Andries, Paul - Der Vegetarismus Und Die Einwaende Seiner Gegner (1893, 136 S., Text)

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    Der

    Vegetarismus

    unddie Einwnde seiner Gegner

    Von

    Dr. P. Andries

    _____________________Leipzig 1893.

    Verlag von Karl Lentze.

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    Einleitung ..................................................................................................1Ueber den Zweck der Nahrungsmittel und die verschiedenen Artenderselben............................................................................................... 7

    Die Verdauung ........................................................................................ 12Der Eiweissbedarf des Menschen .......................................................... 19Einige allgemeine Betrachtungen, die gegen den Fleischgenuss

    sprechen.............................................................................................. 56Die vom lebenden Tiere stammenden Nahrungsmittel ........................ 70

    Wo ist die wahre Heimat des Menschen? ............................................. 90Die wahre Nahrung des Menschen ...................................................... 102Ueber die Schwierigkeiten und Hindernisse, die sich der Ein- und

    Durchfhrung des Vegetarismus entgegenstellen .......................... 115Einige morphologische Beweise fr die Stellung des Menschen als

    Fruchtesser im Tierreiche ................................................................ 124

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    Vorwort

    Das vorliegende Bchlein verdankt seine Entstehung den vielfach geussertenWnschen zahlreicher Leser der Vegetarischen Rundschau, die in dieser Zeitschrift

    im Laufe der Jahre 1890/91 vom Verfasser verffentlichte Artikelreihe: DerVegetarismus und die Einwnde seiner Gegner in Buchform vereinigt und daherleichter zugnglich gemacht zu sehen. Ein einfaches Aneinanderreihen dieser Artikelwrde jedoch den organischen Zusammenhang des behandelten Stoffes zu wenighaben hervortreten lassen; deshalb schien es notwendig, noch einige ergnzende undzum besseren Verstndnisse wichtiger Punkte erforderliche neue Abschnittezuzufgen.

    Die neu hinzugekommenen Kapitel behandeln: Die verschiedenen Arten derNahrungsmittel und deren Zweck; den Verdauungsprozess; einige allgemeine

    Betrachtungen, die gegen den Fleischgenuss sprechen; die Schwierigkeiten undHindernisse, die sich der Ein- und Durchfhrung des Vegetarismus entgegenstellen;einige morphologische Beweise fr die Stellung des Menschen als Fruchtesser imTierreiche.

    Ausserdem kamen noch viele verschiedene Zustze von zum Teil betrchtlichemUmfange hinzu, die zur Erhhung der Beweiskraft mancher Stze wesentlichbeizutragen schienen, aber entweder noch gar nicht oder zerstreut in derVegetarischen Rundschau verffentlicht waren; sie wurden an passender Stelleeingefgt. Auf diese Weise ist die ursprngliche Artikelreihe auf das Doppelte

    erweitert worden.Da der Verfasser hauptschlich vegetarische Leser im Auge hatte, so versuchte erdurch seine Ausfhrungen dieselben in den Stand zu setzen, ihre vegetarischeLebensweise vor sich und anderen rechtfertigen zu knnen; besonders legte er dasgrsste Gewicht auf die grndliche Widerlegung des von der heutigen Physiologienoch immer behaupteten grossen Eiweissbedarfs des Menschen, weshalb auch derInhalt des Bchleins vorzugsweise die physiologische Seite des Vegetarismusbehandelt. Ausserdem schien es ihm dringend notwendig, in einem besonderenKapitel sowohl die Anhnger des Vegetarismus als auch diejenigen der

    Naturheilkunde, die zum Teil die Vorteile der vegetarischen Lebensweise anerkennen,sich aber gegen die volle Durchfhrung derselben ablehnend verhalten, ber dieFolgen dieser Lebensweise aufzuklren und darzuthun, dass die eintretendenkritischen Erscheinungen Heilkrisen bilden, die zu wirklicher Heilung vorhandenerkrankhafter Zustnde fhren, also eintreten sollen, und somit nicht als Krankheitenaufzufassen sind, die der Organismus sich unntiger Weise zugezogen hat. Geradeinbetreff dieses Punktes herrschen die falschesten Vorstellungen, weil die Menschennicht wissen, wie krank sie sind und welche unendliche Mhe es kostet, krankhafteZustnde vollstndig zu beseitigen.

    Berlin, im September 1892.

    Der Verfasser

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    Einleitung

    Man sagt, die Wahrheit spricht fr sich selbst; sie thut dies auch, aberleider oft in so versteckter Weise, dass es dem Menschen meist sehrschwer wird, sie aufzufinden. Jahrtausende hindurch hat die gesamteMenschheit geglaubt, die Erde nehme den Mittelpunkt des Weltalls ein,und um diese absolut im Raume feststehende Erde drehe sich dieSonne, der Mond, die Planeten und das ganze grosse Heer derFixsterne. Es darf uns also nicht verwundern, dass die altenAstronomen die tgliche Bewegung der Gestirne durch die Annahmeeiner wirklichen Krystallsphre zu erklren suchten, welche in 24

    Stunden sich einmal um ihre Axe drehe. Diese Annahme lag sehr nahe,widersprach auch nicht den damals noch hchst unvollkommenen

    physikalischen Begriffen; sie bedurfte jedoch einer Erweiterung, als dasStudium der Planetenbewegung zu Widersprchen fhrte, die nur durchAnnahme weiterer Krystallsphren (bis zu 8) beseitigt werden konnten.Auf diese Weise entstand ein hchst verwickeltes astronomischesSystem, das trotzdem doch nicht allen beobachteten Erscheinungengerecht zu werden vermochte. Als nun im 16. Jahrhundert Kopernikusden Satz aufstellte, dass die Erde sich um ihre Axe drehe und zugleichum die Sonne bewege, schwanden so zu sagen mit einem Schlage alledie Widersprche, die die alten Astronomen gezwungen hatten, ein soverwickeltes System aufzustellen. Durch die einfache Umkehrung desSatzes von der feststehenden Erde in die sich drehende und im Rumefortschreitende hatte man die Tausende von Jahren hindurch gesuchteWahrheit endlich gefunden. Heute betrachtet es fast jeder als eine

    selbstverstndliche Thatsache, dass die Erde sich um sich selbst und umdie Sonne drehe; aber welche unendliche Mhe hat es gekostet, um denMenschen diese einfache Wahrheit klar zu machen und sie davon zuberzeugen.

    Ganz hnlich verhlt es sich mit der Frage: Welches ist die richtigeNahrung fr den Menschen, reine Pflanzenkost oder Fleischkost,beziehungsweise gemischte Kost ? Seit vielen Jahrtausenden leben nun

    schon die Menschen auf dieser Erde, bewohnen alle Zonen derselben,haben alle die diesen Zonen entsprechenden Produkte des Tier- undPflanzenreichs kennen gelernt und wissen immer noch nicht, auswelchem dieser beiden Reiche sie ihre Nahrung vorzugsweise nehmensollen. Sie stehen in diesem Punkte weit hinter dem Esel und Ochsen

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    zurck, denen ihre Nase mit grsster Bestimmtheit sagt, was sie fressendrfen oder sollen und was nicht. Und doch ist diese Frage von derfundamentalsten Bedeutung fr die gesamte Menschheit, ja man kann

    sagen, es giebt keine Frage und hat nie eine solche gegeben, die nurannhernd von solcher Bedeutung ist, wie die der Ernhrungsweise desMenschen. Denn von der richtigen Ernhrung des Menschen hngtdessen krperliches und geistiges Wohlbefinden, berhaupt dessennormale Existenz nach jeder Richtung hin ausschliesslich ab, wie ausunseren spteren Betrachtungen hervorgehen wird.

    So wie nun schon vor Jahrtausenden es Menschen gegeben hat, die

    erkannten, die Erde msse sich um eine Axe drehen und zugleich umdie Sonne bewegen, wenn man mit den Erscheinungen nicht inWiderspruch geraten wolle, die aber mit ihren Anschauungen nichtdurchzudringen vermochten, so hat es auch schon vor JahrtausendenMenschen gegeben, die erkannten, dass nur reine Pflanzennahrung frden Menschen sich eigene, aber mit ihrer Ansicht ebensowenigdurchzudringen vermochten. Whrend aber die astronomische Fragenun schon seit ber 300 Jahren gelst ist, harrt die Ernhrungsfrage

    noch immer ihrer Lsung, noch fragt sich die Menschheit in Betreffdieses Punktes: Was ist Wahrheit? Vor der Hand ist auch wenigAussicht vorhanden, dass diese Frage einer baldigen Lsung entgegengehe, weil die Entwicklung der auf dieselbe speziell Bezug habendenWissenschaften in einer Richtung erfolgt, die wenig geeignet ist, zudieser Lsung beizutragen. Wegen der eminenten Bedeutung dieserFrage darf es aber gerade der Vegetarier, der schon einen entschiedenen

    Standpunkt in Betreff derselben einnimmt, nicht unterlassen, aufdieselbe immer wieder zurckzukommen.

    Der Vegetarismus lsst sich von den verschiedensten Gesichtspunktenaus begrnden, so von dem philosophischen, religisen, sozialen,historischen Gesichtspunkte aus; aber alle auf Philosophie, Ethik usw.sich sttzenden Beweisfhrungen sind nicht beweiskrftig genug, umunsere Gegner zu berzeugen. Selbst verschiedene der Biologie undPhysiologie entnommene Beweise sind wegen ihrer Unbestimmtheitvon wenig Wert. Wer den Vegetarismus aus dem Zahnbau desMenschen, aus dem Verhltnis der Darmlnge zur Krperlnge undhnlichen Beweisen begrnden will, richtet damit gar nichts aus. Fr

    jeden gesunden Menschenverstand ist freilich der Zahnbau des

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    Menschen ein beweiskrftiges Moment; unsere Gegner sind aberderartig verschroben, dass sie oft gerade den Zahnbau des Menschenals Argument gegen den Vegetarismus in's Feld fhren.

    Wir werden daher in den folgenden Zeilen den Vegetarismushauptschlich vom rein physiologischen Standpunkte aus zu begrndensuchen. Weil nmlich von gegnerischer Seite die in das Gebiet derPhysiologie der Ernhrung fallende Frage des Eiweissbedarfs*1) stets inden Vordergrund gestellt und behauptet wird, dass an dieser derVegetarismus scheitere, so ist es durchaus geboten, diese Frage mit dergrssten Ausfhrlichkeit zu errtern und unsere Gegner mglichst mit

    ihren eigenen Waffen zu schlagen, d. h. sie mit den Resultaten ihrereigenen Experimente zu bekmpfen. Es ist unsere Hauptaufgabe, dieUnhaltbarkeit des wegen seiner unglcklichen Folgen gar nicht genugzu bekmpfenden Satzes von der Notwendigkeit des hohenEiweissgehaltes der menschlichen Nahrung nach jeder Richtung hin zuerweisen. Die Frage des Eiweissbedarfs des Menschen ist das punctumsaliens, der springende Punkt, von dem die einzig wahrewissenschaftliche Begrndung des Vegetarismus abhngt.. Durch

    Mnner wie Liebig, Moleschott und ihre Nachbeter ist der Satz vondem grossen Eiweissbedarf des Menschen und der wichtigen Rolle derEiweisskrper im menschlichen Organismus zu einem Glaubensartikelgeworden, der die ganze wissenschaftliche Welt bis heute vollkommen

    beherrscht. Solange aber dieser Satz allgemeine Geltung behlt, ist einephysiologisch-wissenschaftliche Begrndung der vegetarischenLebensweise sehr schwierig, weil unsere Gegner sich immer und immer

    wieder darauf berufen werden, dass die eiweissreichen pflanzlichenNahrungsmittel (wie die Leguminosen, die brigens ganz berflssigsind) wegen ihrer relativen Schwerverdaulichkeit dem Fleischegegenber zurckstehen mssen und daher der Fleischgenussvorzuziehen sei.

    Manche Leser mgen glauben, die Eiweissfrage sei eine solche reinakademischer Natur, die fr das praktische Leben wenig oder gar keineBedeutung habe. Es giebt aber keinen Irrtum im Menschenleben, dervon verhngnisvolleren Folgen begleitet wre, als der Irrtum inbetreffder richtigen Ernhrung des Menschen. Diese kann nur richtig sein,wenn das Verhltnis der stickstoffhaltigen (der Eiweisskrper) zu den

    1Die Zusammensetzung der Eiweisskrper werden wir bald in Krze besprechen.

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    stickstofffreien Krpern in der Nahrung richtig festgestellt ist oder dochnicht allzusehr von der Wahrheit abweicht. Wrden die Menschennaturgemss leben, so wre freilich die Frage nach diesem Verhltnisse

    ziemlich oder ganz berflssig, da bei einer reinen und naturgemsszusammengestellten Pflanzenkost dasselbe sich von selbst ergebenwrde, ohne dass wir uns den Kopf darber weiter zu zerbrechen

    brauchten. Da die Menschheit aber in ihrer Gesamtheit eben nichtnaturgemss lebt, so mssen wir nachzuweisen suchen, worin derFehler besteht, den sie hinsichtlich ihrer Ernhrung begeht und dassgerade dieser Fehler hauptschlich auf diesem unrichtigen Verhltnisse

    der stickstoffhaltigen zu den stickstofffreien Bestandteilen der Nahrungberuht.

    Wird nmlich dem Organismus in der tglichen Nahrung zu vielEiweiss (wobei das Uebermass des tierischen Eiweisses noch vielschlimmer wirkt als das des pflanzlichen) zugefhrt, so wird derselbeallmhlich berreich an stickstoffhaltigen Bestandteilen. Dienotwendige und regelmssige Ausscheidung dieser Bestandteile erfolgtzum weitaus grssten Teile durch die Nieren, also durch den Harn in

    Form von Harnstoff. Das Ausscheidungsvermgen der Nieren aber istan eine bestimmte Grenze gebunden; wird diesen durch eine allzureichliche Zufuhr von Eiweisskrpern in der Nahrung zu vielzugemutet, wird also die Funktionskraft derselben dauernd inbermssiger Weise in Anspruch genommen (wie dies bei jedemFleischesser der Fall ist), so werden sie dadurch gereizt und allmhlichimmer mehr entzndet, was schliesslich zur Folge hat, dass sie den

    Dienst fast ganz versagen. Dadurch wird die Sache aber noch vielschlimmer. Der im Uebermasse in der eiweissreichen Nahrungzugefhrte Stickstoff wird nun erst recht in ungengender Mengeausgeschieden, er muss sich daher in Form von harnsauren Salzen usw.an der einen oder anderen Stelle des Krpers ablagern, berhaupt dasganze Krpergewebe durchtrnken und vergiften (Selbstgifte). Aufdiese Weise entstehen nun Gicht, Podagra, Blasengries, Hmorrhoiden,Ausschlag, Auswurf, Abscesse usw.; ausserdem wird durch diese

    allmhlich sich berall massenhaft ablagernden stickstoffhaltigenAtomkomplexe der Grund gelegt zu einem ganzen Heere vonfieberartigen Krankheiten (Typhus, Lungenentzndung usw.), da dasBlut und das Gewebe in einen ghrungsartigen, zu fieberhaftenErkrankungen neigenden Zustand versetzt sind. Wir sehen deshalb auch

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    gerade bei krftig lebenden Menschen so hufig Nieren- undLebererkrankungen und in deren Gefolge die heftigstenFiebererscheinungen auftreten.

    Man kann khn behaupten, dass 80-90% aller Krankheiten durch zureichliche eiweisshaltige Kost hervorgerufen werden, dass insbesonderealle fieberhafte Krankheitserscheinungen die fast unmittelbare Folgedes viel zu hohen Stickstoffbestandes im Organismus sind. Daraus folgtaber sofort, wie unendlich wichtig fr den Menschen die Eiweissfrageist, da von deren richtiger Lsung sein ganzes krperliches undgeistiges Wohlbefinden abhngt. Auch der Vegetarier glaube nur ja

    nicht, dass er durch seine vegetarische Lebensweise aller Gefahr einerdurch allzu eiweissreiche Nahrung bedingten Stickstoff-berschwemmung berhoben sei; denn wenn auch die Folgen des allzureichlichen Genusses von Pflanzeneiweiss bei weitem nicht so schlimmsind, wie die des Genusses von tierischem Eiweiss, so machen sie sichdoch frher oder spter geltend. Ueberhaupt ist der Stickstoff dasjenigeder Elemente, welches des Menschen grsster Feind genannt werdenmuss. Die zahlreichen Stoffe explosiver Natur, wie Schiesspulver,

    Dynamit, Schiessbaumwolle usw., die dem Menschen so oft Tod undVerderben bringen, ferner das ganze Heer von Giften und giftigenVerbindungen aus dem Pflanzen- und Tierreiche, sie alle enthaltenStickstoff und verdanken ihren explosiven und toxischen Charakterdiesem Element. Aber nicht genug damit, dass der Stickstoff denMenschen von allen Seiten von aussen bedroht, er bringt das grssteVerderben ber die Menschheit dadurch zustande, dass er in der Form

    von tierischem Eiweiss dem menschlichen Organismus einverleibt,denselben allmhlich total vergiftet. Der heutige Mensch stirbt nicht, erttet sich selbst (in der Form einer Stickstoffvergiftung). Selbst in derPflanzenwelt wirkt ein geringes Uebermass von stickstoffhaltigenVerbindungen sofort schdlich; es hat sich gezeigt, dass Dngemittel,die nur ein wenig zu reich an Stickstoffverbindungen sind, schdlichauf die Ernte wirken; die Pflanzen krnkeln, sterben ab oder bringennur geringe Ertrge. Die falsche Dngerlehre von dem Stickstoffbedarf

    der Feldfrchte hat schon grosses Unheil angestiftet; man begehthinsichtlich der Ernhrung der Pflanzen genau denselben Irrtum, denman hinsichtlich der Ernhrung des Menschen begeht. Mittels derHensel'schen Steinmehldngung sind schon jahrelang die schnsten

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    und gesundesten Ernten erzielt worden, ohne alle Zugabe vonstickstoffhaltigen Bestandteilen.

    Nach diesen Errterungen wird der Leser es wohl begreiflich finden,

    wenn in den folgenden Zeilen auf die Ermittlung des wahrenEiweissbedarfes des Menschen das grsste Gewicht gelegt, und dieLsung dieses Problems mit allen uns zu Gebote stehenden Mitteln zuerreichen gesucht wird.

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    Ueber den Zweck der Nahrungsmittel und die verschiedenen Arten

    derselben.

    Die Nahrungsmittel haben im Wesentlichen zwei verschiedeneHauptaufgaben zu lsen, die den Ernhrungsvorgang bilden. Die eineAufgabe besteht im Aufbau des Krpers und in der Erhaltungdesselben, die andere in der Zufuhr der zur Unterhaltung derKraftproduktionen des Gesamtkrpers, bezw. seiner einzelnen Organenotwendigen Spannkrfte, d. h. in der Erzeugung von Wrme,Elektrizitt, mechanischer Arbeit.

    Diesen beiden Hauptaufgaben entsprechend, kann man nun dieNhrstoffe einteilen in:1) organbildende, stickstoffhaltige (plastische oder gewebebildende)

    und in2) wrmebildende, stickstofffreie (respiratorische) Nahrungsmittel.Zur ersten Hauptgruppe, den plastischen Nhrstoffen, gehrenausschliesslich die sogen. Eiweisskrper in Verbindung mit den

    Nhrsalzen oder mineralischen Stoffen, zur zweiten, den

    respiratorischen, vorzugsweise die Fette und die Kohlehydrate. DieEiweisskrper heissen auch Gewebsbildner, weil ohne sie kein Gewebeim menschlichen Organismus sich bilden kann; aber sie knnen auchWrmeerzeuger genannt werden, insofern bei ihrer Zerlegung neueKrper entstehen, die neue Verbindungen eingehen, wobei teilweiseWrme erzeugt, teilweise absorbiert wird. Da jede Hauptgruppe wiederin zwei Gruppen zerfllt, so kann man sagen, dass alle Stoffe, die als

    Nahrung dienen, unter eine dieser vier Rubriken sich bringen lassen.Diese vier Rubriken sind demnach: die Eiweisskrper, die Nhrsalzeoder mineralischen Stoffe, die Fette und die Kohlehydrate.

    Betrachten wir nun kurz die chemische Zusammensetzung dieser 4Rubriken von Nahrungsmitteln, um uns ein wenigstens einigermassenklares Bild von ihrer Beschaffenheit und der Art ihrer Wirksamkeitmachen zu knnen.Eiweisskrper oder Protensubstanzen (Albuminoide) werden

    eigentmliche Verbindungen genannt, die den wesentlichstenBestandteil des Tierkrpers bilden und ebenso in den Pflanzen,namentlich in deren Samen enthalten sind. Ihre Konstitution liegt nochsehr im Dunkeln; da sie weder flchtig, noch krystallisierbar sind undVerbindungen in bestimmten Verhltnissen nur schwer eingehen, so ist

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    ihre Untersuchung mit grossen Schwierigkeiten verknpft. Man weissnur, dass sie alle Kohlenstoff (52 bis 54%), Wasserstoff (gegen 7%),Stickstoff (13 bis 16%), Sauerstoff (21 bis 26%) und Schwefel l bis

    1,6%) enthalten. Sie verbreiten beim Erhitzen den Geruch brennenderHaare oder Federn und hinterlassen eine Asche, deren hauptschlichsterBestandteil Calciumphosphat ist. In freier Luft und feuchtem Zustandegehen sie rasch in Fulnis ber und entwickeln dabei Ammoniak,Ammoniumsulfid, Kohlensure, flchtige fette -Suren, Amine oderStickstoffbasen usw.Es giebt zahlreiche Arten von Eiweisskrpem; die fr uns wesentlich

    inbetracht kommenden sind das Albumin, Fibrin, Myosin und Casen,die alle im Tierkrper vorkommen. Die Eiweisskrper desPflanzenreichs besitzen grosse Aehnlichkeit mit denen des Tierkrpers,ohne jedoch vollkommen identisch mit ihnen zu sein. Kleber kommt inallen Getreidearten vor und setzt sich aus zwei verschiedenen Stoffenzusammen, welche Pflanzenleim und Pflanzenfibrin genannt werden.Pflanzenalbumin kommt in den meisten Pflanzen in Lsung vor undscheidet sich beim Kochen aus. Pflanzencasen oder Legumin tritt

    hauptschlich in dem Samen der Hlsenfrchte auf. Es drfteberflssig sein, auf die chemische Zusammensetzung aller dieserArten von Eiweisskrpem nher einzugehen, da sie sich sehr wenig voneinander unterscheiden und ihre Konstitution noch sehr dunkel ist.

    Die Nhrsalze, die beim Aufbau des tierischen Krpers hauptschlichin Betracht kommen, sind die Kalk-, Natron-, Kali-, Magnesia- undEisensalze, die durch Verbindung von Kalk, Natron usw. mit

    Phosphorsure, Kohlensure, Schwefelsure, Kieselsure usw.entstehen. Besonders Eisen, Phosphor und Kalk spielen eine wichtigeRolle im tierischen Organismus. Obwohl nun das Eisen z. B. in fastallen Gewebsarten vorkommt, darf man doch nicht glauben, dassdasselbe in grossen Massen in ihnen vorhanden sei. Das Blut ist

    bekanntlich reich an Eisen, und doch kommen auf 1000 gr. Blut beimMenschen nur 0,56 gr. Eisen, beim Rinde 0,51 gr.; dasselbe gilt vonden meisten anderen mineralischen Bestandteilen. So wichtig und

    unentbehrlich nun auch diese Salze fr den Aufbau des Organismussind, so ist demnach doch ihre Gesamtmasse im Vergleich zumGesamtgewicht des Krpers verhltnismssig klein; nur phosphorsaurerund kohlensaurer Kalk machen hiervon eine Ausnahme, insofern dieKnochenmasse des Krpers ziemlich betrchtlich ist.

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    Alle diese mineralischen Stoffe kommen in den Pflanzen und in ihrenSamen vor. Durch den Genuss von Pflanzenkost sind wir alsoimstande, den Bedarf an mineralischen Stoffen vollstndig zu decken,

    wenn wir nicht in zu einseitiger Weise nur von dem einen oder anderenpflanzlichen Nahrungsmittel leben. Die eine Pflanze, bezw. ihr Samenenthlt mehr von den einen die andere mehr von den anderen

    Nhrsalzen, und durch passende Kombination dieser pflanzlichenNahrungsmittel knnen wir unseren Bedarf an diesen Salzen mehr wiehinreichend decken. Die Natur hat eben alles vorgesehen, und wir

    brauchen bei reiner Pflanzenkost viel weniger ngstlich uns nach der

    Deckung unseres Nhrsalzbedarfes umzusehen, als bei vorwiegendemFleischgenusse, wie wir spter sehen werden. Dadurch, dass wir demOrganismus tglich eine gewisse Menge von Eiweiss, Fett undKohlehydrate zuzufhren gezwungen sind, fhren wir ihm auch zugleicher Zeit die ntigen Nhrsalze zu, da diese letzteren stets inVerbindung mit den ersteren in den Pflanzen und ihren Samenauftreten. Nur in dem Falle, wo jemand seinen Nahrungsbedarf durchknstlich hergestelltes reines Eiweiss, reines Fett und reine

    Kohlehydrate, wie Zucker und Strkemehl, decken wollte, wrde erauch seinen Nhrsalzbedarf besonders decken mssen. Dieser Fallkommt aber in praxi kaum vor. Es blieben noch Wasser und Luft zuerwhnen als zwei zu dieser Gruppe der mineralischen Bestandteilegehrige Krper. Doch wollen wir nicht nher auf sie eingehen, trotzihrer hohen Bedeutung fr die tierische Existenz, da die meisten Leserwohl diese Bedeutung zu wrdigen wissen.

    Die Fette (Tier- und Pflanzenfette) bestehen zum grssten Teile ausGlyzerinthern (Monacetin, Diacetin, Triacetin, dicke ligeFlssigkeiten), aus der Palmitin-, Stearin- und Oelsure. Die reinen,natrlichen Fette enthalten nur Kohlenstoff, Wasserstoff undSauerstoff; sie sind ein Gemisch einfacher Fette. Der Sauerstoff ist inden Fetten in relativ geringer Menge enthalten und darauf beruht ihrhoher physiologischer Wert; es kann sich eben deshalb beimVerbrennen um so mehr Sauerstoff mit ihnen verbinden, wodurch mehr

    Wrme, also mehr Spannkraft entwickelt wird. Die im tierischenKrper vorkommenden Fette knnen dreifachen Ursprungs sein; sieknnen

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    1) direkt von den in der Nahrung enthalten gewesenen, fertiggebildeten Fetten herrhren;

    2) aus den in Fett umgewandelten Kohlehydraten stammen;

    3) aus der Zerlegung der Eiweisskrper der Nahrung entstehen.Obwohl also der Organismus aus den unter 2) und 3) genanntenQuellen seinen Fettbedarf decken kann, scheint es doch zweckmssig,ihm direkt in der Nahrung etwas Fett zuzufhren, was durch denGenuss der zahlreichen Nussarten sich leicht erreichen lsst. Die Fettewerden bei starker Arbeitsleistung oder bei fieberhaften Zustnden desKrpers rasch aufgezehrt; sie verwandeln sich dabei nach einer Reihe

    von Zwischenstufen, deren Natur wir noch nicht genauer kennen, inKohlensure und Wasser und entwickeln eine reichliche Wrmemenge,die der Organismus als Spannkraft verwendet.

    Die Kohlehydrate bilden eine Gruppe von Verbindungen, welcheebenso wie die Fette, aus Kohlenstoff, Wasserstoff und Sauerstoff

    bestellen. Diese beiden letzteren Elemente sind in ihnen in demselbenVerhltnisse enthalten, wie im Wasser (also auf 2 Atome Wasserstoffein Atom Sauerstoff). Kohlehydrate sind im Pflanzenreiche allgemein

    verbreitet und bilden fr Menschen und Tiere hochwichtigeNahrungsmittel. Man kann sie in 3 Gruppen einteilen:

    Erste Gruppe Zweite Gruppe Dritte Gruppe

    C12 H22 O11 O6 H12 O8 C6 H10 O5Rohrzucker oder Saccharose,

    Milchzucker oder Laktose,

    Melitose Maltose etc.

    Traubenzucker oder Dextrose,

    Fruchtzucker oder Lvulose,

    Galaktose etc.

    Strkemehl

    Glykogen

    Dextrin

    Gummiarten

    Cellulose etc.

    Die Krper der dritten Gruppe werden im tierischen Organismus inZucker verwandelt, der durch seine Oxydation die Quelle derMuskelkraft bildet. Die Kohlehydrate, welche am Organaufbau nur

    wenig beteiligt sind, entwickeln also neben den Fetten die grssteSumme von verwendbaren Spannkrften; sie sind daher vorzugsweiseals die Kraft und Wrme erzeugenden Nahrungsstoffe zu betrachten.Da sie, wie die Fette, nur aus Kohlenstoff, Wasserstoff und Sauerstoff

    bestehen, also keinen Stickstoff enthalten, so werden sie im Gegensatze

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    zu den stickstoffhaltigen Eiweisskrpern, deren eigentliche Aufgabenur im Aufbau und in der Erhaltung des Krpers (in Verbindung mitden Nhrsalzen) besteht, auch stickstofffreie Nahrungsstoffe genannt.

    Mit Rcksicht auf den Zweck, den die verschiedenen Nahrungsstoffehaben, knnen wir also zwei Hauptgruppen von Nahrungsmittelnunterscheiden:Zur ersten Gruppe gehren alle diejenigen, welche sicham Organaufbau und am Ersatz der allmhlich sich abnutzenden

    Organe wesentlich beteiligen; es sind dies also die Eiweisskrper unddie Nhrsalze. Zur zweiten Gruppe gehren alle diejenigen Stoffe, in

    welchen Spannkrfte gebunden sind, die der Organismus durch

    chemische Prozesse frei machen kann; es sind dies die Fette undKohlehydrate, also die stickstofffreien Nahrungsstoffe. BeimFreimachen der Spannkrfte spielt der Sauerstoff die Hauptrolle, indemer, durch die Lungenblschen mit dem Blute in Berhrung tretend,durch Oxydation Wrme und Spannkraft erzeugt.

    Die Eiweissstoffe eignet sich der tierische Krper auf dem Wege derVerdauung aus dem Pflanzenreiche an; sie sind die hchsten Produktedes vegetativen Lebens der Pflanzen und bilden die Vorstufe destierischen Protoplasmas, jenes belebten Stoffes, an welchen dastierische Leben direkt geknpft ist. Die Eiweisskrper der Pflanzenerreichen also durch den Lebensprozess die hchste Stufe derEntwicklung. Haben sie diese erreicht, so beginnt aber auch schon ihrerckschreitende Umwandlung, ihre chemische Zerlegung und Spaltung;diese fhrt zu Zersetzungsprodukten, welche aus dem Krperausgeschieden werden mssen, nachdem sie noch ihren grsseren oder

    kleineren Betrag von Spannkraft in Form von Wrme zur Leistung voninnerer oder usserer Arbeit abgegeben haben. Doch ist dieser Betragklein zu nennen im Vergleiche mit jenem, welchen die Nahrungsstoffeder zweiten Hauptgruppe, die Fette und Kohlehydrate, im tierischenLebensprozess zu entwickeln berufen sind.

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    Die Verdauung

    Nach den vorstehenden kurzen Errterungen ber den Zweck derNahrungsmittel und ihre verschiedenen Arten wollen wir nun auchnoch den Verdauungsvorgang kurz berhren; nher auf die mit derVerdauung verknpften, zum grssten Teile noch dunklen Vorgngeeinzugehen, liegt nicht im Zwecke dieses Bchleins.

    Der ganze Verdauungsapparat ist als ein Kanal oder Schlauchaufzufassen, der mit der Mundffnung beginnt und mit dem Afterendet. Seine Lnge betrgt etwa das Sechsfache der Krperlnge.Zweck der Verdauung ist die Bereitung neuen Blutes. Die Verdauung

    beginnt schon im Munde, sobald whrend des Kauens der Speisen dieSpeicheldrsen eine dnne, wsserige Flssigkeit abzusondern

    beginnen, die einen Stoff, Ptyalin genannt, enthlt, der imstande ist,Strke in Traubenzucker umzuwandeln. Daraus geht sofort dieWichtigkeit des guten Kauens und der damit verbundenenEinspeichelung jedes Bissens hervor. Der so vollstndig zerkleinerteund eingespeichelte Bissen gelangt nun mittels einer Schlingbewegung

    durch die Speiserhre in den Magen, jene grsste unter dem Zwerchfellin der Bauchhhle liegende Erweiterung des Verdauungskanals. Durchden Mageninhalt werden die Drsen der Magenwnde zu reichlicherAbsonderung des Magensaftes angeregt. Derselbe, fast wasserhell,enthlt neben einer nur geringen Menge freier Salzsure eineneigentmlichen organischen Stoff, Pepsin genannt; derselbe besitzt diewichtige Eigenschaft, Eiweisskrper aufzulsen. Die auf diese Weiseentstandene Lsung eines Eiweisskrpers nennt man Pepton; Peptone

    haben fast stets dieselben Eigenschaften, von welcher Art vonEiweisskrpern sie herrhren mgen. Von letzteren unterscheiden siesich wesentlich durch ihre ausserordentliche Lslichkeit und dieFhigkeit, durch die Poren tierischer Membranen zu dringen. Vermgeihrer Diffusionsfhigkeit, die eine grosse Rolle bei der Aufsaugungoder Resorption der Nahrung im Darmkanale spielt, knnen sie durchdie dnnen Wnde der Schleimhute und der Chylusgefsse dringen

    und resorbiert werden. Genau dasselbe gilt von dem Zucker gegenberder Strke. Zucker ist leicht lslich und diffundirbar, whrend Strkeim Wasser nur aufquillt und nicht durch die Poren von Membranengeht. Daher wird die Strke erst durch ihre Umwandlung in Zuckerresorptionsfhig. Der Magensaft bt keine Wirkung auf Fett aus,

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    ebenso auch nicht auf Strke. Er lst wohl die tierischen oderpflanzlichen Gewebe, in welche das Fett eingebettet ist, auf und machtes frei, verndert es aber sonst nicht. Durch zu saure Reaktion des

    Magensaftes wird die oben hervorgehobene Wirkung des Ptyalins, dieUmwandlung der Strke in Zucker, gehemmt. Der Magensaft soll alsonicht zu sauer reagieren, was indessen bei den entschiedenenFleischessern der Fall ist; deshalb pflegen auch diese im allgemeinendie Strkemehl- und zuckerhaltigen Nahrungsmittel nicht zu lieben.

    Neben der eben kurz geschilderten chemischen Thtigkeit des Magensist nun auch noch seine mechanische Thtigkeit hervorzuheben. Sobald

    Speisen in den Magen gelangen, ben sie einen Reiz auf die Nervendesselben aus, die nun die Muskeln der Wnde zu einer wurmfrmigenBewegung anregen; dadurch wird der Mageninhalt bestndigumhergerollt und innig mit dem Magensafte vermischt. Auf dieseWeise erhlt derselbe eine breiartige Konsistenz und wird nunSpeisebrei oder Chymus genannt. Ein Teil dieser Flssigkeit, soweit sieaus Peptonen und Zucker besteht, wird sogleich aufgesogen; sie trittdurch die zahlreichen Magengefsse in den Blutstrom ber, welcher

    durch die Magenvenen zur Pfortader strmt. Der brige Teil wandertdurch den Pfrtner in den Zwlffingerdarm oder das Duodenum,nachdem er 2-6 Stunden im Magen verweilt hat. Im Duodenum beginntnun die Darmverdauung, die eine Portsetzung der Magenverdauung ist.Mit letzterer ist also das Verdauungsgeschft noch lange nicht beendigt,sondern es beginnt erst jetzt der wichtigste Teil desselben.

    Der Darmkanal zerfllt in 2 Hauptabteilungen, den Dnndarm und den

    Dickdarm; letzterer hat einen weit grsseren Durchmesser, als ersterer,was den Gegensatz in der Bezeichnung beider begrndet. DenDnndarm teilt man weiter ein in das Duodenum oderZwlffingerdarm, das Jejunum oder Leerdarm und das Ileum oderKrummdarm. Eine natrliche Grenzlinie zwischen diesen Abteilungengiebt es indessen nicht. Das Duodenum schliesst sich unmittelbar anden Magen an; es ist gekrmmt und in Form einer Schlinge an dieRckwand der Bauchhhle befestigt. In dieser Schlinge steckt der Kopf

    der Bauchspeicheldrse. Da das Ileum oder der Krummdarm nichtbreiter ist, als das Jejunum und Duodenum, so erfolgt der Uebergangaus dem Dnndarme zum Dickdarme pltzlich. Die Uebergangsstelle,also die Oeffnung des Dnndarms in den Dickdarm, ist mithervorstehenden Lippen oder Klappen versehen, welche in den

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    letzteren hineinragen und dadurch den Uebergang von Stoffen ausdiesem in den Dnndarm unmglich machen, dagegen den Uebergangin umgekehrter Richtung gestatten. (Ileocoecalklappe.) Unterhalb

    dieser Lippen findet sich eine blinde Erweiterung, welche Coecum oderBlinddarm genannt wird; von diesem zweigt sich ein blinder Gang ab,welcher der wurmfrmige Fortsatz des Coecums genannt wird. Dererste Teil des Dickdarms, das Colon oder Grimmdarm genannt, istaufwrts gerichtet (das aufsteigende Colon), er setzt sich dann, eine

    pltzliche Wendung machend, in rechtem Winkel nach (links fort (dasquerlaufende Colon) und steigt schliesslich, pltzlich wieder

    umbiegend, an der linken Seite der Bauchhhle (das absteigendeColon) bis zur Mittellinie des Krpers, abwrts wo er in den Mastdarmbergeht, jenen Teil des Dickdarms, der sich nach aussen ffnet. DerDickdarm hat eine Lnge von circa 1 1/2 m.

    Die Schleimhaut des ganzen Darmkanals ist mit einer Menge kleiner,schlauchfrmiger Drsen bedeckt, welche den Darmsaft absondern undin den Darm ergiessen. Man unterscheidet im Zwlffingerdarm dreiverschiedene Arten von Drsen, die Lberkhn'schen Drsen, die

    Brunner'schen Drsen und noch eine Art von Drsen, die sich amoberen Ende des Duodenums befinden und eine dem pankreatischenSaft (Bauchspeichel) hnliche Flssigkeit absondern.

    Eigentmliche Gebilde des Dnndarms sind die Valvulae conniventes,auf der Schleimhaut sitzende Querfalten, welche die Oberflche desDarms verdicken. Auf ihnen befinden sich die Villi oder Zotten(Drsen), fadenhnliche, ausserordentlich feine Fortstze der

    Schleimhaut, welche dicht zusammengedrngt stehen, wie die Haareeines Sammtgewebes. Jede Zotte enthlt in ihrem Innern einMilchsaftgefss und ist mit einem Epithelium bekleidet. DieMilchgefsse werden von einem Netze von Haargefssen umhllt,welches aus den zufhrenden Arterien und abfhrenden Venen besteht.Diese Arterien erhalten ihr Blut fast unmittelbar aus der Aorta (dergrosse Stamm oder die Arterie, die direkt von der unteren Abteilung derlinken Hlfte des Herzens ausgeht), whrend die Venen dieses durchdie Darmhaargefsse gegangene Blut in die Pfortader treiben.Der Darm ist mit einer Muskelschicht umgeben, deren Fasern in Lngs-und Kreisfasern angeordnet sind; die letzteren ziehen sich, eine nachder anderen, zusammen, sodass die tiefer liegenden (dem After

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    nheren) ihre Zusammenziehung spter beginnen, als die oberen, demPfrtner nher gelegenen. Dadurch entsteht die sogen, peristaltischeZusammenziehung des Darms, welche ein stetiges Fortschieben der in

    ihm befindlichen Massen bewirkt. Die Lberkhn'schen Drsensondern den eigentlichen Darmsaft ab; die spezielle Wirkung derBrunner'schen Drsen ist noch unbekannt. Im allgemeinen kann mansagen, dass der Darmsaft die Fhigkeit besitzt, Eiweisskrper zu

    peptonisieren d. h. in die leicht lsliche Form berzufhren und Strkein Zucker zu verwandeln, obgleich letzteres nur in geringem Grade.

    Der aus dem Magen in den Darm tretende Speisebrei oder Chymus ist

    schwach sauer; er besteht hauptschlich aus den fast vollstndigaufgelsten aber noch nicht gnzlich peptonisierten Eiweisskrpern derNahrung, Fettbestandteilen, Zellulose, Strke, Chlorophyll,Membranen, Epithelien und sonstigen zum Teil unverdaulichenMassen. Die schon im Magen vollstndig in Peptone verwandeltenEiweissmassen wurden auch dort schon resorbiert. Bei Eintritt in denDarm unterliegt dieses Gemisch ungleichartiger, halbverdauter Massender Wirkung von drei Absonderungen, dem Darmsafte, dem

    Bauchspeichel und der Galle. Der Bauchspeichel wird von derBauchspeicheldrse (Pankreas), die Galle von der Leber abgesondert.Die Ausfhrungsgnge dieser beiden Organe mnden gemeinschaftlichin der Mitte der Krmmung des Zwlffingerdarmes, in der Weise, dassder gemeinschaftliche Gang schrg durch die Darmwand geht; dadurchentsteht eine Art Klappe, welche dem Darminhalte den Eintritt in denGang hinein versperrt, dagegen der Galle und dem Bauchspeichel den

    Uebertritt in den Zwlffingerdarm gestattet. Der Pankreassaft ist eineklare, farb- und geruchlose, fadenziehende Flssigkeit, welche wie derDarmsaft alkalisch reagiert und erhebliche Mengen von Eiweisskrpernenthlt. Er verwandelt die Eiweisskrper des Speisebreis in eineneutrale, auch alkalisch und selbst schwachsauer reagierendeFlssigkeit (Fortsetzung der im Magen begonnenen Peptonisierung),ebenso die Strke in Zucker, zerlegt (emulsioniert) die Fette undkoaguliert die Milch. Der Bauchspeichel ist also eine sehr wichtige

    Verdauungsflssigkeit.Die Galle ist eine grn-gelbe, neutrale oder schwach alkalischeFlssigkeit von usserst bitterem Geschmacke und sehr komplizierterBeschaffenheit. Sie enthlt eine Menge fester Bestandteile. Auf ihre

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    chemische Zusammensetzung hier nher einzugehen, wrde uns zuweit fhren, da es uns hauptschlich auf ihre Wirkung alsVerdauungsflssigkeit ankommt. Sie wird von der Leber unausgesetzt

    abgesondert (l bis 1 1/2 kg. pro Tag) und sammelt sich in derGallenblase an, von wo sie in den Zwlffingerdarm bergeht, sobald indenselben der Speisebrei des Magens bergetreten ist. Mit diesem inBerhrung gekommen, schlgt sie mittelst ihrer Gallensuren, diewegen der schwachsauren Beschaffenheit des Chymus oder Speisebreisvoll zur Wirkung kommen, zunchst die unvollstndig peptonisiertenEiweissmassen nieder, indem sie dieselben in harzfrmige Klmpchen

    umformt, auf welche der pankreatische Saft rasch einzuwirken beginnt.Das Pepsin des Magens, das sich dem Speisebrei beigemischt, wirddurch dieselben Suren niedergeschlagen und in seiner Wirkungaufgehalten. Die schon vollstndig formierten Peptone werden indessenweder niedergeschlagen noch verndert.

    Die Galle spielt ferner eine wichtige Rolle bei der Verdauung der Fette.Whrend ein mit Wasser getrnktes, starkes Lschpapier kein Oeldurchlsst, findet dies bei einem mit Galle getrnkten wohl statt. In

    hnlicher Weise ermglicht sie den im Speisebrei vorhandenen Fettenden Uebertritt in die Darmzotten, nachdem sie in die Schleimhaut desDarmes eingedrungen und die Poren der Zotten erfllt hat. DerVorgang hierbei ist folgender. In dem Masse wie die Fettsuren derFette unter dem Einflsse des pankreatischen Saftes frei werden,vereinigen sie sich mit dem Natron der Gallensalze und schlagen einenentsprechenden Teil der Glycochol- und Taurocholsure (die an Natron

    gebunden, in der Galle vorkommen) nieder, welche nun mit denvorhandenen Peptonen eine Emulsion bilden. Durch die Verbindungmit dem Natron (Verseifung) gehen die Fettsuren in einen Zustand derLslichkeit ber, der ihre leichte Resorbierbarkeit durch dieDarmzotten bedingt. Nachdem auf diese Weise die freien Fettsuren

    beseitigt d. h. resorbiert sind, wiederholt sich der von demBauchspeichel eingeleitete Verseifungsprozess von neuem und setztsich bis zum Verschwinden aller Fette fort.2)

    Die Galle hat aber noch eine andere wichtige Aufgabe zu erfllen, sieverhindert alle fauligen Ghrungsprozesse innerhalb der Eingeweide.Diese Wirkung scheint hauptschlich der in der Galle vorkommenden

    2Siehe A. Gautier, Chimie biologique. Paris 1892.

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    Taurocholsure zuzukommen, da diese schon in einer Verdnnung von0,2 bis 0,5% den Fulnisprozess eines Fleischaufgusses aufhebt, ebensowie die Alkohol- und Milchsureghrung.

    Der Speisebrei ndert sich also unter der Einwirkung der drei vorhinbeschriebenen Verdauungsfermente immer mehr auf seinem Wegeinnerhalb des Dnndarms, enthlt aber noch immer unverdaute Bestevon Nahrungsstoffen, die nun in den Dickdarm treten. In demselbensetzt sich der Aufsaugungsprozess fort. Seine Innenwand ist ebenfallsmit zahlreichen Lberkhn'schen Drsen besetzt, die einen hnlichenDarmsaft absondern, wie diejenigen im Dnndrme. Durch die

    Aufsaugung der flssigen Teile des Speisebreies wird derselbewasserrmer und verwandelt sich, durch die peristaltische Bewegungdes Darms fortgeschoben, allmhlich in Kot.

    Die Flssigkeit, die aus der Mischung des Bauchspeichels, der Galleund des Darmsaftes mit dem Speisebrei oder Chymus entsteht, wirdMilchsaft oder Chylus genannt. Derselbe wird durch die Gefsse derZotten absorbiert. Hier gelangt er in das sogenannte lymphatischeGefsssystem der Baucheingeweide, das mit den in den Zotten

    befindlichen Haargefssen beginnend, in kleine Lymphstmmebergeht, die sich an der Vorderseite der Wirbelsule zu demBrustlymphstamm vereinigen. Derselbe ergiesst seinen Inhalt, denMilchsaft, an der Vereinigungsstelle der linken Kopfvene und derlinken Armvene in die sogen, linke namenlose Vene. Auf diese Weisegelangt der Chylus in den allgemeinen Blutstrom, nachdem er heiseinem Durchgange durch die Ganglien der Gekrs- oder

    Mesenterialdrsen durch den Einfluss der weissen Blutkrperchen dereigentlichen Lymphe wesentliche Vernderungen erlitten hat, woraufhier aber nicht nher eingegangen werden kann.

    Man hat vielfach behauptet, die Magenverdauung sei zum Teil derEinwirkung der Bakterien des Magens zuzuschreiben. A. Gautier hataber festgestellt, (Chimie biolog. S. 551) dass eine vollkommeneVerdauung auch ohne jedes Vorhandensein kleinster tierischer oder

    pflanzlicher Lebewesen stattfindet; der Magensaft ist im Gegenteil eineim hohen Masse keimvernichtende Flssigkeit, und sollten sich beirichtiger Lebensweise im Magen berhaupt keine Mikroben vorfinden(man hat im leeren Magen der Fleischesser bis jetzt an 16 verschiedeneArten von Mikroben entdeckt).

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    Hayem und Winter haben gefunden, dass der normale und aktiveMagensaft des Menschen ganz frei von freier Salzsure sein kann.

    Hiermit haben wir den Verdauungsvorgang in groben Umrissen

    gezeichnet.

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    Der Eiweissbedarf des Menschen

    Schon seit lngerer Zeit gilt der Satz als Dogma, dass der erwachsenearbeitende Mensch tglich im Minimum 118 gr. Eiweiss in der

    Nahrung zu sich nehmen msse, und ausserdem noch eine bestimmteMenge von Fett und Kohlehydraten erforderlich sei. Jedoch ergehenVersuche, die von verschiedenen Physiologen in den jngsten Jahrenangestellt wurden, dass die untere Grenze des Eisweissbedarfs dochwohl viel tiefer liegen knne, mit anderen Worten, dass dieser Bedarfsehr viel kleiner sein mge, als man bisher auf Grund derUntersuchungen der bedeutendsten Physiologen angenommen hat.

    Wenn man aber die Art und Weise betrachtet, in welcher dieUntersuchungen vorgenommen wurden und die Versuchspersonen

    bercksichtigt, an denen sie vorgenommen wurden, so kann man mitFug und Recht behaupten, dass solche Untersuchungen fast gar keineBeweiskraft besitzen, und dass also jene untere Grenze desEiweissbedarfs des Menschen, d. h. der Minimalgehalt an Eiweiss inder tglichen Nahrung noch garnicht festgestellt ist. Gerade darauf aberkommt es an. Man verfhrt bei der Untersuchung dieser Frage stets inder Weise, dass einem Menschen, der bisher eine in der Regel viel zugrosse Menge Eiweiss in seiner Nahrung zu sich genommen, einegewisse Eiweissmenge zugefhrt und beobachtet wird, in wie weit erdabei im sogenannten Stickstoffgleichgewicht bleibt. Nun scheidet einsolcher Mensch, wenn ihm auch weniger Eiweiss zugefhrt wird, als er

    bisher tglich einzunehmen pflegte, mehr Stickstoff aus als in derNahrung zugefhrt wird; folglich verliert der Krper Eiweiss, setzt

    dagegen bei gengendem Gehalt der Nahrung an Fett undKohlehydraten etwas Fett an. Diesen Verlust des Organismus anEiweiss glaubt man nun durchaus vermeiden zu mssen, fgt also der

    Nahrung mehr Eiweiss zu, bis wieder das sog. Stickstoffgleichgewichthergestellt ist. Auf diese Weise kann man nun wohl den Eiweissbestanddes Krpers fortwhrend variieren lassen, ihn sozusagen abwechselndauf verschiedene Hhe, auf ein anderes Niveau bringen (und zwar giltdies sowohl fr das Organeiweiss als fr das zirkulierende Eiweiss),aber damit ist absolut nichts gesagt ber den wirklich ntigenEiweissbestand, bei dem der Krper existieren kann und sich amwohlsten und gesundesten fhlt. Um diesen festzustellen, msste manfolgendermassen verfahren. Die betreffende Versuchsperson (ob

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    Fleischesser oder Vegetarier ist zunchst gleichgltig) erhalte nebeneiner gengenden Menge Fett und Kohlehydrate eine bestimmteEiweissmenge in ihrer tglichen Nahrung. Dieselbe wird nun, je nach

    ihrer frheren Lebensweise, mehr oder weniger Stickstoff ausscheiden,als in der zugefhrten Eiweissmenge enthalten ist. Lsst man im erstenFalle die tgliche Eiweissgabe allmhlich immer kleiner werden, sowird auch die ausgeschiedene Stickstoffmenge allmhlich abnehmen.Doch nur bis zu einer bestimmten Grenze. Es ist nmlich einFundamentalsatz, der fr die ganze organische Welt Geltung hat, dass

    jeder Organismus solche Stoffe, deren er dringend bedarf, mit eiserner

    Gewalt festhlt. Also muss ein Zeitpunkt eintreten, wo der Organismusanfngt, weniger Stickstoff auszuscheiden, als er in der Nahrungaufnimmt. Damit ist aber jene untere Grenze des Eiweissbedarfsangedeutet, bei dem der Organismus noch bestehen kann.

    Gerade der Umstand, dass der menschliche Organismus bei solchenVersuchen mit eiweissrmerer Nahrung in der Kegel mehr Stickstoffausscheidet, als ihm in der Form von Eiweiss zugefhrt wird, beweisteben, dass ihm frher zu viel Eiweiss, beziehungsweise Stickstoff

    zugefhrt wurde; es hat sich im Organismus zu viel Stickstoffangesammelt, die Hhe des gesammten Eiweissbestandes ist zu grossgeworden, weshalb der Organismus bei der ersten Gelegenheit, die sichihm bietet, diesen berflssig hohen Stand herabzusetzen sucht. Sofhrt Prof. Voit in seinem Handbuch des Stoffwechsels (Seite 107) an,dass zu einer Zeit, in der die Verdauung noch im vollen Gange ist,schon mindestens die Hlfte des im Magen aufgenommenen Eiweisses

    zerstrt und der Stickstoff desselben aus dem Krper ausgestossen ist;er sah bei einer Versuchsperson nach einer reichlichen, aus Fleisch undEiern bestehenden Mahlzeit die Stickstoffausscheidung im Harne schonnach einer Stunde zunehmen und diese Zunahme der Ausscheidungdauerte 7 Stunden lang, wo sie ihr Maximum erreichte, um in dennchsten 10 Stunden allmhlich abzunehmen. Aehnliche Resultateerzielten Panum, Feder und Hirschberg. Dieser Vorgang, sagt Dr.Hirschfeld in seiner Abhandlung: Untersuchungen ber den

    Eiweissbedarf des Menschen (Archiv fr die ges. Physiologie 1887Seite 533 ff.) macht durchaus den Eindruck, als ob der Organismus beider Eiweisszersetzung nur im Auge habe, sich der stickstoffhaltigenAtomcomplexe mglichst rasch zu entledigen. Damit hat in der ThatDr. Hirschfeld den Nagel auf den Kopf getroffen, denn der tierische

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    Organismus sucht stets, wie schon bemerkt, alles festzuhalten, wessener bedarf (abgesehen von krankhaften Zustnden, die hier aber nicht inBetracht kommen), und wenn er Stickstoff sofort nach der Mahlzeit

    auszuscheiden beginnt, so beweist das eben, dass ihm Stickstoff in vielzu reichem Masse geboten worden. Die Natur treibt keinen unntigenLuxus, wohl aber der Mensch in seinem Unverstnde. Deshalb sindauch die Fleischesser auf das Kochsalz so versessen, weil sie instinktivfhlen, dass sie eines Mittels bedrfen, das die Ausscheidung desberflssigen Stickstoffs begnstigt. Nun sagt v. Voit hierber: DasKochsalz macht die Saftstrmung im Organismus infolge seiner

    physikalischen Eigenschaften strker, vermehrt so die Oxydation desEiweisses und dadurch die Menge des Harnstoffs.

    Aus diesen Worten gewinnt man wieder unwillkrlich den Eindruck,als sei es eine Hauptaufgabe des Organismus, mglichst viel Harnstoffauszuscheiden, whrend es doch viel richtiger wre, daraufhinzuweisen, dass man nicht zuviel Stickstoff in Form von Eiweiss inder Nahrung zu sich nehmen soll, um nicht zu viel Stickstoff wiederausscheiden zu mssen und dadurch dem Organismus eine ganz

    berflssige Arbeit aufzubrden.Eigentlich bedarf es gar keiner sogen, wissenschaftlichen Experimente,um festzustellen, welche Menge Eiweiss in der tglichen Nahrungabsolut ntig ist. Die Natur macht uns jeden Tag zahlreicheExperimente vor, die wir nur richtig auszulegen brauchen, um diewichtigsten Schlsse aus ihnen zu ziehen. Betrachten wir z. B. dengewhnlichen Feldhasen. Jedem richtigen Weidmann ist bekannt, dass

    die Knochen des Hasen ausserordentlich fest und hart sind, er duldetdaher nicht, dass Hasenknochen seinen Jagdhunden vorgeworfenwerden, weil diese ihre Zhne an denselben ruinieren wrden. Der Hase

    besitzt aber nicht allein einen usserst festen Knochenbau, sondernauch eine grosse Muskelkraft. Der englische Naturforscher Romaneshat im Schnee die Spuren eines hart verfolgten Hasen gemessen und dieSpannweite eines jeden Sprunges 12-13 engl. Fuss gefunden, was

    jedenfalls auf eine enorme Muskelkraft der Beine eines so kleinenTieres hinweist. Wovon lebt nun der Hase? Nun, er frisst Kohl, Rben,Klee usw., nagt auch im Winter bei schneebedeckter Landschaft dieRinde der Bume und Strucher ab. Gehren denn diese Nahrungs-mittel zu den eiweissreichen und kraftgebenden? Durchaus nicht, sie

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    gehren nach menschlichen Begriffen zu den weniger krftigen, diejedenfalls keinen Vergleich aushalten mit unseren Krnerfrchten, mitunseren Leguminosen und noch zahlreichen anderen Produkten aus

    dem Pflanzenreiche. Was folgt nun aus diesen unzweifelhaftfeststehenden Thatsachen? Einfach die fernere Thatsache, dass dertierische, wie auch der menschliche Organismus mit den

    bescheidensten Nahrungsmitteln, die weder besonders reich an Eiweiss,noch an Nhrsalzen sind, sich begngt und dabei gedeiht, ja sogargrosse Kraft und Ausdauer entwickelt.

    Man entgegne nicht, die Menge der Nahrung msse die Qualitt

    ersetzen, denn es ist in unseren nrdlichen Breiten gewiss nichtanzunehmen, dass sich der Hase vom November bis Mrz beimonatelang anhaltender Schneedecke bezglich seiner Nahrung ineinem embarras de richesse befinde. Was vom Hasen gesagt wurde, giltfr alle wild lebenden Tiere. Man denke an das wild lebende Pferd inden grossen grasreichen Ebenen Sdamerikas; dasselbe hat nie inseinem Leben Hafer bekommen und doch ist es von unbndiger Kraftund Wildheit. Dies beweist auch, dass die Meinung, ein Pferd knne

    ohne reichliche Haferftterung keine andauernde Kraft entwickeln,ganz falsch ist; gutes Heu in gengender Menge reicht vollstndig aus,um das Pferd leistungsfhig zu erhalten. Zu reichlicher Hafergenussfhrt nur zu kolikartigen Erscheinungen.

    Betrachten wir ferner das Kamel. Glauben etwa unsere Physiologen,dieses schwer belastete Tier nehme auf seiner oft Monate dauerndenWstenwanderung tglich auf je 65-70 kgr. seines Krpergewichts

    120 gr. Eiweiss in der elenden Nahrung zu sich, die es hauptschlich inden Ruhestunden selbst sich suchen muss? Wren diese wirklicherforderlich, so mssten diese so beraus gengsamen und ebensoleistungsfhigen Tiere in den ersten 14 Tagen ihrer Wanderung durchdie Wste verhungern. Oder glauben ferner unsere Physiologen imErnst, das innerhalb des Polarkreises lebende Renntier nehme auchtglich auf 65-70 kgr. seines Krpergewichtes 120 gr. Eiweiss in seiner

    Nahrung zu sich? Gewiss wird niemand diese Annahme machen unddoch saust das Renntier stundenlang mit dem Eskimoschlitten bei

    bitterster Klte ber die schneebedeckten Regionen des hohen Nordens.Wir sehen also, wie von zwei in der krglichsten Weise ernhrtenTieren das eine die schwersten Lasten in der glhendsten Sonnenhitze

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    des Sdens wochenlang durch die Wste trgt, whrend das andere beider grimmigsten Klte, den Schlitten der Eskimos ziehend,unermdlich die trostlosen Regionen des hohen Nordens mit

    Windeseile durchfliegt. Also die krglichste Nahrung gengt, um Tiereunter den ungnstigsten klimatischen Verhltnissen, die den denkbargrssten Gegensatz bieten, leistungsfhig zu erhalten. Dasselbe giltaber auch vom Menschen. In einigen Provinzen Chinas wird die Post

    befrdert durch Briefboten, die tglich, mit einer Last von 50 bis 60Pfund auf dem Rcken, 80-90 Kilometer stets im Trabe zurcklegen,selbst bei der glhendsten Hitze der chinesischen Sommermonate. Der

    chinesische Kuli hlt es in allen Breitengraden aus; er baute diePacificbahn wie er den Panamakanal baut, er marschiert und arbeitet inder Tropensonne, ohne einen Sonnenstich zu bekommen, trotzdem seinkahlgeschorener Schdel in der Sonne glnzt, dass einem noch auf eineEntfernung von 1/4 Stunde infolge dieses Glanzes die Augenbergehen, und doch lebt dieser beraus leistungsfhige Chinese fastausschliesslich von Reis, den unsere Physiologen fr einunzureichendes Nahrungsmittel erklren. Nun vergleiche man mit

    diesen Reisessern den elenden, im Trinken und Essen gleichunmssigen Europer, der in den Tropen schon beiden geringstenAnstrengungen umfllt, entweder vom Sonnenstich getroffen oder vomFieber darniedergeworfen, und der Unterschied wird wohl scharf genughervortreten, desgleichen auch, auf welcher Seite der Vorteil ist.

    Gegen diese Betrachtungen knnte von selten unserer Gegnereingewendet werden, dass der Vergleich des Menschen mit den Tieren

    unzulssig sei und dass auch zwischen den einzelnen MenschenrassenUnterschiede bestnden, die eine verschiedene Art der Ernhrungbedingten. Aber dieser Einwand ist absolut hinfllig. Zunchst stehtdurchaus fest, dass der Vorgang der Verdauung und Resorption beimMenschen und Sugetier genau derselbe ist; so verdaut z. B. der Hundals Fleischfresser Pflanzeneiweiss und Kohlehydrate ebenso gut(vorausgesetzt, dass ihm diese Nahrungsmittel in hinreichendzerkleinertem Zustande gereicht werden, da er wegen seines Zahnbaues

    seine Nahrung nur zerreissen, aber nicht kauen kann) wie der Menschund der Pflanzenfresser. Der Mensch kann sogar seine Nahrung imallgemeinen noch etwas besser ausnutzen, als die Tiere, weil er siedurch Mahlen, Kochen usw. in eine leichter assimilirbare Form bringt.Was die Kassenunterschiede betrifft, so ist in Bezug auf

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    Verdauungsvermgen ein Unterschied gar nicht nachweisbar; derMagen eines gesunden Englnders wird in diesem Punkte dem Mageneines gesunden Chinesen nicht nachstehen und nicht berlegen sein,

    und dies gilt fr alle Vlker.Schreiten wir in unseren Betrachtungen weiter. Die Natur bietet unsnoch ein Beispiel, das uns ein Urteil ber das richtige Verhltnis derstickstoffhaltigen zu den stickstofffreien Nahrungsmitteln ermglicht,welches Verhltnis, wie wir gesehen haben, von so fundamentalerBedeutung fr die menschliche Gesundheit ist. Die Physiologie setztdieses Verhltnis wie 1:5 an, d. h. in der Nahrung des erwachsenen

    Menschen sollen auf l Teil Eiweiss 5 Teile Kohlehydrate und Fettkommen, so dass der Arbeiter z. B. auf 100-120 gr. Eiweiss400-480 gr. Kohlehydrate und etwa 50 gr. Fett tglich zu sich nehmensoll. (Das Nhrwertverhltnis des Fettes zu den Kohlehydraten ist etwa2:1). Nun hat uns aber die Natur in der Zusammensetzung derMuttermilch einen Anhaltspunkt gegeben zur Feststellung jeneswichtigen Verhltnisses soweit es fr das wachsende Kind in Betrachtkommt; wir haben nur ntig, in der Frauenmilch die Menge der in ihr

    enthaltenen Eiweiskrper (fast ausschliesslich in der Form von Casen)zu der Menge der Kohlehydrate (Zucker und Fett) festzustellen. Damitgewinnen wir allerdings zunchst nur ein Urteil ber jenes wichtigeVerhltnis fr den wachsenden jugendlichen Organismus, nicht aber frden erwachsenen und arbeitenden Menschen. Letzteres Verhltnis lsstsich aber unter Bercksichtigung der vernderten Lebensbedingungenaus ersterem ableiten. Wir gelangen jedenfalls auf diesem Wege zu

    einem Grenzwerte fr jenes Verhltnis fr den Fall des Wachstums, desOrganaufbaues, da wir annehmen mssen, dass die Natur dasselbe sogeregelt hat, dass sowohl das Wachstum des Krpers als dieAufrechterhaltung der notwendigen Funktionen, wie Atmung,Verdauung usw. mglich sind.

    Nun betrgt nach den neuesten Bestimmungen der Gehalt dermenschlichen Milch (auf 100 Teile bezogen) an Eiweisskrpern 1.0, anFett 4.1, an Zucker 6.9, an Salzen 0.24, an Wasser 87.76.3)

    3Zwar werden in den Lehrbchern in Bezug auf den Gehalt an Ksestoff, Zucker und Fett etwas andereZahlen angegeben, aber obige Werte erscheinen als die neuesten und besten; jedenfalls ist der frherangenommene Gehalt an Eiweisskrpern viel zu hoch gegriffen. Ueberhaupt schwanken die Angaben berden Gehalt der Milch sehr, weil dieser Gehalt in hohem Masse von der Art der Ernhrung abhngig ist, wiewir bald an einem Beispiele sehen werden.

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    Bercksichtigt man, dass die Wirkung des Fettes das 2 fache derjenigender Kohlehydrate betrgt, so entsprechen 4.1 Fett (Butter) 8.2Kohlehydrate; diese zu den 6.9 Zucker gerechnet, ergeben 15.1

    Kohlehydrate auf l Teil Eiweisskrper. Es ist also in der menschlichenMilch das Verhltnis der stickstoffhaltigen zu den stickstofffreienKrpern wie 1:15.1 oder rund wie 1:15. Setzen wir aber wegen dernicht ganz sicheren Bestimmung des Eiweissgehaltes dieses Verhltniszu 1:12 oder gar zu 1:10 an, so bleiben wir noch immer sehr weit von

    jenem oben angefhrten Verhltnis 1:5 entfernt. Nun ist noch derfolgende wesentliche Punkt zu bercksichtigen. Die Muttermilch ist fr

    das Kind whrend seines ersten Lebensjahres bestimmt, d. h. fr ein imstarken Wachstum begriffenes Wesen; zu diesem Zwecke ist jedenfallsein relativ reicher Gehalt an Eiweisskrpern und Nhrsalzenerforderlich, da der Aufbau der Organe ausschliesslich durch diese

    beiden Gruppen von Nhrstoffen erfolgt. Hat nun die Natur selbst indiesem Falle das Verhltnis der Eiweisskrper zu den Kohlehydratenwie 1:10 festgesetzt, so haben wir damit einen Grenzwert gefunden frden wachsenden Organismus, d. h. wir knnen nun behaupten, dass ein

    in rascher Entwicklung begriffener Organismus, der also Knochen undKnorpeln, Muskeln und Sehnen, berhaupt Krpergewebe jeglicher Artneu aufbaut, immer nur ein Teil Eiweiss auf 10 Teile Kohlehydrate

    braucht, mglicher Weise sogar noch weniger. Verwendet also ein imWachstum begriffener Organismus trotz des relativ grossen Verbrauchsan Eiweisskrpern gegenber den Kohlehydraten diese beiden Gruppendoch nur im Verhltnis von 1:10, so wird dieses Verhltnis beimErwachsenen unbedingt noch kleiner sein mssen, also etwa 1:15 sein,d. h. die Menge des erforderlichen Eiweisses gegenber der Menge dererforderlichen Kohlehydrate muss beim Erwachsenen noch kleiner seinals beim Kinde. Dies folgt ganz klar aus der bekannten Thatsache, dassder Stickstoffumsatz des erwachsenen Menschen bei Ruhe und Arbeitfast genau der gleiche ist und dass ein ruhender erwachsener Menschoffenbar relativ viel weniger Eiweiss und Nhrsalze zur Erhaltungseines Organismus braucht, als der im lebhaftesten Stoffansatz bezw.

    Organaufbau begriffene kindliche Krper. Setzen wir also denVerbrauch an Kohlehydraten beim arbeitenden Manne auf 500 gr. frden Tag fest, so wird er an Eiweiss den 15. Teil dieses Gewichts, alsoetwa 33 gr. notwendig haben. Damit gelangen wir zu einem Werte, derfast ganz genau mit demjenigen zusammenfllt, den Dr. Hirschfeld

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    (kein Vegetarier) in seinen Untersuchungen ber den Bedarf desMenschen (siehe auch Nr. l Seite 31-32 der Vegetar. Rundsch. von1889) gefunden hat. Er sagt dort, S. 533 ff, dass bei einem Arbeiter mit

    35-40 gr. Eiweiss in der tglichen Nahrung Stickstoffgleichgewichterreicht worden ist.

    Um den weit hheren Bedarf an Eiweiss des in raschem Wachstumbegriffenen Organismus gegenber dem entwickelten in noch helleresLicht zu stellen, wollen wir die Entwicklungsverhltnisse des Kalbes

    betrachten Die Kuhmilch enthlt fast 4 mal so viel Eiweisskrper alsdie Frauenmilch, dagegen ist der Gehalt an Fett und Zucker sogar noch

    kleiner, whrend wieder der Gehalt an Nhrsalzen um das dreifachegrsser ist. Das Verhltnis der stickstoffhaltigen zu den stickstofffreienKrpern, das wir bei der Frauenmilch zu 1:10 gefunden, ergiebt sich

    bei der Kuhmilch zu 1:2 (annhernd). Zu welchem Zwecke hat nun dieNatur diese beiden Verhltnisse so ungleich festgesetzt? Aus demeinfachen Grunde, [weil die Entwicklung des Kalbes eine 5 bis 6 malschnellere ist als diejenige des Kindes. Das Rind ist bei krftigerErnhrung mit 2 Jahren fortpflanzungsfhig und mit 3 Jahren

    vollstndig ausgewachsen. Ein Kalb, das bei der Geburt 50 - 60 Pfundwiegt, wchst innerhalb 6-8 Monaten je nach der Rasse zu einem Tiereheran, das 200-250 Pfand wiegt, vorausgesetzt, dass es die Muttermilchvollstndig bekommt. Eine Krpermasse von 150-200 Pfund ist also indieser kurzen Zeit ganz aus dem Ksestoff und den Nhrsalzen derMuttermilch aufgebaut worden, und dieser Umstand macht esvollstndig erklrlich, dass von den beiden Verhltnissen das eine

    soviel mal enger gegriffen ist als das andere. Der Unterschied in derEntwicklung des kindlichen und tierischen Organismus ist auch ganzausserordentlich; wie vllig verschieden ist die Zunahme derKrpermasse whrend des ersten Jahres beim Kinde gegenber der desRindes! Aus dieser Betrachtung folgt also, dass einer 5-6 mal rascherenkrperlichen Entwicklung auch ein 5-6 mal grsserer Gehalt anErweisskrpern und Nhrsalzen in der Nahrung entsprechen muss, dassalso ein grosser Eiweissgehalt nur da angezeigt ist, wo es sich um einen

    raschen Organaufbau handelt, dagegen ein weit kleinerer gengt, wo essich blos um den Ersatz des durch den langsamen Stoffwechsel imausgewachsenen Organismus bedingten geringen Verlustes handelt.Die Rolle der Eiweisskrper wird von den meisten Menschen, wofernsie sich berhaupt mit dieser Frage befassen, ganz falsch aufgefasst.

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    Das Eiweiss soll in Verbindung mit den Nhrsalzen nur zum Aufbauder Krperorgane, bezw. zu deren Erhaltung dienen (plastisches

    Nahrungsmittel), weshalb in letzterem Falle der Bedarf des

    ausgewachsenen Individuums nur ein sehr kleiner sein kann, wie wireben gesehen.

    Die Physiologie behauptet zwar, das Eiweiss werde whrend desVerdauungsprozesses durch Spaltung zum Teil in Fett verwandelt.Abgesehen davon, dass dieser Satz noch keineswegs streng bewiesenist, so ist es doch jedenfalls ein hchst unsinniges Verfahren, mehrEiweiss zu dem Zwecke der Umwandlung in Fett dem Krper

    zuzufhren, als er sonst ntig hat zur Erhaltung der Organe; denneinerseits sind die eiweissreichen Nahrungsmittel teurer als dieberwiegend Fett und Kohlehydrate enthaltenden, und andererseitsmuss der Verdauungsapparat in diesem Falle durch Zerlegung desschwerer verdaulichen Eiweisses eine unntige Arbeit verrichten,indem ja dem Organismus das ntige Fett und die ntige Kohlehydratein der leichtest assimilirbaren Form unmittelbar zugefhrt werdenknnen. Wozu also dieser Umweg in Form einer Umwandlung des

    Eiweisses, der doch nur eine ganz berflssige Arbeitsleistung, diesonst anderwrts verwertbar wre, darstellt? Es ist ja bekannt, wie dieFleischesser nach dem Genuss ihrer grossen Quantitten voneiweissreichen Nahrungsmitteln Stunden lang an den Folgen des sogen.Verdauungsfiebers leiden und zu jeder geistigen und krperlichenArbeit unfhig sind. Dieses Verdauungsfieber mit seinen Folgen kenntder richtige Vegetarier gar nicht.

    Um die Rolle, welche die beiden Hauptnahrungsgruppen, dieeiweisshaltigen und die eiweissfreien, im menschlichen Organismusspielen, zum mglichst klaren Verstndnis zu bringen, diene nochfolgender Vergleich, der in trefflicher Weise die Bedeutung undgegenseitige Stellung beider erlutert.

    Bekanntlich ist die Quelle aller menschlichen Arbeitskraft die imKrper stattfindende Verbrennung der Nahrungsstoffe. Hierbei

    kommen aber fast nur die Kohlehydrate und die Fette als Brennmaterialin Betracht. Ganz das Gleiche gilt von der Dampfmaschine. Auch imdieser bildet die durch Verbrennung von Kohlenstoff erzeugte Wrmedie alleinige Quelle der Arbeitsleistung. Die auf diese Weise erzeugteSpannkraft des Wasserdampfes wird vermittelst des Kolbens auf einen

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    anderen Krper bertragen und dadurch Arbeit geleistet. Denmetallischen Bestandteilen der Maschine entsprechen beim Menschendie Knochen und Muskeln. Die Arbeitsleistung der Muskeln wird aber

    durch Verbrennung von kohlenstoffreichen Verbindungen ermglicht,genau so wie bei der Dampfmaschine durch Verbrennung der Kohle.Soll mehr Arbeit geleistet werden, so ist sowohl bei der menschlichenMaschine wie bei der Dampfmaschine eine reichlichere Zufuhr vonKohlenstoff geboten. Wie aber bei der Dampfmaschine whrend derArbeitsleistung die aus Metall bestehenden Maschinenteile abgenutztwerden, so findet auch in den Muskeln eine Art Abnutzung, eine

    Umsetzung ihrer eiweissartigen Bestandteile statt, und dieseumgesetzten Bestandteile werden hauptschlich durch die Nieren inForm von Harnstoff ausgeschieden. Also ist auch die Zufuhreiweisshaltiger Nahrungsmittel erforderlich, um den ganz langsam undstetig vor sich gehenden Substanzverlust der Muskeln und Knochen zuersetzen. In hnlicher Weise mssen auch bei der Dampfmaschine dieeinzelnen Maschinenteile nach dem Grade ihrer Abnutzung durch neueersetzt werden; ein Unterschied besteht nur darin, dass bei der

    Dampfmaschine diese Ersetzung stckweise und von Zeit zu Zeiterfolgt, whrend beim Menschen der Ersatz der Muskel- undKnochensubstanz ganz allmhlig und stetig stattfindet. Wie aber nunferner der Verlust der metallischen Bestandteile der Maschinegegenber dem Verbrauch an Kohle fast ganz verschwindend ist, so istauch beim Menschen die Abnutzung der Muskeln, selbst beianstrengender Arbeit, ganz unbedeutend gegenber dem Verbrauch anKohlenstoff zur Wrmebildung und damit zur Kraftleistung. Darausfolgt, dass der Mensch ungleich viel mehr stickstofflose

    Nahrungsmittel, also Fett, Zucker, Strkemehl, braucht, alseiweisshaltige. Die tagtgliche Erfahrung besttigt dies auch durchaus.Grosse Arbeitsleistung bedingt stets und berall eine betrchtlicheSteigerung des Verbrauchs an Kohlehydraten, whrend der Verbrauchan Eiweissstoffen dabei nur um einen berraschend kleinen Betraggesteigert wird. Der schwer arbeitende Mensch hat daher auch ein

    instinktives Bedrfnis nach Fett in seiner Nahrung, er nennt dieselbeje fetter, desto besser und sagt: Kse (sogen, dicke Milch, die aufdem Lande aus Sparsamkeitsrcksichten statt Butter auf dem Brotgenossen wird) hilft einem bis an den Berg, Butter aber bis auf denBerg. Und er hat ganz recht. Wir wissen ja, dass Arbeit nur durch

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    Wrme erzeugt werden kann4) und dass die Verwandlung von Wrmein Arbeit und umgekehrt von Arbeit in Wrme nach einem ganz

    bestimmten und unabnderlichen Verhltnis stattfindet (Aequivalenz

    von Wrme und Arbeit, der erste Hauptsatz der mechan. Wrme-theorie). Nun hat der Mensch zweierlei Arbeit zu leisten,1) innere Arbeit, die stets Tag und Nacht ununterbrochen zu leisten

    ist, und2) ussere Arbeit, die nur dann stattfindet, wenn er durch

    Aufwendung von Muskelkraft ausser ihm befindliche Krper inBewegung setzt, also usseren Widerstand berwindet.

    Whrend nun das Maas der usseren Arbeitsleistung ganz von demWillen des Menschen abhngt, ist die innere Arbeit fast gnzlichunabhngig vom Willen, erfolgt sogar gegen denselben und darf keineUnterbrechung erleiden; sie besteht hauptschlich in der Arbeit desHerzens (sehr betrchtlich), der Lunge, der Verdauungsorgane und allersecernierenden und excernierenden Organe. Da die innere Arbeit beiallen Menschen von annhernd gleichem Krpergewicht auchannhernd gleich gross ist, so hngt das Mass der

    Gesamtarbeitsleistung wesentlich von der Grsse der usseren Arbeitab, und man begreift deshalb leicht, wie der ussere, schwere Arbeitverrichtende Mensch einer entsprechend grsseren Wrmemenge, dieeben in Arbeit umgewandelt wird, bedarf. Da diese Wrme fastausschliesslich durch die Oxydation des Kohlenstoffs der Kohlehydrateund des Fettes geliefert wird, so hngt also die in Form von Fett,Zucker und Strkemehl aufzunehmende Nahrungsmenge wesentlichvon der zu leistenden Arbeit ab. Fasst man den Menschen alsArbeitsmaschine auf (und was ist der heutige Mensch anders?), so istdie oben hervorgehobene Analogie zwischen ihm und derDampfmaschine geradezu schlagend. Arbeitet letztere unter Volldampf,so bedarf sie der doppelten bis dreifachen Kohlenmenge, deren sie beihalbem Dampf bedarf, whrend die grssere Abnutzung dermetallischen Teile gegenber der weit grsseren dabei verbrauchtenKohlenmenge kaum irgend wie in Betracht kommt. Aehnlich beim

    4 Die neuesten Forschungen ergeben, dass die aus den chemischen Verbindungen und Zersetzungen imMuskel sich entwickelnde potentielle Energie in Form von. Elektrizitt in aktuelle Energie oder in Arbeitumgesetzt wird, dass es also nicht die Wrme ist, die sich in Arbeit verwandelt. Wrme tritt blos als eineBegleiterscheinung bei den elektrischen Vorgngen im Muskelgewebe auf. (Siehe A. Gautier, Chimiebiologique, Seite 315-318).

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    leichter verdaulich, also weniger Verdauungsarbeit beanspruchen undendlich auch billiger sind.

    Die Physiologen widerlegen sich mit ihren eigenen Experimenten,

    wenn sie den Eiweisskrpern die eben widerlegte Bedeutungzuschreiben. Prof. Voit konnte nur dann einen Uebergang von Eiweissin das schliessliche Organeiweiss, d. h. eine schliessliche Zunahme derOrgane, durchsetzen, wenn er reichlich Fette und Kohlehydrate der

    Nahrung beifgte. Um diesen Zweck zu erreichen, waren, wie erhervorhob, nur relativ geringe Mengen von Eiweiss notwendig, wenn ernur grosse Mengen Fett gab.

    Dabei wurde nicht nur weniger Stickstoff ausgeschieden alsaufgenommen, sondern auch verhltnismssig viel Kohlenstoffzurckbehalten (Voit: Stoffwechsel, Seite 313). Der Organismus wurdealso nur dann erheblich eiweissreicher, wenn er auch zugleichfettreicher wurde. Diese Versuchsresultate des berhmten Physiologen

    besttigen unsere Deduktionen ber den geringen Eiweissbedarf desMenschen vollkommen. Wenn in der gereichten Nahrung, beihinreichender Menge von Fett und Kohlehydraten, schon relativgeringeEiweissmengen gengten, um eine Zunahme der Organe, also eine guteEntwicklung der Muskulatur, berhaupt aller Gewebe und Knochen, zu

    bewirken, so folgt daraus, dass bei einem erwachsenen Menschen, dersich eines normalen Eiweissbestandes erfreut, wo also eineVermehrung dieses Bestandes nicht geboten ist, eine noch geringereEiweissmenge gengt, um diesen Bestand zu erhalten, dabei stetsvorausgesetzt, dass ihm die ntige Menge Fett und Kohlehydrate

    gereicht wird. Fett und Kohlehydrate sind also vor allen Dingen demMenschen ntig; ohne sie ist weder Eiweissansatz noch Fettansatzmglich; ohne sie als die geeignetsten Wrmebildner ist eine flotteWrmeentwicklung, also auch eine tchtige Arbeitsleistung, sei esinnere oder ussere, undenkbar; ohne sie ist also das Leben unmglich.

    Prof. Pflger5) hat nachgewiesen, dass wenn man einem imStoffwechselgleichgewicht befindlichen Hunde eine grosse, das

    Bedrfnis berschreitende Zulage von Fett und Strke giebt, derStoffwechsel dadurch nicht gesteigert wird. Der gereichte Ueberschuss

    5Pflger's Archiv fr Physiologie, 1891, Band 51, Seite 229.Beide Stze zusammengefasst besagen: Weder Fett noch Kohlehydrat, wohl aber Eiweiss vermag denStoffwechsel weit ber das Bedrfnis zu steigern.

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    der Nahrung wird als Fett abgelagert. Wenn man dagegen einem nurmit magerem Fleisch ernhrten, im Stoffwechselgleichgewicht

    befindlichen Hunde eine das Bedrfnis berschreitende Zulage von

    Fleisch giebt, so wchst der Stoffwechsel fast proportional der Zulageweit ber das Bedrfnis hinaus. Nur ein kleiner Teil wird gespart undVermehrt das Krpergewicht.

    Nun ist aber jeder ber das Bedrfnis hinaus gesteigerte Stoffwechselein krankhafter, fieberhafter, wie schon daraus folgt, dass bei Fiebernder Stoffwechsel eine enorme Hhe erreicht und das der wesentlicheCharakter der Fieber gerade in dem gesteigerten Stoffwechsel besteht.

    Wo dieser also auftritt, ist auch fieberhafter Zustand vorhanden.Hieraus ersehen wir wieder, wie die Natur berschssigeEiweissmengen unter allen Umstnden los zu werden sucht, was siedurch gesteigerten Stoffwechsel zu erreichen bestrebt ist. Da dies fretwaige im Ueberschuss zugefhrte Kohlehydrate nicht gilt, so folgtdaraus, dass diese von viel unschuldigerer Natur sind, als dieEiweisskrper.

    Wie sehr der Organismus bestrebt ist, berschssige Eiweissmengendurch rasche Zersetzung derselben mglichst schnell auszuscheiden,sehen wir wieder deutlich aus den jngsten Experimenten Prof.Pflger's, die er an mageren Hunden anstellte (Pflger's Archiv frPhysiol. Band LII, S. l, 1892). Der magere Versuchshund gebrauchtezur Erhaltung des Stoffwechselgleichgewichts bei Ruhe pro kgr.Krpergewicht tglich 2.073 gr. Stickstoff, dem Gesamtkrpergewichtentsprechend 62.2 gr. Stickstoff (bei reiner Fleischnahrung). Es konnte

    aber die tgliche Stickstoffzufuhr auf 22 gr. pro Tag herabgesetztwerden, ohne dass das Tier an Fleischgewicht verlor, wobei demselbeneine das Nahrungsbedrfnis bersteigende Menge von Fett und Strkegereicht wurde. Dabei wurden grosse Mengen Fett als Mast angesetzt.Whrend aber das Versuchstier nur etwa 2/3 seines Nahrungs-

    bedrfnisses durch eiweissfreie Nahrung befriedigen konnte, fand sich,dass bei einem anderen, ebenfalls sehr mageren Hunde, ungefhr 6/7des ganzen Nahrungsbedrfnisses durch Fett und Kohlehydrate

    befriedigt werden konnten, was Prof. Pflger sehr merkwrdig findetund beweist, in wie hohem Grade die Versuchsresultate von derIndividualitt der Versuchstiere abhngig sind. Das Resultat seinerUntersuchungen lautet nun: Bei ausschliesslicher Fleischftterung und

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    mglichster Ausschliessung von Fett und Kohlehydraten ist eineFleischmstung nur mglich, wenn die Eiweisszufuhr das Bedrfnisberschreitet, das berschssige Eiweiss wird aber nicht, wie

    berschssige stickstofffreie Nahrung aufgespeichert, sondern zumgrossen Teile zersetzt, und zwar proportional der berschssigenEiweisszufuhr (d. h. je mehr Eiweiss zugefhrt wird, desto mehr suchtder Organismus davon zu zersetzen und auszuscheiden).

    Da das Fleischgewicht (durch die eintretende Fleischmast) wchst,nimmt der Verbrauch z u (d. h. zur Erhaltung der grsseren ber-flssigen Fleischmenge des Krpers ist auch eine grssere

    Eiweissmenge in der Nahrung ntig), und die Grsse des Ueber-schusses fortwhrend ab. Es liegt also in dem Wesen derEiweissnahrung, dass sie die Bedingungen der Fleischmast, wenn sievorhanden sind, selbst schnell zu beseitigen sucht.

    Folgt nun aus diesen Stzen nicht ganz klar, dass eine berwiegendeEiweissernhrung selbst bei einem ausgesprochenen Raubtiere, wie derHund, ein Luxus ist, da der Organismus, ohne wesentlich Fleischanzusetzen, das ihm zugefhrte Eiweiss um so mehr zu zerstren undauszuscheiden sucht, in je grsseren Mengen es ihm gereicht wird,whrend bei viel geringerer Eiweisszufuhr und gengender Menge vonFett und Kohlehydraten reichlich Fett und Fleisch angesetzt wird.Wozu also dem Organismus diese ganz berflssige Eiweisszersetzungaufbrden? Dabei ist noch wohl zu bercksichtigen, dass der Hund alsentschiedenes Raubtier ein grosses Verdauungsvermgen fr Eiweiss(Fleisch) besitzt, also grosse Mengen desselben zersetzen und

    ausscheiden kann, was dem Menschen, der doch seiner Natur nachnicht zu den eigentlichen Raubtieren zu zhlen ist, nicht mglich ist.Deshalb ist fr ihn eine zu eiweissreiche Nahrung schdlich, da er dieberschssigen Stickstoffmengen nicht alle auszuscheiden vermag.

    Der sehr wichtige Satz, dass ein Ansatz von Fleisch, also eine Zunahmeder Organe mit sehr kleinen Eiweissmengen bei reichlicherstickstofffreier Kost stattfindet, wird ferner durch die Experimente

    besttigt, die Dr. G. Klemperer an zwei jungen, krftigen Mnnernangestellt hat6). Diese nahmen bei einer nur 31 gr. Eiweissenthaltenden, im brigen sehr fett- und zuckerreichen Nahrung am

    6Nheres siehe darber im Archiv f. Physiol., 1889, Heft 3 und 4, sowie Veget. Rundschau, 1890, S. 271u. f.

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    5. und den folgenden Tagen an Gewicht zu, nachdem sie in den ersten4-6 Tagen infolge der ganz vernderten Ernhrungsweise, wie leichterklrlich, an Gewicht verloren hatten. Diese nach dem 5., bezw. 6.

    Tage eintretende Gewichtszunahme war die Folge einesEiweissansatzes, also musste trotz des geringen Eiweissgehaltes dertglichen Nahrung ein Uebergang von Eiweiss in Organeiweiss, d. h.eine Zunahme der Organe stattgefunden haben. Wir ersehen hierauswieder, wie geringfgig der Gehalt an stickstoffhaltigen gegenber denstickstofffreien Bestandteilen in der menschlichen Nahrung sein kann,ohne dass der Mensch darunter Schaden leidet.

    Natrlich kann unter Umstnden ein weit reichlicherer Gehalt derNahrung an Eiweiss unbedingt notwendig sein. Ein Mensch, der durcheine Hungerperiode oder eine lange schwere Krankheit, wie z. B.Typhus, in seinem Eiweissbestande ganz heruntergekommen ist, bedarfoffenbar grsserer Nahrungsmengen, die neben reichlichem Gehalt anFett und Kohlehydraten auch reichliche Eiweissmengen enthalten;letztere sind aber nur so lange in grsserer Quantitt ntig, als derOrganaufbau oder die Zunahme aller Gewebsteile bis zum normalen

    Zustande andauert, was in mehreren Monaten geschieht. Ist diesernormale Zustand erreicht, so ist auch die reichere Zufuhr von Eiweissnicht allein berflssig, sondern schdlich.

    In jedem menschlichen und tierischen Krper befindet sich eingewisser Fettvorrat angehuft. Diese Fettmenge dient als Reserve frden Fall, wo vorbergehend die Aufnahme von Nahrung unmglich ist.Da die innere Arbeit des Organismus ununterbrochen vor sich gehen

    muss (Herzschlag, Atmung etc.), wenn derselbe nicht aufhren soll zuleben, so darf das Feuerungsmaterial (Fette, Kohlehydrate) nie gnzlichfehlen. Die Natur hat darum in dem Gewebe Fett abgelagert, was in denZeiten der Not angegriffen wird, um als Heizmaterial zur Unterhaltungdes Verbrennungsprozesses zu dienen und so die Fortsetzung dernotwendigsten Funktionen zu ermglichen.

    Wenn man nun wohl von einem Fettvorrat im Organismus sprechen

    kann, so ist jedoch von einem Eiweissvorrat zu sprechen kaummglich; denn was das cirkulierende Eiweiss betrifft, so ist dessenGesamtmenge verhltnismssig klein und keiner grossen Zunahmefhig, und was das Organeiweiss betrifft, so ist dieses schon zumAufbau der Organe verwandt, es kann also nicht mehr als eigentliches

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    Reservematerial betrachtet werden. Es ist eben ein Eiweissvorrat garnicht ntig. Der Stickstoffumsatz ist im allgemeinen ein so langsamer,also die Abnutzung der Organe so geringfgig, dass selbst bei

    gnzlichem Mangel von Eiweiss in der Nahrung der Mensch lngereZeit bestehen, ja sogar noch Arbeit leisten kann, dabei immervorausgesetzt, dass die ntigen Mengen Kohlehydrate in dereiweissfreien Nahrung zugefhrt werden. Parkes fand, dass einkrftiger Mann, dessen Nahrung in Bezug auf ihren Eiweissgehalt umdie Hlfte 5 Tage hindurch reduciert war, dann noch 5 Tage gnzlicheiweissfreie Nahrung bekam, doch noch am 4. Tage nach dieser

    Entziehung schwere Arbeit leisten konnte und sich ganz wohl dabeibefand. Versuche Rubner's besttigen diese Beobachtung. Wir bedrfenbrigens solcher Experimente nicht, die Natur giebt uns auch hierwieder einen direkten Fingerzeig, der uns andeutet, worauf eshauptschlich ankommt, um den tierischen Organismus leistungsfhigzu erhalten. Wenn das Kamel eine grssere Reise durch die Wsteantreten soll, so reicht man ihm lngere Zeit vorher krftigere Nahrung,um es fr die Anstrengungen der Reise zu strken. Dabei sammelt sich

    in seinem Hcker viel Fett an, das auf der Reise allmhlich wiederverschwindet; es dient eben zur Unterhaltung des Oxydationsprozesses,also zur Wrmebildung und damit zur Arbeitsleistung. Hier kann mansehr wohl von einem Fettvorrat, aber nicht von einem Eiweissvorratsprechen; denn wenn auch durch krftigere Ernhrung vor der Reise derEiweissbestand des Krpers etwas wchst, also alle Gewebsteile etwasstickstoffreicher werden, so ist doch keine Vorratskammer fr dieAufnahme von Eiweiss vorhanden, wie dies fr das Fett der Fall ist.Dieser Umstand beweist uns wieder, wie geringfgig der Eiweissbedarfgegenber dem Bedarf an Fett und Kohlehydraten ist. So lange manglaubte, dass mit jeder Zusammenziehung oder Ausdehnung einesMuskels eine starke Zersetzung von Eiweiss verknpft sei, war esnatrlich anzunehmen, dass auch ein entsprechender Ersatz deszerlegten Eiweisses notwendig sei; seitdem man aber weiss, dassMuskelthtigkeit fast gar keine grssere Umsetzung bedingt, als sie im

    Ruhezustande stattfindet, fllt auch jeder Grund weg zur Annahmeeines hohen Eiweissbedarfs.

    Die vorangehenden Untersuchungen und Betrachtungen haben uns aufden verschiedensten Wegen in vllig bereinstimmender Weise zu demResultate gefhrt, dass beim Menschen der Bedarf an eiweisshaltigen

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    Nahrungsmitteln gegenber den stickstofffreien ein sehr geringer ist,dass also das Verhltnis dieser beiden Nahrungsgruppen, welches diePhysiologie wie 1:5 fr den Erwachsenen angesetzt hatte, mit grsster

    Berechtigung wie 1:15 angesetzt werden kann. Die Experimente,welche die Physiologen angestellt hatten, lieferten uns dasBeweismaterial zu diesem Satze, ausserdem aber fhrten ganz einfacheBeobachtungen, die sich tagtglich anstellen lassen, bei richtigerAuslegung zu dem allgemeinen Resultat, dass beim Menschen und

    beim Tiere die respiratorischen Nahrungsmittel, d.h. die Fette undKohlehydrate in ganz berwiegender Menge genossen werden mssen.

    Aus allen diesen Betrachtungen ging klar hervor, dass die zurErnhrung dienenden Pflanzen fast ohne Ausnahme diejenige Mengevon Eiweisskrpern und Nhrsalzen die zum Aufbau, bezw. zurErhaltung der Organe notwendig sind, in berreichlichem Masseenthalten.

    So lange unsere Gegner sich auf den angeblich hohen Eiweissbedarfdes Menschen berufen knnen, werden sie stets darauf hinweisen, dasses unpraktisch sei, diesen Bedarf ausschliesslich durch Pflanzenkost zudecken, weil doch das Fleisch das Eiweiss in so konzentrierter undleicht assimilirbarer Form enthalte, wie dies kaum bei irgend einem ausdem Pflanzenreiche stammenden Nahrungsmittel der Fall sei. Esmusste also unsere Hauptaufgabe sein, diesen Satz mglichstvollstndig zu widerlegen und der Leser wird nun begreifen, warum wirauf jedem nur denkbaren Wege darzuthun suchten, dass die Annahmeder heutigen wissenschaftlichen Physiologie von dem hohen

    Eiweissbedarf des Menschen absolut unhaltbar sei, und dass also auchdamit die auf diese Annahme gegrndete Schlussfolgerung von derNotwendigkeit des Fleischgenusses falle.

    Selbst die eifrigsten Verfechter des Fleischgenusses mssen zugeben,dass der Mensch auf die Dauer nicht ausschliesslich von tierischemFleisch und Fett leben kann; jeder Mensch muss also tglich einegewisse Menge von pflanzlichen Nahrungsmitteln zu sich nehmen. So

    geniesst doch fast jeder Mensch tglich eine gewisse Quantitt Brotund Gemse. In diesen vegetabilischen Nahrungsmitteln ist aber schondie zur Erhaltung der Organe notwendige Menge von Eiweiss (35 gr.)und Nhrsalzen in der Regel enthalten; wozu also noch Fleisch danebengemessen, wenn es sich um die Deckung des Eiweissbedarfs handelt?

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    Dieser wird ja schon durch die notwendigerweise zuzufhrendePflanzenkost vollstndig gedeckt! Einen Sinn htte es, wenn nebendieser Pflanzenkost sehr fettes Fleisch oder reines Fett genossen wrde;

    denn da der Bedarf des Menschen an Fett und Kohlehydraten ein sehrgrosser ist, besonders in nrdlichen Klimaten, so kann derselbe diesenBedarf an respiratorischen Nahrungsmitteln zum Teile durch Fettdecken, aber die meisten Menschen, die nicht physisch thtig sind,ziehen das magere Fleisch dem fetten vor, weil sehr fettes Fleisch frsie sehr schwer verdaulich ist. Damit erreichen sie aber gar nicht das,was die Natur will; sie hufen zuviel Eiweiss an und leiden oft Mangel

    an respiratorischen Nahrungsmitteln; der Organismus ist dahergezwungen, das Eiweiss zu zerlegen und in Fett umzuwandeln, eineArbeit, die hchst berflssig ist, wenn dem Krper mehrrespiratorische Nahrungsmittel zugefhrt werden. Wird aber neben demFleisch auch die erforderliche Menge von Fett und Kohlehydratenzugefhrt, so bleibt jedenfalls der Uebelstand bestehen, dass nun derOrganismus eine berschssige Menge von Eiweiss ausscheiden muss,wodurch er den Nieren eine ganz b