Arbeitsweltbezogen tätig sein - Werkstätten:Tag...

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Arbeitsweltbezogen tätig sein Theorie und Praxis Thomas Illigmann Remstal Werkstätten der Diakonie Stetten e.V. Prof. Dr. Karin Terfloth Katholische Hochschule Freiburg

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Arbeitsweltbezogen tätig sein

Theorie und Praxis

Thomas Illigmann

Remstal Werkstätten der Diakonie Stetten

e.V.

Prof. Dr. Karin Terfloth

Katholische Hochschule Freiburg

Überblick

• Muss den Arbeit wirklich für alle sein?• Kommt es nur auf die Haltung an?• Konzeptionen müssen her! … aber woher nehmen..?• Balance zwischen Sicherung und Individualität

Muss denn Arbeit wirklich für alle sein?

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Kultur und Haltung im FuB der RW

• Zu Beginn eine Geschichte, als Metapher über den Anspruch vieler Profis in der sozialen Arbeit, das richtige zu tun und perfekt zu sein

Der erste Tag im HimmelMoishe lebte ein langes Leben ohne Fehl und Tadel.Er suchte alles zum Wohlgefallen seines Herrn zu tun.Er vermied Fehler und bereute alle Sünden.So wurde er am Ende seines Lebens verdientermaßen zu seinem Herrn im Himmel abberufen. Am ersten

Abend im Paradies wartete er auf das Abendessen und fand ein Joghurt vor. Nun gut, sagte er zu sich, abends noch viel zu essen, ist ungesund.

Am nächsten Morgen erwachte er mit großem Appetit zum Frühstück. Es gab ein Joghurt für ihn, nichts weiter.

Er war bereits etwas verwundert über die karge paradiesische Küche, als er gegen Mittag die lukullischen Düfte aus der Höllenküche vernahm und sein Appetit sich zu einem ausgewachsenen Magenknurren steigerte.

Als sein Herr und Gott ihm auch zum Mittagstisch nur ein Joghurt servierte, fasste er sich ein Herz und sprach zu ihm: „Großer ewiger Gott, mein Vater, wir sind hier im Paradies. Doch weshalb gibt es hier stets nur Joghurt? Wogegen in der Hölle des Satans die herrlichsten Speisen aufgetragen werden?“

Der Herr antwortete: „ Ja mein lieber Moishe, ich würde auch liebend gerne fürstlich speisen. Aber für zwei lohnt der Aufwand nicht!“

Quelle: http://www.coachingworks.de/workinprogress/2010/03/30/wie-wir-denken/

Simulation

Arbeit

für

Menschen mit schwerer geistiger und mehrfacher

BehinderungBrauchbarmachung

Teilhabe

Recht auf sinnvolle Tätigkeit

Vernachlässigung von Pflege und

Förderung

Überforderung

Altersadäquate Angebote

Normalisierung

Quelle Bild: http://www.zeitenschrift.com/magazin/46-faust.ihtml

1974 Schwerbehindertengesetz/ Ausschluss

2001 SGB IX (Unterscheidung werkstattfähig und werkstattunfähig)

2009 Ratifizierung der UN-Konvention

2011 HEGA Ausschluss aus Arbeit und beruflicher Bildung

Arbeitswelt

Quelle der Bilder: Urs Wehrli: Kunst aufräumen

Geschäftsleitung | Werkstättentag Freiburg 2012 | WS AG 2:12 | Thomas Illigmann 9Quelle Bild: http://loveitorchangeit.com/2009/04/18/weblogs-fuer-lebenslanges-lernen

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Kultur und Haltung im FuB der RW

Im Jahr 2010 legte der Vorstand der DS das strategische Ziel fest, dass die ehemals Heilpädagogische Förderung und die Remstal Werkstätten fusionieren werden. Beide boten bis dahin die Leistung FuB LT I.4.5 an. Die HpF unter dem Dach des Wohnens und die RW als WfbM. Motiv des Vorstandes war es, ein sozialpolitisches Zeichen zu setzen: Welches Existenzrecht hat ein FuB auf eigene Strukturen, eigene Fachlichkeit und vor allem eigene Finanzierung, wenn er im Wohnen ohne Abgrenzung zu einer anderen Lebenswelt erfolgt? Wenn die Teilhabemöglichkeiten nicht erweitert werden? Wenn die Durchlässigkeit zur Teilhabe am Arbeitsleben und an beruflicher Bildung nicht gewährleistet ist?

So wurde zum 1.4.2011 ein Unternehmensteil gebildet, der aus den 1000 Plätzen der RW und aus 500 Plätzen der HPF nun sich gemeinsam auf den Weg macht.

Das war für viele KollegInnen ein Schock – ein Kulturschock.

Für die RW war es nicht in Frage zu stellen, dass im FuB Teilhabe an Arbeit und beruflicher Bildung unser Motiv ist.

In der HpF galt angebots- und bedarfsorientierte persönliche Förderung als Credo. Man kam aus dem Bereich Wohnen und es war für einige MA ausreichend, das die TN einen guten Tag hatten.

Arbeit jedenfalls war kein Ziel und sollte vom Personenkreis möglichst ferngehalten werden.

Kommt es nur auf die Haltung an?

Art und Inhalte der Angebote

Terfloth/ Lamers 2009

%Terfloth/ Lamers 2009

Ergebnisse

• viele gute Ideen und engagierte Mitarbeiter

• es fehlt oft an verbindlichen Konzepten und verlässlichen Angeboten in einer Einrichtung

- es steht und fällt mit Einzelnen und deren Interessen- Sporadische Angebote- der Arbeitsweltbezug fällt in „heißen Phasen“ am ehesten hinten

runter

• es gibt oft noch einen „Rest“ von Menschen mit schwerer und mehrfacher Behinderung

• …

Konzeptionen müssen her!… aber woher nehmen?

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Kultur und Haltung im FuB der RW

Zwei Kulturen sollen nun unter einem Dach eine gemeinsame Haltung entwickeln. Und das sind auch noch Profis: die Bescheid wissen, das richtige tun, den Anspruch auf perfekte Arbeit haben und so leicht keine andere Meinung neben ihrer eigenen gelten lassen. Und dann vor allem noch in dieser Anzahl und der schieren Masse von FuB-TN: 500!!!

Was also tun?

Der Prophet gilt nichts im eigenen Land.Also haben wir uns erinnert, dass wir vor 4 Jahren beim SITAS-Forschungsprojekt

teilgenommen hatten.Wir konnten dann Frau Prof. Dr. Terfloth als Referentin – wenn schon nicht als Prophetin –

gewinnen für einen Fachtag zum Thema Arbeitsweltbezogene Tätigkeit und Bildung für schwer- und mehrfachbehinderte Menschen, das war im November 2011.

Und das war dann der Türöffner für weitere Schritte und über diese Schritte und Erfolge unseres Fusionsprozesses möchte ich Ihnen berichten, wie es uns gelingt, mit dem Konzept der arbeitweltbezogenen Tätigkeiten und Bildung im FuB eine gemeinsame neue Kultur und Haltung zu verankern.

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Kultur und Haltung im FuB der RW

Erstes Ergebnis des Fachtages war die Entscheidung:Die Ergebnisse aus der SITAS-Studie werden wir nutzen, um die Grundlagen

für ein gemeinsames Selbstverständnis zu legen.

Langzeit-Projekt WIR wird Januar 2012 gestartet: Das Projekt ist für fünf Jahre angelegt, da Kulturwandel sehr langwierig

sind. Es gibt zwei Ziele:• Transparente Darstellung Reflektion des professionellen

Selbstverständnisses und der Haltung aller Mitarbeitenden in den RW Ziele wahrnehmen und als Ressource nutzen

• Arbeitsweltbezogenes und bildungsorientiertes Tätigsein für alle FuB-TN ermöglichen

Am Anfang steht das Leitbild„Arbeitsweltbezogene …

• Routinierter Einsatz von Kompetenzen

• Tätigkeiten, die thematisch zur Arbeitswelt gehören und in Produktion und/oder Dienstleistung eingebunden sind

in Anlehnung an Radatz et al. (2005)- siehe dazu Terfloth/Lamers 2011a

… Tätigkeit … Bildung• Anleitung zumKompetenzerwerb

•Materiale und formale Bildung•gezielte Vorbereitung in strukturierten Situationen•exemplarisches Lernen

umfasst ggf. auch umfangreiche Assistenz- und Unterstützungsleistungen durch Betreuungspersonen

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Kultur und Haltung im FuB der RW

Die Projektsteuergruppe ist besetzt mit 9 TN, darunter KollegInnen aus allen WfbM-Bereichen (also nicht nur FuB), dem GWRAT und der MAV, zudem als externe Herr Heck vom KVJS und Frau Rauscher, Sozialplanung RMK.

Projekt-Methoden:Mit der Methode des World-Cafe und der Zukunftswerkstatt werden Ideen

entwickelt. Auf einer Art Marktplatz werden dann diese Ideen angeboten und es finden sich zu fast allen Ideen MA, die diese ausprobieren. Diese Ergebnisse fließen dann an die Steuerungsgruppe und werden intern veröffentlicht. Im Zielekatalog ist vereinbart, dass jeder Bereich dauerhaft zwei Maßnahmen der erfolgreich ausprobierten Ideen pro Jahr umsetzt. Maßnahmen mit strukturellen Veränderungen (Personal + Räume) müssen zuvor durch den Budgetierungsprozess und können dann erst im Jahr darauf gestartet werden. Die meisten Ideen kosten aber gar nichts!

respektvolle Grundhaltung

Interaktion  

Methoden

Auswahl der Inhalte

Kommuni‐kation

Kompetenz‐erfahrung

Selbstbe‐stimmung

tätigkeits‐/arbeitsweltbezogene

Angebote und Bildungsbegleitung

(Terfloth/ Sabo 2012)

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Kultur und Haltung im FuB der RW

Bisherige Projektergebnisse:5 Grundlagen des professionellen Selbstverständnisses wurden vereinbart,

die in einem Papier als fachlichen Standard verabschiedet werden, in leichter Sprache auch für WfbM-MA und FuB-TN:

Teilhabe an Arbeit, Bildung und GemeinschaftSelbstbestimmungWertschätzungAssistenzKommunikationTransfer in den Alltag:Reflexionsgruppen an allen Standorten vereinbaren dazu ihre gemeinsame

HaltungVereinbarung mit den Werkstatträten wird im Herbst 2012 getroffen, wie

diese Grundsätze in Dienstvereinbarungen einfließen.

Balance zwischen Sicherung und Individualität

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Kultur und Haltung im FuB der RW

Bisherige Projektergebnisse:Arbeitsweltbezogen tätig sein für alle ermöglichen – der erste Schritt dazu

ist getan, in Maßnahmen erfunden wurden zur Gestaltung der Durchlässigkeit von AB und FuB.Einige davon sind in die Mittelfristplanung der gesamten RW übernommen worden:

• Jeder Bereich der RW führt in 2012 mindestens 2 Maßnahmen zur Durchlässigkeit von FuB und AB durch

• Beispiele:• Begleitete Hospitationen und Praktika von Personen aus dem FuB im AB• FuB-TN haben vollen Zugang zu allen beruflichen

Fortbildungsmaßnahmen• Aktivitäten-Börse für punktuelle Kooperationen im Arbeitsbereich und

FuB wird gegründet• Patenschaften von FuB-TN und AB-MA werden gegründet um Praktika

im AB zu begleiten

Arbeitsweltbezogen tätig sein und sich bilden

„basal‐perzeptiv“

„konkret‐gegen‐

ständlich“

„anschaulich“

„abstrakt‐begrifflich“

•Festlegen von Bildungsinhalten/ Tätigkeiten•„Zerlegen“ in einzelne Handlungen/Schritte•Umsetzung der Handlungen auf verschiedenen Aneignungsniveaus•„Arbeitsplätze“ einrichten / Medien anpassen•gemeinsame Aktivitäten von Menschen mit schwerer Behinderung mit anderen Personengruppen

Entwicklung konkreter Angebote

Zu bedenken ist:

•Regelmäßige Angebote für alle

•Medien und Arbeitsplatzgestaltung gemeinsam nutzen

•Transparenz und Dokumentationsformen für den Nutzer

•Wahloptionen und Abwechslung anbieten

•Bedarfsorientierte Fortbildung für MitarbeiterInnen

•…

Auftrag des Förder- und Betreuungsbereiches

Pflege

Förderung

Betreuungtätigkeits- und

arbeitswelt-bezogene

Angebote

arbeitswelt-bezogene/ berufliche

Bildung

Terfloth & Lamers 2011

Feinwerkberufliche Bildung für Menschen

mit schwerer und mehrfacher Behinderung

Leben mit Behinderung Hamburg

Melanie Bros‐Spähn

BoB„Berufsausbildung ohne Barrieren“

http://www.melaniespaehn.gemeinsamleben-rheinlandpfalz.de/Artikel_Lebenpur.pdfhttp://www.lmbhh.de/Startseite.270.0.html

Diskussionswürdiges• … fehlende einheitlichen Strukturvorgaben bzw.

Qualitätsstandards in FuB führen zu qualitativ extrem unterschiedlichen Fördersituationen …

• … arbeitsweltbezogene Tätigkeits- und Bildungsangebote sind nicht für alle gesetzlich verankert – im Gegenteil §136 im SGB IV …

• … die Qualifikation der Mitarbeiter im FuB ist nicht darauf ausgelegt …

• … die Sichtweisen auf den Personenkreis schränken teilweise die Veränderungsmöglichkeiten ein …

• … der Vorstoß sollte durch Leitbildveränderungen aus der Praxis kommen …

• …..

Literatur• LAMERS, Wolfgang & TERFLOTH, Karin (in Druck): Inklusion einfach machen! Arbeitsweltbezogene

Angebote für Menschen mit schwerer und mehrfacher Behinderung im Spannungsfeld von Inklusion/Exklusion. In: Ackermann, E; Musenberg, O.; Riegert, J. (Hrsg.): Geistigbehindertenpädagogik?! Disziplin - Profession - Inklusion. Oberhausen: Athena-Verlag.

• TERFLOTH, Karin & LAMERS, Wolfgang (in Druck): "Was sollen wir denn noch alles?!" Zur konzeptionellen Sicherung arbeitsweltbezogener Angebote im Förder- und Betreuungsbereich. In: Leben Pur: Bildung und Arbeit mit Menschen mit schwerer Behinderung. Schule aus- was nun? Tagungsband.

• TERFLOTH, Karin & SABO, Thomas (2011): Lebensqualität durch tätigkeits- und arbeitsweltbezogene Angebote. In: Fröhlich, A.; Heinen, N.; Klauß, T.; Lamers, W. (Hrsg.): Schwere und mehrfache Behinderung - interdisziplinär. Impulse: Schwere und mehrfache Behinderung, Band 1. Oberhausen: Athena-Verlag, 345-366.

• TERFLOTH, Karin & LAMERS, Wolfgang (2011a): Berufliche Bildung für alle – außer für Menschen mit schwerer und mehrfacher Behinderung? In: Teilhabe, Jg. 50, Heft 2/2011, 69-75.

• TERFLOTH, Karin & LAMERS, Wolfgang (2011b): Arbeitsweltbezogen tätig sein. Was bedeutet das für Menschen mit schwerer und mehrfacher Behinderung. In: Zur Orientierung, Heft 2, 19-21.

• TERFLOTH, Karin (2011): Arbeitsweltbezogene Bildungsbegleitung von SchülerInnen mit schwerer und mehrfacher Behinderung. In: Ratz, Christoph (Hrsg.): Unterricht im Förderschwerpunkt geistige Entwicklung im Spiegel der Fachdidaktiken. Oberhausen: Athena-Verlag, 355-377 .

• TERFLOTH, Karin & LAMERS, W. (2009): Untersuchung von Organisationsmerkmalen nachschulischer Angebote für Menschen mit schwerer und mehrfacher Behinderung (Projekt SITAS). In: Janz, F./ Terfloth, K.: Empirische Forschung im Kontext geistiger Behinderung. Heidelberg: Universitätsverlag Winter, 215-240.