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Ralf von Appen und Andre Doehring (Gießen) Künstlichkeit als Kunst. Fragmente zu einer postmodernen Theorie der Pop- und Rockmusik Authentizität: 'Pet Shop Boys, Bowie, David, Künstlichkeit. Beatles, The: Schon ab etwa 1966 zeigen sich in einigen Verot'fenilichungen der B. (mäglichorweise erstmals in der Popmusik) zahlreiche Merkrna- le postmodern zu nennender Kunstvorstellungen, ohne dass zuncrchst rnoc c me Ideale auf- gegeben werden -. so etwa das Bemühen urn stcandigo Innovation und steigende Komplexität sowie die Vermei- dung der Wiederholung älterer Stilmerkmale vor allem auf (1966) und (1967a). Besonders ausgeprägt finden sich Merk- male postmoderner Kunst auf Sgt. Pepper, dem sog. Weißen Album (1968) und den weite- ren Single- und EP-Veröffent- lichungen dieser Jahre. Schon auf dem vom Pop-Art Künstler Peter Blake gestalteten Cover zu (1967a) begegnen sich, etwa in Gestalt van Karl- heinz Stockhausen und Stan Laurel, a Hoch- und Popular- kultur; auch das postmoderne Rollenspiel, die betonte Künstlichkeit und das (post- strukturalistische) Infragestellen der (Autoren -)Idontitat finden sich im Sgt. Pepper-Konzept verwirklicht. Noch starker ist in musikalischer Hinsicht The Beat- les (1968) von 'Pastiche und Mohrsprachigkeit geprägt. Eine bis dahin ungekannto Plurali- tät unterschiedlichster musikali- scher Idiome steht hier neben- einander, ohne dass auf einer Meta-Ebene eine sinngebende Einheit entstünde. Selbst inner- halb einzelner Stücke wird die- se postrnoderne Idee verwirk- licht (You know my name, look up the number-1996). Weiter- hin waren es die B., die schon vergleichsweise früh mit Zitaten (All you need is love-1967b, Back in the U.S.S.R,-1968) und Selbstreferentialität (Only a Northern Song-1969a, Glass Onion-1968) die organische Ganzheit des Werks in Frage ASPM - Beiurögo zur Popularmusikforschung 27/28 13

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Ralf von Appen und Andre Doehring (Gießen)

Künstlichkeit als Kunst.Fragmente zu einer postmodernen Theorieder Pop- und Rockmusik

Authentizität: 'Pet Shop Boys,Bowie, David,

Künstlichkeit.

Beatles, The: Schon ab etwa1966 zeigen sich in einigenVerot'fenilichungen der B.(mäglichorweise erstmals in derPopmusik) zahlreiche Merkrna-le postmodern zu nennenderKunstvorstellungen, ohne dasszuncrchst rnoc c me Ideale auf-gegeben werden -. so etwadas Bemühen urn stcandigoInnovation und steigendeKomplexität sowie die Vermei-dung der Wiederholung ältererStilmerkmale vor allem auf(1966) und (1967a). Besondersausgeprägt finden sich Merk-male postmoderner Kunst aufSgt. Pepper, dem sog. WeißenAlbum (1968) und den weite-ren Single- und EP-Veröffent-lichungen dieser Jahre.Schon auf dem vom Pop-ArtKünstler Peter Blake gestaltetenCover zu (1967a) begegnensich, etwa in Gestalt van Karl-heinz Stockhausen und Stan

Laurel, a Hoch- und Popular-kultur; auch das postmoderneRollenspiel,

die

betonteKünstlichkeit und das (post-

strukturalistische) Infragestellender (Autoren -)Idontitat findensich im Sgt. Pepper-Konzeptverwirklicht. Noch starker ist inmusikalischer Hinsicht The Beat-les (1968) von 'Pastiche undMohrsprachigkeit geprägt. Einebis dahin ungekannto Plurali-tät unterschiedlichster musikali-scher Idiome steht hier neben-einander, ohne dass auf einerMeta-Ebene eine sinngebendeEinheit entstünde. Selbst inner-halb einzelner Stücke wird die-se postrnoderne Idee verwirk-licht (You know my name, lookup the number-1996). Weiter-hin waren es die B., die schonvergleichsweise früh mit Zitaten(All you need is love-1967b,Back in the U.S.S.R,-1968) undSelbstreferentialität (Only aNorthern Song-1969a, GlassOnion-1968) die organischeGanzheit des Werks in Frage

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stellten und auch mit der Of-fenlegung von Arbeitsprozes-sen und fragmentarischenFormen experimentierten (Ab-bey Road-1969b, Wild HoneyPie-1968). Dabei gab es keineBerührungsängste zu außereu-ropäischer Musik und zur seg.Hochkultur (Streichquartett aufEleanor Rigby-1966), derenesoterische Errungenschaftendurch die B. ein Millionenpubli-kum erreichten (Revolution 9-1968), was wiederum mit einerzunehmenden Akzeptanz po-pulärer Musik im hochkulturel-len Diskurs führte. Erfolge erziel-ten mit dieser Verbindung derKultursphären auch z.B. ProculHarum oder Moody Blues, beikeiner anderen Gruppe zeigtsich Postmodernes jedoch be-reits in den 1960er Jahren soausgeprägt.

Disk.: Revolver (1966), Sgt. PeppersLonely Hearts Club Band (1967a), Allyou need is love (1967b), The Beatles(1968), Yellow Submarine (1969a),Abbey Road (1969b), Anthology 2(1996).

Bowie, David (*1947): BritischerKünstler, in dessen Werk undImagekonstruktion sich schonfrüh zahlreiche Merkmale desPostmodernen in radikalerAusprägung erkennen lassen.Bereits in den ersten Veröffent-lichungen, die ihre Inspirationu.a, aus der Kunst Warhols und

B.s schauspielerischer Ausbil-dung beziehen, manifestierensich hohe künstlerische Ambi-tionen. Ausgehend von diesenQuellen lässt sich B.s Kunstauf-fassung verstehen, die mit demim Rockbereich weit verbreite-ten, auf romantischer Bestim-mung von Authentizität beru-henden künstlerischen Selbst-verständnis nur wenig gemeinhat, sich oft sogar gerade ausdessen Ablehnung speist: Nicht'Ehrlichkeit' als Kongruenz vonPrivatperson und Werk steht imZentrum B.s Schaffens, sondernvielmehr das offen zu Tagetretende Rollenspiel mit ver-schiedenen Masken ('ZiggyStardust', 'Aladdin Sane', 'ThinWhite Duke'), wobei mit denGrenzen von fiktiver und tat-sächlicher Persönlichkeit be-wusst gespielt wird (vgl. 1972).Glamour, Inszenierung, — Künst-lichkeit und das Kokettieren mitwirtschaftlichen Interessen tre-ten an die Stelle persönlichenemotionalen Ausdrucks (vgl.Star-1972). Dabei stehen Kos-tümierung, Show (-► Oberflä-che) und zugrunde liegendeskünstlerisches Konzept zumin-dest gleichberechtigt nebender Musik. Dies alles geschiehtsehr reflektiert und selbstbe-stimmt, so dass B. die künstleri-sche Authentizität dennochnicht abgesprochen wird. B.verweigert sich so nicht nur der

Festlegung auf ein einzigesImage, mit dem ,, beständigenWechsel seines ußeren gehtauch ein Nacheinander unter-schiedlichster musikalischerIdiome einher (Singer/Song-writer, Hard Rock, 'Plastic Soul',Industrial, Disco, Drum'n'Bass),was dazu führt, dass man B. obdieser - n Pluralität als "Chamä-leon der Rockmusik" bezeich-net, da sein vielseitiges Schaf-fen nicht auf einen einheitli-chen (Meta-)Personalstil zu-rückzuführen ist.Daneben finden sich in B,s Mu-sik zahllose weitere postmo-derne Stilmittel: (Diskurs-)grenzen werden überschrittennicht nur zwischen

* Hoch-und Popularkultur, sondernauch in geschmacklicher undsexueller Hinsicht sowie bei derOrientierung an außereuropäi-schen Klangwelten auf (1979)und dem Verbinden verschie-dener Kunstgattungen. Zitatefinden sich in großer Zahl (Ze-

roes-1987, Young Americans-1975), ebenso -+Intertextualitätund Selbstreferenzen (ZiggyStardust-1972, Ashes to Ashes-

1980, Buddha of Suburbia-1993). Somit ist B. als einer derprogressivsten postmodernenPopmusiker zu kennzeichnen,der - inspiriert durch ein großesInteresse an zeitgenössischerKunst - postmoderne Konzeptein besonderer Radikalität und

Kreativität in die Popmusikbrachte und zahlreiche ver-gleichbare und weitergehen-de Phänomene in New Waveund der Musik der 80er Jahreanregte.

Disk.: The Rise and Fall of Ziggy Stardustand the Spiders from Mars (1972),Young Americans (1975), Low (1977),Lodger (1979), Scary Monsters (1980),Never let me down (1987), Buddha ofSuburbia (1993).

Dekonstruktion: - Intertextuali-tät, -> Postmoderne.

Doppelkodierung: -► Hoch- undPopularkultur,

Erhabene, das: ÄsthetischeKategorie, die zunächst vonBurke und Kant geprägt, dannzu einer zentralen Kategorieromantischer Ästhetik wurde.Durch Lyotard (1979) gewannsie an Aktualität für die post-modernen Diskurse, in denenallerdings weniger die Undar-stellbarkeit des Überwältigen-den oder die mit der Erfahrungdes Unfassbaren einhergehen-de Unlust problematisiert wird,als vielmehr die durch Doppel-kodierung und Mehrsprachig-keit unmöglich gewordeneganzheitliche Erfassung despostmodernen Kunstwerkes.Noch weiter entfernt Behrensdie Kategorie des E,n von ihrerursprünglichen

Bedeutung,

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wenn er sie als "das Paradigmader postmodernen Asthetik"(1998: S. 42) auf die Popmusikanwendet, in der es mehr nochals in anderen Künsten "nichtum Wahrheit geht (...), sondernum Intensität, um Gefühl"(ebd.). Als auf das hedonisti-sche Erlebnis des E.n, Transzen-denten abzielend deutet Beh-rens die Überdimensionierungvon Sound und Show in Diskound Konzert. Im Sinne desPostmodernen sei für die Pop-musik generell die Pluralität vonRezeptionsmöglichkeiten unddie Wirkung der Oberflächezentral, nicht die Vermittlungeindeutigen Sinns (vgl, ebd.: S.175, 213),Abgesehen davon, dass einsolcher Begriff des E.n nur nochwenige Gemeinsamkeiten mitseinen primären Inhalten auf-weist, entspricht Behrens' Post-moderne-Verständnis

nichtdem Lyotard'schen oderWelsch'schen, denen es nichtum die Dekonstruktion vonWahrheit und Sinn generellgeht, sondern um die philoso-phisch fundierte Absage andas Primat nur einer Wahrheit,eines Sinns, einer Vernunft.

Lit.: Behrens, Roger (1998): Ton KlangGewalt. Texte zu Musik, Gesellschaftund Subkultur. Mainz: Neumann: Lyo-ford. Jean-Francois (1979): La Condi-tion postmoderne. Rapport sur le sa-voir. Dt. (1982): Das postmoderne

Wissen. Ein Bericht. Bremen: Impuls &Association.

Fragment: —Werk, Beatles,

Hoch- und Popularkultur; Eineästhetische und gesellschafts-politische Intention postmo-derner Künstler ist die Aufhe-bung des aus der Moderneübernommenen Gegensatzesvon H., wie sie bspw. vonAdorno kategorisch vertretenwurde.Nachdem um 1960 in dernordamerikanischen Literatur-wissenschaft die Debatte umeine 'postmodern' genannteLiteratur begonnen hat (Howe1959), fordert Fiedler in seinemprogrammatischen AufsatzCross the Border - Close theGap (1969) die Aufhebung derTrennung einer Kunst für 'Ge-bildete' und einer Kunst für 'Un-gebildete'. In einem so ver-standenen Postmodernismussoll die Kluft zwischen Künstlerund Publikum genauso ge-schlossen werden wie zwischenProfessionellem und Amateur.Demnach ist der postmoderneLiterat für Fiedler ein 'Doppel-agent', der zwischen beidenSeiten nicht mehr trennt, son-dern sich mit Hilfe der 'Doppel-kodierung' ein breit gestreutesPublikum erschließt, welchesdie jeweils 'lesbaren' Teile de-kodiert.

Im Bereich der Pop- undRockmusik ist ein frühes Beispielfür diese Arbeitstechnik beiden -► Beatles in dem StückRevolution 9 (1968) zu beob-achten. Dem Bereich der sog.Hochkultur - hier: Avantgarde -entstammende

Verfahrens-weisen, Aufführungspraxen,Instrumente und Materialienwerden in zunehmendem Ma-ße in die Pop- und Rockmusikintegriert. Can berufen sich aufStockhausen, Kraftwerk benut-zen Gestaltungsmittel der Elek-tronischen Musik, Deep Purplewählen die Form des klassi-schen Konzerts, diverse Art-Rock-Gruppen nutzen Materialder abendländischen Kunst-musik,Daneben ist in aktueller Musikeine Tendenz erkennbar, eige-ne Musik mit der bereits in den'hochkulturellen' Kanon einge-gangener Künstler der Pop-und Rockmusik zu 'veredeln'; sokollaborieren die -> Pet ShopBoys mit --*David Bowie (1996),Puff Daddy recycelt Led Zep-pelin (1998) und The Police(1999). Diese mit Fiedler alsDoppelkodierung zu identifizie-rende Technik generiert eineDiversifikation des Publikums,das von der Leserschaft vonTeenagermagazinen bis zuderen Eltern reicht und die Mu-sik in jeweils unterschiedlichenKategorien versteht und be-

wertet, Es zeigt sich, dass erstdie Vertrautheit mit den bei-den 'Sphären' des Hohen undPopulären dem Interessiertenein umfassendes Verständnisermöglicht. Dem überwiegen-den Teil der Rezipienten gehtdie jeweils nicht dekodierbareSphäre jedoch am Arsch vor-bei.

Lit,: Adorno, Theodor W. (1991): Disso-nanzen. Musik in der verwalteten Welt,Göttingen: Vandenhoeck u. Ruprecht(7. Aufl.); Denger, Dieter (2000): 'Ich binein Haufen Dreck'. Sagt Robbie Willi-ams in einem Gespräch unter Popstarszu Neil Tennant von den Pet Shop Boys.Intime Bekenntnisse zum Start der neu-en Platte. In: max, September, S. 32-35:Fiedler, Leslie (1969): Cross the Border -Close the Gap. In: Playboy (USA),Dezember, S. 151, 230, 252-254, 256-258; Howe, Irving (1959): Mass Societyand Postmodern Fiction. In: PartisanReview, XXVI, S. 420-436; Obst, Andreas(2000): Lennon und Fußball. RobbieWilliams erkennt sich. (= Kritik des Al-bums "Sing when you're winning"). In:FAZ vom 8. September, S. 58; Welsch,Wolfgang (1997): Unsere postmoderneModerne. Berlin: Akademie Verlag (5.Aufl.).Disk.: Beatles, The (1968): The Beatles;Bowie, David (1996): Hallo Spaceboy(Remix by the Pet Shop Boys); PuffDaddy (1997): I'll be missing you; PuffDaddy / Jimmy Page (1998): Comewith me; Williams, Robbie (2000): Singwhen you're winning.

Intertextualität: Poststruktura-lismus sowie Dekonstruktiongehen von einer totalitärenVeranlagung von Diskursenund der dabei gebrauchten

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Sprache in einer zum System-zwang tendierenden Gesell-schaft aus. Als Gegenmittelbegreifen sie subversive Dis-kurskritik und Diskursanalysebzw. dekonstruktivistische Ver-fahrensweisen beim Lesen undSchreiben von Texten. Demzugrunde liegt die Vorstellung,dass alles als ein Text aufge-fasst werden kann, der durcheinen anderen entstand undwiederum auf einen anderenverweist. In diesem Zusam-menhang kann I. als das Vor-handensein anderer Texte ineinem aktuellen Text bzw. derVerweis darauf begriffen wer-den. Aus postmoderner Per-spektive geraten dabei vorallem die Techniken des Zitatsund des Samplings ins Blickfeld.Welsch warnt jedoch vor neo-historischen Tendenzen, diewahllos ein Potpourri von Ver-gangenem nebeneinandersetzen. Sein Ideal ist das derMehrsprachigkeit, in der diebeteiligten Teile ohne eine Me-tasprache, die es ohnehinnicht mehr in postmodernerVorstellung gibt, miteinanderkommunizieren, "so daß manein Alteres neu sagen und er-fassen lernt" (Welsch 1997: S.105).Auf dem Album The Beatlesder -* Beatles können intertex-tuelle Verweise bei dem SongGlass Onion ausgemacht wer-

den. Allerdings ist hier der Kos-mos auf das eigene CEuvrebeschränkt, während bspw.bei Back in the U.S.S.R. im Titelsowie inhaltlich auf einen Songvon Chuck Berry - Back in theUSA (1959) - hingewiesen, mu-sikalisch durch pastiche-artigeÜbernahme des Beach-Boys-Harmoniegesangs sowie durchtextuelle Zitate aus dem Jazz-standard Georgia an my mindvon Hoagland Howard 'Hoagy'Carmichael und Stuart Gorellder Kontext erweitert wird.Durch den technologischenFortschritt wurde der Samplerals Musikinstrument interessant,Er erlaubt dem Musiker, 'ver-braucht' geglaubtes Material ineinen neuen Zusammenhangzu setzen, Beispielhaft hier dasAlbum Paul's Boutique der Bea-stie Boys, auf dem durch Sam-ples (vom Tischtennisspiel biszur französischen Radiomode-ratorin) auf außermusikalischeKontexte verwiesen sowiedurch direkte musikalische Zita-te eine Offenlegung der Ein-flüsse erreicht wird. Bei -*Rob-bie Williams' Album I've beenexpecting you ist die Verweis-kette der CD-Gestaltung inbeide Richtungen zu verfolgen:Sie spielt einerseits auf dasWeiße Album (1968) der-*Beatles und Metallicas sog.Schwatzes Album (1991) an,wird andererseits selber zum

Verweisobjekt bei der Um-schlaggestaltung von B. v.Stuckrad-Barres Buch Black

Box.

Lit.: Engelmann, Peter (Hg.) (1990):Postmoderne und Dekonstruktion.Texte französischer Philosophen derGegenwart. Mit einer Einführung he-rausgegeben von Peter Engelmann.Stuttgart: Reclam; Schiwy, Günther(1985): Poststrukturalismus und 'NeuePhilosophen'. Reinbek: Rowohlt; Stuck-rad-Barre, Benjamin von (2000): Black-box, Unerwartete Systemfehler. Köln:Klepenheuer & Witsch; Welsch, Wolf-gang (1997): Unsere postmoderneModerne. Berlin: Akademie Verlag (5.Aufl.).Disk.: Beastie Boys (1989): Paul's Bou-tique; Beatles, The (1968): The Beatles;Berry, Chuck (1959): Back in theU.S.S.R.; Metallica (1991): Metallica;Williams, Robbie (1998): I've been ex-pecting you.

Ironie: Der Abschied von ein-deutig Festgelegtem, wie es fürdie -+ Moderne charakteristischist, wird in der -*Postmodernevon I. begleitet, Nach Diede-richsen (2000: S. 46) wird I. als"Modus öffentlicher Rede"heutzutage in drei Formen ein-gesetzt: "Ironie I" nennt er dieForm der Rede, in der das Ge-genteil von dem gesagt wird,was man glaubt. "Ironie II" istdie von Optimismus geprägteForm, in der nicht an das ge-glaubt wird, was man sagt,sondern immer ein besseresWissen bzw. Vokabular erwar-tet. Diese Form ist deshalb eine

optimistische, weil sie Verände-rung antizipiert. "Ironie III" istdagegen für Diederichsen diegegenwärtig vorrangige Formder I., in der man das meint,was man sagt, aber "das nichtganz so ernst". Sie ist von Pessi-mismus durchzogen, der dieResignation vor der Unmög-lichkeit politischen Handelnsangesichts der Endgültigkeitder Zustände ausdrückt.Allen drei Formen gemeinsamist die grundsätzliche Eigen-schaft von I., beim Gegenüberdas Gefühl von Irritation (undsomit erhöhter Aufmerksam-keit) zu erzeugen. Da keineEindeutigkeiten und Wahrhei-ten mehr verkündet werden, istdie Beurteilung dieser Aussa-gen unvorhersehbar. -*RobbieWilliams' Imagekonstruktionen,Aufnahmen und Auftritte sindvon I. durchzogen. Man lachtzwar gemeinsam mit demKünstler, dennoch ist zugleicheine Form von Distanzierungdarin enthalten, denn das Pub-likum kann sich nie im Klarendarüber sein, wann und womites Williams wirklich ernst meint;pathetische Balladen werdenlive zu Punkversionen oderemotionslos präsentierten Mit-singspielchen. Hinter dieser Artder I. - nach Diederichsen "Iro-nie I" - verbirgt sich ein Ver-steckspiel, in dem die realePerson Robbie Williams ver-

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schwindet. Das Objekt RobbieWilliams ist weiterhin präsent,das Subjekt hinter den Scher-zen nicht mehr zu fassen.

Lit.: Diederichsen, Diedrich (2000): DieLeude woll'n, daß was passiert. Wegeaus der Ironlefalle: Für eine Wiederge-burt des Politischen aus dem Ungeistder Freizeitkultur, In: FAZ vom 13, Okto-ber, S. 46; Weltholz, Arezu (2000): Ich istein Wanderer. Mit Jedem Scherz näheran die Grenze: Der ehemalige 'Take-That'-Sänger stellt in Köln sein neuesAlbum vor. In: SZvom 22. August, S. 16.

Künstlerbild: In Anlehnung anFrith (1988) kann in der Pop-und Rockmusik nach dem En-de der Punk-Hochphase eineVeränderung in der Bewertungder Begriffe 'Rock' und 'Pop'festgestellt werden. Diese, vonder englischen Musikpresse als'pop sensibility' etikettierte Um-wertung lehnt das überkom-mene 'romantische' K. derRockmusik ab und etabliert einneues Verständnis des Popmu-sik-schaffenden Künstlers. NeueVerfahren wie -'Pastiche, Jux-taposition oder Doppelkodie-rung werden in den Entste-hungsprozess integriert, derdarüber hinaus (bspw. durchselbstreferentieile Verweise)offen dargelegt und entmystifi-ziert wird, Neben einer derartgestalteten -' Künstlichkeit bein-haltet dieser Typus eine neueEinstellung des Künstlers zurKommerzialität seiner Musik.

Das verschämte Eingestehender Prosperität einer roman-tisch verklärten Rockmusik fin-det in den 1980er Jahren fürviele ein Ende, wirtschaftlicheInteressen werden offener be-kundet.Beispielhaft sei auf die -' PetShop Boys und -*D. Bowie ver-wiesen. An -'Robbie Williamskann diese neue Einstellungexemplifiziert werden. Williamsschätzt sich selber (wie üblichvon -'Ironie durchtränkt) als"großer Entertainer" ein, deroffen zugibt, von seinen Vorbil-dern "alles geklaut" zu haben(Fanning 2000: S. 64). Die ar-beitsteilige Produktionsweise'seiner' Musik ist ein offenesGeheimnis; das bisherige K.,welches auf Autorenschaft undKreativität beruhte, wird fallen-gelassen: Der Rolling Stoneschreibt über Guy Chambers,den Produzenten, 'Co-Autor'und Gitarristen: "Die menschli-che Jukebox. Effektiver alsChambers hat noch seltenjemand Songs erfunden undproduziert" (Willander 2000: S.83). Den kommerziellen Aspektder Musik sowie deren Intentionkommt in dem Song Rock DJ(2000) zum Ausdruck: "Pimpin'(im Sinne von 'sich anbieten';'pimp' ist ein amerikanischerSlangausdruck für einen Strich-jungen) ain't easy, but if you'reselling it, it's alright." Dieses

neuartige K, stellt die Kritik zuWilliams' erstem Solo-Album(1997) heraus: "Robbie alsBauchrednerpuppe, keineIdentität, viel Schwung. 'Let meentertain you' lautet das Mot-to, Dank an George Michael.Ein Zitatenschatz. (...) Andersformuliert: Pop, wie er seinmuß" (Willander 1997: S. 116),

Lit,: Fanning, Dave (2000): Bad Boymakes good (= Interview mit RobbieWilliams). In: Rolling Stone (BRD), Sep-tember, S. 62-67; Frith, Simon (1988):Music for pleasure: Essays In the Socio-logy of Pop. Cambridge/Oxford: PolityPress; Uslar, Moritz von (1994): 'Wir ha-ben prima Laune. Aber wir sind nichtgeisteskrank' (= Interview mit den PetShop Boys). In: SZ-Magazin vom 21.Januar, S. 18-22; Willander, Arne (1997):Robbie Williams. 'Life thru a lense' (=Kritik der CD). In: Rolling Stone (BRD),Oktober, S. 116; ders. (2000): RobbieWilliams. 'Sing when you're winning' (_Kritik der CD). In: Rolling Stone (BRD),September, S. 83f.Disk.: Williams, Robbie (2000): Singwhen you're winning.

Künstlichkeit: In postmodernerÄsthetik ist K. als Gegenpol zueinem in der Rockmusik v.a. inden 60er und 70er Jahren,aber auch heute noch starkverbreiteten Kunstverständniszu sehen, das auf einer Deu-tung von Authentizität alskünstlerischer, politischer undsozialer 'Echtheit' und Ehrlich-keit basiert und in dem dasIdeal des subjektiven Aus-drucks eine zentrale Rolle

spielt. Beeinflusst von Pop-Artund Dada brachen Musikerwie Roxy Music, --'David Bowie,Kraftwerk, z.T. auch schon die-'Beatles, insbesondere aberdie Vertreter des -'Punk undNew Wave mit diesen 'romanti-schen' Idealen, indem sie sichoffen und übersteigert zuRuhm, kommerziellen Absich-ten, Theatralik und der Unna-türlichkeit ihrer besonderenRolle bekannten.Neben solchen Imagefragen(-'Künstlerbild), wie sie auchdie -'Pet Shop Boys im Sinneder K. lösten, zeigt sich K. auchin der postmodernen Musikselbst. Durch Zitate, -'Pastiche,Selbstreferenzen, -'Ironie, -'In-tertextualität und die Aufde-ckung des Arbeitsprozesses wirddie Illusion des organischenGanzen, der 'großen' Kunst undder Originalität des Autors wei-testmöglich dekonstruiert. Ausdem -'Werk wird ein auf viel-fältige Art zu deutender Text,der sich bewusst als künstlichGemachtes präsentiert. AlsExtrembeispiel für Image- undmusikalische K. ist Love MissileFl-11 von Sigue Sigue Sputnik(1986) anzusehen (weitere Bsp.s. -'Beatles, -'Bowie u. -*Willi-ams.). Auch die völlige Ver-nachlässigung des Emotiona-len etwa bei Kraftwerk oder imNew Wave sowie dessen ma-nierierte Übersteigerung wie

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häufig bei Roxy Music sind imSinne einer bewussten K. zudeuten.

Disk.: Sigue Sigue Sputnik (1986): Flaunt

it.

Moderne: Ohne den Rekurs aufdie M. ist Postmoderne nicht zuverstehen. Doch ist der Begriffder M., auf den sich Theoretikerder Postmoderne berufen, kei-neswegs einheitlich. Uberzeu-gend erscheint Welschs Ansatz,welcher Postmoderne als "eineüber ihre Selbstbeschränkun-gen und Rigorismen hinausge-hende Moderne" versteht(Welsch 1997: S. 106). Demnachsteht Postmoderne allenfallseiner M. im Sinne von Neuzeit(beginnend mit Descartes'neuartigem Aufbau der ge-samten Philosophie) entgegen,die von dem Zwang zur Inno-vation sowie der Radikalitätund Universalität ihres An-spruchs geprägt ist (ebd.: S. 65-72). Sie korrespondiert dage-gen in vielen Punkten mit(hoch-)moderner Kunst undWissenschaft des 20. Jahrhun-derts, wobei sie gegen die inder M. zwangsläufig eintreten-de Vereinheitlichung -'Plurali-tät setzt und die esoterisch undelitär bleibenden Ergebnisseder M. popularisiert, in denAlltag überträgt.Besonders problematisch undweitgehend unbeantwortet ist

die Frage nach einer M. imBereich der Popularmusik, de-ren Wesen der M. in mancher-lei Hinsicht prinzipiell wider-spricht. Nach Adornos moder-nem Kunstverständnis kannPopmusik bspw. schon auf-grund ihrer engen Verwebungmit wirtschaftlichen Interessen('Kulturindustrie') keine Kunstder M. sein (vgl. Adorno 1970:S. 335). Zwar weisen einige Au-toren auf Bezüge von Popmusi-kern zu avantgardistischenStrömungen des 20. Jahrhun-derts wie Dada, Situationismusoder Pop-Art hin (vgl. Henry1984, Marcus 1989), doch kön-nen gerade diese in gewisserHinsicht wiederum als Vorbo-ten des Postmodernen gelten(vgl. Welsch 1997: S. 193).So gibt es in der Geschichteder Popularmusik zwar zahlrei-che kurzfristige innovativ, radi-kal und universalistisch auftre-tende Moden, eine generellemoderne Leittendenz aberlässt sich nicht feststellen; sie"bleibt von der Moderne imGrunde unberührt" (Dahlhaus1985: S. 157).Vielmehr erscheint Pop- undRockmusik zunehmend voneiner Pluralität der Stile unddem Überschreiten von Gren-zen (v.a. zwischen -'Hoch- undPopularkultur) geprägt, so dasssie einem weit gefassten Begriffvon Postmoderne generell ent-

spricht, ohne dass es deshalbüberflüssig würde, spezifischePhänomene mithilfe eines kon-kreteren Postmoderne-Begriffeszu verstehen, So nimmt diePopmusik eine Sonderrolle in-nerhalb der postmodernenKunst ein: anders als etwa dieArchitektur folgt sie keiner Kor-rekturbewegung gegen dieeigene moderne Vergangen-heit, sondern einer gesamtge-sellschaftlichen Strömung.

Lit.: Adorno, Theodor W. (1970): Ästheti-sche Theorie. Frankfurt a.M.: Suhrkamp;Dahlhaus, Carl (1985): Postmoderneund U-Musik. In: Österreichische Musik-zeitschrift, 4, S. 154-159; Henry, Tricia(1984): Punk and Avant-Garde Art. In:Journal of Popular Culture 17 (4), S. 30-36; Marcus, Greil (1989): Lipstick Traces.A Secret History of the Twentieth Cen-tury, Cambridge: Harvard UniversityPress; Manuel, Peter (1995): Music assymbol, music as simulacrum. Post-modern, pre-modern and modernaesthetics in subcultural popular music.In: Popular Music 14 (2), S. 227-239;Welsch, Wolfgang (1997): Unserepostmoderne Moderne. Berlin: Aka-demie Verlag (5. Aufl.).

New Wave: -'Punk

Oberfläche: Die Betonung derO. in der postmodernen Kunsthängt eng mit der Konzeptiondes -'Erhabenen und der be-absichtigten Wirkung einesWerks zusammen. 'Surfacematters', ein Schlagwort derPostmoderne-Diskurse, drücktdas Dilemma der Unverstan-

denen aus. Denn es geht nichtum die Oberflächlichkeit, mitder oft über -'Postmoderneund deren Inhalte geschriebenwurde, sondern um die Wir-kung der O. Da das Stück, eineAnsammlung verschiedenerTexte und Bedeutungen, sicheinem totalen Verständnis wi-dersetzt (-' Erhabenes), verla-gert sich die Aufmerksamkeitdes Betrachters auf die O.,deren Gestaltung zunehmendwichtiger wird,Es fällt auf, dass die Form insZentrum des Interesses rückt.Beispielsweise wird bei RoxyMusic die Reimform des SongsDo the strand gewahrt, Inhaltund Bedeutung indes verwei-gern sich jeder Sinnhaffigkeit.Daneben ist auch die Produk-tionsweise der Musik zur Beto-nung der O, wichtig. Vergleichtman die Kritiken von Madonna(2000), erscheint es, als sei derBeitrag von Produzent Mirwalsgenauso wichtig wie der Ma-donnas und der Sound derProduktion sei beinahe gleich-zusetzen mit der Wirkung derMusik, da nahezu keine textli-chen Inhalte rezensiert werden.In der Besprechung von -' Wil-liams (2000) erkennt Obst(2000: S. 58): "Man könnte die-se Musik ohne weiteres für großhalten. Dabei klingt sie nur so."Von marktwirtschaftlicher Seitebetrachtet wäre von Produkt-

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optimierung zu sprechen, ausästhetischer Sicht muss jedochvermerkt werden, dass es sichhierbei um ein verändertes-'Künstlerbild handelt, basie-rend auf einem neuen Ver-ständnis des Verhältnisses vonKunst und Kommerzialität.

Lit.: Lyotard, Jean-Francois (1979): LaCondition postmoderne. Rapport sur lesavoir. Dt. (1982): Das postmoderneWissen. Ein Bericht, Bremen: Impuls &Association; Obst, Andreas (2000):Lennon und Fußball. Robbie Williamserkennt sich. (= Kritik des Albums Singwhen you're winning) In: FAZ vom 8.September, S. 58; Wlllander, Arne(2000): Madonna. Music (= Kritik derCD). In: Rolling Stone (BRD), Oktober, S.97f.Disk.: Madonna: Music (2000); RobbieWilliams: Sing when you're winning(2000).

Pastiche: Zwei in der Diskussionoft genannte Merkmale post-moderner Kunst sind P. undParodie. Es gilt jedoch, siestreng voneinander zu trennen.Jameson (1984: S. 65) be-schreibt P. als eine Kunst derImitate, deren Original ent-schwunden ist, bzw, - in weite-rem Sinne - als Sprechen ineiner toten Sprache oder alsAufsetzen einer Maske. Musika-lisch lässt P. sich als Übernahmeeines Stils erklären, der auf per-sönliche Hinzufügungen ver-zichtet. Beispielsweise ist dasStück Angels (1997) von-' Robbie Williams als der beste

Elton-John-Song bezeichnetworden, den dieser nie ge-schrieben hat (Weitholz 2000: S.16),Parodie hingegen ist der in der-► Moderne verwendete Um-gang mit dem Original, derKritik ausübt. Beispielsweise istder Song Supreme (2000) von-'Robbie Williams eine Parodiedes Songs l will survive von Glo-ria Gaynor, Es werden annä-hernd identische Textzeilen aufdie Harmoniefolge des Origi-nals gesungen, in übertriebe-ner Phrasierung erklingt die vonStreichern gespielte Melodie,Dies geschieht jedoch In einemGestus der -'Künstlichkeit, derdie Intention von Supreme of-fenlegt. Interessanterweisescheint der parodierende Cha-rakter des Songs geradezu einErfolgsstimulans für seine inter-nationalen Hitparadenplatzie-rungen zu sein.Nicht unerwähnt bleiben solltein diesem Zusammenhangauch der Begriff der Bricolage,der 'Bastelei'. Er geht zurück aufLevi-Strauss (1973), der ihn alseine 'Wissenschaft des Konkre-ten' beschreibt. Bricolage wirdals die Art bezeichnet, mit derNaturvölker auf die Welt um sieherum reagieren und auf derBasis eines gemeinsamen (My-then-)Systems eine Antwortimprovisieren, mit deren Hilfesie die Welt für sich zufrieden-

stellend erklären können, Diegrundlegenden Elemente einesMythos können in immer neuenKombinationen neue Bedeu-tungen erzeugen. Clarke(1998) führte eine Untersu-chung über den Mode-Diskursdurch, Hebdige (1979) über-nahm das Bricolage-Konzeptzur Beschreibung subkulturellerStrategien.

Lit.: Clarke, John (1998): Stilschöpfung.In: Kemper, Peter u. Langhoff, Thomasu. Sonnenschein, Ulrich (Hg.): 'but I likeit'. Jugendkultur und Popmusik. Stutt-gart: Reclam, S. 375-392; Hebdige, Dick(1979): Subculture. The meaning ofstyle. London/New York: Routledge;Jameson, Frederic (1984): Postmodern-ism, or The Cultural Logic of Late Capi-talism. In: New Left Review 146, S. 53-92, (dt. unter dem Titel Postmoderne -zur Logik der Kultur im Spätkapitalismus.In: Fluyssen, Andreas u. Scherpe, KlausR. (Hg.): Postmoderne. Zeichen eineskulturellen Wandels. Reinbek: Rowohlt,S. 45-102); Levi-Strauss, Claude (1973):Das wilde Denken. Frankfurt a.M.:Suhrkamp; Weitholz, Arezu (2000): Ichist ein Wanderer. Mit Jedem Scherznäher an die Grenze: Der ehemaligeTake-That-Sänger stellt In Köln seinneues Album vor. In: SZ vom 22. Au-gust, S. 16,Disk.: Gloria Gaynor: I will survive - Thevery best of (1993); Robbie Williams:Life thru a lense (1997), Sing whenyou're winning (2000).

Pet Shop Boys: Die P, sind heu-te als Prototyp einer neuen Artvon Popgruppen anzusehen,denen die Verbindung vonweltweitem

kommerziellen

Chart-Erfolg und (später einge-tretener) hoher Kritikerakzep-tanz gelang. Sie stehen damitparadigmatisch für den durchFrith (1988: S. 462) beschriebe-nen Wechsel ästhetischer Leit-tendenzen von der als roman-tisch beschreibbaren 'rock sen-sibility' zur postmodern zu nen-nenden 'pop sensibility' (s.auch -4 Künstlerbild), Charakte-ristisch ist dabei vor allem dieKonstruktion der Authentizität:Während die Rockkritik kom-merziell orientierter Popmusikgenerell jede künstlerische,politische und soziale 'Echtheit'absprach und traditionelleRockbands sich gerade überdiese Faktoren - vorgeblicheUnabhängigkeit vom Markt,persönlicher Ausdruck vonEmotionen, Verwurzelung ineiner Subkultur - definierten,haben einige Popgruppen seitdem "Great Rock and RollSwindle" des Punk provokativihre -'Künstlichkeit und Kom-merzialität herausgestellt - undgerade auf diese Art wiederumEhrlichkeit für sich in Anspruchgenommen.Abgesehen von Musik (ironi-scher Pathos, Manierismus,-'Oberfläche) und Songtexten(ironischer Umgang mit 'großenGefühlen', z.B. Rent-1987) ha-ben die P. vor allem in Inter-views solche gängigen Ideolo-gien und Klischees kritisiert: "Ein

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neues Stück entsteht, wennChris Lowe und ich zusammen-sitzen und eine Tasse Tee trin-ken, und das passiert fast je-den Tag. Wir schreiben Hits, Wirmachen Popmusik. Die PetShop Boys soll man im Radiohören. Vier von bisher sechsPet-Shop-Boys-LPs gingen inEngland auf Platz eins derCharts. 16 von bisher 20 Singlesplazierten sich in den Top ten.Darum geht es" (Neil Tennant inUslar 1994: S. 22).

Llt.: Uslar, Moritz von (1994): "Wir habenprima Laune. Aber wir sind nicht gei-steskrank" (= Interview mit den PetShop Boys). In: SZ-Magazin vom 21.01.,S. 18-22.Disk.: Actually (1987), Discography -The Complete Singles Collection(1991).

Pluralität: Eines der Grund-merkmale der -+ Postmoderneist die zugrundeliegende P. Mitdem Ende der Meta-Narrationen, wie sie Lyotardkonstatiert hat, ist ein hetero-genes Nebeneinander diffe-renter Wissensformen, Lebens-entwürfe und Handlungsmusterentstanden. Dieser Zustandwird von Welsch (1997: 5) als'radikale P.' bezeichnet: "DiePostmoderne ist diejenige ge-schichtliche Phase, in der radi-kale Pluralität als Grundverfas-sung der Gesellschaften realund anerkannt wird und in derdaher plurale Sinn- und Akti-

onsmuster vordringlich, ja do-minant und obligat werden".Der 'Pluralismus', die zu beob-achtende quantitative Anhäu-fung von Verschiedenem, ge-winnt daher erst durch P. eineinhaltliche Qualität. Dies hat zurFolge, dass Stilpluralismus, einGrundmerkmal des feuilletoni-stischen Postmoderneverständ-nisses, dann erst über eine blo-Be Aufzählung von Stilen hin-ausgelangt, wenn P. als inhalt-liches Kriterium den Sinn ent-hüllt und somit Beliebigkeitausgeschlossen wird.In der Pop- und Rockmusik isteine Zunahme von P. zu beo-bachten. Beispielsweise warendie vier ersten Alben der-*Beatles jeweils stilistisch ein-heitlich, danach begann dieGruppe, auf einem Albummehrere Genres bzw. Stile ne-beneinander zu stellen (engl.'juxtaposition'). -*David Bowiedagegen wechselte von ei-nem Album zum nächsten denStil der Musik. Heute werden ineinem Song die verschiedens-ten Stile miteinander kombi-niert (z.B. Bloodhound Gang:Mope-1999), was schließlichsogar zum Entstehen eines ei-genen Genres führte, demCrossover. Daneben kannebenfalls ein erhöhter Pluralis-mus festgestellt werden. Bei-spielhaft sei auf die verschie-den etikettierten

Billboard-

Charts hingewiesen oder dieVersuche des Plattenhandels,die Masse des Angebots inRubriken zu katalogisieren.

Lit.: Lyotard, Jean-Francois (1979): LaCondition postmoderne. Rapport sur lesavoir. Dt. (1982): Das postmoderneWissen. Ein Bericht, Bremen: Impuls &Association; Mischke, Jörg (1992): DerPluralismus der ästhetischen Erfahrungoder: Wie postmodern ist populäreMusik'?. In: PopScriptum. Beiträge zurpopulären Musik 1, S. 89-95; Welsch,Wolfgang (1997): Unsere postmoderneModerne. Berlin: Akademie Verlag (5.Aufl.).Disk.: Bloodhound Gang (1999): Hoorayfor Boobies.

Posthistoire: --' Postmoderne.

Postmoderne: Der Begriff der P.wurde im Wesentlichen vonden Schriften Fiedlers (1969),Jencks' (1975), Lyotards (1979)und Welschs (1997) geprägt.Nach erstem sporadischenAuftreten wurde er zunächst inder Literaturkritik ausgebildet,dann in die Architektur-Theorieübertragen (Jencks 1975). Seitden frühen 1980er Jahren wirdder P.-Begriff zur Kennzeich-nung allgemeiner gesellschaft-licher, wirtschaftlicher, politi-scher und vor allem künstleri-scher Zustände und deren Ver-hältnis zur -' Moderne genutzt.Zentrales Merkmal der P. - dieallgemeiner Ansicht nach keineneue Epoche im Anschluss andie Moderne bezeichnen soll,

sondern in vielerlei Hinsicht das'Projekt der Moderne' (Haber-mas 1981) fortführt - ist nachWelsch die -'Pluralität, aus dersich alle weiteren Charakteristi-ka ableiten lassen. War die-*Moderne (verstanden nichtals Avantgarde des 20. Jh.,sondern als Neuzeit) um Ver-einheitlichung (etwa in Formvon Meta-Narrationen) be-müht, so negiert die P. diesenZwang zum Totalitarismus undsetzt dagegen die Toleranzund das emphatische Plädoyerfür ein Nebeneinander desDisparaten. Nicht Beliebigkeit('anything goes') und Indiffe-renz, sondern das Nebenein-ander von Verschiedenstem,der 'Gleichzeitigkeit des Un-gleichzeitigen' gilt nach Welschals Merkmal einer dezidiertoptimistisch verstandenen P.In den Künsten realisiert sich P.a) im beständigen Versuch, dieeinstigen Grenzen und Tabusder Moderne zu überschreiten.Der Wunsch nach Innovationist damit nicht aufgegeben,nur wird er nicht mehr durchSteigerung von Komplexitätoder Ausdifferenzierung desMaterials, sondern durch dieKombination des Bekannten,durch Zitieren von ehemals als'verbrauchtes Material' Ange-sehenem erreicht. Das Wie-derholungs-Tabu der Modernewird damit gebrochen, Ver-

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gangenes wird kreativ in einenneuen Kontext eingebunden.Bezugsstellen postmodernerÄsthetik finden sich b) in demStilmittel der Doppelkodierungund c) einem veränderten-* Künstlerbild, das die zuvorverordnete Unvereinbarkeit derGleichzeitigkeit von Kunst undKommerzialität durchbricht.Der wirtschaftliche Aspekt vonKunst wird nicht länger negiert,sondern provokant offenbart.Von P. abzugrenzen sind Post-histoire und Poststrukturalismus.Erstere geht auf Arnold Gehlenzurück und ist eine pessimisti-sche Gegenwartsdiagnose,nach der wir 'nach der Ge-schichte' leben. Es sind keineInnovationen mehr erwartbar,es wird lediglich altes und be-kanntes Material ohne neueImpulse präsentiert. Fortschrittexistiert nur bei institutionell-technischen Kräften, die kultu-rell-geistigen dagegen verblei-ben im Stillstand. Poststruktura-lismus hingegen begreift dieGegenwart als dominiert durcheinen totalitären Diskurs, dersich in der Sprache manife-stiert. Sein Ziel ist eine unaus-weichlich erscheinende Kultur-revolution, die durch subversi-ves Sprechen und Schreibensowie durch Diskurskritik undDiskursanalyse herbeigeführtwird. Vertreter des Poststruktu-ralismus sind Michel Foucault

und Roland Barthes. Eng mitdiesem Theorem verbunden istder Dekonstruktivismus desfranzösischen PhilosophenJacques Derrida. Auch er ver-sucht, einer totalitären Spracheandere Formen entgegenzu-setzen. Poststrukturalismus undDekonstruktion gemeinsam istein erweiterter 'Text'-Begriff,anhand dessen der Verweis-charakter kultureller Äußerun-gen und somit deren -* Inter-textualität beschrieben wird.Die Diskussion um die P. hatsich nach ihrem HöhepunktMitte der 1980er Jahre in demzurückliegenden Jahrzehntmerklich beruhigt. Dennochsieht Welsch noch 1997 in derfünften Auflage seines Stan-dardwerks - bei allem Bedau-ern über den unglücklich ge-wählten Begriff und der darausentstandenen Konfusion infeuilletonistischen und wissen-schaftlichen Debatten - dieInhalte als aktuell an.

Lit.: Engelmann, Peter (Hg.) (1990):Postmoderne und Dekonstruktion.Texte französischer Philosophen derGegenwart. Mit einer Einführung he-rausgegeben von Peter Engelmann.Stuttgart: Reclam; Habermas, Jürgen(1981): Die Moderne - ein unvollende-tes Projekt. In: ders.: Kleine politischeSchriften I-IV, Frankfurt a.M.: Suhrkamp,S. 444-464; Schiwy, Günther (1985):Poststrukturalismus und ' Neue Philoso-phen'. Reinbek: Rowohlt; Schneider,Norbert (1996): Geschichte der Ästhetikvon der Aufklärung bis zur Postmoder-

ne. Eine paradigmatische Einführung.Stuttgart: Reclam; Welsch, Wolfgang(1997): Unsere postmoderne Moderne.Berlin: Akademie Verlag (5. Aufl.).

Poststrukturalismus: -► Postmo-derne.

Punk: Zwar weist Hebdige(1979) in der Mode und denSymbolen des P. Bricolage und--n Pastiche nach, auch kenn-zeichnen Jameson (1984: S. 54)und Behrens (1998a: S. 45) P.als postmodern, doch findensich in der P.-Musik selbst kaumMerkmale des Postmodernen.P. war nicht bestimmt von tole-ranter Pluralität, sondern hattemit seinem umfangreichen'Kanon des Verbotenen' starkausschließenden Charakter.Die vergangene Popgeschich-te und zeitgleiche Stile wurdennicht offen aufgenommen undintegriert, sondern bis auf we-nige Ausnahmen strikt abge-lehnt, um mit universellem undradikalem Anspruch einenNeubeginn zu entwerfen. Somiterfüllt P. vielmehr Kategoriender -+ Moderne (vgl. Henry1984, Marcus 1989). Auchpostmoderne Mehrsprachigkeitoder Doppelkodierung sowieeine Annäherung von -* Hoch-und Popularkultur widerspre-chen dem Wesen des P. gera-dezu und sind somit in der Mu-sik etwa der Sex Pistols oderThe Clash nicht zu erkennen.

P.-Musik ist selten manieriert,distanziert oder ironisch, viel-mehr direkt, eindeutig, 'ehrlich'und atavistisch, Die Künstlich-keit von - n Bowie, Roxy Musicoder Kraftwerk steht gerade imZentrum der Kritik des P., des-sen Botschaft meist als authen-tische subjektive Aussage ver-standen werden soll. Weitabvon jeder postmodernen Beto-nung des Oberflächlichen undIronischen, fern von der Nega-tion jeglichen Sinns, sonderngeleitet von einem (neuzeitli-chen) Glauben an eine besse-re Welt ist auch der teilweisestark politische Aspekt einigerGruppen (The Clash, Rockagainst Racism-Festivals).Allerdings kann P. als entschei-dender Wendepunkt im Hin-blick auf das Authentizitätsver-ständnis in der Pop- undRockmusik angesehen werden.Durch Künstler wie MalcolmMcLaren und die zahlreichenArt School-Besucher aus demP.-Bereich (vgl. Frith u. Horne1987: S. 130-133) fanden Kunst-vorstellungen aus dem Bereichder Pop-Art und damit desPostmodernen Einzug in den P.:Das Ausnutzen des kritisiertenkapitalistischen Systems zu ei-genen (mitunter subversiven)Zwecken, die Aufhebung derKluft zwischen Star und Publi-kum, 'Do-lt-Yourself'-Ideologiesowie die Höherbewertung von

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Image und künstlerischem Kon-zept bei einigen Vorden-kern/Protagonisten des P.Diese avancierten Kunstideenfanden allerdings schon zuvorim Glam und im an den P. an-schließenden New Wave mas-senwirksamere Verbreitung inradikalerem Ausmaß, Andersals P. ist New Wave auch we-niger eindeutig ästhetisch zudefinieren. Die für das Postmo-derne charakteristische Über-schreitung stilistischer Grenzenerfolgte erst hier im großenUmfang, so dass etwa die Un-terscheidung von Pop undRock hier nutzlos wird. Wie zu-vor entwickelte postmoderneStilmittel von New Wave-Künstlern wie Talking Heads,Elvis Costello, The Jesus andMary Chain, Human Leagueoder Scritti Poliiti angewandtund erweitert wurden, be-schreiben Brackett (1995: 165-171, 198), Oberschelp (1991)und Mitchell (1989: 276-286).

Lit.: Brackett, David (1995): InterpretingPopular Music. Cambridge: Cam-bridge University Press; Henry, Tricia(1984): Punk and Avant-Garde Art. In.Journal of Popular Culture 17 (4), S. 30-36; Jameson, Frederic (1984): Post-modernism, or The Cultural Logic ofLate Capitalism. In: New Left Review146, S. 53-92, (dt. unter dem Titel Post-moderne - zur Logik der Kultur im Spät-kapitalismus. In: Huyssen, Andreas u.Scherpe, Klaus R. (Hg.): Postmoderne.Zeichen eines kulturellen Wandels,Reinbek: Rowohlt, S. 45-102); Manuel,

Peter (1995): Music as symbol, music assimulacrum. Postmodern, pre-modernand modern aesthetics in subculturalpopular music. In: Popular Music 14 (2),S. 227-239; Greil Marcus (1989): LipstickTraces. A Secret History of the Twen-tieth Century, Cambridge (HarvardUniversity Press); Mitchell, Tony (1989):Performance and the Postmodern inPop Music. In: Theatre Journal41 (3), S.273-292; Oberschelp, Jürgen (1991):Das Ende der Welt. Vom Verschwindender Kunst in der Popmusik, In: Merkur.Zeitschrift für europäisches Denken, 9,S. 903-915.

Werk: "Die Postmoderne be-ginnt dort, wo das Ganze auf-hört" (Welsch 1997: S. 39), undin diesem Sinne wird der her-kömmliche Werkbegriff, überdessen Anwendung auf diePopularmusik bislang ohnehinkeine Einigkeit herrscht (vgl. z.B.Tagg 1998), in als postmodernverstandener Kunst bewusst inFrage gestellt, Das W., verstan-den als schriftlich oder akus-tisch aufgezeichnetes, sinnvollgegliedertes, organischesGanzes mit klar bestimmbaremund bewusst gestaltetem An-fang und Ende, stellt in der aufPluralität unterschiedlicher Re-zeptionsmöglichkeiten be-dachten Postmoderne (vgl.Behrens 1998: S. 44f,) einenAnachronismus dar. Doch fak-tisch ist die Dekonstruktion desWerkes keineswegs so weitfortgeschritten, wie die Theorievermuten lässt, Nur die wenigs-

ten Popsongs oder -LPs sindbetont fragmentarisch, dasvon der Postmoderne negierteIdeal der Einheit wird in Pop-und Rockmusik nur selten an-getastet.Insbesondere in Tanz-orientierter Musik aber (vonDub Ober Disco und Techno bisin den Mainstream), finden sichpostmoderne Kriterien. Entge-gen dem konventionellen W.-Ideal ist das Kunstschaffen desDJs auf reine Gegenwartser-fahrung und somit auf Ver-gänglichkeit angelegt. Wirddiese Musik im Studio produ-ziert, so bestehen in der Regelverschiedene Fassungen undRemixes - v.a. seit Einführungder Maxi-Single - gleichbe-rechtigt nebeneinander. DieFrage nach dem Original ver-liert ebenso an Relevanz wiedie Entscheidung über die Au-torenschaft (vgl. etwa Bowie1996). Weiterhin verliert die W.-Idee durch postmoderne, ge-gen das Ideal des Organischengerichtete Stilmittel wie Selbst-referenz oder Zitat an Bedeu-tung.Lit.: Behrens, Roger (1998): Ton KlangGewalt. Texte zu Musik, Gesellschaftund Subkultur. Mainz: Neumann; Tagg,Philipp (1998): 'The work': an evaluativecharge. Paper for symposium on Themusical work'. Department of Music,University of Liverpool, 21.09.1998,Online-Veröffentlichung unter:http . //www.theblackbook net/acad/tagg/articles/workdef 1. pdf,

Stand: 11.11.2000; Welsch, Wolfgang(1997): Unsere postmoderne Moderne.Berlin: Akademie Verlag (5. Aufl.).Disk.: Bowie, David (1996): HalloSpaceboy (Remix by The Pet ShopBoys).

Williams, Robbie (*1974): W.wurde als Mitglied der GruppeTake That bekannt. 1995 trenn-te sich die Formation von W.,nachdem er durch ein demBoygroup-Image nonkonfor-mes Verhalten aufgefallen war.Seither veröffentlichte er dreiAlben unter seinem Namen.Schon auf (1997) ist die Musikgekennzeichnet durch denEinsatz zahlreicher postmoder-ner Stilmittel wie Zitat, Doppel-kodierung, ->Ironie und-+ Künstlichkeit. Anstatt aberVersatzstücke der sog. Hoch-kultur zu integrieren, greift W.auf Künstler der 'popmusikali-schen Hochkultur' zurück: -4 TheBeatles, Queen, The Who. DieAdaption der Personalstile istallerdings nicht bloß epigonal,sondern durchaus mit Ironiedurchsetzt; bspw. ist Old beforeI die (1997) ein hedonistischerVerweis auf My Generation(1965) von The Who. Diese mu-sikalischen wie semantischenDoppelkodierungen mögen zueinem beträchtlichen Teil zurgroßen Resonanz von W.s Mu-sik beigetragen haben. Nebender Berichterstattung in Teena-germagazinen lassen sich mitt-

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lerweile Kritiken in überregiona-len Tages- und Wochenzeitun-gen finden (bspw. Obst 2000 u.Weitholz 2000). Generell ist zubeobachten, dass W. —'Ironieals bevorzugte Form seinesAuftretens nutzt. Sie ist wichti-ger Bestandteil des in den Me-dien kolportierten —' Künstler-bildes, da er sie einsetzt, umIrritationen zu erzeugen undsich nicht auf eine Rolle festle-gen zu müssen: "Ich will garnicht, dass die Leute sagen:'Das ist Robbie Williams'. Ichwill, dass sie fragen: 'Ist dasRobbie Williams?" (W. in Weit-holz (2000): S. 16). Dieses Offen-lassen der Deutung unterstütztW, durch häufigen Image-wechsel, bspw. vom rauffreu-digen Trunkenbold zumGentleman, Im Booklet von(2000) erscheint er in 67 ver-schiedenen Rollen (mittlerweilehat die Desorientierungsstrate-gie W.s ein derartiges Ausmaßangenommen, dass die Boule-vardpresse sogar über seinesexuelle Orientierung speku-Ilert), Bezeichnend für W. ist,dass Eindeutigkeiten für garkeinen Bereich mehr existieren.So ist - anders als bei —'TheBeatles, --4 Bowie oder den—'Pet Shop Boys - sein Anteilam Entstehungsprozess derMusik äußerst unklar, wenn erz.B. das aktuelle Album seinemProduzenten, Gitarristen und

'Co-Autoren' Guy Chambersmit den Worten widmet: "ToGuy Chambers, who is asmuch Robbie Williams as I am,"Hier tritt die —► Künstlichkeit derInszenierung plakativ hervor,die sich ebenso in der Musiknachweisen lässt: der Manie-rismus auf Angels (1998), dieBetonung der —'Oberflächeauf Rock DJ (2000) oder dasSpiel mit Zitaten, Selbstreferen-tialität und -4 Pastiche bei Letme entertain you (1997),

Lit.: Obst, Andreas (2000): Lennon undFußball. Robbie Williams erkennt sich.(= Kritik des Albums Sing when you'rewinning) In: FAZ vom 8. September, S.58; Weitholz, Arezu: Ich Ist ein Wande-rer. Mlt jedem Scherz näher an dieGrenze: Der ehemalige Take-That-Sänger stellt in Köln sein neues Albumvor. In: SZvom 22. August, S. 16.Disk.: Robbie Williams: Life thru a lense(1997); I've been expecting you (1998);Sing when you're winning (2000); TheWho (1965): My Generation.

Zitat: —+ Intertextualität,

Abstract

Since its beginning in the late Fifties postmodern discussion hasextended on several forms of cultural production like architectureor fine arts. In Germany, musicology has used some of its thoughtson the avantgarde-music of the latter Twentieth Century, popularmusic research however has rejected its application, It is theopinion of the authors that postmodern theory is a useful tool forthe comprehension of current popular music as it helps to setclear some of the aesthetic strategies of the musicians, In thispaper central topoi of the postmodern discourses are commentedupon some examples of pop and rock music. The very specialform was chosen as it illustrates some of the postmoderncategories, e.g. fragment, surface, pastiche, plurality or the work.Underneath the surface it also reveals another theme of post-modern discussion: Irony.

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