, uns erst er-schöpfen und dann wieder zur Besinnung bringen würde.

Nachts am Flughafen von Havanna blinkten keine Sterne.Wirstanden in der riesigen Waschküche wie bestellt und nicht abgeholt.Eigentlich nicht mal bestellt. Unsere Hütte gab es seit dem letztenHurrican nicht mehr. Der lag ein dreiviertel Jahr zurück. PrimaReisebüro. Jetzt hielt uns der realexistierende Tourismus in seinenKlauen. Wir stiegen also erstmal in den Abholerbus zu den Passa-gieren, die wir schon nach einer von zehn Stunden Flug hassen ge-lernt hatten.Weitere drei Stunden Fahrt zur Halbinsel Varadero la-gen vor uns. Nach und nach stiegen die All-Inclusives im Fünfmi-nutentakt entlang der Hotelketten aus. Für die emsigen Reiseleiterwaren wir Luft, wenigstens taugten unsere Billig-Voucher noch als

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Fächer. Allein mit dem Fahrer und dem Abschnittsbevollmächtigtenfür ungelöste Touristenfälle blieben wir zurück. Plötzlich ging einsolidarischer Ruck durch den Mann und den Bus und wir hieltenin völliger Dunkelheit vor einem Flachbau. Es war entschieden. DasHotel für kubanische Bestarbeiter sollte in den nächsten zweiWochen unsere bescheidene Herberge sein, Mahlzeiten exclusive.

Wir atmeten erleichtert auf.

Am anderen Ende der Brücke ließen uns die Compañeros von derMiliz passieren. Mit festem Gleichschritt und einem freundlichenGruß auf den luftfeuchten Lippen hatten wir uns an ihnen vorbei-gestohlen. So leicht war es, dem Paradies zu entkommen. Ich ließmeinem Schweiß freien Lauf, der aus ärmellosen Achseln endlichauf Arbeiter- und Bauernboden tropfte. Das Abenteuer konnte be-ginnen. Zweitausend Schritte weiter wartete der Schwarm eines je-den Autoliebhabers, zumindest äußerlich betrachtet, auf uns. Wirwürden von nun an die Küstenstraße meiden und über die Dörferim Inneren nach Havanna vordringen, wenn wir erst mal Benzinhätten. Aha. An einem Flughafen für Kleinflugzeuge machte derFahrer mit dem angeborenen Organisationstalent nach einer weite-ren Stunde den Deal perfekt. Der kostbare Stoff rann per Kanisterin den Tank und wir tuckerten fröhlich durch die knallgrüneTropik. Ab und zu vernahm ich trotz des Motorengeräusches dasleise Knistern der Dollarnoten in meinem BH.

Es war schon unsere zweite Fahrt nach Havanna. Die erste war vonder allgegenwärtigen staatlichen Cubatur organisiert worden. Ob-wohl als einzige Ausländer im Hotel schwer zu übersehen, glaubtenwir uns doch zuweilen vergessen. Ein Trugschluss. Drei Stundenhin, drei zurück, drei in der Stadt, eine davon zur freien Verfügung.Trotz dieser Ansage waren wir sofort nach der Stadtrundfahrt aus-gestiegen, unter den kritischen Blicken der Genossin Reiseleiterinund ihrer Mahnung, die Abfahrt nicht zu verpassen. Endlich frei.

Entspannt bewunderten wir die zerbröckelnden Kolonialstilbal-kone, als mir mein seidenes Schultertuch aus der Hand gerissenwurde. Wir rannten wie die Verrückten hinter dem kleinen Fahr-raddieb her, immer tiefer hinein in die Vieja, die Altstadt.Wir gabennicht auf, ohne die zunehmende Jugendkriminalität in den Groß-städten zu beklagen. Nach einer weiteren Stunde Spazierens in pral-ler Sonne hatte ich endlich den dazugehörigen Sonnenbrand aufden Schultern und Schwindelgefühle entwickelt. Da zog mich je-mand plötzlich in einen Innenhof. Kaum wieder bei Sinnen, wurdeich gezwungen, Unmengen klaren Wassers zu schlucken. Um michnur schreiend bunte Schürzen, die an runden Leibern klebten. Ichreagierte instinktiv und warf ihnen sofort einige Stücke Lux-Seifein den Schoß, die ich für Notfälle immer bei mir trug. Im Austauschdafür wurde ich so lange und herzlich an solide Busen gedrückt, bismir wieder die Luft wegblieb. Nach Atem ringend, schaute ich genHimmel. An einer Leine flatterte mein frisch gestohlenes blaues Tuchfrisch gewaschen vor sich hin. Fröhlich sein und singen … MeinFreund hielt dagegen einen geordneten Rückzug für klüger, undwir gerieten schnell wieder in den Sog unserer Busgruppe, die sichschicksalsergeben von Bar zu Bar hangelte. Schon war der Plan in unsgereift, in diese Stadt zurückzukommen, dann aber auf eigene Faust.

Gegen Mittag erreichten wir im immer klappriger klingendenCadillac doch noch die City und wurden auf dem Platz am Capitolausgesetzt. In zwei Tagen sollte uns der Fahrer hier wieder treffen.Uns blieb nur diese Hoffnung. Zugfahrscheine gab es nur bei Vor-anmeldung und die überfüllten Bushaltestellen waren nicht zu über-sehen. In den zyklisch und unzyklisch auftretenden Spezialperiodengab es kaum Sprit. Zwar sprudelten überall am Wegesrand kleineÖlquellen, das Petroleum war aber so minderwertig, dass nicht ein-mal die Yankees Grund zur Invasion sahen. Da standen wir nun rummit unserem Spanisch, das so mies war wie das Englisch der Bauern-fänger am Platze. Margarita kam uns als persönliche Reiseleiterinwie gerufen. Außer kubanischem Hochschulenglisch hatte sie klare

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Fächer. Allein mit dem Fahrer und dem Abschnittsbevollmächtigtenfür ungelöste Touristenfälle blieben wir zurück. Plötzlich ging einsolidarischer Ruck durch den Mann und den Bus und wir hieltenin völliger Dunkelheit vor einem Flachbau. Es war entschieden. DasHotel für kubanische Bestarbeiter sollte in den nächsten zweiWochen unsere bescheidene Herberge sein, Mahlzeiten exclusive.

Wir atmeten erleichtert auf.

Am anderen Ende der Brücke ließen uns die Compañeros von derMiliz passieren. Mit festem Gleichschritt und einem freundlichenGruß auf den luftfeuchten Lippen hatten wir uns an ihnen vorbei-gestohlen. So leicht war es, dem Paradies zu entkommen. Ich ließmeinem Schweiß freien Lauf, der aus ärmellosen Achseln endlichauf Arbeiter- und Bauernboden tropfte. Das Abenteuer konnte be-ginnen. Zweitausend Schritte weiter wartete der Schwarm eines je-den Autoliebhabers, zumindest äußerlich betrachtet, auf uns. Wirwürden von nun an die Küstenstraße meiden und über die Dörferim Inneren nach Havanna vordringen, wenn wir erst mal Benzinhätten. Aha. An einem Flughafen für Kleinflugzeuge machte derFahrer mit dem angeborenen Organisationstalent nach einer weite-ren Stunde den Deal perfekt. Der kostbare Stoff rann per Kanisterin den Tank und wir tuckerten fröhlich durch die knallgrüneTropik. Ab und zu vernahm ich trotz des Motorengeräusches dasleise Knistern der Dollarnoten in meinem BH.

Es war schon unsere zweite Fahrt nach Havanna. Die erste war vonder allgegenwärtigen staatlichen Cubatur organisiert worden. Ob-wohl als einzige Ausländer im Hotel schwer zu übersehen, glaubtenwir uns doch zuweilen vergessen. Ein Trugschluss. Drei Stundenhin, drei zurück, drei in der Stadt, eine davon zur freien Verfügung.Trotz dieser Ansage waren wir sofort nach der Stadtrundfahrt aus-gestiegen, unter den kritischen Blicken der Genossin Reiseleiterinund ihrer Mahnung, die Abfahrt nicht zu verpassen. Endlich frei.

Entspannt bewunderten wir die zerbröckelnden Kolonialstilbal-kone, als mir mein seidenes Schultertuch aus der Hand gerissenwurde. Wir rannten wie die Verrückten hinter dem kleinen Fahr-raddieb her, immer tiefer hinein in die Vieja, die Altstadt.Wir gabennicht auf, ohne die zunehmende Jugendkriminalität in den Groß-städten zu beklagen. Nach einer weiteren Stunde Spazierens in pral-ler Sonne hatte ich endlich den dazugehörigen Sonnenbrand aufden Schultern und Schwindelgefühle entwickelt. Da zog mich je-mand plötzlich in einen Innenhof. Kaum wieder bei Sinnen, wurdeich gezwungen, Unmengen klaren Wassers zu schlucken. Um michnur schreiend bunte Schürzen, die an runden Leibern klebten. Ichreagierte instinktiv und warf ihnen sofort einige Stücke Lux-Seifein den Schoß, die ich für Notfälle immer bei mir trug. Im Austauschdafür wurde ich so lange und herzlich an solide Busen gedrückt, bismir wieder die Luft wegblieb. Nach Atem ringend, schaute ich genHimmel. An einer Leine flatterte mein frisch gestohlenes blaues Tuchfrisch gewaschen vor sich hin. Fröhlich sein und singen … MeinFreund hielt dagegen einen geordneten Rückzug für klüger, undwir gerieten schnell wieder in den Sog unserer Busgruppe, die sichschicksalsergeben von Bar zu Bar hangelte. Schon war der Plan in unsgereift, in diese Stadt zurückzukommen, dann aber auf eigene Faust.

Gegen Mittag erreichten wir im immer klappriger klingendenCadillac doch noch die City und wurden auf dem Platz am Capitolausgesetzt. In zwei Tagen sollte uns der Fahrer hier wieder treffen.Uns blieb nur diese Hoffnung. Zugfahrscheine gab es nur bei Vor-anmeldung und die überfüllten Bushaltestellen waren nicht zu über-sehen. In den zyklisch und unzyklisch auftretenden Spezialperiodengab es kaum Sprit. Zwar sprudelten überall am Wegesrand kleineÖlquellen, das Petroleum war aber so minderwertig, dass nicht ein-mal die Yankees Grund zur Invasion sahen. Da standen wir nun rummit unserem Spanisch, das so mies war wie das Englisch der Bauern-fänger am Platze. Margarita kam uns als persönliche Reiseleiterinwie gerufen. Außer kubanischem Hochschulenglisch hatte sie klare

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WWEE

GG NN

AACC

HH II

RRGG

EENN

DDWW

OO

jakob

hein

047

D as Schlimmste an Mallorca war ja wohl eindeutig,dass es ein Urlaubsort war, den ich geheim halten

musste. „Wir fahren in den Urlaub“, sagte ich und versuchte dabeiso optimistisch zu gucken, dass die Leute vollkommen vom Opti-mismus in meinem Blick abgelenkt wurden. Danach sollten sie rhe-torisch fragen: „Da freust du dich bestimmt schon sehr?“ und ichwollte antworten „Yippie!“. Aber leider funktionierten die Leutenicht so, wie ich das wollte. Zwar imitierten die Leute mein freudi-ges Gesicht und schauten mich ganz begeistert an. Aber die ersteFrage hieß ausnahmslos: „Und, wo fahrt ihr hin?“ Jetzt war derSpaß vorbei. Ich konnte entweder tapfer oder trotzig gucken, oderweiterhin optimistisch – nun allerdings der Optimismus des schwerKranken, der sich trotzdem über sein Leben freuen möchte. Ichversuchte auch gar nicht erst, „Auf die Balearen“ zu antworten.Das letzte Mal, dass jemand, der auch nicht zugeben wollte, dass ernach Mallorca fährt, mit „Balearen“ durchkam, war bestimmt auchschon zwanzig Jahre her. Ich sagte gleich: „Mallorca“. Später sogar„Malle“, um damit auf ironische Weise meine Distanz zu allenMallorca-Touristen zum Ausdruck zu bringen, die ohne Sinn undVerstand über diese herrliche Kulturinsel trampelten und von de-nen ich mich stark unterschied.

Von dieser Antwort an wurde das eben noch harmlose Urlaubs-geplänkel ernst. Die Reaktion auf „Mallorca“ ähnelte tatsächlich invieler Hinsicht der Bekanntgabe, eine seltene, schwere Krankheit zuhaben. Ein erschrockenes „Oh!“, war die häufigste Reaktion undich hatte das Gefühl, die meisten hatten einige Mühe, ein nachfol-gendes: „Ihr werdet das schon schaffen!“ zu unterdrücken. Der gren-zenlose Urlaubsoptimismus war so weit weg wie ein Clown auf ei-ner Beerdigungsfeier.Viele versuchten dann, mir Mut und Trost zu-zusprechen: „Ich hab gehört, da soll es ein paar ganz schöne Eckengeben.“ klang so wie: „Ich hab gehört, er soll ein sehr guter Opera-teur sein.“ „Freunde von mir waren dort und denen hat es sehr gutgefallen.“ erinnerte stark an: „Man kann auch ohne Alkohol lustigsein.“ oder „Wir können doch weiter Freunde bleiben.“ Einer, der

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Von dieser Antwort an wurde das eben noch harmlose Urlaubs-geplänkel ernst. Die Reaktion auf „Mallorca“ ähnelte tatsächlich invieler Hinsicht der Bekanntgabe, eine seltene, schwere Krankheit zuhaben. Ein erschrockenes „Oh!“, war die häufigste Reaktion undich hatte das Gefühl, die meisten hatten einige Mühe, ein nachfol-gendes: „Ihr werdet das schon schaffen!“ zu unterdrücken. Der gren-zenlose Urlaubsoptimismus war so weit weg wie ein Clown auf ei-ner Beerdigungsfeier.Viele versuchten dann, mir Mut und Trost zu-zusprechen: „Ich hab gehört, da soll es ein paar ganz schöne Eckengeben.“ klang so wie: „Ich hab gehört, er soll ein sehr guter Opera-teur sein.“ „Freunde von mir waren dort und denen hat es sehr gutgefallen.“ erinnerte stark an: „Man kann auch ohne Alkohol lustigsein.“ oder „Wir können doch weiter Freunde bleiben.“ Einer, der

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sich etwas besser auskannte, sagte: „Erträglich ist es eigentlich nur imNorden. In welchen Ort genau fahrt ihr?“ Ich blickte ihn mit derVerständnislosigkeit eines Schafes an und antwortete dann: „Yippie!“

Wir hatten Urlaub, wir wollten weg, wir wollten dem kalten Ei-sengriff des Spätherbstes trotz aller Vorliebe für kalte, dunkle Niesel-tage etwas entkommen und wir wollten nicht so lang unterwegs sein.Wenn ich das dem Internet mitteilte, schlug es mir Mallorca oderLänder vor, in denen täglich ein Bombenanschlag verübt wurde. Daich dem Begriff „last minute“ keine neue, persönliche Bedeutunggeben wollte, wurde es Mallorca. Ich dachte so: Die ganzen stinkrei-chen Prominenten, die die ganze Welt gesehen haben und sich dortein Haus bauen, die vielen Millionen Touristen, die werden dochnicht alle bescheuert sein. Wobei ich mich natürlich auch wiederfragte, seit wann ich Claudia Schiffer und Jürgen Drews als intellek-tuelle Führungspersönlichkeiten betrachtete. Und ich dachte, dassdie ganzen Verrückten im November schon weg sind. Die ganzenSangria-mit-Strohhalm-trinken-Ballermann-Gröl-Fick-Verrücktenschon weg sind.

Ein Blick in die Wartehalle des Flughafens ließ hoffen, es warangenehm leer. Auch die Stewardess sagte, es sei sehr viel Platz imFlugzeug, weil nur fünfzig Leute fliegen würden. Leider sagte dieStewardess danach noch mehr und zwar über die Mikrofonanlage.Sie sagte nämlich, das Flugzeug habe ein Leck in der Hydrauliklei-tung und deswegen würde sich der Abflug etwas verzögern. Dannsagte sie, das Flugzeug habe ein großes Leck in der Hydrauliklei-tung und deshalb würden wir mit einem anderen Flugzeug fliegen.Dann sagte sie, das andere Flugzeug sei leider verspätet aus Stuttgartabgeflogen. Und als wir eigentlich schon eine Stunde in Mallorcawaren, sagte sie, wir könnten jetzt in das Flugzeug einsteigen.

Wir machten uns Vorwürfe, weil wir mit unserem kleinen Sohnunterwegs waren. Wie würde er die Belastung der späten Flugreiseverkraften? Was könnten wir für ihn tun? Das waren alles völlig un-nötige Erwägungen. Ihm ging es nämlich von allen Passagieren amweitaus besten. Er rannte fröhliche Runden durch die Sicherheits-

sperren, schaute den Flugzeugen beim Starten und Landen zu undließ sich von fremden Leuten Kekse und Bonbons schenken. DieErwachsenen hingegen setzten sich an die Bar, wo sie sich mit Al-kohol und Nikotin betäubten oder saßen lethargisch im Neonlichtder Wartehalle, im Gegensatz zu Karl ganz und gar missvergnügt.Da es von alters her Gesetz ist, dass jedes Kind, das fröhlich und un-beschwert umherläuft, von einem griesgrämigen Erwachsenen ver-folgt wird, der probiert, es aufzuhalten, schlich ich hinter Karl hin-terher. Das war um ein Vielfaches besser, als mit dem Hintern in denPlastikstühlen anzubacken. Außerdem konnte ich so meine Mitrei-senden schon mal kennenlernen.

Anfänglich hatte Karl noch keinen großen Radius, also lernteich erst einmal die nächste Sitzreihe kennen. Hier saßen drei Per-sonen, die alle den gleichen Haarschnitt hatten und es waren keineSkinheads. Sie trugen ultrakurzen Pony vorn und auch eine ArtPony hinten, also die Haare des Hinterhaupts berührten knapp denKragen, jedoch war der Nacken wohl ausrasiert. In der Mitte befan-den sich recht kurz geschorene rote Locken. Sie waren offensicht-lich Mutter, Vater und Sohn. Und sie waren siebzig, siebzig undvierzig Jahre alt. Die Mutter wäre als Alleinreisende nicht weiterauffällig gewesen. Sie war eine rüstige Frau in der Jahreszeit, dieman gern den Herbst des Lebens nennt, obwohl die Früchte schongeerntet, die Blätter schon gefallen, die Bäume kahl und windzer-zaust sind und man bei einem schicksalhaften Klingeln an der Türnicht mal mehr den Weihnachtsmann erwartet. Aber sei es drum:eine Frau in den besten Jahren. Der Mann jedoch war schon kurios.Er trug eine zweigeteilte Brille, jedoch nicht die übliche Gleitsicht-brille, sondern das rechte Brillenglas bestand aus aschenbecherdickem,klarem Pressglas und das linke aus aschenbecherdickem, braunemPressglas. Zusammen mit seiner Windjacke, die er aus den achtzigerJahren gerettet hatte und den Kunstledersandalen fügte sich das zumGesamtbild eines Wahnsinnigen. Der Sohn war schließlich die Härte.Obwohl man erkannte, dass er viel jünger war, sah er jetzt schon we-sentlich älter aus als sein Vater. Der blickte auf ihn von oben herab,

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sich etwas besser auskannte, sagte: „Erträglich ist es eigentlich nur imNorden. In welchen Ort genau fahrt ihr?“ Ich blickte ihn mit derVerständnislosigkeit eines Schafes an und antwortete dann: „Yippie!“

Wir hatten Urlaub, wir wollten weg, wir wollten dem kalten Ei-sengriff des Spätherbstes trotz aller Vorliebe für kalte, dunkle Niesel-tage etwas entkommen und wir wollten nicht so lang unterwegs sein.Wenn ich das dem Internet mitteilte, schlug es mir Mallorca oderLänder vor, in denen täglich ein Bombenanschlag verübt wurde. Daich dem Begriff „last minute“ keine neue, persönliche Bedeutunggeben wollte, wurde es Mallorca. Ich dachte so: Die ganzen stinkrei-chen Prominenten, die die ganze Welt gesehen haben und sich dortein Haus bauen, die vielen Millionen Touristen, die werden dochnicht alle bescheuert sein. Wobei ich mich natürlich auch wiederfragte, seit wann ich Claudia Schiffer und Jürgen Drews als intellek-tuelle Führungspersönlichkeiten betrachtete. Und ich dachte, dassdie ganzen Verrückten im November schon weg sind. Die ganzenSangria-mit-Strohhalm-trinken-Ballermann-Gröl-Fick-Verrücktenschon weg sind.

Ein Blick in die Wartehalle des Flughafens ließ hoffen, es warangenehm leer. Auch die Stewardess sagte, es sei sehr viel Platz imFlugzeug, weil nur fünfzig Leute fliegen würden. Leider sagte dieStewardess danach noch mehr und zwar über die Mikrofonanlage.Sie sagte nämlich, das Flugzeug habe ein Leck in der Hydrauliklei-tung und deswegen würde sich der Abflug etwas verzögern. Dannsagte sie, das Flugzeug habe ein großes Leck in der Hydrauliklei-tung und deshalb würden wir mit einem anderen Flugzeug fliegen.Dann sagte sie, das andere Flugzeug sei leider verspätet aus Stuttgartabgeflogen. Und als wir eigentlich schon eine Stunde in Mallorcawaren, sagte sie, wir könnten jetzt in das Flugzeug einsteigen.

Wir machten uns Vorwürfe, weil wir mit unserem kleinen Sohnunterwegs waren. Wie würde er die Belastung der späten Flugreiseverkraften? Was könnten wir für ihn tun? Das waren alles völlig un-nötige Erwägungen. Ihm ging es nämlich von allen Passagieren amweitaus besten. Er rannte fröhliche Runden durch die Sicherheits-

sperren, schaute den Flugzeugen beim Starten und Landen zu undließ sich von fremden Leuten Kekse und Bonbons schenken. DieErwachsenen hingegen setzten sich an die Bar, wo sie sich mit Al-kohol und Nikotin betäubten oder saßen lethargisch im Neonlichtder Wartehalle, im Gegensatz zu Karl ganz und gar missvergnügt.Da es von alters her Gesetz ist, dass jedes Kind, das fröhlich und un-beschwert umherläuft, von einem griesgrämigen Erwachsenen ver-folgt wird, der probiert, es aufzuhalten, schlich ich hinter Karl hin-terher. Das war um ein Vielfaches besser, als mit dem Hintern in denPlastikstühlen anzubacken. Außerdem konnte ich so meine Mitrei-senden schon mal kennenlernen.

Anfänglich hatte Karl noch keinen großen Radius, also lernteich erst einmal die nächste Sitzreihe kennen. Hier saßen drei Per-sonen, die alle den gleichen Haarschnitt hatten und es waren keineSkinheads. Sie trugen ultrakurzen Pony vorn und auch eine ArtPony hinten, also die Haare des Hinterhaupts berührten knapp denKragen, jedoch war der Nacken wohl ausrasiert. In der Mitte befan-den sich recht kurz geschorene rote Locken. Sie waren offensicht-lich Mutter, Vater und Sohn. Und sie waren siebzig, siebzig undvierzig Jahre alt. Die Mutter wäre als Alleinreisende nicht weiterauffällig gewesen. Sie war eine rüstige Frau in der Jahreszeit, dieman gern den Herbst des Lebens nennt, obwohl die Früchte schongeerntet, die Blätter schon gefallen, die Bäume kahl und windzer-zaust sind und man bei einem schicksalhaften Klingeln an der Türnicht mal mehr den Weihnachtsmann erwartet. Aber sei es drum:eine Frau in den besten Jahren. Der Mann jedoch war schon kurios.Er trug eine zweigeteilte Brille, jedoch nicht die übliche Gleitsicht-brille, sondern das rechte Brillenglas bestand aus aschenbecherdickem,klarem Pressglas und das linke aus aschenbecherdickem, braunemPressglas. Zusammen mit seiner Windjacke, die er aus den achtzigerJahren gerettet hatte und den Kunstledersandalen fügte sich das zumGesamtbild eines Wahnsinnigen. Der Sohn war schließlich die Härte.Obwohl man erkannte, dass er viel jünger war, sah er jetzt schon we-sentlich älter aus als sein Vater. Der blickte auf ihn von oben herab,

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ne S o, in etwa, hatte ich mir das vorgestellt. Schweine-lappen umhüllen einen riesigen Berg Fleischsalat.

Daneben liegend genau eine abgezählte Stulle, an deren Kopfendedas Glas Dampfbier thront.

Der Bayrische Wald. Mythos. Sagenumwobener Schauplatz etli-cher Schlachten. Götter gegen Menschen, Römer gegen Wilde,Touristen gegen Muskelkater. So mancher, der in deiner Erde be-graben wurde. So viele, die dich besangen. Mir fallen spontan zwarkeine Lieder jetzt ein, doch derer gibt es, da bin ich mir sicher,Mürriaden. Noch wenige Jahre zuvor hätte ich nicht im Traumdamit gerechnet, einmal einen Fuß in dich setzen, einmal Hand andich legen zu können. Ich kannte dich nicht. Für mich war Bayerndie Alpen und was vor den Alpen ist, das Alpenvorland sozusagen.Etwas später erfuhr ich, durch Zufall, von Franken und dass Frankenauch in Bayern läge, und dass man einen Franken und einen an-deren Bayern niemals nebeneinander stellen sollte, es sei denn, manwar auf Mord- und Totschlag aus und, dass man es möglichst ver-meiden sollte, in einem Satz Franken und andere Bayern zu sagen.Wenigstens sollte man sich vergewissern, dass diesen Satz keinFranke zu hören bekomme. Der Bayrische Wald aber blieb unent-deckt, für mich, selbst als Begriff.

Ich habe ja immer gerne Tischtennis gespielt und wusste, fallswir einmal Urlaub machen sollten, sicher, viele Menschen könnenniemals Urlaub machen, ich weiß, es ist ein Luxus und viele Men-schen leiden entsetzlich Hunger, dafür sollte man mal Geld ausge-ben, nicht mit dem Flugzeug kreuz und quer durch die Weltge-schichte jetten, da bleibt ja auch die Seele zurück und ohne Seele istman nur ein seelenloses Monster, ein Zombie, der arglosen Einge-borenen mit bloßen Händen die Schädeldecken zerquetscht um de-ren Gehirne auszusaugen, kurz und gut, es gab da im Internet eineHütte im Angebot, die war mit Tischtennisplatte. Ich konnte es erstgar nicht fassen, als ich das sah. Das Internet ist schon sehr gut. Esgab ja auch mal eine Zeit ohne Internet, früher. Das war der Faschis-mus, aber auch die Urgesellschaft. Die Menschen damals wussten

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ne S o, in etwa, hatte ich mir das vorgestellt. Schweine-lappen umhüllen einen riesigen Berg Fleischsalat.

Daneben liegend genau eine abgezählte Stulle, an deren Kopfendedas Glas Dampfbier thront.

Der Bayrische Wald. Mythos. Sagenumwobener Schauplatz etli-cher Schlachten. Götter gegen Menschen, Römer gegen Wilde,Touristen gegen Muskelkater. So mancher, der in deiner Erde be-graben wurde. So viele, die dich besangen. Mir fallen spontan zwarkeine Lieder jetzt ein, doch derer gibt es, da bin ich mir sicher,Mürriaden. Noch wenige Jahre zuvor hätte ich nicht im Traumdamit gerechnet, einmal einen Fuß in dich setzen, einmal Hand andich legen zu können. Ich kannte dich nicht. Für mich war Bayerndie Alpen und was vor den Alpen ist, das Alpenvorland sozusagen.Etwas später erfuhr ich, durch Zufall, von Franken und dass Frankenauch in Bayern läge, und dass man einen Franken und einen an-deren Bayern niemals nebeneinander stellen sollte, es sei denn, manwar auf Mord- und Totschlag aus und, dass man es möglichst ver-meiden sollte, in einem Satz Franken und andere Bayern zu sagen.Wenigstens sollte man sich vergewissern, dass diesen Satz keinFranke zu hören bekomme. Der Bayrische Wald aber blieb unent-deckt, für mich, selbst als Begriff.

Ich habe ja immer gerne Tischtennis gespielt und wusste, fallswir einmal Urlaub machen sollten, sicher, viele Menschen könnenniemals Urlaub machen, ich weiß, es ist ein Luxus und viele Men-schen leiden entsetzlich Hunger, dafür sollte man mal Geld ausge-ben, nicht mit dem Flugzeug kreuz und quer durch die Weltge-schichte jetten, da bleibt ja auch die Seele zurück und ohne Seele istman nur ein seelenloses Monster, ein Zombie, der arglosen Einge-borenen mit bloßen Händen die Schädeldecken zerquetscht um de-ren Gehirne auszusaugen, kurz und gut, es gab da im Internet eineHütte im Angebot, die war mit Tischtennisplatte. Ich konnte es erstgar nicht fassen, als ich das sah. Das Internet ist schon sehr gut. Esgab ja auch mal eine Zeit ohne Internet, früher. Das war der Faschis-mus, aber auch die Urgesellschaft. Die Menschen damals wussten

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EENN

uli ha

nnem

ann Im Grunde ist es die reine Schnapsidee: Der Ta-

gesausflug von Barcelona nach Malle, bloß um dieFreundin meiner Freundin zu besuchen, die dort als Reiseleiterinarbeitet. Schlappe sieben Stunden über Nacht mit der Bummel-fähre hin – Ankunft um sechs Uhr morgens.

Das Frühstückscafé gehört einem Deutschen. Auf Malle gehörtalles einem Deutschen, was nicht zwei Deutschen gehört, oder drei.Beim Frühstück aus Schnitzeln, Erbsen und Möhrchen schildert unsBarbara – „Tante TUI“, wie sie die Kinder ihrer Pauschalurlaubernennen – die auf Malle wohnenden Deutschen als halbseidenes Ge-sindel aus ehemaligen Zuhältern, Schalke-Präsidenten und ähnlichleichtflüchtigen Groß- und Kleinkriminellen, die, wie man munkle,auf Partys Frauen Taschenlampen in den Arsch steckten. Versonnengrinst der schmierige Cafébesitzer am Nebentisch. „Wenn es nun malso dunkel ist“, denkt er wohl, falls er überhaupt irgend etwas denkt.

Nach einem Badetag in für passionierte Prinzenbadbesucherungewohnt deutscher Umgebung, folgt das Highlight des Ausflugs:Eine Tour mit dem „Partyschiff“ – einem großen Katamaran, der zuden Klängen eines megahippen DJs megahippe Gäste dreieinhalbStunden lang kreuz und quer durch die Abendsonne rund umMalle schippert. Inklusive Essen sowie Sangria und Bier bis zumAbwinken. Erwartet werden junge, schöne, coole und gutgelaunteMenschen – da stellt sich natürlich die Frage: Was, zum Geier, ha-ben wir, was habe vor allem ich, einmal abgesehen vom Bier unddavon, dass wir wegen der Reiseleiterin nur für eine Person bezah-len müssen, dort zu schaffen?

Naheliegend wäre nun das Übliche: Ich mache mich mal wiederabsichtlich winzig klein, um (scheinbar) am Boden liegend, aus alsounangreifbarer Position heraus, in misanthropischer Manier gegenjunge, schöne, coole und gutgelaunte Menschen zu hetzen, auf dieich im Grunde meiner von Selbstzweifeln zernagten Seele dochbloß neidisch bin. Für diesen von mir zur Perfektion entwickeltenStil habe ich sogar einen eigenen Fachbegriff kreiert, die „investiga-tive Larmoyanz“.

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gesausflug von Barcelona nach Malle, bloß um dieFreundin meiner Freundin zu besuchen, die dort als Reiseleiterinarbeitet. Schlappe sieben Stunden über Nacht mit der Bummel-fähre hin – Ankunft um sechs Uhr morgens.

Das Frühstückscafé gehört einem Deutschen. Auf Malle gehörtalles einem Deutschen, was nicht zwei Deutschen gehört, oder drei.Beim Frühstück aus Schnitzeln, Erbsen und Möhrchen schildert unsBarbara – „Tante TUI“, wie sie die Kinder ihrer Pauschalurlaubernennen – die auf Malle wohnenden Deutschen als halbseidenes Ge-sindel aus ehemaligen Zuhältern, Schalke-Präsidenten und ähnlichleichtflüchtigen Groß- und Kleinkriminellen, die, wie man munkle,auf Partys Frauen Taschenlampen in den Arsch steckten. Versonnengrinst der schmierige Cafébesitzer am Nebentisch. „Wenn es nun malso dunkel ist“, denkt er wohl, falls er überhaupt irgend etwas denkt.

Nach einem Badetag in für passionierte Prinzenbadbesucherungewohnt deutscher Umgebung, folgt das Highlight des Ausflugs:Eine Tour mit dem „Partyschiff“ – einem großen Katamaran, der zuden Klängen eines megahippen DJs megahippe Gäste dreieinhalbStunden lang kreuz und quer durch die Abendsonne rund umMalle schippert. Inklusive Essen sowie Sangria und Bier bis zumAbwinken. Erwartet werden junge, schöne, coole und gutgelaunteMenschen – da stellt sich natürlich die Frage: Was, zum Geier, ha-ben wir, was habe vor allem ich, einmal abgesehen vom Bier unddavon, dass wir wegen der Reiseleiterin nur für eine Person bezah-len müssen, dort zu schaffen?

Naheliegend wäre nun das Übliche: Ich mache mich mal wiederabsichtlich winzig klein, um (scheinbar) am Boden liegend, aus alsounangreifbarer Position heraus, in misanthropischer Manier gegenjunge, schöne, coole und gutgelaunte Menschen zu hetzen, auf dieich im Grunde meiner von Selbstzweifeln zernagten Seele dochbloß neidisch bin. Für diesen von mir zur Perfektion entwickeltenStil habe ich sogar einen eigenen Fachbegriff kreiert, die „investiga-tive Larmoyanz“.

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Die Mädchen sind auch schön. Alle umarmen sich. Trinken.Fangen an zu tanzen. Umms, umms. Dann fotografieren sie sich ge-genseitig beim Umarmen, beim Trinken, beim Tanzen und beimFotografieren vom Umarmen, Trinken, Tanzen sowie beim Foto-grafieren vom Fotografieren beim Umarmen,Trinken,Tanzen undbeim Fotografieren vom Fotografieren, vom Fotografieren …

Umms, umms. Barbara bringt neues Bier. Wir essen – sie willnicht. Sie will nur trinken. Sie sagt, das sei besser – sie sei zu dick.Sie will auch noch länger zu den jungen, schönen, coolen und gutgelaunten Menschen gehören. Die posen bei jeder Bewegung undbei jedem Foto. Jede Geste sitzt, wie einem Videoclip entsprungen.Sogar beim Saufen gucken sie sich noch selbstverliebt zu – eine völ-lig neue Auslegung des Begriffs „Spiegeltrinker“. Sollen sie doch. Essind gute Menschen. Ich liebe sie alle.

Kurz vor Sonnenuntergang gibt es am Bug Delphinalarm. Allespringen auf und rennen aufgeregt nach vorne. Wir beobachtenDelphine, während wir Thunfischsalat essen, und Flipper peilt’snicht – Mann, sind wir cool!

Als alle besoffen genug sind, werden uns die anfangs gemachtenBilder als Erinnerungsfotos angeboten. Zu fünf Euro das Stück.Unverschämtheit.Wir kaufen unseres sofort.Wir sind die einzigen –obendrein ist das Foto ein herber Rückfall in punkto Jugend undSchönheit. Vielleicht sollte ich besser das von den beiden Viva-Wuschis auf der Bank gegenüber nehmen.

Langsam wird es dunkel – fast alle tanzen jetzt.Volltrunkene Tanz-mäuse schlackern im Fahrtwind. Umms, umms, umms! Nach demfünfzehnten Bier weint die Freundin meiner Freundin – ich weißnicht, ob vor Freude, Weltschmerz,Trunkenheit oder ganz pauschalwegen ihres Jobs.Wir umarmen sie. Sie umarmt uns. Alle umarmenalle. Peace. Erbsen. Möhrchen. Menschen. Umms, Umms. I bin derJoe aus Graz. I bin Abortleerer. Nach dem zwanzigsten Bier springeich auf und gebe achtern zwischen den Metrosexuellen den Pose-muckel. Meine supercoole Freundin versucht, mit einem Bier in derHand auf den Mast zu klettern. Das Partyschiff legt an. Gott sei Dank!

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Doch diesmal ist alles anders, ehrlich – das spüre ich schon, alsich an Bord gehe. Kleinmut und Arroganz sind von mir abgefallenwie der schmutzige Staub einer beschwerlichen Wanderung durchdie Wüste der Irrungen. Diesmal gehöre ich voll dazu, ich bin einervon ihnen. Ich bin cool und gut gelaunt. Das macht der Urlaub. Erschenkt mir eine andere, neue, bessere Identität. Nix denken, vielstrahlen. Super! Ich bin nicht mehr Nörgel-Uli. I bin der Joe ausGraz. I bin Snowboardlehrer. I mach Urlaub auf Malle. I geh aufsPartyschiff – Buam, was geht ab?

Ab geht, dass uns am Steg der Kapitän empfängt. Noch vor einerWoche hätte ich ihn in bedenkenloser Unfairness als „diese übelstglitschige Sorte Ski-, Surf-, Tauch- und Tennislehrermensch“ be-zeichnet. Jetzt ist er einfach nur saucool. Saucool busselt er, mehrKopulations- denn Begrüßungsformel, erst die Freundin meinerFreundin ab und dann meine Freundin. Selber schuld – warum hatsie nicht besser aufgepasst? Saucool küsse ich den Skipper. Selberschuld – warum hat er nicht besser aufgepasst?

Ein Besatzungsmitglied fotografiert jede Gruppe, die an Bordgeht. Zu Reggaemusik sticht der Katamaran in See. Sofort fangenalle heftig an zu trinken. Alles ist schön. Ich finde beim bestenWillen nicht das kleinste Wermutströpfchen in dem unschuldigenAmüsement der jungen und schönen Menschen. Ich bin schließlichselber jung und schön. Ich habe mich selber schön getrunken, dasgeht, hier geht alles, hier herrscht ein slightes Gefühl des „anythinggoes“ – hier bin ich cool, hier darf ich‘s sein. Die Musik wird chilli-ger, danach ein bisschen Techno. Umms, umms – i bin der Joe ausGraz. Die Freundin meiner Freundin holt alle fünf Minuten Bier.Die Sonne steht tief, der Seewind pustet mir durchs hippe Haupt-haar. Ich liebe mich. Und nicht nur mich – ich liebe sie alle, auchdiese Gruppe braungebrannter Metrosexueller, die auf den Mattenam Heck lümmeln, und die ich noch vor kurzem in faschistoiderDumpfheit als „gestylte Schiffsschwuchteln“ diffamiert hätte. Dabeibin ich doch selber metrosexuell. Heutzutage ist doch jeder metro-sexuell, wenn er nur mit Messer und Gabel essen kann.

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Die Mädchen sind auch schön. Alle umarmen sich. Trinken.Fangen an zu tanzen. Umms, umms. Dann fotografieren sie sich ge-genseitig beim Umarmen, beim Trinken, beim Tanzen und beimFotografieren vom Umarmen, Trinken, Tanzen sowie beim Foto-grafieren vom Fotografieren beim Umarmen,Trinken,Tanzen undbeim Fotografieren vom Fotografieren, vom Fotografieren …

Umms, umms. Barbara bringt neues Bier. Wir essen – sie willnicht. Sie will nur trinken. Sie sagt, das sei besser – sie sei zu dick.Sie will auch noch länger zu den jungen, schönen, coolen und gutgelaunten Menschen gehören. Die posen bei jeder Bewegung undbei jedem Foto. Jede Geste sitzt, wie einem Videoclip entsprungen.Sogar beim Saufen gucken sie sich noch selbstverliebt zu – eine völ-lig neue Auslegung des Begriffs „Spiegeltrinker“. Sollen sie doch. Essind gute Menschen. Ich liebe sie alle.

Kurz vor Sonnenuntergang gibt es am Bug Delphinalarm. Allespringen auf und rennen aufgeregt nach vorne. Wir beobachtenDelphine, während wir Thunfischsalat essen, und Flipper peilt’snicht – Mann, sind wir cool!

Als alle besoffen genug sind, werden uns die anfangs gemachtenBilder als Erinnerungsfotos angeboten. Zu fünf Euro das Stück.Unverschämtheit.Wir kaufen unseres sofort.Wir sind die einzigen –obendrein ist das Foto ein herber Rückfall in punkto Jugend undSchönheit. Vielleicht sollte ich besser das von den beiden Viva-Wuschis auf der Bank gegenüber nehmen.

Langsam wird es dunkel – fast alle tanzen jetzt.Volltrunkene Tanz-mäuse schlackern im Fahrtwind. Umms, umms, umms! Nach demfünfzehnten Bier weint die Freundin meiner Freundin – ich weißnicht, ob vor Freude, Weltschmerz,Trunkenheit oder ganz pauschalwegen ihres Jobs.Wir umarmen sie. Sie umarmt uns. Alle umarmenalle. Peace. Erbsen. Möhrchen. Menschen. Umms, Umms. I bin derJoe aus Graz. I bin Abortleerer. Nach dem zwanzigsten Bier springeich auf und gebe achtern zwischen den Metrosexuellen den Pose-muckel. Meine supercoole Freundin versucht, mit einem Bier in derHand auf den Mast zu klettern. Das Partyschiff legt an. Gott sei Dank!

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Doch diesmal ist alles anders, ehrlich – das spüre ich schon, alsich an Bord gehe. Kleinmut und Arroganz sind von mir abgefallenwie der schmutzige Staub einer beschwerlichen Wanderung durchdie Wüste der Irrungen. Diesmal gehöre ich voll dazu, ich bin einervon ihnen. Ich bin cool und gut gelaunt. Das macht der Urlaub. Erschenkt mir eine andere, neue, bessere Identität. Nix denken, vielstrahlen. Super! Ich bin nicht mehr Nörgel-Uli. I bin der Joe ausGraz. I bin Snowboardlehrer. I mach Urlaub auf Malle. I geh aufsPartyschiff – Buam, was geht ab?

Ab geht, dass uns am Steg der Kapitän empfängt. Noch vor einerWoche hätte ich ihn in bedenkenloser Unfairness als „diese übelstglitschige Sorte Ski-, Surf-, Tauch- und Tennislehrermensch“ be-zeichnet. Jetzt ist er einfach nur saucool. Saucool busselt er, mehrKopulations- denn Begrüßungsformel, erst die Freundin meinerFreundin ab und dann meine Freundin. Selber schuld – warum hatsie nicht besser aufgepasst? Saucool küsse ich den Skipper. Selberschuld – warum hat er nicht besser aufgepasst?

Ein Besatzungsmitglied fotografiert jede Gruppe, die an Bordgeht. Zu Reggaemusik sticht der Katamaran in See. Sofort fangenalle heftig an zu trinken. Alles ist schön. Ich finde beim bestenWillen nicht das kleinste Wermutströpfchen in dem unschuldigenAmüsement der jungen und schönen Menschen. Ich bin schließlichselber jung und schön. Ich habe mich selber schön getrunken, dasgeht, hier geht alles, hier herrscht ein slightes Gefühl des „anythinggoes“ – hier bin ich cool, hier darf ich‘s sein. Die Musik wird chilli-ger, danach ein bisschen Techno. Umms, umms – i bin der Joe ausGraz. Die Freundin meiner Freundin holt alle fünf Minuten Bier.Die Sonne steht tief, der Seewind pustet mir durchs hippe Haupt-haar. Ich liebe mich. Und nicht nur mich – ich liebe sie alle, auchdiese Gruppe braungebrannter Metrosexueller, die auf den Mattenam Heck lümmeln, und die ich noch vor kurzem in faschistoiderDumpfheit als „gestylte Schiffsschwuchteln“ diffamiert hätte. Dabeibin ich doch selber metrosexuell. Heutzutage ist doch jeder metro-sexuell, wenn er nur mit Messer und Gabel essen kann.

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A n der Hafenrundfahrtsanlegestelle gaben sich dieflirtenden Fischerinnen zurückhaltend. Im Herbst

war das Geschäft ohnehin rückläufig, egal, es war von Anfang Maibis Mitte Oktober klasse. Ich stand mit meinem Dreijährigen vordem Kapitän und radebrechte auf Englisch zwei Karten für einegroße Hafenrundfahrt mit einem kleinen Boot herbei. Emil undich wollten in den Buchten von Sliema,Valletta und Vittoriosa um-herschaukeln, immer schön nahe der Festungsanlagen, vor denendie Malteser Ritter vor einigen hundert Jahren Dutzende osmani-scher Kriegsschiffe versenkt hatten. Der Mann erklärte mir, dass dasMeer momentan zu stürmisch sei und deshalb keine kleinen Booteum die Landzungen fahren würden. Besser wäre ein großes Schiff,eine längere Tour, aber wenn wir darauf bestehen würden, wäre derhalbe Preis Ehrensache. Schön. Aber seit wann war sechs die Hälftevon acht? Andererseits waren sechs Malta-Pfund auch zehn Euro,ein fairer Preis für die altertümliche Filmkulisse der Nordküste, zu-mal, wenn wir sie vom Meer aus sahen, und zwar länger, als wennwir nur mal eben für 50 Cent mit der giftgrünen Hofbräu-Fährein der Bucht von Sliema nach Valletta schaukelten. Gut. Insgesamtwollten sich zehn Passagiere einiges bieten lassen. Emil und ich,wir platzierten uns in der ersten Reihe, der Wind kühlte ange-nehm, kleine Wellen plätscherten dahin. Der Kapitän erzählte vonden Gebäuden am Ufer; hier das Fort Manuel, dort der RoyalMalta Yacht Club; hier ein halbfertiges Hotel, da zwei ausrangierteKriegsschiffe. Schnell hatten wir die erste Bucht abgehakt und fuh-ren hinaus. Die Wellen wurden größer, der Wind schärfer. Konntesein, dass uns der Kapitän informiert hatte, dass er nun doch raus-fuhr, vielleicht in seiner Muttersprache. Er sah besorgt aufs Meerhinaus und funkte mit der Küstenwache. Okay, die Route war klar,die Sicht eher nicht. Ich zog Emil zu mir heran, seine spontanenAusflüge waren jetzt weniger gefragt. So kurz hinter der Spitze sit-zend, schöpften wir alle Bewegungsmöglichkeiten voll aus: Wennes aufwärts ging, sahen wir nur den Himmel, wenn unser Bug aufdie Wasseroberfläche klatschte und sich die nächste Welle näherte,

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A n der Hafenrundfahrtsanlegestelle gaben sich dieflirtenden Fischerinnen zurückhaltend. Im Herbst

war das Geschäft ohnehin rückläufig, egal, es war von Anfang Maibis Mitte Oktober klasse. Ich stand mit meinem Dreijährigen vordem Kapitän und radebrechte auf Englisch zwei Karten für einegroße Hafenrundfahrt mit einem kleinen Boot herbei. Emil undich wollten in den Buchten von Sliema,Valletta und Vittoriosa um-herschaukeln, immer schön nahe der Festungsanlagen, vor denendie Malteser Ritter vor einigen hundert Jahren Dutzende osmani-scher Kriegsschiffe versenkt hatten. Der Mann erklärte mir, dass dasMeer momentan zu stürmisch sei und deshalb keine kleinen Booteum die Landzungen fahren würden. Besser wäre ein großes Schiff,eine längere Tour, aber wenn wir darauf bestehen würden, wäre derhalbe Preis Ehrensache. Schön. Aber seit wann war sechs die Hälftevon acht? Andererseits waren sechs Malta-Pfund auch zehn Euro,ein fairer Preis für die altertümliche Filmkulisse der Nordküste, zu-mal, wenn wir sie vom Meer aus sahen, und zwar länger, als wennwir nur mal eben für 50 Cent mit der giftgrünen Hofbräu-Fährein der Bucht von Sliema nach Valletta schaukelten. Gut. Insgesamtwollten sich zehn Passagiere einiges bieten lassen. Emil und ich,wir platzierten uns in der ersten Reihe, der Wind kühlte ange-nehm, kleine Wellen plätscherten dahin. Der Kapitän erzählte vonden Gebäuden am Ufer; hier das Fort Manuel, dort der RoyalMalta Yacht Club; hier ein halbfertiges Hotel, da zwei ausrangierteKriegsschiffe. Schnell hatten wir die erste Bucht abgehakt und fuh-ren hinaus. Die Wellen wurden größer, der Wind schärfer. Konntesein, dass uns der Kapitän informiert hatte, dass er nun doch raus-fuhr, vielleicht in seiner Muttersprache. Er sah besorgt aufs Meerhinaus und funkte mit der Küstenwache. Okay, die Route war klar,die Sicht eher nicht. Ich zog Emil zu mir heran, seine spontanenAusflüge waren jetzt weniger gefragt. So kurz hinter der Spitze sit-zend, schöpften wir alle Bewegungsmöglichkeiten voll aus: Wennes aufwärts ging, sahen wir nur den Himmel, wenn unser Bug aufdie Wasseroberfläche klatschte und sich die nächste Welle näherte,

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Auf dem Deck schlitterte mein Rucksack, so weit es die Schlaufeum meinen Fuß herum zuließ. Der Kapitän telefonierte nicht mehr– hatte man uns abgeschrieben? Gewarnt wurden wir jedenfalls.Aber als Deutscher strebte ich nicht nur zu den Ufern des Wohnge-biets von Vittoriosa, sondern auch zum Meeresboden, zu den gesal-zenen Gebeinen der Osmanen. Ich wurde nicht nur im maltesisch-englischen Kauderwelsch gewarnt, sondern auch fast in meiner Mut-tersprache, und zwar von den schwäbischen Senioren, die uns imHotel gerne verfolgten und bequatschten. Sie sprachen von einemdeutschen Taucher, der am Tag zuvor die Sturmwarnungen igno-riert hatte und nicht mehr aufgetaucht sei. Diese Schwaben hattenRecht: So ein monotoner siebentägiger Trott vom immer gleichenStrandcafé zur Hotelbar war nicht der schlechteste Kurzurlaub.Pauschal ins Paradies – yeah!, yeah!, yeah! Emil schrie mich an:„Papa, Papa!“ Ich spielte unsere Möglichkeiten durch, sah nachRettungsringen, aber sie befanden sich zu weit weg von uns, warenzu wenige und hingen auch noch direkt neben den Engländern.Wir schipperten zwar in Europa umher – aber im Süden.Wir hat-ten die Demokratie der Mittelmeerbewohner übernommen – sieaber nicht unsere Deutsche Industrie-Norm.Wo war eigentlich dasandere Ausflugsboot? Egal. Ich würde im Überlebenskampf behin-dert sein, weil mein Sohn mir um den Hals hing.Vielleicht könnteich mich und seine fünfzehn Kilo kurzzeitig über Wasser halten,aber ich wusste, dass er mit seinen Händen an meiner Kehle rum-machen würde, wie bei unseren Proben in den Strandbädern. Wirmüssten uns mit einem Holzbrett oder dergleichen zufriedengeben.Davon träumte ich, denn unser Schiff war ein eiserner Einteiler.Der große Schicksalssprecher würde kurz topp oder flopp sagen.Nicht mal mehr eine Flaschenpost. „Papa!, Papa!“, wurde ich ange-schrien. „Festhalten!“, befahl ich. Kein netter Dreiwörtersatz, keinSchmusetonfall. Ich erhob mich und schleppte ihn zur Mitte, wo esweniger auf und ab ging. Der Kapitän wollte uns zum Sitzenbleibenbewegen. Zu spät. Die anderen Passagiere lachten nicht mehr. DerKahn schaukelte nun auch seitlich hin und her. Fast unvorhersehbar,

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sahen wir nur noch Wasser. Ich hatte nichts gegen die Umkurvungder Landzunge, doch warum mussten wir dafür 200 Meter vor ihrumherschippern? Emil stellte mit Nachdruck fest: „Das schaukelt… Papa, Papa, … das schaukelt!“

Ich log: „Alles schön!“ Der Kapitän rief in den Wind, ich solle den Jungen festhalten.

Das war nicht nötig, denn Emil klammerte sich an mich, wobei dasSchaukeln noch gar nicht so schlimm war, ich dachte sogar an unse-ren Rucksack, der auf die Planken gefallen war und nur deshalbnicht verschwand, weil ich den Fuß in einer Schlaufe hatte. Emilwollte aussteigen. „Geht jetze nich!“

Die hinter uns sitzenden Engländer amüsierten sich über uns.Ich hätte keinen Cent auf ihre Rettungsschwimmerqualitäten gege-ben. Emil schrie nach seinem Papa, aber da ich davon ausging, dassich das war, und nicht irgendwer auf dem fernen Festland, musste erdoch nicht so schreien, sein Mund war an meinem Ohr, ich ver-stand ihn gut. Die Schiffsspitze hob sich und klatschte ins Wasser, dienächste Welle donnerte gegen den Bug, nun waren wir nass. Kleinenasse Wesen im Universum, unsere Namen würden keine drei Ge-nerationen später vergessen sein. Unser Boot hieß Poseidon, aber eswar nur eine Nussschale, die auf der wogenden graugrünen Wasser-oberfläche in die Tiefe gerissen zu werden drohte. Das war dieWahrheit. Ich dachte nur daran, wie wir die nächsten Wellen über-stehen würden, gar nicht an die halbstündige Bootstour. Warummussten wir so weit draußen umherschippern? Waren die drei Klip-pen am Ufer eine Gefahr? Hundert Meter weiter draußen schau-kelte ein anderer Kahn auf und ab. Die Leute hatten es gut, sie be-fanden sich auf der Rückfahrt.

Früher, als Arbeitnehmer, hatte ich in der Bahn oft sehnsüchtigaufs Nebengleis hinübergeschaut, wo die Leute in Richtung meinesStadtbezirks fuhren. Aber so viel verlangte ich nun gar nicht vom Le-ben, ich würde auch zur Arbeit fahren. Meinetwegen auch sechs Uhrmorgens, schweinekalter Februar, Schienenersatzverkehr im Neu-bauviertel der Hauptstadt des verbrecherischen Regimes, ganz egal.

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Auf dem Deck schlitterte mein Rucksack, so weit es die Schlaufeum meinen Fuß herum zuließ. Der Kapitän telefonierte nicht mehr– hatte man uns abgeschrieben? Gewarnt wurden wir jedenfalls.Aber als Deutscher strebte ich nicht nur zu den Ufern des Wohnge-biets von Vittoriosa, sondern auch zum Meeresboden, zu den gesal-zenen Gebeinen der Osmanen. Ich wurde nicht nur im maltesisch-englischen Kauderwelsch gewarnt, sondern auch fast in meiner Mut-tersprache, und zwar von den schwäbischen Senioren, die uns imHotel gerne verfolgten und bequatschten. Sie sprachen von einemdeutschen Taucher, der am Tag zuvor die Sturmwarnungen igno-riert hatte und nicht mehr aufgetaucht sei. Diese Schwaben hattenRecht: So ein monotoner siebentägiger Trott vom immer gleichenStrandcafé zur Hotelbar war nicht der schlechteste Kurzurlaub.Pauschal ins Paradies – yeah!, yeah!, yeah! Emil schrie mich an:„Papa, Papa!“ Ich spielte unsere Möglichkeiten durch, sah nachRettungsringen, aber sie befanden sich zu weit weg von uns, warenzu wenige und hingen auch noch direkt neben den Engländern.Wir schipperten zwar in Europa umher – aber im Süden.Wir hat-ten die Demokratie der Mittelmeerbewohner übernommen – sieaber nicht unsere Deutsche Industrie-Norm.Wo war eigentlich dasandere Ausflugsboot? Egal. Ich würde im Überlebenskampf behin-dert sein, weil mein Sohn mir um den Hals hing.Vielleicht könnteich mich und seine fünfzehn Kilo kurzzeitig über Wasser halten,aber ich wusste, dass er mit seinen Händen an meiner Kehle rum-machen würde, wie bei unseren Proben in den Strandbädern. Wirmüssten uns mit einem Holzbrett oder dergleichen zufriedengeben.Davon träumte ich, denn unser Schiff war ein eiserner Einteiler.Der große Schicksalssprecher würde kurz topp oder flopp sagen.Nicht mal mehr eine Flaschenpost. „Papa!, Papa!“, wurde ich ange-schrien. „Festhalten!“, befahl ich. Kein netter Dreiwörtersatz, keinSchmusetonfall. Ich erhob mich und schleppte ihn zur Mitte, wo esweniger auf und ab ging. Der Kapitän wollte uns zum Sitzenbleibenbewegen. Zu spät. Die anderen Passagiere lachten nicht mehr. DerKahn schaukelte nun auch seitlich hin und her. Fast unvorhersehbar,

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sahen wir nur noch Wasser. Ich hatte nichts gegen die Umkurvungder Landzunge, doch warum mussten wir dafür 200 Meter vor ihrumherschippern? Emil stellte mit Nachdruck fest: „Das schaukelt… Papa, Papa, … das schaukelt!“

Ich log: „Alles schön!“ Der Kapitän rief in den Wind, ich solle den Jungen festhalten.

Das war nicht nötig, denn Emil klammerte sich an mich, wobei dasSchaukeln noch gar nicht so schlimm war, ich dachte sogar an unse-ren Rucksack, der auf die Planken gefallen war und nur deshalbnicht verschwand, weil ich den Fuß in einer Schlaufe hatte. Emilwollte aussteigen. „Geht jetze nich!“

Die hinter uns sitzenden Engländer amüsierten sich über uns.Ich hätte keinen Cent auf ihre Rettungsschwimmerqualitäten gege-ben. Emil schrie nach seinem Papa, aber da ich davon ausging, dassich das war, und nicht irgendwer auf dem fernen Festland, musste erdoch nicht so schreien, sein Mund war an meinem Ohr, ich ver-stand ihn gut. Die Schiffsspitze hob sich und klatschte ins Wasser, dienächste Welle donnerte gegen den Bug, nun waren wir nass. Kleinenasse Wesen im Universum, unsere Namen würden keine drei Ge-nerationen später vergessen sein. Unser Boot hieß Poseidon, aber eswar nur eine Nussschale, die auf der wogenden graugrünen Wasser-oberfläche in die Tiefe gerissen zu werden drohte. Das war dieWahrheit. Ich dachte nur daran, wie wir die nächsten Wellen über-stehen würden, gar nicht an die halbstündige Bootstour. Warummussten wir so weit draußen umherschippern? Waren die drei Klip-pen am Ufer eine Gefahr? Hundert Meter weiter draußen schau-kelte ein anderer Kahn auf und ab. Die Leute hatten es gut, sie be-fanden sich auf der Rückfahrt.

Früher, als Arbeitnehmer, hatte ich in der Bahn oft sehnsüchtigaufs Nebengleis hinübergeschaut, wo die Leute in Richtung meinesStadtbezirks fuhren. Aber so viel verlangte ich nun gar nicht vom Le-ben, ich würde auch zur Arbeit fahren. Meinetwegen auch sechs Uhrmorgens, schweinekalter Februar, Schienenersatzverkehr im Neu-bauviertel der Hauptstadt des verbrecherischen Regimes, ganz egal.

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COLLECTMIT AUDIO-CD

~ Jakob Hein ~ Ian Beer ~ Jan Oå

~ Ahne ~ Friederike von Königswald ~ Volker Strübing ~ Jochen Schmidt ~ Spider ~ Konrad Endler ~ Anne Hahn ~ Rigoleõi ~ Willi Wucher ~ Yaneq ~ Ice ~ u.a.

~ Andreas Gläser (Hg.)

Zum Hören

~ An

dre

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Glä

ser

(Hg.)

Tracklist

ISBN-13 978-3-938424-20-9 € 14,80 (D)

live im Baiz:

Ahne Ich hab die Welt gesehen +

Frank Willmann Zarte Angriffstechniken +

Jochen Schmidt Salz auf unseren HodenUli Hannemann Malle und AbwinkenSpider Wie heißt das Zauberwort +

Konrad Endler Am Strand der Tränen +

Anne Hahn Nudelsuppe +

Andreas Gläser Geboren in Karl-Marx- Stadt, geflohen aus Chemnitz +

Frank Willmann Eine Nadelarbeit gefunden am Ankerplatz +

Friederike von Koenigswald Damen und Herren auf See +

Spider Pheromone +

Andreas Gläser & Konrad Endler Aeroflotpilot +

Bonustracks:

Robert Weber Vom Vergessen der WeltJan Off D.O.R.F. (Daseinsformen ohne rechte Funktion) +

+ zusätzlich auf CD

Gesamtspielzeit: ca. 65 min

www.voland-quist.de

~ Ahne »Ich hab die Welt gesehen«~ Jochen Schmidt »Salz auf unseren Hoden«~ Uli Hannemann »Malle und Abwinken«~ Spider »Wie heißt das Zauberwort«~ Friederike von Koenigswald »Damen und Herren auf See~ Jan Off »D.O.R.F« (Daseinsformen ohne rechte Funktion) ~ u.a.

Jakob Hein lästert über die Passagiere, mit denen er nach Mallorca fliegen wird, Matthias Klaß stressen im Ferienlager die Hormone, Ice sieht sich während einer Safari dem Überlebenskampf ausgeliefert, Marion Pfaus muss sich in Spanien von ih-rem Kind beschimpfen lassen, Ahne ist auf den Spuren bayrischer Mythen, Andreas Glä-ser droht vor Malta mit seinem Schiffchen zu kentern, Willi Wucher zeigt der Unter-schicht den Weg nach Sylt …

Das sommerliche Reisen in die Urlauber-hochburgen verlangt nach einer schrägen und wahren literarischen Aufarbeitung! In diesem Buch leisten Schriftsteller und Musiker ihre Beiträge für den Weltfrieden:

Auf der beiliegenden CD tragen einige der Autoren passende Geschichten, Lieder und Gedichte vor.