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Der Candomblé hat ein besonderes Flair, er fasziniert und stößt ab. Ängstlicher Respekt und Neugierde, Furcht vor etwaigen maliziösen magischen Kräften, aber auch die Hoffnung, gerade jene magischen Mächte dieser Religion für die eigene persönliche Lebenssituation zu nützen, bestimmen die Gefühle der mei- sten, die sich in Brasilien dem Candomblé nähern. Lange Zeit wurden die soge- nannten Candomblé-Kulte von der Katholischen Kirche als Aberglauben oder diabolisches Machwerk verurteilt und von der Polizei als sittenwidrig und Be- drohung für die gesellschaftliche Ordnung verfolgt. Die wissenschaftlichen Er- klärungsansätze gingen immer wieder von jenem Phänomen aus, das heute „Trance“ oder „geänderter Bewusstseinszustand“ genannt wird, bzw. im Can- domblé als Vereinigung zwischen Initiiertem und seiner persönlichen Gottheit gedeutet wird. Ende des 19. Jh. wurde dieses „Inkorporationsphänomen“ noch mit einer angeblich „rassisch inferioren“ Herkunft (N. Rodrigues) der Candom- blé-Mitglieder in direkten Zusammenhang gebracht. In den 30er Jahren des 20. Jh. galt „Besessenheit“ als eine Manifestation des „prälogischen Denkens“ (A. Ramos), das nun nicht mehr unbedingt mit rassisch-biologischen Argumenten erklärt, sondern vielmehr auf den Einfluss von „noch wenig entwickelten Kultu- ren“ zurückgeführt wurde. So war auch A. Ramos davon überzeugt, dass „sich die inferioren Religionen im Kontakt mit fortgeschritteneren Religionsformen [Katholizismus] kulturell perfektionieren“ 2 würden (Ramos 1988: 114). Heute, stellt Prandi fest, könne der Candomblé nicht mehr als eine „Religion der Schwarzen“ (ethnische Religion) bzw. als eine Form von „kulturellem Wi- derstand“ eingestuft werden, sondern stelle vielmehr eine Religion dar, an der Menschen mit den unterschiedlichsten Hautfarben aus allen brasilianischen Ge- sellschaftsschichten aktiv teilnehmen. Laut einer Untersuchung des Meinungs- forschungsinstituts Datafolha aus dem Jahr 1994 (in: Prandi 1996a: 74) setzen sich die Candomblé-Adepten aus 39,9% brancos („Weiße“), 32,9% pardos („Braune“) und 23,9% pretos („Schwarze“) zusammen (3,3% ohne Angaben). 3 Die Statistik besagt, dass die afro-brasilianischen Religionen (Candomblé, Um- 1 Der Herausgeber dankt herzlich dem Anthropos Institut für die Erlaubnis, den Artikel „Can- domblé. Der Weg einer ethnischen Religion ins globale Zeitalter“ (ANTHROPOS 97, 2002: 127- 145) in diesen Band aufzunehmen. 2 Alle im Text angeführten Zitate sind vom Autor übersetzt.

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Candomblé - Der Weg einer ethnischen

Religion ins globale Zeitalter1

Andreas Hofbauer

Der Candomblé hat ein besonderes Flair, er fasziniert und stößt ab. ÄngstlicherRespekt und Neugierde, Furcht vor etwaigen maliziösen magischen Kräften,aber auch die Hoffnung, gerade jene magischen Mächte dieser Religion für dieeigene persönliche Lebenssituation zu nützen, bestimmen die Gefühle der mei-sten, die sich in Brasilien dem Candomblé nähern. Lange Zeit wurden die soge-nannten Candomblé-Kulte von der Katholischen Kirche als Aberglauben oderdiabolisches Machwerk verurteilt und von der Polizei als sittenwidrig und Be-drohung für die gesellschaftliche Ordnung verfolgt. Die wissenschaftlichen Er-klärungsansätze gingen immer wieder von jenem Phänomen aus, das heute„Trance“ oder „geänderter Bewusstseinszustand“ genannt wird, bzw. im Can-domblé als Vereinigung zwischen Initiiertem und seiner persönlichen Gottheitgedeutet wird. Ende des 19. Jh. wurde dieses „Inkorporationsphänomen“ nochmit einer angeblich „rassisch inferioren“ Herkunft (N. Rodrigues) der Candom-blé-Mitglieder in direkten Zusammenhang gebracht. In den 30er Jahren des 20.Jh. galt „Besessenheit“ als eine Manifestation des „prälogischen Denkens“ (A.Ramos), das nun nicht mehr unbedingt mit rassisch-biologischen Argumentenerklärt, sondern vielmehr auf den Einfluss von „noch wenig entwickelten Kultu-ren“ zurückgeführt wurde. So war auch A. Ramos davon überzeugt, dass „sichdie inferioren Religionen im Kontakt mit fortgeschritteneren Religionsformen[Katholizismus] kulturell perfektionieren“2 würden (Ramos 1988: 114).

Heute, stellt Prandi fest, könne der Candomblé nicht mehr als eine „Religionder Schwarzen“ (ethnische Religion) bzw. als eine Form von „kulturellem Wi-derstand“ eingestuft werden, sondern stelle vielmehr eine Religion dar, an derMenschen mit den unterschiedlichsten Hautfarben aus allen brasilianischen Ge-sellschaftsschichten aktiv teilnehmen. Laut einer Untersuchung des Meinungs-forschungsinstituts Datafolha aus dem Jahr 1994 (in: Prandi 1996a: 74) setzensich die Candomblé-Adepten aus 39,9% brancos („Weiße“), 32,9% pardos(„Braune“) und 23,9% pretos („Schwarze“) zusammen (3,3% ohne Angaben).3

Die Statistik besagt, dass die afro-brasilianischen Religionen (Candomblé, Um-

1 Der Herausgeber dankt herzlich dem Anthropos Institut für die Erlaubnis, den Artikel „Can-domblé. Der Weg einer ethnischen Religion ins globale Zeitalter“ (ANTHROPOS 97, 2002: 127-145) in diesen Band aufzunehmen.2 Alle im Text angeführten Zitate sind vom Autor übersetzt.

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banda, etc.) „nur“ 1,3% des gesamten brasilianischen religiösen Spektrums aus-machen, wobei in den urbanen Ballungszentren von Salvador, Rio de Janeiround São Paulo dieser Prozentsatz jeweils etwas höher liegt (zwischen 3 und5%)4. Somit wird deutlich, dass die afro-brasilianischen Religionen ein vor-nehmlich urbanes Phänomen darstellen: über 70% ihrer Adepten leben in Groß-städten (Prandi 1996a: 39, 40; 69-75). In absoluten Zahlen kann man folgendeSchätzung riskieren: Etwa 1,5 Mio. Brasilianer und Brasilianerinnen sind in über70.000 afro-brasilianischen Kultgemeinden initiiert (siehe auch Prandi 1996a:72).5

Derartige Schätzungen und statistische Erhebungen können sicherlich nurals ein vager Anhaltspunkt für die Analyse der gesellschaftlichen Bedeutung desCandomblé gelten. Eine weit größere Anzahl als jene der Initiierten besuchte be-reits einmal ein Kulthaus, um sich das Orakel lesen zu lassen oder gar einer fest-lichen Zeremonie beizuwohnen, und die überwiegende Mehrheit der Brasilianer/innen kennt zumindest die Namen und wesentlichen Charaktereigenschaften derCandomblé-Gottheiten. Außerdem muss festgehalten werden, dass sich auchheute noch viele Adepten auf Grund der langjährigen Verfolgung und Diskrimi-nierung der afro-brasilianischen Religionen öffentlich nicht zum Candomblé be-kennen.

In seinen jüngsten Analysen weist Prandi, einer der bedeutendsten zeitge-nössischen Forscher des Candomblé, wiederholt darauf hin, dass sich der Can-domblé an den „Religionsmarkt“ der Moderne angepasst habe, der sich an den„Prinzipien“ individuelle Bedürfnisbefriedigung und erfolgreiche Problemlö-sung orientiere. Im Wettstreit mit der Katholischen Kirche, den immer stärkerwerdenden Pfingstkirchen, der Umbanda, dem kardecistischen Spiritismus, aber

3 Bei der Interpretation dieser Daten muss berücksichtigt werden, dass in Brasilien die Defini-tion der Hautfarben von gesellschaftlichen Kontexten und vom Faktor Macht stark mitbeeinflusstwird. Dieser Umstand hängt direkt mit der Frage des brasilianischen Rassismus (branqueamento-Ideologie) zusammen, der dazu führt, dass die Mehrheit der Brasilianer/innen versucht, sich dem„weißen Ideal“ zu nähern (siehe auch Hofbauer 1995, 2000a u. b). Nur so ist es zu verstehen, dasssich in der letzten offiziellen Erhebung (IBGE, 1999) nur 5,4% aller Brasilianer und Brasilianerin-nen mit der Kategorie preto („schwarz“) identifizierten.4 Von allen afro-brasilianischen Religionen hat die Umbanda weiterhin die meisten Anhänger.Der Anteil der afro-brasilianischen religiösen Welt (1,3%) an allen in Brasilien präsenten Religio-nen teilt sich folgendermaßen auf: 0,9% Umbanda, 0,4% Candomblé und ähnliche – weniger syn-kretistische – Religionen (Tambor de Mina, Xangô, Batuque, etc.) (Prandi 1996a: 71,72).5 Hier noch einige statistische Kuriosa: Wie gesagt, sind die afro-brasilianischen Religionenals ein urbanes Phänomen zu betrachten, wobei sich der Candomblé noch stärker (73,7%) auf dieGroßstädte als die tendenziell „synkretistischere“ Umbanda (69,2%) konzentriert. Salvador giltweiterhin als das Zentrum des Candomblé: hier erreicht diese afro-brasilianische Religion immer-hin einen Anteil von 2,1% am gesamten existierenden „Religionsmarkt“. Im Vergleich mit allenanderen statistisch untersuchten Religionen liegt bei den Candomblé-Adepten der Prozentsatz derpretos immer noch am höchsten: 23,9% (bei der Umbanda: 18%; Pfingstkirchen: 11,1%; Katholi-sche Kirche: 7,3%; Spiritismus: 5,9% – vgl. auch Prandi 1996a: 69-75).

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auch mit asiatischen Religionen und esoterischen Modeströmungen ginge esnicht nur um die Verbreitung von spirituellen Werten, die Vergrößerung der ei-genen Kultgemeinde, sondern auch immer mehr um profanen Gelderwerb. Wei-ters argumentiert Prandi, dass der Candomblé auf viele Menschen in den moder-nen Großstädten eine befreiende Wirkung ausübe, da diese Religion, imUnterschied zum Katholizismus und zu den evangelischen Kirchen, keine strikteMoraltheologie entwickelte. Der Autor geht sogar so weit, den Candomblé alseine „prä-ethische“ oder gar „a-ethische Religion“ für eine „post-ethische Ge-sellschaft“ (Prandi 1991: 154) zu charakterisieren.6

Das Bild von der harmonischen Anpassung einer „vormodernen Religion“an die Anforderungen einer „postmodernen Welt“ ist suggestiv. Es wirft gleich-zeitig Fragen bezüglich des Verhältnisses zwischen Candomblé und der brasilia-nischen Nationalgesellschaft auf, die nur im Kontext einer umfassenderen histo-rischen und kulturellen Analyse zu beantworten sind. Sollte der Candombléheute wirklich nicht mehr eine „Religion der Schwarzen“ sein? Welche Gründewären dafür ausschlaggebend gewesen? Kann der Candomblé noch als „afrikani-sche“ oder „schwarze Religion“ betrachtet werden? Inwieweit hat sich der Can-domblé im letzten Jahrhundert wirklich verändert? Inwieweit sind interne Modi-fikationen in dieser Religion als eine Folgeerscheinung oder als eine Reaktionauf allgemeine Änderungsprozesse, die die gesamte brasilianische Gesellschafterfassten, zu verstehen?

Von Afrika ...

Machen wir also einen historischen Rückblick. Das erste „traditionelle“ Can-domblé-Kulthaus, das bis in die Gegenwart überleben konnte, wurde um 1830zunächst im Zentrum der Stadt Salvador errichtet. Die Gründerinnen dieses ter-reiro waren befreite, aus der Yoruba-Stadt Kétu stammende Frauen, die gleich-zeitig einer der „Schwarzen Religiösen Bruderschaften“ (Irmandade de NossaSenhora da Boa Morte da Igreja da Barroquinha) angehörten. Aus der CasaBranca (Engenho Velho), wie dieses heute sehr prestigeträchtige Kultzentrumgenannt wird, spalteten sich in der Folge zwei weitere sehr bedeutende terreiros– nämlich der Gantois (Mitte des 19. Jh.) und der Ilê Axé Opô Afonjá (1910) –ab.

Diese knappen Daten sind bereits ein Hinweis darauf, dass die wohl wesent-lichsten kulturellen Wurzeln des Candomblé in West-Afrika liegen, genauer ge-sagt im Yoruba- und angrenzendem Ewe-Fon-Gebiet. Andererseits muss wohl

6 An anderer Stelle räumt Prandi jedoch ein, dass sich der Candomblé – v. a. im Fall jener inprekären sozialen Verhältnissen lebenden Adepten - auch als eine „a-ethische Religion für einevor-ethische Gesellschaft“ präsentieren kann (Prandi 1996a: 35). Zur Kritik der Verwendung desEthik-Begriffs in der Argumentation von Prandi siehe Hofbauer (1999: 333).

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nicht eigens darauf hingewiesen werden, dass die afrikanischen Gesellschafts-strukturen im Kontext der Diaspora nicht so einfach „weitergelebt“ werdenkonnten. Die aus verschiedenen Gebieten stammenden und damit vielen ver-schiedenen ethnischen Gruppen zugehörigen Afrikaner/innen wurden in die bra-silianische Kolonialgesellschaft als Sklaven zwangsintegriert und mussten zu-mindest formal den katholischen Glauben annehmen. Wenngleich esunbestritten ist, dass innerhalb des Candomblé wesentliche afrikanische Wertetradiert werden konnten, so fällt doch auf, dass gerade jene Yoruba-Institutionen,die in Afrika als übergeordnete moralische, politische und juridische Instanzenfungierten, in Brasilien unbekannt sind. Um die religiös-kulturellen Rekonstruk-tionsprozesse und die dabei entstandenen Adaptationen innerhalb der brasiliani-schen Gesellschaft besser beurteilen zu können, will ich einen weiteren histori-schen Schritt zurück wagen. Mit der Absicht, einen „historischenAusgangspunkt“ bzw. eine Art „Vergleichsbasis“ für jene in Brasilien geschaffe-ne Candomblé-Welt zu skizzieren, sollen in der Folge einige wenige wesentlicheCharakteristika der „traditionellen“ Yoruba-Gesellschaft angesprochen werden.

Die verschiedenen Legenden besagen, dass die Ahnen der Yoruba ursprüng-lich aus dem Osten kamen. Das erste urbane Zentrum, Ifè, soll auf Geheiß vonOlódùmarè (eine Art Schöpfergottheit) von Odùduwà gegründet worden sein.Odùduwà gilt daher als der erste óòni („König“) von Ifè, von dem sich letztlichalle königlichen Yoruba-Dynastien herleiten. Im 19. Jh. gelang es dem Aláàfinvon Òyó, seinen politischen Einfluss in der Region immer mehr auszudehnenund damit eine Reichsstruktur zu stabilisieren. Law (zit. n. Apter 1992: 23) teiltejene dem König von Òyó untergeordneten Gebiete in drei Kategorien ein: 1) Re-gionen, die mit dem Aláàfin alliiert waren und direkt der Òyó-Administrationuntergeordnet waren; 2) Gebiete, die mehr Unabhängigkeit von Òyó fordertenund daher in ständigem Konflikt mit dem Aláàfin lebten; 3) Gebiete, deren Köni-ge sich nicht von Odùduwà herleiteten und dennoch Òyó tributpflichtig waren(z. B. Dahomey).

Apter wies darauf hin, dass die angesprochenen Machtverhältnisse auch inden lokalen Mythen, die auf den Ursprung der jeweiligen königlichen Linien Be-zug nahmen, ihren Niederschlag fanden. Der Autor schließt daraus, dass die re-gional unterschiedlichen Reinterpretationen der Geschichte auf spezifische loka-le Interessen und politische Ansprüche gegründet waren. Während in denmythologischen Legenden der mit Òyó alliierten Reiche die Bedeutung von Sàn-gó, der als vierter König von Òyó verehrt wurde, hochgehalten wurden, strichendie Mythen jener mit Òyó in Konflikt stehenden Regionen das jährliche Fest vonOdùduwà in Ifè und die dort besonders ausgeprägte Orakeltradition Ifá hervor.Die Unterstützung von Sàngó, dessen Kult vom Aláàfin persönlich kontrolliertwurde, drückte gleichsam loyales Verhalten gegenüber dem König von Òyó aus.Eine direkte mythologische Herleitung vom Yoruba-Ursprung Ifè zielte hinge-gen darauf ab, die eigene Deszendenz-Gruppe aufzuwerten, und forderte gleich-

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zeitig die Legitimität der Vormachtstellung von Òyó heraus. Die Interpretationder Geschichte (= Interpretation der Mythen) passte sich folglich an (Re)artiku-lationen von politischen Allianzen bzw. an politische Spannungen an. Eine der-artige Dynamik im politischen Machtspiel war auch auf lokaler Ebene, innerhalbder einzelnen Yoruba-Reiche festzustellen: Sie basierte letztlich auf einer spezi-fischen Konzeption von Macht, die in der Yoruba-Weltsicht fest verankert ist(siehe auch weiter unten).

Wie bereits kurz angesprochen, stand die Stadt – schon lange vor dem Ein-dringen der europäischen Kolonialmächte – im Zentrum der Yoruba-Gesell-schaft.7 Die einzelnen Yoruba-Städte waren ökonomisch voneinander relativ un-abhängig, da sie direkt vom umliegenden Agrarland mit landwirtschaftlichenProdukten versorgt wurden. Neben dem lokalen – von Frauen dominierten –Tauschhandel wurden in den urbanen Zentren aber auch jene Märkte abgehalten,auf denen Händlerinnen und Händler aus benachbarten Regionen ihre Warenfeilboten. Die handwerkliche Spezialisierung war hier stark ausgeprägt. DieMänner arbeiteten als Schmiede und Weber8 sowie in der Holz- und Lederverar-beitung, das Färben von Stoffen und das Flechten von Körben und Matten galtals weibliche Tätigkeit.

Im „formalen“ Yoruba-Sozialmodell gab es zunächst einmal einen sakralenKönig (oba),9 der an der Spitze des Yoruba-Reiches stand, und einen Ältestenrat(ìwàrèfà), der sich aus den Anführern der bedeutendsten „lineages“ zusammen-setzte. Aber auch die Ifá-Priester, die ihre religiösen Kenntnisse in den Dienst ei-nes oba stellten, übten – insbesondere mit Hilfe ihrer Orakelsprüche – bedeuten-den überregionalen moralischen und politischen Einfluss auf die Yoruba-Gesellschaft aus. Daneben wirkten noch drei Geheimbünde als wichtige sozialeKontrollorgane: Die ògbóni-Gesellschaft, die in direkter Verbindung zu den Ifá-

7 Ursprünglich wurde der – historisch erstmals 1819 belegte – Begriff yorùbá nur von jenerGruppe, die den Òyó-Dialekt sprach, als Eigenbezeichnung verwendet (zur Begriffsgeschichtesiehe auch Awoniyi 1981 und Owomoyela 1981). Ab Mitte des 19. Jh. begannen sich langsam allejene, die sich mythologisch von Odùduwà herleiteten, mit dieser Bezeichnung zu identifizieren.Laut Eriksen (1993: 94) konsolidierte sich diese ethnische Identitätsbildung erst in den 20er Jahrendes 20. Jh. Als wesentlichsten Faktor in diesem Prozess zitiert dieser Autor die Verbreitung derSchrift bzw. die Schulbildung, die es ermöglichte, „standardisierte“ Interpretationen derGeschichte und Kultur überregional zu verbreiten.8 In den östlichen Yoruba-Gebieten wurde das Weben von Baumwollstoffen vornehmlich vonFrauen durchgeführt.9 Der König konnte jedoch niemals als „absoluter Herrscher“ agieren. Alle wesentlichen Ent-scheidungen des oba benötigten die Zustimmung und das Mitwirken einer großen Anzahl vonFunktionsträgern. Es war also notwendig, einen Konsens mit allen bedeutenden, politisch einfluss-reichen Personen (v. a. mit den Repräsentanten des Ältestenrats ìwàrèfà) zu finden. Kamen dieanderen Entscheidungsträger zu dem Schluss, dass die Interessen des Königs für das Wohllebendes Kollektivs schädlich seien, versuchten sie seine Meinung zu ändern oder ihn abzusetzen. Indem einen oder anderen Extremfall soll es vorgekommen sein, dass der oba zum Selbstmordgezwungen wurde.

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Priestern babaláwô stand, verfügte über beträchtliche juridische und politischeMacht. Die orò-Kultspezialisten versuchten die Gesellschaft vor lokalen „He-xern“ zu schützen und die egúngún-Kultgemeinde hatte die Aufgabe, die Kom-munikation mit den Ahnen zu kontrollieren. Mit Ausnahme des ògbóni-Kulteswaren die Geheimbünde männliche Domäne.10

In der stratifizierten Yoruba-Gesellschaft gab es aber auch das soziale Phä-nomen Sklaverei, das ursprünglich wohl als adopted dependency (Isaacman andIsaacman) bzw. als lineage slavery (Miller) entstanden sein dürfte (siehe Love-joy 1981: 22). Diese Art von Sklaverei war charakteristisch für jene Gesellschaf-ten, bei denen die sozialen Unterschiede relativ gering, die Arbeitsteilung nichtstark ausgebildet und die Produktionsmittel von den Ältesten kontrolliert wur-den, so dass die Abhängigen meist die gleichen Tätigkeiten und Arbeiten wie dieMitglieder der Deszendenzgruppen ausübten. Es gab meist keinen formalen Aktder Sklaven-Emanzipation, sondern es fand vielmehr ein langsamer Integrations-prozess statt, der sich über mehrere Generationen hinziehen konnte. Der Assimi-liationsprozess löste gerade jene Unterscheidungsmerkmale auf, die die Sklavenals solche kennzeichneten (nämlich sprachliche, kulturelle Unterschiede). Aufdiese Weise war es vielen (auch afrikanischen) Ethnien möglich, ihre eigeneGruppe numerisch zu stärken.

In ihrer von funktionalistischen Ideen geprägten Studie umschrieben daherMiers und Kopytoff (1977: 16, 24) die „afrikanische Sklaverei“ als ein Kontinu-um, das zunächst marginalisiert, um dann aber langsam – die „Marginalisierten“– zu integrieren (marginality-to-society). Es muss jedoch in diesem Kontext fest-gehalten werden, dass auch bei der lineage slavery ein wesentliches Element zurErhaltung der Gesellschaftsordnung die Androhung und Ausübung von Gewaltwar (sowohl bei der Versklavung als auch bei der Aufrechterhaltung des Abhän-gigkeitsverhältnisses). Man kann daher argumentieren, dass die Sklavenhaltungvornehmlich darauf abzielte, soziale Außenseiter („Fremde“) mit Gewalt zu ge-wissen Dienstleistungen (Arbeitsleistungen bis hin zu repräsentativen Funktio-nen) zu zwingen.

Lovejoy deutete darauf hin, dass der Sklavereitypus der lineage slavery alsein marginales Phänomen (marginal feature) zu betrachten ist, wohingegen dieSklavenhaltung in vielen islamisierten Gesellschaften Afrikas dazu tendierte,sich in einen wesentlichen Faktor der wirtschaftlichen Produktion (central insti-tution) zu verwandeln (Lovejoy 1995: 5, 9). Die Sklaven sollten hier nicht mehrprimär als „Nicht-Verwandte“, sondern als „Ungläubige“ identifiziert werden:Das wesentliche Ausgrenzungskriterium wurde nun ausgehend von der religiö-sen Wahrheit, von einer Heiligen Schrift, abgeleitet. Es ist bekannt, dass derAufstieg von Òyó gegen Ende des 17. Jh. nicht zufällig mit der Zeit der europäi-

10 Allein in den ògbóni-Gesellschaften konnten laut Morton-William (1960: 369) auch Frauenpolitisch einflussreiche Positionen innehaben.

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schen Eingriffe in jenem Raum und dem Aufbau des transatlantischen Dreiecks-handels zusammenfiel. Diese Prozesse förderten eine interne Zentralisierung derMacht sowie die Ausbildung von sozialen Differenzen, so dass sich das Phäno-men Sklaverei in der Yoruba-Gesellschaft von einem minor feature in Richtungcentral institution entwickeln sollte. Im Unterschied zu den islamisierten Gesell-schaften stützte sich jedoch der ideologische Rechtfertigungsdiskurs nicht aufein religiöses Dogma, das die Errichtung einer formalen Trennlinie zwischenGut und Böse, zwischen Gläubigen und Ungläubigen ermöglicht, sondern bliebweiterhin den äußerst flexiblen und kontextabhängigen Ein- und Ausgrenzungs-mechanismen des lineage slavery-Modells treu.11

Das Wort erú heißt auf yoruba soviel wie Sklave und bezog sich auf die ver-schiedensten Arten von Abhängigen in der Yoruba-Gesellschaft. Sklaven warennicht nur in den compounds anzutreffen (wahrscheinlich die älteste Sklavenform- siehe auch Agiri 1981: 131), sie wurden für administrative und militärischeFunktionen herangezogen und ab der zweiten Hälfte des 19. Jh. auch auf großflä-chigen Pflanzungen eingesetzt. Jene im Königspalast von Òyó lebenden Sklavenverfügten teilweise über ein beträchtliches soziales Prestige; bei gewissen Anläs-sen konnte es vorkommen, dass sich der Aláàfin von einem seiner drei Eunuchenvertreten ließ.

Neben der Haltung von Sklaven gab es bei den Yoruba eine weitere Formder sozialen Abhängigkeit, die ìwòfà genannt wurde. Oroge (1985: 75) bringtden Ursprung dieser Art von temporärer Versklavung mit dem Entstehen einermonetären Ökonomie in Verbindung. So ein Yoruba ein Anleihen brauchte odereine Schuld zu begleichen hatte, konnte er sich oder einen Verwandten (z. B. ei-nes seiner Kinder) auf Zeit bzw. zur Verrichtung von bestimmten Arbeiten oderDienstleistungen „verpfänden“.12

Das, von außen betrachtet, vielleicht statisch wirkende Yoruba-Sozialgefü-ge war in seinem Inneren von äußerst dynamischen Prozessen geprägt. Eine ge-nauere Analyse macht nämlich deutlich, dass die Positionen innerhalb der sozia-len Pyramide keineswegs fix und unumstößlich waren. Das Erlangen einesEhrentitels war wohl grundsätzlich an die Zugehörigkeit zu einer spezifischen li-neage und an das Senioritätsvorrecht gebunden, und der Titel wurde mit derAusübung einer spezifischen politischen Kompetenz assoziiert. In der Realitätzeigte sich jedoch, dass selbst die politische Bedeutung der jeweiligen Ehrentitel

11 Lovejoy (1981: 24) wies darauf hin, dass formale Akte der Sklaven-Emanzipation, die eineTrennlinie zwischen „Freien“ und „Unfreien“ zu institutionalisieren suchen, nur in jenen Gesell-schaften Afrikas anzutreffen sind, die die Sklaverei ausgehend von Heiligen Schriften (z. B. Islam)rechtfertigen.12 „Verpfändete“ Kinder zogen in der Regel in das Haus des „Gläubigers“, wo sie nicht nurarbeiteten, sondern auch Essen erhielten und mit dem Schutz des Hausherrn rechnen konnten(Agiri 1981: 130, 131). Oroge (1985: 78) dokumentierte, dass wirtschaftliche Krisenzeiten (Man-gel an Nahrung) ärmere Eltern dazu bewegten, ihre Kinder an reichere Familien zu „verpfänden“.

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und somit die interne Titelrangordnung (ranking) oft nicht unumstritten, sondernGegenstand von Disput und Konflikten war. Barber (1981: 727, 728) berichtetdavon, wie in Okùkù ein relativ niederer Titel in einen prestigeträchtigeren(baálè-Titel) „konvertiert“ wurde; Apter (1992: 88) weist darauf hin, dass nichtselten mächtige warchiefs den oba-Titel für sich beanspruchten. Der Erhalt einesTitels allein war demnach keine Garantie für politischen Erfolg. Entscheidenderwar die Fähigkeit, andere Menschen um sich zu scharen und deren Unterstüt-zung für persönliche Interessen zu gewinnen.

Das Phänomen des big man, das laut Barber bei den Yoruba eine lange Tra-dition hat, zeigt, dass Reichtum (Geschenkgaben) und politische Führungsquali-täten (Schutzversprechungen) „formale Kriterien“, wie die Zugehörigkeit zu ei-ner bestimmten lineage oder das Senioritätssprinzip, „relativieren“ konnten.Erfolgreiche Umdeutungen und Redefinitionen von Ehrentiteln, aber auch Hei-rats- und Allianzpolitik, Manipulationen von Genealogien ermöglichten, dassMänner und auch Frauen, die keine „entsprechende“ Abstammung aufzuweisenhatten, sozial hochstehende Funktionen erreichten. Ausgehend von der Errich-tung eines großen compound versuchten die big men, die ihre Macht vornehm-lich auf persönliches Geschick gründeten, eine eigene Deszendenzlinie zu bil-den. Oft gelang es ihnen, Menschen aus kleineren, politisch wenigereinflussreichen Gruppen anzuziehen, wodurch das soziale Gleichgewicht einesViertels oder einer ganzen Stadt ins Wanken geraten konnte.

In vielen Fällen versuchte daher der König, derartige aufstrebende big mendurch die Übergabe eines formalen Titels in das von ihm und dem Ältestenratkontrollierte etablierte Machtgefüge zu integrieren. Nicht immer wurde ein sol-ches Angebot angenommen. Manchmal vertrauten die big men mehr ihrem per-sönlichen Charisma und der direkten Unterstützung aus dem Volk. Die Grundla-ge der Machtausübung des big man erwies sich vielfach als recht fragil. Es warnämlich keine Seltenheit, dass der kometenhafte soziale Aufstieg Neid undMissgunst schürte, so dass die Karriere eines big man oft ebenso rasch zu Endeging, wie sie begonnen hatte. Im Grunde ist es laut Apter (1992: 93) meist garnicht möglich, eine klare Trennlinie zwischen einem „formalen Titelträger“ undeinem big man zu ziehen. Dies hängt damit zusammen, dass die politische Auto-rität in der „traditionellen“ Yoruba-Gesellschaft nicht als ein Attribut eines spe-zifischen Titels galt. Autorität musste vielmehr im sozialen Alltag ständig aufsNeue erkämpft und bestätigt werden.

In diesem dynamischen Machtspiel kam dem gesprochenen Wort eine be-deutende Rolle zu. In der „traditionellen“ Yoruba-Kultur, die keine Schrift kann-te, war das Wachrufen von markanten Ereignissen, genauer gesagt, eine dem je-weiligen sozialen Kontext „angemessene“ Interpretation von bestimmtenhistorischen Geschehnissen eine wesentliche Quelle der Macht. So ist es keinZufall, dass an den Königshöfen „Historiker“ lebten, deren Hauptaufgabe eswar, die offizielle Geschichte wiederzugeben.13 Auch die Macht der babaláwo

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basierte großteils auf dem Hüten und dem „richtigen“ Auslegen von religiösemWissen und Geheimnissen.

Die Yoruba entwickelten ein eigenes literarisches Genre der Rhetorik: Diesog. oríkì unterstreichen die Bedeutung und die Macht, die das Wort in der „tra-ditionellen“ Yoruba-Gesellschaft ausübte. Barber argumentiert, dass die oríkì,die vielfach als praise poetry übersetzt werden, besser als „the key to a subject’sessential nature“ zu verstehen sind (in: Apter 1992: 126). Es gibt oríkì für Tiereund Pflanzen, auch für leblose Dinge. Die am häufigsten verwendeten und litera-risch am besten ausgearbeiteten oríkì beziehen sich aber auf Menschen, Klansund auf die Gottheiten (òrìsà). Die oríkì-Gedichte, deren Stil von geheimnisvol-len mythologischen Anspielungen geprägt ist, rufen jene sich in leblosen Dingenund irdischen oder überirdischen Wesen befindliche verborgene Kraft an undversuchen, diese zu wecken. Ein oríkì fängt also die „essentiellen“ Charakterei-genschaften von etwas ein, um es zu „aktivieren“ und/oder zu beeinflussen. Inso-fern kann das Anrufen und Benennen auch als „wirksam werden lassen“ („in dieTat umsetzen“)14 verstanden werden.

Die oríkì wurden nicht nur in der rituellen Sprache verwendet, sondern auchim alltäglichen politischen Machtspiel eingesetzt. Die Charakterbeschreibungen,die in den oríkì bedeutender Persönlichkeiten besonders hervorgehoben wurden,glichen in vieler Hinsicht jenen moralischen Eigenschaften, die den òrìsà in denmythologischen Legenden zugeschrieben wurden: Diese wurden nicht nur we-gen „ihrer Gutherzigkeit, ihres Großmuts, des Stils und ihrer persönlichen Aus-strahlungskraft“ verehrt. Man lobte gleichzeitig auch ihre „Härte, Unerreichbar-keit, Unnachgiebigkeit und Macht, die es ihnen gestattete, andere zu beleidigenund zu verletzen, ohne dafür zur Rechenschaft gezogen zu werden“ (Barber1981: 729). Die oríkì erfüllten somit in den dynamischen Yoruba-Machtbezie-hungen eine wesentliche Funktion. Sie waren ein fundamentaler Bestandteil je-ner „rhetorischen Technik“, die Barber (1991: 184) self-aggrandisement be-zeichnet. Sie halfen das Image eines big man aufzubauen. Sie konnten einenKönig stützen, ihn aber auch zu Fall bringen. Sie legitimierten und forderten her-aus.

Die in den sozialen Ein- und Ausgrenzungsprozessen vorherrschende Dyna-mik konnte auch ausgehend von kosmologisch-theologischen Yoruba-Konzep-tionen erklärt und gerechtfertigt werden. In der Yoruba-Tradition wurde nämlichdie irdische Welt (ayé) als ein Spiegelbild des òrun, der Welt der Gottheiten,aufgefasst. Für all das, was die menschliche Welt betraf, konnte somit eine „Ent-

13 Je nach Interessenslage des Königs konnten natürlich gewisse historische Ereignisse wegge-lassen oder „erfunden“ werden. „Irrtümer“ der „Historiker“ wurden mit aller Strenge bestraft.Folayan (1975: 94) berichtet, dass in Kétu „Historiker“ exekutiert wurden, falls ihnen in ihrer Pro-fession entscheidende „Fehler“ unterliefen.14 Barber weist darauf hin, dass oríkì in modernen akademischen Texten oftmals mit „Defini-tion“ übersetzt wird (Barber 1991: 12).

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sprechung“ in der göttlichen Sphäre gefunden werden. Das gesellschaftlicheMachtspiel spiegelte gleichsam auch jene Reziprozität wider, die die Beziehungzwischen Individuum und seiner persönlichen Gottheit (òrìsà) prägte. Der Adepterhielt von seinem persönlichen òrìsà nur dann die „magische Kraft“ àse (wört-lich: Ordnung, Macht), wenn er diesem die entsprechenden Speisen darbrachteund alle Gebote und Tabus einhielt.15 In ähnlicher Weise, wie die sakrale Stär-kung vom individuellen Verhältnis zum òrìsà abhing, war der Erfolg im sozialenAlltag an den Aufbau von sozialen Beziehungen mit politisch einflussreichenPersönlichkeiten gebunden.

Die Yoruba-Gottheiten können als Ahnen, Kulturheroen und/oder als Natur-kräfte auftreten. Sie ähneln archetypischen Figuren. Ihre Charaktereigenschaftensind niemals ausschließlich positiv oder negativ. Ihre „Essenz“ offenbart sich inden unzähligen mythologischen Legenden. Diese erzählen von Liebesaffärenund Streitigkeiten zwischen den einzelnen òrìsà. Die Beschreibung von Grau-samkeiten und ungestraften Gewaltakten unterstreichen die Macht der òrìsà,letztlich jene Macht, die von den Adepten in ihnen gesucht wird. Auch die Gott-heiten brechen Tabus, wodurch nicht nur die Welt der òrìsà, sondern auch das ir-dische Leben seine Dynamik erhält. Für jeden Tabubruch gibt es aber auch wie-derum Abhilfe (via Orakelspiel, etc.). Die Mythen enthalten eine große Anzahlan Antworten und Hinweisen für die hilfesuchenden Sterblichen. Immer dann,wenn es im sozialen Alltag Probleme zu erörtern und Vorfälle zu rechtfertigengilt, werden Passagen dieser mythologischen Geschichten in Erinnerung geru-fen, selektiv interpretiert und an die jeweilige Situation angepasst. Insofern kön-nen die Mythen als eine Art Interpretationsbasis verstanden werden, die dieWeltsicht der Yoruba begründet. Sie helfen, die Welt zu erklären und geben An-leitung zum „sozial richtigen Handeln“.

Abgesehen von den alljährlichen öffentlichen Festen konnten die Yoruba ih-ren religiösen Alltag großteils auch ohne Beisein eines ausgebildeten Kultspezia-listen ausüben. Jeder compound verfügte über einen kleinen Hausaltar, wo sichdie Yoruba ihrem persönlichen òrìsà widmen konnten. Peel (1990: 342-345) zogeine Trennlinie zwischen jenen von Frauen dominierten Hauskulten und demIfá-Kult, der von den männlichen babaláwo kontrolliert wurde. Während die Ifá-Orakelsprüche (òpèlè-Ifá-Kette)16 eine ganze Stadtgemeinde oder den gesamtenEinflussbereich eines oba („öffentliche Angelegenheiten“) betreffen konnten,wurde das in den Hauskulten übliche Kauri-Schnecken-Orakel vornehmlich für

15 Die Existenz der òrìsà hing in gewisser Weise von der kultischen Verehrung der Menschenab. Laut Barber (1981: 737) übten die Adepten bei der Bekräftigung der Macht ihrer òrìsà eineebenso aktive Rolle aus, wie es die Anhänger eines big man taten. Barber zitiert den Fall einer Yor-uba-Frau, die die Gottheit Sàngó warnte: sie würde sich einem anderen òrìsà zuwenden oder garzum Christentum übertreten, so er ihr nicht die geforderte Unterstützung gewähre.16 Der Ifá-Kult, dessen Zentrum in Ife lag, war direkt mit der Schöpfergottheit Olódùmarè ver-knüpft, wohingegen die òrìsà auch ohne Bezugnahme auf Olódùmarè verehrt werden konnten.

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individuelle und lokale Anliegen befragt. Hüter der obersten Geheimnisse unddes sakralen Wissens waren die babaláwo, wohingegen in den dezentralisiertenHauskulten oft nur ein partielles Wissen der Yoruba-Kosmologie tradiert wurde.

... in die Neue Welt ...

Es muss wohl nicht eigens hervorgehoben werden, dass die middle passage unddie Zwangsintegration in die Kolonialgesellschaft einen tiefen Einschnitt im Le-ben der Afrikaner/innen und in deren kulturellen Traditionen darstellte. In derNeuen Welt waren sie gezwungen, nicht nur als Sklaven zu arbeiten, sondernmussten auch die Sprache der senhores und zumindest die Grundprinzipien de-ren Religion erlernen. Um ethnischen Regruppierungsprozessen vorzubeugen,wurde bereits auf den Sklavenmärkten in den Ankunftshäfen darauf Wert gelegt,Afrikaner/innen gleichen ethnischen Ursprungs möglichst an verschiedene Skla-venherren zu verkaufen. Die Sklaven stellten - nicht nur auf Grund ihrer unter-schiedlichen ethnischen Herkunftsgebiete - keine homogene „soziale Klasse“dar. Der von extremen körperlichen Anstrengungen geprägte Alltag der Felds-klaven unterschied sich wesentlich von demjenigen der relativ privilegiertenHaussklaven, die im Herrenhaus arbeiteten. Über die größten Bewegungsfreihei-ten verfügten jene in den Städten lebenden negros de ganho (Leihsklaven), dieauch die relativ besten Chancen auf die Erlangung des Sklavenfreibriefs (cartade alforria) hatten. Überspitzt könnte man von der Existenz einer „internen Skla-venhierarchie“ sprechen. Solidarisierungsprozesse sollten auch noch dadurch er-schwert werden, dass gerade jene Tätigkeiten, die die Aufrechterhaltung derMachtposition der Sklavenherren garantierten (die Sklavenaufsicht, der Straf-vollzug sowie das Wiedereinfangen von entlaufenen Sklaven), üblicherweisevon ehemaligen Sklaven ausgeübt wurden (feitor, capitão-do-mato).

Aber auch der Erhalt des Sklavenfreibriefs brachte keine radikale Änderungins Leben des Betroffenen. Die carta de alforria provozierte keinen Bruch mitden dominanten patrimonialen Herrschaftsverhältnissen und war kein Garant fürein „Leben in Freiheit“. In den meisten Sklavenfreibriefen waren einschränken-de Klauseln eingefügt, die u. a. auch die Rückversklavung aus „Gründen der Un-dankbarkeit“ (ingratidão) vorsahen. Im Grunde ließ die brasilianische Sklaven-gesellschaft die Existenz eines „freien Bürgers“ nicht zu. Der liberto kann dahernicht als das soziologische Gegenstück zum Sklaven verstanden werden, son-dern war vielmehr ein möglicher Schritt in Richtung mehr Unabhängigkeit undweniger Ausbeutung innerhalb einer Gesellschaft, die noch nicht die Werte derAufklärung propagierte. Das Leben der Ex-Sklaven war in vieler Hinsicht wei-terhin auf das Wohlwollen und auf die Unterstützung der Ex-Herren angewiesen.Wie in vielen anderen Sklavengesellschaften hing auch in Brasilien der FaktorMacht direkt mit der Manipulation von Abhängigkeitsnetzen, von Schutz- undAusbeutungsverhältnissen, Privilegien, etc. zusammen. Demnach mussten auch

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die Strategien der Sklaven und Ex-Sklaven, die darauf abzielten, innerhalb desSystems eine gewisse soziale Besserstellung (Privilegien) zu erreichen, an dieaufgezwungenen Spielregeln der Machtausübung abgestimmt werden.17

Dennoch ist zu beobachten, dass in Brasilien bis zum heutigen Tag kulturel-le Traditionen überlebten, die eindeutig auf afrikanische Wurzeln zurückzufüh-ren sind. Diese konnten jedoch nicht mehr als zentrales kulturell-religiöses Sy-stem gelebt werden, sondern wurden nun in der kolonialen Welt sozialmarginalisiert. In Anlehnung an das funktionalistische Interpretationsschemavon Lewis (1971: 32-35) könnte man in diesem Zusammenhang auch von derUmwandlung eines „zentralen“ in einen „peripheren Kult“ sprechen. Bereits ausder frühen Kolonialzeit gibt es Berichte über die Abhaltung von „teuflischenKünsten“ und „magischen Praktiken“, die wohl als Frühformen der afro-brasilia-nischen Religionen zu interpretieren sind. Aber erst im 19. Jh., in jenem Mo-ment, als in Salvador da Bahia eine wachsende Zahl von negros de ganho undforros (befreite Sklaven) ihr Leben etwas unabhängiger vom direkten Einflussder ex-senhores gestalten konnten, sollten diese religiösen Traditionen langsamstabilere Strukturen erhalten. Durch den Ankauf von eigenen Grundstücken wur-de ein gewisser sozio-kultureller Freiraum geschaffen, der es gestattete, aus Afri-ka stammende Traditionen neu zu beleben und weiterzuentwickeln.

Zu Beginn des Jahrhunderts war Salvador von einer Periode von sozialenUnruhen und kleineren Aufständen erfasst worden. Rund um die Verbreitung derLehren des Islam sollten Afrikaner/innen und deren Nachkommen versuchen, ih-ren Widerstand zu organisieren. Im Untergrund konnten Moscheen und Koran-schulen errichtet werden. Nach der Niederschlagung der sog. Malê-Revolte(1835) und der brutalen Verfolgung jeglicher muslimischer Tradition18 war je-doch die Zeit der radikalen Auseinandersetzungen vorbei. Die Mehrheit der dun-kelhäutigen Bevölkerung setzte nun immer mehr auf individuellen sozialen Auf-stieg innerhalb der oktroyierten Gesellschaftsordnung.

Mattoso (1990: 150) wies bereits darauf hin, dass die Candomblé-Zeremoni-en ab Mitte des 19. Jh. nicht mehr so versteckt abgehalten wurden. Die relativeÖffnung des Candomblé fiel demnach in die Zeit unmittelbar nach der Zerschla-gung der Malê-Revolte, als im Zuge des Verfalls des Òyó-Reiches vermehrtYoruba-Sklaven nach Salvador gebracht wurden. Zu Ende des 19. Jh. berichtete

17 Natürlich entwickelten die Afrikaner/innen und ihre Nachkommen auch Widerstandsformen,die die kolonialen Herrschaftsstrukturen herauszufordern vermochten. Die quilombos (Wider-standsnester entflohener Sklaven) bildeten eine gewissen Alternative zum Sklavendasein auf denPlantagen, aber auch Rebellionen und Revolten (auch in urbanen Zentren, wie z. B. der Malê-Auf-stand) konnten kurzfristig die Ordnung bedrohen (zu dieser Thematik siehe auch Hofbauer 1995).18 In dieser Zeit wurden auch Deportationen von Aufständigen bzw. von Sympathisanten undVerdächtigen nach Dahomey (heutiges Benin) sowie nach Nigeria veranlasst (siehe auch Reis1986: 274). Der Arzt und Anthropologe N. Rodrigues (1935: 163) dokumentierte ein Dekret ausdem Jahr 1858, das die Verschiffung von malês nach Afrika verfügte.

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N. Rodrigues davon, dass in Bahia die Yoruba-Sprache nicht nur von Afrikaner/innen jener ethnischen Herkunft, sondern auch von in Brasilien geborenen criou-los und mulatos als Umgangssprache verwendet wurde. Eine Abbildung in sei-nem Buch „Os Africanos no Brasil“ zeigt die Außenseite eines Metzgerladens inSalvador aus dem Jahr 1895, auf dessen Eingangstor folgende Yoruba-Inschriftzu lesen war: „Ko si oba kan afi Olorun“,19 was soviel wie „Es gibt keinen ande-ren Herrn [König] außer Gott“ bedeutet (Rodrigues 1977: 166c; 1935: 35).

Die nach dem Scheitern des Malê-Aufstandes einsetzende Yorubanisie-rungstendenz20 unter der dunkelhäutigen Bevölkerung ist meines Erachtens abernicht bloß als eine Konsequenz einer relativen numerischen Überzahl jener eth-nischen Gruppe zu verstehen, sondern hängt auch mit einer bestimmten politi-schen Einstellung zusammen. Die in der mythologischen Ideenwelt der Yorubaverankerte Sichtweise von Macht (àse) – Machtbeziehungen und Machtaus-übung – konnte nicht nur dazu dienen, die Situation der „Schwarzen“ zu inter-pretieren, sondern bot auch eine Anleitung für ein zielgerichtetes soziales Han-deln. Schließlich hing auch in der brasilianischen Gesellschaft eine sozialeBesserstellung vom erfolgreichen Aufbau und Ausnützen von persönlichen Be-ziehungen zu politisch einflussreichen Persönlichkeiten ab. Gleichzeitig darfaber nicht vergessen werden, dass die Candomblé-Gemeinden immer schon soetwas wie Solidaritätsgruppen darstellten, in denen auch Abhilfe für die im All-tag erfahrenen Frustrationen und Diskriminierungen geschaffen werden konnte.

Wichtig ist es auch festzuhalten, dass die im brasilianischen Kontext „re-konstruierte“ Yoruba-Welt einige wesentliche Unterschiede zur „traditionellen“Gesellschaft in Afrika aufweist. So fehlen in Brasilien gerade jene institutionali-sierten Figuren (oba, ìwàrèfà, babaláwo) und sozio-religiösen Organisationen(orò, ògbóni, egúngún21), die in der Yoruba-Gesellschaft moralische und politi-sche Kontrollfunktionen ausübten. Es scheint, dass die Reorganisation der orixá-Religion in der Diaspora primär an die Tradition der Yoruba-Hauskulte anknüpf-te, die bereits in Afrika ein von Frauen dominierter Bereich war. Wie bereitsoben angesprochen, reichte der sozio-religiöse Aktionsradius jener Kulte kaumüber die Grenzen einer Großfamilie oder eines Klans hinaus.

Außerdem führte der Kontakt mit anderen afrikanischen, aber auch mit in-dianischen und europäischen religiösen Vorstellungen in der Neuen Welt dazu,

19 Olorum: anderer – in Brasilien üblicherweise verwendete – Name für die SchöpfergottheitOlódùmarè.20 Für E. Carneiro stellte das nagô[yoruba]-Kulturmodell jene integrative Kraft dar, die die tri-balen Differenzen der „Schwarzen“ im urbanen Kontext überwinden half (Carneiro zit. n. Castro1981: 70). Es scheint also, dass es zu einer Art „Aussöhnung“ mit den Jeje kam (jenen Erzfeindenaus Afrika – Ewe, Fon –, deren kultureller Hintergrund demjenigen der Yoruba ähnelt, die aberdie Malê-Revolte „boykottierten“). Als Resultat dieses Prozesses entstand das, was N. Rodriguesals jeje-nagô-Mythologie – die theologisch-ideologische Grundlage des Candomblé – beschrieb.21 Allein die egungum-Tradition überlebte in Brasilien in Form von einigen wenigen Kultge-meinden, die beinahe alle auf der Insel Itaparica in der Bucht von Salvador beheimatet sind.

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dass sich nicht nur die Yoruba-Tradition weiterentwickeln sollte, sondern auchneue Elemente aufgenommen wurden. Das Integrieren von Gottheiten verfeinde-ter Nachbarn, mit dem Ziel, deren Kraft für sich nutzbar zu machen, ist bereitsaus Afrika bekannt. So sind heute auch im Yoruba-“Pantheon“ des brasiliani-schen Candomblé drei Ewe-Fon-Gottheiten (vodun) anzutreffen (Nanã, Obalu-aê, Oxumarê).22 Derartige Adaptionen und Restrukturierungen sind aber nichtunbedingt Ausdruck einer Inkohärenz des religiösen Systems. Für religiöse Kon-zeptionen, die nicht auf einem dogmatischen Wahrheitsanspruch basieren, keinedichotomische Trennung zwischen Gut und Böse zu etablieren suchen, stellenProzesse wie Parallelisierung mit bzw. Integration von anderen religiösen Vor-stellungen keinen prinzipiellen Widerspruch dar.

Auch das komplexe Phänomen der Synkretisierung von afrikanischen òrìsàmit katholischen Heiligen ist nur im Zusammenhang mit der dynamischenAnwendung jener flexiblen kosmologischen Weltinterpretation an dieLebensverhältnisse in der Neuen Welt zu verstehen. Einerseits konnten sich dieSklaven ihren Gottheiten nur insgeheim zuwenden, immer nur dann, wenn derkatholische Festkalender Zeit dafür gab. Die Festtage der katholischen Heiligen,die im Volkskatholizismus eine Art von Vermittlerrolle zwischen dem oberstenGott und den Menschen ausübten, konnten als Vorwand für die Durchführungvon parallelen afrikanischen Kultpraktiken dienen. Andererseits boten sich diepopulären mythologischen Lebensgeschichten der Heiligen an, von einemYoruba-Standpunkt aus (re)interpretiert zu werden. So ist es nichtverwunderlich, dass z. B. der Hl. Georg, der in den verschiedenenÜberlieferungszweigen entweder als ein zum Christentum bekehrter römischerSoldat, als Drachentöter, oder auch als Schutzherr der Waffenschmiedeerscheint, mit dem afrikanischen Gott des Eisens und des Krieges – Ogum – inVerbindung gebracht wurde.

Anfangs war der Candomblé ein sozialer Raum, in dem vornehmlich Ex-Sklaven und Sklaven anzutreffen waren, wenngleich überliefert ist, dass sich be-reits im 19. Jh. immer wieder hellhäutige Personen, selbst aus der Oberschicht,den Candomblé-Kulthäusern auf der Suche nach Beistand für persönliche Pro-bleme näherten (vgl. Rodrigues 1935: 186). Erst nach Abschaffung der Sklaverei(1888) und Ausrufung der Republik (1889), deren Verfassung alle Bürger undBürgerinnen formal gleichstellte, sahen sich die brasilianischen Gesetzgeber ge-

22 Während man im heutigen West-Afrika hunderte verschiedene òrìsà (viele von ihnen werdenallerdings nur regional verehrt) antreffen kann, und es immer noch zu òrìsà-Neu-Schöpfungenkommt, „überlebte“ in Brasilien nur eine relativ kleine Anzahl der afrikanischen Gottheiten (16sind allgemein bekannt). Interessant ist in diesem Zusammenhang, dass z. B. Oxóssi, der unstete,neugierige und bindungsscheue Jäger in Brasilien weiterhin einer der am weitesten verbreitetenund beliebtesten orixás ist, wohingegen er in Afrika als beinahe „ausgestorben“ gilt. Andererseitskann man feststellen, dass die Agrargottheiten der Yoruba (z. B. Oko) im städtischen Kontext Bra-siliens verschwanden (vgl. Bastide 1985: 97).

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nötigt, einen eigenen Rechtsparagraphen zur Kontrolle der „magischen Prakti-ken“ der Ex-Sklaven zu schaffen. Die Aufnahme von „obskuren Heilpraktiken“und „Hexerei“ in den Strafkodex (1890) bot den Polizeipatrouillen den nötigenrechtlichen Rückhalt, um gewaltsam in die Candomblé-Kultzentren einzudrin-gen und immer wieder sakrale Kultobjekte zu zerstören. Auch die Presse machtenun Stimmung gegen die Candomblé-Rituale, die als Horte lasziver Untriebe an-geprangert und deren Kultanführer/innen als geldgierige Ausbeuter verurteiltwurden. Der Wortlaut des von A. Ramos dokumentierten Zeitungsausschnitts istsymptomatisch für jene aggressive Haltung gegenüber den afro-brasilianischenReligionen:

„(...) Die Sittenpolizei sollte Patrouillen organisieren, um diese Höhlen desVerderbens, die ,candomblé‘ genannt werden, zu überraschen, und alle diejeni-gen festnehmen und prozessieren, die sich dieser Ausbeutungsindustrie der Nai-vität und Ignoranz schwacher Seelen widmen (...)“ (Diário da Bahia, 10. 1.1929; in: Ramos 1988: 108).23

Erst als in den 30er Jahren das Land von einer populistisch-nationalistischenStrömung erfasst wurde, und somit in den Diskursen der Politiker nationaleSymbole und brasilianische kulturelle Eigenheiten einen höheren Stellenwert be-kamen, sollte die offene Repression von staatlicher Seite gegenüber den terrei-ros langsam etwas nachlassen.

Bei diesem langwierigen Entkriminalisierungs-Prozess hatte auch die Wis-senschaft einen nicht unwesentlichen Anteil. In den Jahren 1934 (Recife) und1937 (Salvador) wurden die beiden ersten „Afrikanisch-Brasilianischen Kon-gresse“ veranstaltet, bei denen sich Kulturanthropologen und Candomblé-Wür-denträger gegenübersaßen. Ein deklariertes Ziel dieser Treffen war es auch, Stra-tegien zu entwickeln, die eine größere Akzeptanz des Candomblé innerhalb dergesamtbrasilianischen Gesellschaft erwirken sollten.24 So propagierten die Ver-anstalter des ersten Kongresses den liturgischen Kalender eines „traditionellen“Kultzentrums von Recife nicht nur als Modell für alle anderen terreiros, sondernließen auch der Polizei ein Exemplar dieses als Richtlinie gedachten Kultkalen-ders zukommen. Ausgehend von essentialistischen Kulturkonzeptionen, die ei-nen organischen Zusammenhang zwischen Kultur und Kulturträgern implizier-ten, war man also bemüht, den Candomblé als eine „authentisch afrikanische“

23 Vergleiche auch den folgenden Zeitungsausschnitt: „(...) Die Autorität (Polizeioffizier)bewegte sich zu einem der Räume. Sie wollten ihm den Zutritt verwehren. Hier könnten nur Teil-nehmer und Mitglieder der Sekte eintreten, nachdem sie die stilgerechten Salamaleikums, Gebeteund ihre hexerischen Eigenarten vollführt hätten (...). Die Besucher unterwarfen sich nicht diesenForderungen, und obwohl sie mit Seitenblicken bedacht und als Störenfriede betrachtet wurden,drangen sie weiter in die Zimmer der Götter ein (...). Dort befand sich in wohlig-lächerlicher Poseder Heilige Homolu, der Pockengott und die anderen, wie z. B. der Heilige Johannes und der Hei-lige Georg etc. Auch Oxalá war anwesend in jener Höhle der Perversion und Schändlichkeit, in dereine Atmosphäre des Ekels und der Übelkeit, des Abscheus und des Unbehagens geatmet wurde (ATarde, 20. 8. 1928 zit. n. Ramos 1988: 106).

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Religion zu präsentieren. Während die nação ketu als die „reinste Tradition“ her-vorgehoben wurde, sollten jene als synkretistisch erachteten Tendenzen (z. B.candomblé de caboclo, candomblé de Angola), die gleichsam ein Hindernis fürdie Definition einer „Orthodoxie“ darstellten, eher negativ belastet werden.

Bereits N. Rodrigues, Pionier der afro-brasilianischen Studien, hatte gegenEnde seines Lebens die „Reinheit“ der jeje-nagô-Tradition bewundert und dieBantu-Kulte ziemlich abwertend beurteilt. In der Yoruba-Mythologie glaubteRodrigues eindeutige Tendenzen einer „wahren Religion“ zu erkennen. Die ver-meintliche Opposition zwischen den Gottheiten Obatalá [Oxalá] und Exu deute-te Rodrigues als einen ersten Ansatz zur Einführung eines dualistischen Prinzips,das Gut von Böse trennt (Rodrigues 1977: 244, 246). Auch Carneiro fand für dieBantu-Traditionen wenig schmeichelnde Worte. Die angebliche kulturelle Ar-mut der Rituale fördere den sozialen Missbrauch der Kulte: „Es fehlt ihnen dieKomplexität der afrikanischen nagô-candomblés, d. h. der jeje-nagô. Die außer-gewöhnliche Einfachheit des Rituals ermöglicht die größten Blüten der Scharla-tanerie (...)“, und: „Es sind gerade jene Väter dieser ,Candomblés‘, die am mei-sten zur Demoralisierung des Candomblé beitragen, indem sie sich denHeilpraktiken und der Hexerei als Einkommensquelle hingeben“ (E. Carneiro1981: 70; Carneiro zit. n. Dantas 1988: 187, 188).

In ganz ähnlicher Weise zeichnete auch Bastide eine Opposition zwischendem Candomblé und der Bantu-beeinflussten Macumba (Umbanda). Für ihn warder Candomblé Ausdruck des „religiösen Denkens“, das vom Gesetz des Sym-bolismus und der Analogie geprägt sei. Während Bastide die jeje-nagô-Traditionals ein in sich geschlossenes kohärentes System und damit als eine Form „kultu-rellen Widerstands“ betrachtete, interpretierte er die Umbanda als Ausdruck des„magischen Denkens“, das dem Akkumulationsprinzip unterliege und demnachkulturelle Mischformen provoziere. Für Bastide stellte die Umbanda eine Deka-denzerscheinung25 dar, die der Autor auch mit dem Vordringen der „Weißen“ indie afro-brasilianischen Kultzentren in Zusammenhang brachte: eine Konse-quenz der Urbanisierung und Industrialisierung, die laut Bastide für soziale Des-

24 Ein Punkt im Forderungskatalog des ersten Afrikanisch-Brasilianischen Kongresses (Recife)war es, die Candomblé-Kulte der polizeilichen Kontrolle zu entreißen und sie einem wissenschaft-lichen Organ, nämlich dem Serviço de Higiene Mental de Assistência aos Psicopatas de Pernam-buco, zu unterstellen. Der Hauptverantwortliche für die Organisation des zweiten Kongresses, E.Carneiro, der den Candomblé als „die Religion der Schwarzen und Farbigen Bahias“ betrachtete,setzte sich vehement dafür ein, dass das in der Verfassung des Landes zugesicherte Recht auf freieReligionsausübung nicht nur für die aus Europa und Asien stammenden Glaubensbekenntnisse,sondern auch für den Candomblé Gültigkeit habe (vgl. Braga 1995: 166).25 „Der Candomblé war und wirkt weiterhin als ein Mittel der sozialen Kontrolle, ein Instru-ment der Solidarität und des gesellschaftlichen Zusammenhalts; die Macumba führt zu sozialemParasitismus, zu schamloser Ausbeutung der Leichtgläubigkeit der Unterschichten oder zu einemÜberhandnehmen amoralischer Tendenzen, die von Vergewaltigungen bis zu – nicht selten vor-kommenden – Mordanschlägen gehen können“ (Bastide 1985: 414).

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integration und kulturelle Assimilationsprozesse verantwortlich sind (Bastide1985: 382ff., 410-414).

Die von den Wissenschaftern angestrebte Unterscheidung zwischen „reinerTradition“ und „synkretistischen Mischformen“, zwischen religiöser Praxis undmagischen Kulten, zwischen Priestern und Hexern, sollte aber auch in die afro-brasilianische religiöse Welt eindringen und dort Gehör finden. So erläuterteMãe Menininha do Gantois, warum sie sich weigerte, eine rituelle Handlung(trabalho), die einer anderen Person Schaden zufügen sollte, mit den folgendenWorten: „Wissen Sie, ich bin eine Mutter [religiöses Oberhaupt] eines afrikani-schen Kultes und somit Freundin der Menschen und nicht eine perverse Hexerin.Ich unterhalte Beziehungen mit Gottheiten und nicht mit dem Teufel“ (zit. n.Dantas 1988: 183).

Zu derartigen Aussagen ist allgemein anzumerken, dass bereits seit Anfangdes 20. Jh. ein teilweise inniger Kontakt zwischen den religiösen Führer/innender renommiertesten Kultzentren und den Pionieren der Candomblé-Forschungbestand. Es ist bekannt, dass sowohl N. Rodrigues, A. Ramos (beide: ogãs imGantois) als auch E. Carneiro (ogã im Ilê Axé Opô Afonjá, im Engenho Velhound im terreiro von Pai Procópio) religiöse Funktionen übernahmen (vgl. auchSilva 2000a: 290), die ihnen einerseits einen besseren Zugang zum „Forschungs-objekt“ ermöglichten, andererseits auch soziale und religiöse Verpflichtungengegenüber der jeweiligen Kultgemeinde auferlegten. In einigen Fällen dürfte derAustausch von Erfahrungen und Ideen besonders intensiv gewesen sein. So be-schrieb Carneiro Mãe Aninha als „eine sehr intelligente Frau, die unser Ansin-nen verstand und mitverfolgte, sie las unsere Studien und liebte unsere Arbeit“(zit. n. Dantas 1988: 202). Von Bastide wissen wir, dass einige Kultanführer/in-nen bereits in den 40er Jahren in ihren terreiros ethnologische Schriften über dieafro-brasilianischen Religionen aufbewahrten und in „Zweifelsfällen“ das vonder Wissenschaft bestätigte „Candomblé-Modell“ konsultierten26. Auf dieseWeise konnten und können die mães(pais)-de-santo das von Kulturanthropolo-gInnen erfasste ethnographische Wissen auch zur Stärkung ihrer „magischenKraft“ (sozio-religiöse Macht) nützen, das ja vornehmlich auf persönlichemCharisma und erfolgreichem Umsetzen der Candomblé-Tradition basiert.

26 Teixeira (1999: 135) wies darauf hin, dass ab den 60 bzw. 70er Jahren die wissenschaftlicheLiteratur bezüglich Candomblé von den Adepten vermehrt gelesen wurde. Ab etwa 1980 sollteneinige mães(pais)-de-santo beginnen, selbst Artikel und Bücher zu schreiben, um auf diese Weiseihre Sichtweise der orixá-Religion zu verbreiten. Silva (1999: 151; 2000b: 158-174) zeigte auf,dass das schriftliche Fixieren der Geschichte des eigenen terreiro auch mit dem Bestreben zu tunhat, die Autorität und das Prestige des jeweiligen Kultoberhauptes und seiner Kultgemeinde zubestätigen und aufzuwerten: sowohl was das Verhältnis gegenüber der übrigen Candomblé-Weltbetrifft, aber auch gegenüber der Welt des „verschriftlichten Wissens“ der Candomblé-Forscher/innen.

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Wenngleich also schon in der ersten Hälfte des 20. Jh. erste Ansätze zu einerTendenz festzustellen sind, die heute mit dem Begriff „Reafrikanisierung“ um-schrieben werden, so ist doch ein wesentlicher Unterschied zu den heutigen Be-strebungen auffallend. Die allermeisten Candomblé-Adepten bekannten sich zujener Zeit öffentlich zum Katholizismus und empfanden keinen Widerspruchdarin, christlichen Liturgien beizuwohnen und sich außerdem Candomblé-Ritua-len zu widmen. Selbst Pai Adão, der nach seiner Reise nach Lagos (1906) einKultzentrum in Recife eröffnete, errichtete neben dem peji (Art Altar der orixás)eine kleine Kapelle, in der die populären Figuren der katholischen Heiligen un-tergebracht wurden. Aber auch Martiniano do Bonfim, bekannt als einer der letz-ten babalaôs Brasiliens,27 verstand sich als praktizierender Katholik. Nach seinerRückkehr aus Nigeria führte er rituelle Neuerungen (12 ministros de Xangô), dieer in Afrika kennengelernt hatte, in den Kultalltag des Ilê Axé Opô Afonjá ein,ohne dass dadurch die Präsenz der katholischen Heiligenfiguren am Kultzentrumin Frage gestellt werden sollte (Silva 1999: 153, 154).

Ganz allgemein kann jedoch festgehalten werden, dass die Wirkungskraftdes „traditionellen“ Yoruba-Weltverständnisses und der damit verbundenenMachtkonzeptionen offenbar weder von den ersten „Eingriffen“ der Kulturan-thropologen, noch durch die Einführung von rituellen Neuerungen wesentlichbeeinträchtigt wurden. So beschrieb der Wissenschaftler Prandi (1996a: 191) vorkurzem die in den heutigen terreiros vorherrschenden sozio-religiösen Bezie-hungen weiterhin als „äußerst assymetrisch“ („Im candomblé gibt es keinen Dia-log, es gibt keinen Platz für Argumentation“). Und selbst bedeutende Kultober-häupter wie Mãe Stella betonen, dass der Alltag in der Candomblé-Gemeindeauf dem Prinzip Hierarchie beruht: „Hierarchie ist alles: der Beginn, der Wegund das Ziel. Ohne sie, das Chaos (...) Finsternis, Unverständnis, fehlende Füh-rung, Anarchie“ (Santos 1993: 26).

Im Grunde bestimmt das Prinzip axé – bis heute – nicht nur weitgehend dasrituelle Zusammenleben innerhalb der terreiros, sondern wirkt auch auf die Le-bensgestaltung der Adepten außerhalb der Kultzentren. Das reziproke Gebenund Nehmen bzw. das Unterstützen von starken Kräften, um sich selbst zu stär-ken, charakterisiert nicht nur die Beziehung zwischen Mensch und orixá. In ih-rem Buch „Meu tempo é agora“ erzählt Mãe Stella – nicht ohne Stolz –, dassjene Verordnung (decreto presidencial n°1.202), die die Ausübung des Candom-blé-Rituals legalisieren sollte, auf ein persönliches Treffen zwischen einemfilho-de-santo ihres Kultzentrums (Ilê Axé Opô Afonjá) und dem PräsidentenGetúlio Vargas zurückgeht (Santos, 1993: 13; vgl. auch Serra 1995: 53).

Silveira (1988: 178) weist darauf hin, dass die ersten Candomblé-Kultge-meinden wohl nicht überleben hätten können, wären ihnen nicht politisch ein-

27 Martiniano do Bonfim erlernte das komplexe òpèlè-Ifá-Orakel während eines 11-jährigenAufenthalts in Nigeria. Er starb im Jahr 1943 in Bahia.

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flussreiche Persönlichkeiten zur Seite gestanden. Und der ebenfalls in Salvadorlebende Kulturanthropologe Braga (1995: 99) zitiert einen im Jahr 1936 veröf-fentlichten Zeitungsartikel, in dem ein pai-de-santo damit prahlt, dass es ihm ge-lungen sei, auf die Bitte eines Sekretärs des Gouverneurs mehr als tausend Wäh-lerstimmen für die Wahl des Gemeinderats zu sichern.28

... in Richtung Zukunft

Ausgehend von seinen „traditionellen“ Kultzentren im Nordosten sollte sich derCandomblé langsam über das gesamte nationale Territorium ausbreiten. Wesent-licher Hintergrund dafür waren die internen Migrantenströme, die durch regiona-le soziale Ungleichheiten und unterschiedliche wirtschaftliche Entwicklungenforciert wurden. So lockte die fortschreitende Industrialisierung im Großraumvon São Paulo ab der zweiten Hälfte des 20. Jh. immer mehr nordestinos – unterihnen auch viele Candomblé-Initiierte29 – in den Südosten Brasiliens. Heute fin-det man terreiros de candomblé nicht nur in allen brasilianischen Großstädtenvon der Küste bis tief ins Landesinnere, sondern auch bereits jenseits der Grenze,im benachbarten Uruguay und Argentinien. Zuletzt gelang nicht nur der Sprungüber den Atlantik nach Europa (Gründung der ersten Candomblé-Gemeinden inPortugal, Frankreich, Italien, in der Schweiz), sondern auch der Sprung in denvirtuellen Raum (siehe auch weiter unten).

Im Wandel der Zeit sollte die Frage der „Authentizität“30 neu formuliert undsomit u.a. auch auf die „korrekte“ Verwendung der Kultsprache ausgedehnt wer-den. Seit den 60er Jahren bieten verschiedene brasilianische Universitäten und injüngerer Zeit auch einige private Institute Yoruba-Sprachkurse an, die häufigvon Studenten aus Nigeria geleitet werden.31 Die Beschäftigung mit der Kult-sprache führte in einigen terreiros zu „Richtigstellungen“ von „Gebetsformeln“

28 In seinen jüngsten Studien vertritt Costa Lima die Auffassung, dass die Beziehungen zwi-schen Initiierten (filhas/os-de-santo) und Kultanführer/innen (mães[pais]-de-santo) im wesentli-chen von denselben Prinzipien und Wertvorstellungen geprägt sind, von denen dasZusammenleben der Mehrheit der brasilianischen Familien auch heute noch bestimmt wird:Gehorsam, Unterwürfigkeit auf der einen Seite, Sicherheit und Schutzherrschaft auf der anderenSeite. Der Kulturanthropologe kommt zu dem Schluss, dass sich die „beiden Sozialsysteme“ eherergänzen, als dass sie in einem antagonistischen Verhältnis zueinander stünden (C. Lima 1998: 58,61).29 In São Paulo angekommen, näherten sich viele der Migranten aus dem Nordosten zunächstder Umbanda, da im Südosten zu jener Zeit der Candomblé noch sehr unbekannt war bzw. als ver-pönte, „primitive“ Kultrichtung galt. Als dann – nicht ohne Mithilfe von bedeutenden Kulturan-thropologen (z. B. Bastide) – die „afrikanische Authentizität“ des Candomblé eine religiöse undsoziale Aufwertung erfuhr, lösten sich wiederum viele ehemalige Candomblé-Adepten aus denUmbanda-Zentren und errichteten ihre eigenen Kulthäuser (siehe dazu auch Prandi e Silva 1989und Prandi 1991: 48-74).

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und sakralen, an die orixás gerichteten Gesängen, deren genauer Inhalt von derMehrheit der Adepten nicht mehr verstanden wird.

Die Suche nach den Wurzeln motiviert heute auch immer mehr Candomblé-Adepten, Reisen zu rituellen Kultstätten in Nigeria und Benin zu unternehmen.Einigen gelingt es, aus Afrika einen religiösen Ehrentitel mit nach Hause zu neh-men. Es fällt auf, dass der direkte Kontakt mit Afrika insbesondere von Adeptenaus Südost-Brasilien angestrebt wird. Häufig sind es filhas/os-de-santo aus SãoPaulo, wo sich, wie oben erwähnt, der Candomblé erst Mitte der 60er Jahre, An-fang der 70er Jahre über die Vermittlung von Migranten aus dem Nordosten kon-solidieren konnte. Eine derartige Afrika-Erfahrung stellt eine Möglichkeit dar,beim Versuch religiöses Prestige zu erlangen, die Autorität der terreiros von Ba-hia zu „umgehen“, die auf Grund ihres Alters und der Tradition ein besondershohes Ansehen (axé32) innerhalb der Candomblé-Welt genießen. In Rio de Janei-ro und São Paulo gibt es heute bereits einige Tourismusbüros, die einschlägigeAfrikareise-Arrangements anbieten, wobei den Teilnehmern nach dem Besuchder sakralen Orte ein eigenes Zertifikat ausgestellt wird.33

Eine der „radikalsten“ Candomblé-ReformerInnen von São Paulo ist wohldie hellhäutige Mãe Sandra, die sich vehement für eine strenge Abgrenzung derYoruba-Tradition gegenüber dem Katholizismus einsetzt. Sie prangert synkreti-stische Verquickungen von orixás mit katholischen Heiligen an, fordert die Can-domblé-Initiierten auf, Yoruba zu lernen und tritt für die Wiederbelebung der inBrasilien verlorengegangenen Ifá-Tradition ein: „Wenn man hier [ins Kulthaus]eintritt, ist es aus mit Jesus (...) Wenn du die Traditionen der ,orixás‘ annehmen

30 Als eine der ersten Forscher/innnen zeigte Dantas (1988: 126, 145, 146) anhand ihrer Studienin Laranjeiras (Sergipe) auf, dass die Frage der „afrikanischen Authentizität“ von Seiten der Adep-ten durchaus unterschiedlich aufgefasst werden kann. In den dortigen nagô-terreiro wird die Initia-tion wie in der „klassischen“ Umbanda mit Hilfe eines Taufrituals (batismo) gefeiert, wohingegenBlutopfer und Haarrasur (feitura) nur bei den Initiationsritualen der sog. toré-terreiros vorkom-men, deren Kultpraxis von den Traditionalisten als „synkretistisch“ geringgeschätzt wird. Dazu istzu sagen, dass bei den allermeisten Candomblé-Initiationsfeiern Blut, das – wie in Afrika – als daspotenteste „Transportmittel“ von axé gilt, weiterhin eine zentrale Bedeutung hat (mit Hilfe desBlutes eines Opfertieres wird der persönliche orixá am Kopf des Initianden rituell fixiert).31 Der erste Yoruba-Sprachkurs wurde im „Zentrum für Afro-Orientalische Studien“ der Uni-versität von Salvador (UFBa) im Jahr 1961 eingerichtet.32 Axé ist eine Kraft, die in allen Dingen und Wesen steckt, die zu- und abnehmen kann undübertragbar ist. Im Zentrum der Candomblé-Praxis steht der Versuch, axé zu akkumulieren. Je län-ger ein Mensch initiiert ist, über desto mehr axé kann er verfügen. Je älter ein Kultzentrum ist, jemehr filhas/os-de-santo er beherbergt, desto mehr axé kann er in Zirkulation bringen. Auch ausdiesem Grund werden die traditionsreichen terreiros von Bahia besonders geachtet.33 Auch die abweisende Haltung gegenüber den caboclo-Geister, kann als eine Begleiterschei-nung von Reafrikanisierungsprozessen verstanden werden. Einige wenige Kultgemeinden, die nundie caboclos als Teil einer indianischen Tradition und demnach als „nicht-afrikanisches Kulturele-ment“ betrachten, veranstalten sogar eigene Rituale, um sich von diesen Geistern zu lösen, um sie„wegzuschicken“, um sie ein für alle Mal zu „vertreiben“ (vgl. Prandi e Silva 1989: 238).

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willst, musst du diese Dinge hinter dir zurücklassen; denn die Sakramente34 ha-ben wir hier alle auch (...). Was wir heute brauchen, das sind Gedichte von Ifá,die wir zitieren können, so wie dies die Protestanten tun: Jesus hat das und dasgesagt, Vers Nummer sowieso“ (zit. n. Silva 1995: 239, 254). Unter dem Titel„Zurück nach Afrika“ schrieb Mãe Sandra jüngst selbst einen Beitrag zu einemSammelband („Faces da Tradição Afro-Brasileira“), in dem verschiedene bra-silianische Wissenschafter/innen zu aktuellen Fragen der orixá-Religion Stel-lung nehmen. Auch in diesem Artikel geht es der religiösen Anführerin um dieAffirmation und Fundierung einer soliden eigenständigen theologischen Basisdes Candomblé, die den Adepten sozialen Respekt und religiöse Unabhängigkeitgewähren soll (siehe Medeiros 1999).

Nicht nur in Südost-Brasilien, sondern auch in Bahia sprechen sich heute dieVerfechter der Aufrechterhaltung einer authentischen Tradition grundsätzlich füreine Distanzierung gegenüber dem Katholizismus und für einen Entsynkretisie-rungsprozess aus. Für die bedeutendsten Kultoberhäupter von Bahia liegt jedochdie Quelle der magischen Kraft axé nicht jenseits des Atlantiks. Mãe Stella vomIlê Axé Opô Afonjá, wohl eine der bedeutendsten Führungspersönlichkeiten desCandomblé nach dem Tod von Mãe Menininha, kritisiert daher die „Mode desAfrika-Tourismus“. Auch sie war bereits in Nigeria und in Benin, dennoch hältsie es für Fanatismus, den „wahren Kern“ der Religion in Afrika zu suchen. MãeStella und mit ihr der Großteil der iyalorixás und babalorixás von Bahia verstehtsich selbst als authentische Repräsentantin der orixá-Kultur: „(...) es ist immergut etwas dazuzulernen, aber die Wurzeln sind bei uns selbst; wir sind die Zwei-ge der Wurzeln“ (Vortrag von Mãe Stella, 1987 zit. n. Silva 1995: 278).

Was die Auseinandersetzung mit dem Synkretismus betrifft, sollte diese imJahr 1983, anlässlich der in Salvador stattfindenden „II. Weltkonferenz derOrixá-Kultur-Tradition“35, ihren ersten Höhepunkt erreichen. Fünf der bedeu-tendsten mães-de-santo von Bahia, darunter auch Mãe Stella, unterzeichnetenein Manifest, das die Abkehr von synkretistischen Praktiken forderte. In diesemDokument wird der Synkretismus als eine „Überlebensstrategie“ interpretiert,die in der Sklavenzeit notwendig gewesen, heutzutage jedoch obsolet gewordensei. Mehr noch, es wird kritisiert, dass derartige Vermischungen den eigentlichenCharakter der afrikanischen Religion verfälschen. Das Zurückweisen des Syn-kretismus sei daher unabdingbar, um die während der Sklaverei verlorengegan-gene Würde zurückzuerkämpfen, um Tendenzen der Folklorisierung, kultureller

34 Wie in anderen terreiros gibt es heute im Kultzentrum von Mãe Sandra eigene Zeremonien,die jenen aus der katholischen Religion bekannten Sakramenten (Taufe, Hochzeit, etc.) entspre-chen.35 Das Organisieren von internationalen Kongressen der orixá-Tradition, die seit 1981 in mehroder minder regelmäßigen Abständen an unterschiedlichen Orten (USA, Afrika, Brasilien) veran-staltet werden, stellt auch einen wesentlichen Aspekt der „Internationalisierung“ der Candomblé-Religion dar.

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Entfremdung und Profanierung der orixá-Religion Einhalt zu gebieten (Consorte1999: 88ff.). Der genaue Wortlaut dieses Manifestes kann übrigens auch im Sitedes Ilê Axé Opô Afonjá (http://www.geocities.com/athens/acropolis/1322/page4.html) nachgelesen werden.

Eine im Jahr 1998 von Consorte durchgeführte Studie sollte jedoch aufzei-gen, dass es 15 Jahre nach dieser öffentlichen Proklamation in den terreiros je-ner fünf iyalorixás, mit Ausnahme des Ilê Axé Opô Afonjá,36 zu keinen wesentli-chen Reformen der Kultpraktiken gekommen war. Und selbst Mãe Stella sollteden Widerstand besonders der älteren Adepten ihres Kultzentrums zu spüren be-kommen, die z. B. nicht auf die Messfeiern anlässlich der Totenzeremonie axexêverzichten wollen. Mãe Stella hofft daher heute v.a. auf die jüngere Generation(Consorte 1999: 84). Von Silva (siehe auch Fußnote 25) wurde bereits daraufhingewiesen, dass derartige in der Öffentlichkeit artikulierte Forderungen auchunter dem Aspekt der Bekräftigung des persönlichen Prestiges (=axé) nicht nurgegenüber der übrigen Candomblé-Welt, sondern auch über deren Grenzen hin-aus zu betrachten sind. Es ließe sich ebenfalls argumentieren, dass jene in Formvon Publikationen, Kongressen und Manifesten verbreiteten Reinterpretations-versuche eine Zentralisierung der Kultpraxis darstellen.

In jedem Fall können die oben genannten erste Ansätze zu einer Formalisie-rung der Candomblé-Tradition und Bestrebungen die auf Entsynkretisierung undReafrikanisierung der Candomblé-Rituale abzielen und deren Langzeitwirkungheute noch kaum abzuschätzen sind, wohl auch als Ausdruck von Intellektuali-sierungstendenzen innerhalb des Candomblé gewertet werden.37 Diese beschrän-ken sich heute auf eine noch relativ kleine Zahl unter den brasilianischen Kult-zentren. In umfassenderen vergleichenden Studien zeigt sich daher, dass in derüberwiegenden Mehrheit der terreiros die Kultpraxis weiterhin von einer äußerstflexiblen und dynamischen Auslegung bzw. Anwendung der Yoruba-Kosmolo-gie geprägt ist. In dieser Welt stellen weder Parallelisierungen und Verquickun-gen mit anderen Gottheiten und Glaubensvorstellungen, noch das „Einbeziehen“bzw. Initiieren von Menschen anderer sozialer, ethnischer, „hautfarblicher“ Her-kunft einen prinzipiellen Widerspruch dar.

Zwei Beispiele aus dem Candomblé-Alltag der Metropole São Paulo mögendiese „undogmatische Dynamik“ verdeutlichen. In einem Fall wurde in Erman-gelung einer entsprechenden Grünfläche (auch für den Anbau für Heilkräuter

36 So wurden im Kultzentrum von Mãe Stella die katholischen Heiligenfiguren aus dem bar-racão (Raum für „öffentliche Rituale“) entfernt. Auf die Frage der Kulturanthropologin, was dennmit den Figuren geschehen sei, erklärte das Kultoberhaupt, dass diese ins nicht öffentlich zugängli-che Haus der Meeresgottheit Iemanjá gebracht wurden. Laut Consorte wurde jenes Kulthaus vonder Vorgängerin Mãe Aninha für das „edelste“ gehalten, da es für sie auch als der Sitz der Grunci-Ahnen galt (Consorte 1999: 85).37 Prandi wies bereits auf den Zusammenhang zwischen Reafrikanisierung und Intellektualisie-rung hin (siehe Prandi 1999: 106).

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notwendig) der übliche Heilige Baum in einen abgeschnittenen Stamm verwan-delt, der in einem Hinterhof des Kultzentrums auf einem Betonboden „ge-pflanzt“ wurde. Eine zweite von Silva dokumentierte Episode gibt Auskunft dar-über, wie rituelle, aus der Yoruba-Mythologie abgeleitete Anweisungen an dasGroßstadtleben angepasst werden: Der Orakelspruch eines Kultoberhauptes lau-tete, dass sich die hilfesuchende Frau in einem Wald verirren sollte, um danacham siebenten Baum ihre Opfergabe darzubringen. Jene in der Folge durchge-führte rituelle Handlung beschreibt der Kulturanthropologe folgendermaßen:„Da es für eine Person, die in São Paulo lebt, nur schwer vorstellbar ist, sich ineinem Wald zu verlaufen, halte ich die von der ,mãe-de-santo‘ gefundene Lö-sung für signifikant: die Frau verirrte sich in der Stadt, zählte sieben Elektrizi-tätsmasten und legte ihre Gabe ab“ (Silva 1996: 110, 111).

Die heutige Candomblé-Welt ist also gewiss nicht als ein einheitlicher mo-nolithischer Block zu verstehen, sie ist vielmehr reich an Facetten. Die verschie-denen Candomblé-Interpretationen, die sich nicht nur in Form von unterschiedli-chen nações manifestieren, sondern sich heute auch als mehr oder weniger„synkretistische“ und mehr oder weniger „(re )afrikanisierte“ Kultvarianten prä-sentieren, können einerseits sicherlich auf die dynamischen Yoruba-Weltkon-zeptionen zurückgeführt werden. Sie sind aber andererseits auch als eine Formder Anpassung an Einflüsse von „außen“ bzw. als Antworten auf jene lange kon-fliktreiche Geschichte in der Diaspora und die Veränderungsprozesse in der ge-samtbrasilianischen Gesellschaft zu verstehen.

Der Entkriminalisierungsprozess und die vielfachen Bemühungen um sozia-le Aufwertung der afro-brasilianischen Kulte waren eine wesentliche Vorausset-zung dafür, dass der Candomblé langsam auch in soziale Mittel- und sogar Ober-schichten vordringen konnte. Dieser Prozess brachte in der Folge auch eineVeränderung der „hautfarblichen“ Zusammensetzung der Initiierten mit sich, sodass Prandi zu dem Schluss kommen konnte, dass der Candomblé ab Mitte des20. Jh. (genauer gesagt, ab den 60er Jahren) nicht mehr als eine ethnische Religi-on – als eine „Religion der Schwarzen“ – einzustufen sei (Prandi 1996a: 39, 72;2000: 86). Diese Analyse ist jedoch nicht unbedingt als ein Nachweis einer „De-kadenzerscheinung“ des religiös-kulturellen Phänomens (als Verlust des „kultu-rellen Widerstandspotentials“) zu verstehen, vorausgesetzt man löst sich von je-nen veralterten Kulturinterpretationen, die von einem inhärentenZusammenhang zwischen bestimmten religiösen Glaubensvorstellungen und be-stimmten biologischen („rassischen“ oder „hautfarblichen“) Anlagen ausgingen.

In diesem Zusammenhang ist auch noch darauf hinzuweisen, dass weder derhegemoniale ideologische Diskurs (branqueamento-Ideologie38), der die Ver-sklavung und die Diskriminierung von „Nicht-Weißen“ in Brasilien über Jahr-hunderte rechtfertigte, noch die kosmologisch-theologischen Yoruba-Konzeptio-

38 Zur Frage des Rassismus in Brasilien siehe auch Hofbauer (2000a u. b).

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nen „essentialistische Gruppendefinitionen“ förderten. Jedenfalls gehörenDifferenzierungen (Ein- und Ausschließen) nach Hautfarben- oder „Rassenkrite-rien“ nicht zur „traditionellen“ Yoruba-Weltsicht. So fällt auch auf, dass im Lau-fe der Geschichte von seiten der Candomblé-Welt keinerlei Annäherung an denRassendiskurs der Schwarzen Bewegung gesucht wurde, und dass andererseits –wie bereits oben angesprochen – die Forderung nach dem „Zurück zu den afrika-nischen Wurzeln“ oft von (hellhäutigen) intellektualisierten Kultanführer/innenSüdost-Brasiliens vorgetragen werden (siehe auch Silva 1993: 117, 120).

Der Umstand, dass man unter den Candomblé-Adepten immer mehr Men-schen unterschiedlichster sozialer und ethnischer Herkunft antreffen kann, hängtnatürlich mit historischen Prozessen zusammen, die einerseits den Candombléauch für nicht-dunkelhäutige Mittelschichten interessant machten und anderer-seits den Candomblé zu einer Religion unter vielen werden ließ. Das ungebrem-ste Vordringen der modernen kapitalistischen Produktion v. a. in den Ballungs-gebieten des Landes sollte die Landflucht und die Urbanisierung (heute leben ca.80% der Brasilianer/innen in Städten) rapid vorantreiben und damit natürlichauch die Lebenssituation der Bevölkerung mitverändern. Zumindest bei einigenwenigen Berufsgruppen (Freiberuflern, Angestellten in multinationalen Konzer-nen) ist heute deutlich spürbar, dass die fortschreitenden Rationalisierungs- undBürokratisierungsprozesse am Arbeitsplatz auch auf die individuelle Lebensge-staltung nach Dienstschluss abfärben. Da sich in Brasilien das Projekt der Mo-dernisierung weitgehend auf die wirtschaftliche Produktion (im Grunde auf eini-ge wenige Produktionszweige) beschränkt und bisher nicht erfolgreich auf eineUmgestaltung der Gesellschaftsstruktur – in Richtung einer Verwirklichung dergesellschaftlichen Ideale der französischen Revolution (allgemeine Bürgerrech-te) – ausgedehnt werden konnte, geben die patrimonialen Werte und Machtbe-ziehungen selbst in den Straßen der von Wolkenkratzern beherrschten Metropo-len oft weiterhin den Ton an. Überspitzt und provokant könnte man daherformulieren, dass in Städten wie Rio de Janeiro und São Paulo, aber auch in Sal-vador die Postmoderne, die Moderne und die Vormoderne Seite an Seite leben.

Die sich ständig und immer schneller ändernden Anforderungen der kapita-listischen Produktion bzw. des „globalen Marktes“ verunsichern heute auch inder Neuen Welt mehr und mehr Menschen in ihren Weltauffassungen. Es ist da-her keine Seltenheit mehr, dass gestresste Geschäftsleute oder Intellektuelle, diean den Idealen der westlichen Zivilisation, wie Fortschritt und rational logischesDenken, zu zweifeln beginnen, in der „magischen Welt“ des Candomblé Zu-flucht suchen. Besonders für diese Menschen kann der Candomblé, da er ja gera-de nicht die Einhaltung von strikten unumstößlichen Moralvorschriften fordert,eine ausgleichende Alternative anbieten, die „befreiend“ (Prandi 1996a: 35)wirkt. Sicherlich üben auch die aufwendigen und farbenprächtigen Rituale einebesondere Anziehungskraft auf so manchen neugierigen Außenstehenden aus.39

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Andererseits weiß man aus ethnologischen Erhebungen, dass der Großteilder heute Initiierten wegen andersgearteter persönlicher Probleme den Kontaktmit dem Candomblé suchte. Häufig geht es dabei um individuelle Leidensge-schichten, die mit gesundheitlichen Problemen, Schwierigkeiten am Arbeitsplatzbzw. Geldmangel, aber auch mit schwerwiegenden emotionalen Konflikten bzw.Beziehungsproblemen zu tun haben. Die im übrigen meist sehr kostspielige In-itiation (etwa zwischen 500 und 1.500 US$) und die periodischen „Auffrischun-gen der Initiation“ werden daher von vielen Menschen auch als eine Art vonBürde (auferlegte „Verpflichtung“40) empfunden.

Das Einbinden in die moderne kapitalistische Welt, die dazu tendiert, jegli-che lokale kulturelle Tradition nach kapitalistischen Kriterien zu bemessen undmit kapitalistischen Werten zu belegen, sollte die Candomblé-Welt auch mit mo-dernen Kommunikations- und Vermarktungsmitteln in direkten Kontakt bringen.So können z. B. die sakralen orixá-Gesänge heute in CD-Form käuflich erwor-ben und unabhängig vom rituellen Kontext individuell „konsumiert“ werden.Auch Orakelsprüche werden bereits via TV direkt ins Haus der Kunden geliefertund ein sog. Tele-Ervas-Dienst soll den Ankauf von Heilkräutern erleichtern.41

Außerdem gibt es bereits ein eigenes Afro-Soft-Computer-Programm und natür-lich eine eigene orixá-Szene im Internet. Mehr und mehr mães(pais)-de-santobeginnen die Gelegenheit zu nützen, nicht nur die Geschichte ihres Kultzen-trums, ihren persönlichen religiösen Werdegang und ihre Sichtweise der Can-domblé-Tradition in den virtuellen Raum zu stellen, sondern werben nun auchmit Hilfe des elektronischen Mediums für ihre „rituellen Künste“ (insbesonderefür das Orakelspiel jogo de búzios und für ebó-Opfergaben).

Prandi wies darauf hin, dass sich ganz allgemein bei der Religionsausübungim heutigen Brasilien – also auch in der Candomblé-Welt – der Aspekt derDienstleistung und des Konsums immer mehr in den Vordergrund drängt, dassdas Verhalten der Gläubigen immer mehr demjenigen von Konsumenten ähnle.

39 Prandi zeigte auf, dass die Rituale der brasilianischen Kultzentren im Vergleich zur aktuellennigerianischen Kultwelt sehr viel aufwändiger und kostspieliger sind. Bei gewissen Zeremonienwerden in Brasilien bis zu zehnmal mehr Tiere geopfert als bei ensprechenden Ritualen in Afrika(Prandi 2000: 83). Die Ausprägung dieser „rituellen Hypertrophie“ (Prandi 2000) in Brasilien istwohl auf die besondere Wertschätzung von ästhetischen Aspekten und dem Ringen um persönli-ches Prestige innerhalb der Candomblé-Welt zurückzuführen und kann heute auch – wie Prandiargumentiert – mit dem Kampf um „Anteile“ am modernen „religiösen Markt“ in Zusammenhanggebracht werden.40 Obrigação (wörtlich: Pflicht, Verpflichtung) heißt das Ritual, das eine Art von Wiederauffri-schung der Initiation darstellt. Die obrigações müssen periodisch durchgeführt werden (nacheinem, drei, fünf und sieben Jahren nach der Initiation), wobei die/der filha/o-de-santo mit der Sie-benjahres-obrigação (decá) gleichzeitig die Berechtigung erhält, selbst ein Kulthaus zu eröffnen.41 Bereits seit einiger Zeit hat sich in Brasilien ein eigener Markt für afro-brasilianische Kultob-jekte etabliert. Die teilweise industriell gefertigten orixá-Attribute (Ketten, Embleme, etc.) werdenin tausenden über das ganze Land verstreuten sog. casas de umbanda verkauft.

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Man zahlt und erwartet dafür entsprechende Ergebnisse zu erreichen (Prandi1996b: 65ff.; 2000: 78).42 Das rasche Anwachsen der Pfingstkirchen in Brasilienin den letzten Jahren muss wohl auch im Zusammenhang mit dieser von Prandiangesprochenen Akzentverschiebung im religiösen Verhalten betrachtet wer-den.43 Als wesentliches Anzeichen für die rezenten Transformationsprozesse, diedas kulturelle Phänomen Religion betreffen, nennt Prandi die immer häufigerstattfindenden Religionswechsel. Individuelle pragmatische Motivationen fürderartige „Konversionen“ gelten heute bereits als gesellschaftlich allgemein ak-zeptiert. Laut Prandi wechselt innerhalb eines Jahres einer von zehn bzw. inner-halb von drei Jahren drei von zehn Bewohnern des Großraumes von São Paulodas religiöse Bekenntnis (Prandi 1996b: 68-70).

Die kapitalistische „Lebenswelt“ zieht andere Kulturen und Religionennicht nur in den Bann des Konsumdenkens und des Konsumverhaltens, siedrängt auch deren Geltungsbereich zurück. In der brasilianischen Gesellschaft,die jahrhundertelang vom Katholizismus beherrscht war, der im besten Fall soetwas wie „Parallelreligionen“ zuließ, gelingt es heute keiner Religion mehr,eine allumfassende Weltinterpretation und allgemeingültige Lebensrichtlinienvorzulegen. Laut Prandi verlor die Religion ganz allgemein ihre ursprünglichesozial einigende Kraft. Die einzelnen Religionen bilden demnach „nur noch“von einander getrennte soziale Räume, die so etwas wie „Sinninseln“ darstellenund zueinander in einem Konkurrenzverhältnis stehen. Prandis Interpretationfolgend, wirken die Religionen heute weniger als Quelle einer holistischen Mo-ral, so dass sie sich immer mehr darauf konzentrieren, auf spezifische und indivi-duelle Probleme der „hilfesuchenden Kunden“ zu reagieren (Prandi 1996b: 76,77).

Auch der Candomblé wurde von jenen sozialen Prozessen erfasst, die allge-mein mit dem Modewort „Globalisierung“ in Zusammenhang gebracht und mit

42 Es ist bekannt, dass das Orakelspiel (jogo de búzios: 15 bis 30 US$) sowie die Opfergaben fürExu oder für andere orixás, die das Schicksal der jeweiligen Bittsteller oder auch anderer Men-schen beeinflussen sollen (despacho bzw. ebó: 100, 1.000 oder auch mehr US$) eine nicht unwe-sentliche Einnahmequelle der terreiros darstellen. Das Bezahlen von Ritualen wurde des öfterenvon Kulturanthropologen als Dekadenzerscheinung kritisiert (z. B. von Carneiro). Heute weißman, dass bereits in West-Afrika im 17. Jh. Vorwürfe gegen „ausbeuterische“ Kultspezialisten lautwurden: sie würden zu hohe Kauri-Preise für Rituale verlangen, um sich persönlich zu bereichern(Elwert-Kretschmer 1997: 148, 149). In diesem Zusammenhang sei auch darauf hingewiesen, dasslaut „traditioneller“ Yoruba-Weltsicht der persönliche Erfolg in materiellen Angelegenheiten alsAnzeichen eines besonders starken àse gilt.43 Es ist auffallend, dass das Anwachsen der Pfingstkirchen, die von ihren Gläubigen die Zah-lung des Zehent verlangen, gerade auf den Zustrom von Menschen aus der verarmten UnterschichtBrasiliens zurückzuführen ist. Im Gegensatz zur Orthodoxie der Katholischen Kirche bieten diePfingstkirchen ein sehr verinnerlichtes Erleben des göttlichen Prinzips (über die Vermittlung desHeiligen Geistes) an und versprechen direktere Antworten auf die Bitten der Gläubigen: Die reli-giöse Praxis wird mit der Lösung von persönlichen Problemen (emotionaler, gesundheitlicher, aberauch materieller Natur) direkt in Zusammenhang gebracht.

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Begriffen wie „Fragmentierung“ und „De-“ bzw. „Relokalisation“ umschriebenwerden. In der facettenreichen dynamischen Welt der brasilianischen Großstädtekann daher heute die „Sinninsel“ Candomblé individuell recht unterschiedlichgelebt werden und somit auch einen mehr oder minder hohen Stellenwert im Le-ben jedes einzelnen Menschen einnehmen. Auf die von Prandi (1991: 154;1996a: 35) aufgeworfene Frage, inwieweit der Candomblé als vormoderne(„prä-ethische“) Religion oder eher als postmoderne („post-ethische“) Haltungund Lebenserfahrung einzustufen ist,44 lässt sich daher keine verallgemeinerndeAntwort geben. Klar ist jedoch, dass ein favelado (Slumbewohner) einen grund-sätzlich anderen „Zugang“ zur Candomblé-Welt hat als etwa ein Manager einesmultinationalen Konzerns, selbst wenn sie demselben Kultzentrum angehörensollten.

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Summary

Yoruba slaves introduced the religion of the orishas in Brazil.During a long time, it was condemned by the Catholic Church as superstition andrepressed by the police as immoral practice. Nowadays, an increasing number ofwhites - from intellectuals to stressed executives - are visitors to the terreiros(places where candomblé rituals take place). According to the Brazilian anthro-pologist Prandi, candomblé, from the mid 20th century onwards, should not beconsidered a "religion of blacks" anymore. Prandi refers to candomblé as a "pre-ethical religion" - or even an "a-ethical religion" - for a "post-ethical" society.What happened? To what extent candomblé has really changed in the last centu-ry? This chapter attempts to trace the most important phases of the candomblé,from its beginnings up to the 21st century.