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Attila f ¨ ahrt an die Loire Sabine Schutsch

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Attila fahrt an die LoireSabine Schutsch

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Inhaltsverzeichnis

1 Beinah verpasst! 1

2 Flug nach Paris und Ankunft im Schloss 4

3 Leben im Schloss 9

4 Das Wiedersehen mit Katharina 12

5 Essen beim großen Meister 16

6 Der Ententraum 17

7 Stockdunkel 19

8 Ein seltsames Gerausch 22

9 Der Waffendieb 26

10 Ein gutes Ende und Abschied 32

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1 Beinah verpasst!

Ich liebe meinen Kilt!So heißt der Schottenrock, den mir mein Onkel in Schottland gekauft hat.

Es gibt viele verschiedene Schottenmuster und alle haben Namen. Ich durftemir eins aussuchen und mein Onkel staunte, wie schnell ich mich entschied.

”Das Karo in Rot und Blau ist echt stark“, sagte ich,

”das gefallt mir am

besten.“Es heißt Bruce tartan. Tartan ist das besondere Webmuster und Bru-

ce ist der Clan, also die Familie. Auch wenn man kein Schotte ist, kannman sich spaßeshalber ein Tartan zulegen. Eines darf man aber unter keinenUmstanden: Sich am Tartan der britischen Konigsfamilie vergreifen, die dasder Stewards verwendet. Ich habe das der Bruce.

Meine Schulkameraden lachten sich halbtot, als ich damit am Tag nachden Sommerferien in der Schule erschien.

”Guck dir den Typen an!“kreischte Justus.

”Voll krank“, brullte Andreas.

”Ich lach’ mich schlapp“, schrie Philipp und sein Gesicht lief rot an, bis

es genauso rot war wie das Karo in meinem Schottenrock.

”Was hat der unter dem Rock an?“wollte Sebastian wissen,

”los lasst uns

nachschauen.“

”Haltet ihn fest!“

”Lasst mich los, verdammt noch mal, hort auf!“Mehrere hielten mich fest,

andere zerrten an meinem Rock.

”Frau Walter kommt!“Falk, der Posten vor der Tur, kundigte das Er-

scheinen unserer Englischlehrerin an. Sie ließen mich los. Sebastian sagteetwas wahrend er an mir vorbeiging, aber ich verstand nicht, was. Ich binschwerhorig und trotz meiner Horgerate kann ich nicht alles horen. Aber einsist sicher, etwas freundliches war das nicht.

Beim Umziehen vor dem Sportunterricht ging es wieder los. Es kam zueiner Rauferei und Herr Brandler, unser Klassen- und auch Sportlehrer,verhangte Strafen. Wir mussten wahrend der Sportstunde auf der Bank sit-zen, was mir nichts ausmachte, ich mag Fußball sowieso nicht. Aber einigetraf das hart, weil das genau deren Lieblingsspiel ist.

Ein paar Tage spater roch meine Sporttasche so komisch. Meiner Mutterwurde von dem Geruch ganz schlecht.

”Du sollst kein Essen in dein Zimmer schleppen, es unter dein Bett stel-

len und dann vergessen“, schimpfte sie. Das hatte ich auch nicht. In meine

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Sporttasche hatte jemand vergammelte Milch gegossen. Die hatte so gestun-ken.

Ich hab’ nicht nur den Schottenrock, ich habe auch noch eine Schot-tenmutze. Sie ist ein bisschen zu groß, aber wir haben keine in der passendenGroße gekriegt, jedenfalls keine, auf der eine echte schottische Distel ist. Ge-nauso eine wie auf dem Nationalwappen drauf ist. Meine Klassenkameradenziehen auch dauernd an meiner Mutze, aber ich gewohne mich daran. Anden Kniestrumpfen konnen sie nicht ziehen, die sind schon unten. Weil die sodoll kratzen, ziehe ich sie nie hoch, sondern lasse sie locker uber die Schuhefallen.

Zu meiner Ausrustung gehort noch eine Ledertasche, die am Gurtel be-festigt wird. Sporran heißt die auf schottisch. Sie wurde fruher als Geldborsebenutzt oder als Behalter fur Hafermehl.

”Wofur denn Hafermehl?“fragte ich meinen Onkel.

Mein Onkel ist Archaologe, das sind die Leute, die alte Sachen ausbud-deln. Uber alles, was fruher mal gemacht wurde, weiß er genau Bescheid, sowie mein Vater alles uber das Bauen von Hausern weiß, weil er Architekt ist.

”Nach langen Wanderungen war es ublich, dass sich die Schotten ihr eige-

nes frisches Haferbrot zubereiteten“, erzahlte mir mein Onkel.”Sie suchten

sich einen Platz an einem kleinen Wasserlauf. Hafermehl und Wasser wurdeverknetet und der Teig dann am Stock erhitzt und gebacken.“

Bei der nachsten Wanderung werde ich das auch machen!Und wo kriegt man Hafermehl her?Ich hab’ mich im Supermarkt umgeschaut, da konnte ich keins entdecken.

Man kann es aber leicht selbst herstellen. Haferflocken in die Kaffeemuhle.Und wenn die elektrisch geht, so wie unsere, hat man in sekundenschnelleHafermehl.

”Wie konnt ihr den Jungen im Schottenkostum nach Frankreich fahren

lassen!“sagte meine Großmutter, als sie von meiner geplanten Reise erfuhr.

”Warum denn nicht? “wollte meine Mutter wissen.

”Habt ihr noch nie etwas vom Hundertjahrigen Krieg zwischen England

und Frankreich gehort“, sagte meine Großmutter.

”Mutter! Das war im vierzehnten und funfzehnten Jahrhundert und zwi-

schen England und Frankreich, nicht Schottland und Frankreich.“

”England und Schottland... “setzte meine Großmutter an, wurde aber von

meiner Mutter unterbrochen.

”England und Schottland werden erst seit dem siebzehnten Jahrhundert

gemeinsam regiert. Elisabeth I starb 1603 und der Sohn von Maria Stuart

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folgte ihr als Jakob I auf den Thron.“Meine Mutter ist Geschichtslehrerin und lasst nicht die kleinste Ungenau-

igkeit zu.

”Mutter furchtet, Attila konnte das Nationalgefuhl der Franzosen verlet-

zen, wenn er da im Schottenrock erscheint“, versuchte mein Vater meinerGroßmutter zu helfen.

”Ich glaube, du musst dir keine Sorgen machen“, beruhigte er sie,

”und

fur den Fall, dass er doch Anstoß erregen sollte, wird ihm Anna (das ist meineMutter) noch die Lederhosen einpacken.“

Die Lederhosen waren also im Koffer und noch andere Sachen zum An-ziehen. Meine Schafe waren nicht drin, die hatte ich im Rucksack. Ich hattedie tollsten Geschichten von Gepackstucken gehort, die wochenlang durchdie Welt fliegen, von Amerika nach Australien und wieder zuruck und dannvielleicht zum Nordpol. Das wollte ich meinen Schafen nicht antun.

”Druckt euch eng zusammen, macht euch so klitzeklein wie ihr konnt“, bat

ich sie, trotzdem war mein Rucksack prall gefullt. In der Abfertigungshalledes Flughafens war viel los. Irgendjemand rempelte mich an und da war espassiert. Die Nahte hielten nicht, mein Rucksack platzte und acht Schafepurzelten heraus. Und das sind noch nicht mal alle Schafe, die ich besitze,die meisten habe ich zu Hause lassen mussen, weil sie beim besten Willennicht hineinpassten.

Das Madchen mit dem rosa Rock, dem rosa T-Shirt, den rosa Turnschu-hen und der affigen rosa Haarspange, das genau in dem Moment vorbeiging,kannte ich. Sie geht in meine Nachbarklasse. Sie zeigte mit dem Finger aufmich und flusterte ihrer Mutter was ins Ohr.

Meine Schafe lagen verstreut in der Halle. Was sollte ich jetzt bloß ma-chen? Meine Großmutter griff nach dem Rucksack.

”Ich kriege das wieder hin“, sagte sie, steuerte, wahrend ich meine Schafe

einsammelte auf das Schnellrestaurant zu, setzte sich und holte ihr Nahzeugheraus. Mit großen Stichen nahte sie den kaputten Rucksack wieder zusam-men. Er war an mehreren Stellen gerissen und obwohl meine Großmutter sichbeeilte, dauerte es seine Zeit.

”Er muss doch halten“, sagte sie.

Meine Eltern standen neben ihr und schauten abwechselnd auf die großeUhr in der Halle und auf ihre Armbanduhren.

”Der Flug Hamburg-Paris ist zum Einsteigen bereit“, sagte mein Vater.

Es kam durch den Lautsprecher, aber ich hatte es nicht verstanden. Dannriefen sie meinen Namen. Den hatte ich auch erst nicht verstanden. Aber dann

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kam er so oft, dass sogar ich es mitkriegte. In allerletzter Sekunde, nachdemmeine Eltern mich durch die Sperre geschoben hatten und ich wie eine Raketedie Gange entlanggerast war, erreichte ich das Flugzeug.

2 Flug nach Paris und Ankunft im Schloss

Bei den Babys sollte ich sitzen!Nachdem ich in das Flugzeug hinein gesprungen war, nahm mich eine

Stewardess am Arm und wollte mich zu zwei Kindern in der ersten Reihesetzen. Die hatten Schilder um den Hals, damit sie nicht verloren gehenund eine Spielzeugtute in der Hand mit Air France drauf, damit sie sichbeschaftigen konnten und keinen Krawall machten oder nach ihrer Mamischrien.

”Ich bin zwolf“, log ich,

”und ich mochte auf meinen Platz.“Ich las der

Stewardess die Nummer vor.Zwei Leute mussten noch mal aufstehen, weil ich einen Fensterplatz hatte.

”Entschuldigung“, sagte ich.

Wie hieß Entschuldigung auf franzosisch? Meine Eltern hatten ein paarVokabeln mit mir geubt. Im Moment fiel mir nur Bonjour ein. Das heißtGuten Tag und das sagte ich.

Meinen Rucksack schob ich unter den Sitz. Ganz vorsichtig, ich hatteAngst, er konnte wieder platzen. Aber er hielt, und er hielt auch die ganzenFerien uber.

Das Flugzeug raste uber die Rollbahn, unsichtbare Krafte pressten michan die Sessellehne und das Gefuhl in meinem Magen war so, als wurde ichauf dem Dom (das ist ein Rummelplatz in Hamburg) in einem Floß sitzen,das gleich in die Tiefe sturzt. Das Flugzeug sturzte aber nicht in die Tiefe,sondern hob ab, wir hingen schrag uber der Stadt, flogen dann in RichtungWesten. Hauser und Autos wurden kleiner und kleiner. In einem der Autos,die wie Spielzeug aussahen, saßen meine Eltern und meine Großmutter undfuhren nach Blankenese, wo wir wohnen. Um diese Zeit war dichter Verkehr.Vielleicht war ich eher in Paris als sie zu Hause. Meine Tante, die Schwestermeiner Mutter, wurde am Flughafen sein und mich abholen.

”Ich wusste gar nicht, dass du Schlosser so magst“, hatte sie gesagt, als sie

uns zu meinem Geburtstag besucht hatte.”Nun hore ich, dass du in Schott-

land ganz wild darauf warst, Schlosser zu besichtigen.”Hattest du vielleicht

Lust, uns in den Herbstferien zu besuchen? Sozusagen als Geburtstagsge-

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schenk.“Tante Charlotte hatte mir noch nie was zum Geburtstag geschenktund ich sagte schnell ja.

Meine Eltern hatten wieder mal Bedenken.

”Das Schloss ist in keinem guten Zustand“, sagte meine Mutter. Sie sag-

te es leise, damit Tante Charlotte auch ja nichts horte, dabei war die imWohnzimmer und wir in der Kuche.

”Woher weißt du das, du warst doch noch nie da? “fragte ich.

Meine Mutter warf meinem Vater Blicke zu.

”Andere Familienmitglieder waren da und haben es erzahlt“, sagte er,

”Charlotte hat einen Grafen geheiratet und sie wohnen in einem Schloss, das

hort sich großartig an, aber es geht den beiden nicht so gut, wirtschaftlich,meine ich.“

”Warum denn nicht, ein Schloss ist doch viel wert?“wunderte ich mich.

”So ein Gebaude verschlingt Unsummen von Geld“, erklarte mein Vater.

”Wir konnten ja dafur bezahlen, dass ich da wohne“, fiel mir ein.

”Nein, das geht nicht“, sagte meine Mutter energisch.

”Was mochtest du trinken?“Die Stewardess stand mit dem Wagen im

Gang und fragte mich.

”Malzbier“, sagte ich.

”Du kannst kein Bier bekommen“, sagte die Stewardess hoflich, aber in

ihrer Stimme war deutlich Entrustung zu horen. Es war dieselbe, die michschon zu den Babys setzen wollte.

”Malzbier ist kein Bier“, klarte ich sie auf.

”Du kannst kein Bier bekommen“, wiederholte sie,

”Bier ist nichts fur

Kinder.“

”Malzbier schon“, sagte ich.

”Was ist Malzbier?“mischte sich der Mann ein, der neben mir saß. Er war

Franzose, ich horte es daran, wie er sprach.

”Das ist ein Bier fur Kinder, es ist dunkel und suß“, erklarte ich ihm.

”Zu

Hause trinke ich das jeden Tag“, behauptete ich.

”In diesem Flugzeug wird kein Bier an Minderjahrige ausgeschenkt!“Die

Stewardess gab mir ein Glas Orangensaft.

”Das nachste Mal fliege ich mit Lufthansa“, sagte ich, aber sie war mit

ihrem Wagen schon weiter geruckt.

”Du fliegst zum ersten Mal nach Paris? “fragte mein Nachbar.

”Ja“, sagte ich,

”aber ich bleibe nicht dort.“

”Wohin wirst du gehen?“wollte er wissen.

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”An die Loire“, sagte ich,

”meine Verwandten wohnen dort. In einem

Schloss“, fugte ich hinzu. Er guckte ein bisschen unglaubig.

”Sehr schon, die Touraine“, murmelte er,

”und das Herz Frankreichs.“Und

dann vertiefte er sich wieder in seine Zeitung.Ich zog den Rucksack unter meinem Sitz hervor und offnete ihn.

”Sollen wir hier ersticken?“beschwerten sich meine Schafe.

Ich nahm sie nacheinander heraus und spielte mit ihnen. Mit den zweiHausschuhschafen, die ich in Schottland geschenkt bekommen habe. Mit demSchaf, dessen Fell schon machtig abgewetzt ist, es war mein allererstes Schaf,mit dem habe ich schon als Baby gespielt. Mit dem Tonschaf, das zu Hauseauf meinem Nachtisch steht. Mit dem Schaf mit dem grauen Fell, irgendwannwar das Fell mal weiß, aber dann hat es eine Weile auf der Heizung gelegenund seitdem ist es grau. Mit dem Schaf mit dem Tuch um den Hals, das siehtso aus, als hatte es immer Halsschmerzen, hat es aber nicht. Mit dem kleinenSchaf, es ist das aller kleinste, aber kriegt alles mit und ist manchmal frech.Und mit dem dunnen Schaf, das ist so dunn, weil es immer sagt: Nein, meineSuppe ess’ ich nicht! So wie der Suppenkasper im Struwwelpeter-Buch.

Eine Weile ging das gut, dann fiel mir das Schaf mit dem grauen Fellrunter, rutschte unter meinen Sitz und ich kam nicht mehr dran. Ich gucktenach hinten und schnellte gleich wieder zuruck. Das Madchen mit der affigenHaarspange saß direkt hinter mir und las in einem Mickymaus-Heft.

”Wurdest du mir bitte mein Schaf geben!“sagte ich. Sie schob nur knapp

das Heft beiseite, sah glatt durch mich hindurch, kaute weiter an ihrem Kau-gummi, machte eine Blase, naturlich rosa, und ließ sie platzen.

”Mein Schaf“, sagte ich,

”es ist mir heruntergefallen.“

”Ich nehme an, es gehort deinem kleinen Bruder, aber leider sehe ich kein

Schaf.“

”Da, das Stofftier liegt doch vor deinen Fußen“, mischte sich ihre Mutter

ein.Sie machte eine noch großere Blase, buckte sich dann und warf es mir

an den Kopf. Schmerzhaft war das nicht. Schmerzhaft war wie immer dasLanden. Es druckte in meinen Ohren als wurde jemand mit einem Stockdarin herum bohren. Immer tiefer, immer doller. Ich rupfte die Horgerateheraus.

”Das kann nicht an den Geraten liegen“, hatte der Typ im Horgerateladen

gesagt,”andere haben das auch nicht.“

Ich jedenfalls hatte es. Tropfen, die mir der Arzt verschrieben hatte, hal-fen auch nicht. Jetzt konnten sie sowieso nicht helfen, ich hatte sie namlich

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vergessen.Beim Aussteigen bekam ich Gelegenheit, mich an dem Madchen mit der

Haarspange zu rachen.

”Meine Haarspange, wo ist meine Haarspange“, jammerte sie wahrend

alle dichtgedrangt im Gang standen und auf das Offnen der Turen warteten.Ihre Mutter versuchte sie zu trosten, aber sie schluchzte, suchte wie wild inihrem Rucksack, kroch auf dem Boden herum. Ich ließ die beiden vorgehen,zur Sicherheit auch noch ein paar andere Leute, nahm dann den Fuß vondem rosa Ding, bei dem es sich um eine Haarspange handelte, und verließdas Flugzeug.

Mein Koffer war da!Auf dem Weg zu dem Transportband dachte ich ab und zu, ich hatte mich

verirrt, doch schließlich sah ich den Bildschirm mit Hambourg, so heißt Ham-burg auf franzosisch. Bis es sich in Bewegung setzte, verging wieder enormviel Zeit, aber als ich dann endlich exit (das englische Wort fur Ausgang)und das neu gelernte sortie gefunden hatte und in die Ankunftshalle kam,war Tante Charlotte nicht da. Sie war nicht unter den Leuten, die mit Papp-schildern warteten. In der Halle war sie auch nicht. Ich lief da herum, konnteaber nichts Besonderes entdecken. Irgendwie sehen alle diese Hallen ziemlichgleich aus. Ich zeigte die Halle meinen Schafen.

”Ode, sagte das eine der beiden Hausschuhschafe.“

”Ich denke, wir wohnen im Schloss“, meckerte das Schaf mit dem Tuch

um den Hals.Als ich sie in den Rucksack zuruck stopfte, fiel mein Handy heraus. Ach

herrje, das hatte ich ja ganz vergessen. Eine SMS war drauf, von Tante Char-lotte. Wahrend ich sie las, kam sie angerannt. Ihre Haare waren durcheinan-der und sie war außer Atem.

”Ich hatte eine Reifenpanne“, stieß sie hervor.

Als ich den uralten Peugeot sah, wunderte ich mich, dass nur der Reifenkaputtgegangen war. Und angekommen in Azay-le Rideau wunderte ich mich,dass wir die Fahrt lebend uberstanden hatten. Tante Charlotte war uber dieAutobahn gerast, als wollte sie das beruhmte Autorennen von Paris nachDakar gewinnen.

”Lahme Ente“, schimpfte sie und fuhr ganz dicht an das Vorderauto her-

an, um dann im Windschatten zu uberholen.

”Der beste Trick“, versicherte sie mir. War kein Platz auf der Uberholspur,

fuhr sie auf der weißen Linie zwischen beiden Spuren weiter.

”Da darf man nicht fahren“, sagte ich.

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”Ich fahr gleich wieder runter“, sagte sie.

Ich machte die Augen zu. Gleich wurde es furchterlich krachen. Die Feuerwehrwurde anrucken. Wie sich wohl eine franzosische Feuerwehr anhorte? Na egal,sie wurde uns aus dem zerbeulten Auto schneiden, Sanitater wurden uns inden Rettungswagen tragen, nein, sicher in den Rettungshubschrauber, dergerade neben der Autobahn gelandet war. Als ich die Augen wieder offnete,fuhren wir wieder auf der rechten Seite und es war nichts passiert.

Onkel Francois stand im Schlosshof und schleppte Steine von einer Eckein die andere. Sein Haar war grau gepudert und als Tante Charlotte hupte,um ihn auf uns aufmerksam zu machen, zuckte er zusammen, Puder rieselteuber sein Gesicht. Klar, es war Staub, ich hatte nur zu viele Bilder von Grafengesehen, die Perucken trugen.

Er wischte sich die Hande an seiner ausgebeulten Cordhose ab und sagtefreundlich Bienvenu, Willkommen!

”Bonjour“, sagte ich und

”Pardon Monsieur.“Jetzt war mir eingefallen,

was Entschuldigung heißt. Er lachelte noch einmal freundlich und arbeiteteweiter.

”Komm rein“, sagte Tante Charlotte,

”du musst ja fast verdurstet sein.“Das

stimmte, sie hatte ja kein einziges Mal angehalten und gefragt, ob ich viel-leicht Durst hatte. Ich verzichtete darauf, wieder Malzbier zu verlangen undtrank Wasser. Dann zeigte sie mir die Dachkammer, wo ich meine Sachenlassen konnte und wo ich die nachsten zwei Wochen schlafen wurde.

Wie zu Hause, dachte ich, denn da wohne ich auch im Dach. Ich gucktedurch das Dachfenster und sah ein Dorf in der Ferne.

”Sieht aus, als ware es aus einem der Geschichtsbucher meiner Mama

geklettert“, sagte ich zu Tante Charlotte, aber sie horte nicht zu. Sie kramteim Schrank nach einer zweiten Decke.

”Falls dir kalt wird“, sagte sie und legte sie auf mein Bett.

Kalt war mir dann trotzdem. Es zog durch die vielen Ritzen und ichzog die beiden Schlafanzuge, die ich mit hatte, ubereinander und die beidenSchafe, die Hausschuhe sind, zog ich an.

Ich weiß noch, wie ich am ersten Abend im Bett lag, der Wind heulteund ich furchtete mich ein bisschen. Am Nachmittag hatte ich das baufalligeSchloss ausgiebig untersucht.

Es wird doch hoffentlich nichts einsturzen, dachte ich. Jedenfalls wird keinDieb auftauchen, weil es hier nichts zu klauen gibt. Mit diesem Gedankenschlief ich ein und wusste nicht, wie sehr ich mich getauscht hatte.

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3 Leben im Schloss

Manche Schlosser kann man einfach so besichtigen, bei anderen geht dasnur mit Fuhrung. In dem Schloss meiner Verwandten ging das nur mitFuhrung. Ich hatte schon am Tag meiner Ankunft gemerkt, warum. Es war zugefahrlich, Leute allein hier herumlaufen zu lassen. Es gab kaputte Treppen,absturzgefahrdete Erker, lose Steine und Locher in Fußboden und Wanden,wo man keine vermutete.

Wenn man ein Schloss besichtigen will, kauft man eine Eintrittskarte.Außerdem ist es in Frankreich so, dass man dem, der einen gefuhrt hat, einTrinkgeld gibt. Die Hohe richtet sich danach, ob es einem gefallen hat. OnkelFrancois dachte, dass alles, was ihn brennend interessiert, auch fur jedenanderen spannend ist. Die Waffenkammer zeigte er den Besuchern grundlich.Mir hat er sie am ersten Morgen gezeigt.

”Mochtest du die Waffenkammer sehen?“fragte er plotzlich beim Fruhstuck,

nachdem er vorher kein einziges Wort geredet hatte. Er tunkte ein StuckCroissant in seinen Milchkaffee, in dem Krumel und Fettaugen schwammen,trank dann den Kaffee aus und holte die Schlussel.

Die Waffenkammer war groß und gut beleuchtet wie kein anderer Raumin dem dusteren Schloss. In Glasschranken und an den Wanden lagen, hingenund standen massenhaft alte Waffen. Nie hatte ich gedacht, dass es so vieluber Waffen zu sagen gibt. Onkel Francois wusste einfach alles. Im Schneck-entempo bewegten wir uns durch den Raum und er verriet mir Herkunft,Entstehung, Besonderheiten jedes einzelnen Stuckes. Er sprach Deutsch, wassich wegen der vielen Fachausdrucke auch wie eine fremde Sprache anhorte,aber ab und zu fiel er ins Franzosische, ohne es zu merken. Merkte er es doch,entschuldigte er sich und fing noch mal von vorn an.

Irgendwann rief Tante Charlotte. Trotz meiner Schwerhorigkeit kriegteich es mit, wenn auch ganz leise. Onkel Francois horte nichts. Erst als sieselbst in der Tur auftauchte und uns zum Essen rief, merkte er was.

”Attila hat die Pistole noch nicht gesehen“, sagte er. Ich hatte schon jede

Menge Pistolen gesehen, aber diese eben nicht.

”Aus dem 17. Jahrhundert“, erklarte er, wahrend Tante Charlotte wieder

verschwand.

”Sieh dir den Schlossmechanismus an!“Er nahm die Waffe so vorsichtig

in die Hand als ware sie aus Porzellan, strich uber die Verzierungen.

”Edelholzintarsien“, schwarmte er.

”Von diesem Buchsenmacher gibt es

nur noch eine einzige weitere Pistole und die ist seit Jahren verschollen. Ein

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Meisterwerk, dieser Wendermechanismus.“Er fuhrte ihn vor und seine Augen leuchteten.

”Tante Charlotte wartet“, wagte ich zu sagen.

Er sah mich an, als kame er aus einer anderen Welt. Dann legte er die Waf-fe zuruck in den Glasschrank, verschloss den dreimal, die Tur zur Waffenkam-mer siebenmal und ging mit mir in die Kuche. Es gab zwei Kuchen im Schloss.Die alte Schlosskuche und eine moderne Kuche. Wegen der Fuhrungen wurdenamlich die Schlosskuche nicht benutzt.

”Auf dem altmodischen Herd kann man sowieso nicht kochen“, sagte Tan-

te Charlotte. Sie kochte auf einem Herd, der modern aussah, aber wenn mehrals eine Platte in Betrieb war, flog die Sicherung heraus.

”Letztes Jahr war der Elektriker hier. Einen Teil der alten Leitungen hat

er repariert, aber eben nur einen Teil. Du glaubst gar nicht, was es kos-tet, Handwerker zu beschaftigen.“Tante Charlotte ruhrte in der Suppe. Mirmachte es nichts aus, dass es dauernd Suppe gab, die man auf nur einerHerdplatte kochen konnte. Und mein Onkel meckerte auch nicht. Da hat-te mein Vater Unrecht, der behauptet hatte, Franzosen reden standig vomEssen. Wenn mein Onkel redete, dann nur uber alte Waffen.

”Heute wird das Wetter schon, ein milder Herbsttag“, sagte meine Tan-

te morgens,”heute kommt bestimmt jemand und will das Schloss besichti-

gen.“Oder:”Heute regnet es, das ist gerade richtig fur eine Schlossbesichti-

gung.“Onkel Francois schmierte Mortel in die Wandfugen, kratzte alte Wand-

farbe ab, klopfte an Steinen und am Putz herum. Tante Charlotte repariertedas Auto und polierte die Messingtopfe und Pfannen in der Schlosskuche,die eigentlich schon blank waren. Dabei guckten sie immer wieder zum Park-platz, ob nicht endlich ein Auto oder vielleicht sogar ein Bus auftauchte undSchlossbesucher ausspuckte.

”Ich geb’ euch Bescheid, wenn jemand kommt“, sagte ich, nachdem ich

das eine Weile beobachtet hatte.Ich kletterte auf den Baumen herum, die dicht am Parkplatz standen.

Wie ein Kapitan, der nach Land Ausschau halt,spahte ich umher, aber eineMeldung musste ich selten machen.

Abends, wenn die Zeit vorbei war, wo es eine Fuhrung gab oder einegegeben hatte, falls jemand gekommen ware, wurde im Wohnzimmer, imSalon, wie Tante Charlotte sagte, das Absperrseil weggenommen und wirmachten es uns gemutlich. Ohne das Seil hatten sich bestimmt Besucher maldort hingesetzt, um sich auszuruhen oder um auszuprobieren, ob die Stuhle

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knarren.Der Fernseher war in einem der alten Schranke versteckt. Meine Tante

druckte auf den Einschaltknopf, aber es passierte gar nichts. Wir warteten,dann ging mein Onkel hin und schlug auf den Apparat. Am ersten Abenddachte ich, er schlagt ihn vor Wut kaputt. Doch nachdem er noch franzosischeWorter gemurmelt hatte, die wie Beschworungsformeln oder Hexensprucheklangen, erschien das Bild und wir konnten die Abendnachrichten und denWetterbericht, le meteo gucken. Meine Tante ubersetzte und ich wusste dann,dass es nicht uberall schneite, sondern dass es nur das Flimmern im Fernseherwar.

Mein Onkel vertiefte sich anschließend in Bucher, hauptsachlich welche, indenen Waffen vorkamen. Tante Charlotte setzte sich an ihren Computer, densie aus einem anderen alten Schrank holte und auf dem Wohnzimmertischaufbaute. Sie informierte sich uber Dachziegel, Wand- und Deckenfarben,Holzschutzmittel, uber Ersatzteile fur Autos, preiswertes Olivenol, billigesPapier fur Tickets und Angebote fur Antiquitaten. Um mir eine Freude zumachen, spielte sie Siedler mit mir. Ich fand das Spiel langweilig, aber daserzahlte ich nur meinen Schafen.

”Wie sah die Waffenkammer noch mal aus?“fragten die mich am ersten

Abend.Ich beschrieb sie ihnen, aber sie waren nicht zufrieden.

”Ich verstecke euch da“, versprach ich,

”dann konnt ihr euch alles selber

angucken.“

”Die gehoren vermutlich dir!“Mein Onkel hielt das Schaf mit dem ab-

gewetzten Fell und das Schaf mit dem grauen Fell in der Hand.”Als ich

bei der letzten Besichtigung die Vitrine offnete, fielen sie mir entgegen. DieLeute wollten wissen, wem sie gehoren. Sie haben nicht mehr aufmerksamzugehort“, sagte er vorwurfsvoll.

Ich wusste, dass kein Besucher lange aufmerksam zuhorte. Von meinemBeobachtungsposten, von dem aus ich in die Waffenkammer hineinguckenkonnte, hatte ich Besucher gesehen, die kurz vorm Umfallen waren. Sie klam-merten sich an die Schranke und sahen blass aus. Bei anderen war ich sicher,dass sie uberlegten, mit welcher Waffe sie jetzt entweder Onkel Francois odersich selbst toten wurden. Manche druckten ihm ein reichliches Trinkgeldin die Hand und strebten zum Ausgang. Dass sie nicht bis zum Ende derFuhrung blieben, beleidigte Onkel Francois. Sein bleiches Gesicht bekam ro-te Flecken, spater ruhrte er in der Suppe herum ohne sie zu essen und seine

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Stimme klang zornig.

”Merci, danke fur die Schafe“, sagte ich und entschuldigte mich fur sie.

”Die rennen manchmal weg. Ich schimpfe dann mit ihnen, aber es hilft nicht.“

Onkel Francois sah mich verblufft an und druckte mir die beiden Schafein die Hand.

Ich brachte sie zuruck in meine Dachkammer.

”Wir wollen auch drankommen, maulten die anderen.“

”Das fehlt noch, dass ihr dann auch von der Vitrine fallt“, sagte ich.

”Ich falle bestimmt nicht“, beteuerte das kleine Schaf. Es durfte trotzdem

nicht in die Waffenkammer, aber ich nahm es am nachsten Tag mit noch dreianderen Schafen im Rucksack mit, als ich mit Tante Charlotte zwei andereSchlosser besichtigte und Katharina wiedersah.

4 Das Wiedersehen mit Katharina

”Es wird Zeit, dass du mal ein anderes Schloss zu sehen bekommst“, sagte

Tante Charlotte eines Morgens. Doch bevor wir dahin fuhren, hielten wirnoch an einer Tankstelle in Plessis. In ihrem Computer hatte Tante Charlottegesehen, dass es da preiswerte Reifen gibt.

”Wir nehmen so viel wie ins Auto passen, so ein Angebot gibt es nicht

alle Tage“, erklarte sie mir. Wir schleppten also 16 Reifen und wuchteten sieauf die Ladeflache des Peugeots. Dann ging Tante Charlotte zu dem Tank-stellenbesitzer, um zu bezahlen.

”Stell dir vor, er gibt uns einen Sonderrabatt,wenn wir noch vier Reifen

nehmen, enorm, was wir da sparen“, sagte sie.So schleppten wir noch vier Reifen, die kamen auf die Rucksitze und in

den Fußraum, und ich war froh, dass ich nicht auf einem Autoreifen sitzenmusste.

”Was willst du denn mit so vielen Reifen?“fragte ich.

”Ach, gute Reifen kann man immer gebrauchen“, sagte sie. Sie spendierte

mir ein Eis, weil ich so prima geholfen hatte und dann fuhren wir zu einemSchloss, das ganz von Wasser umgeben war. Wie in einem Spiegel sah mandie vielen Turme, Erker und Fenster noch mal. Bei Wind schaukelten sieim Wasser hin und her. Wir kauften Eintrittskarten und gingen ins Schlosshinein. Hier konnte man sich ohne Fuhrung alles ansehen. Riesige Teppichehingen an den Wanden.

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”Tapisserien sind das“, erklarte Tante Charlotte.

”Ihre Herstellung war

sehr aufwandig und dauerte viele Jahre.“Wenn man sie von weiter weg be-trachtete, sahen sie aus wie Gemalde. Sie zeigten Schlosser, das Leben, wiees fruher bei Hofe war und Schlachten.

”Sie durfen nicht so viel Licht kriegen“, sagte Tante Charlotte,

”weil das

Gewebe sonst zerfallt.“In den Schlafraumen standen Betten mit Baldachinen, das sind Betten,

die ein Dach haben. Eins gefiel mir besonders, weil die Pfosten so schongeschnitzt waren und Kissen aus gruner Seide drin lagen (und grun ist meineLieblingsfarbe).

”Ich mochte mich mal hineinlegen!“sagte ich.

”Nur ganz kurz“, flusterte Tante Charlotte und sah sich um, ob auch

keiner kam. Ich war gerade wieder aufgestanden, da kam eine Reisegruppeund wir verschwanden in den nachsten Raum. Da trodelten wir so langeherum bis uns die Gruppe uberholt hatte. Im Treppenhaus hingen Portraits.

”Das war die erste Schlossherrin!“Tante Charlotte zeigte auf eins der Bil-

der.”Und sie war auch die Bauherrin, sie hat mit dem Baumeister zusammen

geplant und die Bauarbeiten und die Handwerker beaufsichtigt.“

”Ich dachte, das haben fruher die Manner gemacht.“

”Die Manner waren nicht zu Hause“, sagte Tante Charlotte,

”sie fuhrten

ja dauernd Krieg. So kam es, dass viele Loire-Schlosser von Frauen gebautwurden.“

Ich machte die Augen zu und stellte mir vor, wie die Frau auf der Bau-stelle herumlief. Das lange Kleid schleifte auf dem Boden. Sie erklarte einemMaurer, dass die Kaminoffnung großer werden musste. Einem Zimmermann,der sich blod anstellte, nahm sie den Hammer aus der Hand und zeigte ihm,wie er den Dachstuhl richtig aufstellen musste (mein Vater, der ja Architektist, hatte mir das mal bei einem Haus gezeigt). Sie wurde wutend, weil derSteinmetz mit der Außenmauer nicht vorankam, griff an ihren Hals, ratschmachte es und die Perlenkette, die ich auf dem Portrait gesehen hatte, riss.Die glanzenden Kugeln rollten die Treppe hinunter. Ich wollte mich geradebucken, da stupste mich Tante Charlotte an.

”Da geht es nach oben zu einem der Turme“, sagte sie,

”da, die Wendel-

treppe hinauf. Eine herrliche Aussicht hat man von da oben. Ich gehe solangenach unten in das kleine Schlosscafe und trinke einen Kaffee.“

”Aber fall’ bloß nicht runter! “rief sie mir noch hinterher.

Ich raste die enge Treppe hinauf, so dass die Schafe in meinem Ruck-sack ordentlich durchgeschuttelt wurden. Beinah oben angelangt, stolperte

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ich und stieß mit dem Kopf gegen die Tur, die nach draußen fuhrte. Da ki-cherte es. Ich dachte zuerst, es ware ein Gerausch in meinen Horgeraten, dakicherte es noch einmal. Die Tur ging auf, ich stand auf der Plattform desTurmchens und auf dem Gelander bewegte sich etwas Glitzerndes hin undher.

Katharina! Wie in einem Film lief alles in meinem Kopf ab. Ich bin wiederin Schottland und folge dem geheimnisvollen Bus.

”Er bringt uns Gespensterkinder tagsuber in dieses abgelegene Schloss,

damit wir wieder schlafen konnen“, erklart mir Katharina.

”Warum konnt ihr denn nicht schlafen? “will ich wissen.

”Na wegen der Touristen, die pausenlos durch die Schlosser laufen“, sagt

Katharina.Sie zeigt mir die schlafenden Gespensterkinder und ihre Lieblingsecke imGarten.

”Verdammt, wir haben den Bus verpasst!“

Der Film stoppte und ich war wieder hier in einem Schloss in Frankreich.

”Attila, du siehst vielleicht ulkig aus“, sagte eine Madchenstimme und

aus allen Madchenstimmen, die ich kenne, erkannte ich ihre sofort. Es warwirklich Katharina.

”Wieso ulkig?“

”Na mit deinem Schottenrock, der ganz staubig ist. Und dann die Mutze,

die ist dir viel zu groß und die herunterhangenden Socken!“Sie lachte.Ich war beleidigt, außerdem fuhlte ich, wie an meinem Kopf die Beule

wuchs.

”Nette Begrußung“, sagte ich brummig. Ihre Stimme war auf einmal dicht

neben mir.

”Was bin ich blod“, sagte sie,

”als wenn es eine Rolle spielt, was jemand

anhat. Du bist mein Freund und kannst so komisch herumlaufen wie du willst.Ich freu’ mich ja so, dich wiederzusehen. Und ich hab’ dich vermisst.“

”Ich hab’ dich auch vermisst“, sagte ich.

Katharina sagte nichts.Wir sagten beide nichts.Nachdem wir eine Weile nichts gesagt hatten, fragte ich:

”Was machst du

eigentlich hier?“

”Das ist eine traurige Geschichte“, sagte Katharina,

”das Schloss in Schott-

land ist abgebrannt.“

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”Das, in dem du mit deinen Gespenstereltern gewohnt hast?“fragte ich

erschrocken.

”Ja, bis auf die Grundmauern. Meine Eltern haben mich nach dem Ungluck

in dieses Schloss hier geschickt, da wohnen Verwandte von uns. Ich soll hier-bleiben bis sie wissen, was jetzt aus uns wird. Jahrhundertelang haben wirauf Gladis Castle gewohnt, aber ob das abgebrannte Schloss wieder... “

Schritte kamen die Treppe hinauf.

”Wo wohnst du hier, wo kann ich dich finden?“fragte Katharina.

Ich sagte ihr den Namen von dem Schloss meiner Verwandten und nochbevor sich die Tur offnete, war sie verschwunden. Die Treppe hinunter nahmich immer zwei Stufen auf einmal und kam atemlos in dem kleinen Cafe untenan.

”Du siehst aus, als hatten dich Gespenster verfolgt“, sagte Tante Char-

lotte.”Und sich mit dir geprugelt“, fugte sie hinzu als sie meine Beule sah.

”Nun setz’ dich, das war nur ein Spaß“, sagte sie und schob mir einen

Stuhl hin.”Wie war die Aussicht?“

”Aussicht? Was denn fur eine Aussicht? “Ich sah sie fragend an. Dann fiel

der Groschen.

”Toll“, sagte ich,

”wirklich toll.“

”Wurdest du dir gern noch ein anderes Schloss anschauen?“fragte sie,

nachdem ich Apfelsaft getrunken hatte.”Oder willst du lieber nach Hause?“

”Ich wurde mir gern noch eins anschauen“, sagte ich und das machten

wir dann auch. Dieses Schloss hatte einen besonderen Garten. Gemuse warin Beeten so angeordnet wie sonst Blumen. Und Weintrauben wuchsen ei-nem auf den Wegen geradezu in den Mund. Im Inneren des Schlosses gab eseinige Spiegel. Ich stellte mich vor einen und musterte mich. Mein Rock warwirklich staubig. Eine kleine Wolke stieg auf, wenn ich drauf klopfte. An derrechten Seite war ein Riss, den ich mir beim Klettern geholt hatte.

”Er hat Katharina getroffen“, erzahlten die vier Schafe den anderen als

wir nach Hause kamen,”aber wir haben sie nicht gesehen, weil Attila uns

nicht aus dem Rucksack herausgenommen hat.“

”Gespenster kann man sowieso nicht sehen“, sagte das Schaf mit dem

abgewetzten Fell.

”Quatsch, er hatte uns nur herausholen mussen, wir haben sie ja auch

gehort.“

”Du bist wirklich zu dumm. Zu glauben, dass man Gespenster sehen

kann!“

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”Na klar, du bist ja...“

Sie stritten sich und weil ich das nicht langer horen wollte, schaltete ichmeine Horgerate aus. Wenn ich das mache, kann ich nicht mehr das klitze-kleinste bisschen horen. Das ist ein Vorteil von Horgeraten. Ich mache dasauch in der Schule, wenn die anderen furchterlichen Krach machen oder michargern, oder wenn der Unterricht langweilig ist und ich in Ruhe uber etwasanderes nachdenken will.

5 Essen beim großen Meister

Die Kuche lag direkt neben dem Eingang und durch das Fenster sah ichKoche, die herum hantierten und hohe, weiße Kochmutzen trugen. Nicht allewaren gleich hoch.

”Die des Chefkochs ist am hochsten“, erklarte mein Onkel.

Die Koche nickten mir freundlich zu. Aber die Dame, die uns dann be-grußte, sah mich entsetzt an. Dabei hatte Tante Charlotte den Riss in mei-nem Rock genaht und ihn sorgfaltig ausgeburstet, so dass nicht die kleinsteStaubwolke herauskam. Ich hatte die Strumpfe hochgezogen und ertrug dasKratzen und meine Mutze war mit einer Sicherheitsnadel zusammengesteckt,so dass sie beinah richtig saß. Auch meine Tante und mein Onkel hatten allenStaub aus den Kleidern geburstet und sahen Klasse aus.

”Das ist ein besonderes Ereignis, wenn wir einmal im Jahr bei diesem

Sternekoch essen“, erklarte mir Tante Charlotte.”Sterne gibt es als Aus-

zeichnung fur besonders gutes Kochen“, sagte sie und dass das furchtbarteuer ist.

”Deshalb konnen wir uns das nur einmal im Jahr leisten.“

Dieses eine Mal war heute. Ein Montag, denn montags gab es keineFuhrungen. Die Dame brachte uns an einen Tisch, der mit Kerzen, Glasernund vielem Besteck festlich gedeckt war.

Die denkt, ich kann nicht mit Besteck essen, vermutete ich, oder hatAngst, dass ich gleich am Tischtuch ziehe und alles herunterreiße, oder siefurchtet, ich werde die Kartoffeln quer uber den Tisch schießen.

Das Essen dauerte vier Stunden und mit der Zeit guckte sie mich freund-licher an, weil sie gemerkt hatte, dass ich ordentlich essen konnte, nichtschmatzte, nicht rulpste und nicht mal kippelte.

Zwischen den Gangen gab es Pausen. In denen zeichnete ich; das Schlossmeiner Verwandten, das, in dem Katharina jetzt war und das mit demGemuse. Onkel Francois zeichnete auch etwas auf meinen Block. Selbst wenn

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ich blind gewesen ware, hatte ich gewusst, was. Tante Charlotte sagte, siekonne nicht zeichnen. Das stimmte, die Schlosszinnen, die sie zu zeichnenversuchte, sahen auch wie Waffen aus.

Ich trank Wein! Zu jedem Gang gab es eine andere Sorte und mir wurdeein bisschen ins Glas gegossen.

”Es gehort zum Essen“, sagte Onkel Francois.

Franzosische Kinder, die nicht mal Malzbier trinken durften, vertrugendas. Ich vertrug es nicht. Als ich aufstand, war mir schwindelig und auf derRuckfahrt schlief ich auf dem Rucksitz ein. Ich verschlief auch noch den Restdes Nachmittags und konnte dafur abends nicht einschlafen. Meine Schafeschliefen langst, da war ich immer noch wach.

”Was wollte der Koch denn nachher an eurem Tisch“, hatte das Schaf

mit dem Schal um den Hals gefragt.

”Er wollte wissen, ob es uns geschmeckt hat.“

”Na und, hat es?“

”Mein Onkel hat mit ihm uber die Soße beim Fischgang diskutiert. Er

war der Meinung, der Estragon hatte nicht so stark vorschmecken durfen unddas Dessert hat ihm missfallen. Da war zu viel Zucker dran.“

Meine Tante hatte mir die Ubersetzung auf den Block gekritzelt. Ichstaunte uber Onkel Francois. Er war ein Feinschmecker, obwohl er jeden TagSuppe aß, die immer gleich schmeckte.

”Und sie haben die Ente erst ungekocht gezeigt“, hatte das kleine Schaf

schaudernd wiederholt und sich gar nicht beruhigen konnen.”Ja, und dann

wurde sie zubereitet, ganz frisch.“Ich hab’ naturlich alles gegessen, bei so einer Einladung, aber am besten

hat mir das Dessert geschmeckt, auch wenn zu viel Zucker dran war.

6 Der Ententraum

Ich traumte von Enten, die Kochmutzen trugen. Sie hockten auf dem Herd inder Schlosskuche und wendeten einen großen Fisch, der mit glasigen Augenund weit offenem Maul in der Pfanne lag. Es roch furchterlich.

”Ich will keinen Fisch essen“, schrie ich.

”Du musst!“forderten meine Eltern, meine Tante, mein Onkel.

”Nur wenn

du Fisch isst, bist du vor Gespenstern sicher.“

”Sie kommen schon“, rief das Schaf mit dem Schal um den Hals,

”iss

schnell den Fisch!“

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Ich nahm eine Gabel und pikte in den Fisch hinein. Eine blaue Flussigkeitkam heraus. Sie sah aus wie Tinte und tropfte auf den Fußboden.

”Du sollst deine Hefte nicht so verschmieren! “Meine Deutschlehrerin,

Frau Brauer, zeigte auf die Lache, die immer großer wurde.Schließlich war ein richtiger See in der Kuche. Die Enten verließen den

Herd und schwammen darauf. Sie hatten immer noch die Kochmutzen auf.

”Das ist der Chefkoch“, sagte Tante Charlotte,

”von dem kriegst du den

Fisch.“

”Willst du ihn mit Ketchup?“schnatterte die Ente.

”Nein, mit Mayo“, sagte ich,

”ich mag keinen Ketchup.“

”Du musst dich beeilen“, schrie das Schaf mit dem abgewetzten Fell,

”die

Gespenster sind im Anmarsch.“

”Es sind ganz viele!“riefen alle meine Schafe.

Ich wollte mich im Kuchenschrank verstecken, da griff etwas Kaltes vonhinten an meinen Hals. Ich schrie und schrie.

Beide, meine Tante und mein Onkel standen an meinem Bett. OnkelFrancois machte das Dachfenster zu, das der Wind aufgedruckt hatte.

”Ich hatte einen schlechten Traum, in dem etwas Kaltes vorkam“, sagte

ich.

”Willst du mit nach unten kommen, wenn du dich hier allein furchtest?“

”Nein, nein“, sagte ich, und es war mir peinlich, dass ich so geschrien

hatte.Der blode Traum hatte noch andere Folgen. Ich sollte einen Babysitter

kriegen. Wo ich doch schon 11 bin und manchmal fur 12 durchgehe. BeimFruhstuck fing Tante Charlotte damit an.

”Lass Attila doch erst mal in Ruhe fruhstucken“, sagte Onkel Francois

und unterbrach meine Tante, die kaum, dass ich mich hingesetzt hatte, anfing,uber die Versammlung zu reden.

Ich trank also erst mal meinen Kakao und dann kam die Versammlung.

”Heute Abend findet eine Versammlung fur alle privaten Schlossherren

statt“, sagte sie.”Es soll uber wichtige Fragen abgestimmt werden. Und

deshalb wurden wir gern beide, dein Onkel und ich, es ware wirklich wichtig,aber...“

”Ihr konnt gehen“, sagte ich,

”ich bin groß genug und zu Hause bleibe ich

auch oft allein.“

”Das ist etwas anderes.“Tante Charlotte hatte plotzlich tausend Beden-

ken. Sie wollte unbedingt, dass ein Babysitter kam.

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”Was der franzosische Babysitter sagt, kann ich sowieso nicht verstehen“,

fiel mir ein.”Wenn der sagt, zieh dich aus, ziehe ich alles an, was ich an

Kleidungsstucken finde und wenn der sagt, leg dich ins Bett, dann klettre ichauf den Schrank, und wenn der sagt, trink deine Milch aus, schutte ich sieins Klo und wenn...“

Mein Onkel musste lachen.

”Ich bleibe gern hier allein in dem Schloss“, druckte ich noch mal nach

”und ich hab’ uberhaupt keine Angst vor Gespenstern. Kein bisschen Angst

habe ich vor denen, ich bin sogar...“beinah hatte ich ihnen von Katharinaerzahlt, bremste mich aber noch rechtzeitig.

Tante Charlotte sagte was, aber ich verstand sie nicht, weil sie franzosischredete. Onkel Francois antwortete auf franzosisch. Ich drehte den Kopf malzum einen, mal zum anderen. Dann kam ich bei dem Tempo nicht mehrmit. Franzosisch ist eine furchtbar schnelle Sprache. Trotzdem verstand ichplotzlich eins der vielen Worter. Portable, so heißen Handys auf Franzosich.

”Wenn was ist, habe ich doch mein Handy“, rief ich dazwischen,

”ihr

programmiert mir eure Nummer ein und braucht euch keine Sorgen mehr zumachen. Ich hole es!“Schon war ich auf dem Weg zur Dachkammer.

Im Schrank lag mein Handy abgestellt in der hintersten Ecke. Ich magkeine Handys und das Gebimmel geht mir auf die Nerven. Aber das war jetztegal. Tante Charlotte programmierte mir ihre Handynummer ein, auch gleichnoch die der Polizei und der Feuerwehr. Ich hatte es geschafft, ich durfte alleinim Schloss bleiben. Und so kam es, dass ich wieder ein Abenteuer erlebte undmeine Schafe waren diesmal mitten drin.

7 Stockdunkel

Ich wachte auf und es war dunkel. Aber anders als sonst. Ich rieb mir dieAugen und uberlegte, was anders war. Es war so dunkel, dass ich die Mobel,die in der Dachkammer standen, den Schrank, das Bett, den Stuhl, nicht mehrerkennen konnte. Dem Bett gegenuber war das Dachfenster. Sehen konnte iches auch nicht. Ich tastete nach der Nachttischlampe.

Hier war sie! Ich druckte auf den Druckknopf, dabei fiel das Tonschafum, das auf dem Nachtisch stand, doch sonst passierte nichts. Vorsichtigkletterte ich aus dem Bett und suchte an der Wand nach dem Schalter furdas Deckenlicht. Es dauerte bis ich ihn gefunden hatte.

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Da war er! Es handelte sich um so ein altmodisches Teil, das man drehenmusste. Ich drehte und drehte.

Gleich geht er kaputt, dachte ich und horte auf zu drehen. Das Licht warnicht angegangen. Ich tastete mich an der Wand und am Schrank entlang zumFenster und zog mich hoch. Ich fuhlte den Metallrahmen und den Riegel inder Mitte, mit dem man das Fenster offnen und zumachen kann. Ich wischteauf der Glasscheibe herum. Da war nichts drauf.

Warum konnte ich den Mond und die Sterne nicht mehr sehen? Und dasDorf?

Ich zog mich mit aller Kraft noch ein bisschen hoher, aber da war keinDorf zu sehen. Die Kirche mit dem spitzen Kirchturm, die nachts angestrahltwurde, war weg. Das großte Haus im Dorf, das Rathaus, das hier in Frank-reich mairie heißt, war weg. Keine Hauser, keine Straßenlaternen.

Konnte ein Dorf verschwinden. Einfach so?Irre Gedanken jagten durch mein Gehirn und ließen sich nicht einfangen.

Sie rannten einfach weiter, wie wilde Pferde, die aus der Koppel ausgebrochensind.

Ein kleines Dorf in Frankreich, sagt der Nachrichtensprecher, ist letz-te Nacht auf unerklarliche Weise verschwunden. Suchtrupps sind unterwegs,besonders ausgebildete Spurhunde werden eingesetzt. Was wurden die her-ausbekommen?

Die Extrasendung im Fernsehen wird uberall ausgestrahlt, nicht nur inEuropa, auch in Amerika, Afrika, China, Japan, Australien, sogar im hinters-ten Winkel der Mongolei, und ware der Mond besiedelt, hatte man sie auchda sehen konnen. Sie beginnt mit den neuesten Informationen, die so gruseligsind, dass der Nachrichtensprecher ein nervoses Zucken bekommt und nichtmehr weiter reden kann. So was ist noch nie vorgekommen. Ein Kollege wirdgeholt, der eigentlich frei hat. In aller Eile setzt er sein Toupet auf. Es sitztschief und seine Glatze ist noch zur Halfte zu sehen. Aber keiner lacht, weildas, was er sagt, so grauenhaft ist. Mit dem Verschwinden des einen Dorfeshat es begonnen und es setzt sich unaufhaltsam fort. Andere Dorfer sindverschwunden, nicht nur in Frankreich, sondern uberall auf der Welt. GanzeStadte werden vermisst. Zu einigen Landern ist keine Verbindung mehr zubekommen. Man befurchtet, dass auch die nicht mehr da sind. Es gibt keineSpuren, keine Uberlebenden. Experten werden befragt. Geheimnisvolle Ge-stalten sind am Werk, behauptet einer, sie tauchen aus dem Nichts auf undlassen alles verschwinden, schnell und lautlos...

Meine Arme wurden lahm, weil ich noch immer am Dachfenster hing. Ich

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ließ los und setzte mich auf den Fußboden.Was sollte ich jetzt nur machen?Wieder ins Bett gehen, mir die Decke uber die Ohren ziehen und versu-

chen, wieder einzuschlafen? Vielleicht ging ja morgen fruh das Licht wiederan. Vielleicht schien die Sonne durchs Dachfenster und weckte mich. Viel-leicht war dann auch das Dorf wieder da.

”Das glaubst du ja selbst nicht! “Das eine Hausschuhschaf meckerte und

es klang wie ein Echo aus meinem eigenen Kopf.Was war mit Tante Charlotte und Onkel Francois? Irgendwann mussten

sie wiederkommen. Aber sie mussten durch das Dorf. Das Dorf, das nichtmehr da war.

Musste ich sie nicht warnen? Ihnen sagen: Macht einen riesigen Umweg,wenn ihr zum Schloss zuruckfahrt.

Vielleicht waren sie auch zuruckgekommen wahrend ich geschlafen hatte.Das konnte ich nur feststellen, wenn ich runterging und nachguckte.

Ich offnete die Tur. Auch im Flur war alles stockdunkel und ich konntenicht das kleinste bisschen sehen. Ich lauschte. Zu horen war auch nichts.

Ob der Lichtschalter hier vielleicht ging? Ich fand ihn, drehte ein paarmal,aber es ruhrte sich nichts.

Eine Taschenlampe! Die fehlte mir jetzt. Auf der letzten Klassenreisehatte sie zertrummert unter meinem Bett gelegen.Einen Tag nach dem Fuß-ballspiel, das wir verloren hatten. Ich war in die falsche Richtung gelaufen,hatte den Zuruf nicht gehort, so wie ich nie etwas hore, was mir von der Seitezugerufen wird.

”Nur wegen dem haben die das Tor geschossen“, sagte Max,

”nur wegen

dem haben wir verloren.“Max ist der beste Fußballspieler in unserer Klasse und war total sauer

auf mich. Weil ich es mal wieder versaut hatte, wie er sich ausdruckte.Hatte er selber die Taschenlampe zertrummert, aus Rache, oder hatte das

einer von den Jungen gemacht, die mit ihm befreundet sein wollten und dieihm, damit das klappte, Dienste erwiesen? Die machten dann auch Sachen,die gemein waren. Aber mit Max befreundet zu sein war cool und schrecklichwichtig, da machten die so was, was sie sonst nicht machten.

Warum war es eigentlich so wahnsinnig cool, ein Freund von Max zu sein?Max war machtig, stark, ein Sieger. Seine Freunde kriegten davon was ab,

nicht die ganze Torte, aber Krumel.Der Gong krachte in meine Gedanken wie ein Schuss. Ich war an die

Standuhr gestoßen, die im Flur stand, von der aber nicht das klitzekleinste

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bisschen zu sehen war. Nachdem ich mich von dem Schreck erholt hatte, gingich weiter den Flur entlang bis zur Treppe. Ich hielt mich am Treppengelanderfest und ging langsam, Stufe fur Stufe nach unten. Da sah ich es. Ein winzigesLicht, das hin und her tanzte. Dann war es wieder weg.

Du fangst an zu spinnen, dachte ich. Diese Dunkelheit kann keiner aushal-ten. Ich habe mal ein Buch gelesen uber Leute, die lange im Dunkeln lebten.Das waren Hohlenforscher und die kriegten den Hohlenkoller, das heißt, diewurden verruckt und sahen Dinge, die nicht da waren. Bei mir war es auchschon so weit, da war schon wieder das Licht. Es wurde großer und kamdirekt auf mich zu.

”Stromausfall im ganzen Gebiet“, sagte eine Madchenstimme, die ich so-

fort erkannte. Es war Katharina.

8 Ein seltsames Gerausch

”Sie arbeiten an den Stromleitungen, versuchen sie zu reparieren, aber sie

schaffen’ s nicht“, erklarte mir Katharina.”Vielleicht liegt’ s an diesem

scheußlichen Wetter. Wolken wohin du schaust und es regnet wie verruckt.Ich bin pitschnass.“

Waren das Regentropfen in meinem Gesicht?

”Du tropfst“, sagte ich und wischte sie mit dem Armel weg.

”Gespenster werden nass?“wunderte ich mich.

”Und wie“, sagte sie, lachte und schuttete mir noch mal eine Portion ins

Gesicht.

”Heute Abend ist die Versammlung fur alle privaten Schlossbesitzer“,

sagte sie.”Das weiß ich, weil ich gelauscht habe.“

”Hast du wieder auf dem Kronleuchter gesessen?“fragte ich.

”Ja“, sagte Katharina,

”woher weiß du das?“

”Du hast es mir in Schottland verraten“, erinnerte ich sie.

”Und du lauschst hinter der Tur, das hast du mir verraten.

Nachdem ich von der Versammlung erfahren habe, dachte ich, das ist dieGelegenheit, Attila zu besuchen. Ich bin losgeschwebt und dann auf dem Weghierher, peng, war von einer Sekunde zur anderen alles stockfinster. Ein paarMal habe ich mich verschwebt, ich bin ja schließlich kein Flugzeug.“

”Du bist meine Freundin“, sagte ich,

”und ich bin froh, dass du da bist.“

Ich saß auf den Treppenstufen, alles war dunkel, auch von Katharinakonnte ich keinen Schimmer mehr sehen. Aber ich wusste, sie war da. Sie

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war hergekommen, obwohl sie sich verschwebt hatte.

”Hast du Angst gehabt?“fragte sie.

”Na ja“, ich zogerte, Angst zu haben war irgendwie peinlich. Wenn man

zugab, dass man Schiss hatte, war man unten durch, bei den Jungen in derSchule war das jedenfalls so.

”Ich ware gestorben vor Angst, allein in diesem abgelegenen Schloss und

alles dunkel“, sagte Katharina.”Auf keinen Fall ware ich hier im Treppenhaus

herumgelaufen. Ich hatte mir ein Versteck gesucht, eine Nische mit vielenSpinnweben oder noch besser eine Kiste. Ich hatte den Deckel zugemachtund mich uberhaupt nicht bewegt. Ganz starr war’ ich gewesen vor lauterAngst.“

”Ich hab’ mir gruselige Dinge vorgestellt“, sagte ich und erzahlte ihr von

dem verschwundenen Dorf.

”Wenn du dir so was vorstellst, kriegst du noch mehr Angst“, sagte Ka-

tharina.

”Das stimmt“, sagte ich,

”aber man kann die Gedanken nicht einfach

abstellen. Oder kannst du das etwa?“

”Nein, Gedanken wie einen Fernseher einfach abstellen, konnen auch Ge-

spenster nicht.“Sie kam nah an mich heran und leuchtete hell.

”Du zitterst ja, stellte sie fest, kommt das von den gruseligen Gedanken?“

”Nein“, sagte ich,

”mir ist nur kalt. Hier im Flur zieht es, merkst du das

nicht? Meine Großmutter sagt immer, es zieht wie Hechtsuppe. Hecht istdoch ein Fisch, was hat der denn mit dem Ziehen zu tun? “

Katharina uberlegte, aber sie wusste es auch nicht.

”Mir ist nicht kalt“, sagte sie,

”Gespenster frieren nicht. Aber warum

laufst du hier herum, wenn dir kalt ist?“

”Ich wollte nachschauen, ob meine Verwandten schon zuruck sind“, er-

klarte ich.

”Sind sie nicht, ich hab schon nachgeguckt“, sagte Katharina.

”Es wird

noch eine Weile dauern, schließlich werden auf der Versammlung wichtigeDinge besprochen und Franzosen horen sich schrecklich gern reden, sagt meinVater immer. Also dauert alles noch ein bisschen langer. Und dann die Lei-tungen, bis die mal repariert sind!“

”Das, was dein Vater da uber die Franzosen sagt, ist nicht gerade als

Kompliment gemeint.“

”Na ja“, sagte Katharina zogernd,

”irgendwie nicht.“

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Dieser Krieg, dachte ich, der 100 Jahre dauerte, vielleicht hatte der wasdamit zu tun.

”Wenn wir noch langer hier herumstehen, wirst du erfrieren“, sagte Ka-

tharina.

”Wir gehen in die Dachkammer, in der ich wohne“, schlug ich vor,

”dann

lernst du auch meine Schafe kennen.“Katharina leuchtete wie ein Gluhwurmchen und so fanden wir den Weg

dahin. Als wir ankamen war kein Schaf zu sehen.

”Wo seid ihr? “rief ich. Keiner antwortete. Katharina leuchtete in alle

Ecken.

”Klasse, wie hier der Putz brockelt“, sagte sie.

”Und keine frische Farbe,

davon wird mir immer ubel.“Das Mah war ganz leise, aber ich hatte es gehort. Manchmal hore ich

eben Sachen, die ich eigentlich nicht horen kann.

”Erwischt!“rief ich und zog die Bettdecke weg. Da lagen alle Schafe kreuz

und quer im Bett.

”Das sind meine Schafe, Katharina“, stellte ich vor,

”die schon viel von

dir gehort haben.“

”Schafe, das ist Katharina, meine Freundin.“

Und schon redeten alle durcheinander:

”Du hast aber ein weiches Fell!“

”Wir wussten gar nicht, wo Attila geblie-

ben ist.“”Wir haben ein klitzekleines bisschen Angst gehabt.“

”Du glitzerst

so schon!“”Stromausfall und man kann uberhaupt nichts sehen.“

”Du wohnst

doch in Schottland!“

”Ja“, hakte ich ein, als ich endlich auch mal drankam,

”was ist denn

passiert in Schottland, wieso ist das Schloss, in dem du mit deinen Gespens-tereltern gewohnt hast, abgebrannt?“

Katharina fing an zu erzahlen und meine Schafe und ich horten so auf-merksam zu wie sich das meine Lehrer immer von uns Schulern wunschen,aber selten kriegen.

”In der Nacht hatten wir den Bruder meines Vaters besucht. Er wohnt

ziemlich weit weg und es war schon fruh als wir nach Hause zuruckkamen,aber so fruh nun auch wieder nicht. Guckt mal, es wird schon hell, wundertesich meine Mutter und sah auf ihre Uhr, die sie mit ihren Ketten zusammenum den Hals tragt. Die Uhr ist sehr alt und geht manchmal falsch. In dieserNacht aber nicht. Es war nicht die einsetzende Dammerung und es war auchkein Nordlicht, als wir naher kamen, sahen wir, dass das Schloss lichterloh

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brannte. Flammen fraßen gierig an dem alten Gemauer als waren sie einUngeheuer mit einem gewaltigen Appetit.

Die Familie, die dort wohnt, war aus dem Schlaf gerissen worden undvollig kopflos. Alle rannten mit Gegenstanden, die sie retten wollten, durchdie Gegend. Und das Schlimmste, jeder hatte vom anderen gedacht, dass derdie Feuerwehr benachrichtigt hatte. Und da nutzten die neue Telefonanlageund die vielen Handys uberhaupt nichts.“

”Aber die Feuerwehr wurde dann doch gerufen?“

”Ja“, sagte Katharina,

”von den Nachbarn. Aber es war viel zu spat.

Rauchende Trummer, das war alles, was von dem Schloss ubrig blieb.“

”Schrecklich!“Das Schaf mit dem abgewetzten Fell, das sich nach der Feu-

erwehr erkundigt hatte, seufzte.

”Wir sind dann erst mal von Verwandten in Schottland aufgenommen

worden, aber das war furchtbar. Es war furchtbar wegen dieser beiden Cou-sinen Elisabeth und Maria, sagte Katharina, die waren einfach unausstehlich.Zuerst haben sie hinter meinem Rucken getuschelt, dann Zicke und blode Kuhhinter mir hergerufen.“

”Ich dachte, Gespenster verwenden solche Schimpfworter nicht.“

”Hast du eine Ahnung“, sagte Katharina.

”Sie haben mich auch Spast

genannt, das ist besonders gemein.“

”So nennen mich meine Klassenkameraden auch“, fiel mir ein.

”Ich hab

mal einen gefragt, was er eigentlich damit meint, da hat er nur blod gegrinst.“

”Ich hab versucht, die Anpobeleien zu uberhoren“, sagte Katharina,

”aber

das half nicht. Die beiden haben dann Sachen von mir versteckt. Meine Stoff-maus lag in der Dachrinne, Schulbucher im Kartoffelkeller und mein Lieb-lingscomic aufgeweicht im Garten.“

”Hast du?“fragte ich, aber Katharina ließ mich nicht zu Wort kommen.

”Das war noch nicht alles“, sagte sie.

”Sie haben mich angeschwarzt bei

ihren Eltern. Ich hatte schlecht uber sie geredet. Ich uber sie, denk mal dieseFrechheit. Und dann haben sie mich bei meinen Eltern verpetzt, weil ichtagsuber nicht geschlafen habe, sondern herumgeschwebt bin.“

”Hast du?“setzte ich noch mal an, aber Katharina ließ sich nicht stoppen.

”Und Bonbons haben die mir geklaut, nur die Grunen, nicht die Roten und

die Gelben, die haben sie liegenlassen, nur die Grunen, und du weißt, dassich die besonders gern mag.“

”Hast du versucht, mit ihnen zu reden?“kriegte ich endlich dazwischen.

”Ja, habe ich.“

”Und?“

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”Ich hab gefragt, was ich ihnen getan hatte“, sagte Katharina,

”da haben

die mir gar nicht erst geantwortet. Die konnten mich einfach nicht leiden.“

”Es gibt immer Leute, die einen nicht leiden konnen“, sagte ich.

”Aber sie konnten einen in Ruhe lassen, einem aus dem Weg gehen, einen

nicht dauernd argern“, meinte Katharina.

”Ja, das ware schon“, seufzte ich und dachte daran, wie oft ich von meinen

Mitschulern geargert wurde.

”Manchen macht es einfach Spaß, ich meine das Argern“, uberlegte Ka-

tharina.

”Das glaube ich auch“, sagte ich,

”aber oft trauen sie sich das nur, wenn

sie zu mehreren sind oder wenigstens zu zweit, so wie bei deinen Cousinen.“

”Wie kann man sich bloß gegen solche fiesen Typen wehren, was kann

man gegen die unternehmen“, sagte Katharina.

”Wenn man sie auch argert, moglichst noch doller, horen die vielleicht

auf. Aber nur vielleicht und man ist dann auch nicht besser als die.“

”Ja, das stimmt“, gab mir Katharina recht,

”andererseits, wenn man sich

alles gefallen lasst, denken die, man ist doof und treiben es noch schlimmer.“

”Die Erwachsenen konnen da auch nicht helfen.“Ich dachte an die Ge-

sprache mit Lehrern und Mitschulern, die nie was geandert hatten.

”Pah, Erwachsene

”, sagte Katharina,

”meine Eltern streiten sich von

abends bis morgens. Und denk mal an die Nachrichten im Fernsehen. Daist fast nur von Streit die Rede und von Krieg. Letzte Woche...“

Ich erfuhr nicht mehr, was letzte Woche war, denn sie schwieg auf einmal,lauschte.

”Da ist ein merkwurdiges Gerausch“, sagte sie.

”Ich glaube, es kommt

vom Ostflugel.“Ich horte nichts, aber ich wusste, was sich im Ostflugel befand. Es war

der Teil des Schlosses, in dem die Waffenkammer war.

9 Der Waffendieb

Die Pistole! Die fiel mir sofort ein. Sie war das einzig Wertvolle, das es in die-sem Schloss gab. Wie wertvoll genau wusste ich nicht, aber mein Onkel hattemir erzahlt, dass es nur noch eine einzige von dieser Sorte gab. Die andere, diees mal gegeben hatte, war verschollen. Ein beruhmter Buchsenmacher hattesie im 17. Jahrhundert hergestellt. Wie hieß der nur gleich? Der Name fiel

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mir nicht ein und jetzt war auch keine Zeit, uber Namen nachzudenken. Ka-tharina hatte im Ostflugel ein Gerausch gehort und als ich meine Horgeratein die Ohren tat, horte ich es auch.

”Klingt, als ob eine Bohrmaschine lauft“, sagte ich.

”Konnte sein“, sagte Katharina,

”aber so genau kenne ich mich da nicht

aus.“

”Wer bohrt denn mitten in der Nacht?“

”Da bohrt keiner Locher, die gibt’ s in dem kaputten Schloss schon genug“,

erwiderte ich.”Da ist jemand in der Waffenkammer.“

”Waffenkammer?“fragte Katharina.

”Im Ostflugel gibt es eine Waffenkammer“, erklarte ich,

”da befindet sich

das Wertvollste, was es in diesem Schloss gibt, eine Pistole aus dem 17.Jahrhundert. Und es gibt nur noch diese eine“, fugte ich hinzu.

Katharina stieß einen leisen Pfiff aus.”Ein Dieb also! Der hat Wind von

der Versammlung gekriegt und weiß, dass deine Verwandten heute nicht dasind. Diese gunstige Gelegenheit wollte er nutzen. Dass du hier bist, das weißer aber nicht, das hat er nicht herausgekriegt. So schlau war er nun dochnicht.“

”Und dass du hier bist“, sagte ich und erinnerte mich daran, dass sie

hierhergekommen war, obwohl sie sich verschwebt hatte.

”Und dass wir hier sind“, schrien alle acht Schafe.

”Seid nicht so laut!“ermahnte ich sie,

”sonst hort euch der Dieb noch.“

”Dass der nicht weiß, dass wir alle hier sind, ist unsere Chance“, stellte

Katharina fest.

”Wir mussen ihn fangen“, sagte das Schaf mit dem Schal um den Hals.

”Schlau!“meckerte das eine Hausschuhschaf.

”Und wie sollen wir das ma-

chen?“

”Wir schleichen uns an“, sagte das Schaf mit dem abgewetzten Fell.

”Ruhe!“forderte ich,

”sonst kann ich nicht nachdenken.“

”Hoffentlich brauchst du nicht wieder was zu essen, bevor du nachdenken

kannst“, jammerte Katharina.

”Nein“, beruhigte ich sie,

”es ist nicht wie in Schottland, diesmal habe

ich drei Teller Suppe zum Abendbrot gegessen. Ich bin satt.Wir konnten erst mal versuchen, von meinem Beobachtungsposten aus in dieWaffenkammer zu gucken“, sagte ich.

”Wenn mein Onkel Fuhrungen macht,

bin ich da oft.“

”Aber das ist tagsuber“, gab Katharina zu bedenken.

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”Das stimmt“, sagte ich,

”aber wir konnen probieren, ob man auch im

Dunklen was sehen kann.“Katharina war einverstanden und los ging’ s.

”Wir wollen mit!“bettelten meine Schafe.

”Kommt nicht in Frage, das ist viel zu gefahrlich“, sagte ich.

”Du kannst uns doch hier nicht allein lassen, Attila!“schrien sie.

”Zu gefahrlich!“wiederholte ich.

”Wir sind mutig und stark“, blokten sie.

”Nimm sie mit“, sagte Katharina,

”wenn es gefahrlich wird, sind wir froh

uber jede Verstarkung, die wir kriegen konnen.“Ich passte auf, dass mir keins der acht Schafe herunterfiel, die ich alle im

Arm hatte. Das ging, weil ich die kleineren Schafe in die Hausschuhschafehineingestopft hatte. Wir gingen den Gang entlang und mussten wieder ander Uhr vorbei.

”Vorsicht!“warnte ich und bewegte mich wie auf Eiern, aber sie gab nicht

das klitzekleinste Gerausch von sich. Dafur wurde das seltsame Gerausch,das sich wie ein Bohrer anhorte, immer lauter. Wir liefen den Gang entlang,bogen dann noch mal ab, benutzten eine Treppe und noch eine und standendann vor einer Tur. Die hatte ich in den ersten Tagen nach meiner Ankunftentdeckt. Sie war nie abgeschlossen und als ich auf dem kleinen Balkon stand,hatte ich festgestellt, dass man von hier einen erstklassigen Blick hinuber zurWaffenkammer hatte, die genau gegenuber lag. Ich druckte kraftig dagegen,weil sie meist klemmte, aber diesmal naturlich nicht. Mit Schwung prallteich gegen die Brustung des Balkons. Katharina lachte nicht.

”Ist alles in Ordnung?“fragte sie.

”Alles in Ordnung“, antwortete ich und buckte mich nach zwei Schafen,

die heruntergefallen waren.

”Ihr habt Gluck gehabt, dass ihr auf dem Stuck Fußboden gelandet seid,

dass noch heil ist“, sagte ich und hob sie auf.Ich guckte zum Ostflugel hinuber. Oder in die Richtung, von der ich

meinte, da ware er. Alles war stockdunkel und zu horen war hier auch nichts.

”Siehst du was?“fragte Katharina leise neben mir.

Ich guckte und guckte, aber da war nichts. Ich wollte gerade den Balkonverlassen, da sah ich es. In der Waffenkammer flammte ein Licht auf, wardann wieder weg. Und noch mal!

”Sieht aus, als benutzt jemand eine Taschenlampe“, flusterte Katharina.

”Ich werde mal nachsehen, wer sich da herumtreibt.“

”Wir kommen mit“, sagte ich.

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”Ich werde erst mal allein auskundschaften, was da los ist. Ich kann mich

so dunkel machen, dass er mich nicht sieht und ich komme uberall rein.“

”Sei bloß vorsichtig!“warnte ich.

”Na klar!“Und weg war sie.

”Katharina ist mutig“, murmelte das Tonschaf, wahrend ich mich auf die

oberste Treppenstufe setzte und alle Schafe fest an mich druckte, damit sienicht die Treppe hinunter purzelten.

”Mutig wie ein Bar“, sagte das eine Hausschuhschaf.

”Du meinst wie ein Schaf“, verbesserte das andere Hausschuhschaf.

”Seit wann sind denn Schafe besonders mutig“, wollte das kleine Schaf

wissen.

”Psst“, sagte ich energisch,

”das ist nicht der richtige Augenblick fur eine

Diskussion!“Ich weiß nicht, wie lange ich auf der Treppe im Dunklen saß. Es kam

mir sehr lange vor. Wenn man auf was wartet, kommt einem die Zeit immerbesonders lange vor, so ist das auch vor Weihnachten und vor den GroßenFerien. Wie aus dem Nichts war Katharina plotzlich wieder da. Sie konnteso leise schweben, dass man nichts merkte. Und zu sehen war sie auch nicht.

”Da ist jemand in der Waffenkammer“, sagte sie.

”Ein Mann, der dabei

ist, ein Schrankschloss aufzubohren. Er benutzt eine Taschenlampe, das Lichthaben wir ja vom Balkon aus gesehen. Er macht sie aber immer wieder aus,der ist sehr vorsichtig.“

”Das ist ein Dieb“, sagte ich,

”ein Waffendieb. Die Tur zur Waffenkammer

hat er schon aufgekriegt, obwohl mein Onkel die so gut verschlossen hat. Undjetzt ist er dabei, den Schrank zu offnen, den Schrank, in dem die wertvollePistole liegt. Wie konnen wir den bloß stoppen?“

”Du kannst ihn von hinten mit einer Lanze durchbohren, oder du schlagst

ihm mit einem Hammer auf den Kopf“, sagte das dunne Schaf.

”Nein, du kampfst mit ihm und entwendest ihm den Bohrer und schlagst

ihm den auf den Kopf!“

”Quatsch, du nimmst dir eine Rakete und fliegst vors Fenster und feuerst

aus der Rakete auf ihn. Du ...“

”Schluss mit euren bescheuerten Vorschlagen, ihr habt zu viele schlechte

Filme gesehen“, schimpfte ich.

”Haben wir nicht“, sagte das Schaf mit dem abgewetzten Fell beleidigt.

”Ich furchte, der ist starker als wir“, sagte Katharina,

”kampfen hat keinen

Sinn, wir mussen uns was anderes ausdenken.“

”Wir sind nicht stark aber schlau!“meinte das eine Hausschuhschaf.

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In meinem Kopf rasten die Gedanken als hatte ich eine Maschine ange-stellt. Manche von den Ideen waren noch bescheuerter als die von meinemSchafen. Dann fiel mir doch was ein!

”Eine List“, sagte ich,

”die konnte uns helfen.“

”Was soll denn das sein, eine List?“fragte das Tonschaf.

”Du bist wirklich zu blod“, sagte das Schaf mit dem grauen Fell. Also,

eine List ...“

”Wir erschrecken ihn und fuhren ihn in die Irre“, unterbrach ich es.

Keines meiner Schafe fiel mir ins Wort, alle horten gespannt zu, wahrendich meinen Plan erklarte.

”Genial!“sagte Katharina.

Wie sie dieses eine Wort sagte, machte mich verlegen. Ich wurde be-stimmt rot, aber das konnte man im Dunkeln nicht sehen. Und dann ginges los! Katharina leuchtete wie ein Gluhwurmchen, das krank ist und nurnoch schwach leuchten kann. Aber es reichte, damit ich nicht stolperte. ImOstteil des Schlosses angelangt, gingen wir nicht gleich zur Waffenkammer,sondern erst mal in Richtung Ausgang. Zwischen Haupttreppe und Waffen-kammer gab es eine Treppe, deren Treppenstufen morsch waren. Gesichertwar sie mit einem Seil, an dem ein Schild hing. Escalier dangereux, defensed´entrer, gefahrliche Treppe, Betreten verboten stand da drauf. Ich riss dasSeil ab, rollte es auf und warf es mitsamt dem Schild die Treppe hinunter.Der Aufprall war lauter als ich gedacht hatte. Wir lauschten.

Hatte der Dieb was gehort?Das gleichmaßige Bohren ging weiter.

”Der hat nichts mitgekriegt“, flusterte das kleine Schaf.

Katharina immer vorneweg schlichen wir uns zur Waffenkammer. Die Turstand einen Spalt breit offen. Das Bohren war jetzt sehr laut. Ich hatte gernmeine Horgerate herausgenommen, aber das ging nicht wegen der Schafe,die ich festhalten musste. Außerdem hatte mein Schlafanzug, den ich immernoch an hatte, schrage Taschen, aus denen alles sofort wieder herausfiel. Wirstanden versteckt hinter der Tur und warteten. Ab und zu sahen wir dasLicht der Taschenlampe.

Das Schloss ist nicht so einfach zu knacken! dachte ich. Dann horte dasBohren plotzlich auf und es knarrte.

Er offnet jetzt bestimmt den Schrank! vermutete ich und holt die Pistoleheraus.

Schritte! Ich hielt den Atem an und druckte meine Schafe fest an mich.Dass die jetzt bloß keinen Mucks von sich gaben oder runter fielen. Der

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Turspalt vergroßerte sich. Der Mann kam heraus. Mit der Taschenlampeleuchtete er auf den Fußboden. Katharina war ganz dicht neben mir. Ich sahsie nicht, aber ich spurte ihre Kalte und obwohl Kalte ja eher etwas Unan-genehmes ist, war das in dem Fall gar nicht so. Ihre Kalte war angenehm,beruhigte mich. Denn jetzt wurde es ernst!

Mit einem leisen huhu begann ich. Ich steigerte mich, wurde immer lauter.Und dann fingen meine Schafe an zu bloken. Sie blokten wie verruckt, keinSchaf auf der Wiese kriegt das so hin. Es war wie im Marchen von den BremerStadtmusikanten als die Rauber meinten, ein Gespenst kame zum Fensterherein und sie vor Furcht in den Wald flohen. Der Dieb bekam auch Angst,floh und dabei fiel ihm vor Schreck die Taschenlampe aus der Hand. Glassplitterte und es war stockdunkel. Jetzt kam Katharina ins Spiel. Ein kleinesLicht, das dem Dieb den Weg wies. Es flackerte ein bisschen, schaukeltehin und her, lockte. Und der Dieb in seiner Angst folgte dem Licht wie einKapitan in Seenot, der auf ein Irrlicht hereinfallt. Holz splitterte, ein dumpferAufprall, ein Schrei.

Es war nicht der Schrei des Kapitans, dessen Schiff gerade an den Klippenzerschellt. Der Dieb schrie um Hilfe. Er war durch das Loch in der Treppegefallen. Das Loch dieser kleinen gefahrlichen Treppe, die durch das Seil gesi-chert war, das ich vorhin abgemacht hatte. Nach meinen Berechnungen muss-te er in einem Abstellraum gelandet sein, der sich unter der Treppe befandund in dem Gartengerate standen. Normalerweise war die Tur abgeschlossen.Aber wenn sie es ausgerechnet heute nicht war?

”Wir mussen gucken, ob die Tur abgeschlossen ist“, sagte ich und wir

sausten los. Das ging, weil Katharina hell wie eine Straßenlaterne leuchtete.Wir gingen durch den ostlichen Eingang, der war zugeschlossen. Aber Ka-tharina kam ja uberall durch. Draußen fanden wir die Tur zur Kammer. Ichdruckte die Klinke nach unten. Sie war verschlossen.

”Er kann nicht heraus“, sagte ich

”und nach oben klettern schafft er nicht,

das ist zu hoch.“

”Aber wir mussen Hilfe holen, vielleicht ist er verletzt“, meinte Katharina.

”Und die Polizei, die ihn festnimmt! “freuten sich meine Schafe.

Das Handy lag in meiner Dachkammer und wir stiegen und schwebtennach oben, um es zu holen. Katharina und ich riefen die Polizei und dieFeuerwehr an. Wir machten das nicht zum ersten Mal. Wir waren ein ein-gespieltes Team. Wie sie es auch in Schottland gemacht hatte, sagte mirKatharina die Satze, die ich sagen sollte, vor, und ich sprach sie nach. Aberdiesmal naturlich nicht auf englisch, sondern auf franzosisch. Sie musste sehr

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langsam sprechen, damit das klappte. Franzosisch hatte ich ja in der Schu-le noch nicht gelernt. Und die Aussprache ist ganz schon schwer. Aber diefranzosische Polizei und Feuerwehr kapierten am Telefon, was los war. Dannfiel mir die Pistole ein. Hoffentlich war der nichts passiert!

10 Ein gutes Ende und Abschied

Der Pistole war nichts passiert. Der Dieb hatte sie so sorgfaltig in seinemBeutesack verstaut, dass sie den Sturz heil uberstanden hatte.

Der klaut nicht zum ersten Mal, dachte ich, und das stimmte.

”Ein schon lange gesuchter Dieb ist das, wir haben ihn in unserer Verbre-

cherkartei“, hatte die Kriminalpolizei Tante Charlotte und Onkel Francoiserklart. Der Kommissar klopfte mir auf die Schulter. Toll, dass du den gefan-gen hast, sollte das heißen. Dass ich das nicht allein geschafft hatte, konnteich schlecht verraten.

Der Dieb hatte den Sturz nicht heil uberstanden. Er musste ins Kranken-haus, weil er sich das linke Bein gebrochen hatte.

”Hoffentlich wird er da ordentlich bewacht, damit er nicht ausbuchst und

gleich wieder was klaut“, machte ich mir Sorgen.

”Wie soll der denn mit dem kaputten Bein weglaufen“, sagte Katharina,

als ich mit ihr daruber redete.Das war in der letzten Nacht, die ich bei meinen Verwandten in dem

Loire-Schloss verbrachte und in der Katharina mich noch mal heimlich be-suchte. Wir waren alle in der Dachkammer, Katharina, meine Schafe und ich.Katharina war am Fenster und glitzerte ein kleines bisschen.

”Weißt du noch, wie schnell die Polizei anruckte“, sagte sie.

”Ja, ich sehe es noch genau vor mir, das Blinklicht auf dem Polizeiauto

drehte sich wie verruckt und die beiden Polizisten sprangen aus dem Autowie im Film.“

”Der Rettungswagen kam gleich hinterher, die haben sich machtig beeilt,

so wie damals in Schottland. Und dann ging uberall das Licht wieder an,aber ich war so aufgeregt durch die Ankunft von Polizei und Rettungswagen,dass ich das erst gar nicht mitgekriegt habe.“

”Als die Manner aus dem Rettungswagen merkten, dass der Abstellraum

abgeschlossen war, haben sie die Tur eingetreten. Das krachte ordentlich,weißt du noch?“

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”Ich weiß noch, dass sie den Dieb auf die Trage gelegt haben. Und, dass

das Auto von meiner Tante und meinem Onkel plotzlich auftauchte.“

”Die mussen sich furchtbar erschrocken haben. Stell dir vor, du kommst

nach Hause und Polizei und Rettungswagen stehen vor deinem Haus!“

”Und Tante Charlotte dachte, du lagst auf der Trage“, sagte das kleine

Schaf.”Um Himmels Willen, Attila, was ist geschehen? Der arme Junge, ach

der arme Junge! hat sie geschrien.“

”Dabei stand Attila neben dem Polizeiauto“, sagte das eine Hausschuh-

schaf.”Als sie das mitkriegte, war sie machtig froh. Sie hat Attila in die Arme

genommen und gedruckt.“

”Und wie sie ihn gedruckt hat“, sagte das andere Hausschuhschaf.

”Wir

dachten schon, Attila geht kaputt.“

”Und wir kriegten uberhaupt keine Luft mehr“, beschwerte sich das kleine

Schaf.

”Irgendwann ließ sie mich dann aber los und beruhigte sich.“

”Dafur hat dich auf einmal dein Onkel in den Arm genommen.“Katharina

lachte.”Diese Nacht war wirklich total verruckt.“

Die Polizei hatte meinem Onkel gerade die Pistole gezeigt. Nicht diekleinste Schramme war dran. Und dann haben sie ihm erklart, dass seinNeffe den Dieb in eine Falle gelockt und so den Diebstahl verhindert hat.Der war vielleicht froh!

Die Geschichte von dem Pistolendiebstahl stand am nachsten Tag in al-len Zeitungen. Ich war abgebildet im Schlafanzug und mit meinen Schafenim Arm. Von Katharina, ohne deren Hilfe ich das alles nicht geschafft hatte,war nichts zu sehen, weil sie sich unsichtbar gemacht hatte. Und dann kamich auch noch ins Fernsehen. Ich finde Fernsehen blod und wollte zuerstnicht rein. Aber dann habe ich es mir anders uberlegt. Das war die Gele-genheit, meinen Verwandten zu helfen. In der Extra-Sendung im Fernsehenerzahlte ich ausfuhrlich von der wertvollen Pistole mit dem Wendermecha-nismus und von dem Waffendieb und wie er gefangen wurde. Was ich sagtewurde ubersetzt und ich verstand nur immer den Namen des Schlosses. Denwiederholte ich so oft es ging, ohne dass die Fernsehleute dachten, ich waretotal plemplem.

”Wie in der Werbung“, kicherte Katharina. Sie hatte sich die Sendung

naturlich angeguckt.Was bei Waschmitteln funktioniert, konnte auch bei Schlossern klappen.

Man muss den Namen nur oft genug sagen, damit die Leute ihn sich merken.

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Am Morgen nach der Sendung kletterte ich wie gewohnt auf meinen Aus-sichtsposten auf dem Baum. Gespannt beobachtete ich die Allee, die zumSchloss fuhrt. Ich musste nicht lange warten. Ein Auto nach dem anderenrollte auf das Schloss zu. Und da kam sogar ein Reisebus! Und noch einer!Schnell kletterte ich wieder hinunter. An der Kasse stand eine Schlange, so ei-ne hatte ich hier noch nie gesehen. Tante Charlotte auch nicht. Sie war ganzaufgeregt. Der Ansturm wurde in den nachsten Tagen noch großer. MeineVerwandten mussten sich Hilfe von anderen Schlossern holen, allein konntensie das gar nicht mehr schaffen.

Onkel Francois Fuhrungen waren jetzt ziemlich kurz. Das ging nicht an-ders, weil so viele Gruppen warteten. Alle wollten unbedingt die Waffenkam-mer sehen und in der Waffenkammer die Vitrine mit der wertvollen Pistole,die beinah geklaut worden war. Meine Schafe durften auch in die Waffenkam-mer, ohne dass Onkel Francois was dagegen hatte. Sie durften auch von derVitrine fallen, dann lachten alle. Auch Onkel Francois. Meine Verwandtennahmen eine Menge Geld ein.

”Endlich konnen wir Handwerker bezahlen und vieles reparieren lassen“,

strahlte Tante Charlotte.Onkel Francois rief den Dachdecker an. Der sollte das Dach reparieren.

”Wenn du das nachste Mal kommst“, sagte er,

”dann zieht es nicht mehr

durch die vielen Locher im Dach.“Diesmal brachte mich Onkel Francois zum Flughafen. Er fuhr schnell,

aber er uberholte nicht so lebensgefahrlich wie meine Tante. Zum Abschiedschenkte er mir eine Taschenlampe. Eine ganz tolle. Ich bedankte mich auffranzosisch.

”Merci beaucoup“, sagte ich, das heißt vielen Dank.

Und dann sagten wir beide au revoir, das heißt auf Wiedersehen.Katharina habe ich noch mal gesehen, wie ich schon erzahlt habe. Wir

haben die ganze Nacht nicht geschlafen, sondern nur geredet. Von den auf-regenden Ereignissen naturlich und auch noch davon, wie es fur Katharinaweitergehen wird.

”Wir bleiben erst mal auf dem Loire-Schloss“, sagte sie.

”Es ist sehr groß

und wir haben alle Platz.“

”Aber du wunschst dir, dass du irgendwann wieder nach Hause, nach

Schottland kannst.“

”Na klar“, sagte sie,

”zu Hause ist es immer am besten.“

”Vielleicht wird ja euer Schloss doch wieder aufgebaut“, sagte ich,

”es

gibt doch Feuerversicherungen, vielleicht hatten die so eine.“

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”Das ware schon“, meinte sie. Aber ihre Stimme klang traurig und ich

fuhlte mich auch merkwurdig traurig. Ich wollte sie fragen, ob sie mich nichtmal in Hamburg besuchen konnte, aber ich hatte einen Kloß im Hals undkriegte keinen Ton heraus. Dann fragte ich doch noch was, etwas, das ichschon lange wissen wollte.

”Katharina“, sagte ich,

”wie machst du das mit dem Heller- und Dunkler

werden?“

”Ich habe lange geubt“, erklarte sie mir,

”das konnen auch Gespenster

nicht so einfach.“

”Wie lange?“wollte ich wissen.

”Ach so etwa drei Jahrhunderte“, sagte sie.

Als ich wieder im Flugzeug saß und nach Hause flog, fiel mir ein, dasssie angefangen hatte zu uben, als die Pistole hergestellt wurde, die mit demWendermechanismus.

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