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Argentinien Nr. 26 April 2013 Einleitung Wohl kein anderes Land der Neuen Welt ist von den gro- ßen Migrationsbewegungen des 19. und 20. Jahrhunderts so tiefgreifend geprägt und verändert worden wie Argenti- nien. Innerhalb einer vergleichsweise kurzen Zeitspanne (von etwa 1870 bis 1930) trafen rund sechs Millionen Men- schen aus Europa in Argentinien ein. Die Migration trug entscheidend zur Entstehung einer modernen, überwie- gend urbanen und industrialisierten Gesellschaft bei. Nach dem Ende der großen transatlantischen Migration(en) prägte die Einwanderung aus anderen la- teinamerikanischen Staaten das Land. Angesichts der in den letzten Jahren wachsenden Zahl an Neuankömmlin- gen aus benachbarten Staaten, der großen Zahl an Ar- gentiniern, die aktuell das Land verlassen, und politischen Projekten, die auf die Neudefinition der Position des Mig- ranten in der argentinischen Gesellschaft zielen, müssen sich sowohl die Regierungen Argentiniens als auch die Gesellschaft mit alten und neuen Herausforderungen von Migration auseinandersetzen. Dieses Länderprofil portraitiert die Dynamiken der unter- schiedlichen Migrationsformen in Argentinien. Der erste Teil setzt sich detailliert mit der Migrationsgeschichte des Landes seit der Kolonialzeit auseinander. Er fokussiert da- bei neben Wanderungsmustern auch den Einfluss dieser Migrationen auf das Aufnahmeland sowie Diskurse rund um Migration und die staatlichen Versuche, diese mitzu- gestalten. Der zweite Teil beleuchtet wichtige Aspekte aktueller Migration(en) nach und aus Argentinien. Dabei liegt ein Schwerpunkt auf der Auseinandersetzung mit Einwande- rern aus benachbarten Ländern und anderen ›neuen‹ Ein- wanderergruppen, der Abwanderung von argentinischen Staatsangehörigen, die dem Land aufgrund von politischer Unterdrückung und düsteren wirtschaftlichen Aussichten den Rücken kehren, und den jüngeren politischen Versu- chen, den Status von Einwanderern zu reformieren. Historische Entwicklung der Ein- und Auswanderung Migration während der Kolonialzeit und in der jungen Republik Während der Kolonialzeit hatte das Gebiet des heutigen argentinischen Nationalstaats eine periphere Position im spanischen Weltreich. Nach der Ankunft der Spanier in der Nr. 32 März 2015 Argentinien Hintergrundinformationen Hauptstadt: Buenos Aires Amtssprache: Spanisch Fläche: 2.780.400 km 2 Bevölkerung (2014): 41,8 Mio. Bevölkerungsdichte: 14,9 Einw./km² Bevölkerungswachstum (2010): 1,03% Im Ausland geborene Bevölkerung (2010): 1.805.957 Erwerbsbevölkerung (2012): 18.850.709 Arbeitslosenquote (2013): 7,1% Religionen: 69% Katholiken, 16% Agnostiker und Atheisten, 12% Protestanten, 1,5% Muslime, 1% Juden, 0,5% Andere

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Argent in ien

Nr 26 April 2013

Einleitung

Wohl kein anderes Land der Neuen Welt ist von den gro-szligen Migrationsbewegungen des 19 und 20 Jahrhunderts so tiefgreifend gepraumlgt und veraumlndert worden wie Argenti-nien Innerhalb einer vergleichsweise kurzen Zeitspanne (von etwa 1870 bis 1930) trafen rund sechs Millionen Men-schen aus Europa in Argentinien ein Die Migration trug entscheidend zur Entstehung einer modernen uumlberwie-gend urbanen und industrialisierten Gesellschaft bei

Nach dem Ende der groszligen transatlantischen Migration(en) praumlgte die Einwanderung aus anderen la-teinamerikanischen Staaten das Land Angesichts der in den letzten Jahren wachsenden Zahl an Neuankoumlmmlin-gen aus benachbarten Staaten der groszligen Zahl an Ar-gentiniern die aktuell das Land verlassen und politischen Projekten die auf die Neudefinition der Position des Mig-ranten in der argentinischen Gesellschaft zielen muumlssen sich sowohl die Regierungen Argentiniens als auch die Gesellschaft mit alten und neuen Herausforderungen von Migration auseinandersetzen

Dieses Laumlnderprofil portraitiert die Dynamiken der unter-schiedlichen Migrationsformen in Argentinien Der erste Teil setzt sich detailliert mit der Migrationsgeschichte des Landes seit der Kolonialzeit auseinander Er fokussiert da-bei neben Wanderungsmustern auch den Einfluss dieser Migrationen auf das Aufnahmeland sowie Diskurse rund um Migration und die staatlichen Versuche diese mitzu-gestalten

Der zweite Teil beleuchtet wichtige Aspekte aktueller Migration(en) nach und aus Argentinien Dabei liegt ein Schwerpunkt auf der Auseinandersetzung mit Einwande-rern aus benachbarten Laumlndern und anderen rsaquoneuenlsaquo Ein-wanderergruppen der Abwanderung von argentinischen Staatsangehoumlrigen die dem Land aufgrund von politischer Unterdruumlckung und duumlsteren wirtschaftlichen Aussichten den Ruumlcken kehren und den juumlngeren politischen Versu-chen den Status von Einwanderern zu reformieren

Historische Entwicklung der Ein- und Auswanderung

Migration waumlhrend der Kolonialzeit und in der jungen Republik

Waumlhrend der Kolonialzeit hatte das Gebiet des heutigen argentinischen Nationalstaats eine periphere Position im spanischen Weltreich Nach der Ankunft der Spanier in der

Nr 32 Maumlrz 2015

Argentinien

Hintergrundinformationen

Hauptstadt Buenos Aires

Amtssprache Spanisch

Flaumlche 2780400 km2

Bevoumllkerung (2014) 418 Mio

Bevoumllkerungsdichte 149 Einwkmsup2

Bevoumllkerungswachstum (2010) 103

Im Ausland geborene Bevoumllkerung (2010) 1805957

Erwerbsbevoumllkerung (2012) 18850709

Arbeitslosenquote (2013) 71

Religionen 69 Katholiken 16 Agnostiker und Atheisten 12 Protestanten 15 Muslime 1 Juden 05 Andere

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Region im fruumlhen 16 Jahrhundert war die lokale Wirtschaft durch die Produktion von Guumltern fuumlr die dicht besiedelten Andenregionen die sich durch die profitable Foumlrderung wertvoller Metalle auszeichneten gepraumlgt1

Auch der transatlantische Sklavenhandel hatte Einfluss auf die suumldliche Spitze des Kontinents Schon 1596 trafen die ersten afrikanischen Sklaven in der Region ein Skla-ven wurden uumlberwiegend in staumldtischen Haushalten und der Landwirtschaft eingesetzt sie stellten in den spaumlten Jahren der Kolonialzeit einen bedeutenden Anteil an der Bevoumllkerung In der ersten argentinischen Volkszaumlhlung im Jahr 1778 waren beispielsweise 7000 der insgesamt 37000 Einwohner von Buenos Aires Schwarze2

Argentinien entwickelte sich neben den Vereinigten Staaten von Amerika zur Zeit der transatlantischen Migra-tionen zum wichtigsten Zielland in der Neuen Welt Waumlh-rend seit den 1830er Jahren die erste groszlige Einwande-rungswelle in den USA eintraf angezogen von billigen und zugaumlnglichen landwirtschaftlichen Nutzflaumlchen war die junge argentinische Nation (unabhaumlngig seit 1816) aller-dings noch tief in Machtkaumlmpfe und Buumlrgerkrieg verstrickt weil es unterschiedliche politische Vorstellungen daruumlber gab wie der neu gegruumlndete Staat aussehen sollte So standen Befuumlrworter eines Einheitsstaates mit Buenos Aires als Hauptstadt Befuumlrwortern eines dezentralisierten Staatssystems gegenuumlber Erst als der bewaffnete Konflikt beendet wurde konnte sich auf Regierungsebene eine de-mografische Perspektive entwickeln auf deren Basis die Zukunft der jungen Nation gestaltet werden konnte

Die Verfassung von 1853 manifestierte die Fuumlhrungsrol-le die zukuumlnftige Einwanderer fuumlr das Land spielen soll-ten Aber die Vision einer neuen Gesellschaft die sich auf das Fundament zuwandernder europaumlischer Siedler stuumltz-

te war mehr als nur eine demografische Vision von Bevoumll-kerungswachstum in einem vermeintlich (bevoumllkerungs-)leeren Land Migration sollte das Land komplett umformen und auf den Weg der Modernitaumlt fuumlhren (siehe Kasten 1) Unterstuumltzt durch eine 1857 eingerichtete staatlich sub-ventionierte Einwanderungskommission und Agenten die in Europa Einwanderer anwerben sollten wanderte bald eine erhebliche Zahl norditalienischer und spanischer Siedler in Argentinien ein

Aber nicht alle Einwanderer wurden gleich wertge-schaumltzt Bevorzugt wurden Einwanderer aus den rsaquofort-schrittlichenlsaquo nordeuropaumlischen Laumlndern gegenuumlber den als ruumlckstaumlndig wahrgenommenen Suumldeuropaumlern Die Hoffnungen die Zuwanderung entsprechend der eigenen Vorstellungen selektiv steuern zu koumlnnen wurden in den darauffolgenden Jahren durch die Autonomie der Migrati-onsstroumlme zerschlagen Dennoch setzte sich eine positive Einstellung gegenuumlber Migration in der politischen Klasse des Landes durch - zumindest bis zum Ausbruch der Welt-wirtschaftskrise nach 19303

Die groszlige transatlantische Migration

Und tatsaumlchlich sollten bald zahlreiche Migranten aus Euro-pa eintreffen Nachdem in den 1850er 1860er und 1870er Jahren nur wenige Einwanderer ins Land gekommen wa-ren versuchte die Regierung erfolgreich die Einwande-rung durch direkte Initiativen und Werbung im Ausland den Verweis auf positive wirtschaftliche Perspektiven und die Verfuumlgbarkeit groszliger und fruchtbarer Laumlndereien sowie auch durch die aktive Einbindung von Diplomaten in den bevorzugten Herkunftslaumlndern potenzieller Einwanderer zu foumlrdern (siehe Kasten 3) Das wichtigste Instrument zur

Kasten 1 Einwanderung als nationale Doktrin

In rsaquoFacundolsaquo dem 1845 erschienenen literarischen Hauptwerk des Autors und spaumlteren argentinischen Praumlsidenten (1868-1974) Domingo Faustino Sarmiento werden die Ideen im Hinblick auf die zukuumlnftige Rolle von Einwanderern explizit und aufschlussreich dargelegt Der Einwanderer wurde als transformierende Kraft konzeptualisiert die das gesamte Land veraumlndern und aus dem Schatten der Ruumlckstaumlndigkeit auf den Weg der Zivilisation fuumlhren sollte Zu-sammen mit dem Lehrsatz rsaquoGobernar es poblarlsaquo (rsaquoRegieren heiszligt bevoumllkernlsaquo) den der argentinische Diplomat Vater der Verfassung und politische Vordenker Juan Bautista Alberti gepraumlgt hat steht rsaquoFacundolsaquo fuumlr die Verkoumlrperung der Vision der argentinischen Elite am Projekt der Moderne teilzuhaben und die Entwicklungen in Europa und der anderen jungen Nation und Macht in der Hemisphaumlre den Vereinigten Staaten aufzuholen

Kasten 2 Nation Territorium und Voumllkermord

Um das Territorium fuumlr die Besiedlung vorzubereiten musste der junge argentinische Staat seine Staatshoheit uumlber groszlige Teile des Landes ausbreiten das uumlber Jahrhunderte von indigenen Gruppen bewohnt und beherrscht worden war Mithilfe moderner Militaumlrausruumlstung und Techniken die auch die Nutzung von Eisenbahnen umfassten beende-te die rsaquoConquista del Desiertolsaquo (Eroberung der Wuumlste) die hauptsaumlchlich von General Julio Argentino Roca in den 1870ern und 1880ern geleitet wurde eine lange Phase fragiler Grenzbeziehungen zwischen indigenen Gruppen und dem - zunaumlchst kolonialen spaumlter dann republikanischen - Staat in der Pampa-Ebene Patagonien und im Norden des Landes4 Die Vertreibung von uumlber 15000 Menschen und die Uumlbernahme des Bodens waren zentral fuumlr die Entwick-lung der Landwirtschaft des Landes und damit die Grundlage fuumlr Argentiniens wirtschaftliche Erfolgsgeschichte bis in das 20 Jahrhundert hinein Ob Argentiniens Eintritt in den modernen Kapitalismus und die Eigenstaatlichkeit des Landes auf einer Geschichte des Voumllkermords beruht ist houmlchst umstritten und spiegelt aumlhnliche Entwicklungen und Debatten in den USA wider5

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Foumlrderung der Einwanderung wurde 1876 geschaffen Das sogenannte Avellaneda-Gesetz legte die Verantwortung fuumlr die Steuerung der Zuwanderung in die Haumlnde der Zen-tralregierung und beendete damit die vorherige Dominanz der Provinzen Mit dem Gesetz wurde auch die maumlchtige Einwanderungsabteilung (rsaquoDepartamento General de Inmi-gracioacutenlsaquo) unter dem Dach des Innenministeriums geschaf-fen Daruumlber hinaus garantierte das Gesetz den Migranten nach ihrer Ankunft im Land eine sechstaumlgige kostenfreie Unterbringung im rsaquoHotel de Inmigranteslsaquo eroumlffnet im Jahr 1870 kostenfreie Zugfahrten ins Landesinnere und die Zu-erkennung staatlicher Laumlndereien6

Zwischen 1881 und dem Ersten Weltkrieg trafen 42 Millionen Menschen in Argentinien ein Italiener (etwa zwei Millionen) und spanische Staatsangehoumlrige (14 Mil-lionen) bildeten die groumlszligten Gruppen wobei es deutliche Unterschiede hinsichtlich der Regionen in den Herkunfts-laumlndern gab aus denen diese Einwanderer stammten (vgl Abbildung 1) 1912 war das Jahr in dem die meis-ten Einwanderer - rund 300000 - eintrafen Andere gro-szlige Einwanderergruppen vor dem Ersten Weltkrieg waren Deutsche Franzosen Englaumlnder und andere Gruppen aus dem Britischen Weltreich Argentinien war damit in der Zeit der groszligen transatlantischen Migrationsbewegungen das zweitbeliebteste Zielland in der Neuen Welt hinter den Ver-einigten Staaten von Amerika Aber Migration war keine Einbahnstraszlige und nahm haumlufig die Form zirkulaumlrer Pro-zesse an Von 1881 bis 1910 entschieden sich 36 Prozent der Neuankoumlmmlinge zur Ruumlckkehr in ihr Herkunftsland Die sogenannten argentinischen rsaquoZugvoumlgellsaquo - rsaquogolondri-naslsaquo (Schwalben) genannt - wurden zum Massenphaumlno-men Tausende (uumlberwiegend italienische) Landarbeiter nutzten die unterschiedlichen Erntezeiten in Europa und Suumldamerika um regelmaumlszligig zwischen den beiden Konti-nenten zu pendeln (vgl Abbildung 2)9

Obwohl das Projekt der Modernisierung von der Elite des Landes so vorbehaltlos begruumlszligt wurde loumlsten die An-kunft von Millionen von Menschen und die Auswirkungen dieser Einwanderung auch Aumlngste aus und mit der Zeit offenbarte sich dass die Bevoumllkerung der Einwanderung

zwiespaumlltig gegenuumlber stand Insbesondere die Befuumlrchtung die Einwanderer koumlnnten Krankhei-ten einschleppen rief Aumlngste hervor nicht nur in Argentinien sondern in allen Hauptaufnahme-laumlndern in der Zeit Die ersten Einwanderergrup-pen die als stoumlrend und schwer zu integrieren empfunden wurden waren Einwanderer aus dem Osmanischen Reich allgemein als rsaquoturcoslsaquo be-zeichnet und Juden die vor allem aus Russland kamen Ihre Zahl belief sich im ersten Jahrzehnt des 20 Jahrhunderts jaumlhrlich auf 10000 bis 20000 Neuankoumlmmlinge Dennoch gab es bis in die 1920er Jahre hinein praktisch keine Einwan-derungsbeschraumlnkungen

Die Volkszaumlhlung im Jahr 1914 belegt den Einfluss den die Einwanderung auf die argenti-nische Wirtschaft Gesellschaft und Kultur hatte Die Einwanderung veraumlnderte das demografi-sche Profil des Landes erheblich Innerhalb von

20 Jahren hatte sich die Bevoumllkerung verdoppelt und um-fasste nun 79 Millionen Menschen Mehr als ein Drittel der Einwohner waren im Ausland geboren worden verglichen mit 30 Prozent in den USA fuumlnf Prozent in Brasilien und 24 Prozent in Kanada In der westlichen Hemisphaumlre wies zu der Zeit nur Uruguay mit 35 Prozent der Bevoumllkerung einen houmlheren Anteil im Ausland Geborener auf 50 Prozent der Einwohner von Buenos Aires waren im Ausland Geborene mehr als in jeder nordamerikanischen Stadt10

Debatten uumlber Integration

Um ein nationales Zugehoumlrigkeitsgefuumlhl und eine Iden-tifikation mit der neuen Nation herzustellen verlieszlig sich der Staat auf drei Strategien die auf europaumlischen und US-amerikanischen Vorbildern beruhten verpflichtender Militaumlrdienst zunehmende politische Integration durch

Kasten 3 Positive wirtschaftliche Perspektiven locken Einwanderer an

Zwischen 1876 und 1915 wuchsen die Exporte von Vieh und landwirtschaftlichen Produkten jaumlhrlich um durch-schnittlich vier Prozent und das Eisenbahnnetz wurde von 2500 Kilometer auf 34000 Kilometer ausgebaut Dieses Wachstum stand in engem Zusammenhang mit der internationalen Wirtschaft Argentinien war in den globalen Markt integriert potenziellen Einwanderern boten sich hohe Loumlhne und gute wirtschaftliche Ent-faltungsmoumlglichkeiten7 Die Realloumlhne in Argentinien lagen in den 1870er Jahren 2077 Prozent houmlher als der gewichtete Durchschnittslohn in Italien Portugal und Spanien und 2121 Prozent uumlber dem Durchschnitt zwischen 1909 und 19138 In den spaumlten 1880ern gab es eine massive Subventionspolitik um Einwanderer anzuziehen ihr Erfolg war jedoch nur begrenzt Zwi-schen 1888 und 1891 gewaumlhrte die argentinische Re-gierung 134000 europaumlischen Siedlern Zuschuumlsse fuumlr die Uumlbersiedlung

Abbildung 1 Anteil italienischer und spanischer Einwanderung an der gesamten Einwanderung nach Argentinien 1857-1937

Quelle Devoto (2009)

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das Wahlrecht und politische Partizipation und vor allem eine patriotische Schul- und Ausbildung Die paumldagogi-sche Doktrin wurde vom Beispiel der saumlkularen Dritten Franzoumlsischen Republik inspiriert Das Ergebnis dieses Integrationsprojekts war erfolgreich und bestaumlndig Als in den fruumlhen 1960er Jahren der Soziologe Gino Germani die erste systematische Studie zur Einwanderung in Argenti-nien durchfuumlhrte konnte er uumlberzeugend argumentieren dass das Projekt der Integration erfolgreich gewesen und zur Schaffung einer modernen Gesellschaft beigetragen hatte in der es keine groszligen Spannungen zwischen un-terschiedlichen ethnischen Gruppen gab Bereits in den 1920ern hatten viele Einwanderer der zweiten und dritten Generation ihre Muttersprache verlernt und standen Neu-zuwanderern kritisch gegenuumlber In dieser Hinsicht zeigten sich in Argentinien aumlhnliche Muster wie in anderen Gegen-den die von Europaumlern besiedelt worden waren Waumlhrend beispielsweise Jiddisch von Einwanderern in Zentral- und Osteuropa uumlber Jahrhunderte von Generation zu Gene-ration weiter gegeben wurde verschwand die Sprache in Argentinien im Laufe von nur drei Generationen fast voll-staumlndig genauso wie auch in den USA Brasilien oder in Uruguay11

Nach dem Ersten Weltkrieg bis zu den 1950er Jahren ndash Ein neues intellektuelles Klima und das Ende der Masseneinwanderung

Der starke Ruumlckgang der Einwandererzahlen fuumlhrte zwi-schen 1915 und 1917 zu einem negativen Wanderungssal-do Der Ausbruch des Ersten Weltkriegs machte deutlich wie sehr das argentinische Projekt der Moderne auf wa-ckeligen Fuumlszligen stand und wie abhaumlngig es von den politi-

schen Umstaumlnden und Wirtschaftszyklen in anderen Teilen der Welt war

Nach dem Groszligen Krieg nahm die Zahl der Einwanderer jedoch wieder zu Argentinien gelang es sogar den Anteil der europaumlischen Migration im Vergleich zu anderen Laumln-dern der Neuen Welt zu erhoumlhen was teilweise auch auf die Einfuumlhrung restriktiver Einwanderungsgesetze in den USA zuruumlckzufuumlhren war 1923 wurde mit 200000 Neu-einwanderern ein neuer Houmlchststand erreicht Der Anteil der Einwanderer aus den zerbroumlckelnden Imperien in Zen-tral- und Osteuropa - dem Osmanischen Habsburgischen und Russischen Reich - und ihren Nachfolgestaaten die im Zuge der politischen Neuordnung durch den Friedens-vertrag von Versailles entstanden erhoumlhte sich12

Der Schock des Ersten Weltkriegs sollte ein Vorzeichen fuumlr die Dinge sein die noch kommen sollten Wie in vielen anderen Laumlndern der Neuen Welt brachte der Ausbruch der Weltwirtschaftskrise 1929 die Zuwanderung quasi zum Erliegen Wachsende Arbeitslosigkeit und die Erosion der relativen Loumlhne sorgten dafuumlr dass die Reise nach La Pla-ta fuumlr viele potenzielle Migranten unattraktiv wurde Zudem veraumlnderte sich das intellektuelle Klima in den 1930er Jah-ren grundlegend Nationalistische Ideen stellten das libe-rale Paradigma offener Grenzen infrage und wachsende Fremdenfeindlichkeit und Antisemitismus beeinflussten die Haltung der Bevoumllkerung gegenuumlber Einwanderern Die Militaumlrregierung die 1930 die Macht uumlbernahm fuumlhrte noch im selben Jahr sowie erneut 1938 Einwanderungsbe-schraumlnkungen ein dennoch war es nicht die Politik son-dern die wirtschaftliche Entwicklung die das Versiegen der Einwanderung maszliggeblich beeinflusste

In den 1930ern kam zudem ein neues Phaumlnomen er-zwungener Migration auf der Fluumlchtling Dem Druck von

Abbildung 2 Spanische und italienische Einwanderung nach und Auswanderung aus Argentinien 1861-1920

Quelle Devoto (2009)

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Krieg und Verfolgung zunaumlchst waumlhrend des Spanischen Buumlrgerkriegs und spaumlter durch das Aufkommen rechts-extremer totalitaumlrer Regime und den Zweiten Weltkrieg begegnete Argentinien mit zunehmend restriktiven Grenz-kontrollen Dabei spielte auch die antisemitische und an-tikommunistische Haltung der argentinischen Elite eine wichtige Rolle Obwohl der argentinische Staat versuchte gegen illegale Grenzuumlbertritte hart vorzugehen gelang es tausenden Menschen vor allem Juden ins Land zu gelan-gen Die Nutzung alternativer Einreiserouten uumlber schlecht kontrollierte Stellen der argentinischen Grenze die Einrei-se uumlber Drittstaaten oder einfach die Bestechung von Be-amten um Zutritt zum Land zu erhalten erwies sich dabei oft als lebensrettend

Der letzte Versuch eine groszlige Zahl europaumlischer Ein-wanderer anzulocken erfolgte waumlhrend der Praumlsident-schaft von Juan Peroacuten von 1946 bis 1955 In ihrem Fuumlnf-jahresplan von 1947 einem Dokument das neben der allgemeinen ideologischen Vision der Regierung auch detaillierte Beschreibungen von Politikvorhaben enthielt brachte die peronistische Regierung den Wunsch zum Ausdruck weitere vier Millionen Einwanderer zur landwirt-schaftlichen Bewirtschaftung bislang ungenutzter Flaumlchen ins Land zu holen Zudem foumlrderte Peroacuten die Migration innerhalb der Landesgrenzen von den Provinzen in die groszligen Staumldte um die Industrialisierung des Landes vo-ranzutreiben Der Peronismus sah Arbeitsmigranten aus dem Landesinneren die oftmals eine dunklere Hautfarbe hatten als integralen Bestandteil der nationalen Gemein-schaft an Zeitgleich aber hielt der Peronismus den My-thos einer homogenen weiszligen argentinischen Gesellschaft aufrecht indem er die Integration der Binnen- und inter-nationalen Migranten in den argentinischen Schmelztiegel (rsaquocrisol de razaslsaquo) hervorhob Aber wie schon im Fall fruuml-herer Versuche die Migration nach Argentinien zu steuern gelang es dem Staat auch jetzt nicht seine ehrgeizigen Plaumlne zu verwirklichen Obwohl die Zahl der Neuankoumlmm-linge in den 1940er und 1950er Jahren noch einmal an-stieg kehrten in dieser Zeit auch viele Menschen in ihre Herkunftslaumlnder zuruumlck (1949 148372 Neuankoumlmmlinge vs 133019 Ruumlckkehrer) In den 1950ern folgten viele

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Menschen dem Ruf der boomenden zentraleuropaumlischen Wirtschaften nach auslaumlndischen Arbeitskraumlften anstatt nach Argentinien aufzubrechen13

Juumlngste Entwicklungen der Ein- und Auswanderung

Migration aus benachbarten Staaten

Das Phaumlnomen der Einwanderung aus benachbarten Ge-bieten ist viel aumllter als die Geschichte des argentinischen Nationalstaats selbst Bereits in der Kolonialzeit nutzten Arbeitsmigranten und Haumlndler die weitverzweigten Fluss-systeme fuumlr ihre Aktivitaumlten Seit der Entstehung der Repu-blik im fruumlhen 19 Jahrhundert hat Argentinien Menschen aus umliegenden Laumlndern angezogen dank houmlherer Loumlhne und relativ fortschrittlicher industrieller und landwirtschaft-licher Strukturen mit hoher Arbeitskraumlftenachfrage Aber erst unter der Militaumlrdiktatur in den 1970er Jahren geriet die Praumlsenz lateinamerikanischer Migranten in den Fokus der oumlffentlichen Aufmerksamkeit Sie wurde hauptsaumlchlich als ein rsaquoProblemlsaquo irregulaumlren Aufenthalts sozialen und ethnischen Zusammenhalts und als Gefahr fuumlr das Projekt der Zivilisierung und nationalen Entwicklung gesehen die wachsenden einwanderungsfeindlichen Einstellungen in den 1980ern und 1990ern verstaumlrkten diese Sichtweise Diese Stigmatisierung lateinamerikanischer Einwanderer ging mit einer groumlszligeren Sichtbarkeit dieser Gruppe einher sowohl was ihre Zahl als auch ihre oumlffentliche Wahrneh-mung anbelangte15

Nicht uumlberraschend nahm die Zahl der auslaumlndischen Staatsangehoumlrigen nach dem Zweiten Weltkrieg deutlich ab von 26 Millionen 1960 auf 15 Millionen 2001 (vgl Ab-bildung 3) Aber die Veraumlnderung hinsichtlich der im Land lebenden Auslaumlnder betraf nicht nur deren Zahl Langsam aber stetig kamen weniger Europaumler dafuumlr aber mehr Menschen aus benachbarten Laumlndern insbesondere aus Bolivien Paraguay Peru und Chile Insbesondere die Ein-wanderung aus Paraguay und Bolivien war bestaumlndig Bis zu den 1970er Jahren war die Migration vor allem regional ausgerichtet und beschraumlnkte sich zumeist auf Land-Land-Migration in Grenzgebieten Anschlieszligend entwickelte sich die Metropole Buenos Aires zu einem Zuwanderungsma-gneten Die Volkszaumlhlung von 2001 offenbarte dass 54 Prozent der Einwanderer aus benachbarten Staaten in Buenos Aires lebten verglichen mit nur 25 Prozent 1960 Obwohl ihr Anteil an der Gesamtbevoumllkerung in den ver-gangenen 30 Jahren nur unwesentlich gestiegen ist (von 27 Prozent 1983 auf 31 Prozent 2011) ist ihre Zahl vor allem von 1991 bis 2001 am deutlichsten gewachsen Die auszligerordentlich hohen Loumlhne in diesem Jahrzehnt garan-tiert durch die eins zu eins Konvertierbarkeit des argen-tinische Peso und des US-amerikanischen Dollar zogen hunderttausende Arbeitskraumlfte und ihre Familien an Somit wuchs beispielsweise die bolivianische Community zwi-schen 1991 und 2001 von 143589 auf 233464 Personen die paraguayische von 150450 auf 325046 und die peru-anische von 15939 auf 8754616

Kasten 4 Argentiniens Schmelztiegel-Theorie

Beeinflusst von den Debatten in den USA dominier-te in Argentinien in den Diskussionen daruumlber wie der Zusammenhalt einer Nation bestehend aus Einwan-derern zu konzeptualisieren sei die Vorstellung eines Schmelztiegels (rsaquocrisol de razaslsaquo) - das argentinische Aumlquivalent zur US-amerikanischen rsaquoMelting Potlsaquo-Theorie Erst seit Kurzem gewinnen auch heterogene Ideen und Konzepte an Bedeutung die Merkmale und Strukturen sozialer Pluralitaumlt und kultureller Diversitaumlt hervorheben Im Zentrum von Studien zu diesen Kon-zepten standen dabei Muster politischer Partizipation Dynamiken von Eheschlieszligungen und wirtschaftlicher Teilnahme sowie die raumlumliche Wohnverteilung in der Stadt und auf dem Land14

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Laumlnderprofil Nr 32

Viele dieser Einwanderer arbeiten in Sektoren in denen niedrige Loumlhne gezahlt werden und die Arbeitsbedingun-gen prekaumlr sind wie im Baugewerbe Haushaltsdienstleis-tungssektor oder in der Fertigungsindustrie aber auch in der Landwirtschaft der Bekleidungsindustrie Gemuumlse-laumlden in Staumldten oder andere Bereichen des Handels In diesen Segmenten des Arbeitsmarkts hat vor allem die bolivianische Community erfolgreich ethnische Struktu-ren - sowohl formeller als auch informeller Art - aufgebaut die tausenden Bolivianern zu einem Arbeitsplatz verhelfen und Orte der Geselligkeit und des Miteinanders schaffen17

Bolivianer die in Argentinien leben tragen erheblich zur Wirtschaft ihres Herkunftslandes bei Studien der Internati-onalen Organisation fuumlr Migration schaumltzen dass sich ihre Ruumlckuumlberweisungen an Familienmitglieder allein 2012 auf 301 Millionen US-Dollar beliefen

Diese rsaquoNeue Migrationlsaquo die tatsaumlchlich aber ein sehr altes Phaumlnomen ist nur eben von der Dominanz der transatlantischen Migrationsbewegungen verdeckt wurde stellte neue Herausforderungen fuumlr das Projekt der natio-nalen Identitaumlt und des inter-ethnischen Zusammenhalts dar Die dominante und populaumlre Vorstellung dass die argentinische Nation aus rsaquoSoumlhnen der Bootelsaquo (rsaquohijos de los barcoslsaquo) bestand die sich erfolgreich in das nationale Projekt des Fortschritts integriert hatten lieszlig wenn uumlber-haupt nur einen marginalen Platz fuumlr Einwanderer aus der unmittelbaren Nachbarschaft Argentiniens Zudem sind fremdenfeindliche Einstellungen offene und versteckte Formen von Diskriminierung und Vorstellungen kultureller Uumlberlegenheit im Land sehr weit verbreitet Ein komplexes Zusammenspiel aus Klasse rsaquoRasselsaquo Debatten um Sicher-heit und Kriminalitaumlt sowie kulturelle Andersartigkeit fuumlhrt dazu dass Bolivianer und andere Einwanderer aus Latein-amerika in eine gesellschaftliche Randposition gedraumlngt werden und relativ ausgeschlossen bleiben18

Andere neuere Einwanderungsbewegungen

Ein weiteres Phaumlnomen das als neu gilt ist die zuneh-mende Praumlsenz von (zumeist west-) afrikanischen Arbeits-migranten und Fluumlchtlingen insbesondere Senegalesen Ghanaern und Nigerianern in den groumlszligeren Staumldten des

Landes vor allem in Buenos Aires Das rigide Grenzuumlber-wachungssystem in Europa das im Laufe der letzten Jahr-zehnte entstanden ist das bemerkenswerte Wirtschafts-wachstum in Argentinien und die vergleichsweise offenen Einwanderungspolitiken des Landes haben dazu gefuumlhrt einen Teil der afrikanischen Migration nach Argentinien umzulenken Wie auch andere nicht-europaumlische Migran-ten die in juumlngster Zeit nach Argentinien gekommen sind sehen sich afrikanische Einwanderer Vorurteilen ausge-setzt und haben groszlige Schwierigkeiten eine legale Arbeit zu finden Der Staat und Wohlfahrtseinrichtungen bieten Sprachkurse an stellen temporaumlre und erneuerbare Auf-enthaltsgenehmigungen zur Verfuumlgung und ebenso eine grundlegende Gesundheitsversorgung Das 2010 gegruumln-dete Zentrum fuumlr afrikanische Fluumlchtlinge und Migranten (rsaquoCentro para el Refugiado y Migrante Africanolsaquo) bietet Informationen und Unterstuumltzung fuumlr junge afrikanische Fluumlchtlinge an19

Die afrikanische Migration wird oftmals als neues Phauml-nomen dargestellt Ein Blick in die Vergangenheit zeigt je-doch dass afrikanische Einwanderer in der Region schon lange praumlsent waren Der Zensus von 1810 zeigt dass allein in Buenos Aires das zu der Zeit 32558 Einwoh-ner zaumlhlte 9615 Schwarze lebten Die Mehrzahl dieser schwarzen rsaquoPortentildeoslsaquo - wie die Einwohner von Buenos Aires genannt werden - waren Opfer des transatlantischen Sklavenhandels Der Zensus aus dem Jahr 2010 zeigte dass sich 149493 Einwohner des Landes als Nachkom-men von afrikanischen Einwanderern beschreiben Die Praumlsenz von Afrikanern und Afro-Argentiniern verdeutlicht dass die Migrationsgeschichte Argentiniens vielschichtiger ist als das immer noch dominante Narrativ eines Landes das sich auf europaumlische Einwanderung gruumlndet nahe legt20

Die Einwandererbevoumllkerung

Der juumlngste Zensus aus dem Jahr 2010 belegt dass die Einwanderung aus anderen lateinamerikanischen Laumlndern in den letzten Jahren uumlberwogen hat Mehr als 75 Prozent der in Argentinien lebenden aber im Ausland geborenen Bevoumllkerung stammten aus benachbarten Laumlndern (ein-schlieszliglich Peru) Europaumler folgen mit 16 Prozent Ins-gesamt waren 45 Prozent der Bevoumllkerung des Landes auszligerhalb Argentiniens geboren worden Die groumlszligten Ein-wanderergruppen - in absoluten Zahlen betrachtet - bilden Paraguayer mit 550713 Personen Bolivianer mit 345272 Personen Chilenen mit 191147 Personen und Peruaner mit 157514 Personen

In Argentinien zeigt sich daruumlber hinaus das weltweit zu beobachtende Phaumlnomen der rsaquoFeminisierung der Migrati-onlsaquo Nach Ergebnissen des Zensus von 2010 sind 539 Pro-zent der im Ausland geborenen Bevoumllkerung weiblich in der einheimischen Bevoumllkerung sind es dagegen nur 512 Prozent Die Zensusdaten weisen zudem darauf hin dass sich die Mehrheit der Einwandererbevoumllkerung in Staumldten niedergelassen hat Insgesamt leben 732 Prozent der im Ausland geborenen Bevoumllkerung in Buenos Aires und der stark urbanisierten Provinz Buenos Aires Damit sind 135

Abbildung 3 Anteil der im Ausland geborenen (foreign born) Bevoumllkerung an der Gesamtbevoumllke- rung Argentiniens 1869-2010

Quelle INDEC [Nationales Statistikinstitut] Volkszaumlhlungen 1869 bis 2010

Laumlnderprofil Nr 32

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Prozent der Einwohner der Stadt Buenos Aires im Ausland Geborene waumlhrend ihr Anteil an der Bevoumllkerung der pe-ripheren Provinz Santiago del Estero im Nordwesten des Landes gerade einmal 03 Prozent betraumlgt Etwa ein Drit-tel der im Ausland geborenen Bevoumllkerung Argentiniens ist zwischen 2001 und 2010 eingewandert was deutlich macht dass Einwanderung fuumlr das Land weiterhin relevant ist (vgl Abbildung 4)

Argentinier im Ausland

Die Krise 2001 und ihre Konsequenzen - Argentinien als Auswanderungsland

Im Jahr 2001 sah sich Argentinien mit einer Finanzkrise konfrontiert die im darauffolgenden Jahr in einer Abwer-tung der nationalen Waumlhrung um 300 Prozent und inner-halb weniger Wochen in den Zusammenbruch des Ban-kensystems muumlndete - mit verheerenden Konsequenzen Die Arbeitslosigkeit stieg auf 20 Prozent und die Unterbe-schaumlftigung auf 17 Prozent 42 Prozent der Bevoumllkerung lebten unterhalb der Armutsgrenze und 27 Prozent sogar in extremer Armut

Die wirtschaftliche politische und soziale Krise fuumlhrte zu einem grundlegenden Wandel der Migrationsmuster Im folgenden Jahrzehnt erlebte das Land zum ersten Mal in seiner Geschichte eine groszlige und anhaltende Abwande-rungswelle (vgl Abbildung 5) insbesondere von jungen und qualifizierten Argentiniern die sich im Ausland eine bessere Zukunft erhofften Schaumltzungen zufolge lebten 2010 rund eine Million Argentinier auszligerhalb des Landes wobei Spanien 30 Prozent und die USA 23 Prozent auf-genommen hatten und damit die Hauptziellaumlnder bildeten (vgl Abbildung 6)21

Spanien und andere Hauptziellaumlnder

Bis vor einigen Jahren lebte die groumlszligte Gruppe argentini-scher Auswanderer in den USA Die Zahl der Neuzuwan-derer aus Argentinien erreichte mit 35210 Personen im Jahr 2002 einen Houmlhepunkt und zeigte einen deutlichen Anstieg gegenuumlber 2000 als 6670 Argentinier in die USA einwanderten22 Seit der Finanzkrise in Argentinien 2001 entwickelte sich Spanien jedoch allmaumlhlich zum Hauptziel-land argentinischer Auswanderer (vgl Abbildung 6)

Spanien hatte argentinische Migranten aufgrund der kulturellen und sprachlichen Naumlhe bereits seit Mitte des 20 Jahrhunderts angezogen Dieser Prozess beschleunig-te sich mit der bemerkenswerten Verbesserung der makro-oumlkonomischen Situation Spaniens nach seinem Beitritt zur Europaumlischen Union im Jahr 1986 Daruumlber hinaus hatte vor 2001 auch die Zwangsauswanderung von tausenden Argentiniern waumlhrend der Militaumlrdiktatur von 1976 bis 1983 zur wachsenden Zahl in Spanien lebender argentinischer Staatsangehoumlriger beigetragen Viele Fluumlchtlinge waumlhlten Spanien (neben Mexiko und den USA) als Zufluchtsort was dazu fuumlhrte dass Argentinier bis in die 1990er Jahre hinein die groumlszligte Gruppe lateinamerikanischer Einwan-derer in Spanien stellten wobei hoch ausgebildete und

Abbildung 4 Im Ausland geborene (foreign born) Bevoumllkerung Argentiniens 2010 - Herkunftslaumlnder absolute Zahlen und prozentualer Anteil

Herkunftsland Zahl der Einwanderer

Paraguay 550713

Bolivien 345272

Chile 191147

Peru 157514

Uruguay 116592

Brasilien 41330

Andere nord- und suumldame-rikanische Laumlnder

68831

Italien 147499

Spanien 94030

Andere europaumlische Laumlnder 57865

China 8929

Andere asiatische Laumlnder 22072

Afrika und Ozeanien 4163

Gesamt 1805957

Quelle INDEC [Nationales Statistikinstitut] Censo Nacional de Poblacioacuten Hogares y Viviendas 2010

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technisch qualifizierte Personen unter den argentinischen Zuwanderern uumlberwogen23

Die Zahl der in Spanien lebenden Argentinier stieg deut-lich an von 119000 Personen 2001 auf 291700 Personen 2009 wobei allein im Jahr 2002 35405 Argentinier in Spa-nien einwanderten Seit 2009 ist ihre Zahl leicht und konti-nuierlich gesunken da viele Argentinier Spanien seit dem Ausbruch der Finanzkrise in Suumldeuropa und angesichts der boomenden Wirtschaftssituation in Lateinamerika wieder verlassen haben Dennoch bildeten argentinische Staatsangehoumlrige 2011 mit 279300 Personen immer noch die sechstgroumlszligte Gruppe der im Ausland geborenen Be-voumllkerung hinter Rumaumlnen Marokkanern Ecuadorianern Briten und Kolumbianern24

Ein weiteres wichtiges Zielland argentinischer Auswan-derer wurde Israel Schaumltzungen zufolge wanderten zwi-schen 2000 und 2006 11200 Argentinier in dieses Land ein wobei zwischen 15 und 20 Prozent spaumlter wieder nach Argentinien zuruumlckkehrten 2002 kurz nach dem Ausbruch der Krise in Argentinien wanderten 5900 Argentinier nach Israel ein diese Zuwanderungszahl wurde in jenem Jahr

nur von Migranten aus der ehemaligen UdSSR uumlberschrit-ten Obwohl sich die argentinische Migration in den letzten Jahren verlangsamt hat zaumlhlt Argentinien immer noch zu den Hauptherkunftslaumlndern von Migranten in Israel (Platz 6 im Jahr 2012)25 Eine der Konsequenzen ist die zuneh-mende Verkleinerung der juumldischen Gemeinschaft in Ar-gentinien Erreichte die Zahl argentinischer Juden in den fruumlhen 1960er Jahren mit uumlber 300000 Personen ihren Houmlhepunkt so ist sie in den vergangenen Jahren auf unter 200000 gesunken26 Neben der schwierigen wirtschaftli-chen Ausgangslage in Argentinien spielt die aktive Anwer-bung Argentinischer Juden durch den israelischen Staat meistens uumlber juumldische Kulturinstitutionen in Argentinien vermittelt eine entscheidende Rolle fuumlr die Ausreisemo-tivationen

Oftmals - und dies gilt insbesondere fuumlr die groszlige Zahl der Argentinier mit spanischen und italienischen Wurzeln - vereinfachten die spezifischen Einbuumlrgerungsgesetze der Ziellaumlnder die in unterschiedlichem Ausmaszlig das elterliche ius sanguinis (Kinder erben die Staatsangehoumlrigkeit der Eltern) zugrunde legten den Zugang zur Staatsbuumlrger-schaft eines europaumlischen Landes Damit ist dann auch die Freizuumlgigkeit innerhalb der Europaumlischen Union ver-bunden (siehe Kasten 5)

Fuumlr viele insbesondere junge Argentinier ist der Er-werb der Staatsangehoumlrigkeit eines europaumlischen Landes zu einer wichtigen Strategie geworden um einer teils per-spektivlosen Situation zu entkommen Oftmals koumlnnen sie die Staatsangehoumlrigkeit uumlber die Konsulate in Argentinien erwerben ohne das Land verlassen zu muumlssen Die Re-form des spanischen Staatsangehoumlrigkeitsrechts im Jahr 2007 die den Zugang zur spanischen Staatsangehoumlrig-keit fuumlr Nachkommen von Fluumlchtlingen des Spanischen Buumlrgerkrieges erleichterte und als Gesetz der Enkelkin-der (rsaquoLey de nietoslsaquo) bezeichnet wurde kam auch vielen spanischstaumlmmigen Argentiniern zugute27 2009 waren 45 Prozent (bzw 132000) der 291700 argentinischstaumlmmi-gen Einwohner Spaniens nicht im Besitz der spanischen Staatsbuumlrgerschaft28

Ruumlckkehrmigration

Die starke Erholung der argentinischen Wirtschaft seit 2003 insbesondere aber die Auswirkungen der Wirtschaftskri-se in Suumldeuropa seit 2007 haben eine neue Phase der Migration eingeleitet Viele Argentinier die ihr Land in den Jahrzehnten davor verlassen hatten entschlossen sich nun nach Argentini-en zuruumlckzukehren In einigen Faumlllen vor allem in Spanien wurde die Ruumlck-kehr ins Herkunftsland durch staatliche Programme finanziell gefoumlrdert Zwi-schen 2013 und 2014 sank die Zahl der in Spanien lebenden Argentinier ohne spanischen Pass von 95415 auf 80910 Personen Gleichzeitig ist die Auswan-derung spanischer Staatsangehoumlriger

Abbildung 5 Argentinische Einwanderung in OECD- Laumlnder 2001-2010

Quelle OAS (2012)

Abbildung 6 Im Ausland lebende Argentinier 2010

Quelle Organizacioacuten Internacional para las Migraciones (OIM) (2012)

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nach Argentinien von 2182 Personen 2012 auf 2682 Per-sonen 2013 gestiegen29 Argentinien hat mit zahlreichen lateinamerikanischen Staaten und Spanien verschiedene Abkommen unterzeichnet die die Uumlbertragung von erwor-benen Sozialleistungsanspruumlchen ohne grundlegende Ver-luste fuumlr Arbeitsmigranten ermoumlglichen sollen

Veraumlnderungen der Einwanderungs- und Regularisierungsgesetzgebung

Militaumlrherrschaft und Einwanderung

Seit dem Ruumlckgang der europaumlischen Einwanderung der zunehmenden Zahl an Migranten aus umliegenden Laumln-dern und der Bedeutung der Dynamik interner Migration seit dem Zweiten Weltkrieg hat Argentinien grundlegende Veraumlnderungen dahingehend durchlaufen wie Einwande-rung konzipiert und rechtlich gerahmt wird Uumlber Jahrzehn-te hingen die gesetzlichen Bestimmungen und Wahrneh-mungen der Einwanderungspolitik stark vom politischen Programm der jeweiligen machthabenden Regierung ab Waumlhrend der verschiedenen Militaumlrdiktaturen zwischen 1955 und 1983 herrschte ein restriktiverer Ansatz vor als unter zivilen Regierungen beispielsweise in den Jahren 1963 bis 1966 und 1973 bis 1976

Die grundlegendste Reform erfolgte 1981 als die Mili-taumlrjunta das rsaquoGenerelle Gesetz zur Migration und Foumlrde-rung von Einwanderunglsaquo erlieszlig Dieses wurde auch als Videla-Gesetz bezeichnet (benannt nach dem General und de facto Staatsoberhaupt von 1976 bis 1981 Jorge Rafa-el Videla) und hob das Avellaneda-Gesetz aus dem Jahr 1876 auf Auch wenn das Videla-Gesetz weiterhin die eu-ropaumlische Einwanderung befuumlrwortete insbesondere zum Zwecke der Besiedlung und des Bevoumllkerungswachstums enthielt es viele repressive Bestimmungen zur illegalen Einwanderung die sich implizit gegen Neuankoumlmmlinge aus benachbarten Staaten richteten Das Gesetz verbot es undokumentierten Auslaumlndern ausdruumlcklich einer be-zahlten Arbeit nachzugehen schloss sie vom Zugang zum Gesundheits- und Bildungssystem aus und verpflichtete Beamte dazu den Behoumlrden jegliche irregulaumlre Situation zu melden Die Einwanderungspolitik wurde folglich fast ausschlieszliglich zur Aufgabe der Sicherheitsbehoumlrden was in der Doktrin zur rsaquoNationalen Sicherheitlsaquo zum Ausdruck

kam30 Es wurde fuumlr Einwanderer so zunehmend schwe-rer einen legalen Aufenthaltstitel zu erhalten sie waren in einer Situation der Verwundbarkeit und Irregularitaumlt ge-fangen

Nach der Ruumlckkehr zur Demokratie 1984 folgten die ver-fassungskonformen Regierungen einem offeneren Ansatz der auch verschiedene Amnestie-Programme fuumlr Migran-ten enthielt die sich illegal im Land aufhielten Dennoch blieb der breitere gesetzliche Rahmen der Militaumlrjunta bis 2004 in Kraft Daraus entwickelte sich eine widerspruumlchli-che gesetzliche und faktische Praxis Beispielsweise wur-de Einwanderern einerseits das Recht zur Teilnahme an Wahlen auf kommunaler Ebene und auch in den meisten Provinzwahlen gewaumlhrt gleichzeitig aber die Moumlglichkei-ten einer regulaumlren Arbeit nachzugehen eingeschraumlnkt die jedoch Voraussetzung fuumlr den Erwerb einer Niederlas-sungserlaubnis war

Neue Ansaumltze

Nachdem die Einwanderungspolitik seit der Diktatur uumlber Jahre hinweg unveraumlndert einen auslaumlnderfeindlichen und implizit rassistischen Ansatz verfolgt hatte haben in den letzten zehn Jahren grundlegende Reformen stattgefun-den die neue Grundprinzipien der Einwanderungspolitik einfuumlhrten

Die offenen oder versteckten rassistischen Einstellun-gen und Diskriminierungen gegenuumlber afrikanischen und lateinamerikanischen Einwanderern die sowohl in der Oumlf-fentlichkeit als auch im privaten Bereich im institutionellen Kontext als auch alltaumlglichen Begegnungen stattfinden stehen in starkem Kontrast zu den neueren Entwicklungen im Bereich sozialer Rechte einschlieszliglich derer von Mig-ranten Obwohl es in Argentinien bereits seit 1988 ein Anti-Diskriminierungsgesetz gibt wurden erst unter den Re-gierungen von zunaumlchst Neacutestor Kirchner (2003-2007) und spaumlter seiner Frau Cristina Fernaacutendez de Kirchner (2007 bis heute 2015) die sozialen Rechte deutlich gestaumlrkt Die betraumlchtlichen Reformen in Bezug auf die Rechte von Einwanderern wurden dabei in der Oumlffentlichkeit weniger wahrgenommen als die sichtbaren Reformen und Ansaumltze wie etwa die Einfuumlhrung von gleichen Rechten fuumlr gleich-geschlechtliche Partnerschaften die offensive Verfolgung von Straftaumltern der letzten Militaumlrdiktatur und die deutliche Ausweitung von sozialen Rechten im Bereich des Wohl-fahrts- und Bildungssystems inklusive effektiver Umvertei-lungspolitik Die neue Einwanderungspolitik die auf dem Ansatz der Gewaumlhrung von Rechten beruht hat einerseits zur Legalisierung des Aufenthaltsstatus von Neuzuwan-derern gefuumlhrt Andererseits profitieren davon aber auch besonders schutzbeduumlrftige Fluumlchtlinge Wirtschaftsda-ten legen daruumlber hinaus nahe dass dieser Politikansatz der Kirchner-Regierungen positive Auswirkungen auf das juumlngste wirtschaftliche Wachstum des Landes hatte das zwischen 2003 und 2012 durchschnittlich 72 Prozent be-trug

Erste Schritte zu einer vereinfachten Regularisierung des Aufenthaltsstatus wurden 2002 mit dem rsaquoRegionalen Abkommen fuumlr Staatsbuumlrger der Mitgliedstaaten des Ge-

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Kasten 5 Europaumlischer Staatsbuumlrger werden

Ein Blick auf den Erwerb der italienischen Staatsbuumlr-gerschaft durch argentinische Staatsangehoumlrige zeigt in den Jahren nach 2001 eine deutliche Zunahme Waumlhrend 2001 316 Argentinier die italienische Staats-buumlrgerschaft erhielten waren es 2006 2569 Personen In Spanien zeigt sich der Anstieg sogar noch deutlicher Die Zahl der Argentinier die die spanische Staatsan-gehoumlrigkeit erwarben stieg von 791 im Jahr 2001 auf 6395 in 2010

meinsamen Marktes Suumldamerikaslsaquo (MECOSUR dh Ar-gentinien Brasilien Uruguay und Paraguay) und den as-soziierten Staaten (Bolivien und Chile) gemacht Demnach haben Staatsangehoumlrige der genannten Laumlnder das Recht in jedem anderen Mitglieds- oder assoziierten Land zu le-ben und zu arbeiten und sind mit den jeweiligen Staats-angehoumlrigen gleichberechtigt Ein Wendepunkt wurde mit der Verabschiedung des Gesetzes Nr 25871 im Jahr 2004 erreicht das viele der Grundprinzipien der UN-Wan-derarbeitnehmerkonvention von 1990 beinhaltet Bei der Vorbereitung des Gesetzes kooperierte die argentinische Regierung mit einer Beratungskommission aus Vertretern von verschiedenen Menschenrechts- und Expertenorgani-sationen von denen viele im Umkreis der Vereinten Na-tionen angesiedelt waren wie die Internationale Organi-sation fuumlr Migration und der Hohe Fluumlchtlingskommissar der Vereinten Nationen (UNHCR) Innerhalb des Rahmens zur regionalen Integration etabliert das Gesetz drei Aufent-haltskategorien dauerhaft temporaumlr und vorruumlbergehend Die allgemeinen Prinzipien des Gesetzes formulieren ein ehrgeiziges Programm Neben dem expliziten Wunsch Einwanderer sozio-kulturell in die argentinische Gesell-schaft zu integrieren einschlieszliglich der gleichberechtigten Partizipation von Migranten am Arbeitsmarkt verpflichtet der Gesetzestext den Staat dazu das Menschenrecht auf Migration anzuerkennen Dieses sieht den Grundsatz zur Gleichbehandlung von Migranten und Einheimischen vor dem Gesetz vor garantiert das Recht auf Familienzusam-menfuumlhrung und Zugang zum Gesundheits- und Bildungs-system sowie zu Sozialleistungen fuumlr Auslaumlnder unab-haumlngig von ihrem Migrationsstatus Daruumlber hinaus betont das Gesetz die Rechte von im Ausland lebenden argenti-nischen Staatsangehoumlrigen und foumlrdert deren Ruumlckkehr-migration

Das Gesetz wurde von einer groszligen Medienkampagne begleitet die Einwanderer informierte und dazu ermutigte ihren Aufenthaltsstatus regularisieren zu lassen Zudem wurde ein weitreichendes Regularisierungsprogramm mit dem Namen rsaquoPatria Grandelsaquo (Groszliges Heimatland) auf-gelegt das zwischen 2006 und 2010 die Regularisierung von 650000 Migranten aus MERCOSUR-Mitgliedslaumlndern vereinfachte Insgesamt wurden im Rahmen des Patria Grande-Programms und anderen Regularisierungsmoumlg-lichkeiten zwischen 2004 und 2011 1688106 Antraumlge auf einen legalen Aufenthaltsstatus gestellt Das Regularisie-rungsprogramm garantierte das Recht sich im Land auf-zuhalten aber auch Argentinien zu verlassen und wieder einzureisen ebenso wie das Recht zu studieren und eine Arbeitserlaubnis zu erhalten Es bildete den ersten Schritt zum Erwerb einer dauerhaften Aufenthaltsgenehmigung Urspruumlnglich wurde das Patria Grande-Programm als ein administratives Instrument zur Legalisierung des Aufent-haltsstatus von Migranten konzipiert Es entwickelte sich allerdings zu einem zentralen Instrument des Staates eine neue Vision von Zugehoumlrigkeit und der Partizipation von Migranten an der Nation zu artikulieren

Weitere Instrumente die mit der neuen nationalen Mig-rationsgesetzgebung und dem Regularisierungsprogramm in Zusammenhang stehen umfassten das rsaquoNationale Insti-

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tut gegen Diskriminierung Auslaumlnderfeindlichkeit und Ras-sismuslsaquo eine dreigliedrige Kommission zu Gender-Fragen und Gleichstellung auf dem Arbeitsmarkt sowie ein Natio-nales Bildungsgesetz (Nr 26206) das den Zugang von undokumentierten Migranten zum Grund- und weiterfuumlh-renden Schulsystem sowie zur Universitaumlt garantieren soll

Die Reformen der vergangenen Jahre hatten zur Folge dass die Kategorie des rsaquoillegalen Einwandererslsaquo nahezu verschwunden ist Der Erfolg von Programmen wie Pat-ria Grande und anderen nicht-MERCOSUR Regularisie-rungsmaszlignahmen sicherte hunderttausenden in Argentini-en lebenden Auslaumlndern einen legalen Aufenthaltsstatus Daten zur irregulaumlren Migration in Argentinien waren im-mer schon rar und die Regierung selbst verfuumlgt nicht uumlber praumlzise Statistiken Dennoch wurde die Zahl der undoku-mentierten Bevoumllkerung vor der Einfuumlhrung der juumlngsten Regularisierungskampagnen auf 750000 bis eine Million Menschen geschaumltzt31

Staatsbuumlrgerschaft

Erwachsene Einwanderer haben die Moumlglichkeit die ar-gentinische Staatsbuumlrgerschaft fuumlr sich und ihre Familie zu beantragen Im Ausland geborene Personen die eine ge-wisse Zeit in Argentinien gelebt haben und bestimmte Vor-aussetzungen erfuumlllen koumlnnen die argentinische Staatsan-gehoumlrigkeit erwerben Die Regularien dazu finden sich in der Verfassung des Landes die das Territorialprinzip (jus soli) festschreibt und wurden 2004 uumlberarbeitet Neben der Modernisierung des Einbuumlrgerungsverfahrens diente die Reform von 2004 hauptsaumlchlich dazu Restriktionen zu beseitigen die waumlhrend der Herrschaft der Militaumlrjunta (1976-1983) eingefuumlhrt worden waren wie beispielsweise die Voraussetzung nicht nur muumlndliche und schriftliche Spanischkenntnisse sowie Grundkenntnisse der Verfas-sung Argentiniens vorweisen zu muumlssen sondern insbe-sondere auch ein legales Arbeitsverhaumlltnis nachzuweisen

Es gibt verschiedene Moumlglichkeiten die argentinische Staatsbuumlrgerschaft zu erlangen Neben dem Territorial-recht bei Geburt auf argentinischem Boden haben Er-wachsene uumlber 18 Jahre auch die Moumlglichkeit nach zwei Jahren rechtmaumlszligigen Aufenthalts im Land die Einbuumlrge-rung zu beantragen Die Rechtmaumlszligigkeit ihres Aufenthalts muss von der nationalen Einwanderungsbehoumlrde bestaumltigt werden Es gelten einige Restriktionen So muumlssen Be-werber um die Staatsbuumlrgerschaft straffrei sein und ihren Lebensunterhalt unabhaumlngig von Zuwendungen aus dem Sozialsystem bestreiten koumlnnen sie muumlssen aber nicht mehr nachweisen dass sie in einem legalen Arbeitsver-haumlltnis stehen Daneben eroumlffnen auch die Ehe mit einem argentinischen Staatsangehoumlrigen oder der Nachweis El-ternteil eines Kindes zu sein das die argentinische Staats-angehoumlrigkeit besitzt die Moumlglichkeit eine Einbuumlrgerung zu beantragen

Der Besitz einer doppelten Staatsbuumlrgerschaft ist ein weit verbreitetes Phaumlnomen in Argentinien das allerdings auf Laumlnder beschraumlnkt ist mit denen Argentinien ein bi-laterales Abkommen unterhaumllt wie zB Spanien Italien

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und Chile Argentinier mit doppelter Staatsbuumlrgerschaft davon einer europaumlischen koumlnnen die politischen Pro-zesse in Europa beeinflussen In Argentinien wohnhafte Inhaber eines italienischen Passes beteiligten sich stark (569 Prozent) an den landesweiten Wahlen zum Abgeord-netenhaus in Italien im Jahr 2008 und beeinflussten so das Wahlergebnis32

Flucht und Asyl - Fluumlchtlingspolitik

1961 hat Argentinien die Genfer Fluumlchtlingskonvention un-terzeichnet spaumlter auch das dazugehoumlrige Protokoll von 1967 Obwohl das Land bereits seit vielen Jahrzehnten Fluumlchtlinge aufnimmt gibt es erst seit 2006 ein echtes Ge-setz zur Anerkennung und zum Schutz von Fluumlchtlingen (rsaquoLey General de Reconocimiento y Proteccioacuten al Refugia-do Ley 26165lsaquo) Dieses Gesetz nahm auch die Erklaumlrung von Cartagena aus dem Jahr 1984 auf die die Fluumlchtlings-definition des Hohen Fluumlchtlingskommissars der Vereinten Nationen (UNHCR) erweiterte indem sie sie auch auf Per-sonen bezog die vor Krieg und Unruhen fliehen

2003 initiierte Argentinien einen Prozess zur Unter-zeichnung aller noch ausstehenden internationalen Men-schenrechtsabkommen Das Land begann im Zuge sei-nes menschenrechtsbasierten Politikansatzes damit das Fluumlchtlingswesen und damit in Verbindung stehende Ins-titutionen aufzubauen In Erinnerung an die traumatische Erfahrung tausender argentinischer Auswanderer und Fluumlchtlinge waumlhrend der letzten Militaumlrdiktatur (1976-1983) verabschiedete Argentinien Gesetze die den Fluumlchtlings-schutz anhoben und trat 2005 an die Seite anderer latein-amerikanischer Staaten in ihrem gemeinsamen Bestreben Fluumlchtlinge umzusiedeln (Resettlement) Zusammen mit dem bereits erwaumlhnten Gesetz zur Anerkennung und zum Schutz von Fluumlchtlingen (No 26165) wurde im Jahr 2009 ein Nationaler Fluumlchtlingsrat (CONARE) eingerichtet der das Innen- Auszligen- Justiz- und Sozialministerium und an-dere Einrichtungen einbezieht uumlber die Zuerkennung ei-nes Fluumlchtlingsstatus entscheidet und sich fuumlr die Rechte von Fluumlchtlingen einsetzt Heute haben Asylsuchende und anerkannte Fluumlchtlinge in Argentinien das Recht auf Doku-mente die ihren Aufenthaltsstatus nachweisen sie duumlrfen arbeiten und haben Zugang zur Grundversorgung Zudem haben Fluumlchtlinge und Asylsuchende dieselben Rechte wie andere im Land lebende Auslaumlnder sie duumlrfen sich im Land frei bewegen haben Zugang zu Bildung zur Gesundheits-versorgung und zur Justiz und genieszligen Religionsfreiheit

Seitdem das Land 1985 damit begonnen hat Fluumlchtlin-ge anzuerkennen sind in Argentinien etwa 13000 Antraumlge von Asylsuchenden aus uumlber 46 Herkunftslaumlndern einge-gangen In 3200 Faumlllen wurde Asyl gewaumlhrt Zwischen 2006 und 2010 kamen die meisten Asylsuchenden aus dem Senegal (ca 769 Personen) Kolumbien (665) und der Dominikanischen Republik (547) Eine weitere Grup-pe die von dem neuen Fluumlchtlingsgesetz profitierte waren Staatsangehoumlrige Haitis die nach dem verheerenden Erd-beben 2010 in Argentinien Schutz gefunden haben33 Im Januar 2014 registrierte der UNHCR 3362 in Argentinien

lebende anerkannte Fluumlchtlinge und 916 Asylsuchende 2013 waren in Argentinien 614 Asylantraumlge gestellt wor-den

Herausforderungen und Ausblick

Das Migrationsgesetz von 2004 markiert einen Wende-punkt in der juumlngeren Geschichte Argentiniens indem es Gesetze aufhob die sich seit der letzten Diktatur nicht grundlegend veraumlndert hatten Es markiert den Uumlbergang von einer restriktiven Politik zu einem realistischen of-fenen Einwanderungskonzept dessen Implementierung immer noch mit deutlichem Widerstand vonseiten der staatlichen Verwaltung und einiger Teile der Gesellschaft konfrontiert ist34 Das Gesetz erkennt die Leistungen von Migration fuumlr das Land ausdruumlcklich an und druumlckt den Be-darf nach oumlffentlichen Politiken aus um die volle Integrati-on der Einwanderer zu realisieren In diesem Sinne positi-oniert die neue argentinische Migrationsgesetzgebung das Land in einem auf Rechten basierenden Migrationsregime Das trifft auch auf das Engagement des Landes fuumlr Fluumlcht-linge zu Argentinien nahm 2012 und 2013 300 syrische Familien auf

Vor dem Hintergrund restriktiver Zuwanderungspolitiken in den USA und Europa in Kombination mit der groszligzuumlgi-gen argentinischen Gesetzgebung ist es sehr wahrschein-lich dass Einwanderung das Land auch in den kommen-den Jahren weiter praumlgen wird Dies gilt insbesondere fuumlr die Einwanderung aus den Nachbarlaumlndern Besonders diejenigen Einwanderergemeinden die sich bereits in Ar-gentinien etabliert haben werden voraussichtlich weiter wachsen Aber auch die Ruumlckkehr von Argentiniern aus Suumldeuropa ist sehr wahrscheinlich da die Hauptziellaumlnder argentinischer Auswanderer die sich seit 2001 herausge-bildet haben weiterhin unter groszligem finanzpolitischen wirtschaftlichen und sozialen Druck stehen

Wie Argentinien auf zukuumlnftige Migrationsbewegungen reagieren wird haumlngt von zwei grundlegenden Entwicklun-gen ab Dazu zaumlhlt zum einen die politische Situation im Land Die Regierungen Kirchner hatten mehr als zehn Jah-re Zeit den rechtebasierten Ansatz in der nationalen Poli-tik durchzusetzen in Abstimmung mit dem Vorhaben einer staumlrkeren regionalen Integration Das Land teilt aumlhnliche politische Ansaumltze mit benachbarten Laumlndern insbeson-dere Brasilien und Bolivien was die Steuerung regionaler Migration und die Regularisierung des Aufenthaltsstatus von Einwanderern vereinfacht hat Zukuumlnftige argentini-sche Regierungen koumlnnten sicherlich einen restriktiveren Kurs in Fragen der Einwanderung und Regularisierung ein-schlagen um einer konservativeren und am rechten Rand orientierten Waumlhlerschaft gerecht zu werden

Zum anderen hat das hohe Wirtschaftswachstum seit 2003 Argentinien erneut zu einem attraktiven Zielland fuumlr Einwanderer gemacht Seit 2012 steckt allerdings das nach der Krise 2001 etablierte post-neoliberale Wirtschaftsmo-dell das auf einem starken Staat dominanten Export-wirtschaftssektoren und einer relativen Unabhaumlngigkeit von internationalen Kreditmaumlrkten basiert in ernsthaften

Schwierigkeiten Dies betrifft nicht nur Argentinien son-dern die gesamte Region Sollte sich diese Entwicklung fortsetzen erscheint es moumlglich dass der interne Druck die Einwanderung zu reduzieren waumlchst und die offene Migrationspolitik die in den letzten zehn Jahren erfolg-reich eingefuumlhrt worden ist wieder zuruumlckgenommen wird

Ein optimistisches Resuumlmee der letzten zehn Jahre er-laubt die Sichtweise dass sich ein neues Paradigma im Hinblick auf die Konzeptualisierung nationaler Identitaumlt herausbildet Weg vom Prinzip der nationalen Souveraumlni-taumlt und Selbstbestimmung hin zu einem Konzept das die Verantwortung des Staates gegenuumlber seinen Buumlrgern im Rahmen von internationalen und regionalen Menschen-rechtskonventionen betont und die Vorstellungen von Zu-gehoumlrigkeit und Staatsbuumlrgerschaft ausweitet indem es sich von assimilationistischen Diskursen (siehe Kasten 4) abwendet und stattdessen den Ansatz kultureller Plurali-taumlt beim Entwurf oumlffentlicher Politik verfolgt35 Dennoch ist es zu fruumlh um abwaumlgen zu koumlnnen ob diese Entwicklung auch Auswirkungen auf die Kultur der Fremdenfeindlich-keit und Gefuumlhle von Uumlberlegenheit gegenuumlber lateiname-rikanischen Einwanderern hat die von vielen Argentiniern in ihrer Selbstauffassung als rsaquoweiszlige Gesellschaftlsaquo geteilt werden Dies erscheint angesichts der aktuellen schwer-wiegenden wirtschaftlichen und sozialen Probleme im Land die das nationale Projekt der Kirchner Regierung unter groszligen Druck setzen noch schwieriger zu sein

Anmerkungen

1 Martiacutenez Shaw (1994)2 Andrews (1980)3 Castro (1991)4 Rock (2002)5 Trinchero (2006)6 Devoto (2009)7 Corteacutes Conde (2009)8 Williamson (1999)9 Williamson (1994)

10 Nugent (1995)11 Rein (2010)12 Nugent (1995)13 Biernat (2007)14 Devoto (2009)15 Benencia (2009)16 OAS (2012)17 Bologna (2010)18 Bastiavom Hau (2013) 19 Zubrzycki (2012)20 Andrews (1980)21 Organizacioacuten Internacional para las Migraciones (OIM) (2012)22 OECD (2009)23 Ginieniewicz (2012) EstebanActis (2012)24 Hierro (2013)25 OECD (2013)26 BrodskyRein (2013)27 Martiacuten-Peacuterez (2012)28 OECD (2013)29 Instituto Nacional de Estadiacutestica (Spanien) (2014)

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30 Novick (2012)31 Hines (2010) 32 Tintori (2011)33 Cavaleri (2012)34 Baladroacuten et al (2013)35 Domenech (2007)

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Nationale Fluumlchtlingskommission [Comisioacuten Nacional para los Refugiados] wwwmigracionesgovarconare

Internationale Organisation fuumlr Migration - Argentinien wwwargentinaiomint

Zentrum fuumlr lateinamerikanische Migrationsstudien [Cen-tro de Estudios Migratorios Latinoamericanos (CEMLA)] httpcemlacom

Herausgeber Institut fuumlr Migrationsforschung und Interkulturelle Studien (IMIS) der Universitaumlt Osnabruumlck Neuer Graben 1921 49069 Osnabruumlck Tel +49(0)541 969 4384 Fax +49 (0)541 969 4380 E-Mail imisuni-osnabrueckde

Bundeszentrale fuumlr politische Bildung (bpb) Adenauerallee 86 53113 Bonn unter Mitwirkung des Netzwerks Migration in Europa eV Redaktion Dr Marcel Berlinghoff Vera Hanewinkel Apl Prof Dr Jochen Oltmer (verantw) Uumlbersetzung ins Deutsche Vera Hanewinkel

Die Erstellung der Laumlnderprofile (ISSN 1864-6220) und Kurzdossiers (ISSN 1864-5704) erfolgt in Kooperation der oa Partner Der Inhalt der Laumlnderprofile und Kurzdossiers gibt nicht unbedingt die Ansicht der Herausgeber wieder Der Abdruck von Auszuumlgen und Graphiken ist bei Nennung der Quelle erlaubt

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IMPRESSUM

Der Autor

Thomas Maier ist Doktorand am Institut fuumlr Amerikastudi-en (Institute of the Americas) das Teil des University Col-lege London und damit der Universitaumlt London ist Sein Forschungsschwerpunkt ist die Geschichte von Arbeit und Wohlfahrtsstaat in den Amerikas insbesondere in Argenti-nien und auf dem Suumldkegel Lateinamerikas

E-Mail thomasmaier12uclacuk

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Region im fruumlhen 16 Jahrhundert war die lokale Wirtschaft durch die Produktion von Guumltern fuumlr die dicht besiedelten Andenregionen die sich durch die profitable Foumlrderung wertvoller Metalle auszeichneten gepraumlgt1

Auch der transatlantische Sklavenhandel hatte Einfluss auf die suumldliche Spitze des Kontinents Schon 1596 trafen die ersten afrikanischen Sklaven in der Region ein Skla-ven wurden uumlberwiegend in staumldtischen Haushalten und der Landwirtschaft eingesetzt sie stellten in den spaumlten Jahren der Kolonialzeit einen bedeutenden Anteil an der Bevoumllkerung In der ersten argentinischen Volkszaumlhlung im Jahr 1778 waren beispielsweise 7000 der insgesamt 37000 Einwohner von Buenos Aires Schwarze2

Argentinien entwickelte sich neben den Vereinigten Staaten von Amerika zur Zeit der transatlantischen Migra-tionen zum wichtigsten Zielland in der Neuen Welt Waumlh-rend seit den 1830er Jahren die erste groszlige Einwande-rungswelle in den USA eintraf angezogen von billigen und zugaumlnglichen landwirtschaftlichen Nutzflaumlchen war die junge argentinische Nation (unabhaumlngig seit 1816) aller-dings noch tief in Machtkaumlmpfe und Buumlrgerkrieg verstrickt weil es unterschiedliche politische Vorstellungen daruumlber gab wie der neu gegruumlndete Staat aussehen sollte So standen Befuumlrworter eines Einheitsstaates mit Buenos Aires als Hauptstadt Befuumlrwortern eines dezentralisierten Staatssystems gegenuumlber Erst als der bewaffnete Konflikt beendet wurde konnte sich auf Regierungsebene eine de-mografische Perspektive entwickeln auf deren Basis die Zukunft der jungen Nation gestaltet werden konnte

Die Verfassung von 1853 manifestierte die Fuumlhrungsrol-le die zukuumlnftige Einwanderer fuumlr das Land spielen soll-ten Aber die Vision einer neuen Gesellschaft die sich auf das Fundament zuwandernder europaumlischer Siedler stuumltz-

te war mehr als nur eine demografische Vision von Bevoumll-kerungswachstum in einem vermeintlich (bevoumllkerungs-)leeren Land Migration sollte das Land komplett umformen und auf den Weg der Modernitaumlt fuumlhren (siehe Kasten 1) Unterstuumltzt durch eine 1857 eingerichtete staatlich sub-ventionierte Einwanderungskommission und Agenten die in Europa Einwanderer anwerben sollten wanderte bald eine erhebliche Zahl norditalienischer und spanischer Siedler in Argentinien ein

Aber nicht alle Einwanderer wurden gleich wertge-schaumltzt Bevorzugt wurden Einwanderer aus den rsaquofort-schrittlichenlsaquo nordeuropaumlischen Laumlndern gegenuumlber den als ruumlckstaumlndig wahrgenommenen Suumldeuropaumlern Die Hoffnungen die Zuwanderung entsprechend der eigenen Vorstellungen selektiv steuern zu koumlnnen wurden in den darauffolgenden Jahren durch die Autonomie der Migrati-onsstroumlme zerschlagen Dennoch setzte sich eine positive Einstellung gegenuumlber Migration in der politischen Klasse des Landes durch - zumindest bis zum Ausbruch der Welt-wirtschaftskrise nach 19303

Die groszlige transatlantische Migration

Und tatsaumlchlich sollten bald zahlreiche Migranten aus Euro-pa eintreffen Nachdem in den 1850er 1860er und 1870er Jahren nur wenige Einwanderer ins Land gekommen wa-ren versuchte die Regierung erfolgreich die Einwande-rung durch direkte Initiativen und Werbung im Ausland den Verweis auf positive wirtschaftliche Perspektiven und die Verfuumlgbarkeit groszliger und fruchtbarer Laumlndereien sowie auch durch die aktive Einbindung von Diplomaten in den bevorzugten Herkunftslaumlndern potenzieller Einwanderer zu foumlrdern (siehe Kasten 3) Das wichtigste Instrument zur

Kasten 1 Einwanderung als nationale Doktrin

In rsaquoFacundolsaquo dem 1845 erschienenen literarischen Hauptwerk des Autors und spaumlteren argentinischen Praumlsidenten (1868-1974) Domingo Faustino Sarmiento werden die Ideen im Hinblick auf die zukuumlnftige Rolle von Einwanderern explizit und aufschlussreich dargelegt Der Einwanderer wurde als transformierende Kraft konzeptualisiert die das gesamte Land veraumlndern und aus dem Schatten der Ruumlckstaumlndigkeit auf den Weg der Zivilisation fuumlhren sollte Zu-sammen mit dem Lehrsatz rsaquoGobernar es poblarlsaquo (rsaquoRegieren heiszligt bevoumllkernlsaquo) den der argentinische Diplomat Vater der Verfassung und politische Vordenker Juan Bautista Alberti gepraumlgt hat steht rsaquoFacundolsaquo fuumlr die Verkoumlrperung der Vision der argentinischen Elite am Projekt der Moderne teilzuhaben und die Entwicklungen in Europa und der anderen jungen Nation und Macht in der Hemisphaumlre den Vereinigten Staaten aufzuholen

Kasten 2 Nation Territorium und Voumllkermord

Um das Territorium fuumlr die Besiedlung vorzubereiten musste der junge argentinische Staat seine Staatshoheit uumlber groszlige Teile des Landes ausbreiten das uumlber Jahrhunderte von indigenen Gruppen bewohnt und beherrscht worden war Mithilfe moderner Militaumlrausruumlstung und Techniken die auch die Nutzung von Eisenbahnen umfassten beende-te die rsaquoConquista del Desiertolsaquo (Eroberung der Wuumlste) die hauptsaumlchlich von General Julio Argentino Roca in den 1870ern und 1880ern geleitet wurde eine lange Phase fragiler Grenzbeziehungen zwischen indigenen Gruppen und dem - zunaumlchst kolonialen spaumlter dann republikanischen - Staat in der Pampa-Ebene Patagonien und im Norden des Landes4 Die Vertreibung von uumlber 15000 Menschen und die Uumlbernahme des Bodens waren zentral fuumlr die Entwick-lung der Landwirtschaft des Landes und damit die Grundlage fuumlr Argentiniens wirtschaftliche Erfolgsgeschichte bis in das 20 Jahrhundert hinein Ob Argentiniens Eintritt in den modernen Kapitalismus und die Eigenstaatlichkeit des Landes auf einer Geschichte des Voumllkermords beruht ist houmlchst umstritten und spiegelt aumlhnliche Entwicklungen und Debatten in den USA wider5

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Foumlrderung der Einwanderung wurde 1876 geschaffen Das sogenannte Avellaneda-Gesetz legte die Verantwortung fuumlr die Steuerung der Zuwanderung in die Haumlnde der Zen-tralregierung und beendete damit die vorherige Dominanz der Provinzen Mit dem Gesetz wurde auch die maumlchtige Einwanderungsabteilung (rsaquoDepartamento General de Inmi-gracioacutenlsaquo) unter dem Dach des Innenministeriums geschaf-fen Daruumlber hinaus garantierte das Gesetz den Migranten nach ihrer Ankunft im Land eine sechstaumlgige kostenfreie Unterbringung im rsaquoHotel de Inmigranteslsaquo eroumlffnet im Jahr 1870 kostenfreie Zugfahrten ins Landesinnere und die Zu-erkennung staatlicher Laumlndereien6

Zwischen 1881 und dem Ersten Weltkrieg trafen 42 Millionen Menschen in Argentinien ein Italiener (etwa zwei Millionen) und spanische Staatsangehoumlrige (14 Mil-lionen) bildeten die groumlszligten Gruppen wobei es deutliche Unterschiede hinsichtlich der Regionen in den Herkunfts-laumlndern gab aus denen diese Einwanderer stammten (vgl Abbildung 1) 1912 war das Jahr in dem die meis-ten Einwanderer - rund 300000 - eintrafen Andere gro-szlige Einwanderergruppen vor dem Ersten Weltkrieg waren Deutsche Franzosen Englaumlnder und andere Gruppen aus dem Britischen Weltreich Argentinien war damit in der Zeit der groszligen transatlantischen Migrationsbewegungen das zweitbeliebteste Zielland in der Neuen Welt hinter den Ver-einigten Staaten von Amerika Aber Migration war keine Einbahnstraszlige und nahm haumlufig die Form zirkulaumlrer Pro-zesse an Von 1881 bis 1910 entschieden sich 36 Prozent der Neuankoumlmmlinge zur Ruumlckkehr in ihr Herkunftsland Die sogenannten argentinischen rsaquoZugvoumlgellsaquo - rsaquogolondri-naslsaquo (Schwalben) genannt - wurden zum Massenphaumlno-men Tausende (uumlberwiegend italienische) Landarbeiter nutzten die unterschiedlichen Erntezeiten in Europa und Suumldamerika um regelmaumlszligig zwischen den beiden Konti-nenten zu pendeln (vgl Abbildung 2)9

Obwohl das Projekt der Modernisierung von der Elite des Landes so vorbehaltlos begruumlszligt wurde loumlsten die An-kunft von Millionen von Menschen und die Auswirkungen dieser Einwanderung auch Aumlngste aus und mit der Zeit offenbarte sich dass die Bevoumllkerung der Einwanderung

zwiespaumlltig gegenuumlber stand Insbesondere die Befuumlrchtung die Einwanderer koumlnnten Krankhei-ten einschleppen rief Aumlngste hervor nicht nur in Argentinien sondern in allen Hauptaufnahme-laumlndern in der Zeit Die ersten Einwanderergrup-pen die als stoumlrend und schwer zu integrieren empfunden wurden waren Einwanderer aus dem Osmanischen Reich allgemein als rsaquoturcoslsaquo be-zeichnet und Juden die vor allem aus Russland kamen Ihre Zahl belief sich im ersten Jahrzehnt des 20 Jahrhunderts jaumlhrlich auf 10000 bis 20000 Neuankoumlmmlinge Dennoch gab es bis in die 1920er Jahre hinein praktisch keine Einwan-derungsbeschraumlnkungen

Die Volkszaumlhlung im Jahr 1914 belegt den Einfluss den die Einwanderung auf die argenti-nische Wirtschaft Gesellschaft und Kultur hatte Die Einwanderung veraumlnderte das demografi-sche Profil des Landes erheblich Innerhalb von

20 Jahren hatte sich die Bevoumllkerung verdoppelt und um-fasste nun 79 Millionen Menschen Mehr als ein Drittel der Einwohner waren im Ausland geboren worden verglichen mit 30 Prozent in den USA fuumlnf Prozent in Brasilien und 24 Prozent in Kanada In der westlichen Hemisphaumlre wies zu der Zeit nur Uruguay mit 35 Prozent der Bevoumllkerung einen houmlheren Anteil im Ausland Geborener auf 50 Prozent der Einwohner von Buenos Aires waren im Ausland Geborene mehr als in jeder nordamerikanischen Stadt10

Debatten uumlber Integration

Um ein nationales Zugehoumlrigkeitsgefuumlhl und eine Iden-tifikation mit der neuen Nation herzustellen verlieszlig sich der Staat auf drei Strategien die auf europaumlischen und US-amerikanischen Vorbildern beruhten verpflichtender Militaumlrdienst zunehmende politische Integration durch

Kasten 3 Positive wirtschaftliche Perspektiven locken Einwanderer an

Zwischen 1876 und 1915 wuchsen die Exporte von Vieh und landwirtschaftlichen Produkten jaumlhrlich um durch-schnittlich vier Prozent und das Eisenbahnnetz wurde von 2500 Kilometer auf 34000 Kilometer ausgebaut Dieses Wachstum stand in engem Zusammenhang mit der internationalen Wirtschaft Argentinien war in den globalen Markt integriert potenziellen Einwanderern boten sich hohe Loumlhne und gute wirtschaftliche Ent-faltungsmoumlglichkeiten7 Die Realloumlhne in Argentinien lagen in den 1870er Jahren 2077 Prozent houmlher als der gewichtete Durchschnittslohn in Italien Portugal und Spanien und 2121 Prozent uumlber dem Durchschnitt zwischen 1909 und 19138 In den spaumlten 1880ern gab es eine massive Subventionspolitik um Einwanderer anzuziehen ihr Erfolg war jedoch nur begrenzt Zwi-schen 1888 und 1891 gewaumlhrte die argentinische Re-gierung 134000 europaumlischen Siedlern Zuschuumlsse fuumlr die Uumlbersiedlung

Abbildung 1 Anteil italienischer und spanischer Einwanderung an der gesamten Einwanderung nach Argentinien 1857-1937

Quelle Devoto (2009)

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das Wahlrecht und politische Partizipation und vor allem eine patriotische Schul- und Ausbildung Die paumldagogi-sche Doktrin wurde vom Beispiel der saumlkularen Dritten Franzoumlsischen Republik inspiriert Das Ergebnis dieses Integrationsprojekts war erfolgreich und bestaumlndig Als in den fruumlhen 1960er Jahren der Soziologe Gino Germani die erste systematische Studie zur Einwanderung in Argenti-nien durchfuumlhrte konnte er uumlberzeugend argumentieren dass das Projekt der Integration erfolgreich gewesen und zur Schaffung einer modernen Gesellschaft beigetragen hatte in der es keine groszligen Spannungen zwischen un-terschiedlichen ethnischen Gruppen gab Bereits in den 1920ern hatten viele Einwanderer der zweiten und dritten Generation ihre Muttersprache verlernt und standen Neu-zuwanderern kritisch gegenuumlber In dieser Hinsicht zeigten sich in Argentinien aumlhnliche Muster wie in anderen Gegen-den die von Europaumlern besiedelt worden waren Waumlhrend beispielsweise Jiddisch von Einwanderern in Zentral- und Osteuropa uumlber Jahrhunderte von Generation zu Gene-ration weiter gegeben wurde verschwand die Sprache in Argentinien im Laufe von nur drei Generationen fast voll-staumlndig genauso wie auch in den USA Brasilien oder in Uruguay11

Nach dem Ersten Weltkrieg bis zu den 1950er Jahren ndash Ein neues intellektuelles Klima und das Ende der Masseneinwanderung

Der starke Ruumlckgang der Einwandererzahlen fuumlhrte zwi-schen 1915 und 1917 zu einem negativen Wanderungssal-do Der Ausbruch des Ersten Weltkriegs machte deutlich wie sehr das argentinische Projekt der Moderne auf wa-ckeligen Fuumlszligen stand und wie abhaumlngig es von den politi-

schen Umstaumlnden und Wirtschaftszyklen in anderen Teilen der Welt war

Nach dem Groszligen Krieg nahm die Zahl der Einwanderer jedoch wieder zu Argentinien gelang es sogar den Anteil der europaumlischen Migration im Vergleich zu anderen Laumln-dern der Neuen Welt zu erhoumlhen was teilweise auch auf die Einfuumlhrung restriktiver Einwanderungsgesetze in den USA zuruumlckzufuumlhren war 1923 wurde mit 200000 Neu-einwanderern ein neuer Houmlchststand erreicht Der Anteil der Einwanderer aus den zerbroumlckelnden Imperien in Zen-tral- und Osteuropa - dem Osmanischen Habsburgischen und Russischen Reich - und ihren Nachfolgestaaten die im Zuge der politischen Neuordnung durch den Friedens-vertrag von Versailles entstanden erhoumlhte sich12

Der Schock des Ersten Weltkriegs sollte ein Vorzeichen fuumlr die Dinge sein die noch kommen sollten Wie in vielen anderen Laumlndern der Neuen Welt brachte der Ausbruch der Weltwirtschaftskrise 1929 die Zuwanderung quasi zum Erliegen Wachsende Arbeitslosigkeit und die Erosion der relativen Loumlhne sorgten dafuumlr dass die Reise nach La Pla-ta fuumlr viele potenzielle Migranten unattraktiv wurde Zudem veraumlnderte sich das intellektuelle Klima in den 1930er Jah-ren grundlegend Nationalistische Ideen stellten das libe-rale Paradigma offener Grenzen infrage und wachsende Fremdenfeindlichkeit und Antisemitismus beeinflussten die Haltung der Bevoumllkerung gegenuumlber Einwanderern Die Militaumlrregierung die 1930 die Macht uumlbernahm fuumlhrte noch im selben Jahr sowie erneut 1938 Einwanderungsbe-schraumlnkungen ein dennoch war es nicht die Politik son-dern die wirtschaftliche Entwicklung die das Versiegen der Einwanderung maszliggeblich beeinflusste

In den 1930ern kam zudem ein neues Phaumlnomen er-zwungener Migration auf der Fluumlchtling Dem Druck von

Abbildung 2 Spanische und italienische Einwanderung nach und Auswanderung aus Argentinien 1861-1920

Quelle Devoto (2009)

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Krieg und Verfolgung zunaumlchst waumlhrend des Spanischen Buumlrgerkriegs und spaumlter durch das Aufkommen rechts-extremer totalitaumlrer Regime und den Zweiten Weltkrieg begegnete Argentinien mit zunehmend restriktiven Grenz-kontrollen Dabei spielte auch die antisemitische und an-tikommunistische Haltung der argentinischen Elite eine wichtige Rolle Obwohl der argentinische Staat versuchte gegen illegale Grenzuumlbertritte hart vorzugehen gelang es tausenden Menschen vor allem Juden ins Land zu gelan-gen Die Nutzung alternativer Einreiserouten uumlber schlecht kontrollierte Stellen der argentinischen Grenze die Einrei-se uumlber Drittstaaten oder einfach die Bestechung von Be-amten um Zutritt zum Land zu erhalten erwies sich dabei oft als lebensrettend

Der letzte Versuch eine groszlige Zahl europaumlischer Ein-wanderer anzulocken erfolgte waumlhrend der Praumlsident-schaft von Juan Peroacuten von 1946 bis 1955 In ihrem Fuumlnf-jahresplan von 1947 einem Dokument das neben der allgemeinen ideologischen Vision der Regierung auch detaillierte Beschreibungen von Politikvorhaben enthielt brachte die peronistische Regierung den Wunsch zum Ausdruck weitere vier Millionen Einwanderer zur landwirt-schaftlichen Bewirtschaftung bislang ungenutzter Flaumlchen ins Land zu holen Zudem foumlrderte Peroacuten die Migration innerhalb der Landesgrenzen von den Provinzen in die groszligen Staumldte um die Industrialisierung des Landes vo-ranzutreiben Der Peronismus sah Arbeitsmigranten aus dem Landesinneren die oftmals eine dunklere Hautfarbe hatten als integralen Bestandteil der nationalen Gemein-schaft an Zeitgleich aber hielt der Peronismus den My-thos einer homogenen weiszligen argentinischen Gesellschaft aufrecht indem er die Integration der Binnen- und inter-nationalen Migranten in den argentinischen Schmelztiegel (rsaquocrisol de razaslsaquo) hervorhob Aber wie schon im Fall fruuml-herer Versuche die Migration nach Argentinien zu steuern gelang es dem Staat auch jetzt nicht seine ehrgeizigen Plaumlne zu verwirklichen Obwohl die Zahl der Neuankoumlmm-linge in den 1940er und 1950er Jahren noch einmal an-stieg kehrten in dieser Zeit auch viele Menschen in ihre Herkunftslaumlnder zuruumlck (1949 148372 Neuankoumlmmlinge vs 133019 Ruumlckkehrer) In den 1950ern folgten viele

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Menschen dem Ruf der boomenden zentraleuropaumlischen Wirtschaften nach auslaumlndischen Arbeitskraumlften anstatt nach Argentinien aufzubrechen13

Juumlngste Entwicklungen der Ein- und Auswanderung

Migration aus benachbarten Staaten

Das Phaumlnomen der Einwanderung aus benachbarten Ge-bieten ist viel aumllter als die Geschichte des argentinischen Nationalstaats selbst Bereits in der Kolonialzeit nutzten Arbeitsmigranten und Haumlndler die weitverzweigten Fluss-systeme fuumlr ihre Aktivitaumlten Seit der Entstehung der Repu-blik im fruumlhen 19 Jahrhundert hat Argentinien Menschen aus umliegenden Laumlndern angezogen dank houmlherer Loumlhne und relativ fortschrittlicher industrieller und landwirtschaft-licher Strukturen mit hoher Arbeitskraumlftenachfrage Aber erst unter der Militaumlrdiktatur in den 1970er Jahren geriet die Praumlsenz lateinamerikanischer Migranten in den Fokus der oumlffentlichen Aufmerksamkeit Sie wurde hauptsaumlchlich als ein rsaquoProblemlsaquo irregulaumlren Aufenthalts sozialen und ethnischen Zusammenhalts und als Gefahr fuumlr das Projekt der Zivilisierung und nationalen Entwicklung gesehen die wachsenden einwanderungsfeindlichen Einstellungen in den 1980ern und 1990ern verstaumlrkten diese Sichtweise Diese Stigmatisierung lateinamerikanischer Einwanderer ging mit einer groumlszligeren Sichtbarkeit dieser Gruppe einher sowohl was ihre Zahl als auch ihre oumlffentliche Wahrneh-mung anbelangte15

Nicht uumlberraschend nahm die Zahl der auslaumlndischen Staatsangehoumlrigen nach dem Zweiten Weltkrieg deutlich ab von 26 Millionen 1960 auf 15 Millionen 2001 (vgl Ab-bildung 3) Aber die Veraumlnderung hinsichtlich der im Land lebenden Auslaumlnder betraf nicht nur deren Zahl Langsam aber stetig kamen weniger Europaumler dafuumlr aber mehr Menschen aus benachbarten Laumlndern insbesondere aus Bolivien Paraguay Peru und Chile Insbesondere die Ein-wanderung aus Paraguay und Bolivien war bestaumlndig Bis zu den 1970er Jahren war die Migration vor allem regional ausgerichtet und beschraumlnkte sich zumeist auf Land-Land-Migration in Grenzgebieten Anschlieszligend entwickelte sich die Metropole Buenos Aires zu einem Zuwanderungsma-gneten Die Volkszaumlhlung von 2001 offenbarte dass 54 Prozent der Einwanderer aus benachbarten Staaten in Buenos Aires lebten verglichen mit nur 25 Prozent 1960 Obwohl ihr Anteil an der Gesamtbevoumllkerung in den ver-gangenen 30 Jahren nur unwesentlich gestiegen ist (von 27 Prozent 1983 auf 31 Prozent 2011) ist ihre Zahl vor allem von 1991 bis 2001 am deutlichsten gewachsen Die auszligerordentlich hohen Loumlhne in diesem Jahrzehnt garan-tiert durch die eins zu eins Konvertierbarkeit des argen-tinische Peso und des US-amerikanischen Dollar zogen hunderttausende Arbeitskraumlfte und ihre Familien an Somit wuchs beispielsweise die bolivianische Community zwi-schen 1991 und 2001 von 143589 auf 233464 Personen die paraguayische von 150450 auf 325046 und die peru-anische von 15939 auf 8754616

Kasten 4 Argentiniens Schmelztiegel-Theorie

Beeinflusst von den Debatten in den USA dominier-te in Argentinien in den Diskussionen daruumlber wie der Zusammenhalt einer Nation bestehend aus Einwan-derern zu konzeptualisieren sei die Vorstellung eines Schmelztiegels (rsaquocrisol de razaslsaquo) - das argentinische Aumlquivalent zur US-amerikanischen rsaquoMelting Potlsaquo-Theorie Erst seit Kurzem gewinnen auch heterogene Ideen und Konzepte an Bedeutung die Merkmale und Strukturen sozialer Pluralitaumlt und kultureller Diversitaumlt hervorheben Im Zentrum von Studien zu diesen Kon-zepten standen dabei Muster politischer Partizipation Dynamiken von Eheschlieszligungen und wirtschaftlicher Teilnahme sowie die raumlumliche Wohnverteilung in der Stadt und auf dem Land14

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Viele dieser Einwanderer arbeiten in Sektoren in denen niedrige Loumlhne gezahlt werden und die Arbeitsbedingun-gen prekaumlr sind wie im Baugewerbe Haushaltsdienstleis-tungssektor oder in der Fertigungsindustrie aber auch in der Landwirtschaft der Bekleidungsindustrie Gemuumlse-laumlden in Staumldten oder andere Bereichen des Handels In diesen Segmenten des Arbeitsmarkts hat vor allem die bolivianische Community erfolgreich ethnische Struktu-ren - sowohl formeller als auch informeller Art - aufgebaut die tausenden Bolivianern zu einem Arbeitsplatz verhelfen und Orte der Geselligkeit und des Miteinanders schaffen17

Bolivianer die in Argentinien leben tragen erheblich zur Wirtschaft ihres Herkunftslandes bei Studien der Internati-onalen Organisation fuumlr Migration schaumltzen dass sich ihre Ruumlckuumlberweisungen an Familienmitglieder allein 2012 auf 301 Millionen US-Dollar beliefen

Diese rsaquoNeue Migrationlsaquo die tatsaumlchlich aber ein sehr altes Phaumlnomen ist nur eben von der Dominanz der transatlantischen Migrationsbewegungen verdeckt wurde stellte neue Herausforderungen fuumlr das Projekt der natio-nalen Identitaumlt und des inter-ethnischen Zusammenhalts dar Die dominante und populaumlre Vorstellung dass die argentinische Nation aus rsaquoSoumlhnen der Bootelsaquo (rsaquohijos de los barcoslsaquo) bestand die sich erfolgreich in das nationale Projekt des Fortschritts integriert hatten lieszlig wenn uumlber-haupt nur einen marginalen Platz fuumlr Einwanderer aus der unmittelbaren Nachbarschaft Argentiniens Zudem sind fremdenfeindliche Einstellungen offene und versteckte Formen von Diskriminierung und Vorstellungen kultureller Uumlberlegenheit im Land sehr weit verbreitet Ein komplexes Zusammenspiel aus Klasse rsaquoRasselsaquo Debatten um Sicher-heit und Kriminalitaumlt sowie kulturelle Andersartigkeit fuumlhrt dazu dass Bolivianer und andere Einwanderer aus Latein-amerika in eine gesellschaftliche Randposition gedraumlngt werden und relativ ausgeschlossen bleiben18

Andere neuere Einwanderungsbewegungen

Ein weiteres Phaumlnomen das als neu gilt ist die zuneh-mende Praumlsenz von (zumeist west-) afrikanischen Arbeits-migranten und Fluumlchtlingen insbesondere Senegalesen Ghanaern und Nigerianern in den groumlszligeren Staumldten des

Landes vor allem in Buenos Aires Das rigide Grenzuumlber-wachungssystem in Europa das im Laufe der letzten Jahr-zehnte entstanden ist das bemerkenswerte Wirtschafts-wachstum in Argentinien und die vergleichsweise offenen Einwanderungspolitiken des Landes haben dazu gefuumlhrt einen Teil der afrikanischen Migration nach Argentinien umzulenken Wie auch andere nicht-europaumlische Migran-ten die in juumlngster Zeit nach Argentinien gekommen sind sehen sich afrikanische Einwanderer Vorurteilen ausge-setzt und haben groszlige Schwierigkeiten eine legale Arbeit zu finden Der Staat und Wohlfahrtseinrichtungen bieten Sprachkurse an stellen temporaumlre und erneuerbare Auf-enthaltsgenehmigungen zur Verfuumlgung und ebenso eine grundlegende Gesundheitsversorgung Das 2010 gegruumln-dete Zentrum fuumlr afrikanische Fluumlchtlinge und Migranten (rsaquoCentro para el Refugiado y Migrante Africanolsaquo) bietet Informationen und Unterstuumltzung fuumlr junge afrikanische Fluumlchtlinge an19

Die afrikanische Migration wird oftmals als neues Phauml-nomen dargestellt Ein Blick in die Vergangenheit zeigt je-doch dass afrikanische Einwanderer in der Region schon lange praumlsent waren Der Zensus von 1810 zeigt dass allein in Buenos Aires das zu der Zeit 32558 Einwoh-ner zaumlhlte 9615 Schwarze lebten Die Mehrzahl dieser schwarzen rsaquoPortentildeoslsaquo - wie die Einwohner von Buenos Aires genannt werden - waren Opfer des transatlantischen Sklavenhandels Der Zensus aus dem Jahr 2010 zeigte dass sich 149493 Einwohner des Landes als Nachkom-men von afrikanischen Einwanderern beschreiben Die Praumlsenz von Afrikanern und Afro-Argentiniern verdeutlicht dass die Migrationsgeschichte Argentiniens vielschichtiger ist als das immer noch dominante Narrativ eines Landes das sich auf europaumlische Einwanderung gruumlndet nahe legt20

Die Einwandererbevoumllkerung

Der juumlngste Zensus aus dem Jahr 2010 belegt dass die Einwanderung aus anderen lateinamerikanischen Laumlndern in den letzten Jahren uumlberwogen hat Mehr als 75 Prozent der in Argentinien lebenden aber im Ausland geborenen Bevoumllkerung stammten aus benachbarten Laumlndern (ein-schlieszliglich Peru) Europaumler folgen mit 16 Prozent Ins-gesamt waren 45 Prozent der Bevoumllkerung des Landes auszligerhalb Argentiniens geboren worden Die groumlszligten Ein-wanderergruppen - in absoluten Zahlen betrachtet - bilden Paraguayer mit 550713 Personen Bolivianer mit 345272 Personen Chilenen mit 191147 Personen und Peruaner mit 157514 Personen

In Argentinien zeigt sich daruumlber hinaus das weltweit zu beobachtende Phaumlnomen der rsaquoFeminisierung der Migrati-onlsaquo Nach Ergebnissen des Zensus von 2010 sind 539 Pro-zent der im Ausland geborenen Bevoumllkerung weiblich in der einheimischen Bevoumllkerung sind es dagegen nur 512 Prozent Die Zensusdaten weisen zudem darauf hin dass sich die Mehrheit der Einwandererbevoumllkerung in Staumldten niedergelassen hat Insgesamt leben 732 Prozent der im Ausland geborenen Bevoumllkerung in Buenos Aires und der stark urbanisierten Provinz Buenos Aires Damit sind 135

Abbildung 3 Anteil der im Ausland geborenen (foreign born) Bevoumllkerung an der Gesamtbevoumllke- rung Argentiniens 1869-2010

Quelle INDEC [Nationales Statistikinstitut] Volkszaumlhlungen 1869 bis 2010

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Prozent der Einwohner der Stadt Buenos Aires im Ausland Geborene waumlhrend ihr Anteil an der Bevoumllkerung der pe-ripheren Provinz Santiago del Estero im Nordwesten des Landes gerade einmal 03 Prozent betraumlgt Etwa ein Drit-tel der im Ausland geborenen Bevoumllkerung Argentiniens ist zwischen 2001 und 2010 eingewandert was deutlich macht dass Einwanderung fuumlr das Land weiterhin relevant ist (vgl Abbildung 4)

Argentinier im Ausland

Die Krise 2001 und ihre Konsequenzen - Argentinien als Auswanderungsland

Im Jahr 2001 sah sich Argentinien mit einer Finanzkrise konfrontiert die im darauffolgenden Jahr in einer Abwer-tung der nationalen Waumlhrung um 300 Prozent und inner-halb weniger Wochen in den Zusammenbruch des Ban-kensystems muumlndete - mit verheerenden Konsequenzen Die Arbeitslosigkeit stieg auf 20 Prozent und die Unterbe-schaumlftigung auf 17 Prozent 42 Prozent der Bevoumllkerung lebten unterhalb der Armutsgrenze und 27 Prozent sogar in extremer Armut

Die wirtschaftliche politische und soziale Krise fuumlhrte zu einem grundlegenden Wandel der Migrationsmuster Im folgenden Jahrzehnt erlebte das Land zum ersten Mal in seiner Geschichte eine groszlige und anhaltende Abwande-rungswelle (vgl Abbildung 5) insbesondere von jungen und qualifizierten Argentiniern die sich im Ausland eine bessere Zukunft erhofften Schaumltzungen zufolge lebten 2010 rund eine Million Argentinier auszligerhalb des Landes wobei Spanien 30 Prozent und die USA 23 Prozent auf-genommen hatten und damit die Hauptziellaumlnder bildeten (vgl Abbildung 6)21

Spanien und andere Hauptziellaumlnder

Bis vor einigen Jahren lebte die groumlszligte Gruppe argentini-scher Auswanderer in den USA Die Zahl der Neuzuwan-derer aus Argentinien erreichte mit 35210 Personen im Jahr 2002 einen Houmlhepunkt und zeigte einen deutlichen Anstieg gegenuumlber 2000 als 6670 Argentinier in die USA einwanderten22 Seit der Finanzkrise in Argentinien 2001 entwickelte sich Spanien jedoch allmaumlhlich zum Hauptziel-land argentinischer Auswanderer (vgl Abbildung 6)

Spanien hatte argentinische Migranten aufgrund der kulturellen und sprachlichen Naumlhe bereits seit Mitte des 20 Jahrhunderts angezogen Dieser Prozess beschleunig-te sich mit der bemerkenswerten Verbesserung der makro-oumlkonomischen Situation Spaniens nach seinem Beitritt zur Europaumlischen Union im Jahr 1986 Daruumlber hinaus hatte vor 2001 auch die Zwangsauswanderung von tausenden Argentiniern waumlhrend der Militaumlrdiktatur von 1976 bis 1983 zur wachsenden Zahl in Spanien lebender argentinischer Staatsangehoumlriger beigetragen Viele Fluumlchtlinge waumlhlten Spanien (neben Mexiko und den USA) als Zufluchtsort was dazu fuumlhrte dass Argentinier bis in die 1990er Jahre hinein die groumlszligte Gruppe lateinamerikanischer Einwan-derer in Spanien stellten wobei hoch ausgebildete und

Abbildung 4 Im Ausland geborene (foreign born) Bevoumllkerung Argentiniens 2010 - Herkunftslaumlnder absolute Zahlen und prozentualer Anteil

Herkunftsland Zahl der Einwanderer

Paraguay 550713

Bolivien 345272

Chile 191147

Peru 157514

Uruguay 116592

Brasilien 41330

Andere nord- und suumldame-rikanische Laumlnder

68831

Italien 147499

Spanien 94030

Andere europaumlische Laumlnder 57865

China 8929

Andere asiatische Laumlnder 22072

Afrika und Ozeanien 4163

Gesamt 1805957

Quelle INDEC [Nationales Statistikinstitut] Censo Nacional de Poblacioacuten Hogares y Viviendas 2010

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technisch qualifizierte Personen unter den argentinischen Zuwanderern uumlberwogen23

Die Zahl der in Spanien lebenden Argentinier stieg deut-lich an von 119000 Personen 2001 auf 291700 Personen 2009 wobei allein im Jahr 2002 35405 Argentinier in Spa-nien einwanderten Seit 2009 ist ihre Zahl leicht und konti-nuierlich gesunken da viele Argentinier Spanien seit dem Ausbruch der Finanzkrise in Suumldeuropa und angesichts der boomenden Wirtschaftssituation in Lateinamerika wieder verlassen haben Dennoch bildeten argentinische Staatsangehoumlrige 2011 mit 279300 Personen immer noch die sechstgroumlszligte Gruppe der im Ausland geborenen Be-voumllkerung hinter Rumaumlnen Marokkanern Ecuadorianern Briten und Kolumbianern24

Ein weiteres wichtiges Zielland argentinischer Auswan-derer wurde Israel Schaumltzungen zufolge wanderten zwi-schen 2000 und 2006 11200 Argentinier in dieses Land ein wobei zwischen 15 und 20 Prozent spaumlter wieder nach Argentinien zuruumlckkehrten 2002 kurz nach dem Ausbruch der Krise in Argentinien wanderten 5900 Argentinier nach Israel ein diese Zuwanderungszahl wurde in jenem Jahr

nur von Migranten aus der ehemaligen UdSSR uumlberschrit-ten Obwohl sich die argentinische Migration in den letzten Jahren verlangsamt hat zaumlhlt Argentinien immer noch zu den Hauptherkunftslaumlndern von Migranten in Israel (Platz 6 im Jahr 2012)25 Eine der Konsequenzen ist die zuneh-mende Verkleinerung der juumldischen Gemeinschaft in Ar-gentinien Erreichte die Zahl argentinischer Juden in den fruumlhen 1960er Jahren mit uumlber 300000 Personen ihren Houmlhepunkt so ist sie in den vergangenen Jahren auf unter 200000 gesunken26 Neben der schwierigen wirtschaftli-chen Ausgangslage in Argentinien spielt die aktive Anwer-bung Argentinischer Juden durch den israelischen Staat meistens uumlber juumldische Kulturinstitutionen in Argentinien vermittelt eine entscheidende Rolle fuumlr die Ausreisemo-tivationen

Oftmals - und dies gilt insbesondere fuumlr die groszlige Zahl der Argentinier mit spanischen und italienischen Wurzeln - vereinfachten die spezifischen Einbuumlrgerungsgesetze der Ziellaumlnder die in unterschiedlichem Ausmaszlig das elterliche ius sanguinis (Kinder erben die Staatsangehoumlrigkeit der Eltern) zugrunde legten den Zugang zur Staatsbuumlrger-schaft eines europaumlischen Landes Damit ist dann auch die Freizuumlgigkeit innerhalb der Europaumlischen Union ver-bunden (siehe Kasten 5)

Fuumlr viele insbesondere junge Argentinier ist der Er-werb der Staatsangehoumlrigkeit eines europaumlischen Landes zu einer wichtigen Strategie geworden um einer teils per-spektivlosen Situation zu entkommen Oftmals koumlnnen sie die Staatsangehoumlrigkeit uumlber die Konsulate in Argentinien erwerben ohne das Land verlassen zu muumlssen Die Re-form des spanischen Staatsangehoumlrigkeitsrechts im Jahr 2007 die den Zugang zur spanischen Staatsangehoumlrig-keit fuumlr Nachkommen von Fluumlchtlingen des Spanischen Buumlrgerkrieges erleichterte und als Gesetz der Enkelkin-der (rsaquoLey de nietoslsaquo) bezeichnet wurde kam auch vielen spanischstaumlmmigen Argentiniern zugute27 2009 waren 45 Prozent (bzw 132000) der 291700 argentinischstaumlmmi-gen Einwohner Spaniens nicht im Besitz der spanischen Staatsbuumlrgerschaft28

Ruumlckkehrmigration

Die starke Erholung der argentinischen Wirtschaft seit 2003 insbesondere aber die Auswirkungen der Wirtschaftskri-se in Suumldeuropa seit 2007 haben eine neue Phase der Migration eingeleitet Viele Argentinier die ihr Land in den Jahrzehnten davor verlassen hatten entschlossen sich nun nach Argentini-en zuruumlckzukehren In einigen Faumlllen vor allem in Spanien wurde die Ruumlck-kehr ins Herkunftsland durch staatliche Programme finanziell gefoumlrdert Zwi-schen 2013 und 2014 sank die Zahl der in Spanien lebenden Argentinier ohne spanischen Pass von 95415 auf 80910 Personen Gleichzeitig ist die Auswan-derung spanischer Staatsangehoumlriger

Abbildung 5 Argentinische Einwanderung in OECD- Laumlnder 2001-2010

Quelle OAS (2012)

Abbildung 6 Im Ausland lebende Argentinier 2010

Quelle Organizacioacuten Internacional para las Migraciones (OIM) (2012)

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nach Argentinien von 2182 Personen 2012 auf 2682 Per-sonen 2013 gestiegen29 Argentinien hat mit zahlreichen lateinamerikanischen Staaten und Spanien verschiedene Abkommen unterzeichnet die die Uumlbertragung von erwor-benen Sozialleistungsanspruumlchen ohne grundlegende Ver-luste fuumlr Arbeitsmigranten ermoumlglichen sollen

Veraumlnderungen der Einwanderungs- und Regularisierungsgesetzgebung

Militaumlrherrschaft und Einwanderung

Seit dem Ruumlckgang der europaumlischen Einwanderung der zunehmenden Zahl an Migranten aus umliegenden Laumln-dern und der Bedeutung der Dynamik interner Migration seit dem Zweiten Weltkrieg hat Argentinien grundlegende Veraumlnderungen dahingehend durchlaufen wie Einwande-rung konzipiert und rechtlich gerahmt wird Uumlber Jahrzehn-te hingen die gesetzlichen Bestimmungen und Wahrneh-mungen der Einwanderungspolitik stark vom politischen Programm der jeweiligen machthabenden Regierung ab Waumlhrend der verschiedenen Militaumlrdiktaturen zwischen 1955 und 1983 herrschte ein restriktiverer Ansatz vor als unter zivilen Regierungen beispielsweise in den Jahren 1963 bis 1966 und 1973 bis 1976

Die grundlegendste Reform erfolgte 1981 als die Mili-taumlrjunta das rsaquoGenerelle Gesetz zur Migration und Foumlrde-rung von Einwanderunglsaquo erlieszlig Dieses wurde auch als Videla-Gesetz bezeichnet (benannt nach dem General und de facto Staatsoberhaupt von 1976 bis 1981 Jorge Rafa-el Videla) und hob das Avellaneda-Gesetz aus dem Jahr 1876 auf Auch wenn das Videla-Gesetz weiterhin die eu-ropaumlische Einwanderung befuumlrwortete insbesondere zum Zwecke der Besiedlung und des Bevoumllkerungswachstums enthielt es viele repressive Bestimmungen zur illegalen Einwanderung die sich implizit gegen Neuankoumlmmlinge aus benachbarten Staaten richteten Das Gesetz verbot es undokumentierten Auslaumlndern ausdruumlcklich einer be-zahlten Arbeit nachzugehen schloss sie vom Zugang zum Gesundheits- und Bildungssystem aus und verpflichtete Beamte dazu den Behoumlrden jegliche irregulaumlre Situation zu melden Die Einwanderungspolitik wurde folglich fast ausschlieszliglich zur Aufgabe der Sicherheitsbehoumlrden was in der Doktrin zur rsaquoNationalen Sicherheitlsaquo zum Ausdruck

kam30 Es wurde fuumlr Einwanderer so zunehmend schwe-rer einen legalen Aufenthaltstitel zu erhalten sie waren in einer Situation der Verwundbarkeit und Irregularitaumlt ge-fangen

Nach der Ruumlckkehr zur Demokratie 1984 folgten die ver-fassungskonformen Regierungen einem offeneren Ansatz der auch verschiedene Amnestie-Programme fuumlr Migran-ten enthielt die sich illegal im Land aufhielten Dennoch blieb der breitere gesetzliche Rahmen der Militaumlrjunta bis 2004 in Kraft Daraus entwickelte sich eine widerspruumlchli-che gesetzliche und faktische Praxis Beispielsweise wur-de Einwanderern einerseits das Recht zur Teilnahme an Wahlen auf kommunaler Ebene und auch in den meisten Provinzwahlen gewaumlhrt gleichzeitig aber die Moumlglichkei-ten einer regulaumlren Arbeit nachzugehen eingeschraumlnkt die jedoch Voraussetzung fuumlr den Erwerb einer Niederlas-sungserlaubnis war

Neue Ansaumltze

Nachdem die Einwanderungspolitik seit der Diktatur uumlber Jahre hinweg unveraumlndert einen auslaumlnderfeindlichen und implizit rassistischen Ansatz verfolgt hatte haben in den letzten zehn Jahren grundlegende Reformen stattgefun-den die neue Grundprinzipien der Einwanderungspolitik einfuumlhrten

Die offenen oder versteckten rassistischen Einstellun-gen und Diskriminierungen gegenuumlber afrikanischen und lateinamerikanischen Einwanderern die sowohl in der Oumlf-fentlichkeit als auch im privaten Bereich im institutionellen Kontext als auch alltaumlglichen Begegnungen stattfinden stehen in starkem Kontrast zu den neueren Entwicklungen im Bereich sozialer Rechte einschlieszliglich derer von Mig-ranten Obwohl es in Argentinien bereits seit 1988 ein Anti-Diskriminierungsgesetz gibt wurden erst unter den Re-gierungen von zunaumlchst Neacutestor Kirchner (2003-2007) und spaumlter seiner Frau Cristina Fernaacutendez de Kirchner (2007 bis heute 2015) die sozialen Rechte deutlich gestaumlrkt Die betraumlchtlichen Reformen in Bezug auf die Rechte von Einwanderern wurden dabei in der Oumlffentlichkeit weniger wahrgenommen als die sichtbaren Reformen und Ansaumltze wie etwa die Einfuumlhrung von gleichen Rechten fuumlr gleich-geschlechtliche Partnerschaften die offensive Verfolgung von Straftaumltern der letzten Militaumlrdiktatur und die deutliche Ausweitung von sozialen Rechten im Bereich des Wohl-fahrts- und Bildungssystems inklusive effektiver Umvertei-lungspolitik Die neue Einwanderungspolitik die auf dem Ansatz der Gewaumlhrung von Rechten beruht hat einerseits zur Legalisierung des Aufenthaltsstatus von Neuzuwan-derern gefuumlhrt Andererseits profitieren davon aber auch besonders schutzbeduumlrftige Fluumlchtlinge Wirtschaftsda-ten legen daruumlber hinaus nahe dass dieser Politikansatz der Kirchner-Regierungen positive Auswirkungen auf das juumlngste wirtschaftliche Wachstum des Landes hatte das zwischen 2003 und 2012 durchschnittlich 72 Prozent be-trug

Erste Schritte zu einer vereinfachten Regularisierung des Aufenthaltsstatus wurden 2002 mit dem rsaquoRegionalen Abkommen fuumlr Staatsbuumlrger der Mitgliedstaaten des Ge-

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Kasten 5 Europaumlischer Staatsbuumlrger werden

Ein Blick auf den Erwerb der italienischen Staatsbuumlr-gerschaft durch argentinische Staatsangehoumlrige zeigt in den Jahren nach 2001 eine deutliche Zunahme Waumlhrend 2001 316 Argentinier die italienische Staats-buumlrgerschaft erhielten waren es 2006 2569 Personen In Spanien zeigt sich der Anstieg sogar noch deutlicher Die Zahl der Argentinier die die spanische Staatsan-gehoumlrigkeit erwarben stieg von 791 im Jahr 2001 auf 6395 in 2010

meinsamen Marktes Suumldamerikaslsaquo (MECOSUR dh Ar-gentinien Brasilien Uruguay und Paraguay) und den as-soziierten Staaten (Bolivien und Chile) gemacht Demnach haben Staatsangehoumlrige der genannten Laumlnder das Recht in jedem anderen Mitglieds- oder assoziierten Land zu le-ben und zu arbeiten und sind mit den jeweiligen Staats-angehoumlrigen gleichberechtigt Ein Wendepunkt wurde mit der Verabschiedung des Gesetzes Nr 25871 im Jahr 2004 erreicht das viele der Grundprinzipien der UN-Wan-derarbeitnehmerkonvention von 1990 beinhaltet Bei der Vorbereitung des Gesetzes kooperierte die argentinische Regierung mit einer Beratungskommission aus Vertretern von verschiedenen Menschenrechts- und Expertenorgani-sationen von denen viele im Umkreis der Vereinten Na-tionen angesiedelt waren wie die Internationale Organi-sation fuumlr Migration und der Hohe Fluumlchtlingskommissar der Vereinten Nationen (UNHCR) Innerhalb des Rahmens zur regionalen Integration etabliert das Gesetz drei Aufent-haltskategorien dauerhaft temporaumlr und vorruumlbergehend Die allgemeinen Prinzipien des Gesetzes formulieren ein ehrgeiziges Programm Neben dem expliziten Wunsch Einwanderer sozio-kulturell in die argentinische Gesell-schaft zu integrieren einschlieszliglich der gleichberechtigten Partizipation von Migranten am Arbeitsmarkt verpflichtet der Gesetzestext den Staat dazu das Menschenrecht auf Migration anzuerkennen Dieses sieht den Grundsatz zur Gleichbehandlung von Migranten und Einheimischen vor dem Gesetz vor garantiert das Recht auf Familienzusam-menfuumlhrung und Zugang zum Gesundheits- und Bildungs-system sowie zu Sozialleistungen fuumlr Auslaumlnder unab-haumlngig von ihrem Migrationsstatus Daruumlber hinaus betont das Gesetz die Rechte von im Ausland lebenden argenti-nischen Staatsangehoumlrigen und foumlrdert deren Ruumlckkehr-migration

Das Gesetz wurde von einer groszligen Medienkampagne begleitet die Einwanderer informierte und dazu ermutigte ihren Aufenthaltsstatus regularisieren zu lassen Zudem wurde ein weitreichendes Regularisierungsprogramm mit dem Namen rsaquoPatria Grandelsaquo (Groszliges Heimatland) auf-gelegt das zwischen 2006 und 2010 die Regularisierung von 650000 Migranten aus MERCOSUR-Mitgliedslaumlndern vereinfachte Insgesamt wurden im Rahmen des Patria Grande-Programms und anderen Regularisierungsmoumlg-lichkeiten zwischen 2004 und 2011 1688106 Antraumlge auf einen legalen Aufenthaltsstatus gestellt Das Regularisie-rungsprogramm garantierte das Recht sich im Land auf-zuhalten aber auch Argentinien zu verlassen und wieder einzureisen ebenso wie das Recht zu studieren und eine Arbeitserlaubnis zu erhalten Es bildete den ersten Schritt zum Erwerb einer dauerhaften Aufenthaltsgenehmigung Urspruumlnglich wurde das Patria Grande-Programm als ein administratives Instrument zur Legalisierung des Aufent-haltsstatus von Migranten konzipiert Es entwickelte sich allerdings zu einem zentralen Instrument des Staates eine neue Vision von Zugehoumlrigkeit und der Partizipation von Migranten an der Nation zu artikulieren

Weitere Instrumente die mit der neuen nationalen Mig-rationsgesetzgebung und dem Regularisierungsprogramm in Zusammenhang stehen umfassten das rsaquoNationale Insti-

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tut gegen Diskriminierung Auslaumlnderfeindlichkeit und Ras-sismuslsaquo eine dreigliedrige Kommission zu Gender-Fragen und Gleichstellung auf dem Arbeitsmarkt sowie ein Natio-nales Bildungsgesetz (Nr 26206) das den Zugang von undokumentierten Migranten zum Grund- und weiterfuumlh-renden Schulsystem sowie zur Universitaumlt garantieren soll

Die Reformen der vergangenen Jahre hatten zur Folge dass die Kategorie des rsaquoillegalen Einwandererslsaquo nahezu verschwunden ist Der Erfolg von Programmen wie Pat-ria Grande und anderen nicht-MERCOSUR Regularisie-rungsmaszlignahmen sicherte hunderttausenden in Argentini-en lebenden Auslaumlndern einen legalen Aufenthaltsstatus Daten zur irregulaumlren Migration in Argentinien waren im-mer schon rar und die Regierung selbst verfuumlgt nicht uumlber praumlzise Statistiken Dennoch wurde die Zahl der undoku-mentierten Bevoumllkerung vor der Einfuumlhrung der juumlngsten Regularisierungskampagnen auf 750000 bis eine Million Menschen geschaumltzt31

Staatsbuumlrgerschaft

Erwachsene Einwanderer haben die Moumlglichkeit die ar-gentinische Staatsbuumlrgerschaft fuumlr sich und ihre Familie zu beantragen Im Ausland geborene Personen die eine ge-wisse Zeit in Argentinien gelebt haben und bestimmte Vor-aussetzungen erfuumlllen koumlnnen die argentinische Staatsan-gehoumlrigkeit erwerben Die Regularien dazu finden sich in der Verfassung des Landes die das Territorialprinzip (jus soli) festschreibt und wurden 2004 uumlberarbeitet Neben der Modernisierung des Einbuumlrgerungsverfahrens diente die Reform von 2004 hauptsaumlchlich dazu Restriktionen zu beseitigen die waumlhrend der Herrschaft der Militaumlrjunta (1976-1983) eingefuumlhrt worden waren wie beispielsweise die Voraussetzung nicht nur muumlndliche und schriftliche Spanischkenntnisse sowie Grundkenntnisse der Verfas-sung Argentiniens vorweisen zu muumlssen sondern insbe-sondere auch ein legales Arbeitsverhaumlltnis nachzuweisen

Es gibt verschiedene Moumlglichkeiten die argentinische Staatsbuumlrgerschaft zu erlangen Neben dem Territorial-recht bei Geburt auf argentinischem Boden haben Er-wachsene uumlber 18 Jahre auch die Moumlglichkeit nach zwei Jahren rechtmaumlszligigen Aufenthalts im Land die Einbuumlrge-rung zu beantragen Die Rechtmaumlszligigkeit ihres Aufenthalts muss von der nationalen Einwanderungsbehoumlrde bestaumltigt werden Es gelten einige Restriktionen So muumlssen Be-werber um die Staatsbuumlrgerschaft straffrei sein und ihren Lebensunterhalt unabhaumlngig von Zuwendungen aus dem Sozialsystem bestreiten koumlnnen sie muumlssen aber nicht mehr nachweisen dass sie in einem legalen Arbeitsver-haumlltnis stehen Daneben eroumlffnen auch die Ehe mit einem argentinischen Staatsangehoumlrigen oder der Nachweis El-ternteil eines Kindes zu sein das die argentinische Staats-angehoumlrigkeit besitzt die Moumlglichkeit eine Einbuumlrgerung zu beantragen

Der Besitz einer doppelten Staatsbuumlrgerschaft ist ein weit verbreitetes Phaumlnomen in Argentinien das allerdings auf Laumlnder beschraumlnkt ist mit denen Argentinien ein bi-laterales Abkommen unterhaumllt wie zB Spanien Italien

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und Chile Argentinier mit doppelter Staatsbuumlrgerschaft davon einer europaumlischen koumlnnen die politischen Pro-zesse in Europa beeinflussen In Argentinien wohnhafte Inhaber eines italienischen Passes beteiligten sich stark (569 Prozent) an den landesweiten Wahlen zum Abgeord-netenhaus in Italien im Jahr 2008 und beeinflussten so das Wahlergebnis32

Flucht und Asyl - Fluumlchtlingspolitik

1961 hat Argentinien die Genfer Fluumlchtlingskonvention un-terzeichnet spaumlter auch das dazugehoumlrige Protokoll von 1967 Obwohl das Land bereits seit vielen Jahrzehnten Fluumlchtlinge aufnimmt gibt es erst seit 2006 ein echtes Ge-setz zur Anerkennung und zum Schutz von Fluumlchtlingen (rsaquoLey General de Reconocimiento y Proteccioacuten al Refugia-do Ley 26165lsaquo) Dieses Gesetz nahm auch die Erklaumlrung von Cartagena aus dem Jahr 1984 auf die die Fluumlchtlings-definition des Hohen Fluumlchtlingskommissars der Vereinten Nationen (UNHCR) erweiterte indem sie sie auch auf Per-sonen bezog die vor Krieg und Unruhen fliehen

2003 initiierte Argentinien einen Prozess zur Unter-zeichnung aller noch ausstehenden internationalen Men-schenrechtsabkommen Das Land begann im Zuge sei-nes menschenrechtsbasierten Politikansatzes damit das Fluumlchtlingswesen und damit in Verbindung stehende Ins-titutionen aufzubauen In Erinnerung an die traumatische Erfahrung tausender argentinischer Auswanderer und Fluumlchtlinge waumlhrend der letzten Militaumlrdiktatur (1976-1983) verabschiedete Argentinien Gesetze die den Fluumlchtlings-schutz anhoben und trat 2005 an die Seite anderer latein-amerikanischer Staaten in ihrem gemeinsamen Bestreben Fluumlchtlinge umzusiedeln (Resettlement) Zusammen mit dem bereits erwaumlhnten Gesetz zur Anerkennung und zum Schutz von Fluumlchtlingen (No 26165) wurde im Jahr 2009 ein Nationaler Fluumlchtlingsrat (CONARE) eingerichtet der das Innen- Auszligen- Justiz- und Sozialministerium und an-dere Einrichtungen einbezieht uumlber die Zuerkennung ei-nes Fluumlchtlingsstatus entscheidet und sich fuumlr die Rechte von Fluumlchtlingen einsetzt Heute haben Asylsuchende und anerkannte Fluumlchtlinge in Argentinien das Recht auf Doku-mente die ihren Aufenthaltsstatus nachweisen sie duumlrfen arbeiten und haben Zugang zur Grundversorgung Zudem haben Fluumlchtlinge und Asylsuchende dieselben Rechte wie andere im Land lebende Auslaumlnder sie duumlrfen sich im Land frei bewegen haben Zugang zu Bildung zur Gesundheits-versorgung und zur Justiz und genieszligen Religionsfreiheit

Seitdem das Land 1985 damit begonnen hat Fluumlchtlin-ge anzuerkennen sind in Argentinien etwa 13000 Antraumlge von Asylsuchenden aus uumlber 46 Herkunftslaumlndern einge-gangen In 3200 Faumlllen wurde Asyl gewaumlhrt Zwischen 2006 und 2010 kamen die meisten Asylsuchenden aus dem Senegal (ca 769 Personen) Kolumbien (665) und der Dominikanischen Republik (547) Eine weitere Grup-pe die von dem neuen Fluumlchtlingsgesetz profitierte waren Staatsangehoumlrige Haitis die nach dem verheerenden Erd-beben 2010 in Argentinien Schutz gefunden haben33 Im Januar 2014 registrierte der UNHCR 3362 in Argentinien

lebende anerkannte Fluumlchtlinge und 916 Asylsuchende 2013 waren in Argentinien 614 Asylantraumlge gestellt wor-den

Herausforderungen und Ausblick

Das Migrationsgesetz von 2004 markiert einen Wende-punkt in der juumlngeren Geschichte Argentiniens indem es Gesetze aufhob die sich seit der letzten Diktatur nicht grundlegend veraumlndert hatten Es markiert den Uumlbergang von einer restriktiven Politik zu einem realistischen of-fenen Einwanderungskonzept dessen Implementierung immer noch mit deutlichem Widerstand vonseiten der staatlichen Verwaltung und einiger Teile der Gesellschaft konfrontiert ist34 Das Gesetz erkennt die Leistungen von Migration fuumlr das Land ausdruumlcklich an und druumlckt den Be-darf nach oumlffentlichen Politiken aus um die volle Integrati-on der Einwanderer zu realisieren In diesem Sinne positi-oniert die neue argentinische Migrationsgesetzgebung das Land in einem auf Rechten basierenden Migrationsregime Das trifft auch auf das Engagement des Landes fuumlr Fluumlcht-linge zu Argentinien nahm 2012 und 2013 300 syrische Familien auf

Vor dem Hintergrund restriktiver Zuwanderungspolitiken in den USA und Europa in Kombination mit der groszligzuumlgi-gen argentinischen Gesetzgebung ist es sehr wahrschein-lich dass Einwanderung das Land auch in den kommen-den Jahren weiter praumlgen wird Dies gilt insbesondere fuumlr die Einwanderung aus den Nachbarlaumlndern Besonders diejenigen Einwanderergemeinden die sich bereits in Ar-gentinien etabliert haben werden voraussichtlich weiter wachsen Aber auch die Ruumlckkehr von Argentiniern aus Suumldeuropa ist sehr wahrscheinlich da die Hauptziellaumlnder argentinischer Auswanderer die sich seit 2001 herausge-bildet haben weiterhin unter groszligem finanzpolitischen wirtschaftlichen und sozialen Druck stehen

Wie Argentinien auf zukuumlnftige Migrationsbewegungen reagieren wird haumlngt von zwei grundlegenden Entwicklun-gen ab Dazu zaumlhlt zum einen die politische Situation im Land Die Regierungen Kirchner hatten mehr als zehn Jah-re Zeit den rechtebasierten Ansatz in der nationalen Poli-tik durchzusetzen in Abstimmung mit dem Vorhaben einer staumlrkeren regionalen Integration Das Land teilt aumlhnliche politische Ansaumltze mit benachbarten Laumlndern insbeson-dere Brasilien und Bolivien was die Steuerung regionaler Migration und die Regularisierung des Aufenthaltsstatus von Einwanderern vereinfacht hat Zukuumlnftige argentini-sche Regierungen koumlnnten sicherlich einen restriktiveren Kurs in Fragen der Einwanderung und Regularisierung ein-schlagen um einer konservativeren und am rechten Rand orientierten Waumlhlerschaft gerecht zu werden

Zum anderen hat das hohe Wirtschaftswachstum seit 2003 Argentinien erneut zu einem attraktiven Zielland fuumlr Einwanderer gemacht Seit 2012 steckt allerdings das nach der Krise 2001 etablierte post-neoliberale Wirtschaftsmo-dell das auf einem starken Staat dominanten Export-wirtschaftssektoren und einer relativen Unabhaumlngigkeit von internationalen Kreditmaumlrkten basiert in ernsthaften

Schwierigkeiten Dies betrifft nicht nur Argentinien son-dern die gesamte Region Sollte sich diese Entwicklung fortsetzen erscheint es moumlglich dass der interne Druck die Einwanderung zu reduzieren waumlchst und die offene Migrationspolitik die in den letzten zehn Jahren erfolg-reich eingefuumlhrt worden ist wieder zuruumlckgenommen wird

Ein optimistisches Resuumlmee der letzten zehn Jahre er-laubt die Sichtweise dass sich ein neues Paradigma im Hinblick auf die Konzeptualisierung nationaler Identitaumlt herausbildet Weg vom Prinzip der nationalen Souveraumlni-taumlt und Selbstbestimmung hin zu einem Konzept das die Verantwortung des Staates gegenuumlber seinen Buumlrgern im Rahmen von internationalen und regionalen Menschen-rechtskonventionen betont und die Vorstellungen von Zu-gehoumlrigkeit und Staatsbuumlrgerschaft ausweitet indem es sich von assimilationistischen Diskursen (siehe Kasten 4) abwendet und stattdessen den Ansatz kultureller Plurali-taumlt beim Entwurf oumlffentlicher Politik verfolgt35 Dennoch ist es zu fruumlh um abwaumlgen zu koumlnnen ob diese Entwicklung auch Auswirkungen auf die Kultur der Fremdenfeindlich-keit und Gefuumlhle von Uumlberlegenheit gegenuumlber lateiname-rikanischen Einwanderern hat die von vielen Argentiniern in ihrer Selbstauffassung als rsaquoweiszlige Gesellschaftlsaquo geteilt werden Dies erscheint angesichts der aktuellen schwer-wiegenden wirtschaftlichen und sozialen Probleme im Land die das nationale Projekt der Kirchner Regierung unter groszligen Druck setzen noch schwieriger zu sein

Anmerkungen

1 Martiacutenez Shaw (1994)2 Andrews (1980)3 Castro (1991)4 Rock (2002)5 Trinchero (2006)6 Devoto (2009)7 Corteacutes Conde (2009)8 Williamson (1999)9 Williamson (1994)

10 Nugent (1995)11 Rein (2010)12 Nugent (1995)13 Biernat (2007)14 Devoto (2009)15 Benencia (2009)16 OAS (2012)17 Bologna (2010)18 Bastiavom Hau (2013) 19 Zubrzycki (2012)20 Andrews (1980)21 Organizacioacuten Internacional para las Migraciones (OIM) (2012)22 OECD (2009)23 Ginieniewicz (2012) EstebanActis (2012)24 Hierro (2013)25 OECD (2013)26 BrodskyRein (2013)27 Martiacuten-Peacuterez (2012)28 OECD (2013)29 Instituto Nacional de Estadiacutestica (Spanien) (2014)

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30 Novick (2012)31 Hines (2010) 32 Tintori (2011)33 Cavaleri (2012)34 Baladroacuten et al (2013)35 Domenech (2007)

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Internetquellen

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Nationales Bevoumllkerungsressort [Direccioacuten Nacional de Poblacioacuten] wwwmininteriorgovarpoblacionpoblacionphp Nationals Statistik- und Zensusinstitut [Instituto Nacional de Estadistica y Censos] wwwindecmeconar

Nationale Fluumlchtlingskommission [Comisioacuten Nacional para los Refugiados] wwwmigracionesgovarconare

Internationale Organisation fuumlr Migration - Argentinien wwwargentinaiomint

Zentrum fuumlr lateinamerikanische Migrationsstudien [Cen-tro de Estudios Migratorios Latinoamericanos (CEMLA)] httpcemlacom

Herausgeber Institut fuumlr Migrationsforschung und Interkulturelle Studien (IMIS) der Universitaumlt Osnabruumlck Neuer Graben 1921 49069 Osnabruumlck Tel +49(0)541 969 4384 Fax +49 (0)541 969 4380 E-Mail imisuni-osnabrueckde

Bundeszentrale fuumlr politische Bildung (bpb) Adenauerallee 86 53113 Bonn unter Mitwirkung des Netzwerks Migration in Europa eV Redaktion Dr Marcel Berlinghoff Vera Hanewinkel Apl Prof Dr Jochen Oltmer (verantw) Uumlbersetzung ins Deutsche Vera Hanewinkel

Die Erstellung der Laumlnderprofile (ISSN 1864-6220) und Kurzdossiers (ISSN 1864-5704) erfolgt in Kooperation der oa Partner Der Inhalt der Laumlnderprofile und Kurzdossiers gibt nicht unbedingt die Ansicht der Herausgeber wieder Der Abdruck von Auszuumlgen und Graphiken ist bei Nennung der Quelle erlaubt

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IMPRESSUM

Der Autor

Thomas Maier ist Doktorand am Institut fuumlr Amerikastudi-en (Institute of the Americas) das Teil des University Col-lege London und damit der Universitaumlt London ist Sein Forschungsschwerpunkt ist die Geschichte von Arbeit und Wohlfahrtsstaat in den Amerikas insbesondere in Argenti-nien und auf dem Suumldkegel Lateinamerikas

E-Mail thomasmaier12uclacuk

Page 3: Argentinien - m.bpb.de

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Foumlrderung der Einwanderung wurde 1876 geschaffen Das sogenannte Avellaneda-Gesetz legte die Verantwortung fuumlr die Steuerung der Zuwanderung in die Haumlnde der Zen-tralregierung und beendete damit die vorherige Dominanz der Provinzen Mit dem Gesetz wurde auch die maumlchtige Einwanderungsabteilung (rsaquoDepartamento General de Inmi-gracioacutenlsaquo) unter dem Dach des Innenministeriums geschaf-fen Daruumlber hinaus garantierte das Gesetz den Migranten nach ihrer Ankunft im Land eine sechstaumlgige kostenfreie Unterbringung im rsaquoHotel de Inmigranteslsaquo eroumlffnet im Jahr 1870 kostenfreie Zugfahrten ins Landesinnere und die Zu-erkennung staatlicher Laumlndereien6

Zwischen 1881 und dem Ersten Weltkrieg trafen 42 Millionen Menschen in Argentinien ein Italiener (etwa zwei Millionen) und spanische Staatsangehoumlrige (14 Mil-lionen) bildeten die groumlszligten Gruppen wobei es deutliche Unterschiede hinsichtlich der Regionen in den Herkunfts-laumlndern gab aus denen diese Einwanderer stammten (vgl Abbildung 1) 1912 war das Jahr in dem die meis-ten Einwanderer - rund 300000 - eintrafen Andere gro-szlige Einwanderergruppen vor dem Ersten Weltkrieg waren Deutsche Franzosen Englaumlnder und andere Gruppen aus dem Britischen Weltreich Argentinien war damit in der Zeit der groszligen transatlantischen Migrationsbewegungen das zweitbeliebteste Zielland in der Neuen Welt hinter den Ver-einigten Staaten von Amerika Aber Migration war keine Einbahnstraszlige und nahm haumlufig die Form zirkulaumlrer Pro-zesse an Von 1881 bis 1910 entschieden sich 36 Prozent der Neuankoumlmmlinge zur Ruumlckkehr in ihr Herkunftsland Die sogenannten argentinischen rsaquoZugvoumlgellsaquo - rsaquogolondri-naslsaquo (Schwalben) genannt - wurden zum Massenphaumlno-men Tausende (uumlberwiegend italienische) Landarbeiter nutzten die unterschiedlichen Erntezeiten in Europa und Suumldamerika um regelmaumlszligig zwischen den beiden Konti-nenten zu pendeln (vgl Abbildung 2)9

Obwohl das Projekt der Modernisierung von der Elite des Landes so vorbehaltlos begruumlszligt wurde loumlsten die An-kunft von Millionen von Menschen und die Auswirkungen dieser Einwanderung auch Aumlngste aus und mit der Zeit offenbarte sich dass die Bevoumllkerung der Einwanderung

zwiespaumlltig gegenuumlber stand Insbesondere die Befuumlrchtung die Einwanderer koumlnnten Krankhei-ten einschleppen rief Aumlngste hervor nicht nur in Argentinien sondern in allen Hauptaufnahme-laumlndern in der Zeit Die ersten Einwanderergrup-pen die als stoumlrend und schwer zu integrieren empfunden wurden waren Einwanderer aus dem Osmanischen Reich allgemein als rsaquoturcoslsaquo be-zeichnet und Juden die vor allem aus Russland kamen Ihre Zahl belief sich im ersten Jahrzehnt des 20 Jahrhunderts jaumlhrlich auf 10000 bis 20000 Neuankoumlmmlinge Dennoch gab es bis in die 1920er Jahre hinein praktisch keine Einwan-derungsbeschraumlnkungen

Die Volkszaumlhlung im Jahr 1914 belegt den Einfluss den die Einwanderung auf die argenti-nische Wirtschaft Gesellschaft und Kultur hatte Die Einwanderung veraumlnderte das demografi-sche Profil des Landes erheblich Innerhalb von

20 Jahren hatte sich die Bevoumllkerung verdoppelt und um-fasste nun 79 Millionen Menschen Mehr als ein Drittel der Einwohner waren im Ausland geboren worden verglichen mit 30 Prozent in den USA fuumlnf Prozent in Brasilien und 24 Prozent in Kanada In der westlichen Hemisphaumlre wies zu der Zeit nur Uruguay mit 35 Prozent der Bevoumllkerung einen houmlheren Anteil im Ausland Geborener auf 50 Prozent der Einwohner von Buenos Aires waren im Ausland Geborene mehr als in jeder nordamerikanischen Stadt10

Debatten uumlber Integration

Um ein nationales Zugehoumlrigkeitsgefuumlhl und eine Iden-tifikation mit der neuen Nation herzustellen verlieszlig sich der Staat auf drei Strategien die auf europaumlischen und US-amerikanischen Vorbildern beruhten verpflichtender Militaumlrdienst zunehmende politische Integration durch

Kasten 3 Positive wirtschaftliche Perspektiven locken Einwanderer an

Zwischen 1876 und 1915 wuchsen die Exporte von Vieh und landwirtschaftlichen Produkten jaumlhrlich um durch-schnittlich vier Prozent und das Eisenbahnnetz wurde von 2500 Kilometer auf 34000 Kilometer ausgebaut Dieses Wachstum stand in engem Zusammenhang mit der internationalen Wirtschaft Argentinien war in den globalen Markt integriert potenziellen Einwanderern boten sich hohe Loumlhne und gute wirtschaftliche Ent-faltungsmoumlglichkeiten7 Die Realloumlhne in Argentinien lagen in den 1870er Jahren 2077 Prozent houmlher als der gewichtete Durchschnittslohn in Italien Portugal und Spanien und 2121 Prozent uumlber dem Durchschnitt zwischen 1909 und 19138 In den spaumlten 1880ern gab es eine massive Subventionspolitik um Einwanderer anzuziehen ihr Erfolg war jedoch nur begrenzt Zwi-schen 1888 und 1891 gewaumlhrte die argentinische Re-gierung 134000 europaumlischen Siedlern Zuschuumlsse fuumlr die Uumlbersiedlung

Abbildung 1 Anteil italienischer und spanischer Einwanderung an der gesamten Einwanderung nach Argentinien 1857-1937

Quelle Devoto (2009)

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das Wahlrecht und politische Partizipation und vor allem eine patriotische Schul- und Ausbildung Die paumldagogi-sche Doktrin wurde vom Beispiel der saumlkularen Dritten Franzoumlsischen Republik inspiriert Das Ergebnis dieses Integrationsprojekts war erfolgreich und bestaumlndig Als in den fruumlhen 1960er Jahren der Soziologe Gino Germani die erste systematische Studie zur Einwanderung in Argenti-nien durchfuumlhrte konnte er uumlberzeugend argumentieren dass das Projekt der Integration erfolgreich gewesen und zur Schaffung einer modernen Gesellschaft beigetragen hatte in der es keine groszligen Spannungen zwischen un-terschiedlichen ethnischen Gruppen gab Bereits in den 1920ern hatten viele Einwanderer der zweiten und dritten Generation ihre Muttersprache verlernt und standen Neu-zuwanderern kritisch gegenuumlber In dieser Hinsicht zeigten sich in Argentinien aumlhnliche Muster wie in anderen Gegen-den die von Europaumlern besiedelt worden waren Waumlhrend beispielsweise Jiddisch von Einwanderern in Zentral- und Osteuropa uumlber Jahrhunderte von Generation zu Gene-ration weiter gegeben wurde verschwand die Sprache in Argentinien im Laufe von nur drei Generationen fast voll-staumlndig genauso wie auch in den USA Brasilien oder in Uruguay11

Nach dem Ersten Weltkrieg bis zu den 1950er Jahren ndash Ein neues intellektuelles Klima und das Ende der Masseneinwanderung

Der starke Ruumlckgang der Einwandererzahlen fuumlhrte zwi-schen 1915 und 1917 zu einem negativen Wanderungssal-do Der Ausbruch des Ersten Weltkriegs machte deutlich wie sehr das argentinische Projekt der Moderne auf wa-ckeligen Fuumlszligen stand und wie abhaumlngig es von den politi-

schen Umstaumlnden und Wirtschaftszyklen in anderen Teilen der Welt war

Nach dem Groszligen Krieg nahm die Zahl der Einwanderer jedoch wieder zu Argentinien gelang es sogar den Anteil der europaumlischen Migration im Vergleich zu anderen Laumln-dern der Neuen Welt zu erhoumlhen was teilweise auch auf die Einfuumlhrung restriktiver Einwanderungsgesetze in den USA zuruumlckzufuumlhren war 1923 wurde mit 200000 Neu-einwanderern ein neuer Houmlchststand erreicht Der Anteil der Einwanderer aus den zerbroumlckelnden Imperien in Zen-tral- und Osteuropa - dem Osmanischen Habsburgischen und Russischen Reich - und ihren Nachfolgestaaten die im Zuge der politischen Neuordnung durch den Friedens-vertrag von Versailles entstanden erhoumlhte sich12

Der Schock des Ersten Weltkriegs sollte ein Vorzeichen fuumlr die Dinge sein die noch kommen sollten Wie in vielen anderen Laumlndern der Neuen Welt brachte der Ausbruch der Weltwirtschaftskrise 1929 die Zuwanderung quasi zum Erliegen Wachsende Arbeitslosigkeit und die Erosion der relativen Loumlhne sorgten dafuumlr dass die Reise nach La Pla-ta fuumlr viele potenzielle Migranten unattraktiv wurde Zudem veraumlnderte sich das intellektuelle Klima in den 1930er Jah-ren grundlegend Nationalistische Ideen stellten das libe-rale Paradigma offener Grenzen infrage und wachsende Fremdenfeindlichkeit und Antisemitismus beeinflussten die Haltung der Bevoumllkerung gegenuumlber Einwanderern Die Militaumlrregierung die 1930 die Macht uumlbernahm fuumlhrte noch im selben Jahr sowie erneut 1938 Einwanderungsbe-schraumlnkungen ein dennoch war es nicht die Politik son-dern die wirtschaftliche Entwicklung die das Versiegen der Einwanderung maszliggeblich beeinflusste

In den 1930ern kam zudem ein neues Phaumlnomen er-zwungener Migration auf der Fluumlchtling Dem Druck von

Abbildung 2 Spanische und italienische Einwanderung nach und Auswanderung aus Argentinien 1861-1920

Quelle Devoto (2009)

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Krieg und Verfolgung zunaumlchst waumlhrend des Spanischen Buumlrgerkriegs und spaumlter durch das Aufkommen rechts-extremer totalitaumlrer Regime und den Zweiten Weltkrieg begegnete Argentinien mit zunehmend restriktiven Grenz-kontrollen Dabei spielte auch die antisemitische und an-tikommunistische Haltung der argentinischen Elite eine wichtige Rolle Obwohl der argentinische Staat versuchte gegen illegale Grenzuumlbertritte hart vorzugehen gelang es tausenden Menschen vor allem Juden ins Land zu gelan-gen Die Nutzung alternativer Einreiserouten uumlber schlecht kontrollierte Stellen der argentinischen Grenze die Einrei-se uumlber Drittstaaten oder einfach die Bestechung von Be-amten um Zutritt zum Land zu erhalten erwies sich dabei oft als lebensrettend

Der letzte Versuch eine groszlige Zahl europaumlischer Ein-wanderer anzulocken erfolgte waumlhrend der Praumlsident-schaft von Juan Peroacuten von 1946 bis 1955 In ihrem Fuumlnf-jahresplan von 1947 einem Dokument das neben der allgemeinen ideologischen Vision der Regierung auch detaillierte Beschreibungen von Politikvorhaben enthielt brachte die peronistische Regierung den Wunsch zum Ausdruck weitere vier Millionen Einwanderer zur landwirt-schaftlichen Bewirtschaftung bislang ungenutzter Flaumlchen ins Land zu holen Zudem foumlrderte Peroacuten die Migration innerhalb der Landesgrenzen von den Provinzen in die groszligen Staumldte um die Industrialisierung des Landes vo-ranzutreiben Der Peronismus sah Arbeitsmigranten aus dem Landesinneren die oftmals eine dunklere Hautfarbe hatten als integralen Bestandteil der nationalen Gemein-schaft an Zeitgleich aber hielt der Peronismus den My-thos einer homogenen weiszligen argentinischen Gesellschaft aufrecht indem er die Integration der Binnen- und inter-nationalen Migranten in den argentinischen Schmelztiegel (rsaquocrisol de razaslsaquo) hervorhob Aber wie schon im Fall fruuml-herer Versuche die Migration nach Argentinien zu steuern gelang es dem Staat auch jetzt nicht seine ehrgeizigen Plaumlne zu verwirklichen Obwohl die Zahl der Neuankoumlmm-linge in den 1940er und 1950er Jahren noch einmal an-stieg kehrten in dieser Zeit auch viele Menschen in ihre Herkunftslaumlnder zuruumlck (1949 148372 Neuankoumlmmlinge vs 133019 Ruumlckkehrer) In den 1950ern folgten viele

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Menschen dem Ruf der boomenden zentraleuropaumlischen Wirtschaften nach auslaumlndischen Arbeitskraumlften anstatt nach Argentinien aufzubrechen13

Juumlngste Entwicklungen der Ein- und Auswanderung

Migration aus benachbarten Staaten

Das Phaumlnomen der Einwanderung aus benachbarten Ge-bieten ist viel aumllter als die Geschichte des argentinischen Nationalstaats selbst Bereits in der Kolonialzeit nutzten Arbeitsmigranten und Haumlndler die weitverzweigten Fluss-systeme fuumlr ihre Aktivitaumlten Seit der Entstehung der Repu-blik im fruumlhen 19 Jahrhundert hat Argentinien Menschen aus umliegenden Laumlndern angezogen dank houmlherer Loumlhne und relativ fortschrittlicher industrieller und landwirtschaft-licher Strukturen mit hoher Arbeitskraumlftenachfrage Aber erst unter der Militaumlrdiktatur in den 1970er Jahren geriet die Praumlsenz lateinamerikanischer Migranten in den Fokus der oumlffentlichen Aufmerksamkeit Sie wurde hauptsaumlchlich als ein rsaquoProblemlsaquo irregulaumlren Aufenthalts sozialen und ethnischen Zusammenhalts und als Gefahr fuumlr das Projekt der Zivilisierung und nationalen Entwicklung gesehen die wachsenden einwanderungsfeindlichen Einstellungen in den 1980ern und 1990ern verstaumlrkten diese Sichtweise Diese Stigmatisierung lateinamerikanischer Einwanderer ging mit einer groumlszligeren Sichtbarkeit dieser Gruppe einher sowohl was ihre Zahl als auch ihre oumlffentliche Wahrneh-mung anbelangte15

Nicht uumlberraschend nahm die Zahl der auslaumlndischen Staatsangehoumlrigen nach dem Zweiten Weltkrieg deutlich ab von 26 Millionen 1960 auf 15 Millionen 2001 (vgl Ab-bildung 3) Aber die Veraumlnderung hinsichtlich der im Land lebenden Auslaumlnder betraf nicht nur deren Zahl Langsam aber stetig kamen weniger Europaumler dafuumlr aber mehr Menschen aus benachbarten Laumlndern insbesondere aus Bolivien Paraguay Peru und Chile Insbesondere die Ein-wanderung aus Paraguay und Bolivien war bestaumlndig Bis zu den 1970er Jahren war die Migration vor allem regional ausgerichtet und beschraumlnkte sich zumeist auf Land-Land-Migration in Grenzgebieten Anschlieszligend entwickelte sich die Metropole Buenos Aires zu einem Zuwanderungsma-gneten Die Volkszaumlhlung von 2001 offenbarte dass 54 Prozent der Einwanderer aus benachbarten Staaten in Buenos Aires lebten verglichen mit nur 25 Prozent 1960 Obwohl ihr Anteil an der Gesamtbevoumllkerung in den ver-gangenen 30 Jahren nur unwesentlich gestiegen ist (von 27 Prozent 1983 auf 31 Prozent 2011) ist ihre Zahl vor allem von 1991 bis 2001 am deutlichsten gewachsen Die auszligerordentlich hohen Loumlhne in diesem Jahrzehnt garan-tiert durch die eins zu eins Konvertierbarkeit des argen-tinische Peso und des US-amerikanischen Dollar zogen hunderttausende Arbeitskraumlfte und ihre Familien an Somit wuchs beispielsweise die bolivianische Community zwi-schen 1991 und 2001 von 143589 auf 233464 Personen die paraguayische von 150450 auf 325046 und die peru-anische von 15939 auf 8754616

Kasten 4 Argentiniens Schmelztiegel-Theorie

Beeinflusst von den Debatten in den USA dominier-te in Argentinien in den Diskussionen daruumlber wie der Zusammenhalt einer Nation bestehend aus Einwan-derern zu konzeptualisieren sei die Vorstellung eines Schmelztiegels (rsaquocrisol de razaslsaquo) - das argentinische Aumlquivalent zur US-amerikanischen rsaquoMelting Potlsaquo-Theorie Erst seit Kurzem gewinnen auch heterogene Ideen und Konzepte an Bedeutung die Merkmale und Strukturen sozialer Pluralitaumlt und kultureller Diversitaumlt hervorheben Im Zentrum von Studien zu diesen Kon-zepten standen dabei Muster politischer Partizipation Dynamiken von Eheschlieszligungen und wirtschaftlicher Teilnahme sowie die raumlumliche Wohnverteilung in der Stadt und auf dem Land14

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Viele dieser Einwanderer arbeiten in Sektoren in denen niedrige Loumlhne gezahlt werden und die Arbeitsbedingun-gen prekaumlr sind wie im Baugewerbe Haushaltsdienstleis-tungssektor oder in der Fertigungsindustrie aber auch in der Landwirtschaft der Bekleidungsindustrie Gemuumlse-laumlden in Staumldten oder andere Bereichen des Handels In diesen Segmenten des Arbeitsmarkts hat vor allem die bolivianische Community erfolgreich ethnische Struktu-ren - sowohl formeller als auch informeller Art - aufgebaut die tausenden Bolivianern zu einem Arbeitsplatz verhelfen und Orte der Geselligkeit und des Miteinanders schaffen17

Bolivianer die in Argentinien leben tragen erheblich zur Wirtschaft ihres Herkunftslandes bei Studien der Internati-onalen Organisation fuumlr Migration schaumltzen dass sich ihre Ruumlckuumlberweisungen an Familienmitglieder allein 2012 auf 301 Millionen US-Dollar beliefen

Diese rsaquoNeue Migrationlsaquo die tatsaumlchlich aber ein sehr altes Phaumlnomen ist nur eben von der Dominanz der transatlantischen Migrationsbewegungen verdeckt wurde stellte neue Herausforderungen fuumlr das Projekt der natio-nalen Identitaumlt und des inter-ethnischen Zusammenhalts dar Die dominante und populaumlre Vorstellung dass die argentinische Nation aus rsaquoSoumlhnen der Bootelsaquo (rsaquohijos de los barcoslsaquo) bestand die sich erfolgreich in das nationale Projekt des Fortschritts integriert hatten lieszlig wenn uumlber-haupt nur einen marginalen Platz fuumlr Einwanderer aus der unmittelbaren Nachbarschaft Argentiniens Zudem sind fremdenfeindliche Einstellungen offene und versteckte Formen von Diskriminierung und Vorstellungen kultureller Uumlberlegenheit im Land sehr weit verbreitet Ein komplexes Zusammenspiel aus Klasse rsaquoRasselsaquo Debatten um Sicher-heit und Kriminalitaumlt sowie kulturelle Andersartigkeit fuumlhrt dazu dass Bolivianer und andere Einwanderer aus Latein-amerika in eine gesellschaftliche Randposition gedraumlngt werden und relativ ausgeschlossen bleiben18

Andere neuere Einwanderungsbewegungen

Ein weiteres Phaumlnomen das als neu gilt ist die zuneh-mende Praumlsenz von (zumeist west-) afrikanischen Arbeits-migranten und Fluumlchtlingen insbesondere Senegalesen Ghanaern und Nigerianern in den groumlszligeren Staumldten des

Landes vor allem in Buenos Aires Das rigide Grenzuumlber-wachungssystem in Europa das im Laufe der letzten Jahr-zehnte entstanden ist das bemerkenswerte Wirtschafts-wachstum in Argentinien und die vergleichsweise offenen Einwanderungspolitiken des Landes haben dazu gefuumlhrt einen Teil der afrikanischen Migration nach Argentinien umzulenken Wie auch andere nicht-europaumlische Migran-ten die in juumlngster Zeit nach Argentinien gekommen sind sehen sich afrikanische Einwanderer Vorurteilen ausge-setzt und haben groszlige Schwierigkeiten eine legale Arbeit zu finden Der Staat und Wohlfahrtseinrichtungen bieten Sprachkurse an stellen temporaumlre und erneuerbare Auf-enthaltsgenehmigungen zur Verfuumlgung und ebenso eine grundlegende Gesundheitsversorgung Das 2010 gegruumln-dete Zentrum fuumlr afrikanische Fluumlchtlinge und Migranten (rsaquoCentro para el Refugiado y Migrante Africanolsaquo) bietet Informationen und Unterstuumltzung fuumlr junge afrikanische Fluumlchtlinge an19

Die afrikanische Migration wird oftmals als neues Phauml-nomen dargestellt Ein Blick in die Vergangenheit zeigt je-doch dass afrikanische Einwanderer in der Region schon lange praumlsent waren Der Zensus von 1810 zeigt dass allein in Buenos Aires das zu der Zeit 32558 Einwoh-ner zaumlhlte 9615 Schwarze lebten Die Mehrzahl dieser schwarzen rsaquoPortentildeoslsaquo - wie die Einwohner von Buenos Aires genannt werden - waren Opfer des transatlantischen Sklavenhandels Der Zensus aus dem Jahr 2010 zeigte dass sich 149493 Einwohner des Landes als Nachkom-men von afrikanischen Einwanderern beschreiben Die Praumlsenz von Afrikanern und Afro-Argentiniern verdeutlicht dass die Migrationsgeschichte Argentiniens vielschichtiger ist als das immer noch dominante Narrativ eines Landes das sich auf europaumlische Einwanderung gruumlndet nahe legt20

Die Einwandererbevoumllkerung

Der juumlngste Zensus aus dem Jahr 2010 belegt dass die Einwanderung aus anderen lateinamerikanischen Laumlndern in den letzten Jahren uumlberwogen hat Mehr als 75 Prozent der in Argentinien lebenden aber im Ausland geborenen Bevoumllkerung stammten aus benachbarten Laumlndern (ein-schlieszliglich Peru) Europaumler folgen mit 16 Prozent Ins-gesamt waren 45 Prozent der Bevoumllkerung des Landes auszligerhalb Argentiniens geboren worden Die groumlszligten Ein-wanderergruppen - in absoluten Zahlen betrachtet - bilden Paraguayer mit 550713 Personen Bolivianer mit 345272 Personen Chilenen mit 191147 Personen und Peruaner mit 157514 Personen

In Argentinien zeigt sich daruumlber hinaus das weltweit zu beobachtende Phaumlnomen der rsaquoFeminisierung der Migrati-onlsaquo Nach Ergebnissen des Zensus von 2010 sind 539 Pro-zent der im Ausland geborenen Bevoumllkerung weiblich in der einheimischen Bevoumllkerung sind es dagegen nur 512 Prozent Die Zensusdaten weisen zudem darauf hin dass sich die Mehrheit der Einwandererbevoumllkerung in Staumldten niedergelassen hat Insgesamt leben 732 Prozent der im Ausland geborenen Bevoumllkerung in Buenos Aires und der stark urbanisierten Provinz Buenos Aires Damit sind 135

Abbildung 3 Anteil der im Ausland geborenen (foreign born) Bevoumllkerung an der Gesamtbevoumllke- rung Argentiniens 1869-2010

Quelle INDEC [Nationales Statistikinstitut] Volkszaumlhlungen 1869 bis 2010

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Prozent der Einwohner der Stadt Buenos Aires im Ausland Geborene waumlhrend ihr Anteil an der Bevoumllkerung der pe-ripheren Provinz Santiago del Estero im Nordwesten des Landes gerade einmal 03 Prozent betraumlgt Etwa ein Drit-tel der im Ausland geborenen Bevoumllkerung Argentiniens ist zwischen 2001 und 2010 eingewandert was deutlich macht dass Einwanderung fuumlr das Land weiterhin relevant ist (vgl Abbildung 4)

Argentinier im Ausland

Die Krise 2001 und ihre Konsequenzen - Argentinien als Auswanderungsland

Im Jahr 2001 sah sich Argentinien mit einer Finanzkrise konfrontiert die im darauffolgenden Jahr in einer Abwer-tung der nationalen Waumlhrung um 300 Prozent und inner-halb weniger Wochen in den Zusammenbruch des Ban-kensystems muumlndete - mit verheerenden Konsequenzen Die Arbeitslosigkeit stieg auf 20 Prozent und die Unterbe-schaumlftigung auf 17 Prozent 42 Prozent der Bevoumllkerung lebten unterhalb der Armutsgrenze und 27 Prozent sogar in extremer Armut

Die wirtschaftliche politische und soziale Krise fuumlhrte zu einem grundlegenden Wandel der Migrationsmuster Im folgenden Jahrzehnt erlebte das Land zum ersten Mal in seiner Geschichte eine groszlige und anhaltende Abwande-rungswelle (vgl Abbildung 5) insbesondere von jungen und qualifizierten Argentiniern die sich im Ausland eine bessere Zukunft erhofften Schaumltzungen zufolge lebten 2010 rund eine Million Argentinier auszligerhalb des Landes wobei Spanien 30 Prozent und die USA 23 Prozent auf-genommen hatten und damit die Hauptziellaumlnder bildeten (vgl Abbildung 6)21

Spanien und andere Hauptziellaumlnder

Bis vor einigen Jahren lebte die groumlszligte Gruppe argentini-scher Auswanderer in den USA Die Zahl der Neuzuwan-derer aus Argentinien erreichte mit 35210 Personen im Jahr 2002 einen Houmlhepunkt und zeigte einen deutlichen Anstieg gegenuumlber 2000 als 6670 Argentinier in die USA einwanderten22 Seit der Finanzkrise in Argentinien 2001 entwickelte sich Spanien jedoch allmaumlhlich zum Hauptziel-land argentinischer Auswanderer (vgl Abbildung 6)

Spanien hatte argentinische Migranten aufgrund der kulturellen und sprachlichen Naumlhe bereits seit Mitte des 20 Jahrhunderts angezogen Dieser Prozess beschleunig-te sich mit der bemerkenswerten Verbesserung der makro-oumlkonomischen Situation Spaniens nach seinem Beitritt zur Europaumlischen Union im Jahr 1986 Daruumlber hinaus hatte vor 2001 auch die Zwangsauswanderung von tausenden Argentiniern waumlhrend der Militaumlrdiktatur von 1976 bis 1983 zur wachsenden Zahl in Spanien lebender argentinischer Staatsangehoumlriger beigetragen Viele Fluumlchtlinge waumlhlten Spanien (neben Mexiko und den USA) als Zufluchtsort was dazu fuumlhrte dass Argentinier bis in die 1990er Jahre hinein die groumlszligte Gruppe lateinamerikanischer Einwan-derer in Spanien stellten wobei hoch ausgebildete und

Abbildung 4 Im Ausland geborene (foreign born) Bevoumllkerung Argentiniens 2010 - Herkunftslaumlnder absolute Zahlen und prozentualer Anteil

Herkunftsland Zahl der Einwanderer

Paraguay 550713

Bolivien 345272

Chile 191147

Peru 157514

Uruguay 116592

Brasilien 41330

Andere nord- und suumldame-rikanische Laumlnder

68831

Italien 147499

Spanien 94030

Andere europaumlische Laumlnder 57865

China 8929

Andere asiatische Laumlnder 22072

Afrika und Ozeanien 4163

Gesamt 1805957

Quelle INDEC [Nationales Statistikinstitut] Censo Nacional de Poblacioacuten Hogares y Viviendas 2010

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technisch qualifizierte Personen unter den argentinischen Zuwanderern uumlberwogen23

Die Zahl der in Spanien lebenden Argentinier stieg deut-lich an von 119000 Personen 2001 auf 291700 Personen 2009 wobei allein im Jahr 2002 35405 Argentinier in Spa-nien einwanderten Seit 2009 ist ihre Zahl leicht und konti-nuierlich gesunken da viele Argentinier Spanien seit dem Ausbruch der Finanzkrise in Suumldeuropa und angesichts der boomenden Wirtschaftssituation in Lateinamerika wieder verlassen haben Dennoch bildeten argentinische Staatsangehoumlrige 2011 mit 279300 Personen immer noch die sechstgroumlszligte Gruppe der im Ausland geborenen Be-voumllkerung hinter Rumaumlnen Marokkanern Ecuadorianern Briten und Kolumbianern24

Ein weiteres wichtiges Zielland argentinischer Auswan-derer wurde Israel Schaumltzungen zufolge wanderten zwi-schen 2000 und 2006 11200 Argentinier in dieses Land ein wobei zwischen 15 und 20 Prozent spaumlter wieder nach Argentinien zuruumlckkehrten 2002 kurz nach dem Ausbruch der Krise in Argentinien wanderten 5900 Argentinier nach Israel ein diese Zuwanderungszahl wurde in jenem Jahr

nur von Migranten aus der ehemaligen UdSSR uumlberschrit-ten Obwohl sich die argentinische Migration in den letzten Jahren verlangsamt hat zaumlhlt Argentinien immer noch zu den Hauptherkunftslaumlndern von Migranten in Israel (Platz 6 im Jahr 2012)25 Eine der Konsequenzen ist die zuneh-mende Verkleinerung der juumldischen Gemeinschaft in Ar-gentinien Erreichte die Zahl argentinischer Juden in den fruumlhen 1960er Jahren mit uumlber 300000 Personen ihren Houmlhepunkt so ist sie in den vergangenen Jahren auf unter 200000 gesunken26 Neben der schwierigen wirtschaftli-chen Ausgangslage in Argentinien spielt die aktive Anwer-bung Argentinischer Juden durch den israelischen Staat meistens uumlber juumldische Kulturinstitutionen in Argentinien vermittelt eine entscheidende Rolle fuumlr die Ausreisemo-tivationen

Oftmals - und dies gilt insbesondere fuumlr die groszlige Zahl der Argentinier mit spanischen und italienischen Wurzeln - vereinfachten die spezifischen Einbuumlrgerungsgesetze der Ziellaumlnder die in unterschiedlichem Ausmaszlig das elterliche ius sanguinis (Kinder erben die Staatsangehoumlrigkeit der Eltern) zugrunde legten den Zugang zur Staatsbuumlrger-schaft eines europaumlischen Landes Damit ist dann auch die Freizuumlgigkeit innerhalb der Europaumlischen Union ver-bunden (siehe Kasten 5)

Fuumlr viele insbesondere junge Argentinier ist der Er-werb der Staatsangehoumlrigkeit eines europaumlischen Landes zu einer wichtigen Strategie geworden um einer teils per-spektivlosen Situation zu entkommen Oftmals koumlnnen sie die Staatsangehoumlrigkeit uumlber die Konsulate in Argentinien erwerben ohne das Land verlassen zu muumlssen Die Re-form des spanischen Staatsangehoumlrigkeitsrechts im Jahr 2007 die den Zugang zur spanischen Staatsangehoumlrig-keit fuumlr Nachkommen von Fluumlchtlingen des Spanischen Buumlrgerkrieges erleichterte und als Gesetz der Enkelkin-der (rsaquoLey de nietoslsaquo) bezeichnet wurde kam auch vielen spanischstaumlmmigen Argentiniern zugute27 2009 waren 45 Prozent (bzw 132000) der 291700 argentinischstaumlmmi-gen Einwohner Spaniens nicht im Besitz der spanischen Staatsbuumlrgerschaft28

Ruumlckkehrmigration

Die starke Erholung der argentinischen Wirtschaft seit 2003 insbesondere aber die Auswirkungen der Wirtschaftskri-se in Suumldeuropa seit 2007 haben eine neue Phase der Migration eingeleitet Viele Argentinier die ihr Land in den Jahrzehnten davor verlassen hatten entschlossen sich nun nach Argentini-en zuruumlckzukehren In einigen Faumlllen vor allem in Spanien wurde die Ruumlck-kehr ins Herkunftsland durch staatliche Programme finanziell gefoumlrdert Zwi-schen 2013 und 2014 sank die Zahl der in Spanien lebenden Argentinier ohne spanischen Pass von 95415 auf 80910 Personen Gleichzeitig ist die Auswan-derung spanischer Staatsangehoumlriger

Abbildung 5 Argentinische Einwanderung in OECD- Laumlnder 2001-2010

Quelle OAS (2012)

Abbildung 6 Im Ausland lebende Argentinier 2010

Quelle Organizacioacuten Internacional para las Migraciones (OIM) (2012)

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nach Argentinien von 2182 Personen 2012 auf 2682 Per-sonen 2013 gestiegen29 Argentinien hat mit zahlreichen lateinamerikanischen Staaten und Spanien verschiedene Abkommen unterzeichnet die die Uumlbertragung von erwor-benen Sozialleistungsanspruumlchen ohne grundlegende Ver-luste fuumlr Arbeitsmigranten ermoumlglichen sollen

Veraumlnderungen der Einwanderungs- und Regularisierungsgesetzgebung

Militaumlrherrschaft und Einwanderung

Seit dem Ruumlckgang der europaumlischen Einwanderung der zunehmenden Zahl an Migranten aus umliegenden Laumln-dern und der Bedeutung der Dynamik interner Migration seit dem Zweiten Weltkrieg hat Argentinien grundlegende Veraumlnderungen dahingehend durchlaufen wie Einwande-rung konzipiert und rechtlich gerahmt wird Uumlber Jahrzehn-te hingen die gesetzlichen Bestimmungen und Wahrneh-mungen der Einwanderungspolitik stark vom politischen Programm der jeweiligen machthabenden Regierung ab Waumlhrend der verschiedenen Militaumlrdiktaturen zwischen 1955 und 1983 herrschte ein restriktiverer Ansatz vor als unter zivilen Regierungen beispielsweise in den Jahren 1963 bis 1966 und 1973 bis 1976

Die grundlegendste Reform erfolgte 1981 als die Mili-taumlrjunta das rsaquoGenerelle Gesetz zur Migration und Foumlrde-rung von Einwanderunglsaquo erlieszlig Dieses wurde auch als Videla-Gesetz bezeichnet (benannt nach dem General und de facto Staatsoberhaupt von 1976 bis 1981 Jorge Rafa-el Videla) und hob das Avellaneda-Gesetz aus dem Jahr 1876 auf Auch wenn das Videla-Gesetz weiterhin die eu-ropaumlische Einwanderung befuumlrwortete insbesondere zum Zwecke der Besiedlung und des Bevoumllkerungswachstums enthielt es viele repressive Bestimmungen zur illegalen Einwanderung die sich implizit gegen Neuankoumlmmlinge aus benachbarten Staaten richteten Das Gesetz verbot es undokumentierten Auslaumlndern ausdruumlcklich einer be-zahlten Arbeit nachzugehen schloss sie vom Zugang zum Gesundheits- und Bildungssystem aus und verpflichtete Beamte dazu den Behoumlrden jegliche irregulaumlre Situation zu melden Die Einwanderungspolitik wurde folglich fast ausschlieszliglich zur Aufgabe der Sicherheitsbehoumlrden was in der Doktrin zur rsaquoNationalen Sicherheitlsaquo zum Ausdruck

kam30 Es wurde fuumlr Einwanderer so zunehmend schwe-rer einen legalen Aufenthaltstitel zu erhalten sie waren in einer Situation der Verwundbarkeit und Irregularitaumlt ge-fangen

Nach der Ruumlckkehr zur Demokratie 1984 folgten die ver-fassungskonformen Regierungen einem offeneren Ansatz der auch verschiedene Amnestie-Programme fuumlr Migran-ten enthielt die sich illegal im Land aufhielten Dennoch blieb der breitere gesetzliche Rahmen der Militaumlrjunta bis 2004 in Kraft Daraus entwickelte sich eine widerspruumlchli-che gesetzliche und faktische Praxis Beispielsweise wur-de Einwanderern einerseits das Recht zur Teilnahme an Wahlen auf kommunaler Ebene und auch in den meisten Provinzwahlen gewaumlhrt gleichzeitig aber die Moumlglichkei-ten einer regulaumlren Arbeit nachzugehen eingeschraumlnkt die jedoch Voraussetzung fuumlr den Erwerb einer Niederlas-sungserlaubnis war

Neue Ansaumltze

Nachdem die Einwanderungspolitik seit der Diktatur uumlber Jahre hinweg unveraumlndert einen auslaumlnderfeindlichen und implizit rassistischen Ansatz verfolgt hatte haben in den letzten zehn Jahren grundlegende Reformen stattgefun-den die neue Grundprinzipien der Einwanderungspolitik einfuumlhrten

Die offenen oder versteckten rassistischen Einstellun-gen und Diskriminierungen gegenuumlber afrikanischen und lateinamerikanischen Einwanderern die sowohl in der Oumlf-fentlichkeit als auch im privaten Bereich im institutionellen Kontext als auch alltaumlglichen Begegnungen stattfinden stehen in starkem Kontrast zu den neueren Entwicklungen im Bereich sozialer Rechte einschlieszliglich derer von Mig-ranten Obwohl es in Argentinien bereits seit 1988 ein Anti-Diskriminierungsgesetz gibt wurden erst unter den Re-gierungen von zunaumlchst Neacutestor Kirchner (2003-2007) und spaumlter seiner Frau Cristina Fernaacutendez de Kirchner (2007 bis heute 2015) die sozialen Rechte deutlich gestaumlrkt Die betraumlchtlichen Reformen in Bezug auf die Rechte von Einwanderern wurden dabei in der Oumlffentlichkeit weniger wahrgenommen als die sichtbaren Reformen und Ansaumltze wie etwa die Einfuumlhrung von gleichen Rechten fuumlr gleich-geschlechtliche Partnerschaften die offensive Verfolgung von Straftaumltern der letzten Militaumlrdiktatur und die deutliche Ausweitung von sozialen Rechten im Bereich des Wohl-fahrts- und Bildungssystems inklusive effektiver Umvertei-lungspolitik Die neue Einwanderungspolitik die auf dem Ansatz der Gewaumlhrung von Rechten beruht hat einerseits zur Legalisierung des Aufenthaltsstatus von Neuzuwan-derern gefuumlhrt Andererseits profitieren davon aber auch besonders schutzbeduumlrftige Fluumlchtlinge Wirtschaftsda-ten legen daruumlber hinaus nahe dass dieser Politikansatz der Kirchner-Regierungen positive Auswirkungen auf das juumlngste wirtschaftliche Wachstum des Landes hatte das zwischen 2003 und 2012 durchschnittlich 72 Prozent be-trug

Erste Schritte zu einer vereinfachten Regularisierung des Aufenthaltsstatus wurden 2002 mit dem rsaquoRegionalen Abkommen fuumlr Staatsbuumlrger der Mitgliedstaaten des Ge-

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Kasten 5 Europaumlischer Staatsbuumlrger werden

Ein Blick auf den Erwerb der italienischen Staatsbuumlr-gerschaft durch argentinische Staatsangehoumlrige zeigt in den Jahren nach 2001 eine deutliche Zunahme Waumlhrend 2001 316 Argentinier die italienische Staats-buumlrgerschaft erhielten waren es 2006 2569 Personen In Spanien zeigt sich der Anstieg sogar noch deutlicher Die Zahl der Argentinier die die spanische Staatsan-gehoumlrigkeit erwarben stieg von 791 im Jahr 2001 auf 6395 in 2010

meinsamen Marktes Suumldamerikaslsaquo (MECOSUR dh Ar-gentinien Brasilien Uruguay und Paraguay) und den as-soziierten Staaten (Bolivien und Chile) gemacht Demnach haben Staatsangehoumlrige der genannten Laumlnder das Recht in jedem anderen Mitglieds- oder assoziierten Land zu le-ben und zu arbeiten und sind mit den jeweiligen Staats-angehoumlrigen gleichberechtigt Ein Wendepunkt wurde mit der Verabschiedung des Gesetzes Nr 25871 im Jahr 2004 erreicht das viele der Grundprinzipien der UN-Wan-derarbeitnehmerkonvention von 1990 beinhaltet Bei der Vorbereitung des Gesetzes kooperierte die argentinische Regierung mit einer Beratungskommission aus Vertretern von verschiedenen Menschenrechts- und Expertenorgani-sationen von denen viele im Umkreis der Vereinten Na-tionen angesiedelt waren wie die Internationale Organi-sation fuumlr Migration und der Hohe Fluumlchtlingskommissar der Vereinten Nationen (UNHCR) Innerhalb des Rahmens zur regionalen Integration etabliert das Gesetz drei Aufent-haltskategorien dauerhaft temporaumlr und vorruumlbergehend Die allgemeinen Prinzipien des Gesetzes formulieren ein ehrgeiziges Programm Neben dem expliziten Wunsch Einwanderer sozio-kulturell in die argentinische Gesell-schaft zu integrieren einschlieszliglich der gleichberechtigten Partizipation von Migranten am Arbeitsmarkt verpflichtet der Gesetzestext den Staat dazu das Menschenrecht auf Migration anzuerkennen Dieses sieht den Grundsatz zur Gleichbehandlung von Migranten und Einheimischen vor dem Gesetz vor garantiert das Recht auf Familienzusam-menfuumlhrung und Zugang zum Gesundheits- und Bildungs-system sowie zu Sozialleistungen fuumlr Auslaumlnder unab-haumlngig von ihrem Migrationsstatus Daruumlber hinaus betont das Gesetz die Rechte von im Ausland lebenden argenti-nischen Staatsangehoumlrigen und foumlrdert deren Ruumlckkehr-migration

Das Gesetz wurde von einer groszligen Medienkampagne begleitet die Einwanderer informierte und dazu ermutigte ihren Aufenthaltsstatus regularisieren zu lassen Zudem wurde ein weitreichendes Regularisierungsprogramm mit dem Namen rsaquoPatria Grandelsaquo (Groszliges Heimatland) auf-gelegt das zwischen 2006 und 2010 die Regularisierung von 650000 Migranten aus MERCOSUR-Mitgliedslaumlndern vereinfachte Insgesamt wurden im Rahmen des Patria Grande-Programms und anderen Regularisierungsmoumlg-lichkeiten zwischen 2004 und 2011 1688106 Antraumlge auf einen legalen Aufenthaltsstatus gestellt Das Regularisie-rungsprogramm garantierte das Recht sich im Land auf-zuhalten aber auch Argentinien zu verlassen und wieder einzureisen ebenso wie das Recht zu studieren und eine Arbeitserlaubnis zu erhalten Es bildete den ersten Schritt zum Erwerb einer dauerhaften Aufenthaltsgenehmigung Urspruumlnglich wurde das Patria Grande-Programm als ein administratives Instrument zur Legalisierung des Aufent-haltsstatus von Migranten konzipiert Es entwickelte sich allerdings zu einem zentralen Instrument des Staates eine neue Vision von Zugehoumlrigkeit und der Partizipation von Migranten an der Nation zu artikulieren

Weitere Instrumente die mit der neuen nationalen Mig-rationsgesetzgebung und dem Regularisierungsprogramm in Zusammenhang stehen umfassten das rsaquoNationale Insti-

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tut gegen Diskriminierung Auslaumlnderfeindlichkeit und Ras-sismuslsaquo eine dreigliedrige Kommission zu Gender-Fragen und Gleichstellung auf dem Arbeitsmarkt sowie ein Natio-nales Bildungsgesetz (Nr 26206) das den Zugang von undokumentierten Migranten zum Grund- und weiterfuumlh-renden Schulsystem sowie zur Universitaumlt garantieren soll

Die Reformen der vergangenen Jahre hatten zur Folge dass die Kategorie des rsaquoillegalen Einwandererslsaquo nahezu verschwunden ist Der Erfolg von Programmen wie Pat-ria Grande und anderen nicht-MERCOSUR Regularisie-rungsmaszlignahmen sicherte hunderttausenden in Argentini-en lebenden Auslaumlndern einen legalen Aufenthaltsstatus Daten zur irregulaumlren Migration in Argentinien waren im-mer schon rar und die Regierung selbst verfuumlgt nicht uumlber praumlzise Statistiken Dennoch wurde die Zahl der undoku-mentierten Bevoumllkerung vor der Einfuumlhrung der juumlngsten Regularisierungskampagnen auf 750000 bis eine Million Menschen geschaumltzt31

Staatsbuumlrgerschaft

Erwachsene Einwanderer haben die Moumlglichkeit die ar-gentinische Staatsbuumlrgerschaft fuumlr sich und ihre Familie zu beantragen Im Ausland geborene Personen die eine ge-wisse Zeit in Argentinien gelebt haben und bestimmte Vor-aussetzungen erfuumlllen koumlnnen die argentinische Staatsan-gehoumlrigkeit erwerben Die Regularien dazu finden sich in der Verfassung des Landes die das Territorialprinzip (jus soli) festschreibt und wurden 2004 uumlberarbeitet Neben der Modernisierung des Einbuumlrgerungsverfahrens diente die Reform von 2004 hauptsaumlchlich dazu Restriktionen zu beseitigen die waumlhrend der Herrschaft der Militaumlrjunta (1976-1983) eingefuumlhrt worden waren wie beispielsweise die Voraussetzung nicht nur muumlndliche und schriftliche Spanischkenntnisse sowie Grundkenntnisse der Verfas-sung Argentiniens vorweisen zu muumlssen sondern insbe-sondere auch ein legales Arbeitsverhaumlltnis nachzuweisen

Es gibt verschiedene Moumlglichkeiten die argentinische Staatsbuumlrgerschaft zu erlangen Neben dem Territorial-recht bei Geburt auf argentinischem Boden haben Er-wachsene uumlber 18 Jahre auch die Moumlglichkeit nach zwei Jahren rechtmaumlszligigen Aufenthalts im Land die Einbuumlrge-rung zu beantragen Die Rechtmaumlszligigkeit ihres Aufenthalts muss von der nationalen Einwanderungsbehoumlrde bestaumltigt werden Es gelten einige Restriktionen So muumlssen Be-werber um die Staatsbuumlrgerschaft straffrei sein und ihren Lebensunterhalt unabhaumlngig von Zuwendungen aus dem Sozialsystem bestreiten koumlnnen sie muumlssen aber nicht mehr nachweisen dass sie in einem legalen Arbeitsver-haumlltnis stehen Daneben eroumlffnen auch die Ehe mit einem argentinischen Staatsangehoumlrigen oder der Nachweis El-ternteil eines Kindes zu sein das die argentinische Staats-angehoumlrigkeit besitzt die Moumlglichkeit eine Einbuumlrgerung zu beantragen

Der Besitz einer doppelten Staatsbuumlrgerschaft ist ein weit verbreitetes Phaumlnomen in Argentinien das allerdings auf Laumlnder beschraumlnkt ist mit denen Argentinien ein bi-laterales Abkommen unterhaumllt wie zB Spanien Italien

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und Chile Argentinier mit doppelter Staatsbuumlrgerschaft davon einer europaumlischen koumlnnen die politischen Pro-zesse in Europa beeinflussen In Argentinien wohnhafte Inhaber eines italienischen Passes beteiligten sich stark (569 Prozent) an den landesweiten Wahlen zum Abgeord-netenhaus in Italien im Jahr 2008 und beeinflussten so das Wahlergebnis32

Flucht und Asyl - Fluumlchtlingspolitik

1961 hat Argentinien die Genfer Fluumlchtlingskonvention un-terzeichnet spaumlter auch das dazugehoumlrige Protokoll von 1967 Obwohl das Land bereits seit vielen Jahrzehnten Fluumlchtlinge aufnimmt gibt es erst seit 2006 ein echtes Ge-setz zur Anerkennung und zum Schutz von Fluumlchtlingen (rsaquoLey General de Reconocimiento y Proteccioacuten al Refugia-do Ley 26165lsaquo) Dieses Gesetz nahm auch die Erklaumlrung von Cartagena aus dem Jahr 1984 auf die die Fluumlchtlings-definition des Hohen Fluumlchtlingskommissars der Vereinten Nationen (UNHCR) erweiterte indem sie sie auch auf Per-sonen bezog die vor Krieg und Unruhen fliehen

2003 initiierte Argentinien einen Prozess zur Unter-zeichnung aller noch ausstehenden internationalen Men-schenrechtsabkommen Das Land begann im Zuge sei-nes menschenrechtsbasierten Politikansatzes damit das Fluumlchtlingswesen und damit in Verbindung stehende Ins-titutionen aufzubauen In Erinnerung an die traumatische Erfahrung tausender argentinischer Auswanderer und Fluumlchtlinge waumlhrend der letzten Militaumlrdiktatur (1976-1983) verabschiedete Argentinien Gesetze die den Fluumlchtlings-schutz anhoben und trat 2005 an die Seite anderer latein-amerikanischer Staaten in ihrem gemeinsamen Bestreben Fluumlchtlinge umzusiedeln (Resettlement) Zusammen mit dem bereits erwaumlhnten Gesetz zur Anerkennung und zum Schutz von Fluumlchtlingen (No 26165) wurde im Jahr 2009 ein Nationaler Fluumlchtlingsrat (CONARE) eingerichtet der das Innen- Auszligen- Justiz- und Sozialministerium und an-dere Einrichtungen einbezieht uumlber die Zuerkennung ei-nes Fluumlchtlingsstatus entscheidet und sich fuumlr die Rechte von Fluumlchtlingen einsetzt Heute haben Asylsuchende und anerkannte Fluumlchtlinge in Argentinien das Recht auf Doku-mente die ihren Aufenthaltsstatus nachweisen sie duumlrfen arbeiten und haben Zugang zur Grundversorgung Zudem haben Fluumlchtlinge und Asylsuchende dieselben Rechte wie andere im Land lebende Auslaumlnder sie duumlrfen sich im Land frei bewegen haben Zugang zu Bildung zur Gesundheits-versorgung und zur Justiz und genieszligen Religionsfreiheit

Seitdem das Land 1985 damit begonnen hat Fluumlchtlin-ge anzuerkennen sind in Argentinien etwa 13000 Antraumlge von Asylsuchenden aus uumlber 46 Herkunftslaumlndern einge-gangen In 3200 Faumlllen wurde Asyl gewaumlhrt Zwischen 2006 und 2010 kamen die meisten Asylsuchenden aus dem Senegal (ca 769 Personen) Kolumbien (665) und der Dominikanischen Republik (547) Eine weitere Grup-pe die von dem neuen Fluumlchtlingsgesetz profitierte waren Staatsangehoumlrige Haitis die nach dem verheerenden Erd-beben 2010 in Argentinien Schutz gefunden haben33 Im Januar 2014 registrierte der UNHCR 3362 in Argentinien

lebende anerkannte Fluumlchtlinge und 916 Asylsuchende 2013 waren in Argentinien 614 Asylantraumlge gestellt wor-den

Herausforderungen und Ausblick

Das Migrationsgesetz von 2004 markiert einen Wende-punkt in der juumlngeren Geschichte Argentiniens indem es Gesetze aufhob die sich seit der letzten Diktatur nicht grundlegend veraumlndert hatten Es markiert den Uumlbergang von einer restriktiven Politik zu einem realistischen of-fenen Einwanderungskonzept dessen Implementierung immer noch mit deutlichem Widerstand vonseiten der staatlichen Verwaltung und einiger Teile der Gesellschaft konfrontiert ist34 Das Gesetz erkennt die Leistungen von Migration fuumlr das Land ausdruumlcklich an und druumlckt den Be-darf nach oumlffentlichen Politiken aus um die volle Integrati-on der Einwanderer zu realisieren In diesem Sinne positi-oniert die neue argentinische Migrationsgesetzgebung das Land in einem auf Rechten basierenden Migrationsregime Das trifft auch auf das Engagement des Landes fuumlr Fluumlcht-linge zu Argentinien nahm 2012 und 2013 300 syrische Familien auf

Vor dem Hintergrund restriktiver Zuwanderungspolitiken in den USA und Europa in Kombination mit der groszligzuumlgi-gen argentinischen Gesetzgebung ist es sehr wahrschein-lich dass Einwanderung das Land auch in den kommen-den Jahren weiter praumlgen wird Dies gilt insbesondere fuumlr die Einwanderung aus den Nachbarlaumlndern Besonders diejenigen Einwanderergemeinden die sich bereits in Ar-gentinien etabliert haben werden voraussichtlich weiter wachsen Aber auch die Ruumlckkehr von Argentiniern aus Suumldeuropa ist sehr wahrscheinlich da die Hauptziellaumlnder argentinischer Auswanderer die sich seit 2001 herausge-bildet haben weiterhin unter groszligem finanzpolitischen wirtschaftlichen und sozialen Druck stehen

Wie Argentinien auf zukuumlnftige Migrationsbewegungen reagieren wird haumlngt von zwei grundlegenden Entwicklun-gen ab Dazu zaumlhlt zum einen die politische Situation im Land Die Regierungen Kirchner hatten mehr als zehn Jah-re Zeit den rechtebasierten Ansatz in der nationalen Poli-tik durchzusetzen in Abstimmung mit dem Vorhaben einer staumlrkeren regionalen Integration Das Land teilt aumlhnliche politische Ansaumltze mit benachbarten Laumlndern insbeson-dere Brasilien und Bolivien was die Steuerung regionaler Migration und die Regularisierung des Aufenthaltsstatus von Einwanderern vereinfacht hat Zukuumlnftige argentini-sche Regierungen koumlnnten sicherlich einen restriktiveren Kurs in Fragen der Einwanderung und Regularisierung ein-schlagen um einer konservativeren und am rechten Rand orientierten Waumlhlerschaft gerecht zu werden

Zum anderen hat das hohe Wirtschaftswachstum seit 2003 Argentinien erneut zu einem attraktiven Zielland fuumlr Einwanderer gemacht Seit 2012 steckt allerdings das nach der Krise 2001 etablierte post-neoliberale Wirtschaftsmo-dell das auf einem starken Staat dominanten Export-wirtschaftssektoren und einer relativen Unabhaumlngigkeit von internationalen Kreditmaumlrkten basiert in ernsthaften

Schwierigkeiten Dies betrifft nicht nur Argentinien son-dern die gesamte Region Sollte sich diese Entwicklung fortsetzen erscheint es moumlglich dass der interne Druck die Einwanderung zu reduzieren waumlchst und die offene Migrationspolitik die in den letzten zehn Jahren erfolg-reich eingefuumlhrt worden ist wieder zuruumlckgenommen wird

Ein optimistisches Resuumlmee der letzten zehn Jahre er-laubt die Sichtweise dass sich ein neues Paradigma im Hinblick auf die Konzeptualisierung nationaler Identitaumlt herausbildet Weg vom Prinzip der nationalen Souveraumlni-taumlt und Selbstbestimmung hin zu einem Konzept das die Verantwortung des Staates gegenuumlber seinen Buumlrgern im Rahmen von internationalen und regionalen Menschen-rechtskonventionen betont und die Vorstellungen von Zu-gehoumlrigkeit und Staatsbuumlrgerschaft ausweitet indem es sich von assimilationistischen Diskursen (siehe Kasten 4) abwendet und stattdessen den Ansatz kultureller Plurali-taumlt beim Entwurf oumlffentlicher Politik verfolgt35 Dennoch ist es zu fruumlh um abwaumlgen zu koumlnnen ob diese Entwicklung auch Auswirkungen auf die Kultur der Fremdenfeindlich-keit und Gefuumlhle von Uumlberlegenheit gegenuumlber lateiname-rikanischen Einwanderern hat die von vielen Argentiniern in ihrer Selbstauffassung als rsaquoweiszlige Gesellschaftlsaquo geteilt werden Dies erscheint angesichts der aktuellen schwer-wiegenden wirtschaftlichen und sozialen Probleme im Land die das nationale Projekt der Kirchner Regierung unter groszligen Druck setzen noch schwieriger zu sein

Anmerkungen

1 Martiacutenez Shaw (1994)2 Andrews (1980)3 Castro (1991)4 Rock (2002)5 Trinchero (2006)6 Devoto (2009)7 Corteacutes Conde (2009)8 Williamson (1999)9 Williamson (1994)

10 Nugent (1995)11 Rein (2010)12 Nugent (1995)13 Biernat (2007)14 Devoto (2009)15 Benencia (2009)16 OAS (2012)17 Bologna (2010)18 Bastiavom Hau (2013) 19 Zubrzycki (2012)20 Andrews (1980)21 Organizacioacuten Internacional para las Migraciones (OIM) (2012)22 OECD (2009)23 Ginieniewicz (2012) EstebanActis (2012)24 Hierro (2013)25 OECD (2013)26 BrodskyRein (2013)27 Martiacuten-Peacuterez (2012)28 OECD (2013)29 Instituto Nacional de Estadiacutestica (Spanien) (2014)

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30 Novick (2012)31 Hines (2010) 32 Tintori (2011)33 Cavaleri (2012)34 Baladroacuten et al (2013)35 Domenech (2007)

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Zentrum fuumlr lateinamerikanische Migrationsstudien [Cen-tro de Estudios Migratorios Latinoamericanos (CEMLA)] httpcemlacom

Herausgeber Institut fuumlr Migrationsforschung und Interkulturelle Studien (IMIS) der Universitaumlt Osnabruumlck Neuer Graben 1921 49069 Osnabruumlck Tel +49(0)541 969 4384 Fax +49 (0)541 969 4380 E-Mail imisuni-osnabrueckde

Bundeszentrale fuumlr politische Bildung (bpb) Adenauerallee 86 53113 Bonn unter Mitwirkung des Netzwerks Migration in Europa eV Redaktion Dr Marcel Berlinghoff Vera Hanewinkel Apl Prof Dr Jochen Oltmer (verantw) Uumlbersetzung ins Deutsche Vera Hanewinkel

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Der Autor

Thomas Maier ist Doktorand am Institut fuumlr Amerikastudi-en (Institute of the Americas) das Teil des University Col-lege London und damit der Universitaumlt London ist Sein Forschungsschwerpunkt ist die Geschichte von Arbeit und Wohlfahrtsstaat in den Amerikas insbesondere in Argenti-nien und auf dem Suumldkegel Lateinamerikas

E-Mail thomasmaier12uclacuk

Page 4: Argentinien - m.bpb.de

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das Wahlrecht und politische Partizipation und vor allem eine patriotische Schul- und Ausbildung Die paumldagogi-sche Doktrin wurde vom Beispiel der saumlkularen Dritten Franzoumlsischen Republik inspiriert Das Ergebnis dieses Integrationsprojekts war erfolgreich und bestaumlndig Als in den fruumlhen 1960er Jahren der Soziologe Gino Germani die erste systematische Studie zur Einwanderung in Argenti-nien durchfuumlhrte konnte er uumlberzeugend argumentieren dass das Projekt der Integration erfolgreich gewesen und zur Schaffung einer modernen Gesellschaft beigetragen hatte in der es keine groszligen Spannungen zwischen un-terschiedlichen ethnischen Gruppen gab Bereits in den 1920ern hatten viele Einwanderer der zweiten und dritten Generation ihre Muttersprache verlernt und standen Neu-zuwanderern kritisch gegenuumlber In dieser Hinsicht zeigten sich in Argentinien aumlhnliche Muster wie in anderen Gegen-den die von Europaumlern besiedelt worden waren Waumlhrend beispielsweise Jiddisch von Einwanderern in Zentral- und Osteuropa uumlber Jahrhunderte von Generation zu Gene-ration weiter gegeben wurde verschwand die Sprache in Argentinien im Laufe von nur drei Generationen fast voll-staumlndig genauso wie auch in den USA Brasilien oder in Uruguay11

Nach dem Ersten Weltkrieg bis zu den 1950er Jahren ndash Ein neues intellektuelles Klima und das Ende der Masseneinwanderung

Der starke Ruumlckgang der Einwandererzahlen fuumlhrte zwi-schen 1915 und 1917 zu einem negativen Wanderungssal-do Der Ausbruch des Ersten Weltkriegs machte deutlich wie sehr das argentinische Projekt der Moderne auf wa-ckeligen Fuumlszligen stand und wie abhaumlngig es von den politi-

schen Umstaumlnden und Wirtschaftszyklen in anderen Teilen der Welt war

Nach dem Groszligen Krieg nahm die Zahl der Einwanderer jedoch wieder zu Argentinien gelang es sogar den Anteil der europaumlischen Migration im Vergleich zu anderen Laumln-dern der Neuen Welt zu erhoumlhen was teilweise auch auf die Einfuumlhrung restriktiver Einwanderungsgesetze in den USA zuruumlckzufuumlhren war 1923 wurde mit 200000 Neu-einwanderern ein neuer Houmlchststand erreicht Der Anteil der Einwanderer aus den zerbroumlckelnden Imperien in Zen-tral- und Osteuropa - dem Osmanischen Habsburgischen und Russischen Reich - und ihren Nachfolgestaaten die im Zuge der politischen Neuordnung durch den Friedens-vertrag von Versailles entstanden erhoumlhte sich12

Der Schock des Ersten Weltkriegs sollte ein Vorzeichen fuumlr die Dinge sein die noch kommen sollten Wie in vielen anderen Laumlndern der Neuen Welt brachte der Ausbruch der Weltwirtschaftskrise 1929 die Zuwanderung quasi zum Erliegen Wachsende Arbeitslosigkeit und die Erosion der relativen Loumlhne sorgten dafuumlr dass die Reise nach La Pla-ta fuumlr viele potenzielle Migranten unattraktiv wurde Zudem veraumlnderte sich das intellektuelle Klima in den 1930er Jah-ren grundlegend Nationalistische Ideen stellten das libe-rale Paradigma offener Grenzen infrage und wachsende Fremdenfeindlichkeit und Antisemitismus beeinflussten die Haltung der Bevoumllkerung gegenuumlber Einwanderern Die Militaumlrregierung die 1930 die Macht uumlbernahm fuumlhrte noch im selben Jahr sowie erneut 1938 Einwanderungsbe-schraumlnkungen ein dennoch war es nicht die Politik son-dern die wirtschaftliche Entwicklung die das Versiegen der Einwanderung maszliggeblich beeinflusste

In den 1930ern kam zudem ein neues Phaumlnomen er-zwungener Migration auf der Fluumlchtling Dem Druck von

Abbildung 2 Spanische und italienische Einwanderung nach und Auswanderung aus Argentinien 1861-1920

Quelle Devoto (2009)

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Krieg und Verfolgung zunaumlchst waumlhrend des Spanischen Buumlrgerkriegs und spaumlter durch das Aufkommen rechts-extremer totalitaumlrer Regime und den Zweiten Weltkrieg begegnete Argentinien mit zunehmend restriktiven Grenz-kontrollen Dabei spielte auch die antisemitische und an-tikommunistische Haltung der argentinischen Elite eine wichtige Rolle Obwohl der argentinische Staat versuchte gegen illegale Grenzuumlbertritte hart vorzugehen gelang es tausenden Menschen vor allem Juden ins Land zu gelan-gen Die Nutzung alternativer Einreiserouten uumlber schlecht kontrollierte Stellen der argentinischen Grenze die Einrei-se uumlber Drittstaaten oder einfach die Bestechung von Be-amten um Zutritt zum Land zu erhalten erwies sich dabei oft als lebensrettend

Der letzte Versuch eine groszlige Zahl europaumlischer Ein-wanderer anzulocken erfolgte waumlhrend der Praumlsident-schaft von Juan Peroacuten von 1946 bis 1955 In ihrem Fuumlnf-jahresplan von 1947 einem Dokument das neben der allgemeinen ideologischen Vision der Regierung auch detaillierte Beschreibungen von Politikvorhaben enthielt brachte die peronistische Regierung den Wunsch zum Ausdruck weitere vier Millionen Einwanderer zur landwirt-schaftlichen Bewirtschaftung bislang ungenutzter Flaumlchen ins Land zu holen Zudem foumlrderte Peroacuten die Migration innerhalb der Landesgrenzen von den Provinzen in die groszligen Staumldte um die Industrialisierung des Landes vo-ranzutreiben Der Peronismus sah Arbeitsmigranten aus dem Landesinneren die oftmals eine dunklere Hautfarbe hatten als integralen Bestandteil der nationalen Gemein-schaft an Zeitgleich aber hielt der Peronismus den My-thos einer homogenen weiszligen argentinischen Gesellschaft aufrecht indem er die Integration der Binnen- und inter-nationalen Migranten in den argentinischen Schmelztiegel (rsaquocrisol de razaslsaquo) hervorhob Aber wie schon im Fall fruuml-herer Versuche die Migration nach Argentinien zu steuern gelang es dem Staat auch jetzt nicht seine ehrgeizigen Plaumlne zu verwirklichen Obwohl die Zahl der Neuankoumlmm-linge in den 1940er und 1950er Jahren noch einmal an-stieg kehrten in dieser Zeit auch viele Menschen in ihre Herkunftslaumlnder zuruumlck (1949 148372 Neuankoumlmmlinge vs 133019 Ruumlckkehrer) In den 1950ern folgten viele

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Menschen dem Ruf der boomenden zentraleuropaumlischen Wirtschaften nach auslaumlndischen Arbeitskraumlften anstatt nach Argentinien aufzubrechen13

Juumlngste Entwicklungen der Ein- und Auswanderung

Migration aus benachbarten Staaten

Das Phaumlnomen der Einwanderung aus benachbarten Ge-bieten ist viel aumllter als die Geschichte des argentinischen Nationalstaats selbst Bereits in der Kolonialzeit nutzten Arbeitsmigranten und Haumlndler die weitverzweigten Fluss-systeme fuumlr ihre Aktivitaumlten Seit der Entstehung der Repu-blik im fruumlhen 19 Jahrhundert hat Argentinien Menschen aus umliegenden Laumlndern angezogen dank houmlherer Loumlhne und relativ fortschrittlicher industrieller und landwirtschaft-licher Strukturen mit hoher Arbeitskraumlftenachfrage Aber erst unter der Militaumlrdiktatur in den 1970er Jahren geriet die Praumlsenz lateinamerikanischer Migranten in den Fokus der oumlffentlichen Aufmerksamkeit Sie wurde hauptsaumlchlich als ein rsaquoProblemlsaquo irregulaumlren Aufenthalts sozialen und ethnischen Zusammenhalts und als Gefahr fuumlr das Projekt der Zivilisierung und nationalen Entwicklung gesehen die wachsenden einwanderungsfeindlichen Einstellungen in den 1980ern und 1990ern verstaumlrkten diese Sichtweise Diese Stigmatisierung lateinamerikanischer Einwanderer ging mit einer groumlszligeren Sichtbarkeit dieser Gruppe einher sowohl was ihre Zahl als auch ihre oumlffentliche Wahrneh-mung anbelangte15

Nicht uumlberraschend nahm die Zahl der auslaumlndischen Staatsangehoumlrigen nach dem Zweiten Weltkrieg deutlich ab von 26 Millionen 1960 auf 15 Millionen 2001 (vgl Ab-bildung 3) Aber die Veraumlnderung hinsichtlich der im Land lebenden Auslaumlnder betraf nicht nur deren Zahl Langsam aber stetig kamen weniger Europaumler dafuumlr aber mehr Menschen aus benachbarten Laumlndern insbesondere aus Bolivien Paraguay Peru und Chile Insbesondere die Ein-wanderung aus Paraguay und Bolivien war bestaumlndig Bis zu den 1970er Jahren war die Migration vor allem regional ausgerichtet und beschraumlnkte sich zumeist auf Land-Land-Migration in Grenzgebieten Anschlieszligend entwickelte sich die Metropole Buenos Aires zu einem Zuwanderungsma-gneten Die Volkszaumlhlung von 2001 offenbarte dass 54 Prozent der Einwanderer aus benachbarten Staaten in Buenos Aires lebten verglichen mit nur 25 Prozent 1960 Obwohl ihr Anteil an der Gesamtbevoumllkerung in den ver-gangenen 30 Jahren nur unwesentlich gestiegen ist (von 27 Prozent 1983 auf 31 Prozent 2011) ist ihre Zahl vor allem von 1991 bis 2001 am deutlichsten gewachsen Die auszligerordentlich hohen Loumlhne in diesem Jahrzehnt garan-tiert durch die eins zu eins Konvertierbarkeit des argen-tinische Peso und des US-amerikanischen Dollar zogen hunderttausende Arbeitskraumlfte und ihre Familien an Somit wuchs beispielsweise die bolivianische Community zwi-schen 1991 und 2001 von 143589 auf 233464 Personen die paraguayische von 150450 auf 325046 und die peru-anische von 15939 auf 8754616

Kasten 4 Argentiniens Schmelztiegel-Theorie

Beeinflusst von den Debatten in den USA dominier-te in Argentinien in den Diskussionen daruumlber wie der Zusammenhalt einer Nation bestehend aus Einwan-derern zu konzeptualisieren sei die Vorstellung eines Schmelztiegels (rsaquocrisol de razaslsaquo) - das argentinische Aumlquivalent zur US-amerikanischen rsaquoMelting Potlsaquo-Theorie Erst seit Kurzem gewinnen auch heterogene Ideen und Konzepte an Bedeutung die Merkmale und Strukturen sozialer Pluralitaumlt und kultureller Diversitaumlt hervorheben Im Zentrum von Studien zu diesen Kon-zepten standen dabei Muster politischer Partizipation Dynamiken von Eheschlieszligungen und wirtschaftlicher Teilnahme sowie die raumlumliche Wohnverteilung in der Stadt und auf dem Land14

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Viele dieser Einwanderer arbeiten in Sektoren in denen niedrige Loumlhne gezahlt werden und die Arbeitsbedingun-gen prekaumlr sind wie im Baugewerbe Haushaltsdienstleis-tungssektor oder in der Fertigungsindustrie aber auch in der Landwirtschaft der Bekleidungsindustrie Gemuumlse-laumlden in Staumldten oder andere Bereichen des Handels In diesen Segmenten des Arbeitsmarkts hat vor allem die bolivianische Community erfolgreich ethnische Struktu-ren - sowohl formeller als auch informeller Art - aufgebaut die tausenden Bolivianern zu einem Arbeitsplatz verhelfen und Orte der Geselligkeit und des Miteinanders schaffen17

Bolivianer die in Argentinien leben tragen erheblich zur Wirtschaft ihres Herkunftslandes bei Studien der Internati-onalen Organisation fuumlr Migration schaumltzen dass sich ihre Ruumlckuumlberweisungen an Familienmitglieder allein 2012 auf 301 Millionen US-Dollar beliefen

Diese rsaquoNeue Migrationlsaquo die tatsaumlchlich aber ein sehr altes Phaumlnomen ist nur eben von der Dominanz der transatlantischen Migrationsbewegungen verdeckt wurde stellte neue Herausforderungen fuumlr das Projekt der natio-nalen Identitaumlt und des inter-ethnischen Zusammenhalts dar Die dominante und populaumlre Vorstellung dass die argentinische Nation aus rsaquoSoumlhnen der Bootelsaquo (rsaquohijos de los barcoslsaquo) bestand die sich erfolgreich in das nationale Projekt des Fortschritts integriert hatten lieszlig wenn uumlber-haupt nur einen marginalen Platz fuumlr Einwanderer aus der unmittelbaren Nachbarschaft Argentiniens Zudem sind fremdenfeindliche Einstellungen offene und versteckte Formen von Diskriminierung und Vorstellungen kultureller Uumlberlegenheit im Land sehr weit verbreitet Ein komplexes Zusammenspiel aus Klasse rsaquoRasselsaquo Debatten um Sicher-heit und Kriminalitaumlt sowie kulturelle Andersartigkeit fuumlhrt dazu dass Bolivianer und andere Einwanderer aus Latein-amerika in eine gesellschaftliche Randposition gedraumlngt werden und relativ ausgeschlossen bleiben18

Andere neuere Einwanderungsbewegungen

Ein weiteres Phaumlnomen das als neu gilt ist die zuneh-mende Praumlsenz von (zumeist west-) afrikanischen Arbeits-migranten und Fluumlchtlingen insbesondere Senegalesen Ghanaern und Nigerianern in den groumlszligeren Staumldten des

Landes vor allem in Buenos Aires Das rigide Grenzuumlber-wachungssystem in Europa das im Laufe der letzten Jahr-zehnte entstanden ist das bemerkenswerte Wirtschafts-wachstum in Argentinien und die vergleichsweise offenen Einwanderungspolitiken des Landes haben dazu gefuumlhrt einen Teil der afrikanischen Migration nach Argentinien umzulenken Wie auch andere nicht-europaumlische Migran-ten die in juumlngster Zeit nach Argentinien gekommen sind sehen sich afrikanische Einwanderer Vorurteilen ausge-setzt und haben groszlige Schwierigkeiten eine legale Arbeit zu finden Der Staat und Wohlfahrtseinrichtungen bieten Sprachkurse an stellen temporaumlre und erneuerbare Auf-enthaltsgenehmigungen zur Verfuumlgung und ebenso eine grundlegende Gesundheitsversorgung Das 2010 gegruumln-dete Zentrum fuumlr afrikanische Fluumlchtlinge und Migranten (rsaquoCentro para el Refugiado y Migrante Africanolsaquo) bietet Informationen und Unterstuumltzung fuumlr junge afrikanische Fluumlchtlinge an19

Die afrikanische Migration wird oftmals als neues Phauml-nomen dargestellt Ein Blick in die Vergangenheit zeigt je-doch dass afrikanische Einwanderer in der Region schon lange praumlsent waren Der Zensus von 1810 zeigt dass allein in Buenos Aires das zu der Zeit 32558 Einwoh-ner zaumlhlte 9615 Schwarze lebten Die Mehrzahl dieser schwarzen rsaquoPortentildeoslsaquo - wie die Einwohner von Buenos Aires genannt werden - waren Opfer des transatlantischen Sklavenhandels Der Zensus aus dem Jahr 2010 zeigte dass sich 149493 Einwohner des Landes als Nachkom-men von afrikanischen Einwanderern beschreiben Die Praumlsenz von Afrikanern und Afro-Argentiniern verdeutlicht dass die Migrationsgeschichte Argentiniens vielschichtiger ist als das immer noch dominante Narrativ eines Landes das sich auf europaumlische Einwanderung gruumlndet nahe legt20

Die Einwandererbevoumllkerung

Der juumlngste Zensus aus dem Jahr 2010 belegt dass die Einwanderung aus anderen lateinamerikanischen Laumlndern in den letzten Jahren uumlberwogen hat Mehr als 75 Prozent der in Argentinien lebenden aber im Ausland geborenen Bevoumllkerung stammten aus benachbarten Laumlndern (ein-schlieszliglich Peru) Europaumler folgen mit 16 Prozent Ins-gesamt waren 45 Prozent der Bevoumllkerung des Landes auszligerhalb Argentiniens geboren worden Die groumlszligten Ein-wanderergruppen - in absoluten Zahlen betrachtet - bilden Paraguayer mit 550713 Personen Bolivianer mit 345272 Personen Chilenen mit 191147 Personen und Peruaner mit 157514 Personen

In Argentinien zeigt sich daruumlber hinaus das weltweit zu beobachtende Phaumlnomen der rsaquoFeminisierung der Migrati-onlsaquo Nach Ergebnissen des Zensus von 2010 sind 539 Pro-zent der im Ausland geborenen Bevoumllkerung weiblich in der einheimischen Bevoumllkerung sind es dagegen nur 512 Prozent Die Zensusdaten weisen zudem darauf hin dass sich die Mehrheit der Einwandererbevoumllkerung in Staumldten niedergelassen hat Insgesamt leben 732 Prozent der im Ausland geborenen Bevoumllkerung in Buenos Aires und der stark urbanisierten Provinz Buenos Aires Damit sind 135

Abbildung 3 Anteil der im Ausland geborenen (foreign born) Bevoumllkerung an der Gesamtbevoumllke- rung Argentiniens 1869-2010

Quelle INDEC [Nationales Statistikinstitut] Volkszaumlhlungen 1869 bis 2010

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Prozent der Einwohner der Stadt Buenos Aires im Ausland Geborene waumlhrend ihr Anteil an der Bevoumllkerung der pe-ripheren Provinz Santiago del Estero im Nordwesten des Landes gerade einmal 03 Prozent betraumlgt Etwa ein Drit-tel der im Ausland geborenen Bevoumllkerung Argentiniens ist zwischen 2001 und 2010 eingewandert was deutlich macht dass Einwanderung fuumlr das Land weiterhin relevant ist (vgl Abbildung 4)

Argentinier im Ausland

Die Krise 2001 und ihre Konsequenzen - Argentinien als Auswanderungsland

Im Jahr 2001 sah sich Argentinien mit einer Finanzkrise konfrontiert die im darauffolgenden Jahr in einer Abwer-tung der nationalen Waumlhrung um 300 Prozent und inner-halb weniger Wochen in den Zusammenbruch des Ban-kensystems muumlndete - mit verheerenden Konsequenzen Die Arbeitslosigkeit stieg auf 20 Prozent und die Unterbe-schaumlftigung auf 17 Prozent 42 Prozent der Bevoumllkerung lebten unterhalb der Armutsgrenze und 27 Prozent sogar in extremer Armut

Die wirtschaftliche politische und soziale Krise fuumlhrte zu einem grundlegenden Wandel der Migrationsmuster Im folgenden Jahrzehnt erlebte das Land zum ersten Mal in seiner Geschichte eine groszlige und anhaltende Abwande-rungswelle (vgl Abbildung 5) insbesondere von jungen und qualifizierten Argentiniern die sich im Ausland eine bessere Zukunft erhofften Schaumltzungen zufolge lebten 2010 rund eine Million Argentinier auszligerhalb des Landes wobei Spanien 30 Prozent und die USA 23 Prozent auf-genommen hatten und damit die Hauptziellaumlnder bildeten (vgl Abbildung 6)21

Spanien und andere Hauptziellaumlnder

Bis vor einigen Jahren lebte die groumlszligte Gruppe argentini-scher Auswanderer in den USA Die Zahl der Neuzuwan-derer aus Argentinien erreichte mit 35210 Personen im Jahr 2002 einen Houmlhepunkt und zeigte einen deutlichen Anstieg gegenuumlber 2000 als 6670 Argentinier in die USA einwanderten22 Seit der Finanzkrise in Argentinien 2001 entwickelte sich Spanien jedoch allmaumlhlich zum Hauptziel-land argentinischer Auswanderer (vgl Abbildung 6)

Spanien hatte argentinische Migranten aufgrund der kulturellen und sprachlichen Naumlhe bereits seit Mitte des 20 Jahrhunderts angezogen Dieser Prozess beschleunig-te sich mit der bemerkenswerten Verbesserung der makro-oumlkonomischen Situation Spaniens nach seinem Beitritt zur Europaumlischen Union im Jahr 1986 Daruumlber hinaus hatte vor 2001 auch die Zwangsauswanderung von tausenden Argentiniern waumlhrend der Militaumlrdiktatur von 1976 bis 1983 zur wachsenden Zahl in Spanien lebender argentinischer Staatsangehoumlriger beigetragen Viele Fluumlchtlinge waumlhlten Spanien (neben Mexiko und den USA) als Zufluchtsort was dazu fuumlhrte dass Argentinier bis in die 1990er Jahre hinein die groumlszligte Gruppe lateinamerikanischer Einwan-derer in Spanien stellten wobei hoch ausgebildete und

Abbildung 4 Im Ausland geborene (foreign born) Bevoumllkerung Argentiniens 2010 - Herkunftslaumlnder absolute Zahlen und prozentualer Anteil

Herkunftsland Zahl der Einwanderer

Paraguay 550713

Bolivien 345272

Chile 191147

Peru 157514

Uruguay 116592

Brasilien 41330

Andere nord- und suumldame-rikanische Laumlnder

68831

Italien 147499

Spanien 94030

Andere europaumlische Laumlnder 57865

China 8929

Andere asiatische Laumlnder 22072

Afrika und Ozeanien 4163

Gesamt 1805957

Quelle INDEC [Nationales Statistikinstitut] Censo Nacional de Poblacioacuten Hogares y Viviendas 2010

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technisch qualifizierte Personen unter den argentinischen Zuwanderern uumlberwogen23

Die Zahl der in Spanien lebenden Argentinier stieg deut-lich an von 119000 Personen 2001 auf 291700 Personen 2009 wobei allein im Jahr 2002 35405 Argentinier in Spa-nien einwanderten Seit 2009 ist ihre Zahl leicht und konti-nuierlich gesunken da viele Argentinier Spanien seit dem Ausbruch der Finanzkrise in Suumldeuropa und angesichts der boomenden Wirtschaftssituation in Lateinamerika wieder verlassen haben Dennoch bildeten argentinische Staatsangehoumlrige 2011 mit 279300 Personen immer noch die sechstgroumlszligte Gruppe der im Ausland geborenen Be-voumllkerung hinter Rumaumlnen Marokkanern Ecuadorianern Briten und Kolumbianern24

Ein weiteres wichtiges Zielland argentinischer Auswan-derer wurde Israel Schaumltzungen zufolge wanderten zwi-schen 2000 und 2006 11200 Argentinier in dieses Land ein wobei zwischen 15 und 20 Prozent spaumlter wieder nach Argentinien zuruumlckkehrten 2002 kurz nach dem Ausbruch der Krise in Argentinien wanderten 5900 Argentinier nach Israel ein diese Zuwanderungszahl wurde in jenem Jahr

nur von Migranten aus der ehemaligen UdSSR uumlberschrit-ten Obwohl sich die argentinische Migration in den letzten Jahren verlangsamt hat zaumlhlt Argentinien immer noch zu den Hauptherkunftslaumlndern von Migranten in Israel (Platz 6 im Jahr 2012)25 Eine der Konsequenzen ist die zuneh-mende Verkleinerung der juumldischen Gemeinschaft in Ar-gentinien Erreichte die Zahl argentinischer Juden in den fruumlhen 1960er Jahren mit uumlber 300000 Personen ihren Houmlhepunkt so ist sie in den vergangenen Jahren auf unter 200000 gesunken26 Neben der schwierigen wirtschaftli-chen Ausgangslage in Argentinien spielt die aktive Anwer-bung Argentinischer Juden durch den israelischen Staat meistens uumlber juumldische Kulturinstitutionen in Argentinien vermittelt eine entscheidende Rolle fuumlr die Ausreisemo-tivationen

Oftmals - und dies gilt insbesondere fuumlr die groszlige Zahl der Argentinier mit spanischen und italienischen Wurzeln - vereinfachten die spezifischen Einbuumlrgerungsgesetze der Ziellaumlnder die in unterschiedlichem Ausmaszlig das elterliche ius sanguinis (Kinder erben die Staatsangehoumlrigkeit der Eltern) zugrunde legten den Zugang zur Staatsbuumlrger-schaft eines europaumlischen Landes Damit ist dann auch die Freizuumlgigkeit innerhalb der Europaumlischen Union ver-bunden (siehe Kasten 5)

Fuumlr viele insbesondere junge Argentinier ist der Er-werb der Staatsangehoumlrigkeit eines europaumlischen Landes zu einer wichtigen Strategie geworden um einer teils per-spektivlosen Situation zu entkommen Oftmals koumlnnen sie die Staatsangehoumlrigkeit uumlber die Konsulate in Argentinien erwerben ohne das Land verlassen zu muumlssen Die Re-form des spanischen Staatsangehoumlrigkeitsrechts im Jahr 2007 die den Zugang zur spanischen Staatsangehoumlrig-keit fuumlr Nachkommen von Fluumlchtlingen des Spanischen Buumlrgerkrieges erleichterte und als Gesetz der Enkelkin-der (rsaquoLey de nietoslsaquo) bezeichnet wurde kam auch vielen spanischstaumlmmigen Argentiniern zugute27 2009 waren 45 Prozent (bzw 132000) der 291700 argentinischstaumlmmi-gen Einwohner Spaniens nicht im Besitz der spanischen Staatsbuumlrgerschaft28

Ruumlckkehrmigration

Die starke Erholung der argentinischen Wirtschaft seit 2003 insbesondere aber die Auswirkungen der Wirtschaftskri-se in Suumldeuropa seit 2007 haben eine neue Phase der Migration eingeleitet Viele Argentinier die ihr Land in den Jahrzehnten davor verlassen hatten entschlossen sich nun nach Argentini-en zuruumlckzukehren In einigen Faumlllen vor allem in Spanien wurde die Ruumlck-kehr ins Herkunftsland durch staatliche Programme finanziell gefoumlrdert Zwi-schen 2013 und 2014 sank die Zahl der in Spanien lebenden Argentinier ohne spanischen Pass von 95415 auf 80910 Personen Gleichzeitig ist die Auswan-derung spanischer Staatsangehoumlriger

Abbildung 5 Argentinische Einwanderung in OECD- Laumlnder 2001-2010

Quelle OAS (2012)

Abbildung 6 Im Ausland lebende Argentinier 2010

Quelle Organizacioacuten Internacional para las Migraciones (OIM) (2012)

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nach Argentinien von 2182 Personen 2012 auf 2682 Per-sonen 2013 gestiegen29 Argentinien hat mit zahlreichen lateinamerikanischen Staaten und Spanien verschiedene Abkommen unterzeichnet die die Uumlbertragung von erwor-benen Sozialleistungsanspruumlchen ohne grundlegende Ver-luste fuumlr Arbeitsmigranten ermoumlglichen sollen

Veraumlnderungen der Einwanderungs- und Regularisierungsgesetzgebung

Militaumlrherrschaft und Einwanderung

Seit dem Ruumlckgang der europaumlischen Einwanderung der zunehmenden Zahl an Migranten aus umliegenden Laumln-dern und der Bedeutung der Dynamik interner Migration seit dem Zweiten Weltkrieg hat Argentinien grundlegende Veraumlnderungen dahingehend durchlaufen wie Einwande-rung konzipiert und rechtlich gerahmt wird Uumlber Jahrzehn-te hingen die gesetzlichen Bestimmungen und Wahrneh-mungen der Einwanderungspolitik stark vom politischen Programm der jeweiligen machthabenden Regierung ab Waumlhrend der verschiedenen Militaumlrdiktaturen zwischen 1955 und 1983 herrschte ein restriktiverer Ansatz vor als unter zivilen Regierungen beispielsweise in den Jahren 1963 bis 1966 und 1973 bis 1976

Die grundlegendste Reform erfolgte 1981 als die Mili-taumlrjunta das rsaquoGenerelle Gesetz zur Migration und Foumlrde-rung von Einwanderunglsaquo erlieszlig Dieses wurde auch als Videla-Gesetz bezeichnet (benannt nach dem General und de facto Staatsoberhaupt von 1976 bis 1981 Jorge Rafa-el Videla) und hob das Avellaneda-Gesetz aus dem Jahr 1876 auf Auch wenn das Videla-Gesetz weiterhin die eu-ropaumlische Einwanderung befuumlrwortete insbesondere zum Zwecke der Besiedlung und des Bevoumllkerungswachstums enthielt es viele repressive Bestimmungen zur illegalen Einwanderung die sich implizit gegen Neuankoumlmmlinge aus benachbarten Staaten richteten Das Gesetz verbot es undokumentierten Auslaumlndern ausdruumlcklich einer be-zahlten Arbeit nachzugehen schloss sie vom Zugang zum Gesundheits- und Bildungssystem aus und verpflichtete Beamte dazu den Behoumlrden jegliche irregulaumlre Situation zu melden Die Einwanderungspolitik wurde folglich fast ausschlieszliglich zur Aufgabe der Sicherheitsbehoumlrden was in der Doktrin zur rsaquoNationalen Sicherheitlsaquo zum Ausdruck

kam30 Es wurde fuumlr Einwanderer so zunehmend schwe-rer einen legalen Aufenthaltstitel zu erhalten sie waren in einer Situation der Verwundbarkeit und Irregularitaumlt ge-fangen

Nach der Ruumlckkehr zur Demokratie 1984 folgten die ver-fassungskonformen Regierungen einem offeneren Ansatz der auch verschiedene Amnestie-Programme fuumlr Migran-ten enthielt die sich illegal im Land aufhielten Dennoch blieb der breitere gesetzliche Rahmen der Militaumlrjunta bis 2004 in Kraft Daraus entwickelte sich eine widerspruumlchli-che gesetzliche und faktische Praxis Beispielsweise wur-de Einwanderern einerseits das Recht zur Teilnahme an Wahlen auf kommunaler Ebene und auch in den meisten Provinzwahlen gewaumlhrt gleichzeitig aber die Moumlglichkei-ten einer regulaumlren Arbeit nachzugehen eingeschraumlnkt die jedoch Voraussetzung fuumlr den Erwerb einer Niederlas-sungserlaubnis war

Neue Ansaumltze

Nachdem die Einwanderungspolitik seit der Diktatur uumlber Jahre hinweg unveraumlndert einen auslaumlnderfeindlichen und implizit rassistischen Ansatz verfolgt hatte haben in den letzten zehn Jahren grundlegende Reformen stattgefun-den die neue Grundprinzipien der Einwanderungspolitik einfuumlhrten

Die offenen oder versteckten rassistischen Einstellun-gen und Diskriminierungen gegenuumlber afrikanischen und lateinamerikanischen Einwanderern die sowohl in der Oumlf-fentlichkeit als auch im privaten Bereich im institutionellen Kontext als auch alltaumlglichen Begegnungen stattfinden stehen in starkem Kontrast zu den neueren Entwicklungen im Bereich sozialer Rechte einschlieszliglich derer von Mig-ranten Obwohl es in Argentinien bereits seit 1988 ein Anti-Diskriminierungsgesetz gibt wurden erst unter den Re-gierungen von zunaumlchst Neacutestor Kirchner (2003-2007) und spaumlter seiner Frau Cristina Fernaacutendez de Kirchner (2007 bis heute 2015) die sozialen Rechte deutlich gestaumlrkt Die betraumlchtlichen Reformen in Bezug auf die Rechte von Einwanderern wurden dabei in der Oumlffentlichkeit weniger wahrgenommen als die sichtbaren Reformen und Ansaumltze wie etwa die Einfuumlhrung von gleichen Rechten fuumlr gleich-geschlechtliche Partnerschaften die offensive Verfolgung von Straftaumltern der letzten Militaumlrdiktatur und die deutliche Ausweitung von sozialen Rechten im Bereich des Wohl-fahrts- und Bildungssystems inklusive effektiver Umvertei-lungspolitik Die neue Einwanderungspolitik die auf dem Ansatz der Gewaumlhrung von Rechten beruht hat einerseits zur Legalisierung des Aufenthaltsstatus von Neuzuwan-derern gefuumlhrt Andererseits profitieren davon aber auch besonders schutzbeduumlrftige Fluumlchtlinge Wirtschaftsda-ten legen daruumlber hinaus nahe dass dieser Politikansatz der Kirchner-Regierungen positive Auswirkungen auf das juumlngste wirtschaftliche Wachstum des Landes hatte das zwischen 2003 und 2012 durchschnittlich 72 Prozent be-trug

Erste Schritte zu einer vereinfachten Regularisierung des Aufenthaltsstatus wurden 2002 mit dem rsaquoRegionalen Abkommen fuumlr Staatsbuumlrger der Mitgliedstaaten des Ge-

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Kasten 5 Europaumlischer Staatsbuumlrger werden

Ein Blick auf den Erwerb der italienischen Staatsbuumlr-gerschaft durch argentinische Staatsangehoumlrige zeigt in den Jahren nach 2001 eine deutliche Zunahme Waumlhrend 2001 316 Argentinier die italienische Staats-buumlrgerschaft erhielten waren es 2006 2569 Personen In Spanien zeigt sich der Anstieg sogar noch deutlicher Die Zahl der Argentinier die die spanische Staatsan-gehoumlrigkeit erwarben stieg von 791 im Jahr 2001 auf 6395 in 2010

meinsamen Marktes Suumldamerikaslsaquo (MECOSUR dh Ar-gentinien Brasilien Uruguay und Paraguay) und den as-soziierten Staaten (Bolivien und Chile) gemacht Demnach haben Staatsangehoumlrige der genannten Laumlnder das Recht in jedem anderen Mitglieds- oder assoziierten Land zu le-ben und zu arbeiten und sind mit den jeweiligen Staats-angehoumlrigen gleichberechtigt Ein Wendepunkt wurde mit der Verabschiedung des Gesetzes Nr 25871 im Jahr 2004 erreicht das viele der Grundprinzipien der UN-Wan-derarbeitnehmerkonvention von 1990 beinhaltet Bei der Vorbereitung des Gesetzes kooperierte die argentinische Regierung mit einer Beratungskommission aus Vertretern von verschiedenen Menschenrechts- und Expertenorgani-sationen von denen viele im Umkreis der Vereinten Na-tionen angesiedelt waren wie die Internationale Organi-sation fuumlr Migration und der Hohe Fluumlchtlingskommissar der Vereinten Nationen (UNHCR) Innerhalb des Rahmens zur regionalen Integration etabliert das Gesetz drei Aufent-haltskategorien dauerhaft temporaumlr und vorruumlbergehend Die allgemeinen Prinzipien des Gesetzes formulieren ein ehrgeiziges Programm Neben dem expliziten Wunsch Einwanderer sozio-kulturell in die argentinische Gesell-schaft zu integrieren einschlieszliglich der gleichberechtigten Partizipation von Migranten am Arbeitsmarkt verpflichtet der Gesetzestext den Staat dazu das Menschenrecht auf Migration anzuerkennen Dieses sieht den Grundsatz zur Gleichbehandlung von Migranten und Einheimischen vor dem Gesetz vor garantiert das Recht auf Familienzusam-menfuumlhrung und Zugang zum Gesundheits- und Bildungs-system sowie zu Sozialleistungen fuumlr Auslaumlnder unab-haumlngig von ihrem Migrationsstatus Daruumlber hinaus betont das Gesetz die Rechte von im Ausland lebenden argenti-nischen Staatsangehoumlrigen und foumlrdert deren Ruumlckkehr-migration

Das Gesetz wurde von einer groszligen Medienkampagne begleitet die Einwanderer informierte und dazu ermutigte ihren Aufenthaltsstatus regularisieren zu lassen Zudem wurde ein weitreichendes Regularisierungsprogramm mit dem Namen rsaquoPatria Grandelsaquo (Groszliges Heimatland) auf-gelegt das zwischen 2006 und 2010 die Regularisierung von 650000 Migranten aus MERCOSUR-Mitgliedslaumlndern vereinfachte Insgesamt wurden im Rahmen des Patria Grande-Programms und anderen Regularisierungsmoumlg-lichkeiten zwischen 2004 und 2011 1688106 Antraumlge auf einen legalen Aufenthaltsstatus gestellt Das Regularisie-rungsprogramm garantierte das Recht sich im Land auf-zuhalten aber auch Argentinien zu verlassen und wieder einzureisen ebenso wie das Recht zu studieren und eine Arbeitserlaubnis zu erhalten Es bildete den ersten Schritt zum Erwerb einer dauerhaften Aufenthaltsgenehmigung Urspruumlnglich wurde das Patria Grande-Programm als ein administratives Instrument zur Legalisierung des Aufent-haltsstatus von Migranten konzipiert Es entwickelte sich allerdings zu einem zentralen Instrument des Staates eine neue Vision von Zugehoumlrigkeit und der Partizipation von Migranten an der Nation zu artikulieren

Weitere Instrumente die mit der neuen nationalen Mig-rationsgesetzgebung und dem Regularisierungsprogramm in Zusammenhang stehen umfassten das rsaquoNationale Insti-

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tut gegen Diskriminierung Auslaumlnderfeindlichkeit und Ras-sismuslsaquo eine dreigliedrige Kommission zu Gender-Fragen und Gleichstellung auf dem Arbeitsmarkt sowie ein Natio-nales Bildungsgesetz (Nr 26206) das den Zugang von undokumentierten Migranten zum Grund- und weiterfuumlh-renden Schulsystem sowie zur Universitaumlt garantieren soll

Die Reformen der vergangenen Jahre hatten zur Folge dass die Kategorie des rsaquoillegalen Einwandererslsaquo nahezu verschwunden ist Der Erfolg von Programmen wie Pat-ria Grande und anderen nicht-MERCOSUR Regularisie-rungsmaszlignahmen sicherte hunderttausenden in Argentini-en lebenden Auslaumlndern einen legalen Aufenthaltsstatus Daten zur irregulaumlren Migration in Argentinien waren im-mer schon rar und die Regierung selbst verfuumlgt nicht uumlber praumlzise Statistiken Dennoch wurde die Zahl der undoku-mentierten Bevoumllkerung vor der Einfuumlhrung der juumlngsten Regularisierungskampagnen auf 750000 bis eine Million Menschen geschaumltzt31

Staatsbuumlrgerschaft

Erwachsene Einwanderer haben die Moumlglichkeit die ar-gentinische Staatsbuumlrgerschaft fuumlr sich und ihre Familie zu beantragen Im Ausland geborene Personen die eine ge-wisse Zeit in Argentinien gelebt haben und bestimmte Vor-aussetzungen erfuumlllen koumlnnen die argentinische Staatsan-gehoumlrigkeit erwerben Die Regularien dazu finden sich in der Verfassung des Landes die das Territorialprinzip (jus soli) festschreibt und wurden 2004 uumlberarbeitet Neben der Modernisierung des Einbuumlrgerungsverfahrens diente die Reform von 2004 hauptsaumlchlich dazu Restriktionen zu beseitigen die waumlhrend der Herrschaft der Militaumlrjunta (1976-1983) eingefuumlhrt worden waren wie beispielsweise die Voraussetzung nicht nur muumlndliche und schriftliche Spanischkenntnisse sowie Grundkenntnisse der Verfas-sung Argentiniens vorweisen zu muumlssen sondern insbe-sondere auch ein legales Arbeitsverhaumlltnis nachzuweisen

Es gibt verschiedene Moumlglichkeiten die argentinische Staatsbuumlrgerschaft zu erlangen Neben dem Territorial-recht bei Geburt auf argentinischem Boden haben Er-wachsene uumlber 18 Jahre auch die Moumlglichkeit nach zwei Jahren rechtmaumlszligigen Aufenthalts im Land die Einbuumlrge-rung zu beantragen Die Rechtmaumlszligigkeit ihres Aufenthalts muss von der nationalen Einwanderungsbehoumlrde bestaumltigt werden Es gelten einige Restriktionen So muumlssen Be-werber um die Staatsbuumlrgerschaft straffrei sein und ihren Lebensunterhalt unabhaumlngig von Zuwendungen aus dem Sozialsystem bestreiten koumlnnen sie muumlssen aber nicht mehr nachweisen dass sie in einem legalen Arbeitsver-haumlltnis stehen Daneben eroumlffnen auch die Ehe mit einem argentinischen Staatsangehoumlrigen oder der Nachweis El-ternteil eines Kindes zu sein das die argentinische Staats-angehoumlrigkeit besitzt die Moumlglichkeit eine Einbuumlrgerung zu beantragen

Der Besitz einer doppelten Staatsbuumlrgerschaft ist ein weit verbreitetes Phaumlnomen in Argentinien das allerdings auf Laumlnder beschraumlnkt ist mit denen Argentinien ein bi-laterales Abkommen unterhaumllt wie zB Spanien Italien

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und Chile Argentinier mit doppelter Staatsbuumlrgerschaft davon einer europaumlischen koumlnnen die politischen Pro-zesse in Europa beeinflussen In Argentinien wohnhafte Inhaber eines italienischen Passes beteiligten sich stark (569 Prozent) an den landesweiten Wahlen zum Abgeord-netenhaus in Italien im Jahr 2008 und beeinflussten so das Wahlergebnis32

Flucht und Asyl - Fluumlchtlingspolitik

1961 hat Argentinien die Genfer Fluumlchtlingskonvention un-terzeichnet spaumlter auch das dazugehoumlrige Protokoll von 1967 Obwohl das Land bereits seit vielen Jahrzehnten Fluumlchtlinge aufnimmt gibt es erst seit 2006 ein echtes Ge-setz zur Anerkennung und zum Schutz von Fluumlchtlingen (rsaquoLey General de Reconocimiento y Proteccioacuten al Refugia-do Ley 26165lsaquo) Dieses Gesetz nahm auch die Erklaumlrung von Cartagena aus dem Jahr 1984 auf die die Fluumlchtlings-definition des Hohen Fluumlchtlingskommissars der Vereinten Nationen (UNHCR) erweiterte indem sie sie auch auf Per-sonen bezog die vor Krieg und Unruhen fliehen

2003 initiierte Argentinien einen Prozess zur Unter-zeichnung aller noch ausstehenden internationalen Men-schenrechtsabkommen Das Land begann im Zuge sei-nes menschenrechtsbasierten Politikansatzes damit das Fluumlchtlingswesen und damit in Verbindung stehende Ins-titutionen aufzubauen In Erinnerung an die traumatische Erfahrung tausender argentinischer Auswanderer und Fluumlchtlinge waumlhrend der letzten Militaumlrdiktatur (1976-1983) verabschiedete Argentinien Gesetze die den Fluumlchtlings-schutz anhoben und trat 2005 an die Seite anderer latein-amerikanischer Staaten in ihrem gemeinsamen Bestreben Fluumlchtlinge umzusiedeln (Resettlement) Zusammen mit dem bereits erwaumlhnten Gesetz zur Anerkennung und zum Schutz von Fluumlchtlingen (No 26165) wurde im Jahr 2009 ein Nationaler Fluumlchtlingsrat (CONARE) eingerichtet der das Innen- Auszligen- Justiz- und Sozialministerium und an-dere Einrichtungen einbezieht uumlber die Zuerkennung ei-nes Fluumlchtlingsstatus entscheidet und sich fuumlr die Rechte von Fluumlchtlingen einsetzt Heute haben Asylsuchende und anerkannte Fluumlchtlinge in Argentinien das Recht auf Doku-mente die ihren Aufenthaltsstatus nachweisen sie duumlrfen arbeiten und haben Zugang zur Grundversorgung Zudem haben Fluumlchtlinge und Asylsuchende dieselben Rechte wie andere im Land lebende Auslaumlnder sie duumlrfen sich im Land frei bewegen haben Zugang zu Bildung zur Gesundheits-versorgung und zur Justiz und genieszligen Religionsfreiheit

Seitdem das Land 1985 damit begonnen hat Fluumlchtlin-ge anzuerkennen sind in Argentinien etwa 13000 Antraumlge von Asylsuchenden aus uumlber 46 Herkunftslaumlndern einge-gangen In 3200 Faumlllen wurde Asyl gewaumlhrt Zwischen 2006 und 2010 kamen die meisten Asylsuchenden aus dem Senegal (ca 769 Personen) Kolumbien (665) und der Dominikanischen Republik (547) Eine weitere Grup-pe die von dem neuen Fluumlchtlingsgesetz profitierte waren Staatsangehoumlrige Haitis die nach dem verheerenden Erd-beben 2010 in Argentinien Schutz gefunden haben33 Im Januar 2014 registrierte der UNHCR 3362 in Argentinien

lebende anerkannte Fluumlchtlinge und 916 Asylsuchende 2013 waren in Argentinien 614 Asylantraumlge gestellt wor-den

Herausforderungen und Ausblick

Das Migrationsgesetz von 2004 markiert einen Wende-punkt in der juumlngeren Geschichte Argentiniens indem es Gesetze aufhob die sich seit der letzten Diktatur nicht grundlegend veraumlndert hatten Es markiert den Uumlbergang von einer restriktiven Politik zu einem realistischen of-fenen Einwanderungskonzept dessen Implementierung immer noch mit deutlichem Widerstand vonseiten der staatlichen Verwaltung und einiger Teile der Gesellschaft konfrontiert ist34 Das Gesetz erkennt die Leistungen von Migration fuumlr das Land ausdruumlcklich an und druumlckt den Be-darf nach oumlffentlichen Politiken aus um die volle Integrati-on der Einwanderer zu realisieren In diesem Sinne positi-oniert die neue argentinische Migrationsgesetzgebung das Land in einem auf Rechten basierenden Migrationsregime Das trifft auch auf das Engagement des Landes fuumlr Fluumlcht-linge zu Argentinien nahm 2012 und 2013 300 syrische Familien auf

Vor dem Hintergrund restriktiver Zuwanderungspolitiken in den USA und Europa in Kombination mit der groszligzuumlgi-gen argentinischen Gesetzgebung ist es sehr wahrschein-lich dass Einwanderung das Land auch in den kommen-den Jahren weiter praumlgen wird Dies gilt insbesondere fuumlr die Einwanderung aus den Nachbarlaumlndern Besonders diejenigen Einwanderergemeinden die sich bereits in Ar-gentinien etabliert haben werden voraussichtlich weiter wachsen Aber auch die Ruumlckkehr von Argentiniern aus Suumldeuropa ist sehr wahrscheinlich da die Hauptziellaumlnder argentinischer Auswanderer die sich seit 2001 herausge-bildet haben weiterhin unter groszligem finanzpolitischen wirtschaftlichen und sozialen Druck stehen

Wie Argentinien auf zukuumlnftige Migrationsbewegungen reagieren wird haumlngt von zwei grundlegenden Entwicklun-gen ab Dazu zaumlhlt zum einen die politische Situation im Land Die Regierungen Kirchner hatten mehr als zehn Jah-re Zeit den rechtebasierten Ansatz in der nationalen Poli-tik durchzusetzen in Abstimmung mit dem Vorhaben einer staumlrkeren regionalen Integration Das Land teilt aumlhnliche politische Ansaumltze mit benachbarten Laumlndern insbeson-dere Brasilien und Bolivien was die Steuerung regionaler Migration und die Regularisierung des Aufenthaltsstatus von Einwanderern vereinfacht hat Zukuumlnftige argentini-sche Regierungen koumlnnten sicherlich einen restriktiveren Kurs in Fragen der Einwanderung und Regularisierung ein-schlagen um einer konservativeren und am rechten Rand orientierten Waumlhlerschaft gerecht zu werden

Zum anderen hat das hohe Wirtschaftswachstum seit 2003 Argentinien erneut zu einem attraktiven Zielland fuumlr Einwanderer gemacht Seit 2012 steckt allerdings das nach der Krise 2001 etablierte post-neoliberale Wirtschaftsmo-dell das auf einem starken Staat dominanten Export-wirtschaftssektoren und einer relativen Unabhaumlngigkeit von internationalen Kreditmaumlrkten basiert in ernsthaften

Schwierigkeiten Dies betrifft nicht nur Argentinien son-dern die gesamte Region Sollte sich diese Entwicklung fortsetzen erscheint es moumlglich dass der interne Druck die Einwanderung zu reduzieren waumlchst und die offene Migrationspolitik die in den letzten zehn Jahren erfolg-reich eingefuumlhrt worden ist wieder zuruumlckgenommen wird

Ein optimistisches Resuumlmee der letzten zehn Jahre er-laubt die Sichtweise dass sich ein neues Paradigma im Hinblick auf die Konzeptualisierung nationaler Identitaumlt herausbildet Weg vom Prinzip der nationalen Souveraumlni-taumlt und Selbstbestimmung hin zu einem Konzept das die Verantwortung des Staates gegenuumlber seinen Buumlrgern im Rahmen von internationalen und regionalen Menschen-rechtskonventionen betont und die Vorstellungen von Zu-gehoumlrigkeit und Staatsbuumlrgerschaft ausweitet indem es sich von assimilationistischen Diskursen (siehe Kasten 4) abwendet und stattdessen den Ansatz kultureller Plurali-taumlt beim Entwurf oumlffentlicher Politik verfolgt35 Dennoch ist es zu fruumlh um abwaumlgen zu koumlnnen ob diese Entwicklung auch Auswirkungen auf die Kultur der Fremdenfeindlich-keit und Gefuumlhle von Uumlberlegenheit gegenuumlber lateiname-rikanischen Einwanderern hat die von vielen Argentiniern in ihrer Selbstauffassung als rsaquoweiszlige Gesellschaftlsaquo geteilt werden Dies erscheint angesichts der aktuellen schwer-wiegenden wirtschaftlichen und sozialen Probleme im Land die das nationale Projekt der Kirchner Regierung unter groszligen Druck setzen noch schwieriger zu sein

Anmerkungen

1 Martiacutenez Shaw (1994)2 Andrews (1980)3 Castro (1991)4 Rock (2002)5 Trinchero (2006)6 Devoto (2009)7 Corteacutes Conde (2009)8 Williamson (1999)9 Williamson (1994)

10 Nugent (1995)11 Rein (2010)12 Nugent (1995)13 Biernat (2007)14 Devoto (2009)15 Benencia (2009)16 OAS (2012)17 Bologna (2010)18 Bastiavom Hau (2013) 19 Zubrzycki (2012)20 Andrews (1980)21 Organizacioacuten Internacional para las Migraciones (OIM) (2012)22 OECD (2009)23 Ginieniewicz (2012) EstebanActis (2012)24 Hierro (2013)25 OECD (2013)26 BrodskyRein (2013)27 Martiacuten-Peacuterez (2012)28 OECD (2013)29 Instituto Nacional de Estadiacutestica (Spanien) (2014)

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30 Novick (2012)31 Hines (2010) 32 Tintori (2011)33 Cavaleri (2012)34 Baladroacuten et al (2013)35 Domenech (2007)

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Zentrum fuumlr lateinamerikanische Migrationsstudien [Cen-tro de Estudios Migratorios Latinoamericanos (CEMLA)] httpcemlacom

Herausgeber Institut fuumlr Migrationsforschung und Interkulturelle Studien (IMIS) der Universitaumlt Osnabruumlck Neuer Graben 1921 49069 Osnabruumlck Tel +49(0)541 969 4384 Fax +49 (0)541 969 4380 E-Mail imisuni-osnabrueckde

Bundeszentrale fuumlr politische Bildung (bpb) Adenauerallee 86 53113 Bonn unter Mitwirkung des Netzwerks Migration in Europa eV Redaktion Dr Marcel Berlinghoff Vera Hanewinkel Apl Prof Dr Jochen Oltmer (verantw) Uumlbersetzung ins Deutsche Vera Hanewinkel

Die Erstellung der Laumlnderprofile (ISSN 1864-6220) und Kurzdossiers (ISSN 1864-5704) erfolgt in Kooperation der oa Partner Der Inhalt der Laumlnderprofile und Kurzdossiers gibt nicht unbedingt die Ansicht der Herausgeber wieder Der Abdruck von Auszuumlgen und Graphiken ist bei Nennung der Quelle erlaubt

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Der Autor

Thomas Maier ist Doktorand am Institut fuumlr Amerikastudi-en (Institute of the Americas) das Teil des University Col-lege London und damit der Universitaumlt London ist Sein Forschungsschwerpunkt ist die Geschichte von Arbeit und Wohlfahrtsstaat in den Amerikas insbesondere in Argenti-nien und auf dem Suumldkegel Lateinamerikas

E-Mail thomasmaier12uclacuk

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Krieg und Verfolgung zunaumlchst waumlhrend des Spanischen Buumlrgerkriegs und spaumlter durch das Aufkommen rechts-extremer totalitaumlrer Regime und den Zweiten Weltkrieg begegnete Argentinien mit zunehmend restriktiven Grenz-kontrollen Dabei spielte auch die antisemitische und an-tikommunistische Haltung der argentinischen Elite eine wichtige Rolle Obwohl der argentinische Staat versuchte gegen illegale Grenzuumlbertritte hart vorzugehen gelang es tausenden Menschen vor allem Juden ins Land zu gelan-gen Die Nutzung alternativer Einreiserouten uumlber schlecht kontrollierte Stellen der argentinischen Grenze die Einrei-se uumlber Drittstaaten oder einfach die Bestechung von Be-amten um Zutritt zum Land zu erhalten erwies sich dabei oft als lebensrettend

Der letzte Versuch eine groszlige Zahl europaumlischer Ein-wanderer anzulocken erfolgte waumlhrend der Praumlsident-schaft von Juan Peroacuten von 1946 bis 1955 In ihrem Fuumlnf-jahresplan von 1947 einem Dokument das neben der allgemeinen ideologischen Vision der Regierung auch detaillierte Beschreibungen von Politikvorhaben enthielt brachte die peronistische Regierung den Wunsch zum Ausdruck weitere vier Millionen Einwanderer zur landwirt-schaftlichen Bewirtschaftung bislang ungenutzter Flaumlchen ins Land zu holen Zudem foumlrderte Peroacuten die Migration innerhalb der Landesgrenzen von den Provinzen in die groszligen Staumldte um die Industrialisierung des Landes vo-ranzutreiben Der Peronismus sah Arbeitsmigranten aus dem Landesinneren die oftmals eine dunklere Hautfarbe hatten als integralen Bestandteil der nationalen Gemein-schaft an Zeitgleich aber hielt der Peronismus den My-thos einer homogenen weiszligen argentinischen Gesellschaft aufrecht indem er die Integration der Binnen- und inter-nationalen Migranten in den argentinischen Schmelztiegel (rsaquocrisol de razaslsaquo) hervorhob Aber wie schon im Fall fruuml-herer Versuche die Migration nach Argentinien zu steuern gelang es dem Staat auch jetzt nicht seine ehrgeizigen Plaumlne zu verwirklichen Obwohl die Zahl der Neuankoumlmm-linge in den 1940er und 1950er Jahren noch einmal an-stieg kehrten in dieser Zeit auch viele Menschen in ihre Herkunftslaumlnder zuruumlck (1949 148372 Neuankoumlmmlinge vs 133019 Ruumlckkehrer) In den 1950ern folgten viele

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Menschen dem Ruf der boomenden zentraleuropaumlischen Wirtschaften nach auslaumlndischen Arbeitskraumlften anstatt nach Argentinien aufzubrechen13

Juumlngste Entwicklungen der Ein- und Auswanderung

Migration aus benachbarten Staaten

Das Phaumlnomen der Einwanderung aus benachbarten Ge-bieten ist viel aumllter als die Geschichte des argentinischen Nationalstaats selbst Bereits in der Kolonialzeit nutzten Arbeitsmigranten und Haumlndler die weitverzweigten Fluss-systeme fuumlr ihre Aktivitaumlten Seit der Entstehung der Repu-blik im fruumlhen 19 Jahrhundert hat Argentinien Menschen aus umliegenden Laumlndern angezogen dank houmlherer Loumlhne und relativ fortschrittlicher industrieller und landwirtschaft-licher Strukturen mit hoher Arbeitskraumlftenachfrage Aber erst unter der Militaumlrdiktatur in den 1970er Jahren geriet die Praumlsenz lateinamerikanischer Migranten in den Fokus der oumlffentlichen Aufmerksamkeit Sie wurde hauptsaumlchlich als ein rsaquoProblemlsaquo irregulaumlren Aufenthalts sozialen und ethnischen Zusammenhalts und als Gefahr fuumlr das Projekt der Zivilisierung und nationalen Entwicklung gesehen die wachsenden einwanderungsfeindlichen Einstellungen in den 1980ern und 1990ern verstaumlrkten diese Sichtweise Diese Stigmatisierung lateinamerikanischer Einwanderer ging mit einer groumlszligeren Sichtbarkeit dieser Gruppe einher sowohl was ihre Zahl als auch ihre oumlffentliche Wahrneh-mung anbelangte15

Nicht uumlberraschend nahm die Zahl der auslaumlndischen Staatsangehoumlrigen nach dem Zweiten Weltkrieg deutlich ab von 26 Millionen 1960 auf 15 Millionen 2001 (vgl Ab-bildung 3) Aber die Veraumlnderung hinsichtlich der im Land lebenden Auslaumlnder betraf nicht nur deren Zahl Langsam aber stetig kamen weniger Europaumler dafuumlr aber mehr Menschen aus benachbarten Laumlndern insbesondere aus Bolivien Paraguay Peru und Chile Insbesondere die Ein-wanderung aus Paraguay und Bolivien war bestaumlndig Bis zu den 1970er Jahren war die Migration vor allem regional ausgerichtet und beschraumlnkte sich zumeist auf Land-Land-Migration in Grenzgebieten Anschlieszligend entwickelte sich die Metropole Buenos Aires zu einem Zuwanderungsma-gneten Die Volkszaumlhlung von 2001 offenbarte dass 54 Prozent der Einwanderer aus benachbarten Staaten in Buenos Aires lebten verglichen mit nur 25 Prozent 1960 Obwohl ihr Anteil an der Gesamtbevoumllkerung in den ver-gangenen 30 Jahren nur unwesentlich gestiegen ist (von 27 Prozent 1983 auf 31 Prozent 2011) ist ihre Zahl vor allem von 1991 bis 2001 am deutlichsten gewachsen Die auszligerordentlich hohen Loumlhne in diesem Jahrzehnt garan-tiert durch die eins zu eins Konvertierbarkeit des argen-tinische Peso und des US-amerikanischen Dollar zogen hunderttausende Arbeitskraumlfte und ihre Familien an Somit wuchs beispielsweise die bolivianische Community zwi-schen 1991 und 2001 von 143589 auf 233464 Personen die paraguayische von 150450 auf 325046 und die peru-anische von 15939 auf 8754616

Kasten 4 Argentiniens Schmelztiegel-Theorie

Beeinflusst von den Debatten in den USA dominier-te in Argentinien in den Diskussionen daruumlber wie der Zusammenhalt einer Nation bestehend aus Einwan-derern zu konzeptualisieren sei die Vorstellung eines Schmelztiegels (rsaquocrisol de razaslsaquo) - das argentinische Aumlquivalent zur US-amerikanischen rsaquoMelting Potlsaquo-Theorie Erst seit Kurzem gewinnen auch heterogene Ideen und Konzepte an Bedeutung die Merkmale und Strukturen sozialer Pluralitaumlt und kultureller Diversitaumlt hervorheben Im Zentrum von Studien zu diesen Kon-zepten standen dabei Muster politischer Partizipation Dynamiken von Eheschlieszligungen und wirtschaftlicher Teilnahme sowie die raumlumliche Wohnverteilung in der Stadt und auf dem Land14

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Viele dieser Einwanderer arbeiten in Sektoren in denen niedrige Loumlhne gezahlt werden und die Arbeitsbedingun-gen prekaumlr sind wie im Baugewerbe Haushaltsdienstleis-tungssektor oder in der Fertigungsindustrie aber auch in der Landwirtschaft der Bekleidungsindustrie Gemuumlse-laumlden in Staumldten oder andere Bereichen des Handels In diesen Segmenten des Arbeitsmarkts hat vor allem die bolivianische Community erfolgreich ethnische Struktu-ren - sowohl formeller als auch informeller Art - aufgebaut die tausenden Bolivianern zu einem Arbeitsplatz verhelfen und Orte der Geselligkeit und des Miteinanders schaffen17

Bolivianer die in Argentinien leben tragen erheblich zur Wirtschaft ihres Herkunftslandes bei Studien der Internati-onalen Organisation fuumlr Migration schaumltzen dass sich ihre Ruumlckuumlberweisungen an Familienmitglieder allein 2012 auf 301 Millionen US-Dollar beliefen

Diese rsaquoNeue Migrationlsaquo die tatsaumlchlich aber ein sehr altes Phaumlnomen ist nur eben von der Dominanz der transatlantischen Migrationsbewegungen verdeckt wurde stellte neue Herausforderungen fuumlr das Projekt der natio-nalen Identitaumlt und des inter-ethnischen Zusammenhalts dar Die dominante und populaumlre Vorstellung dass die argentinische Nation aus rsaquoSoumlhnen der Bootelsaquo (rsaquohijos de los barcoslsaquo) bestand die sich erfolgreich in das nationale Projekt des Fortschritts integriert hatten lieszlig wenn uumlber-haupt nur einen marginalen Platz fuumlr Einwanderer aus der unmittelbaren Nachbarschaft Argentiniens Zudem sind fremdenfeindliche Einstellungen offene und versteckte Formen von Diskriminierung und Vorstellungen kultureller Uumlberlegenheit im Land sehr weit verbreitet Ein komplexes Zusammenspiel aus Klasse rsaquoRasselsaquo Debatten um Sicher-heit und Kriminalitaumlt sowie kulturelle Andersartigkeit fuumlhrt dazu dass Bolivianer und andere Einwanderer aus Latein-amerika in eine gesellschaftliche Randposition gedraumlngt werden und relativ ausgeschlossen bleiben18

Andere neuere Einwanderungsbewegungen

Ein weiteres Phaumlnomen das als neu gilt ist die zuneh-mende Praumlsenz von (zumeist west-) afrikanischen Arbeits-migranten und Fluumlchtlingen insbesondere Senegalesen Ghanaern und Nigerianern in den groumlszligeren Staumldten des

Landes vor allem in Buenos Aires Das rigide Grenzuumlber-wachungssystem in Europa das im Laufe der letzten Jahr-zehnte entstanden ist das bemerkenswerte Wirtschafts-wachstum in Argentinien und die vergleichsweise offenen Einwanderungspolitiken des Landes haben dazu gefuumlhrt einen Teil der afrikanischen Migration nach Argentinien umzulenken Wie auch andere nicht-europaumlische Migran-ten die in juumlngster Zeit nach Argentinien gekommen sind sehen sich afrikanische Einwanderer Vorurteilen ausge-setzt und haben groszlige Schwierigkeiten eine legale Arbeit zu finden Der Staat und Wohlfahrtseinrichtungen bieten Sprachkurse an stellen temporaumlre und erneuerbare Auf-enthaltsgenehmigungen zur Verfuumlgung und ebenso eine grundlegende Gesundheitsversorgung Das 2010 gegruumln-dete Zentrum fuumlr afrikanische Fluumlchtlinge und Migranten (rsaquoCentro para el Refugiado y Migrante Africanolsaquo) bietet Informationen und Unterstuumltzung fuumlr junge afrikanische Fluumlchtlinge an19

Die afrikanische Migration wird oftmals als neues Phauml-nomen dargestellt Ein Blick in die Vergangenheit zeigt je-doch dass afrikanische Einwanderer in der Region schon lange praumlsent waren Der Zensus von 1810 zeigt dass allein in Buenos Aires das zu der Zeit 32558 Einwoh-ner zaumlhlte 9615 Schwarze lebten Die Mehrzahl dieser schwarzen rsaquoPortentildeoslsaquo - wie die Einwohner von Buenos Aires genannt werden - waren Opfer des transatlantischen Sklavenhandels Der Zensus aus dem Jahr 2010 zeigte dass sich 149493 Einwohner des Landes als Nachkom-men von afrikanischen Einwanderern beschreiben Die Praumlsenz von Afrikanern und Afro-Argentiniern verdeutlicht dass die Migrationsgeschichte Argentiniens vielschichtiger ist als das immer noch dominante Narrativ eines Landes das sich auf europaumlische Einwanderung gruumlndet nahe legt20

Die Einwandererbevoumllkerung

Der juumlngste Zensus aus dem Jahr 2010 belegt dass die Einwanderung aus anderen lateinamerikanischen Laumlndern in den letzten Jahren uumlberwogen hat Mehr als 75 Prozent der in Argentinien lebenden aber im Ausland geborenen Bevoumllkerung stammten aus benachbarten Laumlndern (ein-schlieszliglich Peru) Europaumler folgen mit 16 Prozent Ins-gesamt waren 45 Prozent der Bevoumllkerung des Landes auszligerhalb Argentiniens geboren worden Die groumlszligten Ein-wanderergruppen - in absoluten Zahlen betrachtet - bilden Paraguayer mit 550713 Personen Bolivianer mit 345272 Personen Chilenen mit 191147 Personen und Peruaner mit 157514 Personen

In Argentinien zeigt sich daruumlber hinaus das weltweit zu beobachtende Phaumlnomen der rsaquoFeminisierung der Migrati-onlsaquo Nach Ergebnissen des Zensus von 2010 sind 539 Pro-zent der im Ausland geborenen Bevoumllkerung weiblich in der einheimischen Bevoumllkerung sind es dagegen nur 512 Prozent Die Zensusdaten weisen zudem darauf hin dass sich die Mehrheit der Einwandererbevoumllkerung in Staumldten niedergelassen hat Insgesamt leben 732 Prozent der im Ausland geborenen Bevoumllkerung in Buenos Aires und der stark urbanisierten Provinz Buenos Aires Damit sind 135

Abbildung 3 Anteil der im Ausland geborenen (foreign born) Bevoumllkerung an der Gesamtbevoumllke- rung Argentiniens 1869-2010

Quelle INDEC [Nationales Statistikinstitut] Volkszaumlhlungen 1869 bis 2010

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Prozent der Einwohner der Stadt Buenos Aires im Ausland Geborene waumlhrend ihr Anteil an der Bevoumllkerung der pe-ripheren Provinz Santiago del Estero im Nordwesten des Landes gerade einmal 03 Prozent betraumlgt Etwa ein Drit-tel der im Ausland geborenen Bevoumllkerung Argentiniens ist zwischen 2001 und 2010 eingewandert was deutlich macht dass Einwanderung fuumlr das Land weiterhin relevant ist (vgl Abbildung 4)

Argentinier im Ausland

Die Krise 2001 und ihre Konsequenzen - Argentinien als Auswanderungsland

Im Jahr 2001 sah sich Argentinien mit einer Finanzkrise konfrontiert die im darauffolgenden Jahr in einer Abwer-tung der nationalen Waumlhrung um 300 Prozent und inner-halb weniger Wochen in den Zusammenbruch des Ban-kensystems muumlndete - mit verheerenden Konsequenzen Die Arbeitslosigkeit stieg auf 20 Prozent und die Unterbe-schaumlftigung auf 17 Prozent 42 Prozent der Bevoumllkerung lebten unterhalb der Armutsgrenze und 27 Prozent sogar in extremer Armut

Die wirtschaftliche politische und soziale Krise fuumlhrte zu einem grundlegenden Wandel der Migrationsmuster Im folgenden Jahrzehnt erlebte das Land zum ersten Mal in seiner Geschichte eine groszlige und anhaltende Abwande-rungswelle (vgl Abbildung 5) insbesondere von jungen und qualifizierten Argentiniern die sich im Ausland eine bessere Zukunft erhofften Schaumltzungen zufolge lebten 2010 rund eine Million Argentinier auszligerhalb des Landes wobei Spanien 30 Prozent und die USA 23 Prozent auf-genommen hatten und damit die Hauptziellaumlnder bildeten (vgl Abbildung 6)21

Spanien und andere Hauptziellaumlnder

Bis vor einigen Jahren lebte die groumlszligte Gruppe argentini-scher Auswanderer in den USA Die Zahl der Neuzuwan-derer aus Argentinien erreichte mit 35210 Personen im Jahr 2002 einen Houmlhepunkt und zeigte einen deutlichen Anstieg gegenuumlber 2000 als 6670 Argentinier in die USA einwanderten22 Seit der Finanzkrise in Argentinien 2001 entwickelte sich Spanien jedoch allmaumlhlich zum Hauptziel-land argentinischer Auswanderer (vgl Abbildung 6)

Spanien hatte argentinische Migranten aufgrund der kulturellen und sprachlichen Naumlhe bereits seit Mitte des 20 Jahrhunderts angezogen Dieser Prozess beschleunig-te sich mit der bemerkenswerten Verbesserung der makro-oumlkonomischen Situation Spaniens nach seinem Beitritt zur Europaumlischen Union im Jahr 1986 Daruumlber hinaus hatte vor 2001 auch die Zwangsauswanderung von tausenden Argentiniern waumlhrend der Militaumlrdiktatur von 1976 bis 1983 zur wachsenden Zahl in Spanien lebender argentinischer Staatsangehoumlriger beigetragen Viele Fluumlchtlinge waumlhlten Spanien (neben Mexiko und den USA) als Zufluchtsort was dazu fuumlhrte dass Argentinier bis in die 1990er Jahre hinein die groumlszligte Gruppe lateinamerikanischer Einwan-derer in Spanien stellten wobei hoch ausgebildete und

Abbildung 4 Im Ausland geborene (foreign born) Bevoumllkerung Argentiniens 2010 - Herkunftslaumlnder absolute Zahlen und prozentualer Anteil

Herkunftsland Zahl der Einwanderer

Paraguay 550713

Bolivien 345272

Chile 191147

Peru 157514

Uruguay 116592

Brasilien 41330

Andere nord- und suumldame-rikanische Laumlnder

68831

Italien 147499

Spanien 94030

Andere europaumlische Laumlnder 57865

China 8929

Andere asiatische Laumlnder 22072

Afrika und Ozeanien 4163

Gesamt 1805957

Quelle INDEC [Nationales Statistikinstitut] Censo Nacional de Poblacioacuten Hogares y Viviendas 2010

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technisch qualifizierte Personen unter den argentinischen Zuwanderern uumlberwogen23

Die Zahl der in Spanien lebenden Argentinier stieg deut-lich an von 119000 Personen 2001 auf 291700 Personen 2009 wobei allein im Jahr 2002 35405 Argentinier in Spa-nien einwanderten Seit 2009 ist ihre Zahl leicht und konti-nuierlich gesunken da viele Argentinier Spanien seit dem Ausbruch der Finanzkrise in Suumldeuropa und angesichts der boomenden Wirtschaftssituation in Lateinamerika wieder verlassen haben Dennoch bildeten argentinische Staatsangehoumlrige 2011 mit 279300 Personen immer noch die sechstgroumlszligte Gruppe der im Ausland geborenen Be-voumllkerung hinter Rumaumlnen Marokkanern Ecuadorianern Briten und Kolumbianern24

Ein weiteres wichtiges Zielland argentinischer Auswan-derer wurde Israel Schaumltzungen zufolge wanderten zwi-schen 2000 und 2006 11200 Argentinier in dieses Land ein wobei zwischen 15 und 20 Prozent spaumlter wieder nach Argentinien zuruumlckkehrten 2002 kurz nach dem Ausbruch der Krise in Argentinien wanderten 5900 Argentinier nach Israel ein diese Zuwanderungszahl wurde in jenem Jahr

nur von Migranten aus der ehemaligen UdSSR uumlberschrit-ten Obwohl sich die argentinische Migration in den letzten Jahren verlangsamt hat zaumlhlt Argentinien immer noch zu den Hauptherkunftslaumlndern von Migranten in Israel (Platz 6 im Jahr 2012)25 Eine der Konsequenzen ist die zuneh-mende Verkleinerung der juumldischen Gemeinschaft in Ar-gentinien Erreichte die Zahl argentinischer Juden in den fruumlhen 1960er Jahren mit uumlber 300000 Personen ihren Houmlhepunkt so ist sie in den vergangenen Jahren auf unter 200000 gesunken26 Neben der schwierigen wirtschaftli-chen Ausgangslage in Argentinien spielt die aktive Anwer-bung Argentinischer Juden durch den israelischen Staat meistens uumlber juumldische Kulturinstitutionen in Argentinien vermittelt eine entscheidende Rolle fuumlr die Ausreisemo-tivationen

Oftmals - und dies gilt insbesondere fuumlr die groszlige Zahl der Argentinier mit spanischen und italienischen Wurzeln - vereinfachten die spezifischen Einbuumlrgerungsgesetze der Ziellaumlnder die in unterschiedlichem Ausmaszlig das elterliche ius sanguinis (Kinder erben die Staatsangehoumlrigkeit der Eltern) zugrunde legten den Zugang zur Staatsbuumlrger-schaft eines europaumlischen Landes Damit ist dann auch die Freizuumlgigkeit innerhalb der Europaumlischen Union ver-bunden (siehe Kasten 5)

Fuumlr viele insbesondere junge Argentinier ist der Er-werb der Staatsangehoumlrigkeit eines europaumlischen Landes zu einer wichtigen Strategie geworden um einer teils per-spektivlosen Situation zu entkommen Oftmals koumlnnen sie die Staatsangehoumlrigkeit uumlber die Konsulate in Argentinien erwerben ohne das Land verlassen zu muumlssen Die Re-form des spanischen Staatsangehoumlrigkeitsrechts im Jahr 2007 die den Zugang zur spanischen Staatsangehoumlrig-keit fuumlr Nachkommen von Fluumlchtlingen des Spanischen Buumlrgerkrieges erleichterte und als Gesetz der Enkelkin-der (rsaquoLey de nietoslsaquo) bezeichnet wurde kam auch vielen spanischstaumlmmigen Argentiniern zugute27 2009 waren 45 Prozent (bzw 132000) der 291700 argentinischstaumlmmi-gen Einwohner Spaniens nicht im Besitz der spanischen Staatsbuumlrgerschaft28

Ruumlckkehrmigration

Die starke Erholung der argentinischen Wirtschaft seit 2003 insbesondere aber die Auswirkungen der Wirtschaftskri-se in Suumldeuropa seit 2007 haben eine neue Phase der Migration eingeleitet Viele Argentinier die ihr Land in den Jahrzehnten davor verlassen hatten entschlossen sich nun nach Argentini-en zuruumlckzukehren In einigen Faumlllen vor allem in Spanien wurde die Ruumlck-kehr ins Herkunftsland durch staatliche Programme finanziell gefoumlrdert Zwi-schen 2013 und 2014 sank die Zahl der in Spanien lebenden Argentinier ohne spanischen Pass von 95415 auf 80910 Personen Gleichzeitig ist die Auswan-derung spanischer Staatsangehoumlriger

Abbildung 5 Argentinische Einwanderung in OECD- Laumlnder 2001-2010

Quelle OAS (2012)

Abbildung 6 Im Ausland lebende Argentinier 2010

Quelle Organizacioacuten Internacional para las Migraciones (OIM) (2012)

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nach Argentinien von 2182 Personen 2012 auf 2682 Per-sonen 2013 gestiegen29 Argentinien hat mit zahlreichen lateinamerikanischen Staaten und Spanien verschiedene Abkommen unterzeichnet die die Uumlbertragung von erwor-benen Sozialleistungsanspruumlchen ohne grundlegende Ver-luste fuumlr Arbeitsmigranten ermoumlglichen sollen

Veraumlnderungen der Einwanderungs- und Regularisierungsgesetzgebung

Militaumlrherrschaft und Einwanderung

Seit dem Ruumlckgang der europaumlischen Einwanderung der zunehmenden Zahl an Migranten aus umliegenden Laumln-dern und der Bedeutung der Dynamik interner Migration seit dem Zweiten Weltkrieg hat Argentinien grundlegende Veraumlnderungen dahingehend durchlaufen wie Einwande-rung konzipiert und rechtlich gerahmt wird Uumlber Jahrzehn-te hingen die gesetzlichen Bestimmungen und Wahrneh-mungen der Einwanderungspolitik stark vom politischen Programm der jeweiligen machthabenden Regierung ab Waumlhrend der verschiedenen Militaumlrdiktaturen zwischen 1955 und 1983 herrschte ein restriktiverer Ansatz vor als unter zivilen Regierungen beispielsweise in den Jahren 1963 bis 1966 und 1973 bis 1976

Die grundlegendste Reform erfolgte 1981 als die Mili-taumlrjunta das rsaquoGenerelle Gesetz zur Migration und Foumlrde-rung von Einwanderunglsaquo erlieszlig Dieses wurde auch als Videla-Gesetz bezeichnet (benannt nach dem General und de facto Staatsoberhaupt von 1976 bis 1981 Jorge Rafa-el Videla) und hob das Avellaneda-Gesetz aus dem Jahr 1876 auf Auch wenn das Videla-Gesetz weiterhin die eu-ropaumlische Einwanderung befuumlrwortete insbesondere zum Zwecke der Besiedlung und des Bevoumllkerungswachstums enthielt es viele repressive Bestimmungen zur illegalen Einwanderung die sich implizit gegen Neuankoumlmmlinge aus benachbarten Staaten richteten Das Gesetz verbot es undokumentierten Auslaumlndern ausdruumlcklich einer be-zahlten Arbeit nachzugehen schloss sie vom Zugang zum Gesundheits- und Bildungssystem aus und verpflichtete Beamte dazu den Behoumlrden jegliche irregulaumlre Situation zu melden Die Einwanderungspolitik wurde folglich fast ausschlieszliglich zur Aufgabe der Sicherheitsbehoumlrden was in der Doktrin zur rsaquoNationalen Sicherheitlsaquo zum Ausdruck

kam30 Es wurde fuumlr Einwanderer so zunehmend schwe-rer einen legalen Aufenthaltstitel zu erhalten sie waren in einer Situation der Verwundbarkeit und Irregularitaumlt ge-fangen

Nach der Ruumlckkehr zur Demokratie 1984 folgten die ver-fassungskonformen Regierungen einem offeneren Ansatz der auch verschiedene Amnestie-Programme fuumlr Migran-ten enthielt die sich illegal im Land aufhielten Dennoch blieb der breitere gesetzliche Rahmen der Militaumlrjunta bis 2004 in Kraft Daraus entwickelte sich eine widerspruumlchli-che gesetzliche und faktische Praxis Beispielsweise wur-de Einwanderern einerseits das Recht zur Teilnahme an Wahlen auf kommunaler Ebene und auch in den meisten Provinzwahlen gewaumlhrt gleichzeitig aber die Moumlglichkei-ten einer regulaumlren Arbeit nachzugehen eingeschraumlnkt die jedoch Voraussetzung fuumlr den Erwerb einer Niederlas-sungserlaubnis war

Neue Ansaumltze

Nachdem die Einwanderungspolitik seit der Diktatur uumlber Jahre hinweg unveraumlndert einen auslaumlnderfeindlichen und implizit rassistischen Ansatz verfolgt hatte haben in den letzten zehn Jahren grundlegende Reformen stattgefun-den die neue Grundprinzipien der Einwanderungspolitik einfuumlhrten

Die offenen oder versteckten rassistischen Einstellun-gen und Diskriminierungen gegenuumlber afrikanischen und lateinamerikanischen Einwanderern die sowohl in der Oumlf-fentlichkeit als auch im privaten Bereich im institutionellen Kontext als auch alltaumlglichen Begegnungen stattfinden stehen in starkem Kontrast zu den neueren Entwicklungen im Bereich sozialer Rechte einschlieszliglich derer von Mig-ranten Obwohl es in Argentinien bereits seit 1988 ein Anti-Diskriminierungsgesetz gibt wurden erst unter den Re-gierungen von zunaumlchst Neacutestor Kirchner (2003-2007) und spaumlter seiner Frau Cristina Fernaacutendez de Kirchner (2007 bis heute 2015) die sozialen Rechte deutlich gestaumlrkt Die betraumlchtlichen Reformen in Bezug auf die Rechte von Einwanderern wurden dabei in der Oumlffentlichkeit weniger wahrgenommen als die sichtbaren Reformen und Ansaumltze wie etwa die Einfuumlhrung von gleichen Rechten fuumlr gleich-geschlechtliche Partnerschaften die offensive Verfolgung von Straftaumltern der letzten Militaumlrdiktatur und die deutliche Ausweitung von sozialen Rechten im Bereich des Wohl-fahrts- und Bildungssystems inklusive effektiver Umvertei-lungspolitik Die neue Einwanderungspolitik die auf dem Ansatz der Gewaumlhrung von Rechten beruht hat einerseits zur Legalisierung des Aufenthaltsstatus von Neuzuwan-derern gefuumlhrt Andererseits profitieren davon aber auch besonders schutzbeduumlrftige Fluumlchtlinge Wirtschaftsda-ten legen daruumlber hinaus nahe dass dieser Politikansatz der Kirchner-Regierungen positive Auswirkungen auf das juumlngste wirtschaftliche Wachstum des Landes hatte das zwischen 2003 und 2012 durchschnittlich 72 Prozent be-trug

Erste Schritte zu einer vereinfachten Regularisierung des Aufenthaltsstatus wurden 2002 mit dem rsaquoRegionalen Abkommen fuumlr Staatsbuumlrger der Mitgliedstaaten des Ge-

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Kasten 5 Europaumlischer Staatsbuumlrger werden

Ein Blick auf den Erwerb der italienischen Staatsbuumlr-gerschaft durch argentinische Staatsangehoumlrige zeigt in den Jahren nach 2001 eine deutliche Zunahme Waumlhrend 2001 316 Argentinier die italienische Staats-buumlrgerschaft erhielten waren es 2006 2569 Personen In Spanien zeigt sich der Anstieg sogar noch deutlicher Die Zahl der Argentinier die die spanische Staatsan-gehoumlrigkeit erwarben stieg von 791 im Jahr 2001 auf 6395 in 2010

meinsamen Marktes Suumldamerikaslsaquo (MECOSUR dh Ar-gentinien Brasilien Uruguay und Paraguay) und den as-soziierten Staaten (Bolivien und Chile) gemacht Demnach haben Staatsangehoumlrige der genannten Laumlnder das Recht in jedem anderen Mitglieds- oder assoziierten Land zu le-ben und zu arbeiten und sind mit den jeweiligen Staats-angehoumlrigen gleichberechtigt Ein Wendepunkt wurde mit der Verabschiedung des Gesetzes Nr 25871 im Jahr 2004 erreicht das viele der Grundprinzipien der UN-Wan-derarbeitnehmerkonvention von 1990 beinhaltet Bei der Vorbereitung des Gesetzes kooperierte die argentinische Regierung mit einer Beratungskommission aus Vertretern von verschiedenen Menschenrechts- und Expertenorgani-sationen von denen viele im Umkreis der Vereinten Na-tionen angesiedelt waren wie die Internationale Organi-sation fuumlr Migration und der Hohe Fluumlchtlingskommissar der Vereinten Nationen (UNHCR) Innerhalb des Rahmens zur regionalen Integration etabliert das Gesetz drei Aufent-haltskategorien dauerhaft temporaumlr und vorruumlbergehend Die allgemeinen Prinzipien des Gesetzes formulieren ein ehrgeiziges Programm Neben dem expliziten Wunsch Einwanderer sozio-kulturell in die argentinische Gesell-schaft zu integrieren einschlieszliglich der gleichberechtigten Partizipation von Migranten am Arbeitsmarkt verpflichtet der Gesetzestext den Staat dazu das Menschenrecht auf Migration anzuerkennen Dieses sieht den Grundsatz zur Gleichbehandlung von Migranten und Einheimischen vor dem Gesetz vor garantiert das Recht auf Familienzusam-menfuumlhrung und Zugang zum Gesundheits- und Bildungs-system sowie zu Sozialleistungen fuumlr Auslaumlnder unab-haumlngig von ihrem Migrationsstatus Daruumlber hinaus betont das Gesetz die Rechte von im Ausland lebenden argenti-nischen Staatsangehoumlrigen und foumlrdert deren Ruumlckkehr-migration

Das Gesetz wurde von einer groszligen Medienkampagne begleitet die Einwanderer informierte und dazu ermutigte ihren Aufenthaltsstatus regularisieren zu lassen Zudem wurde ein weitreichendes Regularisierungsprogramm mit dem Namen rsaquoPatria Grandelsaquo (Groszliges Heimatland) auf-gelegt das zwischen 2006 und 2010 die Regularisierung von 650000 Migranten aus MERCOSUR-Mitgliedslaumlndern vereinfachte Insgesamt wurden im Rahmen des Patria Grande-Programms und anderen Regularisierungsmoumlg-lichkeiten zwischen 2004 und 2011 1688106 Antraumlge auf einen legalen Aufenthaltsstatus gestellt Das Regularisie-rungsprogramm garantierte das Recht sich im Land auf-zuhalten aber auch Argentinien zu verlassen und wieder einzureisen ebenso wie das Recht zu studieren und eine Arbeitserlaubnis zu erhalten Es bildete den ersten Schritt zum Erwerb einer dauerhaften Aufenthaltsgenehmigung Urspruumlnglich wurde das Patria Grande-Programm als ein administratives Instrument zur Legalisierung des Aufent-haltsstatus von Migranten konzipiert Es entwickelte sich allerdings zu einem zentralen Instrument des Staates eine neue Vision von Zugehoumlrigkeit und der Partizipation von Migranten an der Nation zu artikulieren

Weitere Instrumente die mit der neuen nationalen Mig-rationsgesetzgebung und dem Regularisierungsprogramm in Zusammenhang stehen umfassten das rsaquoNationale Insti-

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tut gegen Diskriminierung Auslaumlnderfeindlichkeit und Ras-sismuslsaquo eine dreigliedrige Kommission zu Gender-Fragen und Gleichstellung auf dem Arbeitsmarkt sowie ein Natio-nales Bildungsgesetz (Nr 26206) das den Zugang von undokumentierten Migranten zum Grund- und weiterfuumlh-renden Schulsystem sowie zur Universitaumlt garantieren soll

Die Reformen der vergangenen Jahre hatten zur Folge dass die Kategorie des rsaquoillegalen Einwandererslsaquo nahezu verschwunden ist Der Erfolg von Programmen wie Pat-ria Grande und anderen nicht-MERCOSUR Regularisie-rungsmaszlignahmen sicherte hunderttausenden in Argentini-en lebenden Auslaumlndern einen legalen Aufenthaltsstatus Daten zur irregulaumlren Migration in Argentinien waren im-mer schon rar und die Regierung selbst verfuumlgt nicht uumlber praumlzise Statistiken Dennoch wurde die Zahl der undoku-mentierten Bevoumllkerung vor der Einfuumlhrung der juumlngsten Regularisierungskampagnen auf 750000 bis eine Million Menschen geschaumltzt31

Staatsbuumlrgerschaft

Erwachsene Einwanderer haben die Moumlglichkeit die ar-gentinische Staatsbuumlrgerschaft fuumlr sich und ihre Familie zu beantragen Im Ausland geborene Personen die eine ge-wisse Zeit in Argentinien gelebt haben und bestimmte Vor-aussetzungen erfuumlllen koumlnnen die argentinische Staatsan-gehoumlrigkeit erwerben Die Regularien dazu finden sich in der Verfassung des Landes die das Territorialprinzip (jus soli) festschreibt und wurden 2004 uumlberarbeitet Neben der Modernisierung des Einbuumlrgerungsverfahrens diente die Reform von 2004 hauptsaumlchlich dazu Restriktionen zu beseitigen die waumlhrend der Herrschaft der Militaumlrjunta (1976-1983) eingefuumlhrt worden waren wie beispielsweise die Voraussetzung nicht nur muumlndliche und schriftliche Spanischkenntnisse sowie Grundkenntnisse der Verfas-sung Argentiniens vorweisen zu muumlssen sondern insbe-sondere auch ein legales Arbeitsverhaumlltnis nachzuweisen

Es gibt verschiedene Moumlglichkeiten die argentinische Staatsbuumlrgerschaft zu erlangen Neben dem Territorial-recht bei Geburt auf argentinischem Boden haben Er-wachsene uumlber 18 Jahre auch die Moumlglichkeit nach zwei Jahren rechtmaumlszligigen Aufenthalts im Land die Einbuumlrge-rung zu beantragen Die Rechtmaumlszligigkeit ihres Aufenthalts muss von der nationalen Einwanderungsbehoumlrde bestaumltigt werden Es gelten einige Restriktionen So muumlssen Be-werber um die Staatsbuumlrgerschaft straffrei sein und ihren Lebensunterhalt unabhaumlngig von Zuwendungen aus dem Sozialsystem bestreiten koumlnnen sie muumlssen aber nicht mehr nachweisen dass sie in einem legalen Arbeitsver-haumlltnis stehen Daneben eroumlffnen auch die Ehe mit einem argentinischen Staatsangehoumlrigen oder der Nachweis El-ternteil eines Kindes zu sein das die argentinische Staats-angehoumlrigkeit besitzt die Moumlglichkeit eine Einbuumlrgerung zu beantragen

Der Besitz einer doppelten Staatsbuumlrgerschaft ist ein weit verbreitetes Phaumlnomen in Argentinien das allerdings auf Laumlnder beschraumlnkt ist mit denen Argentinien ein bi-laterales Abkommen unterhaumllt wie zB Spanien Italien

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und Chile Argentinier mit doppelter Staatsbuumlrgerschaft davon einer europaumlischen koumlnnen die politischen Pro-zesse in Europa beeinflussen In Argentinien wohnhafte Inhaber eines italienischen Passes beteiligten sich stark (569 Prozent) an den landesweiten Wahlen zum Abgeord-netenhaus in Italien im Jahr 2008 und beeinflussten so das Wahlergebnis32

Flucht und Asyl - Fluumlchtlingspolitik

1961 hat Argentinien die Genfer Fluumlchtlingskonvention un-terzeichnet spaumlter auch das dazugehoumlrige Protokoll von 1967 Obwohl das Land bereits seit vielen Jahrzehnten Fluumlchtlinge aufnimmt gibt es erst seit 2006 ein echtes Ge-setz zur Anerkennung und zum Schutz von Fluumlchtlingen (rsaquoLey General de Reconocimiento y Proteccioacuten al Refugia-do Ley 26165lsaquo) Dieses Gesetz nahm auch die Erklaumlrung von Cartagena aus dem Jahr 1984 auf die die Fluumlchtlings-definition des Hohen Fluumlchtlingskommissars der Vereinten Nationen (UNHCR) erweiterte indem sie sie auch auf Per-sonen bezog die vor Krieg und Unruhen fliehen

2003 initiierte Argentinien einen Prozess zur Unter-zeichnung aller noch ausstehenden internationalen Men-schenrechtsabkommen Das Land begann im Zuge sei-nes menschenrechtsbasierten Politikansatzes damit das Fluumlchtlingswesen und damit in Verbindung stehende Ins-titutionen aufzubauen In Erinnerung an die traumatische Erfahrung tausender argentinischer Auswanderer und Fluumlchtlinge waumlhrend der letzten Militaumlrdiktatur (1976-1983) verabschiedete Argentinien Gesetze die den Fluumlchtlings-schutz anhoben und trat 2005 an die Seite anderer latein-amerikanischer Staaten in ihrem gemeinsamen Bestreben Fluumlchtlinge umzusiedeln (Resettlement) Zusammen mit dem bereits erwaumlhnten Gesetz zur Anerkennung und zum Schutz von Fluumlchtlingen (No 26165) wurde im Jahr 2009 ein Nationaler Fluumlchtlingsrat (CONARE) eingerichtet der das Innen- Auszligen- Justiz- und Sozialministerium und an-dere Einrichtungen einbezieht uumlber die Zuerkennung ei-nes Fluumlchtlingsstatus entscheidet und sich fuumlr die Rechte von Fluumlchtlingen einsetzt Heute haben Asylsuchende und anerkannte Fluumlchtlinge in Argentinien das Recht auf Doku-mente die ihren Aufenthaltsstatus nachweisen sie duumlrfen arbeiten und haben Zugang zur Grundversorgung Zudem haben Fluumlchtlinge und Asylsuchende dieselben Rechte wie andere im Land lebende Auslaumlnder sie duumlrfen sich im Land frei bewegen haben Zugang zu Bildung zur Gesundheits-versorgung und zur Justiz und genieszligen Religionsfreiheit

Seitdem das Land 1985 damit begonnen hat Fluumlchtlin-ge anzuerkennen sind in Argentinien etwa 13000 Antraumlge von Asylsuchenden aus uumlber 46 Herkunftslaumlndern einge-gangen In 3200 Faumlllen wurde Asyl gewaumlhrt Zwischen 2006 und 2010 kamen die meisten Asylsuchenden aus dem Senegal (ca 769 Personen) Kolumbien (665) und der Dominikanischen Republik (547) Eine weitere Grup-pe die von dem neuen Fluumlchtlingsgesetz profitierte waren Staatsangehoumlrige Haitis die nach dem verheerenden Erd-beben 2010 in Argentinien Schutz gefunden haben33 Im Januar 2014 registrierte der UNHCR 3362 in Argentinien

lebende anerkannte Fluumlchtlinge und 916 Asylsuchende 2013 waren in Argentinien 614 Asylantraumlge gestellt wor-den

Herausforderungen und Ausblick

Das Migrationsgesetz von 2004 markiert einen Wende-punkt in der juumlngeren Geschichte Argentiniens indem es Gesetze aufhob die sich seit der letzten Diktatur nicht grundlegend veraumlndert hatten Es markiert den Uumlbergang von einer restriktiven Politik zu einem realistischen of-fenen Einwanderungskonzept dessen Implementierung immer noch mit deutlichem Widerstand vonseiten der staatlichen Verwaltung und einiger Teile der Gesellschaft konfrontiert ist34 Das Gesetz erkennt die Leistungen von Migration fuumlr das Land ausdruumlcklich an und druumlckt den Be-darf nach oumlffentlichen Politiken aus um die volle Integrati-on der Einwanderer zu realisieren In diesem Sinne positi-oniert die neue argentinische Migrationsgesetzgebung das Land in einem auf Rechten basierenden Migrationsregime Das trifft auch auf das Engagement des Landes fuumlr Fluumlcht-linge zu Argentinien nahm 2012 und 2013 300 syrische Familien auf

Vor dem Hintergrund restriktiver Zuwanderungspolitiken in den USA und Europa in Kombination mit der groszligzuumlgi-gen argentinischen Gesetzgebung ist es sehr wahrschein-lich dass Einwanderung das Land auch in den kommen-den Jahren weiter praumlgen wird Dies gilt insbesondere fuumlr die Einwanderung aus den Nachbarlaumlndern Besonders diejenigen Einwanderergemeinden die sich bereits in Ar-gentinien etabliert haben werden voraussichtlich weiter wachsen Aber auch die Ruumlckkehr von Argentiniern aus Suumldeuropa ist sehr wahrscheinlich da die Hauptziellaumlnder argentinischer Auswanderer die sich seit 2001 herausge-bildet haben weiterhin unter groszligem finanzpolitischen wirtschaftlichen und sozialen Druck stehen

Wie Argentinien auf zukuumlnftige Migrationsbewegungen reagieren wird haumlngt von zwei grundlegenden Entwicklun-gen ab Dazu zaumlhlt zum einen die politische Situation im Land Die Regierungen Kirchner hatten mehr als zehn Jah-re Zeit den rechtebasierten Ansatz in der nationalen Poli-tik durchzusetzen in Abstimmung mit dem Vorhaben einer staumlrkeren regionalen Integration Das Land teilt aumlhnliche politische Ansaumltze mit benachbarten Laumlndern insbeson-dere Brasilien und Bolivien was die Steuerung regionaler Migration und die Regularisierung des Aufenthaltsstatus von Einwanderern vereinfacht hat Zukuumlnftige argentini-sche Regierungen koumlnnten sicherlich einen restriktiveren Kurs in Fragen der Einwanderung und Regularisierung ein-schlagen um einer konservativeren und am rechten Rand orientierten Waumlhlerschaft gerecht zu werden

Zum anderen hat das hohe Wirtschaftswachstum seit 2003 Argentinien erneut zu einem attraktiven Zielland fuumlr Einwanderer gemacht Seit 2012 steckt allerdings das nach der Krise 2001 etablierte post-neoliberale Wirtschaftsmo-dell das auf einem starken Staat dominanten Export-wirtschaftssektoren und einer relativen Unabhaumlngigkeit von internationalen Kreditmaumlrkten basiert in ernsthaften

Schwierigkeiten Dies betrifft nicht nur Argentinien son-dern die gesamte Region Sollte sich diese Entwicklung fortsetzen erscheint es moumlglich dass der interne Druck die Einwanderung zu reduzieren waumlchst und die offene Migrationspolitik die in den letzten zehn Jahren erfolg-reich eingefuumlhrt worden ist wieder zuruumlckgenommen wird

Ein optimistisches Resuumlmee der letzten zehn Jahre er-laubt die Sichtweise dass sich ein neues Paradigma im Hinblick auf die Konzeptualisierung nationaler Identitaumlt herausbildet Weg vom Prinzip der nationalen Souveraumlni-taumlt und Selbstbestimmung hin zu einem Konzept das die Verantwortung des Staates gegenuumlber seinen Buumlrgern im Rahmen von internationalen und regionalen Menschen-rechtskonventionen betont und die Vorstellungen von Zu-gehoumlrigkeit und Staatsbuumlrgerschaft ausweitet indem es sich von assimilationistischen Diskursen (siehe Kasten 4) abwendet und stattdessen den Ansatz kultureller Plurali-taumlt beim Entwurf oumlffentlicher Politik verfolgt35 Dennoch ist es zu fruumlh um abwaumlgen zu koumlnnen ob diese Entwicklung auch Auswirkungen auf die Kultur der Fremdenfeindlich-keit und Gefuumlhle von Uumlberlegenheit gegenuumlber lateiname-rikanischen Einwanderern hat die von vielen Argentiniern in ihrer Selbstauffassung als rsaquoweiszlige Gesellschaftlsaquo geteilt werden Dies erscheint angesichts der aktuellen schwer-wiegenden wirtschaftlichen und sozialen Probleme im Land die das nationale Projekt der Kirchner Regierung unter groszligen Druck setzen noch schwieriger zu sein

Anmerkungen

1 Martiacutenez Shaw (1994)2 Andrews (1980)3 Castro (1991)4 Rock (2002)5 Trinchero (2006)6 Devoto (2009)7 Corteacutes Conde (2009)8 Williamson (1999)9 Williamson (1994)

10 Nugent (1995)11 Rein (2010)12 Nugent (1995)13 Biernat (2007)14 Devoto (2009)15 Benencia (2009)16 OAS (2012)17 Bologna (2010)18 Bastiavom Hau (2013) 19 Zubrzycki (2012)20 Andrews (1980)21 Organizacioacuten Internacional para las Migraciones (OIM) (2012)22 OECD (2009)23 Ginieniewicz (2012) EstebanActis (2012)24 Hierro (2013)25 OECD (2013)26 BrodskyRein (2013)27 Martiacuten-Peacuterez (2012)28 OECD (2013)29 Instituto Nacional de Estadiacutestica (Spanien) (2014)

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30 Novick (2012)31 Hines (2010) 32 Tintori (2011)33 Cavaleri (2012)34 Baladroacuten et al (2013)35 Domenech (2007)

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Zentrum fuumlr lateinamerikanische Migrationsstudien [Cen-tro de Estudios Migratorios Latinoamericanos (CEMLA)] httpcemlacom

Herausgeber Institut fuumlr Migrationsforschung und Interkulturelle Studien (IMIS) der Universitaumlt Osnabruumlck Neuer Graben 1921 49069 Osnabruumlck Tel +49(0)541 969 4384 Fax +49 (0)541 969 4380 E-Mail imisuni-osnabrueckde

Bundeszentrale fuumlr politische Bildung (bpb) Adenauerallee 86 53113 Bonn unter Mitwirkung des Netzwerks Migration in Europa eV Redaktion Dr Marcel Berlinghoff Vera Hanewinkel Apl Prof Dr Jochen Oltmer (verantw) Uumlbersetzung ins Deutsche Vera Hanewinkel

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IMPRESSUM

Der Autor

Thomas Maier ist Doktorand am Institut fuumlr Amerikastudi-en (Institute of the Americas) das Teil des University Col-lege London und damit der Universitaumlt London ist Sein Forschungsschwerpunkt ist die Geschichte von Arbeit und Wohlfahrtsstaat in den Amerikas insbesondere in Argenti-nien und auf dem Suumldkegel Lateinamerikas

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Viele dieser Einwanderer arbeiten in Sektoren in denen niedrige Loumlhne gezahlt werden und die Arbeitsbedingun-gen prekaumlr sind wie im Baugewerbe Haushaltsdienstleis-tungssektor oder in der Fertigungsindustrie aber auch in der Landwirtschaft der Bekleidungsindustrie Gemuumlse-laumlden in Staumldten oder andere Bereichen des Handels In diesen Segmenten des Arbeitsmarkts hat vor allem die bolivianische Community erfolgreich ethnische Struktu-ren - sowohl formeller als auch informeller Art - aufgebaut die tausenden Bolivianern zu einem Arbeitsplatz verhelfen und Orte der Geselligkeit und des Miteinanders schaffen17

Bolivianer die in Argentinien leben tragen erheblich zur Wirtschaft ihres Herkunftslandes bei Studien der Internati-onalen Organisation fuumlr Migration schaumltzen dass sich ihre Ruumlckuumlberweisungen an Familienmitglieder allein 2012 auf 301 Millionen US-Dollar beliefen

Diese rsaquoNeue Migrationlsaquo die tatsaumlchlich aber ein sehr altes Phaumlnomen ist nur eben von der Dominanz der transatlantischen Migrationsbewegungen verdeckt wurde stellte neue Herausforderungen fuumlr das Projekt der natio-nalen Identitaumlt und des inter-ethnischen Zusammenhalts dar Die dominante und populaumlre Vorstellung dass die argentinische Nation aus rsaquoSoumlhnen der Bootelsaquo (rsaquohijos de los barcoslsaquo) bestand die sich erfolgreich in das nationale Projekt des Fortschritts integriert hatten lieszlig wenn uumlber-haupt nur einen marginalen Platz fuumlr Einwanderer aus der unmittelbaren Nachbarschaft Argentiniens Zudem sind fremdenfeindliche Einstellungen offene und versteckte Formen von Diskriminierung und Vorstellungen kultureller Uumlberlegenheit im Land sehr weit verbreitet Ein komplexes Zusammenspiel aus Klasse rsaquoRasselsaquo Debatten um Sicher-heit und Kriminalitaumlt sowie kulturelle Andersartigkeit fuumlhrt dazu dass Bolivianer und andere Einwanderer aus Latein-amerika in eine gesellschaftliche Randposition gedraumlngt werden und relativ ausgeschlossen bleiben18

Andere neuere Einwanderungsbewegungen

Ein weiteres Phaumlnomen das als neu gilt ist die zuneh-mende Praumlsenz von (zumeist west-) afrikanischen Arbeits-migranten und Fluumlchtlingen insbesondere Senegalesen Ghanaern und Nigerianern in den groumlszligeren Staumldten des

Landes vor allem in Buenos Aires Das rigide Grenzuumlber-wachungssystem in Europa das im Laufe der letzten Jahr-zehnte entstanden ist das bemerkenswerte Wirtschafts-wachstum in Argentinien und die vergleichsweise offenen Einwanderungspolitiken des Landes haben dazu gefuumlhrt einen Teil der afrikanischen Migration nach Argentinien umzulenken Wie auch andere nicht-europaumlische Migran-ten die in juumlngster Zeit nach Argentinien gekommen sind sehen sich afrikanische Einwanderer Vorurteilen ausge-setzt und haben groszlige Schwierigkeiten eine legale Arbeit zu finden Der Staat und Wohlfahrtseinrichtungen bieten Sprachkurse an stellen temporaumlre und erneuerbare Auf-enthaltsgenehmigungen zur Verfuumlgung und ebenso eine grundlegende Gesundheitsversorgung Das 2010 gegruumln-dete Zentrum fuumlr afrikanische Fluumlchtlinge und Migranten (rsaquoCentro para el Refugiado y Migrante Africanolsaquo) bietet Informationen und Unterstuumltzung fuumlr junge afrikanische Fluumlchtlinge an19

Die afrikanische Migration wird oftmals als neues Phauml-nomen dargestellt Ein Blick in die Vergangenheit zeigt je-doch dass afrikanische Einwanderer in der Region schon lange praumlsent waren Der Zensus von 1810 zeigt dass allein in Buenos Aires das zu der Zeit 32558 Einwoh-ner zaumlhlte 9615 Schwarze lebten Die Mehrzahl dieser schwarzen rsaquoPortentildeoslsaquo - wie die Einwohner von Buenos Aires genannt werden - waren Opfer des transatlantischen Sklavenhandels Der Zensus aus dem Jahr 2010 zeigte dass sich 149493 Einwohner des Landes als Nachkom-men von afrikanischen Einwanderern beschreiben Die Praumlsenz von Afrikanern und Afro-Argentiniern verdeutlicht dass die Migrationsgeschichte Argentiniens vielschichtiger ist als das immer noch dominante Narrativ eines Landes das sich auf europaumlische Einwanderung gruumlndet nahe legt20

Die Einwandererbevoumllkerung

Der juumlngste Zensus aus dem Jahr 2010 belegt dass die Einwanderung aus anderen lateinamerikanischen Laumlndern in den letzten Jahren uumlberwogen hat Mehr als 75 Prozent der in Argentinien lebenden aber im Ausland geborenen Bevoumllkerung stammten aus benachbarten Laumlndern (ein-schlieszliglich Peru) Europaumler folgen mit 16 Prozent Ins-gesamt waren 45 Prozent der Bevoumllkerung des Landes auszligerhalb Argentiniens geboren worden Die groumlszligten Ein-wanderergruppen - in absoluten Zahlen betrachtet - bilden Paraguayer mit 550713 Personen Bolivianer mit 345272 Personen Chilenen mit 191147 Personen und Peruaner mit 157514 Personen

In Argentinien zeigt sich daruumlber hinaus das weltweit zu beobachtende Phaumlnomen der rsaquoFeminisierung der Migrati-onlsaquo Nach Ergebnissen des Zensus von 2010 sind 539 Pro-zent der im Ausland geborenen Bevoumllkerung weiblich in der einheimischen Bevoumllkerung sind es dagegen nur 512 Prozent Die Zensusdaten weisen zudem darauf hin dass sich die Mehrheit der Einwandererbevoumllkerung in Staumldten niedergelassen hat Insgesamt leben 732 Prozent der im Ausland geborenen Bevoumllkerung in Buenos Aires und der stark urbanisierten Provinz Buenos Aires Damit sind 135

Abbildung 3 Anteil der im Ausland geborenen (foreign born) Bevoumllkerung an der Gesamtbevoumllke- rung Argentiniens 1869-2010

Quelle INDEC [Nationales Statistikinstitut] Volkszaumlhlungen 1869 bis 2010

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Prozent der Einwohner der Stadt Buenos Aires im Ausland Geborene waumlhrend ihr Anteil an der Bevoumllkerung der pe-ripheren Provinz Santiago del Estero im Nordwesten des Landes gerade einmal 03 Prozent betraumlgt Etwa ein Drit-tel der im Ausland geborenen Bevoumllkerung Argentiniens ist zwischen 2001 und 2010 eingewandert was deutlich macht dass Einwanderung fuumlr das Land weiterhin relevant ist (vgl Abbildung 4)

Argentinier im Ausland

Die Krise 2001 und ihre Konsequenzen - Argentinien als Auswanderungsland

Im Jahr 2001 sah sich Argentinien mit einer Finanzkrise konfrontiert die im darauffolgenden Jahr in einer Abwer-tung der nationalen Waumlhrung um 300 Prozent und inner-halb weniger Wochen in den Zusammenbruch des Ban-kensystems muumlndete - mit verheerenden Konsequenzen Die Arbeitslosigkeit stieg auf 20 Prozent und die Unterbe-schaumlftigung auf 17 Prozent 42 Prozent der Bevoumllkerung lebten unterhalb der Armutsgrenze und 27 Prozent sogar in extremer Armut

Die wirtschaftliche politische und soziale Krise fuumlhrte zu einem grundlegenden Wandel der Migrationsmuster Im folgenden Jahrzehnt erlebte das Land zum ersten Mal in seiner Geschichte eine groszlige und anhaltende Abwande-rungswelle (vgl Abbildung 5) insbesondere von jungen und qualifizierten Argentiniern die sich im Ausland eine bessere Zukunft erhofften Schaumltzungen zufolge lebten 2010 rund eine Million Argentinier auszligerhalb des Landes wobei Spanien 30 Prozent und die USA 23 Prozent auf-genommen hatten und damit die Hauptziellaumlnder bildeten (vgl Abbildung 6)21

Spanien und andere Hauptziellaumlnder

Bis vor einigen Jahren lebte die groumlszligte Gruppe argentini-scher Auswanderer in den USA Die Zahl der Neuzuwan-derer aus Argentinien erreichte mit 35210 Personen im Jahr 2002 einen Houmlhepunkt und zeigte einen deutlichen Anstieg gegenuumlber 2000 als 6670 Argentinier in die USA einwanderten22 Seit der Finanzkrise in Argentinien 2001 entwickelte sich Spanien jedoch allmaumlhlich zum Hauptziel-land argentinischer Auswanderer (vgl Abbildung 6)

Spanien hatte argentinische Migranten aufgrund der kulturellen und sprachlichen Naumlhe bereits seit Mitte des 20 Jahrhunderts angezogen Dieser Prozess beschleunig-te sich mit der bemerkenswerten Verbesserung der makro-oumlkonomischen Situation Spaniens nach seinem Beitritt zur Europaumlischen Union im Jahr 1986 Daruumlber hinaus hatte vor 2001 auch die Zwangsauswanderung von tausenden Argentiniern waumlhrend der Militaumlrdiktatur von 1976 bis 1983 zur wachsenden Zahl in Spanien lebender argentinischer Staatsangehoumlriger beigetragen Viele Fluumlchtlinge waumlhlten Spanien (neben Mexiko und den USA) als Zufluchtsort was dazu fuumlhrte dass Argentinier bis in die 1990er Jahre hinein die groumlszligte Gruppe lateinamerikanischer Einwan-derer in Spanien stellten wobei hoch ausgebildete und

Abbildung 4 Im Ausland geborene (foreign born) Bevoumllkerung Argentiniens 2010 - Herkunftslaumlnder absolute Zahlen und prozentualer Anteil

Herkunftsland Zahl der Einwanderer

Paraguay 550713

Bolivien 345272

Chile 191147

Peru 157514

Uruguay 116592

Brasilien 41330

Andere nord- und suumldame-rikanische Laumlnder

68831

Italien 147499

Spanien 94030

Andere europaumlische Laumlnder 57865

China 8929

Andere asiatische Laumlnder 22072

Afrika und Ozeanien 4163

Gesamt 1805957

Quelle INDEC [Nationales Statistikinstitut] Censo Nacional de Poblacioacuten Hogares y Viviendas 2010

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technisch qualifizierte Personen unter den argentinischen Zuwanderern uumlberwogen23

Die Zahl der in Spanien lebenden Argentinier stieg deut-lich an von 119000 Personen 2001 auf 291700 Personen 2009 wobei allein im Jahr 2002 35405 Argentinier in Spa-nien einwanderten Seit 2009 ist ihre Zahl leicht und konti-nuierlich gesunken da viele Argentinier Spanien seit dem Ausbruch der Finanzkrise in Suumldeuropa und angesichts der boomenden Wirtschaftssituation in Lateinamerika wieder verlassen haben Dennoch bildeten argentinische Staatsangehoumlrige 2011 mit 279300 Personen immer noch die sechstgroumlszligte Gruppe der im Ausland geborenen Be-voumllkerung hinter Rumaumlnen Marokkanern Ecuadorianern Briten und Kolumbianern24

Ein weiteres wichtiges Zielland argentinischer Auswan-derer wurde Israel Schaumltzungen zufolge wanderten zwi-schen 2000 und 2006 11200 Argentinier in dieses Land ein wobei zwischen 15 und 20 Prozent spaumlter wieder nach Argentinien zuruumlckkehrten 2002 kurz nach dem Ausbruch der Krise in Argentinien wanderten 5900 Argentinier nach Israel ein diese Zuwanderungszahl wurde in jenem Jahr

nur von Migranten aus der ehemaligen UdSSR uumlberschrit-ten Obwohl sich die argentinische Migration in den letzten Jahren verlangsamt hat zaumlhlt Argentinien immer noch zu den Hauptherkunftslaumlndern von Migranten in Israel (Platz 6 im Jahr 2012)25 Eine der Konsequenzen ist die zuneh-mende Verkleinerung der juumldischen Gemeinschaft in Ar-gentinien Erreichte die Zahl argentinischer Juden in den fruumlhen 1960er Jahren mit uumlber 300000 Personen ihren Houmlhepunkt so ist sie in den vergangenen Jahren auf unter 200000 gesunken26 Neben der schwierigen wirtschaftli-chen Ausgangslage in Argentinien spielt die aktive Anwer-bung Argentinischer Juden durch den israelischen Staat meistens uumlber juumldische Kulturinstitutionen in Argentinien vermittelt eine entscheidende Rolle fuumlr die Ausreisemo-tivationen

Oftmals - und dies gilt insbesondere fuumlr die groszlige Zahl der Argentinier mit spanischen und italienischen Wurzeln - vereinfachten die spezifischen Einbuumlrgerungsgesetze der Ziellaumlnder die in unterschiedlichem Ausmaszlig das elterliche ius sanguinis (Kinder erben die Staatsangehoumlrigkeit der Eltern) zugrunde legten den Zugang zur Staatsbuumlrger-schaft eines europaumlischen Landes Damit ist dann auch die Freizuumlgigkeit innerhalb der Europaumlischen Union ver-bunden (siehe Kasten 5)

Fuumlr viele insbesondere junge Argentinier ist der Er-werb der Staatsangehoumlrigkeit eines europaumlischen Landes zu einer wichtigen Strategie geworden um einer teils per-spektivlosen Situation zu entkommen Oftmals koumlnnen sie die Staatsangehoumlrigkeit uumlber die Konsulate in Argentinien erwerben ohne das Land verlassen zu muumlssen Die Re-form des spanischen Staatsangehoumlrigkeitsrechts im Jahr 2007 die den Zugang zur spanischen Staatsangehoumlrig-keit fuumlr Nachkommen von Fluumlchtlingen des Spanischen Buumlrgerkrieges erleichterte und als Gesetz der Enkelkin-der (rsaquoLey de nietoslsaquo) bezeichnet wurde kam auch vielen spanischstaumlmmigen Argentiniern zugute27 2009 waren 45 Prozent (bzw 132000) der 291700 argentinischstaumlmmi-gen Einwohner Spaniens nicht im Besitz der spanischen Staatsbuumlrgerschaft28

Ruumlckkehrmigration

Die starke Erholung der argentinischen Wirtschaft seit 2003 insbesondere aber die Auswirkungen der Wirtschaftskri-se in Suumldeuropa seit 2007 haben eine neue Phase der Migration eingeleitet Viele Argentinier die ihr Land in den Jahrzehnten davor verlassen hatten entschlossen sich nun nach Argentini-en zuruumlckzukehren In einigen Faumlllen vor allem in Spanien wurde die Ruumlck-kehr ins Herkunftsland durch staatliche Programme finanziell gefoumlrdert Zwi-schen 2013 und 2014 sank die Zahl der in Spanien lebenden Argentinier ohne spanischen Pass von 95415 auf 80910 Personen Gleichzeitig ist die Auswan-derung spanischer Staatsangehoumlriger

Abbildung 5 Argentinische Einwanderung in OECD- Laumlnder 2001-2010

Quelle OAS (2012)

Abbildung 6 Im Ausland lebende Argentinier 2010

Quelle Organizacioacuten Internacional para las Migraciones (OIM) (2012)

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nach Argentinien von 2182 Personen 2012 auf 2682 Per-sonen 2013 gestiegen29 Argentinien hat mit zahlreichen lateinamerikanischen Staaten und Spanien verschiedene Abkommen unterzeichnet die die Uumlbertragung von erwor-benen Sozialleistungsanspruumlchen ohne grundlegende Ver-luste fuumlr Arbeitsmigranten ermoumlglichen sollen

Veraumlnderungen der Einwanderungs- und Regularisierungsgesetzgebung

Militaumlrherrschaft und Einwanderung

Seit dem Ruumlckgang der europaumlischen Einwanderung der zunehmenden Zahl an Migranten aus umliegenden Laumln-dern und der Bedeutung der Dynamik interner Migration seit dem Zweiten Weltkrieg hat Argentinien grundlegende Veraumlnderungen dahingehend durchlaufen wie Einwande-rung konzipiert und rechtlich gerahmt wird Uumlber Jahrzehn-te hingen die gesetzlichen Bestimmungen und Wahrneh-mungen der Einwanderungspolitik stark vom politischen Programm der jeweiligen machthabenden Regierung ab Waumlhrend der verschiedenen Militaumlrdiktaturen zwischen 1955 und 1983 herrschte ein restriktiverer Ansatz vor als unter zivilen Regierungen beispielsweise in den Jahren 1963 bis 1966 und 1973 bis 1976

Die grundlegendste Reform erfolgte 1981 als die Mili-taumlrjunta das rsaquoGenerelle Gesetz zur Migration und Foumlrde-rung von Einwanderunglsaquo erlieszlig Dieses wurde auch als Videla-Gesetz bezeichnet (benannt nach dem General und de facto Staatsoberhaupt von 1976 bis 1981 Jorge Rafa-el Videla) und hob das Avellaneda-Gesetz aus dem Jahr 1876 auf Auch wenn das Videla-Gesetz weiterhin die eu-ropaumlische Einwanderung befuumlrwortete insbesondere zum Zwecke der Besiedlung und des Bevoumllkerungswachstums enthielt es viele repressive Bestimmungen zur illegalen Einwanderung die sich implizit gegen Neuankoumlmmlinge aus benachbarten Staaten richteten Das Gesetz verbot es undokumentierten Auslaumlndern ausdruumlcklich einer be-zahlten Arbeit nachzugehen schloss sie vom Zugang zum Gesundheits- und Bildungssystem aus und verpflichtete Beamte dazu den Behoumlrden jegliche irregulaumlre Situation zu melden Die Einwanderungspolitik wurde folglich fast ausschlieszliglich zur Aufgabe der Sicherheitsbehoumlrden was in der Doktrin zur rsaquoNationalen Sicherheitlsaquo zum Ausdruck

kam30 Es wurde fuumlr Einwanderer so zunehmend schwe-rer einen legalen Aufenthaltstitel zu erhalten sie waren in einer Situation der Verwundbarkeit und Irregularitaumlt ge-fangen

Nach der Ruumlckkehr zur Demokratie 1984 folgten die ver-fassungskonformen Regierungen einem offeneren Ansatz der auch verschiedene Amnestie-Programme fuumlr Migran-ten enthielt die sich illegal im Land aufhielten Dennoch blieb der breitere gesetzliche Rahmen der Militaumlrjunta bis 2004 in Kraft Daraus entwickelte sich eine widerspruumlchli-che gesetzliche und faktische Praxis Beispielsweise wur-de Einwanderern einerseits das Recht zur Teilnahme an Wahlen auf kommunaler Ebene und auch in den meisten Provinzwahlen gewaumlhrt gleichzeitig aber die Moumlglichkei-ten einer regulaumlren Arbeit nachzugehen eingeschraumlnkt die jedoch Voraussetzung fuumlr den Erwerb einer Niederlas-sungserlaubnis war

Neue Ansaumltze

Nachdem die Einwanderungspolitik seit der Diktatur uumlber Jahre hinweg unveraumlndert einen auslaumlnderfeindlichen und implizit rassistischen Ansatz verfolgt hatte haben in den letzten zehn Jahren grundlegende Reformen stattgefun-den die neue Grundprinzipien der Einwanderungspolitik einfuumlhrten

Die offenen oder versteckten rassistischen Einstellun-gen und Diskriminierungen gegenuumlber afrikanischen und lateinamerikanischen Einwanderern die sowohl in der Oumlf-fentlichkeit als auch im privaten Bereich im institutionellen Kontext als auch alltaumlglichen Begegnungen stattfinden stehen in starkem Kontrast zu den neueren Entwicklungen im Bereich sozialer Rechte einschlieszliglich derer von Mig-ranten Obwohl es in Argentinien bereits seit 1988 ein Anti-Diskriminierungsgesetz gibt wurden erst unter den Re-gierungen von zunaumlchst Neacutestor Kirchner (2003-2007) und spaumlter seiner Frau Cristina Fernaacutendez de Kirchner (2007 bis heute 2015) die sozialen Rechte deutlich gestaumlrkt Die betraumlchtlichen Reformen in Bezug auf die Rechte von Einwanderern wurden dabei in der Oumlffentlichkeit weniger wahrgenommen als die sichtbaren Reformen und Ansaumltze wie etwa die Einfuumlhrung von gleichen Rechten fuumlr gleich-geschlechtliche Partnerschaften die offensive Verfolgung von Straftaumltern der letzten Militaumlrdiktatur und die deutliche Ausweitung von sozialen Rechten im Bereich des Wohl-fahrts- und Bildungssystems inklusive effektiver Umvertei-lungspolitik Die neue Einwanderungspolitik die auf dem Ansatz der Gewaumlhrung von Rechten beruht hat einerseits zur Legalisierung des Aufenthaltsstatus von Neuzuwan-derern gefuumlhrt Andererseits profitieren davon aber auch besonders schutzbeduumlrftige Fluumlchtlinge Wirtschaftsda-ten legen daruumlber hinaus nahe dass dieser Politikansatz der Kirchner-Regierungen positive Auswirkungen auf das juumlngste wirtschaftliche Wachstum des Landes hatte das zwischen 2003 und 2012 durchschnittlich 72 Prozent be-trug

Erste Schritte zu einer vereinfachten Regularisierung des Aufenthaltsstatus wurden 2002 mit dem rsaquoRegionalen Abkommen fuumlr Staatsbuumlrger der Mitgliedstaaten des Ge-

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Kasten 5 Europaumlischer Staatsbuumlrger werden

Ein Blick auf den Erwerb der italienischen Staatsbuumlr-gerschaft durch argentinische Staatsangehoumlrige zeigt in den Jahren nach 2001 eine deutliche Zunahme Waumlhrend 2001 316 Argentinier die italienische Staats-buumlrgerschaft erhielten waren es 2006 2569 Personen In Spanien zeigt sich der Anstieg sogar noch deutlicher Die Zahl der Argentinier die die spanische Staatsan-gehoumlrigkeit erwarben stieg von 791 im Jahr 2001 auf 6395 in 2010

meinsamen Marktes Suumldamerikaslsaquo (MECOSUR dh Ar-gentinien Brasilien Uruguay und Paraguay) und den as-soziierten Staaten (Bolivien und Chile) gemacht Demnach haben Staatsangehoumlrige der genannten Laumlnder das Recht in jedem anderen Mitglieds- oder assoziierten Land zu le-ben und zu arbeiten und sind mit den jeweiligen Staats-angehoumlrigen gleichberechtigt Ein Wendepunkt wurde mit der Verabschiedung des Gesetzes Nr 25871 im Jahr 2004 erreicht das viele der Grundprinzipien der UN-Wan-derarbeitnehmerkonvention von 1990 beinhaltet Bei der Vorbereitung des Gesetzes kooperierte die argentinische Regierung mit einer Beratungskommission aus Vertretern von verschiedenen Menschenrechts- und Expertenorgani-sationen von denen viele im Umkreis der Vereinten Na-tionen angesiedelt waren wie die Internationale Organi-sation fuumlr Migration und der Hohe Fluumlchtlingskommissar der Vereinten Nationen (UNHCR) Innerhalb des Rahmens zur regionalen Integration etabliert das Gesetz drei Aufent-haltskategorien dauerhaft temporaumlr und vorruumlbergehend Die allgemeinen Prinzipien des Gesetzes formulieren ein ehrgeiziges Programm Neben dem expliziten Wunsch Einwanderer sozio-kulturell in die argentinische Gesell-schaft zu integrieren einschlieszliglich der gleichberechtigten Partizipation von Migranten am Arbeitsmarkt verpflichtet der Gesetzestext den Staat dazu das Menschenrecht auf Migration anzuerkennen Dieses sieht den Grundsatz zur Gleichbehandlung von Migranten und Einheimischen vor dem Gesetz vor garantiert das Recht auf Familienzusam-menfuumlhrung und Zugang zum Gesundheits- und Bildungs-system sowie zu Sozialleistungen fuumlr Auslaumlnder unab-haumlngig von ihrem Migrationsstatus Daruumlber hinaus betont das Gesetz die Rechte von im Ausland lebenden argenti-nischen Staatsangehoumlrigen und foumlrdert deren Ruumlckkehr-migration

Das Gesetz wurde von einer groszligen Medienkampagne begleitet die Einwanderer informierte und dazu ermutigte ihren Aufenthaltsstatus regularisieren zu lassen Zudem wurde ein weitreichendes Regularisierungsprogramm mit dem Namen rsaquoPatria Grandelsaquo (Groszliges Heimatland) auf-gelegt das zwischen 2006 und 2010 die Regularisierung von 650000 Migranten aus MERCOSUR-Mitgliedslaumlndern vereinfachte Insgesamt wurden im Rahmen des Patria Grande-Programms und anderen Regularisierungsmoumlg-lichkeiten zwischen 2004 und 2011 1688106 Antraumlge auf einen legalen Aufenthaltsstatus gestellt Das Regularisie-rungsprogramm garantierte das Recht sich im Land auf-zuhalten aber auch Argentinien zu verlassen und wieder einzureisen ebenso wie das Recht zu studieren und eine Arbeitserlaubnis zu erhalten Es bildete den ersten Schritt zum Erwerb einer dauerhaften Aufenthaltsgenehmigung Urspruumlnglich wurde das Patria Grande-Programm als ein administratives Instrument zur Legalisierung des Aufent-haltsstatus von Migranten konzipiert Es entwickelte sich allerdings zu einem zentralen Instrument des Staates eine neue Vision von Zugehoumlrigkeit und der Partizipation von Migranten an der Nation zu artikulieren

Weitere Instrumente die mit der neuen nationalen Mig-rationsgesetzgebung und dem Regularisierungsprogramm in Zusammenhang stehen umfassten das rsaquoNationale Insti-

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tut gegen Diskriminierung Auslaumlnderfeindlichkeit und Ras-sismuslsaquo eine dreigliedrige Kommission zu Gender-Fragen und Gleichstellung auf dem Arbeitsmarkt sowie ein Natio-nales Bildungsgesetz (Nr 26206) das den Zugang von undokumentierten Migranten zum Grund- und weiterfuumlh-renden Schulsystem sowie zur Universitaumlt garantieren soll

Die Reformen der vergangenen Jahre hatten zur Folge dass die Kategorie des rsaquoillegalen Einwandererslsaquo nahezu verschwunden ist Der Erfolg von Programmen wie Pat-ria Grande und anderen nicht-MERCOSUR Regularisie-rungsmaszlignahmen sicherte hunderttausenden in Argentini-en lebenden Auslaumlndern einen legalen Aufenthaltsstatus Daten zur irregulaumlren Migration in Argentinien waren im-mer schon rar und die Regierung selbst verfuumlgt nicht uumlber praumlzise Statistiken Dennoch wurde die Zahl der undoku-mentierten Bevoumllkerung vor der Einfuumlhrung der juumlngsten Regularisierungskampagnen auf 750000 bis eine Million Menschen geschaumltzt31

Staatsbuumlrgerschaft

Erwachsene Einwanderer haben die Moumlglichkeit die ar-gentinische Staatsbuumlrgerschaft fuumlr sich und ihre Familie zu beantragen Im Ausland geborene Personen die eine ge-wisse Zeit in Argentinien gelebt haben und bestimmte Vor-aussetzungen erfuumlllen koumlnnen die argentinische Staatsan-gehoumlrigkeit erwerben Die Regularien dazu finden sich in der Verfassung des Landes die das Territorialprinzip (jus soli) festschreibt und wurden 2004 uumlberarbeitet Neben der Modernisierung des Einbuumlrgerungsverfahrens diente die Reform von 2004 hauptsaumlchlich dazu Restriktionen zu beseitigen die waumlhrend der Herrschaft der Militaumlrjunta (1976-1983) eingefuumlhrt worden waren wie beispielsweise die Voraussetzung nicht nur muumlndliche und schriftliche Spanischkenntnisse sowie Grundkenntnisse der Verfas-sung Argentiniens vorweisen zu muumlssen sondern insbe-sondere auch ein legales Arbeitsverhaumlltnis nachzuweisen

Es gibt verschiedene Moumlglichkeiten die argentinische Staatsbuumlrgerschaft zu erlangen Neben dem Territorial-recht bei Geburt auf argentinischem Boden haben Er-wachsene uumlber 18 Jahre auch die Moumlglichkeit nach zwei Jahren rechtmaumlszligigen Aufenthalts im Land die Einbuumlrge-rung zu beantragen Die Rechtmaumlszligigkeit ihres Aufenthalts muss von der nationalen Einwanderungsbehoumlrde bestaumltigt werden Es gelten einige Restriktionen So muumlssen Be-werber um die Staatsbuumlrgerschaft straffrei sein und ihren Lebensunterhalt unabhaumlngig von Zuwendungen aus dem Sozialsystem bestreiten koumlnnen sie muumlssen aber nicht mehr nachweisen dass sie in einem legalen Arbeitsver-haumlltnis stehen Daneben eroumlffnen auch die Ehe mit einem argentinischen Staatsangehoumlrigen oder der Nachweis El-ternteil eines Kindes zu sein das die argentinische Staats-angehoumlrigkeit besitzt die Moumlglichkeit eine Einbuumlrgerung zu beantragen

Der Besitz einer doppelten Staatsbuumlrgerschaft ist ein weit verbreitetes Phaumlnomen in Argentinien das allerdings auf Laumlnder beschraumlnkt ist mit denen Argentinien ein bi-laterales Abkommen unterhaumllt wie zB Spanien Italien

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und Chile Argentinier mit doppelter Staatsbuumlrgerschaft davon einer europaumlischen koumlnnen die politischen Pro-zesse in Europa beeinflussen In Argentinien wohnhafte Inhaber eines italienischen Passes beteiligten sich stark (569 Prozent) an den landesweiten Wahlen zum Abgeord-netenhaus in Italien im Jahr 2008 und beeinflussten so das Wahlergebnis32

Flucht und Asyl - Fluumlchtlingspolitik

1961 hat Argentinien die Genfer Fluumlchtlingskonvention un-terzeichnet spaumlter auch das dazugehoumlrige Protokoll von 1967 Obwohl das Land bereits seit vielen Jahrzehnten Fluumlchtlinge aufnimmt gibt es erst seit 2006 ein echtes Ge-setz zur Anerkennung und zum Schutz von Fluumlchtlingen (rsaquoLey General de Reconocimiento y Proteccioacuten al Refugia-do Ley 26165lsaquo) Dieses Gesetz nahm auch die Erklaumlrung von Cartagena aus dem Jahr 1984 auf die die Fluumlchtlings-definition des Hohen Fluumlchtlingskommissars der Vereinten Nationen (UNHCR) erweiterte indem sie sie auch auf Per-sonen bezog die vor Krieg und Unruhen fliehen

2003 initiierte Argentinien einen Prozess zur Unter-zeichnung aller noch ausstehenden internationalen Men-schenrechtsabkommen Das Land begann im Zuge sei-nes menschenrechtsbasierten Politikansatzes damit das Fluumlchtlingswesen und damit in Verbindung stehende Ins-titutionen aufzubauen In Erinnerung an die traumatische Erfahrung tausender argentinischer Auswanderer und Fluumlchtlinge waumlhrend der letzten Militaumlrdiktatur (1976-1983) verabschiedete Argentinien Gesetze die den Fluumlchtlings-schutz anhoben und trat 2005 an die Seite anderer latein-amerikanischer Staaten in ihrem gemeinsamen Bestreben Fluumlchtlinge umzusiedeln (Resettlement) Zusammen mit dem bereits erwaumlhnten Gesetz zur Anerkennung und zum Schutz von Fluumlchtlingen (No 26165) wurde im Jahr 2009 ein Nationaler Fluumlchtlingsrat (CONARE) eingerichtet der das Innen- Auszligen- Justiz- und Sozialministerium und an-dere Einrichtungen einbezieht uumlber die Zuerkennung ei-nes Fluumlchtlingsstatus entscheidet und sich fuumlr die Rechte von Fluumlchtlingen einsetzt Heute haben Asylsuchende und anerkannte Fluumlchtlinge in Argentinien das Recht auf Doku-mente die ihren Aufenthaltsstatus nachweisen sie duumlrfen arbeiten und haben Zugang zur Grundversorgung Zudem haben Fluumlchtlinge und Asylsuchende dieselben Rechte wie andere im Land lebende Auslaumlnder sie duumlrfen sich im Land frei bewegen haben Zugang zu Bildung zur Gesundheits-versorgung und zur Justiz und genieszligen Religionsfreiheit

Seitdem das Land 1985 damit begonnen hat Fluumlchtlin-ge anzuerkennen sind in Argentinien etwa 13000 Antraumlge von Asylsuchenden aus uumlber 46 Herkunftslaumlndern einge-gangen In 3200 Faumlllen wurde Asyl gewaumlhrt Zwischen 2006 und 2010 kamen die meisten Asylsuchenden aus dem Senegal (ca 769 Personen) Kolumbien (665) und der Dominikanischen Republik (547) Eine weitere Grup-pe die von dem neuen Fluumlchtlingsgesetz profitierte waren Staatsangehoumlrige Haitis die nach dem verheerenden Erd-beben 2010 in Argentinien Schutz gefunden haben33 Im Januar 2014 registrierte der UNHCR 3362 in Argentinien

lebende anerkannte Fluumlchtlinge und 916 Asylsuchende 2013 waren in Argentinien 614 Asylantraumlge gestellt wor-den

Herausforderungen und Ausblick

Das Migrationsgesetz von 2004 markiert einen Wende-punkt in der juumlngeren Geschichte Argentiniens indem es Gesetze aufhob die sich seit der letzten Diktatur nicht grundlegend veraumlndert hatten Es markiert den Uumlbergang von einer restriktiven Politik zu einem realistischen of-fenen Einwanderungskonzept dessen Implementierung immer noch mit deutlichem Widerstand vonseiten der staatlichen Verwaltung und einiger Teile der Gesellschaft konfrontiert ist34 Das Gesetz erkennt die Leistungen von Migration fuumlr das Land ausdruumlcklich an und druumlckt den Be-darf nach oumlffentlichen Politiken aus um die volle Integrati-on der Einwanderer zu realisieren In diesem Sinne positi-oniert die neue argentinische Migrationsgesetzgebung das Land in einem auf Rechten basierenden Migrationsregime Das trifft auch auf das Engagement des Landes fuumlr Fluumlcht-linge zu Argentinien nahm 2012 und 2013 300 syrische Familien auf

Vor dem Hintergrund restriktiver Zuwanderungspolitiken in den USA und Europa in Kombination mit der groszligzuumlgi-gen argentinischen Gesetzgebung ist es sehr wahrschein-lich dass Einwanderung das Land auch in den kommen-den Jahren weiter praumlgen wird Dies gilt insbesondere fuumlr die Einwanderung aus den Nachbarlaumlndern Besonders diejenigen Einwanderergemeinden die sich bereits in Ar-gentinien etabliert haben werden voraussichtlich weiter wachsen Aber auch die Ruumlckkehr von Argentiniern aus Suumldeuropa ist sehr wahrscheinlich da die Hauptziellaumlnder argentinischer Auswanderer die sich seit 2001 herausge-bildet haben weiterhin unter groszligem finanzpolitischen wirtschaftlichen und sozialen Druck stehen

Wie Argentinien auf zukuumlnftige Migrationsbewegungen reagieren wird haumlngt von zwei grundlegenden Entwicklun-gen ab Dazu zaumlhlt zum einen die politische Situation im Land Die Regierungen Kirchner hatten mehr als zehn Jah-re Zeit den rechtebasierten Ansatz in der nationalen Poli-tik durchzusetzen in Abstimmung mit dem Vorhaben einer staumlrkeren regionalen Integration Das Land teilt aumlhnliche politische Ansaumltze mit benachbarten Laumlndern insbeson-dere Brasilien und Bolivien was die Steuerung regionaler Migration und die Regularisierung des Aufenthaltsstatus von Einwanderern vereinfacht hat Zukuumlnftige argentini-sche Regierungen koumlnnten sicherlich einen restriktiveren Kurs in Fragen der Einwanderung und Regularisierung ein-schlagen um einer konservativeren und am rechten Rand orientierten Waumlhlerschaft gerecht zu werden

Zum anderen hat das hohe Wirtschaftswachstum seit 2003 Argentinien erneut zu einem attraktiven Zielland fuumlr Einwanderer gemacht Seit 2012 steckt allerdings das nach der Krise 2001 etablierte post-neoliberale Wirtschaftsmo-dell das auf einem starken Staat dominanten Export-wirtschaftssektoren und einer relativen Unabhaumlngigkeit von internationalen Kreditmaumlrkten basiert in ernsthaften

Schwierigkeiten Dies betrifft nicht nur Argentinien son-dern die gesamte Region Sollte sich diese Entwicklung fortsetzen erscheint es moumlglich dass der interne Druck die Einwanderung zu reduzieren waumlchst und die offene Migrationspolitik die in den letzten zehn Jahren erfolg-reich eingefuumlhrt worden ist wieder zuruumlckgenommen wird

Ein optimistisches Resuumlmee der letzten zehn Jahre er-laubt die Sichtweise dass sich ein neues Paradigma im Hinblick auf die Konzeptualisierung nationaler Identitaumlt herausbildet Weg vom Prinzip der nationalen Souveraumlni-taumlt und Selbstbestimmung hin zu einem Konzept das die Verantwortung des Staates gegenuumlber seinen Buumlrgern im Rahmen von internationalen und regionalen Menschen-rechtskonventionen betont und die Vorstellungen von Zu-gehoumlrigkeit und Staatsbuumlrgerschaft ausweitet indem es sich von assimilationistischen Diskursen (siehe Kasten 4) abwendet und stattdessen den Ansatz kultureller Plurali-taumlt beim Entwurf oumlffentlicher Politik verfolgt35 Dennoch ist es zu fruumlh um abwaumlgen zu koumlnnen ob diese Entwicklung auch Auswirkungen auf die Kultur der Fremdenfeindlich-keit und Gefuumlhle von Uumlberlegenheit gegenuumlber lateiname-rikanischen Einwanderern hat die von vielen Argentiniern in ihrer Selbstauffassung als rsaquoweiszlige Gesellschaftlsaquo geteilt werden Dies erscheint angesichts der aktuellen schwer-wiegenden wirtschaftlichen und sozialen Probleme im Land die das nationale Projekt der Kirchner Regierung unter groszligen Druck setzen noch schwieriger zu sein

Anmerkungen

1 Martiacutenez Shaw (1994)2 Andrews (1980)3 Castro (1991)4 Rock (2002)5 Trinchero (2006)6 Devoto (2009)7 Corteacutes Conde (2009)8 Williamson (1999)9 Williamson (1994)

10 Nugent (1995)11 Rein (2010)12 Nugent (1995)13 Biernat (2007)14 Devoto (2009)15 Benencia (2009)16 OAS (2012)17 Bologna (2010)18 Bastiavom Hau (2013) 19 Zubrzycki (2012)20 Andrews (1980)21 Organizacioacuten Internacional para las Migraciones (OIM) (2012)22 OECD (2009)23 Ginieniewicz (2012) EstebanActis (2012)24 Hierro (2013)25 OECD (2013)26 BrodskyRein (2013)27 Martiacuten-Peacuterez (2012)28 OECD (2013)29 Instituto Nacional de Estadiacutestica (Spanien) (2014)

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30 Novick (2012)31 Hines (2010) 32 Tintori (2011)33 Cavaleri (2012)34 Baladroacuten et al (2013)35 Domenech (2007)

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Zentrum fuumlr lateinamerikanische Migrationsstudien [Cen-tro de Estudios Migratorios Latinoamericanos (CEMLA)] httpcemlacom

Herausgeber Institut fuumlr Migrationsforschung und Interkulturelle Studien (IMIS) der Universitaumlt Osnabruumlck Neuer Graben 1921 49069 Osnabruumlck Tel +49(0)541 969 4384 Fax +49 (0)541 969 4380 E-Mail imisuni-osnabrueckde

Bundeszentrale fuumlr politische Bildung (bpb) Adenauerallee 86 53113 Bonn unter Mitwirkung des Netzwerks Migration in Europa eV Redaktion Dr Marcel Berlinghoff Vera Hanewinkel Apl Prof Dr Jochen Oltmer (verantw) Uumlbersetzung ins Deutsche Vera Hanewinkel

Die Erstellung der Laumlnderprofile (ISSN 1864-6220) und Kurzdossiers (ISSN 1864-5704) erfolgt in Kooperation der oa Partner Der Inhalt der Laumlnderprofile und Kurzdossiers gibt nicht unbedingt die Ansicht der Herausgeber wieder Der Abdruck von Auszuumlgen und Graphiken ist bei Nennung der Quelle erlaubt

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Der Autor

Thomas Maier ist Doktorand am Institut fuumlr Amerikastudi-en (Institute of the Americas) das Teil des University Col-lege London und damit der Universitaumlt London ist Sein Forschungsschwerpunkt ist die Geschichte von Arbeit und Wohlfahrtsstaat in den Amerikas insbesondere in Argenti-nien und auf dem Suumldkegel Lateinamerikas

E-Mail thomasmaier12uclacuk

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Prozent der Einwohner der Stadt Buenos Aires im Ausland Geborene waumlhrend ihr Anteil an der Bevoumllkerung der pe-ripheren Provinz Santiago del Estero im Nordwesten des Landes gerade einmal 03 Prozent betraumlgt Etwa ein Drit-tel der im Ausland geborenen Bevoumllkerung Argentiniens ist zwischen 2001 und 2010 eingewandert was deutlich macht dass Einwanderung fuumlr das Land weiterhin relevant ist (vgl Abbildung 4)

Argentinier im Ausland

Die Krise 2001 und ihre Konsequenzen - Argentinien als Auswanderungsland

Im Jahr 2001 sah sich Argentinien mit einer Finanzkrise konfrontiert die im darauffolgenden Jahr in einer Abwer-tung der nationalen Waumlhrung um 300 Prozent und inner-halb weniger Wochen in den Zusammenbruch des Ban-kensystems muumlndete - mit verheerenden Konsequenzen Die Arbeitslosigkeit stieg auf 20 Prozent und die Unterbe-schaumlftigung auf 17 Prozent 42 Prozent der Bevoumllkerung lebten unterhalb der Armutsgrenze und 27 Prozent sogar in extremer Armut

Die wirtschaftliche politische und soziale Krise fuumlhrte zu einem grundlegenden Wandel der Migrationsmuster Im folgenden Jahrzehnt erlebte das Land zum ersten Mal in seiner Geschichte eine groszlige und anhaltende Abwande-rungswelle (vgl Abbildung 5) insbesondere von jungen und qualifizierten Argentiniern die sich im Ausland eine bessere Zukunft erhofften Schaumltzungen zufolge lebten 2010 rund eine Million Argentinier auszligerhalb des Landes wobei Spanien 30 Prozent und die USA 23 Prozent auf-genommen hatten und damit die Hauptziellaumlnder bildeten (vgl Abbildung 6)21

Spanien und andere Hauptziellaumlnder

Bis vor einigen Jahren lebte die groumlszligte Gruppe argentini-scher Auswanderer in den USA Die Zahl der Neuzuwan-derer aus Argentinien erreichte mit 35210 Personen im Jahr 2002 einen Houmlhepunkt und zeigte einen deutlichen Anstieg gegenuumlber 2000 als 6670 Argentinier in die USA einwanderten22 Seit der Finanzkrise in Argentinien 2001 entwickelte sich Spanien jedoch allmaumlhlich zum Hauptziel-land argentinischer Auswanderer (vgl Abbildung 6)

Spanien hatte argentinische Migranten aufgrund der kulturellen und sprachlichen Naumlhe bereits seit Mitte des 20 Jahrhunderts angezogen Dieser Prozess beschleunig-te sich mit der bemerkenswerten Verbesserung der makro-oumlkonomischen Situation Spaniens nach seinem Beitritt zur Europaumlischen Union im Jahr 1986 Daruumlber hinaus hatte vor 2001 auch die Zwangsauswanderung von tausenden Argentiniern waumlhrend der Militaumlrdiktatur von 1976 bis 1983 zur wachsenden Zahl in Spanien lebender argentinischer Staatsangehoumlriger beigetragen Viele Fluumlchtlinge waumlhlten Spanien (neben Mexiko und den USA) als Zufluchtsort was dazu fuumlhrte dass Argentinier bis in die 1990er Jahre hinein die groumlszligte Gruppe lateinamerikanischer Einwan-derer in Spanien stellten wobei hoch ausgebildete und

Abbildung 4 Im Ausland geborene (foreign born) Bevoumllkerung Argentiniens 2010 - Herkunftslaumlnder absolute Zahlen und prozentualer Anteil

Herkunftsland Zahl der Einwanderer

Paraguay 550713

Bolivien 345272

Chile 191147

Peru 157514

Uruguay 116592

Brasilien 41330

Andere nord- und suumldame-rikanische Laumlnder

68831

Italien 147499

Spanien 94030

Andere europaumlische Laumlnder 57865

China 8929

Andere asiatische Laumlnder 22072

Afrika und Ozeanien 4163

Gesamt 1805957

Quelle INDEC [Nationales Statistikinstitut] Censo Nacional de Poblacioacuten Hogares y Viviendas 2010

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technisch qualifizierte Personen unter den argentinischen Zuwanderern uumlberwogen23

Die Zahl der in Spanien lebenden Argentinier stieg deut-lich an von 119000 Personen 2001 auf 291700 Personen 2009 wobei allein im Jahr 2002 35405 Argentinier in Spa-nien einwanderten Seit 2009 ist ihre Zahl leicht und konti-nuierlich gesunken da viele Argentinier Spanien seit dem Ausbruch der Finanzkrise in Suumldeuropa und angesichts der boomenden Wirtschaftssituation in Lateinamerika wieder verlassen haben Dennoch bildeten argentinische Staatsangehoumlrige 2011 mit 279300 Personen immer noch die sechstgroumlszligte Gruppe der im Ausland geborenen Be-voumllkerung hinter Rumaumlnen Marokkanern Ecuadorianern Briten und Kolumbianern24

Ein weiteres wichtiges Zielland argentinischer Auswan-derer wurde Israel Schaumltzungen zufolge wanderten zwi-schen 2000 und 2006 11200 Argentinier in dieses Land ein wobei zwischen 15 und 20 Prozent spaumlter wieder nach Argentinien zuruumlckkehrten 2002 kurz nach dem Ausbruch der Krise in Argentinien wanderten 5900 Argentinier nach Israel ein diese Zuwanderungszahl wurde in jenem Jahr

nur von Migranten aus der ehemaligen UdSSR uumlberschrit-ten Obwohl sich die argentinische Migration in den letzten Jahren verlangsamt hat zaumlhlt Argentinien immer noch zu den Hauptherkunftslaumlndern von Migranten in Israel (Platz 6 im Jahr 2012)25 Eine der Konsequenzen ist die zuneh-mende Verkleinerung der juumldischen Gemeinschaft in Ar-gentinien Erreichte die Zahl argentinischer Juden in den fruumlhen 1960er Jahren mit uumlber 300000 Personen ihren Houmlhepunkt so ist sie in den vergangenen Jahren auf unter 200000 gesunken26 Neben der schwierigen wirtschaftli-chen Ausgangslage in Argentinien spielt die aktive Anwer-bung Argentinischer Juden durch den israelischen Staat meistens uumlber juumldische Kulturinstitutionen in Argentinien vermittelt eine entscheidende Rolle fuumlr die Ausreisemo-tivationen

Oftmals - und dies gilt insbesondere fuumlr die groszlige Zahl der Argentinier mit spanischen und italienischen Wurzeln - vereinfachten die spezifischen Einbuumlrgerungsgesetze der Ziellaumlnder die in unterschiedlichem Ausmaszlig das elterliche ius sanguinis (Kinder erben die Staatsangehoumlrigkeit der Eltern) zugrunde legten den Zugang zur Staatsbuumlrger-schaft eines europaumlischen Landes Damit ist dann auch die Freizuumlgigkeit innerhalb der Europaumlischen Union ver-bunden (siehe Kasten 5)

Fuumlr viele insbesondere junge Argentinier ist der Er-werb der Staatsangehoumlrigkeit eines europaumlischen Landes zu einer wichtigen Strategie geworden um einer teils per-spektivlosen Situation zu entkommen Oftmals koumlnnen sie die Staatsangehoumlrigkeit uumlber die Konsulate in Argentinien erwerben ohne das Land verlassen zu muumlssen Die Re-form des spanischen Staatsangehoumlrigkeitsrechts im Jahr 2007 die den Zugang zur spanischen Staatsangehoumlrig-keit fuumlr Nachkommen von Fluumlchtlingen des Spanischen Buumlrgerkrieges erleichterte und als Gesetz der Enkelkin-der (rsaquoLey de nietoslsaquo) bezeichnet wurde kam auch vielen spanischstaumlmmigen Argentiniern zugute27 2009 waren 45 Prozent (bzw 132000) der 291700 argentinischstaumlmmi-gen Einwohner Spaniens nicht im Besitz der spanischen Staatsbuumlrgerschaft28

Ruumlckkehrmigration

Die starke Erholung der argentinischen Wirtschaft seit 2003 insbesondere aber die Auswirkungen der Wirtschaftskri-se in Suumldeuropa seit 2007 haben eine neue Phase der Migration eingeleitet Viele Argentinier die ihr Land in den Jahrzehnten davor verlassen hatten entschlossen sich nun nach Argentini-en zuruumlckzukehren In einigen Faumlllen vor allem in Spanien wurde die Ruumlck-kehr ins Herkunftsland durch staatliche Programme finanziell gefoumlrdert Zwi-schen 2013 und 2014 sank die Zahl der in Spanien lebenden Argentinier ohne spanischen Pass von 95415 auf 80910 Personen Gleichzeitig ist die Auswan-derung spanischer Staatsangehoumlriger

Abbildung 5 Argentinische Einwanderung in OECD- Laumlnder 2001-2010

Quelle OAS (2012)

Abbildung 6 Im Ausland lebende Argentinier 2010

Quelle Organizacioacuten Internacional para las Migraciones (OIM) (2012)

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nach Argentinien von 2182 Personen 2012 auf 2682 Per-sonen 2013 gestiegen29 Argentinien hat mit zahlreichen lateinamerikanischen Staaten und Spanien verschiedene Abkommen unterzeichnet die die Uumlbertragung von erwor-benen Sozialleistungsanspruumlchen ohne grundlegende Ver-luste fuumlr Arbeitsmigranten ermoumlglichen sollen

Veraumlnderungen der Einwanderungs- und Regularisierungsgesetzgebung

Militaumlrherrschaft und Einwanderung

Seit dem Ruumlckgang der europaumlischen Einwanderung der zunehmenden Zahl an Migranten aus umliegenden Laumln-dern und der Bedeutung der Dynamik interner Migration seit dem Zweiten Weltkrieg hat Argentinien grundlegende Veraumlnderungen dahingehend durchlaufen wie Einwande-rung konzipiert und rechtlich gerahmt wird Uumlber Jahrzehn-te hingen die gesetzlichen Bestimmungen und Wahrneh-mungen der Einwanderungspolitik stark vom politischen Programm der jeweiligen machthabenden Regierung ab Waumlhrend der verschiedenen Militaumlrdiktaturen zwischen 1955 und 1983 herrschte ein restriktiverer Ansatz vor als unter zivilen Regierungen beispielsweise in den Jahren 1963 bis 1966 und 1973 bis 1976

Die grundlegendste Reform erfolgte 1981 als die Mili-taumlrjunta das rsaquoGenerelle Gesetz zur Migration und Foumlrde-rung von Einwanderunglsaquo erlieszlig Dieses wurde auch als Videla-Gesetz bezeichnet (benannt nach dem General und de facto Staatsoberhaupt von 1976 bis 1981 Jorge Rafa-el Videla) und hob das Avellaneda-Gesetz aus dem Jahr 1876 auf Auch wenn das Videla-Gesetz weiterhin die eu-ropaumlische Einwanderung befuumlrwortete insbesondere zum Zwecke der Besiedlung und des Bevoumllkerungswachstums enthielt es viele repressive Bestimmungen zur illegalen Einwanderung die sich implizit gegen Neuankoumlmmlinge aus benachbarten Staaten richteten Das Gesetz verbot es undokumentierten Auslaumlndern ausdruumlcklich einer be-zahlten Arbeit nachzugehen schloss sie vom Zugang zum Gesundheits- und Bildungssystem aus und verpflichtete Beamte dazu den Behoumlrden jegliche irregulaumlre Situation zu melden Die Einwanderungspolitik wurde folglich fast ausschlieszliglich zur Aufgabe der Sicherheitsbehoumlrden was in der Doktrin zur rsaquoNationalen Sicherheitlsaquo zum Ausdruck

kam30 Es wurde fuumlr Einwanderer so zunehmend schwe-rer einen legalen Aufenthaltstitel zu erhalten sie waren in einer Situation der Verwundbarkeit und Irregularitaumlt ge-fangen

Nach der Ruumlckkehr zur Demokratie 1984 folgten die ver-fassungskonformen Regierungen einem offeneren Ansatz der auch verschiedene Amnestie-Programme fuumlr Migran-ten enthielt die sich illegal im Land aufhielten Dennoch blieb der breitere gesetzliche Rahmen der Militaumlrjunta bis 2004 in Kraft Daraus entwickelte sich eine widerspruumlchli-che gesetzliche und faktische Praxis Beispielsweise wur-de Einwanderern einerseits das Recht zur Teilnahme an Wahlen auf kommunaler Ebene und auch in den meisten Provinzwahlen gewaumlhrt gleichzeitig aber die Moumlglichkei-ten einer regulaumlren Arbeit nachzugehen eingeschraumlnkt die jedoch Voraussetzung fuumlr den Erwerb einer Niederlas-sungserlaubnis war

Neue Ansaumltze

Nachdem die Einwanderungspolitik seit der Diktatur uumlber Jahre hinweg unveraumlndert einen auslaumlnderfeindlichen und implizit rassistischen Ansatz verfolgt hatte haben in den letzten zehn Jahren grundlegende Reformen stattgefun-den die neue Grundprinzipien der Einwanderungspolitik einfuumlhrten

Die offenen oder versteckten rassistischen Einstellun-gen und Diskriminierungen gegenuumlber afrikanischen und lateinamerikanischen Einwanderern die sowohl in der Oumlf-fentlichkeit als auch im privaten Bereich im institutionellen Kontext als auch alltaumlglichen Begegnungen stattfinden stehen in starkem Kontrast zu den neueren Entwicklungen im Bereich sozialer Rechte einschlieszliglich derer von Mig-ranten Obwohl es in Argentinien bereits seit 1988 ein Anti-Diskriminierungsgesetz gibt wurden erst unter den Re-gierungen von zunaumlchst Neacutestor Kirchner (2003-2007) und spaumlter seiner Frau Cristina Fernaacutendez de Kirchner (2007 bis heute 2015) die sozialen Rechte deutlich gestaumlrkt Die betraumlchtlichen Reformen in Bezug auf die Rechte von Einwanderern wurden dabei in der Oumlffentlichkeit weniger wahrgenommen als die sichtbaren Reformen und Ansaumltze wie etwa die Einfuumlhrung von gleichen Rechten fuumlr gleich-geschlechtliche Partnerschaften die offensive Verfolgung von Straftaumltern der letzten Militaumlrdiktatur und die deutliche Ausweitung von sozialen Rechten im Bereich des Wohl-fahrts- und Bildungssystems inklusive effektiver Umvertei-lungspolitik Die neue Einwanderungspolitik die auf dem Ansatz der Gewaumlhrung von Rechten beruht hat einerseits zur Legalisierung des Aufenthaltsstatus von Neuzuwan-derern gefuumlhrt Andererseits profitieren davon aber auch besonders schutzbeduumlrftige Fluumlchtlinge Wirtschaftsda-ten legen daruumlber hinaus nahe dass dieser Politikansatz der Kirchner-Regierungen positive Auswirkungen auf das juumlngste wirtschaftliche Wachstum des Landes hatte das zwischen 2003 und 2012 durchschnittlich 72 Prozent be-trug

Erste Schritte zu einer vereinfachten Regularisierung des Aufenthaltsstatus wurden 2002 mit dem rsaquoRegionalen Abkommen fuumlr Staatsbuumlrger der Mitgliedstaaten des Ge-

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Kasten 5 Europaumlischer Staatsbuumlrger werden

Ein Blick auf den Erwerb der italienischen Staatsbuumlr-gerschaft durch argentinische Staatsangehoumlrige zeigt in den Jahren nach 2001 eine deutliche Zunahme Waumlhrend 2001 316 Argentinier die italienische Staats-buumlrgerschaft erhielten waren es 2006 2569 Personen In Spanien zeigt sich der Anstieg sogar noch deutlicher Die Zahl der Argentinier die die spanische Staatsan-gehoumlrigkeit erwarben stieg von 791 im Jahr 2001 auf 6395 in 2010

meinsamen Marktes Suumldamerikaslsaquo (MECOSUR dh Ar-gentinien Brasilien Uruguay und Paraguay) und den as-soziierten Staaten (Bolivien und Chile) gemacht Demnach haben Staatsangehoumlrige der genannten Laumlnder das Recht in jedem anderen Mitglieds- oder assoziierten Land zu le-ben und zu arbeiten und sind mit den jeweiligen Staats-angehoumlrigen gleichberechtigt Ein Wendepunkt wurde mit der Verabschiedung des Gesetzes Nr 25871 im Jahr 2004 erreicht das viele der Grundprinzipien der UN-Wan-derarbeitnehmerkonvention von 1990 beinhaltet Bei der Vorbereitung des Gesetzes kooperierte die argentinische Regierung mit einer Beratungskommission aus Vertretern von verschiedenen Menschenrechts- und Expertenorgani-sationen von denen viele im Umkreis der Vereinten Na-tionen angesiedelt waren wie die Internationale Organi-sation fuumlr Migration und der Hohe Fluumlchtlingskommissar der Vereinten Nationen (UNHCR) Innerhalb des Rahmens zur regionalen Integration etabliert das Gesetz drei Aufent-haltskategorien dauerhaft temporaumlr und vorruumlbergehend Die allgemeinen Prinzipien des Gesetzes formulieren ein ehrgeiziges Programm Neben dem expliziten Wunsch Einwanderer sozio-kulturell in die argentinische Gesell-schaft zu integrieren einschlieszliglich der gleichberechtigten Partizipation von Migranten am Arbeitsmarkt verpflichtet der Gesetzestext den Staat dazu das Menschenrecht auf Migration anzuerkennen Dieses sieht den Grundsatz zur Gleichbehandlung von Migranten und Einheimischen vor dem Gesetz vor garantiert das Recht auf Familienzusam-menfuumlhrung und Zugang zum Gesundheits- und Bildungs-system sowie zu Sozialleistungen fuumlr Auslaumlnder unab-haumlngig von ihrem Migrationsstatus Daruumlber hinaus betont das Gesetz die Rechte von im Ausland lebenden argenti-nischen Staatsangehoumlrigen und foumlrdert deren Ruumlckkehr-migration

Das Gesetz wurde von einer groszligen Medienkampagne begleitet die Einwanderer informierte und dazu ermutigte ihren Aufenthaltsstatus regularisieren zu lassen Zudem wurde ein weitreichendes Regularisierungsprogramm mit dem Namen rsaquoPatria Grandelsaquo (Groszliges Heimatland) auf-gelegt das zwischen 2006 und 2010 die Regularisierung von 650000 Migranten aus MERCOSUR-Mitgliedslaumlndern vereinfachte Insgesamt wurden im Rahmen des Patria Grande-Programms und anderen Regularisierungsmoumlg-lichkeiten zwischen 2004 und 2011 1688106 Antraumlge auf einen legalen Aufenthaltsstatus gestellt Das Regularisie-rungsprogramm garantierte das Recht sich im Land auf-zuhalten aber auch Argentinien zu verlassen und wieder einzureisen ebenso wie das Recht zu studieren und eine Arbeitserlaubnis zu erhalten Es bildete den ersten Schritt zum Erwerb einer dauerhaften Aufenthaltsgenehmigung Urspruumlnglich wurde das Patria Grande-Programm als ein administratives Instrument zur Legalisierung des Aufent-haltsstatus von Migranten konzipiert Es entwickelte sich allerdings zu einem zentralen Instrument des Staates eine neue Vision von Zugehoumlrigkeit und der Partizipation von Migranten an der Nation zu artikulieren

Weitere Instrumente die mit der neuen nationalen Mig-rationsgesetzgebung und dem Regularisierungsprogramm in Zusammenhang stehen umfassten das rsaquoNationale Insti-

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tut gegen Diskriminierung Auslaumlnderfeindlichkeit und Ras-sismuslsaquo eine dreigliedrige Kommission zu Gender-Fragen und Gleichstellung auf dem Arbeitsmarkt sowie ein Natio-nales Bildungsgesetz (Nr 26206) das den Zugang von undokumentierten Migranten zum Grund- und weiterfuumlh-renden Schulsystem sowie zur Universitaumlt garantieren soll

Die Reformen der vergangenen Jahre hatten zur Folge dass die Kategorie des rsaquoillegalen Einwandererslsaquo nahezu verschwunden ist Der Erfolg von Programmen wie Pat-ria Grande und anderen nicht-MERCOSUR Regularisie-rungsmaszlignahmen sicherte hunderttausenden in Argentini-en lebenden Auslaumlndern einen legalen Aufenthaltsstatus Daten zur irregulaumlren Migration in Argentinien waren im-mer schon rar und die Regierung selbst verfuumlgt nicht uumlber praumlzise Statistiken Dennoch wurde die Zahl der undoku-mentierten Bevoumllkerung vor der Einfuumlhrung der juumlngsten Regularisierungskampagnen auf 750000 bis eine Million Menschen geschaumltzt31

Staatsbuumlrgerschaft

Erwachsene Einwanderer haben die Moumlglichkeit die ar-gentinische Staatsbuumlrgerschaft fuumlr sich und ihre Familie zu beantragen Im Ausland geborene Personen die eine ge-wisse Zeit in Argentinien gelebt haben und bestimmte Vor-aussetzungen erfuumlllen koumlnnen die argentinische Staatsan-gehoumlrigkeit erwerben Die Regularien dazu finden sich in der Verfassung des Landes die das Territorialprinzip (jus soli) festschreibt und wurden 2004 uumlberarbeitet Neben der Modernisierung des Einbuumlrgerungsverfahrens diente die Reform von 2004 hauptsaumlchlich dazu Restriktionen zu beseitigen die waumlhrend der Herrschaft der Militaumlrjunta (1976-1983) eingefuumlhrt worden waren wie beispielsweise die Voraussetzung nicht nur muumlndliche und schriftliche Spanischkenntnisse sowie Grundkenntnisse der Verfas-sung Argentiniens vorweisen zu muumlssen sondern insbe-sondere auch ein legales Arbeitsverhaumlltnis nachzuweisen

Es gibt verschiedene Moumlglichkeiten die argentinische Staatsbuumlrgerschaft zu erlangen Neben dem Territorial-recht bei Geburt auf argentinischem Boden haben Er-wachsene uumlber 18 Jahre auch die Moumlglichkeit nach zwei Jahren rechtmaumlszligigen Aufenthalts im Land die Einbuumlrge-rung zu beantragen Die Rechtmaumlszligigkeit ihres Aufenthalts muss von der nationalen Einwanderungsbehoumlrde bestaumltigt werden Es gelten einige Restriktionen So muumlssen Be-werber um die Staatsbuumlrgerschaft straffrei sein und ihren Lebensunterhalt unabhaumlngig von Zuwendungen aus dem Sozialsystem bestreiten koumlnnen sie muumlssen aber nicht mehr nachweisen dass sie in einem legalen Arbeitsver-haumlltnis stehen Daneben eroumlffnen auch die Ehe mit einem argentinischen Staatsangehoumlrigen oder der Nachweis El-ternteil eines Kindes zu sein das die argentinische Staats-angehoumlrigkeit besitzt die Moumlglichkeit eine Einbuumlrgerung zu beantragen

Der Besitz einer doppelten Staatsbuumlrgerschaft ist ein weit verbreitetes Phaumlnomen in Argentinien das allerdings auf Laumlnder beschraumlnkt ist mit denen Argentinien ein bi-laterales Abkommen unterhaumllt wie zB Spanien Italien

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und Chile Argentinier mit doppelter Staatsbuumlrgerschaft davon einer europaumlischen koumlnnen die politischen Pro-zesse in Europa beeinflussen In Argentinien wohnhafte Inhaber eines italienischen Passes beteiligten sich stark (569 Prozent) an den landesweiten Wahlen zum Abgeord-netenhaus in Italien im Jahr 2008 und beeinflussten so das Wahlergebnis32

Flucht und Asyl - Fluumlchtlingspolitik

1961 hat Argentinien die Genfer Fluumlchtlingskonvention un-terzeichnet spaumlter auch das dazugehoumlrige Protokoll von 1967 Obwohl das Land bereits seit vielen Jahrzehnten Fluumlchtlinge aufnimmt gibt es erst seit 2006 ein echtes Ge-setz zur Anerkennung und zum Schutz von Fluumlchtlingen (rsaquoLey General de Reconocimiento y Proteccioacuten al Refugia-do Ley 26165lsaquo) Dieses Gesetz nahm auch die Erklaumlrung von Cartagena aus dem Jahr 1984 auf die die Fluumlchtlings-definition des Hohen Fluumlchtlingskommissars der Vereinten Nationen (UNHCR) erweiterte indem sie sie auch auf Per-sonen bezog die vor Krieg und Unruhen fliehen

2003 initiierte Argentinien einen Prozess zur Unter-zeichnung aller noch ausstehenden internationalen Men-schenrechtsabkommen Das Land begann im Zuge sei-nes menschenrechtsbasierten Politikansatzes damit das Fluumlchtlingswesen und damit in Verbindung stehende Ins-titutionen aufzubauen In Erinnerung an die traumatische Erfahrung tausender argentinischer Auswanderer und Fluumlchtlinge waumlhrend der letzten Militaumlrdiktatur (1976-1983) verabschiedete Argentinien Gesetze die den Fluumlchtlings-schutz anhoben und trat 2005 an die Seite anderer latein-amerikanischer Staaten in ihrem gemeinsamen Bestreben Fluumlchtlinge umzusiedeln (Resettlement) Zusammen mit dem bereits erwaumlhnten Gesetz zur Anerkennung und zum Schutz von Fluumlchtlingen (No 26165) wurde im Jahr 2009 ein Nationaler Fluumlchtlingsrat (CONARE) eingerichtet der das Innen- Auszligen- Justiz- und Sozialministerium und an-dere Einrichtungen einbezieht uumlber die Zuerkennung ei-nes Fluumlchtlingsstatus entscheidet und sich fuumlr die Rechte von Fluumlchtlingen einsetzt Heute haben Asylsuchende und anerkannte Fluumlchtlinge in Argentinien das Recht auf Doku-mente die ihren Aufenthaltsstatus nachweisen sie duumlrfen arbeiten und haben Zugang zur Grundversorgung Zudem haben Fluumlchtlinge und Asylsuchende dieselben Rechte wie andere im Land lebende Auslaumlnder sie duumlrfen sich im Land frei bewegen haben Zugang zu Bildung zur Gesundheits-versorgung und zur Justiz und genieszligen Religionsfreiheit

Seitdem das Land 1985 damit begonnen hat Fluumlchtlin-ge anzuerkennen sind in Argentinien etwa 13000 Antraumlge von Asylsuchenden aus uumlber 46 Herkunftslaumlndern einge-gangen In 3200 Faumlllen wurde Asyl gewaumlhrt Zwischen 2006 und 2010 kamen die meisten Asylsuchenden aus dem Senegal (ca 769 Personen) Kolumbien (665) und der Dominikanischen Republik (547) Eine weitere Grup-pe die von dem neuen Fluumlchtlingsgesetz profitierte waren Staatsangehoumlrige Haitis die nach dem verheerenden Erd-beben 2010 in Argentinien Schutz gefunden haben33 Im Januar 2014 registrierte der UNHCR 3362 in Argentinien

lebende anerkannte Fluumlchtlinge und 916 Asylsuchende 2013 waren in Argentinien 614 Asylantraumlge gestellt wor-den

Herausforderungen und Ausblick

Das Migrationsgesetz von 2004 markiert einen Wende-punkt in der juumlngeren Geschichte Argentiniens indem es Gesetze aufhob die sich seit der letzten Diktatur nicht grundlegend veraumlndert hatten Es markiert den Uumlbergang von einer restriktiven Politik zu einem realistischen of-fenen Einwanderungskonzept dessen Implementierung immer noch mit deutlichem Widerstand vonseiten der staatlichen Verwaltung und einiger Teile der Gesellschaft konfrontiert ist34 Das Gesetz erkennt die Leistungen von Migration fuumlr das Land ausdruumlcklich an und druumlckt den Be-darf nach oumlffentlichen Politiken aus um die volle Integrati-on der Einwanderer zu realisieren In diesem Sinne positi-oniert die neue argentinische Migrationsgesetzgebung das Land in einem auf Rechten basierenden Migrationsregime Das trifft auch auf das Engagement des Landes fuumlr Fluumlcht-linge zu Argentinien nahm 2012 und 2013 300 syrische Familien auf

Vor dem Hintergrund restriktiver Zuwanderungspolitiken in den USA und Europa in Kombination mit der groszligzuumlgi-gen argentinischen Gesetzgebung ist es sehr wahrschein-lich dass Einwanderung das Land auch in den kommen-den Jahren weiter praumlgen wird Dies gilt insbesondere fuumlr die Einwanderung aus den Nachbarlaumlndern Besonders diejenigen Einwanderergemeinden die sich bereits in Ar-gentinien etabliert haben werden voraussichtlich weiter wachsen Aber auch die Ruumlckkehr von Argentiniern aus Suumldeuropa ist sehr wahrscheinlich da die Hauptziellaumlnder argentinischer Auswanderer die sich seit 2001 herausge-bildet haben weiterhin unter groszligem finanzpolitischen wirtschaftlichen und sozialen Druck stehen

Wie Argentinien auf zukuumlnftige Migrationsbewegungen reagieren wird haumlngt von zwei grundlegenden Entwicklun-gen ab Dazu zaumlhlt zum einen die politische Situation im Land Die Regierungen Kirchner hatten mehr als zehn Jah-re Zeit den rechtebasierten Ansatz in der nationalen Poli-tik durchzusetzen in Abstimmung mit dem Vorhaben einer staumlrkeren regionalen Integration Das Land teilt aumlhnliche politische Ansaumltze mit benachbarten Laumlndern insbeson-dere Brasilien und Bolivien was die Steuerung regionaler Migration und die Regularisierung des Aufenthaltsstatus von Einwanderern vereinfacht hat Zukuumlnftige argentini-sche Regierungen koumlnnten sicherlich einen restriktiveren Kurs in Fragen der Einwanderung und Regularisierung ein-schlagen um einer konservativeren und am rechten Rand orientierten Waumlhlerschaft gerecht zu werden

Zum anderen hat das hohe Wirtschaftswachstum seit 2003 Argentinien erneut zu einem attraktiven Zielland fuumlr Einwanderer gemacht Seit 2012 steckt allerdings das nach der Krise 2001 etablierte post-neoliberale Wirtschaftsmo-dell das auf einem starken Staat dominanten Export-wirtschaftssektoren und einer relativen Unabhaumlngigkeit von internationalen Kreditmaumlrkten basiert in ernsthaften

Schwierigkeiten Dies betrifft nicht nur Argentinien son-dern die gesamte Region Sollte sich diese Entwicklung fortsetzen erscheint es moumlglich dass der interne Druck die Einwanderung zu reduzieren waumlchst und die offene Migrationspolitik die in den letzten zehn Jahren erfolg-reich eingefuumlhrt worden ist wieder zuruumlckgenommen wird

Ein optimistisches Resuumlmee der letzten zehn Jahre er-laubt die Sichtweise dass sich ein neues Paradigma im Hinblick auf die Konzeptualisierung nationaler Identitaumlt herausbildet Weg vom Prinzip der nationalen Souveraumlni-taumlt und Selbstbestimmung hin zu einem Konzept das die Verantwortung des Staates gegenuumlber seinen Buumlrgern im Rahmen von internationalen und regionalen Menschen-rechtskonventionen betont und die Vorstellungen von Zu-gehoumlrigkeit und Staatsbuumlrgerschaft ausweitet indem es sich von assimilationistischen Diskursen (siehe Kasten 4) abwendet und stattdessen den Ansatz kultureller Plurali-taumlt beim Entwurf oumlffentlicher Politik verfolgt35 Dennoch ist es zu fruumlh um abwaumlgen zu koumlnnen ob diese Entwicklung auch Auswirkungen auf die Kultur der Fremdenfeindlich-keit und Gefuumlhle von Uumlberlegenheit gegenuumlber lateiname-rikanischen Einwanderern hat die von vielen Argentiniern in ihrer Selbstauffassung als rsaquoweiszlige Gesellschaftlsaquo geteilt werden Dies erscheint angesichts der aktuellen schwer-wiegenden wirtschaftlichen und sozialen Probleme im Land die das nationale Projekt der Kirchner Regierung unter groszligen Druck setzen noch schwieriger zu sein

Anmerkungen

1 Martiacutenez Shaw (1994)2 Andrews (1980)3 Castro (1991)4 Rock (2002)5 Trinchero (2006)6 Devoto (2009)7 Corteacutes Conde (2009)8 Williamson (1999)9 Williamson (1994)

10 Nugent (1995)11 Rein (2010)12 Nugent (1995)13 Biernat (2007)14 Devoto (2009)15 Benencia (2009)16 OAS (2012)17 Bologna (2010)18 Bastiavom Hau (2013) 19 Zubrzycki (2012)20 Andrews (1980)21 Organizacioacuten Internacional para las Migraciones (OIM) (2012)22 OECD (2009)23 Ginieniewicz (2012) EstebanActis (2012)24 Hierro (2013)25 OECD (2013)26 BrodskyRein (2013)27 Martiacuten-Peacuterez (2012)28 OECD (2013)29 Instituto Nacional de Estadiacutestica (Spanien) (2014)

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30 Novick (2012)31 Hines (2010) 32 Tintori (2011)33 Cavaleri (2012)34 Baladroacuten et al (2013)35 Domenech (2007)

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Zentrum fuumlr lateinamerikanische Migrationsstudien [Cen-tro de Estudios Migratorios Latinoamericanos (CEMLA)] httpcemlacom

Herausgeber Institut fuumlr Migrationsforschung und Interkulturelle Studien (IMIS) der Universitaumlt Osnabruumlck Neuer Graben 1921 49069 Osnabruumlck Tel +49(0)541 969 4384 Fax +49 (0)541 969 4380 E-Mail imisuni-osnabrueckde

Bundeszentrale fuumlr politische Bildung (bpb) Adenauerallee 86 53113 Bonn unter Mitwirkung des Netzwerks Migration in Europa eV Redaktion Dr Marcel Berlinghoff Vera Hanewinkel Apl Prof Dr Jochen Oltmer (verantw) Uumlbersetzung ins Deutsche Vera Hanewinkel

Die Erstellung der Laumlnderprofile (ISSN 1864-6220) und Kurzdossiers (ISSN 1864-5704) erfolgt in Kooperation der oa Partner Der Inhalt der Laumlnderprofile und Kurzdossiers gibt nicht unbedingt die Ansicht der Herausgeber wieder Der Abdruck von Auszuumlgen und Graphiken ist bei Nennung der Quelle erlaubt

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IMPRESSUM

Der Autor

Thomas Maier ist Doktorand am Institut fuumlr Amerikastudi-en (Institute of the Americas) das Teil des University Col-lege London und damit der Universitaumlt London ist Sein Forschungsschwerpunkt ist die Geschichte von Arbeit und Wohlfahrtsstaat in den Amerikas insbesondere in Argenti-nien und auf dem Suumldkegel Lateinamerikas

E-Mail thomasmaier12uclacuk

Page 8: Argentinien - m.bpb.de

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technisch qualifizierte Personen unter den argentinischen Zuwanderern uumlberwogen23

Die Zahl der in Spanien lebenden Argentinier stieg deut-lich an von 119000 Personen 2001 auf 291700 Personen 2009 wobei allein im Jahr 2002 35405 Argentinier in Spa-nien einwanderten Seit 2009 ist ihre Zahl leicht und konti-nuierlich gesunken da viele Argentinier Spanien seit dem Ausbruch der Finanzkrise in Suumldeuropa und angesichts der boomenden Wirtschaftssituation in Lateinamerika wieder verlassen haben Dennoch bildeten argentinische Staatsangehoumlrige 2011 mit 279300 Personen immer noch die sechstgroumlszligte Gruppe der im Ausland geborenen Be-voumllkerung hinter Rumaumlnen Marokkanern Ecuadorianern Briten und Kolumbianern24

Ein weiteres wichtiges Zielland argentinischer Auswan-derer wurde Israel Schaumltzungen zufolge wanderten zwi-schen 2000 und 2006 11200 Argentinier in dieses Land ein wobei zwischen 15 und 20 Prozent spaumlter wieder nach Argentinien zuruumlckkehrten 2002 kurz nach dem Ausbruch der Krise in Argentinien wanderten 5900 Argentinier nach Israel ein diese Zuwanderungszahl wurde in jenem Jahr

nur von Migranten aus der ehemaligen UdSSR uumlberschrit-ten Obwohl sich die argentinische Migration in den letzten Jahren verlangsamt hat zaumlhlt Argentinien immer noch zu den Hauptherkunftslaumlndern von Migranten in Israel (Platz 6 im Jahr 2012)25 Eine der Konsequenzen ist die zuneh-mende Verkleinerung der juumldischen Gemeinschaft in Ar-gentinien Erreichte die Zahl argentinischer Juden in den fruumlhen 1960er Jahren mit uumlber 300000 Personen ihren Houmlhepunkt so ist sie in den vergangenen Jahren auf unter 200000 gesunken26 Neben der schwierigen wirtschaftli-chen Ausgangslage in Argentinien spielt die aktive Anwer-bung Argentinischer Juden durch den israelischen Staat meistens uumlber juumldische Kulturinstitutionen in Argentinien vermittelt eine entscheidende Rolle fuumlr die Ausreisemo-tivationen

Oftmals - und dies gilt insbesondere fuumlr die groszlige Zahl der Argentinier mit spanischen und italienischen Wurzeln - vereinfachten die spezifischen Einbuumlrgerungsgesetze der Ziellaumlnder die in unterschiedlichem Ausmaszlig das elterliche ius sanguinis (Kinder erben die Staatsangehoumlrigkeit der Eltern) zugrunde legten den Zugang zur Staatsbuumlrger-schaft eines europaumlischen Landes Damit ist dann auch die Freizuumlgigkeit innerhalb der Europaumlischen Union ver-bunden (siehe Kasten 5)

Fuumlr viele insbesondere junge Argentinier ist der Er-werb der Staatsangehoumlrigkeit eines europaumlischen Landes zu einer wichtigen Strategie geworden um einer teils per-spektivlosen Situation zu entkommen Oftmals koumlnnen sie die Staatsangehoumlrigkeit uumlber die Konsulate in Argentinien erwerben ohne das Land verlassen zu muumlssen Die Re-form des spanischen Staatsangehoumlrigkeitsrechts im Jahr 2007 die den Zugang zur spanischen Staatsangehoumlrig-keit fuumlr Nachkommen von Fluumlchtlingen des Spanischen Buumlrgerkrieges erleichterte und als Gesetz der Enkelkin-der (rsaquoLey de nietoslsaquo) bezeichnet wurde kam auch vielen spanischstaumlmmigen Argentiniern zugute27 2009 waren 45 Prozent (bzw 132000) der 291700 argentinischstaumlmmi-gen Einwohner Spaniens nicht im Besitz der spanischen Staatsbuumlrgerschaft28

Ruumlckkehrmigration

Die starke Erholung der argentinischen Wirtschaft seit 2003 insbesondere aber die Auswirkungen der Wirtschaftskri-se in Suumldeuropa seit 2007 haben eine neue Phase der Migration eingeleitet Viele Argentinier die ihr Land in den Jahrzehnten davor verlassen hatten entschlossen sich nun nach Argentini-en zuruumlckzukehren In einigen Faumlllen vor allem in Spanien wurde die Ruumlck-kehr ins Herkunftsland durch staatliche Programme finanziell gefoumlrdert Zwi-schen 2013 und 2014 sank die Zahl der in Spanien lebenden Argentinier ohne spanischen Pass von 95415 auf 80910 Personen Gleichzeitig ist die Auswan-derung spanischer Staatsangehoumlriger

Abbildung 5 Argentinische Einwanderung in OECD- Laumlnder 2001-2010

Quelle OAS (2012)

Abbildung 6 Im Ausland lebende Argentinier 2010

Quelle Organizacioacuten Internacional para las Migraciones (OIM) (2012)

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nach Argentinien von 2182 Personen 2012 auf 2682 Per-sonen 2013 gestiegen29 Argentinien hat mit zahlreichen lateinamerikanischen Staaten und Spanien verschiedene Abkommen unterzeichnet die die Uumlbertragung von erwor-benen Sozialleistungsanspruumlchen ohne grundlegende Ver-luste fuumlr Arbeitsmigranten ermoumlglichen sollen

Veraumlnderungen der Einwanderungs- und Regularisierungsgesetzgebung

Militaumlrherrschaft und Einwanderung

Seit dem Ruumlckgang der europaumlischen Einwanderung der zunehmenden Zahl an Migranten aus umliegenden Laumln-dern und der Bedeutung der Dynamik interner Migration seit dem Zweiten Weltkrieg hat Argentinien grundlegende Veraumlnderungen dahingehend durchlaufen wie Einwande-rung konzipiert und rechtlich gerahmt wird Uumlber Jahrzehn-te hingen die gesetzlichen Bestimmungen und Wahrneh-mungen der Einwanderungspolitik stark vom politischen Programm der jeweiligen machthabenden Regierung ab Waumlhrend der verschiedenen Militaumlrdiktaturen zwischen 1955 und 1983 herrschte ein restriktiverer Ansatz vor als unter zivilen Regierungen beispielsweise in den Jahren 1963 bis 1966 und 1973 bis 1976

Die grundlegendste Reform erfolgte 1981 als die Mili-taumlrjunta das rsaquoGenerelle Gesetz zur Migration und Foumlrde-rung von Einwanderunglsaquo erlieszlig Dieses wurde auch als Videla-Gesetz bezeichnet (benannt nach dem General und de facto Staatsoberhaupt von 1976 bis 1981 Jorge Rafa-el Videla) und hob das Avellaneda-Gesetz aus dem Jahr 1876 auf Auch wenn das Videla-Gesetz weiterhin die eu-ropaumlische Einwanderung befuumlrwortete insbesondere zum Zwecke der Besiedlung und des Bevoumllkerungswachstums enthielt es viele repressive Bestimmungen zur illegalen Einwanderung die sich implizit gegen Neuankoumlmmlinge aus benachbarten Staaten richteten Das Gesetz verbot es undokumentierten Auslaumlndern ausdruumlcklich einer be-zahlten Arbeit nachzugehen schloss sie vom Zugang zum Gesundheits- und Bildungssystem aus und verpflichtete Beamte dazu den Behoumlrden jegliche irregulaumlre Situation zu melden Die Einwanderungspolitik wurde folglich fast ausschlieszliglich zur Aufgabe der Sicherheitsbehoumlrden was in der Doktrin zur rsaquoNationalen Sicherheitlsaquo zum Ausdruck

kam30 Es wurde fuumlr Einwanderer so zunehmend schwe-rer einen legalen Aufenthaltstitel zu erhalten sie waren in einer Situation der Verwundbarkeit und Irregularitaumlt ge-fangen

Nach der Ruumlckkehr zur Demokratie 1984 folgten die ver-fassungskonformen Regierungen einem offeneren Ansatz der auch verschiedene Amnestie-Programme fuumlr Migran-ten enthielt die sich illegal im Land aufhielten Dennoch blieb der breitere gesetzliche Rahmen der Militaumlrjunta bis 2004 in Kraft Daraus entwickelte sich eine widerspruumlchli-che gesetzliche und faktische Praxis Beispielsweise wur-de Einwanderern einerseits das Recht zur Teilnahme an Wahlen auf kommunaler Ebene und auch in den meisten Provinzwahlen gewaumlhrt gleichzeitig aber die Moumlglichkei-ten einer regulaumlren Arbeit nachzugehen eingeschraumlnkt die jedoch Voraussetzung fuumlr den Erwerb einer Niederlas-sungserlaubnis war

Neue Ansaumltze

Nachdem die Einwanderungspolitik seit der Diktatur uumlber Jahre hinweg unveraumlndert einen auslaumlnderfeindlichen und implizit rassistischen Ansatz verfolgt hatte haben in den letzten zehn Jahren grundlegende Reformen stattgefun-den die neue Grundprinzipien der Einwanderungspolitik einfuumlhrten

Die offenen oder versteckten rassistischen Einstellun-gen und Diskriminierungen gegenuumlber afrikanischen und lateinamerikanischen Einwanderern die sowohl in der Oumlf-fentlichkeit als auch im privaten Bereich im institutionellen Kontext als auch alltaumlglichen Begegnungen stattfinden stehen in starkem Kontrast zu den neueren Entwicklungen im Bereich sozialer Rechte einschlieszliglich derer von Mig-ranten Obwohl es in Argentinien bereits seit 1988 ein Anti-Diskriminierungsgesetz gibt wurden erst unter den Re-gierungen von zunaumlchst Neacutestor Kirchner (2003-2007) und spaumlter seiner Frau Cristina Fernaacutendez de Kirchner (2007 bis heute 2015) die sozialen Rechte deutlich gestaumlrkt Die betraumlchtlichen Reformen in Bezug auf die Rechte von Einwanderern wurden dabei in der Oumlffentlichkeit weniger wahrgenommen als die sichtbaren Reformen und Ansaumltze wie etwa die Einfuumlhrung von gleichen Rechten fuumlr gleich-geschlechtliche Partnerschaften die offensive Verfolgung von Straftaumltern der letzten Militaumlrdiktatur und die deutliche Ausweitung von sozialen Rechten im Bereich des Wohl-fahrts- und Bildungssystems inklusive effektiver Umvertei-lungspolitik Die neue Einwanderungspolitik die auf dem Ansatz der Gewaumlhrung von Rechten beruht hat einerseits zur Legalisierung des Aufenthaltsstatus von Neuzuwan-derern gefuumlhrt Andererseits profitieren davon aber auch besonders schutzbeduumlrftige Fluumlchtlinge Wirtschaftsda-ten legen daruumlber hinaus nahe dass dieser Politikansatz der Kirchner-Regierungen positive Auswirkungen auf das juumlngste wirtschaftliche Wachstum des Landes hatte das zwischen 2003 und 2012 durchschnittlich 72 Prozent be-trug

Erste Schritte zu einer vereinfachten Regularisierung des Aufenthaltsstatus wurden 2002 mit dem rsaquoRegionalen Abkommen fuumlr Staatsbuumlrger der Mitgliedstaaten des Ge-

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Kasten 5 Europaumlischer Staatsbuumlrger werden

Ein Blick auf den Erwerb der italienischen Staatsbuumlr-gerschaft durch argentinische Staatsangehoumlrige zeigt in den Jahren nach 2001 eine deutliche Zunahme Waumlhrend 2001 316 Argentinier die italienische Staats-buumlrgerschaft erhielten waren es 2006 2569 Personen In Spanien zeigt sich der Anstieg sogar noch deutlicher Die Zahl der Argentinier die die spanische Staatsan-gehoumlrigkeit erwarben stieg von 791 im Jahr 2001 auf 6395 in 2010

meinsamen Marktes Suumldamerikaslsaquo (MECOSUR dh Ar-gentinien Brasilien Uruguay und Paraguay) und den as-soziierten Staaten (Bolivien und Chile) gemacht Demnach haben Staatsangehoumlrige der genannten Laumlnder das Recht in jedem anderen Mitglieds- oder assoziierten Land zu le-ben und zu arbeiten und sind mit den jeweiligen Staats-angehoumlrigen gleichberechtigt Ein Wendepunkt wurde mit der Verabschiedung des Gesetzes Nr 25871 im Jahr 2004 erreicht das viele der Grundprinzipien der UN-Wan-derarbeitnehmerkonvention von 1990 beinhaltet Bei der Vorbereitung des Gesetzes kooperierte die argentinische Regierung mit einer Beratungskommission aus Vertretern von verschiedenen Menschenrechts- und Expertenorgani-sationen von denen viele im Umkreis der Vereinten Na-tionen angesiedelt waren wie die Internationale Organi-sation fuumlr Migration und der Hohe Fluumlchtlingskommissar der Vereinten Nationen (UNHCR) Innerhalb des Rahmens zur regionalen Integration etabliert das Gesetz drei Aufent-haltskategorien dauerhaft temporaumlr und vorruumlbergehend Die allgemeinen Prinzipien des Gesetzes formulieren ein ehrgeiziges Programm Neben dem expliziten Wunsch Einwanderer sozio-kulturell in die argentinische Gesell-schaft zu integrieren einschlieszliglich der gleichberechtigten Partizipation von Migranten am Arbeitsmarkt verpflichtet der Gesetzestext den Staat dazu das Menschenrecht auf Migration anzuerkennen Dieses sieht den Grundsatz zur Gleichbehandlung von Migranten und Einheimischen vor dem Gesetz vor garantiert das Recht auf Familienzusam-menfuumlhrung und Zugang zum Gesundheits- und Bildungs-system sowie zu Sozialleistungen fuumlr Auslaumlnder unab-haumlngig von ihrem Migrationsstatus Daruumlber hinaus betont das Gesetz die Rechte von im Ausland lebenden argenti-nischen Staatsangehoumlrigen und foumlrdert deren Ruumlckkehr-migration

Das Gesetz wurde von einer groszligen Medienkampagne begleitet die Einwanderer informierte und dazu ermutigte ihren Aufenthaltsstatus regularisieren zu lassen Zudem wurde ein weitreichendes Regularisierungsprogramm mit dem Namen rsaquoPatria Grandelsaquo (Groszliges Heimatland) auf-gelegt das zwischen 2006 und 2010 die Regularisierung von 650000 Migranten aus MERCOSUR-Mitgliedslaumlndern vereinfachte Insgesamt wurden im Rahmen des Patria Grande-Programms und anderen Regularisierungsmoumlg-lichkeiten zwischen 2004 und 2011 1688106 Antraumlge auf einen legalen Aufenthaltsstatus gestellt Das Regularisie-rungsprogramm garantierte das Recht sich im Land auf-zuhalten aber auch Argentinien zu verlassen und wieder einzureisen ebenso wie das Recht zu studieren und eine Arbeitserlaubnis zu erhalten Es bildete den ersten Schritt zum Erwerb einer dauerhaften Aufenthaltsgenehmigung Urspruumlnglich wurde das Patria Grande-Programm als ein administratives Instrument zur Legalisierung des Aufent-haltsstatus von Migranten konzipiert Es entwickelte sich allerdings zu einem zentralen Instrument des Staates eine neue Vision von Zugehoumlrigkeit und der Partizipation von Migranten an der Nation zu artikulieren

Weitere Instrumente die mit der neuen nationalen Mig-rationsgesetzgebung und dem Regularisierungsprogramm in Zusammenhang stehen umfassten das rsaquoNationale Insti-

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tut gegen Diskriminierung Auslaumlnderfeindlichkeit und Ras-sismuslsaquo eine dreigliedrige Kommission zu Gender-Fragen und Gleichstellung auf dem Arbeitsmarkt sowie ein Natio-nales Bildungsgesetz (Nr 26206) das den Zugang von undokumentierten Migranten zum Grund- und weiterfuumlh-renden Schulsystem sowie zur Universitaumlt garantieren soll

Die Reformen der vergangenen Jahre hatten zur Folge dass die Kategorie des rsaquoillegalen Einwandererslsaquo nahezu verschwunden ist Der Erfolg von Programmen wie Pat-ria Grande und anderen nicht-MERCOSUR Regularisie-rungsmaszlignahmen sicherte hunderttausenden in Argentini-en lebenden Auslaumlndern einen legalen Aufenthaltsstatus Daten zur irregulaumlren Migration in Argentinien waren im-mer schon rar und die Regierung selbst verfuumlgt nicht uumlber praumlzise Statistiken Dennoch wurde die Zahl der undoku-mentierten Bevoumllkerung vor der Einfuumlhrung der juumlngsten Regularisierungskampagnen auf 750000 bis eine Million Menschen geschaumltzt31

Staatsbuumlrgerschaft

Erwachsene Einwanderer haben die Moumlglichkeit die ar-gentinische Staatsbuumlrgerschaft fuumlr sich und ihre Familie zu beantragen Im Ausland geborene Personen die eine ge-wisse Zeit in Argentinien gelebt haben und bestimmte Vor-aussetzungen erfuumlllen koumlnnen die argentinische Staatsan-gehoumlrigkeit erwerben Die Regularien dazu finden sich in der Verfassung des Landes die das Territorialprinzip (jus soli) festschreibt und wurden 2004 uumlberarbeitet Neben der Modernisierung des Einbuumlrgerungsverfahrens diente die Reform von 2004 hauptsaumlchlich dazu Restriktionen zu beseitigen die waumlhrend der Herrschaft der Militaumlrjunta (1976-1983) eingefuumlhrt worden waren wie beispielsweise die Voraussetzung nicht nur muumlndliche und schriftliche Spanischkenntnisse sowie Grundkenntnisse der Verfas-sung Argentiniens vorweisen zu muumlssen sondern insbe-sondere auch ein legales Arbeitsverhaumlltnis nachzuweisen

Es gibt verschiedene Moumlglichkeiten die argentinische Staatsbuumlrgerschaft zu erlangen Neben dem Territorial-recht bei Geburt auf argentinischem Boden haben Er-wachsene uumlber 18 Jahre auch die Moumlglichkeit nach zwei Jahren rechtmaumlszligigen Aufenthalts im Land die Einbuumlrge-rung zu beantragen Die Rechtmaumlszligigkeit ihres Aufenthalts muss von der nationalen Einwanderungsbehoumlrde bestaumltigt werden Es gelten einige Restriktionen So muumlssen Be-werber um die Staatsbuumlrgerschaft straffrei sein und ihren Lebensunterhalt unabhaumlngig von Zuwendungen aus dem Sozialsystem bestreiten koumlnnen sie muumlssen aber nicht mehr nachweisen dass sie in einem legalen Arbeitsver-haumlltnis stehen Daneben eroumlffnen auch die Ehe mit einem argentinischen Staatsangehoumlrigen oder der Nachweis El-ternteil eines Kindes zu sein das die argentinische Staats-angehoumlrigkeit besitzt die Moumlglichkeit eine Einbuumlrgerung zu beantragen

Der Besitz einer doppelten Staatsbuumlrgerschaft ist ein weit verbreitetes Phaumlnomen in Argentinien das allerdings auf Laumlnder beschraumlnkt ist mit denen Argentinien ein bi-laterales Abkommen unterhaumllt wie zB Spanien Italien

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und Chile Argentinier mit doppelter Staatsbuumlrgerschaft davon einer europaumlischen koumlnnen die politischen Pro-zesse in Europa beeinflussen In Argentinien wohnhafte Inhaber eines italienischen Passes beteiligten sich stark (569 Prozent) an den landesweiten Wahlen zum Abgeord-netenhaus in Italien im Jahr 2008 und beeinflussten so das Wahlergebnis32

Flucht und Asyl - Fluumlchtlingspolitik

1961 hat Argentinien die Genfer Fluumlchtlingskonvention un-terzeichnet spaumlter auch das dazugehoumlrige Protokoll von 1967 Obwohl das Land bereits seit vielen Jahrzehnten Fluumlchtlinge aufnimmt gibt es erst seit 2006 ein echtes Ge-setz zur Anerkennung und zum Schutz von Fluumlchtlingen (rsaquoLey General de Reconocimiento y Proteccioacuten al Refugia-do Ley 26165lsaquo) Dieses Gesetz nahm auch die Erklaumlrung von Cartagena aus dem Jahr 1984 auf die die Fluumlchtlings-definition des Hohen Fluumlchtlingskommissars der Vereinten Nationen (UNHCR) erweiterte indem sie sie auch auf Per-sonen bezog die vor Krieg und Unruhen fliehen

2003 initiierte Argentinien einen Prozess zur Unter-zeichnung aller noch ausstehenden internationalen Men-schenrechtsabkommen Das Land begann im Zuge sei-nes menschenrechtsbasierten Politikansatzes damit das Fluumlchtlingswesen und damit in Verbindung stehende Ins-titutionen aufzubauen In Erinnerung an die traumatische Erfahrung tausender argentinischer Auswanderer und Fluumlchtlinge waumlhrend der letzten Militaumlrdiktatur (1976-1983) verabschiedete Argentinien Gesetze die den Fluumlchtlings-schutz anhoben und trat 2005 an die Seite anderer latein-amerikanischer Staaten in ihrem gemeinsamen Bestreben Fluumlchtlinge umzusiedeln (Resettlement) Zusammen mit dem bereits erwaumlhnten Gesetz zur Anerkennung und zum Schutz von Fluumlchtlingen (No 26165) wurde im Jahr 2009 ein Nationaler Fluumlchtlingsrat (CONARE) eingerichtet der das Innen- Auszligen- Justiz- und Sozialministerium und an-dere Einrichtungen einbezieht uumlber die Zuerkennung ei-nes Fluumlchtlingsstatus entscheidet und sich fuumlr die Rechte von Fluumlchtlingen einsetzt Heute haben Asylsuchende und anerkannte Fluumlchtlinge in Argentinien das Recht auf Doku-mente die ihren Aufenthaltsstatus nachweisen sie duumlrfen arbeiten und haben Zugang zur Grundversorgung Zudem haben Fluumlchtlinge und Asylsuchende dieselben Rechte wie andere im Land lebende Auslaumlnder sie duumlrfen sich im Land frei bewegen haben Zugang zu Bildung zur Gesundheits-versorgung und zur Justiz und genieszligen Religionsfreiheit

Seitdem das Land 1985 damit begonnen hat Fluumlchtlin-ge anzuerkennen sind in Argentinien etwa 13000 Antraumlge von Asylsuchenden aus uumlber 46 Herkunftslaumlndern einge-gangen In 3200 Faumlllen wurde Asyl gewaumlhrt Zwischen 2006 und 2010 kamen die meisten Asylsuchenden aus dem Senegal (ca 769 Personen) Kolumbien (665) und der Dominikanischen Republik (547) Eine weitere Grup-pe die von dem neuen Fluumlchtlingsgesetz profitierte waren Staatsangehoumlrige Haitis die nach dem verheerenden Erd-beben 2010 in Argentinien Schutz gefunden haben33 Im Januar 2014 registrierte der UNHCR 3362 in Argentinien

lebende anerkannte Fluumlchtlinge und 916 Asylsuchende 2013 waren in Argentinien 614 Asylantraumlge gestellt wor-den

Herausforderungen und Ausblick

Das Migrationsgesetz von 2004 markiert einen Wende-punkt in der juumlngeren Geschichte Argentiniens indem es Gesetze aufhob die sich seit der letzten Diktatur nicht grundlegend veraumlndert hatten Es markiert den Uumlbergang von einer restriktiven Politik zu einem realistischen of-fenen Einwanderungskonzept dessen Implementierung immer noch mit deutlichem Widerstand vonseiten der staatlichen Verwaltung und einiger Teile der Gesellschaft konfrontiert ist34 Das Gesetz erkennt die Leistungen von Migration fuumlr das Land ausdruumlcklich an und druumlckt den Be-darf nach oumlffentlichen Politiken aus um die volle Integrati-on der Einwanderer zu realisieren In diesem Sinne positi-oniert die neue argentinische Migrationsgesetzgebung das Land in einem auf Rechten basierenden Migrationsregime Das trifft auch auf das Engagement des Landes fuumlr Fluumlcht-linge zu Argentinien nahm 2012 und 2013 300 syrische Familien auf

Vor dem Hintergrund restriktiver Zuwanderungspolitiken in den USA und Europa in Kombination mit der groszligzuumlgi-gen argentinischen Gesetzgebung ist es sehr wahrschein-lich dass Einwanderung das Land auch in den kommen-den Jahren weiter praumlgen wird Dies gilt insbesondere fuumlr die Einwanderung aus den Nachbarlaumlndern Besonders diejenigen Einwanderergemeinden die sich bereits in Ar-gentinien etabliert haben werden voraussichtlich weiter wachsen Aber auch die Ruumlckkehr von Argentiniern aus Suumldeuropa ist sehr wahrscheinlich da die Hauptziellaumlnder argentinischer Auswanderer die sich seit 2001 herausge-bildet haben weiterhin unter groszligem finanzpolitischen wirtschaftlichen und sozialen Druck stehen

Wie Argentinien auf zukuumlnftige Migrationsbewegungen reagieren wird haumlngt von zwei grundlegenden Entwicklun-gen ab Dazu zaumlhlt zum einen die politische Situation im Land Die Regierungen Kirchner hatten mehr als zehn Jah-re Zeit den rechtebasierten Ansatz in der nationalen Poli-tik durchzusetzen in Abstimmung mit dem Vorhaben einer staumlrkeren regionalen Integration Das Land teilt aumlhnliche politische Ansaumltze mit benachbarten Laumlndern insbeson-dere Brasilien und Bolivien was die Steuerung regionaler Migration und die Regularisierung des Aufenthaltsstatus von Einwanderern vereinfacht hat Zukuumlnftige argentini-sche Regierungen koumlnnten sicherlich einen restriktiveren Kurs in Fragen der Einwanderung und Regularisierung ein-schlagen um einer konservativeren und am rechten Rand orientierten Waumlhlerschaft gerecht zu werden

Zum anderen hat das hohe Wirtschaftswachstum seit 2003 Argentinien erneut zu einem attraktiven Zielland fuumlr Einwanderer gemacht Seit 2012 steckt allerdings das nach der Krise 2001 etablierte post-neoliberale Wirtschaftsmo-dell das auf einem starken Staat dominanten Export-wirtschaftssektoren und einer relativen Unabhaumlngigkeit von internationalen Kreditmaumlrkten basiert in ernsthaften

Schwierigkeiten Dies betrifft nicht nur Argentinien son-dern die gesamte Region Sollte sich diese Entwicklung fortsetzen erscheint es moumlglich dass der interne Druck die Einwanderung zu reduzieren waumlchst und die offene Migrationspolitik die in den letzten zehn Jahren erfolg-reich eingefuumlhrt worden ist wieder zuruumlckgenommen wird

Ein optimistisches Resuumlmee der letzten zehn Jahre er-laubt die Sichtweise dass sich ein neues Paradigma im Hinblick auf die Konzeptualisierung nationaler Identitaumlt herausbildet Weg vom Prinzip der nationalen Souveraumlni-taumlt und Selbstbestimmung hin zu einem Konzept das die Verantwortung des Staates gegenuumlber seinen Buumlrgern im Rahmen von internationalen und regionalen Menschen-rechtskonventionen betont und die Vorstellungen von Zu-gehoumlrigkeit und Staatsbuumlrgerschaft ausweitet indem es sich von assimilationistischen Diskursen (siehe Kasten 4) abwendet und stattdessen den Ansatz kultureller Plurali-taumlt beim Entwurf oumlffentlicher Politik verfolgt35 Dennoch ist es zu fruumlh um abwaumlgen zu koumlnnen ob diese Entwicklung auch Auswirkungen auf die Kultur der Fremdenfeindlich-keit und Gefuumlhle von Uumlberlegenheit gegenuumlber lateiname-rikanischen Einwanderern hat die von vielen Argentiniern in ihrer Selbstauffassung als rsaquoweiszlige Gesellschaftlsaquo geteilt werden Dies erscheint angesichts der aktuellen schwer-wiegenden wirtschaftlichen und sozialen Probleme im Land die das nationale Projekt der Kirchner Regierung unter groszligen Druck setzen noch schwieriger zu sein

Anmerkungen

1 Martiacutenez Shaw (1994)2 Andrews (1980)3 Castro (1991)4 Rock (2002)5 Trinchero (2006)6 Devoto (2009)7 Corteacutes Conde (2009)8 Williamson (1999)9 Williamson (1994)

10 Nugent (1995)11 Rein (2010)12 Nugent (1995)13 Biernat (2007)14 Devoto (2009)15 Benencia (2009)16 OAS (2012)17 Bologna (2010)18 Bastiavom Hau (2013) 19 Zubrzycki (2012)20 Andrews (1980)21 Organizacioacuten Internacional para las Migraciones (OIM) (2012)22 OECD (2009)23 Ginieniewicz (2012) EstebanActis (2012)24 Hierro (2013)25 OECD (2013)26 BrodskyRein (2013)27 Martiacuten-Peacuterez (2012)28 OECD (2013)29 Instituto Nacional de Estadiacutestica (Spanien) (2014)

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30 Novick (2012)31 Hines (2010) 32 Tintori (2011)33 Cavaleri (2012)34 Baladroacuten et al (2013)35 Domenech (2007)

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Nationale Fluumlchtlingskommission [Comisioacuten Nacional para los Refugiados] wwwmigracionesgovarconare

Internationale Organisation fuumlr Migration - Argentinien wwwargentinaiomint

Zentrum fuumlr lateinamerikanische Migrationsstudien [Cen-tro de Estudios Migratorios Latinoamericanos (CEMLA)] httpcemlacom

Herausgeber Institut fuumlr Migrationsforschung und Interkulturelle Studien (IMIS) der Universitaumlt Osnabruumlck Neuer Graben 1921 49069 Osnabruumlck Tel +49(0)541 969 4384 Fax +49 (0)541 969 4380 E-Mail imisuni-osnabrueckde

Bundeszentrale fuumlr politische Bildung (bpb) Adenauerallee 86 53113 Bonn unter Mitwirkung des Netzwerks Migration in Europa eV Redaktion Dr Marcel Berlinghoff Vera Hanewinkel Apl Prof Dr Jochen Oltmer (verantw) Uumlbersetzung ins Deutsche Vera Hanewinkel

Die Erstellung der Laumlnderprofile (ISSN 1864-6220) und Kurzdossiers (ISSN 1864-5704) erfolgt in Kooperation der oa Partner Der Inhalt der Laumlnderprofile und Kurzdossiers gibt nicht unbedingt die Ansicht der Herausgeber wieder Der Abdruck von Auszuumlgen und Graphiken ist bei Nennung der Quelle erlaubt

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IMPRESSUM

Der Autor

Thomas Maier ist Doktorand am Institut fuumlr Amerikastudi-en (Institute of the Americas) das Teil des University Col-lege London und damit der Universitaumlt London ist Sein Forschungsschwerpunkt ist die Geschichte von Arbeit und Wohlfahrtsstaat in den Amerikas insbesondere in Argenti-nien und auf dem Suumldkegel Lateinamerikas

E-Mail thomasmaier12uclacuk

Page 9: Argentinien - m.bpb.de

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nach Argentinien von 2182 Personen 2012 auf 2682 Per-sonen 2013 gestiegen29 Argentinien hat mit zahlreichen lateinamerikanischen Staaten und Spanien verschiedene Abkommen unterzeichnet die die Uumlbertragung von erwor-benen Sozialleistungsanspruumlchen ohne grundlegende Ver-luste fuumlr Arbeitsmigranten ermoumlglichen sollen

Veraumlnderungen der Einwanderungs- und Regularisierungsgesetzgebung

Militaumlrherrschaft und Einwanderung

Seit dem Ruumlckgang der europaumlischen Einwanderung der zunehmenden Zahl an Migranten aus umliegenden Laumln-dern und der Bedeutung der Dynamik interner Migration seit dem Zweiten Weltkrieg hat Argentinien grundlegende Veraumlnderungen dahingehend durchlaufen wie Einwande-rung konzipiert und rechtlich gerahmt wird Uumlber Jahrzehn-te hingen die gesetzlichen Bestimmungen und Wahrneh-mungen der Einwanderungspolitik stark vom politischen Programm der jeweiligen machthabenden Regierung ab Waumlhrend der verschiedenen Militaumlrdiktaturen zwischen 1955 und 1983 herrschte ein restriktiverer Ansatz vor als unter zivilen Regierungen beispielsweise in den Jahren 1963 bis 1966 und 1973 bis 1976

Die grundlegendste Reform erfolgte 1981 als die Mili-taumlrjunta das rsaquoGenerelle Gesetz zur Migration und Foumlrde-rung von Einwanderunglsaquo erlieszlig Dieses wurde auch als Videla-Gesetz bezeichnet (benannt nach dem General und de facto Staatsoberhaupt von 1976 bis 1981 Jorge Rafa-el Videla) und hob das Avellaneda-Gesetz aus dem Jahr 1876 auf Auch wenn das Videla-Gesetz weiterhin die eu-ropaumlische Einwanderung befuumlrwortete insbesondere zum Zwecke der Besiedlung und des Bevoumllkerungswachstums enthielt es viele repressive Bestimmungen zur illegalen Einwanderung die sich implizit gegen Neuankoumlmmlinge aus benachbarten Staaten richteten Das Gesetz verbot es undokumentierten Auslaumlndern ausdruumlcklich einer be-zahlten Arbeit nachzugehen schloss sie vom Zugang zum Gesundheits- und Bildungssystem aus und verpflichtete Beamte dazu den Behoumlrden jegliche irregulaumlre Situation zu melden Die Einwanderungspolitik wurde folglich fast ausschlieszliglich zur Aufgabe der Sicherheitsbehoumlrden was in der Doktrin zur rsaquoNationalen Sicherheitlsaquo zum Ausdruck

kam30 Es wurde fuumlr Einwanderer so zunehmend schwe-rer einen legalen Aufenthaltstitel zu erhalten sie waren in einer Situation der Verwundbarkeit und Irregularitaumlt ge-fangen

Nach der Ruumlckkehr zur Demokratie 1984 folgten die ver-fassungskonformen Regierungen einem offeneren Ansatz der auch verschiedene Amnestie-Programme fuumlr Migran-ten enthielt die sich illegal im Land aufhielten Dennoch blieb der breitere gesetzliche Rahmen der Militaumlrjunta bis 2004 in Kraft Daraus entwickelte sich eine widerspruumlchli-che gesetzliche und faktische Praxis Beispielsweise wur-de Einwanderern einerseits das Recht zur Teilnahme an Wahlen auf kommunaler Ebene und auch in den meisten Provinzwahlen gewaumlhrt gleichzeitig aber die Moumlglichkei-ten einer regulaumlren Arbeit nachzugehen eingeschraumlnkt die jedoch Voraussetzung fuumlr den Erwerb einer Niederlas-sungserlaubnis war

Neue Ansaumltze

Nachdem die Einwanderungspolitik seit der Diktatur uumlber Jahre hinweg unveraumlndert einen auslaumlnderfeindlichen und implizit rassistischen Ansatz verfolgt hatte haben in den letzten zehn Jahren grundlegende Reformen stattgefun-den die neue Grundprinzipien der Einwanderungspolitik einfuumlhrten

Die offenen oder versteckten rassistischen Einstellun-gen und Diskriminierungen gegenuumlber afrikanischen und lateinamerikanischen Einwanderern die sowohl in der Oumlf-fentlichkeit als auch im privaten Bereich im institutionellen Kontext als auch alltaumlglichen Begegnungen stattfinden stehen in starkem Kontrast zu den neueren Entwicklungen im Bereich sozialer Rechte einschlieszliglich derer von Mig-ranten Obwohl es in Argentinien bereits seit 1988 ein Anti-Diskriminierungsgesetz gibt wurden erst unter den Re-gierungen von zunaumlchst Neacutestor Kirchner (2003-2007) und spaumlter seiner Frau Cristina Fernaacutendez de Kirchner (2007 bis heute 2015) die sozialen Rechte deutlich gestaumlrkt Die betraumlchtlichen Reformen in Bezug auf die Rechte von Einwanderern wurden dabei in der Oumlffentlichkeit weniger wahrgenommen als die sichtbaren Reformen und Ansaumltze wie etwa die Einfuumlhrung von gleichen Rechten fuumlr gleich-geschlechtliche Partnerschaften die offensive Verfolgung von Straftaumltern der letzten Militaumlrdiktatur und die deutliche Ausweitung von sozialen Rechten im Bereich des Wohl-fahrts- und Bildungssystems inklusive effektiver Umvertei-lungspolitik Die neue Einwanderungspolitik die auf dem Ansatz der Gewaumlhrung von Rechten beruht hat einerseits zur Legalisierung des Aufenthaltsstatus von Neuzuwan-derern gefuumlhrt Andererseits profitieren davon aber auch besonders schutzbeduumlrftige Fluumlchtlinge Wirtschaftsda-ten legen daruumlber hinaus nahe dass dieser Politikansatz der Kirchner-Regierungen positive Auswirkungen auf das juumlngste wirtschaftliche Wachstum des Landes hatte das zwischen 2003 und 2012 durchschnittlich 72 Prozent be-trug

Erste Schritte zu einer vereinfachten Regularisierung des Aufenthaltsstatus wurden 2002 mit dem rsaquoRegionalen Abkommen fuumlr Staatsbuumlrger der Mitgliedstaaten des Ge-

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Kasten 5 Europaumlischer Staatsbuumlrger werden

Ein Blick auf den Erwerb der italienischen Staatsbuumlr-gerschaft durch argentinische Staatsangehoumlrige zeigt in den Jahren nach 2001 eine deutliche Zunahme Waumlhrend 2001 316 Argentinier die italienische Staats-buumlrgerschaft erhielten waren es 2006 2569 Personen In Spanien zeigt sich der Anstieg sogar noch deutlicher Die Zahl der Argentinier die die spanische Staatsan-gehoumlrigkeit erwarben stieg von 791 im Jahr 2001 auf 6395 in 2010

meinsamen Marktes Suumldamerikaslsaquo (MECOSUR dh Ar-gentinien Brasilien Uruguay und Paraguay) und den as-soziierten Staaten (Bolivien und Chile) gemacht Demnach haben Staatsangehoumlrige der genannten Laumlnder das Recht in jedem anderen Mitglieds- oder assoziierten Land zu le-ben und zu arbeiten und sind mit den jeweiligen Staats-angehoumlrigen gleichberechtigt Ein Wendepunkt wurde mit der Verabschiedung des Gesetzes Nr 25871 im Jahr 2004 erreicht das viele der Grundprinzipien der UN-Wan-derarbeitnehmerkonvention von 1990 beinhaltet Bei der Vorbereitung des Gesetzes kooperierte die argentinische Regierung mit einer Beratungskommission aus Vertretern von verschiedenen Menschenrechts- und Expertenorgani-sationen von denen viele im Umkreis der Vereinten Na-tionen angesiedelt waren wie die Internationale Organi-sation fuumlr Migration und der Hohe Fluumlchtlingskommissar der Vereinten Nationen (UNHCR) Innerhalb des Rahmens zur regionalen Integration etabliert das Gesetz drei Aufent-haltskategorien dauerhaft temporaumlr und vorruumlbergehend Die allgemeinen Prinzipien des Gesetzes formulieren ein ehrgeiziges Programm Neben dem expliziten Wunsch Einwanderer sozio-kulturell in die argentinische Gesell-schaft zu integrieren einschlieszliglich der gleichberechtigten Partizipation von Migranten am Arbeitsmarkt verpflichtet der Gesetzestext den Staat dazu das Menschenrecht auf Migration anzuerkennen Dieses sieht den Grundsatz zur Gleichbehandlung von Migranten und Einheimischen vor dem Gesetz vor garantiert das Recht auf Familienzusam-menfuumlhrung und Zugang zum Gesundheits- und Bildungs-system sowie zu Sozialleistungen fuumlr Auslaumlnder unab-haumlngig von ihrem Migrationsstatus Daruumlber hinaus betont das Gesetz die Rechte von im Ausland lebenden argenti-nischen Staatsangehoumlrigen und foumlrdert deren Ruumlckkehr-migration

Das Gesetz wurde von einer groszligen Medienkampagne begleitet die Einwanderer informierte und dazu ermutigte ihren Aufenthaltsstatus regularisieren zu lassen Zudem wurde ein weitreichendes Regularisierungsprogramm mit dem Namen rsaquoPatria Grandelsaquo (Groszliges Heimatland) auf-gelegt das zwischen 2006 und 2010 die Regularisierung von 650000 Migranten aus MERCOSUR-Mitgliedslaumlndern vereinfachte Insgesamt wurden im Rahmen des Patria Grande-Programms und anderen Regularisierungsmoumlg-lichkeiten zwischen 2004 und 2011 1688106 Antraumlge auf einen legalen Aufenthaltsstatus gestellt Das Regularisie-rungsprogramm garantierte das Recht sich im Land auf-zuhalten aber auch Argentinien zu verlassen und wieder einzureisen ebenso wie das Recht zu studieren und eine Arbeitserlaubnis zu erhalten Es bildete den ersten Schritt zum Erwerb einer dauerhaften Aufenthaltsgenehmigung Urspruumlnglich wurde das Patria Grande-Programm als ein administratives Instrument zur Legalisierung des Aufent-haltsstatus von Migranten konzipiert Es entwickelte sich allerdings zu einem zentralen Instrument des Staates eine neue Vision von Zugehoumlrigkeit und der Partizipation von Migranten an der Nation zu artikulieren

Weitere Instrumente die mit der neuen nationalen Mig-rationsgesetzgebung und dem Regularisierungsprogramm in Zusammenhang stehen umfassten das rsaquoNationale Insti-

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tut gegen Diskriminierung Auslaumlnderfeindlichkeit und Ras-sismuslsaquo eine dreigliedrige Kommission zu Gender-Fragen und Gleichstellung auf dem Arbeitsmarkt sowie ein Natio-nales Bildungsgesetz (Nr 26206) das den Zugang von undokumentierten Migranten zum Grund- und weiterfuumlh-renden Schulsystem sowie zur Universitaumlt garantieren soll

Die Reformen der vergangenen Jahre hatten zur Folge dass die Kategorie des rsaquoillegalen Einwandererslsaquo nahezu verschwunden ist Der Erfolg von Programmen wie Pat-ria Grande und anderen nicht-MERCOSUR Regularisie-rungsmaszlignahmen sicherte hunderttausenden in Argentini-en lebenden Auslaumlndern einen legalen Aufenthaltsstatus Daten zur irregulaumlren Migration in Argentinien waren im-mer schon rar und die Regierung selbst verfuumlgt nicht uumlber praumlzise Statistiken Dennoch wurde die Zahl der undoku-mentierten Bevoumllkerung vor der Einfuumlhrung der juumlngsten Regularisierungskampagnen auf 750000 bis eine Million Menschen geschaumltzt31

Staatsbuumlrgerschaft

Erwachsene Einwanderer haben die Moumlglichkeit die ar-gentinische Staatsbuumlrgerschaft fuumlr sich und ihre Familie zu beantragen Im Ausland geborene Personen die eine ge-wisse Zeit in Argentinien gelebt haben und bestimmte Vor-aussetzungen erfuumlllen koumlnnen die argentinische Staatsan-gehoumlrigkeit erwerben Die Regularien dazu finden sich in der Verfassung des Landes die das Territorialprinzip (jus soli) festschreibt und wurden 2004 uumlberarbeitet Neben der Modernisierung des Einbuumlrgerungsverfahrens diente die Reform von 2004 hauptsaumlchlich dazu Restriktionen zu beseitigen die waumlhrend der Herrschaft der Militaumlrjunta (1976-1983) eingefuumlhrt worden waren wie beispielsweise die Voraussetzung nicht nur muumlndliche und schriftliche Spanischkenntnisse sowie Grundkenntnisse der Verfas-sung Argentiniens vorweisen zu muumlssen sondern insbe-sondere auch ein legales Arbeitsverhaumlltnis nachzuweisen

Es gibt verschiedene Moumlglichkeiten die argentinische Staatsbuumlrgerschaft zu erlangen Neben dem Territorial-recht bei Geburt auf argentinischem Boden haben Er-wachsene uumlber 18 Jahre auch die Moumlglichkeit nach zwei Jahren rechtmaumlszligigen Aufenthalts im Land die Einbuumlrge-rung zu beantragen Die Rechtmaumlszligigkeit ihres Aufenthalts muss von der nationalen Einwanderungsbehoumlrde bestaumltigt werden Es gelten einige Restriktionen So muumlssen Be-werber um die Staatsbuumlrgerschaft straffrei sein und ihren Lebensunterhalt unabhaumlngig von Zuwendungen aus dem Sozialsystem bestreiten koumlnnen sie muumlssen aber nicht mehr nachweisen dass sie in einem legalen Arbeitsver-haumlltnis stehen Daneben eroumlffnen auch die Ehe mit einem argentinischen Staatsangehoumlrigen oder der Nachweis El-ternteil eines Kindes zu sein das die argentinische Staats-angehoumlrigkeit besitzt die Moumlglichkeit eine Einbuumlrgerung zu beantragen

Der Besitz einer doppelten Staatsbuumlrgerschaft ist ein weit verbreitetes Phaumlnomen in Argentinien das allerdings auf Laumlnder beschraumlnkt ist mit denen Argentinien ein bi-laterales Abkommen unterhaumllt wie zB Spanien Italien

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und Chile Argentinier mit doppelter Staatsbuumlrgerschaft davon einer europaumlischen koumlnnen die politischen Pro-zesse in Europa beeinflussen In Argentinien wohnhafte Inhaber eines italienischen Passes beteiligten sich stark (569 Prozent) an den landesweiten Wahlen zum Abgeord-netenhaus in Italien im Jahr 2008 und beeinflussten so das Wahlergebnis32

Flucht und Asyl - Fluumlchtlingspolitik

1961 hat Argentinien die Genfer Fluumlchtlingskonvention un-terzeichnet spaumlter auch das dazugehoumlrige Protokoll von 1967 Obwohl das Land bereits seit vielen Jahrzehnten Fluumlchtlinge aufnimmt gibt es erst seit 2006 ein echtes Ge-setz zur Anerkennung und zum Schutz von Fluumlchtlingen (rsaquoLey General de Reconocimiento y Proteccioacuten al Refugia-do Ley 26165lsaquo) Dieses Gesetz nahm auch die Erklaumlrung von Cartagena aus dem Jahr 1984 auf die die Fluumlchtlings-definition des Hohen Fluumlchtlingskommissars der Vereinten Nationen (UNHCR) erweiterte indem sie sie auch auf Per-sonen bezog die vor Krieg und Unruhen fliehen

2003 initiierte Argentinien einen Prozess zur Unter-zeichnung aller noch ausstehenden internationalen Men-schenrechtsabkommen Das Land begann im Zuge sei-nes menschenrechtsbasierten Politikansatzes damit das Fluumlchtlingswesen und damit in Verbindung stehende Ins-titutionen aufzubauen In Erinnerung an die traumatische Erfahrung tausender argentinischer Auswanderer und Fluumlchtlinge waumlhrend der letzten Militaumlrdiktatur (1976-1983) verabschiedete Argentinien Gesetze die den Fluumlchtlings-schutz anhoben und trat 2005 an die Seite anderer latein-amerikanischer Staaten in ihrem gemeinsamen Bestreben Fluumlchtlinge umzusiedeln (Resettlement) Zusammen mit dem bereits erwaumlhnten Gesetz zur Anerkennung und zum Schutz von Fluumlchtlingen (No 26165) wurde im Jahr 2009 ein Nationaler Fluumlchtlingsrat (CONARE) eingerichtet der das Innen- Auszligen- Justiz- und Sozialministerium und an-dere Einrichtungen einbezieht uumlber die Zuerkennung ei-nes Fluumlchtlingsstatus entscheidet und sich fuumlr die Rechte von Fluumlchtlingen einsetzt Heute haben Asylsuchende und anerkannte Fluumlchtlinge in Argentinien das Recht auf Doku-mente die ihren Aufenthaltsstatus nachweisen sie duumlrfen arbeiten und haben Zugang zur Grundversorgung Zudem haben Fluumlchtlinge und Asylsuchende dieselben Rechte wie andere im Land lebende Auslaumlnder sie duumlrfen sich im Land frei bewegen haben Zugang zu Bildung zur Gesundheits-versorgung und zur Justiz und genieszligen Religionsfreiheit

Seitdem das Land 1985 damit begonnen hat Fluumlchtlin-ge anzuerkennen sind in Argentinien etwa 13000 Antraumlge von Asylsuchenden aus uumlber 46 Herkunftslaumlndern einge-gangen In 3200 Faumlllen wurde Asyl gewaumlhrt Zwischen 2006 und 2010 kamen die meisten Asylsuchenden aus dem Senegal (ca 769 Personen) Kolumbien (665) und der Dominikanischen Republik (547) Eine weitere Grup-pe die von dem neuen Fluumlchtlingsgesetz profitierte waren Staatsangehoumlrige Haitis die nach dem verheerenden Erd-beben 2010 in Argentinien Schutz gefunden haben33 Im Januar 2014 registrierte der UNHCR 3362 in Argentinien

lebende anerkannte Fluumlchtlinge und 916 Asylsuchende 2013 waren in Argentinien 614 Asylantraumlge gestellt wor-den

Herausforderungen und Ausblick

Das Migrationsgesetz von 2004 markiert einen Wende-punkt in der juumlngeren Geschichte Argentiniens indem es Gesetze aufhob die sich seit der letzten Diktatur nicht grundlegend veraumlndert hatten Es markiert den Uumlbergang von einer restriktiven Politik zu einem realistischen of-fenen Einwanderungskonzept dessen Implementierung immer noch mit deutlichem Widerstand vonseiten der staatlichen Verwaltung und einiger Teile der Gesellschaft konfrontiert ist34 Das Gesetz erkennt die Leistungen von Migration fuumlr das Land ausdruumlcklich an und druumlckt den Be-darf nach oumlffentlichen Politiken aus um die volle Integrati-on der Einwanderer zu realisieren In diesem Sinne positi-oniert die neue argentinische Migrationsgesetzgebung das Land in einem auf Rechten basierenden Migrationsregime Das trifft auch auf das Engagement des Landes fuumlr Fluumlcht-linge zu Argentinien nahm 2012 und 2013 300 syrische Familien auf

Vor dem Hintergrund restriktiver Zuwanderungspolitiken in den USA und Europa in Kombination mit der groszligzuumlgi-gen argentinischen Gesetzgebung ist es sehr wahrschein-lich dass Einwanderung das Land auch in den kommen-den Jahren weiter praumlgen wird Dies gilt insbesondere fuumlr die Einwanderung aus den Nachbarlaumlndern Besonders diejenigen Einwanderergemeinden die sich bereits in Ar-gentinien etabliert haben werden voraussichtlich weiter wachsen Aber auch die Ruumlckkehr von Argentiniern aus Suumldeuropa ist sehr wahrscheinlich da die Hauptziellaumlnder argentinischer Auswanderer die sich seit 2001 herausge-bildet haben weiterhin unter groszligem finanzpolitischen wirtschaftlichen und sozialen Druck stehen

Wie Argentinien auf zukuumlnftige Migrationsbewegungen reagieren wird haumlngt von zwei grundlegenden Entwicklun-gen ab Dazu zaumlhlt zum einen die politische Situation im Land Die Regierungen Kirchner hatten mehr als zehn Jah-re Zeit den rechtebasierten Ansatz in der nationalen Poli-tik durchzusetzen in Abstimmung mit dem Vorhaben einer staumlrkeren regionalen Integration Das Land teilt aumlhnliche politische Ansaumltze mit benachbarten Laumlndern insbeson-dere Brasilien und Bolivien was die Steuerung regionaler Migration und die Regularisierung des Aufenthaltsstatus von Einwanderern vereinfacht hat Zukuumlnftige argentini-sche Regierungen koumlnnten sicherlich einen restriktiveren Kurs in Fragen der Einwanderung und Regularisierung ein-schlagen um einer konservativeren und am rechten Rand orientierten Waumlhlerschaft gerecht zu werden

Zum anderen hat das hohe Wirtschaftswachstum seit 2003 Argentinien erneut zu einem attraktiven Zielland fuumlr Einwanderer gemacht Seit 2012 steckt allerdings das nach der Krise 2001 etablierte post-neoliberale Wirtschaftsmo-dell das auf einem starken Staat dominanten Export-wirtschaftssektoren und einer relativen Unabhaumlngigkeit von internationalen Kreditmaumlrkten basiert in ernsthaften

Schwierigkeiten Dies betrifft nicht nur Argentinien son-dern die gesamte Region Sollte sich diese Entwicklung fortsetzen erscheint es moumlglich dass der interne Druck die Einwanderung zu reduzieren waumlchst und die offene Migrationspolitik die in den letzten zehn Jahren erfolg-reich eingefuumlhrt worden ist wieder zuruumlckgenommen wird

Ein optimistisches Resuumlmee der letzten zehn Jahre er-laubt die Sichtweise dass sich ein neues Paradigma im Hinblick auf die Konzeptualisierung nationaler Identitaumlt herausbildet Weg vom Prinzip der nationalen Souveraumlni-taumlt und Selbstbestimmung hin zu einem Konzept das die Verantwortung des Staates gegenuumlber seinen Buumlrgern im Rahmen von internationalen und regionalen Menschen-rechtskonventionen betont und die Vorstellungen von Zu-gehoumlrigkeit und Staatsbuumlrgerschaft ausweitet indem es sich von assimilationistischen Diskursen (siehe Kasten 4) abwendet und stattdessen den Ansatz kultureller Plurali-taumlt beim Entwurf oumlffentlicher Politik verfolgt35 Dennoch ist es zu fruumlh um abwaumlgen zu koumlnnen ob diese Entwicklung auch Auswirkungen auf die Kultur der Fremdenfeindlich-keit und Gefuumlhle von Uumlberlegenheit gegenuumlber lateiname-rikanischen Einwanderern hat die von vielen Argentiniern in ihrer Selbstauffassung als rsaquoweiszlige Gesellschaftlsaquo geteilt werden Dies erscheint angesichts der aktuellen schwer-wiegenden wirtschaftlichen und sozialen Probleme im Land die das nationale Projekt der Kirchner Regierung unter groszligen Druck setzen noch schwieriger zu sein

Anmerkungen

1 Martiacutenez Shaw (1994)2 Andrews (1980)3 Castro (1991)4 Rock (2002)5 Trinchero (2006)6 Devoto (2009)7 Corteacutes Conde (2009)8 Williamson (1999)9 Williamson (1994)

10 Nugent (1995)11 Rein (2010)12 Nugent (1995)13 Biernat (2007)14 Devoto (2009)15 Benencia (2009)16 OAS (2012)17 Bologna (2010)18 Bastiavom Hau (2013) 19 Zubrzycki (2012)20 Andrews (1980)21 Organizacioacuten Internacional para las Migraciones (OIM) (2012)22 OECD (2009)23 Ginieniewicz (2012) EstebanActis (2012)24 Hierro (2013)25 OECD (2013)26 BrodskyRein (2013)27 Martiacuten-Peacuterez (2012)28 OECD (2013)29 Instituto Nacional de Estadiacutestica (Spanien) (2014)

Laumlnderprofil Nr 32

30 Novick (2012)31 Hines (2010) 32 Tintori (2011)33 Cavaleri (2012)34 Baladroacuten et al (2013)35 Domenech (2007)

Literatur

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Seite 12

Laumlnderprofil Nr 32

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Nationales Bevoumllkerungsressort [Direccioacuten Nacional de Poblacioacuten] wwwmininteriorgovarpoblacionpoblacionphp Nationals Statistik- und Zensusinstitut [Instituto Nacional de Estadistica y Censos] wwwindecmeconar

Nationale Fluumlchtlingskommission [Comisioacuten Nacional para los Refugiados] wwwmigracionesgovarconare

Internationale Organisation fuumlr Migration - Argentinien wwwargentinaiomint

Zentrum fuumlr lateinamerikanische Migrationsstudien [Cen-tro de Estudios Migratorios Latinoamericanos (CEMLA)] httpcemlacom

Herausgeber Institut fuumlr Migrationsforschung und Interkulturelle Studien (IMIS) der Universitaumlt Osnabruumlck Neuer Graben 1921 49069 Osnabruumlck Tel +49(0)541 969 4384 Fax +49 (0)541 969 4380 E-Mail imisuni-osnabrueckde

Bundeszentrale fuumlr politische Bildung (bpb) Adenauerallee 86 53113 Bonn unter Mitwirkung des Netzwerks Migration in Europa eV Redaktion Dr Marcel Berlinghoff Vera Hanewinkel Apl Prof Dr Jochen Oltmer (verantw) Uumlbersetzung ins Deutsche Vera Hanewinkel

Die Erstellung der Laumlnderprofile (ISSN 1864-6220) und Kurzdossiers (ISSN 1864-5704) erfolgt in Kooperation der oa Partner Der Inhalt der Laumlnderprofile und Kurzdossiers gibt nicht unbedingt die Ansicht der Herausgeber wieder Der Abdruck von Auszuumlgen und Graphiken ist bei Nennung der Quelle erlaubt

Weitere Online-Ressourcen wwwbpbde wwwimisuni-osnabrueckde wwwmigration-infode wwwnetwork-migrationorg Unsere Laumlnderprofile und Kurzdossiers sind online verfuumlgbar unter wwwbpbde

IMPRESSUM

Der Autor

Thomas Maier ist Doktorand am Institut fuumlr Amerikastudi-en (Institute of the Americas) das Teil des University Col-lege London und damit der Universitaumlt London ist Sein Forschungsschwerpunkt ist die Geschichte von Arbeit und Wohlfahrtsstaat in den Amerikas insbesondere in Argenti-nien und auf dem Suumldkegel Lateinamerikas

E-Mail thomasmaier12uclacuk

Page 10: Argentinien - m.bpb.de

meinsamen Marktes Suumldamerikaslsaquo (MECOSUR dh Ar-gentinien Brasilien Uruguay und Paraguay) und den as-soziierten Staaten (Bolivien und Chile) gemacht Demnach haben Staatsangehoumlrige der genannten Laumlnder das Recht in jedem anderen Mitglieds- oder assoziierten Land zu le-ben und zu arbeiten und sind mit den jeweiligen Staats-angehoumlrigen gleichberechtigt Ein Wendepunkt wurde mit der Verabschiedung des Gesetzes Nr 25871 im Jahr 2004 erreicht das viele der Grundprinzipien der UN-Wan-derarbeitnehmerkonvention von 1990 beinhaltet Bei der Vorbereitung des Gesetzes kooperierte die argentinische Regierung mit einer Beratungskommission aus Vertretern von verschiedenen Menschenrechts- und Expertenorgani-sationen von denen viele im Umkreis der Vereinten Na-tionen angesiedelt waren wie die Internationale Organi-sation fuumlr Migration und der Hohe Fluumlchtlingskommissar der Vereinten Nationen (UNHCR) Innerhalb des Rahmens zur regionalen Integration etabliert das Gesetz drei Aufent-haltskategorien dauerhaft temporaumlr und vorruumlbergehend Die allgemeinen Prinzipien des Gesetzes formulieren ein ehrgeiziges Programm Neben dem expliziten Wunsch Einwanderer sozio-kulturell in die argentinische Gesell-schaft zu integrieren einschlieszliglich der gleichberechtigten Partizipation von Migranten am Arbeitsmarkt verpflichtet der Gesetzestext den Staat dazu das Menschenrecht auf Migration anzuerkennen Dieses sieht den Grundsatz zur Gleichbehandlung von Migranten und Einheimischen vor dem Gesetz vor garantiert das Recht auf Familienzusam-menfuumlhrung und Zugang zum Gesundheits- und Bildungs-system sowie zu Sozialleistungen fuumlr Auslaumlnder unab-haumlngig von ihrem Migrationsstatus Daruumlber hinaus betont das Gesetz die Rechte von im Ausland lebenden argenti-nischen Staatsangehoumlrigen und foumlrdert deren Ruumlckkehr-migration

Das Gesetz wurde von einer groszligen Medienkampagne begleitet die Einwanderer informierte und dazu ermutigte ihren Aufenthaltsstatus regularisieren zu lassen Zudem wurde ein weitreichendes Regularisierungsprogramm mit dem Namen rsaquoPatria Grandelsaquo (Groszliges Heimatland) auf-gelegt das zwischen 2006 und 2010 die Regularisierung von 650000 Migranten aus MERCOSUR-Mitgliedslaumlndern vereinfachte Insgesamt wurden im Rahmen des Patria Grande-Programms und anderen Regularisierungsmoumlg-lichkeiten zwischen 2004 und 2011 1688106 Antraumlge auf einen legalen Aufenthaltsstatus gestellt Das Regularisie-rungsprogramm garantierte das Recht sich im Land auf-zuhalten aber auch Argentinien zu verlassen und wieder einzureisen ebenso wie das Recht zu studieren und eine Arbeitserlaubnis zu erhalten Es bildete den ersten Schritt zum Erwerb einer dauerhaften Aufenthaltsgenehmigung Urspruumlnglich wurde das Patria Grande-Programm als ein administratives Instrument zur Legalisierung des Aufent-haltsstatus von Migranten konzipiert Es entwickelte sich allerdings zu einem zentralen Instrument des Staates eine neue Vision von Zugehoumlrigkeit und der Partizipation von Migranten an der Nation zu artikulieren

Weitere Instrumente die mit der neuen nationalen Mig-rationsgesetzgebung und dem Regularisierungsprogramm in Zusammenhang stehen umfassten das rsaquoNationale Insti-

Laumlnderprofil Nr 32

tut gegen Diskriminierung Auslaumlnderfeindlichkeit und Ras-sismuslsaquo eine dreigliedrige Kommission zu Gender-Fragen und Gleichstellung auf dem Arbeitsmarkt sowie ein Natio-nales Bildungsgesetz (Nr 26206) das den Zugang von undokumentierten Migranten zum Grund- und weiterfuumlh-renden Schulsystem sowie zur Universitaumlt garantieren soll

Die Reformen der vergangenen Jahre hatten zur Folge dass die Kategorie des rsaquoillegalen Einwandererslsaquo nahezu verschwunden ist Der Erfolg von Programmen wie Pat-ria Grande und anderen nicht-MERCOSUR Regularisie-rungsmaszlignahmen sicherte hunderttausenden in Argentini-en lebenden Auslaumlndern einen legalen Aufenthaltsstatus Daten zur irregulaumlren Migration in Argentinien waren im-mer schon rar und die Regierung selbst verfuumlgt nicht uumlber praumlzise Statistiken Dennoch wurde die Zahl der undoku-mentierten Bevoumllkerung vor der Einfuumlhrung der juumlngsten Regularisierungskampagnen auf 750000 bis eine Million Menschen geschaumltzt31

Staatsbuumlrgerschaft

Erwachsene Einwanderer haben die Moumlglichkeit die ar-gentinische Staatsbuumlrgerschaft fuumlr sich und ihre Familie zu beantragen Im Ausland geborene Personen die eine ge-wisse Zeit in Argentinien gelebt haben und bestimmte Vor-aussetzungen erfuumlllen koumlnnen die argentinische Staatsan-gehoumlrigkeit erwerben Die Regularien dazu finden sich in der Verfassung des Landes die das Territorialprinzip (jus soli) festschreibt und wurden 2004 uumlberarbeitet Neben der Modernisierung des Einbuumlrgerungsverfahrens diente die Reform von 2004 hauptsaumlchlich dazu Restriktionen zu beseitigen die waumlhrend der Herrschaft der Militaumlrjunta (1976-1983) eingefuumlhrt worden waren wie beispielsweise die Voraussetzung nicht nur muumlndliche und schriftliche Spanischkenntnisse sowie Grundkenntnisse der Verfas-sung Argentiniens vorweisen zu muumlssen sondern insbe-sondere auch ein legales Arbeitsverhaumlltnis nachzuweisen

Es gibt verschiedene Moumlglichkeiten die argentinische Staatsbuumlrgerschaft zu erlangen Neben dem Territorial-recht bei Geburt auf argentinischem Boden haben Er-wachsene uumlber 18 Jahre auch die Moumlglichkeit nach zwei Jahren rechtmaumlszligigen Aufenthalts im Land die Einbuumlrge-rung zu beantragen Die Rechtmaumlszligigkeit ihres Aufenthalts muss von der nationalen Einwanderungsbehoumlrde bestaumltigt werden Es gelten einige Restriktionen So muumlssen Be-werber um die Staatsbuumlrgerschaft straffrei sein und ihren Lebensunterhalt unabhaumlngig von Zuwendungen aus dem Sozialsystem bestreiten koumlnnen sie muumlssen aber nicht mehr nachweisen dass sie in einem legalen Arbeitsver-haumlltnis stehen Daneben eroumlffnen auch die Ehe mit einem argentinischen Staatsangehoumlrigen oder der Nachweis El-ternteil eines Kindes zu sein das die argentinische Staats-angehoumlrigkeit besitzt die Moumlglichkeit eine Einbuumlrgerung zu beantragen

Der Besitz einer doppelten Staatsbuumlrgerschaft ist ein weit verbreitetes Phaumlnomen in Argentinien das allerdings auf Laumlnder beschraumlnkt ist mit denen Argentinien ein bi-laterales Abkommen unterhaumllt wie zB Spanien Italien

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und Chile Argentinier mit doppelter Staatsbuumlrgerschaft davon einer europaumlischen koumlnnen die politischen Pro-zesse in Europa beeinflussen In Argentinien wohnhafte Inhaber eines italienischen Passes beteiligten sich stark (569 Prozent) an den landesweiten Wahlen zum Abgeord-netenhaus in Italien im Jahr 2008 und beeinflussten so das Wahlergebnis32

Flucht und Asyl - Fluumlchtlingspolitik

1961 hat Argentinien die Genfer Fluumlchtlingskonvention un-terzeichnet spaumlter auch das dazugehoumlrige Protokoll von 1967 Obwohl das Land bereits seit vielen Jahrzehnten Fluumlchtlinge aufnimmt gibt es erst seit 2006 ein echtes Ge-setz zur Anerkennung und zum Schutz von Fluumlchtlingen (rsaquoLey General de Reconocimiento y Proteccioacuten al Refugia-do Ley 26165lsaquo) Dieses Gesetz nahm auch die Erklaumlrung von Cartagena aus dem Jahr 1984 auf die die Fluumlchtlings-definition des Hohen Fluumlchtlingskommissars der Vereinten Nationen (UNHCR) erweiterte indem sie sie auch auf Per-sonen bezog die vor Krieg und Unruhen fliehen

2003 initiierte Argentinien einen Prozess zur Unter-zeichnung aller noch ausstehenden internationalen Men-schenrechtsabkommen Das Land begann im Zuge sei-nes menschenrechtsbasierten Politikansatzes damit das Fluumlchtlingswesen und damit in Verbindung stehende Ins-titutionen aufzubauen In Erinnerung an die traumatische Erfahrung tausender argentinischer Auswanderer und Fluumlchtlinge waumlhrend der letzten Militaumlrdiktatur (1976-1983) verabschiedete Argentinien Gesetze die den Fluumlchtlings-schutz anhoben und trat 2005 an die Seite anderer latein-amerikanischer Staaten in ihrem gemeinsamen Bestreben Fluumlchtlinge umzusiedeln (Resettlement) Zusammen mit dem bereits erwaumlhnten Gesetz zur Anerkennung und zum Schutz von Fluumlchtlingen (No 26165) wurde im Jahr 2009 ein Nationaler Fluumlchtlingsrat (CONARE) eingerichtet der das Innen- Auszligen- Justiz- und Sozialministerium und an-dere Einrichtungen einbezieht uumlber die Zuerkennung ei-nes Fluumlchtlingsstatus entscheidet und sich fuumlr die Rechte von Fluumlchtlingen einsetzt Heute haben Asylsuchende und anerkannte Fluumlchtlinge in Argentinien das Recht auf Doku-mente die ihren Aufenthaltsstatus nachweisen sie duumlrfen arbeiten und haben Zugang zur Grundversorgung Zudem haben Fluumlchtlinge und Asylsuchende dieselben Rechte wie andere im Land lebende Auslaumlnder sie duumlrfen sich im Land frei bewegen haben Zugang zu Bildung zur Gesundheits-versorgung und zur Justiz und genieszligen Religionsfreiheit

Seitdem das Land 1985 damit begonnen hat Fluumlchtlin-ge anzuerkennen sind in Argentinien etwa 13000 Antraumlge von Asylsuchenden aus uumlber 46 Herkunftslaumlndern einge-gangen In 3200 Faumlllen wurde Asyl gewaumlhrt Zwischen 2006 und 2010 kamen die meisten Asylsuchenden aus dem Senegal (ca 769 Personen) Kolumbien (665) und der Dominikanischen Republik (547) Eine weitere Grup-pe die von dem neuen Fluumlchtlingsgesetz profitierte waren Staatsangehoumlrige Haitis die nach dem verheerenden Erd-beben 2010 in Argentinien Schutz gefunden haben33 Im Januar 2014 registrierte der UNHCR 3362 in Argentinien

lebende anerkannte Fluumlchtlinge und 916 Asylsuchende 2013 waren in Argentinien 614 Asylantraumlge gestellt wor-den

Herausforderungen und Ausblick

Das Migrationsgesetz von 2004 markiert einen Wende-punkt in der juumlngeren Geschichte Argentiniens indem es Gesetze aufhob die sich seit der letzten Diktatur nicht grundlegend veraumlndert hatten Es markiert den Uumlbergang von einer restriktiven Politik zu einem realistischen of-fenen Einwanderungskonzept dessen Implementierung immer noch mit deutlichem Widerstand vonseiten der staatlichen Verwaltung und einiger Teile der Gesellschaft konfrontiert ist34 Das Gesetz erkennt die Leistungen von Migration fuumlr das Land ausdruumlcklich an und druumlckt den Be-darf nach oumlffentlichen Politiken aus um die volle Integrati-on der Einwanderer zu realisieren In diesem Sinne positi-oniert die neue argentinische Migrationsgesetzgebung das Land in einem auf Rechten basierenden Migrationsregime Das trifft auch auf das Engagement des Landes fuumlr Fluumlcht-linge zu Argentinien nahm 2012 und 2013 300 syrische Familien auf

Vor dem Hintergrund restriktiver Zuwanderungspolitiken in den USA und Europa in Kombination mit der groszligzuumlgi-gen argentinischen Gesetzgebung ist es sehr wahrschein-lich dass Einwanderung das Land auch in den kommen-den Jahren weiter praumlgen wird Dies gilt insbesondere fuumlr die Einwanderung aus den Nachbarlaumlndern Besonders diejenigen Einwanderergemeinden die sich bereits in Ar-gentinien etabliert haben werden voraussichtlich weiter wachsen Aber auch die Ruumlckkehr von Argentiniern aus Suumldeuropa ist sehr wahrscheinlich da die Hauptziellaumlnder argentinischer Auswanderer die sich seit 2001 herausge-bildet haben weiterhin unter groszligem finanzpolitischen wirtschaftlichen und sozialen Druck stehen

Wie Argentinien auf zukuumlnftige Migrationsbewegungen reagieren wird haumlngt von zwei grundlegenden Entwicklun-gen ab Dazu zaumlhlt zum einen die politische Situation im Land Die Regierungen Kirchner hatten mehr als zehn Jah-re Zeit den rechtebasierten Ansatz in der nationalen Poli-tik durchzusetzen in Abstimmung mit dem Vorhaben einer staumlrkeren regionalen Integration Das Land teilt aumlhnliche politische Ansaumltze mit benachbarten Laumlndern insbeson-dere Brasilien und Bolivien was die Steuerung regionaler Migration und die Regularisierung des Aufenthaltsstatus von Einwanderern vereinfacht hat Zukuumlnftige argentini-sche Regierungen koumlnnten sicherlich einen restriktiveren Kurs in Fragen der Einwanderung und Regularisierung ein-schlagen um einer konservativeren und am rechten Rand orientierten Waumlhlerschaft gerecht zu werden

Zum anderen hat das hohe Wirtschaftswachstum seit 2003 Argentinien erneut zu einem attraktiven Zielland fuumlr Einwanderer gemacht Seit 2012 steckt allerdings das nach der Krise 2001 etablierte post-neoliberale Wirtschaftsmo-dell das auf einem starken Staat dominanten Export-wirtschaftssektoren und einer relativen Unabhaumlngigkeit von internationalen Kreditmaumlrkten basiert in ernsthaften

Schwierigkeiten Dies betrifft nicht nur Argentinien son-dern die gesamte Region Sollte sich diese Entwicklung fortsetzen erscheint es moumlglich dass der interne Druck die Einwanderung zu reduzieren waumlchst und die offene Migrationspolitik die in den letzten zehn Jahren erfolg-reich eingefuumlhrt worden ist wieder zuruumlckgenommen wird

Ein optimistisches Resuumlmee der letzten zehn Jahre er-laubt die Sichtweise dass sich ein neues Paradigma im Hinblick auf die Konzeptualisierung nationaler Identitaumlt herausbildet Weg vom Prinzip der nationalen Souveraumlni-taumlt und Selbstbestimmung hin zu einem Konzept das die Verantwortung des Staates gegenuumlber seinen Buumlrgern im Rahmen von internationalen und regionalen Menschen-rechtskonventionen betont und die Vorstellungen von Zu-gehoumlrigkeit und Staatsbuumlrgerschaft ausweitet indem es sich von assimilationistischen Diskursen (siehe Kasten 4) abwendet und stattdessen den Ansatz kultureller Plurali-taumlt beim Entwurf oumlffentlicher Politik verfolgt35 Dennoch ist es zu fruumlh um abwaumlgen zu koumlnnen ob diese Entwicklung auch Auswirkungen auf die Kultur der Fremdenfeindlich-keit und Gefuumlhle von Uumlberlegenheit gegenuumlber lateiname-rikanischen Einwanderern hat die von vielen Argentiniern in ihrer Selbstauffassung als rsaquoweiszlige Gesellschaftlsaquo geteilt werden Dies erscheint angesichts der aktuellen schwer-wiegenden wirtschaftlichen und sozialen Probleme im Land die das nationale Projekt der Kirchner Regierung unter groszligen Druck setzen noch schwieriger zu sein

Anmerkungen

1 Martiacutenez Shaw (1994)2 Andrews (1980)3 Castro (1991)4 Rock (2002)5 Trinchero (2006)6 Devoto (2009)7 Corteacutes Conde (2009)8 Williamson (1999)9 Williamson (1994)

10 Nugent (1995)11 Rein (2010)12 Nugent (1995)13 Biernat (2007)14 Devoto (2009)15 Benencia (2009)16 OAS (2012)17 Bologna (2010)18 Bastiavom Hau (2013) 19 Zubrzycki (2012)20 Andrews (1980)21 Organizacioacuten Internacional para las Migraciones (OIM) (2012)22 OECD (2009)23 Ginieniewicz (2012) EstebanActis (2012)24 Hierro (2013)25 OECD (2013)26 BrodskyRein (2013)27 Martiacuten-Peacuterez (2012)28 OECD (2013)29 Instituto Nacional de Estadiacutestica (Spanien) (2014)

Laumlnderprofil Nr 32

30 Novick (2012)31 Hines (2010) 32 Tintori (2011)33 Cavaleri (2012)34 Baladroacuten et al (2013)35 Domenech (2007)

Literatur

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bullBiernat Carolina (2007) iquestBuenos o uacutetiles La poliacutetica inmi-gratoria del peronismo Buenos Aires Ed Biblos

bullBologna Eduardo L (2010) Migraciones entre paiacuteses del surLoscambiosylascontinuidadesenlosflujoslimiacutetrofeshacia Argentina Migraciones Internacionales Jg 5 Nr 3 S 175-209

bullBrodsky AdrianaRein Raanan (Hg) (2013) The New Je-wish Argentina Facets of Jewish Experiences in the Sou-thern Cone Leiden Brill

bullCastro Donald S (1991) The Development and Politics of Argentine Immigration Policy 1852-1914 San Francisco Mellen Research Univ Press

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bullGinieniewicz Jorge (2012) Argentine Migrants to Spain and Returnees A Case for Accumulation of Civic Assets Interna-tional Migration Jg 52 Nr 1 S 148-170

bullEsteban Fernando OActis Walter (2012) La Migracioacuten calificadadeArgentinosaEspantildeaFlujoComposicioacutenyTi-pologiacutea Estudios Migratorios Latinoamericanos Jg 26 Nr 72 S 3-33

bullHierro Mariacutea (2013) Latin American Migration to Spain Main Reasons and Future Perspectives International Mig-ration 2013

bullHines Barbara (2010) The Right to Migrate as a Human Right The Current Argentine Immigration Law in Cornell International Law Journal Vol 43 no 471

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bullInstituto Nacional de Estadiacutestica (Spanien) (2014) Cifras de Poblacioacuten a 1 de enero de 2014 Estadiacutesticas de Migracio-nes 2014

bullMartiacutenez Shaw Carlos (1994) La emigracioacuten espantildeola aAmeacuterica (1492 - 1824) Colombres Asturias Archivo de In-dianos

bullMartiacuten-Peacuterez Alberto (2012) Migration and Citizenship Law in Spain Path-Dependency and Policy Change in a Recent Country of Immigration International Migration Review Jg 46 Nr 3 S 625-655

bullNovick Susana (2012) Transformations and Challenges of Argentinean Migratory Policy in Relation to the International Context Migraciones Internacionales Jg 6 Nr 3 S 205-237

bullNugent Walter (1995) Crossings The Great Transatlantic Mi-grations 1870 - 1914 Bloomington Ind Indiana Univ Press

bullOAS (2012) Migracioacuten internacional en las Ameacutericas Se-gundo informe del Sistema Continuo de Reportes sobre Mi-gracioacuten Internacional en las Ameacutericas (SICREMI) Organiza-cioacuten de los Estados Americanos

bullOECD (2009) Latin American Economic Outlook 2010 OECD Publishing

bullOECD (2013) International Migration Outlook 2013 OECD Publishing

bullOrganizacioacuten Internacional para las Migraciones (OIM) (2012)PerfilMigratoriodeArgentina2012OIM

bullRein Raanan (2010) Argentine Jews or Jewish Argentines Essays on Ethnicity Identity and Diaspora Leiden Nether-lands Boston Brill (Jewish Identities in a Changing World Band 12)

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bullTintori Guido (2011) The Transnational Political Practices of rsaquoLatin American Italianslsaquo International Migration Jg 49 Nr 3 S 168-188

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bullWilliamson Jeffrey G (1999) Real Wages Inequality and Globalization in Latin America Before 1940 Revista de His-toria Econoacutemica Jg 17 S 101ndash142

bullWilliamson Jeffrey GHatton T J (Hg) (1994) Migration and the International Labor Market 1850-1939 London New York Routledge

bullZubrzycki Bernarda (2012) Recent African Migration to South America The Case of Senegalese in Argentina In-ternational Journal of Humanities and Social Science Jg 2 Nr 22 S 86-94

Internetquellen

Nationales Migrationsressort [Direccioacuten Nacional de Mi-graciones] wwwmigracionesgovar

Nationales Bevoumllkerungsressort [Direccioacuten Nacional de Poblacioacuten] wwwmininteriorgovarpoblacionpoblacionphp Nationals Statistik- und Zensusinstitut [Instituto Nacional de Estadistica y Censos] wwwindecmeconar

Nationale Fluumlchtlingskommission [Comisioacuten Nacional para los Refugiados] wwwmigracionesgovarconare

Internationale Organisation fuumlr Migration - Argentinien wwwargentinaiomint

Zentrum fuumlr lateinamerikanische Migrationsstudien [Cen-tro de Estudios Migratorios Latinoamericanos (CEMLA)] httpcemlacom

Herausgeber Institut fuumlr Migrationsforschung und Interkulturelle Studien (IMIS) der Universitaumlt Osnabruumlck Neuer Graben 1921 49069 Osnabruumlck Tel +49(0)541 969 4384 Fax +49 (0)541 969 4380 E-Mail imisuni-osnabrueckde

Bundeszentrale fuumlr politische Bildung (bpb) Adenauerallee 86 53113 Bonn unter Mitwirkung des Netzwerks Migration in Europa eV Redaktion Dr Marcel Berlinghoff Vera Hanewinkel Apl Prof Dr Jochen Oltmer (verantw) Uumlbersetzung ins Deutsche Vera Hanewinkel

Die Erstellung der Laumlnderprofile (ISSN 1864-6220) und Kurzdossiers (ISSN 1864-5704) erfolgt in Kooperation der oa Partner Der Inhalt der Laumlnderprofile und Kurzdossiers gibt nicht unbedingt die Ansicht der Herausgeber wieder Der Abdruck von Auszuumlgen und Graphiken ist bei Nennung der Quelle erlaubt

Weitere Online-Ressourcen wwwbpbde wwwimisuni-osnabrueckde wwwmigration-infode wwwnetwork-migrationorg Unsere Laumlnderprofile und Kurzdossiers sind online verfuumlgbar unter wwwbpbde

IMPRESSUM

Der Autor

Thomas Maier ist Doktorand am Institut fuumlr Amerikastudi-en (Institute of the Americas) das Teil des University Col-lege London und damit der Universitaumlt London ist Sein Forschungsschwerpunkt ist die Geschichte von Arbeit und Wohlfahrtsstaat in den Amerikas insbesondere in Argenti-nien und auf dem Suumldkegel Lateinamerikas

E-Mail thomasmaier12uclacuk

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und Chile Argentinier mit doppelter Staatsbuumlrgerschaft davon einer europaumlischen koumlnnen die politischen Pro-zesse in Europa beeinflussen In Argentinien wohnhafte Inhaber eines italienischen Passes beteiligten sich stark (569 Prozent) an den landesweiten Wahlen zum Abgeord-netenhaus in Italien im Jahr 2008 und beeinflussten so das Wahlergebnis32

Flucht und Asyl - Fluumlchtlingspolitik

1961 hat Argentinien die Genfer Fluumlchtlingskonvention un-terzeichnet spaumlter auch das dazugehoumlrige Protokoll von 1967 Obwohl das Land bereits seit vielen Jahrzehnten Fluumlchtlinge aufnimmt gibt es erst seit 2006 ein echtes Ge-setz zur Anerkennung und zum Schutz von Fluumlchtlingen (rsaquoLey General de Reconocimiento y Proteccioacuten al Refugia-do Ley 26165lsaquo) Dieses Gesetz nahm auch die Erklaumlrung von Cartagena aus dem Jahr 1984 auf die die Fluumlchtlings-definition des Hohen Fluumlchtlingskommissars der Vereinten Nationen (UNHCR) erweiterte indem sie sie auch auf Per-sonen bezog die vor Krieg und Unruhen fliehen

2003 initiierte Argentinien einen Prozess zur Unter-zeichnung aller noch ausstehenden internationalen Men-schenrechtsabkommen Das Land begann im Zuge sei-nes menschenrechtsbasierten Politikansatzes damit das Fluumlchtlingswesen und damit in Verbindung stehende Ins-titutionen aufzubauen In Erinnerung an die traumatische Erfahrung tausender argentinischer Auswanderer und Fluumlchtlinge waumlhrend der letzten Militaumlrdiktatur (1976-1983) verabschiedete Argentinien Gesetze die den Fluumlchtlings-schutz anhoben und trat 2005 an die Seite anderer latein-amerikanischer Staaten in ihrem gemeinsamen Bestreben Fluumlchtlinge umzusiedeln (Resettlement) Zusammen mit dem bereits erwaumlhnten Gesetz zur Anerkennung und zum Schutz von Fluumlchtlingen (No 26165) wurde im Jahr 2009 ein Nationaler Fluumlchtlingsrat (CONARE) eingerichtet der das Innen- Auszligen- Justiz- und Sozialministerium und an-dere Einrichtungen einbezieht uumlber die Zuerkennung ei-nes Fluumlchtlingsstatus entscheidet und sich fuumlr die Rechte von Fluumlchtlingen einsetzt Heute haben Asylsuchende und anerkannte Fluumlchtlinge in Argentinien das Recht auf Doku-mente die ihren Aufenthaltsstatus nachweisen sie duumlrfen arbeiten und haben Zugang zur Grundversorgung Zudem haben Fluumlchtlinge und Asylsuchende dieselben Rechte wie andere im Land lebende Auslaumlnder sie duumlrfen sich im Land frei bewegen haben Zugang zu Bildung zur Gesundheits-versorgung und zur Justiz und genieszligen Religionsfreiheit

Seitdem das Land 1985 damit begonnen hat Fluumlchtlin-ge anzuerkennen sind in Argentinien etwa 13000 Antraumlge von Asylsuchenden aus uumlber 46 Herkunftslaumlndern einge-gangen In 3200 Faumlllen wurde Asyl gewaumlhrt Zwischen 2006 und 2010 kamen die meisten Asylsuchenden aus dem Senegal (ca 769 Personen) Kolumbien (665) und der Dominikanischen Republik (547) Eine weitere Grup-pe die von dem neuen Fluumlchtlingsgesetz profitierte waren Staatsangehoumlrige Haitis die nach dem verheerenden Erd-beben 2010 in Argentinien Schutz gefunden haben33 Im Januar 2014 registrierte der UNHCR 3362 in Argentinien

lebende anerkannte Fluumlchtlinge und 916 Asylsuchende 2013 waren in Argentinien 614 Asylantraumlge gestellt wor-den

Herausforderungen und Ausblick

Das Migrationsgesetz von 2004 markiert einen Wende-punkt in der juumlngeren Geschichte Argentiniens indem es Gesetze aufhob die sich seit der letzten Diktatur nicht grundlegend veraumlndert hatten Es markiert den Uumlbergang von einer restriktiven Politik zu einem realistischen of-fenen Einwanderungskonzept dessen Implementierung immer noch mit deutlichem Widerstand vonseiten der staatlichen Verwaltung und einiger Teile der Gesellschaft konfrontiert ist34 Das Gesetz erkennt die Leistungen von Migration fuumlr das Land ausdruumlcklich an und druumlckt den Be-darf nach oumlffentlichen Politiken aus um die volle Integrati-on der Einwanderer zu realisieren In diesem Sinne positi-oniert die neue argentinische Migrationsgesetzgebung das Land in einem auf Rechten basierenden Migrationsregime Das trifft auch auf das Engagement des Landes fuumlr Fluumlcht-linge zu Argentinien nahm 2012 und 2013 300 syrische Familien auf

Vor dem Hintergrund restriktiver Zuwanderungspolitiken in den USA und Europa in Kombination mit der groszligzuumlgi-gen argentinischen Gesetzgebung ist es sehr wahrschein-lich dass Einwanderung das Land auch in den kommen-den Jahren weiter praumlgen wird Dies gilt insbesondere fuumlr die Einwanderung aus den Nachbarlaumlndern Besonders diejenigen Einwanderergemeinden die sich bereits in Ar-gentinien etabliert haben werden voraussichtlich weiter wachsen Aber auch die Ruumlckkehr von Argentiniern aus Suumldeuropa ist sehr wahrscheinlich da die Hauptziellaumlnder argentinischer Auswanderer die sich seit 2001 herausge-bildet haben weiterhin unter groszligem finanzpolitischen wirtschaftlichen und sozialen Druck stehen

Wie Argentinien auf zukuumlnftige Migrationsbewegungen reagieren wird haumlngt von zwei grundlegenden Entwicklun-gen ab Dazu zaumlhlt zum einen die politische Situation im Land Die Regierungen Kirchner hatten mehr als zehn Jah-re Zeit den rechtebasierten Ansatz in der nationalen Poli-tik durchzusetzen in Abstimmung mit dem Vorhaben einer staumlrkeren regionalen Integration Das Land teilt aumlhnliche politische Ansaumltze mit benachbarten Laumlndern insbeson-dere Brasilien und Bolivien was die Steuerung regionaler Migration und die Regularisierung des Aufenthaltsstatus von Einwanderern vereinfacht hat Zukuumlnftige argentini-sche Regierungen koumlnnten sicherlich einen restriktiveren Kurs in Fragen der Einwanderung und Regularisierung ein-schlagen um einer konservativeren und am rechten Rand orientierten Waumlhlerschaft gerecht zu werden

Zum anderen hat das hohe Wirtschaftswachstum seit 2003 Argentinien erneut zu einem attraktiven Zielland fuumlr Einwanderer gemacht Seit 2012 steckt allerdings das nach der Krise 2001 etablierte post-neoliberale Wirtschaftsmo-dell das auf einem starken Staat dominanten Export-wirtschaftssektoren und einer relativen Unabhaumlngigkeit von internationalen Kreditmaumlrkten basiert in ernsthaften

Schwierigkeiten Dies betrifft nicht nur Argentinien son-dern die gesamte Region Sollte sich diese Entwicklung fortsetzen erscheint es moumlglich dass der interne Druck die Einwanderung zu reduzieren waumlchst und die offene Migrationspolitik die in den letzten zehn Jahren erfolg-reich eingefuumlhrt worden ist wieder zuruumlckgenommen wird

Ein optimistisches Resuumlmee der letzten zehn Jahre er-laubt die Sichtweise dass sich ein neues Paradigma im Hinblick auf die Konzeptualisierung nationaler Identitaumlt herausbildet Weg vom Prinzip der nationalen Souveraumlni-taumlt und Selbstbestimmung hin zu einem Konzept das die Verantwortung des Staates gegenuumlber seinen Buumlrgern im Rahmen von internationalen und regionalen Menschen-rechtskonventionen betont und die Vorstellungen von Zu-gehoumlrigkeit und Staatsbuumlrgerschaft ausweitet indem es sich von assimilationistischen Diskursen (siehe Kasten 4) abwendet und stattdessen den Ansatz kultureller Plurali-taumlt beim Entwurf oumlffentlicher Politik verfolgt35 Dennoch ist es zu fruumlh um abwaumlgen zu koumlnnen ob diese Entwicklung auch Auswirkungen auf die Kultur der Fremdenfeindlich-keit und Gefuumlhle von Uumlberlegenheit gegenuumlber lateiname-rikanischen Einwanderern hat die von vielen Argentiniern in ihrer Selbstauffassung als rsaquoweiszlige Gesellschaftlsaquo geteilt werden Dies erscheint angesichts der aktuellen schwer-wiegenden wirtschaftlichen und sozialen Probleme im Land die das nationale Projekt der Kirchner Regierung unter groszligen Druck setzen noch schwieriger zu sein

Anmerkungen

1 Martiacutenez Shaw (1994)2 Andrews (1980)3 Castro (1991)4 Rock (2002)5 Trinchero (2006)6 Devoto (2009)7 Corteacutes Conde (2009)8 Williamson (1999)9 Williamson (1994)

10 Nugent (1995)11 Rein (2010)12 Nugent (1995)13 Biernat (2007)14 Devoto (2009)15 Benencia (2009)16 OAS (2012)17 Bologna (2010)18 Bastiavom Hau (2013) 19 Zubrzycki (2012)20 Andrews (1980)21 Organizacioacuten Internacional para las Migraciones (OIM) (2012)22 OECD (2009)23 Ginieniewicz (2012) EstebanActis (2012)24 Hierro (2013)25 OECD (2013)26 BrodskyRein (2013)27 Martiacuten-Peacuterez (2012)28 OECD (2013)29 Instituto Nacional de Estadiacutestica (Spanien) (2014)

Laumlnderprofil Nr 32

30 Novick (2012)31 Hines (2010) 32 Tintori (2011)33 Cavaleri (2012)34 Baladroacuten et al (2013)35 Domenech (2007)

Literatur

bullAndrews George Reid (1980) The Afro-Argentines of Bu-enos Aires 1800-1900 Madison Wisc The Univ of Wis-consin Pr

bullBaladroacuten Mariela et al (2013) MigrantesMigrations Bu-enos Aires Centro de Estudios Legales y Sociales

bullBastia Tanjavom Hau Matthias (2013) Migration Race and Nationhood in Argentina Journal of Ethnic and Migrati-on Studies Jg 40 Nr 3 S 475-492

bullBenencia Roberto (2009) La Inmigracioacuten Limiacutetrofe In De-voto Fernando (Hg) Historia de la inmigracioacuten en la Argen-tina3AuflageBuenosAiresEdSudamericana(Colecci-oacuten Historia Argentina)

bullBiernat Carolina (2007) iquestBuenos o uacutetiles La poliacutetica inmi-gratoria del peronismo Buenos Aires Ed Biblos

bullBologna Eduardo L (2010) Migraciones entre paiacuteses del surLoscambiosylascontinuidadesenlosflujoslimiacutetrofeshacia Argentina Migraciones Internacionales Jg 5 Nr 3 S 175-209

bullBrodsky AdrianaRein Raanan (Hg) (2013) The New Je-wish Argentina Facets of Jewish Experiences in the Sou-thern Cone Leiden Brill

bullCastro Donald S (1991) The Development and Politics of Argentine Immigration Policy 1852-1914 San Francisco Mellen Research Univ Press

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bullEsteban Fernando OActis Walter (2012) La Migracioacuten calificadadeArgentinosaEspantildeaFlujoComposicioacutenyTi-pologiacutea Estudios Migratorios Latinoamericanos Jg 26 Nr 72 S 3-33

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Seite 12

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bullInstituto Nacional de Estadiacutestica (Spanien) (2014) Cifras de Poblacioacuten a 1 de enero de 2014 Estadiacutesticas de Migracio-nes 2014

bullMartiacutenez Shaw Carlos (1994) La emigracioacuten espantildeola aAmeacuterica (1492 - 1824) Colombres Asturias Archivo de In-dianos

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bullOAS (2012) Migracioacuten internacional en las Ameacutericas Se-gundo informe del Sistema Continuo de Reportes sobre Mi-gracioacuten Internacional en las Ameacutericas (SICREMI) Organiza-cioacuten de los Estados Americanos

bullOECD (2009) Latin American Economic Outlook 2010 OECD Publishing

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bullOrganizacioacuten Internacional para las Migraciones (OIM) (2012)PerfilMigratoriodeArgentina2012OIM

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bullRock David (2002) State Building and Political Movements in Argentina 1860 - 1916 Stanford Calif Univ Press

bullTintori Guido (2011) The Transnational Political Practices of rsaquoLatin American Italianslsaquo International Migration Jg 49 Nr 3 S 168-188

bullTrinchero Heacutector Hugo (2006) The Genocide of Indigenous Peoples in the Formation of the Argentine Nation-State Journal of Genocide Research Jg 8 Nr 2 S 121ndash135

bullWilliamson Jeffrey G (1999) Real Wages Inequality and Globalization in Latin America Before 1940 Revista de His-toria Econoacutemica Jg 17 S 101ndash142

bullWilliamson Jeffrey GHatton T J (Hg) (1994) Migration and the International Labor Market 1850-1939 London New York Routledge

bullZubrzycki Bernarda (2012) Recent African Migration to South America The Case of Senegalese in Argentina In-ternational Journal of Humanities and Social Science Jg 2 Nr 22 S 86-94

Internetquellen

Nationales Migrationsressort [Direccioacuten Nacional de Mi-graciones] wwwmigracionesgovar

Nationales Bevoumllkerungsressort [Direccioacuten Nacional de Poblacioacuten] wwwmininteriorgovarpoblacionpoblacionphp Nationals Statistik- und Zensusinstitut [Instituto Nacional de Estadistica y Censos] wwwindecmeconar

Nationale Fluumlchtlingskommission [Comisioacuten Nacional para los Refugiados] wwwmigracionesgovarconare

Internationale Organisation fuumlr Migration - Argentinien wwwargentinaiomint

Zentrum fuumlr lateinamerikanische Migrationsstudien [Cen-tro de Estudios Migratorios Latinoamericanos (CEMLA)] httpcemlacom

Herausgeber Institut fuumlr Migrationsforschung und Interkulturelle Studien (IMIS) der Universitaumlt Osnabruumlck Neuer Graben 1921 49069 Osnabruumlck Tel +49(0)541 969 4384 Fax +49 (0)541 969 4380 E-Mail imisuni-osnabrueckde

Bundeszentrale fuumlr politische Bildung (bpb) Adenauerallee 86 53113 Bonn unter Mitwirkung des Netzwerks Migration in Europa eV Redaktion Dr Marcel Berlinghoff Vera Hanewinkel Apl Prof Dr Jochen Oltmer (verantw) Uumlbersetzung ins Deutsche Vera Hanewinkel

Die Erstellung der Laumlnderprofile (ISSN 1864-6220) und Kurzdossiers (ISSN 1864-5704) erfolgt in Kooperation der oa Partner Der Inhalt der Laumlnderprofile und Kurzdossiers gibt nicht unbedingt die Ansicht der Herausgeber wieder Der Abdruck von Auszuumlgen und Graphiken ist bei Nennung der Quelle erlaubt

Weitere Online-Ressourcen wwwbpbde wwwimisuni-osnabrueckde wwwmigration-infode wwwnetwork-migrationorg Unsere Laumlnderprofile und Kurzdossiers sind online verfuumlgbar unter wwwbpbde

IMPRESSUM

Der Autor

Thomas Maier ist Doktorand am Institut fuumlr Amerikastudi-en (Institute of the Americas) das Teil des University Col-lege London und damit der Universitaumlt London ist Sein Forschungsschwerpunkt ist die Geschichte von Arbeit und Wohlfahrtsstaat in den Amerikas insbesondere in Argenti-nien und auf dem Suumldkegel Lateinamerikas

E-Mail thomasmaier12uclacuk

Page 12: Argentinien - m.bpb.de

Schwierigkeiten Dies betrifft nicht nur Argentinien son-dern die gesamte Region Sollte sich diese Entwicklung fortsetzen erscheint es moumlglich dass der interne Druck die Einwanderung zu reduzieren waumlchst und die offene Migrationspolitik die in den letzten zehn Jahren erfolg-reich eingefuumlhrt worden ist wieder zuruumlckgenommen wird

Ein optimistisches Resuumlmee der letzten zehn Jahre er-laubt die Sichtweise dass sich ein neues Paradigma im Hinblick auf die Konzeptualisierung nationaler Identitaumlt herausbildet Weg vom Prinzip der nationalen Souveraumlni-taumlt und Selbstbestimmung hin zu einem Konzept das die Verantwortung des Staates gegenuumlber seinen Buumlrgern im Rahmen von internationalen und regionalen Menschen-rechtskonventionen betont und die Vorstellungen von Zu-gehoumlrigkeit und Staatsbuumlrgerschaft ausweitet indem es sich von assimilationistischen Diskursen (siehe Kasten 4) abwendet und stattdessen den Ansatz kultureller Plurali-taumlt beim Entwurf oumlffentlicher Politik verfolgt35 Dennoch ist es zu fruumlh um abwaumlgen zu koumlnnen ob diese Entwicklung auch Auswirkungen auf die Kultur der Fremdenfeindlich-keit und Gefuumlhle von Uumlberlegenheit gegenuumlber lateiname-rikanischen Einwanderern hat die von vielen Argentiniern in ihrer Selbstauffassung als rsaquoweiszlige Gesellschaftlsaquo geteilt werden Dies erscheint angesichts der aktuellen schwer-wiegenden wirtschaftlichen und sozialen Probleme im Land die das nationale Projekt der Kirchner Regierung unter groszligen Druck setzen noch schwieriger zu sein

Anmerkungen

1 Martiacutenez Shaw (1994)2 Andrews (1980)3 Castro (1991)4 Rock (2002)5 Trinchero (2006)6 Devoto (2009)7 Corteacutes Conde (2009)8 Williamson (1999)9 Williamson (1994)

10 Nugent (1995)11 Rein (2010)12 Nugent (1995)13 Biernat (2007)14 Devoto (2009)15 Benencia (2009)16 OAS (2012)17 Bologna (2010)18 Bastiavom Hau (2013) 19 Zubrzycki (2012)20 Andrews (1980)21 Organizacioacuten Internacional para las Migraciones (OIM) (2012)22 OECD (2009)23 Ginieniewicz (2012) EstebanActis (2012)24 Hierro (2013)25 OECD (2013)26 BrodskyRein (2013)27 Martiacuten-Peacuterez (2012)28 OECD (2013)29 Instituto Nacional de Estadiacutestica (Spanien) (2014)

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30 Novick (2012)31 Hines (2010) 32 Tintori (2011)33 Cavaleri (2012)34 Baladroacuten et al (2013)35 Domenech (2007)

Literatur

bullAndrews George Reid (1980) The Afro-Argentines of Bu-enos Aires 1800-1900 Madison Wisc The Univ of Wis-consin Pr

bullBaladroacuten Mariela et al (2013) MigrantesMigrations Bu-enos Aires Centro de Estudios Legales y Sociales

bullBastia Tanjavom Hau Matthias (2013) Migration Race and Nationhood in Argentina Journal of Ethnic and Migrati-on Studies Jg 40 Nr 3 S 475-492

bullBenencia Roberto (2009) La Inmigracioacuten Limiacutetrofe In De-voto Fernando (Hg) Historia de la inmigracioacuten en la Argen-tina3AuflageBuenosAiresEdSudamericana(Colecci-oacuten Historia Argentina)

bullBiernat Carolina (2007) iquestBuenos o uacutetiles La poliacutetica inmi-gratoria del peronismo Buenos Aires Ed Biblos

bullBologna Eduardo L (2010) Migraciones entre paiacuteses del surLoscambiosylascontinuidadesenlosflujoslimiacutetrofeshacia Argentina Migraciones Internacionales Jg 5 Nr 3 S 175-209

bullBrodsky AdrianaRein Raanan (Hg) (2013) The New Je-wish Argentina Facets of Jewish Experiences in the Sou-thern Cone Leiden Brill

bullCastro Donald S (1991) The Development and Politics of Argentine Immigration Policy 1852-1914 San Francisco Mellen Research Univ Press

bullCavaleri Paulo (2012) Argentina Resettling Refugees Within the Context of an Open Migration Policy Forced Mig-ration Review Jg 40 S 48-50

bullCorteacutes Conde Roberto (2009) The Political Economy of Argentina in the Twentieth Century New York Cambridge Univ Press

bullDevoto Fernando (2009) Historia de la inmigracioacuten en la Argentina 3 Auflage Buenos Aires Ed Sudamericana(Coleccioacuten Historia Argentina)

bullDomenech Eduardo E (2007) La agenda poliacutetica sobre mi-graciones en Ameacuterica del sur el caso de la Argentina Revue europeacuteenne des migrations internationales Jg 23 S 71-94

bullGinieniewicz Jorge (2012) Argentine Migrants to Spain and Returnees A Case for Accumulation of Civic Assets Interna-tional Migration Jg 52 Nr 1 S 148-170

bullEsteban Fernando OActis Walter (2012) La Migracioacuten calificadadeArgentinosaEspantildeaFlujoComposicioacutenyTi-pologiacutea Estudios Migratorios Latinoamericanos Jg 26 Nr 72 S 3-33

bullHierro Mariacutea (2013) Latin American Migration to Spain Main Reasons and Future Perspectives International Mig-ration 2013

bullHines Barbara (2010) The Right to Migrate as a Human Right The Current Argentine Immigration Law in Cornell International Law Journal Vol 43 no 471

Seite 12

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bullInstituto Nacional de Estadiacutestica (Spanien) (2014) Cifras de Poblacioacuten a 1 de enero de 2014 Estadiacutesticas de Migracio-nes 2014

bullMartiacutenez Shaw Carlos (1994) La emigracioacuten espantildeola aAmeacuterica (1492 - 1824) Colombres Asturias Archivo de In-dianos

bullMartiacuten-Peacuterez Alberto (2012) Migration and Citizenship Law in Spain Path-Dependency and Policy Change in a Recent Country of Immigration International Migration Review Jg 46 Nr 3 S 625-655

bullNovick Susana (2012) Transformations and Challenges of Argentinean Migratory Policy in Relation to the International Context Migraciones Internacionales Jg 6 Nr 3 S 205-237

bullNugent Walter (1995) Crossings The Great Transatlantic Mi-grations 1870 - 1914 Bloomington Ind Indiana Univ Press

bullOAS (2012) Migracioacuten internacional en las Ameacutericas Se-gundo informe del Sistema Continuo de Reportes sobre Mi-gracioacuten Internacional en las Ameacutericas (SICREMI) Organiza-cioacuten de los Estados Americanos

bullOECD (2009) Latin American Economic Outlook 2010 OECD Publishing

bullOECD (2013) International Migration Outlook 2013 OECD Publishing

bullOrganizacioacuten Internacional para las Migraciones (OIM) (2012)PerfilMigratoriodeArgentina2012OIM

bullRein Raanan (2010) Argentine Jews or Jewish Argentines Essays on Ethnicity Identity and Diaspora Leiden Nether-lands Boston Brill (Jewish Identities in a Changing World Band 12)

bullRock David (2002) State Building and Political Movements in Argentina 1860 - 1916 Stanford Calif Univ Press

bullTintori Guido (2011) The Transnational Political Practices of rsaquoLatin American Italianslsaquo International Migration Jg 49 Nr 3 S 168-188

bullTrinchero Heacutector Hugo (2006) The Genocide of Indigenous Peoples in the Formation of the Argentine Nation-State Journal of Genocide Research Jg 8 Nr 2 S 121ndash135

bullWilliamson Jeffrey G (1999) Real Wages Inequality and Globalization in Latin America Before 1940 Revista de His-toria Econoacutemica Jg 17 S 101ndash142

bullWilliamson Jeffrey GHatton T J (Hg) (1994) Migration and the International Labor Market 1850-1939 London New York Routledge

bullZubrzycki Bernarda (2012) Recent African Migration to South America The Case of Senegalese in Argentina In-ternational Journal of Humanities and Social Science Jg 2 Nr 22 S 86-94

Internetquellen

Nationales Migrationsressort [Direccioacuten Nacional de Mi-graciones] wwwmigracionesgovar

Nationales Bevoumllkerungsressort [Direccioacuten Nacional de Poblacioacuten] wwwmininteriorgovarpoblacionpoblacionphp Nationals Statistik- und Zensusinstitut [Instituto Nacional de Estadistica y Censos] wwwindecmeconar

Nationale Fluumlchtlingskommission [Comisioacuten Nacional para los Refugiados] wwwmigracionesgovarconare

Internationale Organisation fuumlr Migration - Argentinien wwwargentinaiomint

Zentrum fuumlr lateinamerikanische Migrationsstudien [Cen-tro de Estudios Migratorios Latinoamericanos (CEMLA)] httpcemlacom

Herausgeber Institut fuumlr Migrationsforschung und Interkulturelle Studien (IMIS) der Universitaumlt Osnabruumlck Neuer Graben 1921 49069 Osnabruumlck Tel +49(0)541 969 4384 Fax +49 (0)541 969 4380 E-Mail imisuni-osnabrueckde

Bundeszentrale fuumlr politische Bildung (bpb) Adenauerallee 86 53113 Bonn unter Mitwirkung des Netzwerks Migration in Europa eV Redaktion Dr Marcel Berlinghoff Vera Hanewinkel Apl Prof Dr Jochen Oltmer (verantw) Uumlbersetzung ins Deutsche Vera Hanewinkel

Die Erstellung der Laumlnderprofile (ISSN 1864-6220) und Kurzdossiers (ISSN 1864-5704) erfolgt in Kooperation der oa Partner Der Inhalt der Laumlnderprofile und Kurzdossiers gibt nicht unbedingt die Ansicht der Herausgeber wieder Der Abdruck von Auszuumlgen und Graphiken ist bei Nennung der Quelle erlaubt

Weitere Online-Ressourcen wwwbpbde wwwimisuni-osnabrueckde wwwmigration-infode wwwnetwork-migrationorg Unsere Laumlnderprofile und Kurzdossiers sind online verfuumlgbar unter wwwbpbde

IMPRESSUM

Der Autor

Thomas Maier ist Doktorand am Institut fuumlr Amerikastudi-en (Institute of the Americas) das Teil des University Col-lege London und damit der Universitaumlt London ist Sein Forschungsschwerpunkt ist die Geschichte von Arbeit und Wohlfahrtsstaat in den Amerikas insbesondere in Argenti-nien und auf dem Suumldkegel Lateinamerikas

E-Mail thomasmaier12uclacuk

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Laumlnderprofil Nr 32

bullInstituto Nacional de Estadiacutestica (Spanien) (2014) Cifras de Poblacioacuten a 1 de enero de 2014 Estadiacutesticas de Migracio-nes 2014

bullMartiacutenez Shaw Carlos (1994) La emigracioacuten espantildeola aAmeacuterica (1492 - 1824) Colombres Asturias Archivo de In-dianos

bullMartiacuten-Peacuterez Alberto (2012) Migration and Citizenship Law in Spain Path-Dependency and Policy Change in a Recent Country of Immigration International Migration Review Jg 46 Nr 3 S 625-655

bullNovick Susana (2012) Transformations and Challenges of Argentinean Migratory Policy in Relation to the International Context Migraciones Internacionales Jg 6 Nr 3 S 205-237

bullNugent Walter (1995) Crossings The Great Transatlantic Mi-grations 1870 - 1914 Bloomington Ind Indiana Univ Press

bullOAS (2012) Migracioacuten internacional en las Ameacutericas Se-gundo informe del Sistema Continuo de Reportes sobre Mi-gracioacuten Internacional en las Ameacutericas (SICREMI) Organiza-cioacuten de los Estados Americanos

bullOECD (2009) Latin American Economic Outlook 2010 OECD Publishing

bullOECD (2013) International Migration Outlook 2013 OECD Publishing

bullOrganizacioacuten Internacional para las Migraciones (OIM) (2012)PerfilMigratoriodeArgentina2012OIM

bullRein Raanan (2010) Argentine Jews or Jewish Argentines Essays on Ethnicity Identity and Diaspora Leiden Nether-lands Boston Brill (Jewish Identities in a Changing World Band 12)

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Internetquellen

Nationales Migrationsressort [Direccioacuten Nacional de Mi-graciones] wwwmigracionesgovar

Nationales Bevoumllkerungsressort [Direccioacuten Nacional de Poblacioacuten] wwwmininteriorgovarpoblacionpoblacionphp Nationals Statistik- und Zensusinstitut [Instituto Nacional de Estadistica y Censos] wwwindecmeconar

Nationale Fluumlchtlingskommission [Comisioacuten Nacional para los Refugiados] wwwmigracionesgovarconare

Internationale Organisation fuumlr Migration - Argentinien wwwargentinaiomint

Zentrum fuumlr lateinamerikanische Migrationsstudien [Cen-tro de Estudios Migratorios Latinoamericanos (CEMLA)] httpcemlacom

Herausgeber Institut fuumlr Migrationsforschung und Interkulturelle Studien (IMIS) der Universitaumlt Osnabruumlck Neuer Graben 1921 49069 Osnabruumlck Tel +49(0)541 969 4384 Fax +49 (0)541 969 4380 E-Mail imisuni-osnabrueckde

Bundeszentrale fuumlr politische Bildung (bpb) Adenauerallee 86 53113 Bonn unter Mitwirkung des Netzwerks Migration in Europa eV Redaktion Dr Marcel Berlinghoff Vera Hanewinkel Apl Prof Dr Jochen Oltmer (verantw) Uumlbersetzung ins Deutsche Vera Hanewinkel

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Weitere Online-Ressourcen wwwbpbde wwwimisuni-osnabrueckde wwwmigration-infode wwwnetwork-migrationorg Unsere Laumlnderprofile und Kurzdossiers sind online verfuumlgbar unter wwwbpbde

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Der Autor

Thomas Maier ist Doktorand am Institut fuumlr Amerikastudi-en (Institute of the Americas) das Teil des University Col-lege London und damit der Universitaumlt London ist Sein Forschungsschwerpunkt ist die Geschichte von Arbeit und Wohlfahrtsstaat in den Amerikas insbesondere in Argenti-nien und auf dem Suumldkegel Lateinamerikas

E-Mail thomasmaier12uclacuk