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Attila f ¨ ahrt nach Schottland Sabine Schutsch

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Attila fahrt nach SchottlandSabine Schutsch

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Inhaltsverzeichnis

1 Einladung nach Schottland 1

2 Auf dem Schiff 5

3 Der Seerauber 7

4 Im Haus meines Onkels 9

5 Der Bus 12

6 Und wieder der Bus 16

7 Durchfahrt verboten 19

8 Meine Fahrt als blinder Passagier 23

9 Das Gespensterschloss 26

10 Das Feuer 32

11 Ich komme in die Zeitung 36

12 Ruckfahrt 39

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1 Einladung nach Schottland

Ich heiße Attila!Diesen Namen hat meine Mutter ausgesucht. Sie ist Geschichtslehrerin

und findet den Hunnenkonig mit diesem Namen toll. Mein Vater war nichtso begeistert.

”Wie hattest du mich denn genannt?“wollte ich irgendwann

wissen.”Ludwig“, rief meine Mutter, bevor mein Vater antworten konnte.

Ludwig Mies van der Rohe war ein beruhmter Architekt, den mein Vater tollfindet und mein Vater baut auch Hauser, so wie der. Also, bei dem Streit hatmeine Mutter gewonnen und ich heiße Attila.

Ich liebe meine Lederhosen!Die habe ich aus Bayern. In Hamburg, wo ich wohne, tragt so was kei-

ner. Hier gibt es hochstens ganz empfindliche mit affigen Mustern drauf.Meine Hosen konnen ganz von allein stehen und ich kann damit auf Baumeund Zaune klettern. An den Knien sind sie unterdessen so dick, als hatteich Knieschutzer um. Das kommt von den vielen Flicken, die immer wiederdrauf gesetzt werden. Ein Sattler macht das, denn nicht mal die Nahmaschinemeiner Großmutter kommt da mehr durch.

Die Lederhosen habe ich auch in den Ferien angehabt. In Schottlandhabe ich keine einzige dumme Bemerkung uber meine Hosen gehort, wiesie meine Klassenkameraden dauernd machen.

”Ziehen Sie Ihrem Sohn doch

Jeans an wie sie die anderen Kinder tragen“, hatte meine Klassenlehrerinzu meinem Vater gesagt. Er hatte es meiner Mutter erzahlt und ich habe esgehort, obwohl er ziemlich leise sprach. Dabei bin ich schwerhorig und ohneHorgerate kann ich kaum was horen, aber alles, was ich nicht horen soll, dasgenau kriege ich mit.

Auf der Reise nach Schottland hatte ich auch noch 19 Stofftiere mit. AllesSchafe, weil ich Schafe am liebsten mag. Das alteste Schaf habe ich geschenktbekommen, da war ich noch so klein, dass ich mich nicht daran erinnernkann. Es hatte mal ein weißes Fell, aber unterdessen ist das eher grau undauch ziemlich abgewetzt. Das Grau geht nicht mehr weg, auch nicht in derWaschmaschine. Auch nicht mit Meister sowieso oder Riese soundso. AllesLuge! Meine Mutter besteht trotzdem darauf, dass sie in die Waschmaschinemussen.

”Zu viel Waschen belastet die Umwelt, das Waschpulver verseucht unsere

Gewasser!“So versuche ich jedes Mal meine Schafe zu retten, aber sie hortnicht zu und steckt die Tiere weiter in die Trommel. Ich schreie dann:

”Das

ist Tierqualerei, ich werde mich beim Tierschutzverband beschweren!“Aber

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sie druckt auf den Programmknopf und schon lauft Wasser ein.Wie ich die Schafe nach Schottland mitgenommen habe?Ich habe heimlich den Koffer wieder ausgepackt, die dicken Anziehsachen

zuruck in den Schrank gelegt, schon ordentlich, damit keiner was merkt undschon war Platz. Einige Schafe kamen dann noch in meinen Rucksack. Undjetzt werde ich erzahlen, wie das uberhaupt kam, dass ich nach Schottlandgefahren bin.

Den Brief mit der schottischen Marke habe ich mittags, als ich aus derSchule kam, auf dem Tisch im Flur liegen sehen. Da, wo immer die Post liegt.Aber ich wusste nicht, was drin stand und dass es was mit mir zu tun hatte.

Das erfuhr ich erst ein paar Tage spater, als ich ein Gesprach zwischenmeinen Eltern belauschte.

Ich hatte schon im Bett gelegen und konnte nicht einschlafen. Weil ichnoch Durst hatte. Ich beschloss, in die Kuche zu gehen. Vorsichtig schlichich die Treppe nach unten, passte auf, dass keine Stufe knarrte und wollteam Wohnzimmer vorbeigehen. Die Wohnzimmertur war nur angelehnt undmeine Eltern redeten so laut, dass ich stehenblieb.

”... nach all den Jahren“, sagte mein Vater gerade,

”nie hatte ich gedacht,

dass ich je wieder etwas von meinem Bruder horen wurde, nachdem wasdamals...“

”Und dann diese Einladung nach Schottland und woher weiß er von At-

tila“, fiel ihm meine Mutter ins Wort.

”Jedenfalls konnen wir ihn unmoglich allein fahren lassen“, das war wieder

mein Vater.

”Aber wir sollten ihm von der Einladung erzahlen“, sagte meine Mutter.

”Ihn fragen, ja, warum nicht.“

”Du glaubst also... “

Einer von beiden war aufgestanden. Ich musste so schnell wie moglichverschwinden. Ich sauste nach oben und legte mich ins Bett. Ich hatte ver-gessen, dass ich mir was zu trinken holen wollte. Aber das machte nichts. Ichwar gar nicht mehr durstig.

Meine Eltern hatten uber den Brief gesprochen, uber den mit der schot-tischen Marke. Was war das fur eine Einladung? War die fur mich? Und waswurden sie mich fragen? Ob ich die Einladung annehme? Aber was fur eineEinladung? Meine Gedanken drehten sich im Kreis und mir fielen die Augenzu. Kurz bevor ich einschlief, erinnerte ich mich an das Wort Bruder. Einen

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Bruder, dachte ich, noch nie hatte ich gehort, dass mein Vater einen Bruderhatte.

Ich wartete darauf, dass sie mich fragten, aber sie fragten mich nicht. Amnachsten Tag nicht und an den darauf folgenden auch nicht.

Ich argerte mich und warf all meine Spielsachen im Zimmer herum, Lego-steine, Spielkarten, Puzzleteile, Schienen, Lokomotiven, alles lag wild durch-einander. Ich ging auch wieder ohne Socken in die Schule, obwohl meineMutter gesagt hatte, ich sollte das nicht mehr machen, jedenfalls nicht, wennes kalt ware, und es war noch kalt. Die Lehrer hatten sie angesprochen we-gen der fehlenden Socken.

”Ihr Sohn wird nicht richtig betreut“, hatten sie

gemeint,”er kommt bei Minusgraden ohne Socken in die Schule“.

Und dann, als ich dachte, sie wurden nie uber die Einladung reden, fragtensie mich. Ob ich Lust hatte, in den Sommerferien allein zu verreisen, an einLoch (so heißen die Seen dort) nach Schottland. Zu einem Bruder meinesVaters, der verschollen und jetzt wieder aufgetaucht war.

”Wieso hast du plotzlich einen Bruder, von dem hast du mir noch nie was

erzahlt. Keiner hat mir was von dem erzahlt. Was macht er an dem Loch inSchottland? Warum will er mich kennenlernen?“Ich fragte meinen Vater, aberseine Antworten machten mich nicht das kleinste bisschen schlauer. Entwederwusste er es nicht oder er wollte es mir nicht erzahlen. Ich horte mit demFragen auf und guckte mit ihm im Internet nach, wie ich am besten imAugust nach Schottland fahren konnte. Und da fingen die Probleme an. Esgibt keinen Direktflug von Hamburg nach Edinburgh, so heißt die Hauptstadtvon Schottland. Irgendwo muss man umsteigen.

”Um Himmels Willen“, sagte meine Mutter. Sie hatte wohl Angst, ich

wurde das falsche Flugzeug erwischen und dann aus Versehen in Amerikaoder am Nordpol landen. Dabei wusste ich genau, dass das gar nicht passierenkann, so oft wie man da kontrolliert wird und seinen Ausweis und was weißich noch fur Papiere zeigen muss.

”Und wenn er die Fahre nimmt“, uberlegte mein Vater.

”Fruher gab es

eine Englandfahre, die direkt von Hamburg abging. Das war eine schoneFahrt die Elbe hinunter. Leider gibt es die nicht mehr.“

”Das ist doch nicht dein Ernst, einen Zehnjahrigen auf einem Schiff“,

sagte meine Mutter. Sie sieht bei ihren Schulern immer, was die fur Mistmachen und dann denkt sie, ich mache das auch.

”Ich bin fast elf“, protestierte ich, aber sie blieb dabei, dass das alles viel

zu gefahrlich ware.Ich dachte schon, aus der Reise wurde nichts mehr, da kam dieser Zahn-

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arzttermin, der alles anderte.

”Was machst du fur ein boses Gesicht“, sagte Doktor Weiß,

”ich hab‘doch

noch gar nichts gemacht.“Das stimmte. Mein grimmiges Gesicht kam daher, dass ich an meine Reise

dachte und dass die jetzt vielleicht ins Wasser fallen wurde. Und das erzahlteich ihm dann.

”Nach Schottland“, sagte er,

”da fahre ich jedes Jahr im August hin, na,

das passt doch prima. Ich kann dich mitnehmen, wenn du willst und deineEltern einverstanden sind.“

Und ob ich wollte!”Au ja, das ware toll“, sagte ich und er musste mich

mehrmals erinnern, dass ich den Mund weit aufmachen musste, damit ermeine Zahne angucken konnte.

”Alles in Ordnung“, sagte er, als er fertig war. Er hatte meine Karteikarte

in der Hand.”Du bist noch nicht 12“, stellte er fest.

”Fast 11“, sagte ich.

”Na, dann werde ich mir eben einen Beiwagen besorgen, ich kenne jeman-

den, der einen hat“, sagte er und klopfte mir auf die Schulter.”Das klappt

schon, ich werde deine Eltern anrufen und mit ihnen reden.“Er machte das und beschaffte sich auch einen Beiwagen extra fur mich,

er fuhr namlich mit dem Motorrad nach Schottland. Meine Eltern kauftenmir einen Spezialhelm, so einen echten Motorradhelm, schwarz und mit einerKlappe fur die Augen wie ein Visier bei den Rittern. Den fand ich so toll, dassich ihn auch im Bett aufsetzte und damit meine Schafe furchtbar erschreckte.

Am Tag meiner Abreise stand Doktor Weiß mit seinem Motorrad punkt-lich vor der Tur. Und was fur ein Motorrad! Mein Vater war dermaßen be-geistert, dass ich schon Angst hatte, er wurde mitfahren und ich musste zuHause bleiben. Das viele Chrom an der BMW-Maschine blitzte nur so. Be-stimmt hatte Doktor Weiß sie tagelang poliert. Man konnte sich richtig darinspiegeln. Der Beiwagen glanzte nicht so, der war sogar ziemlich alt. Aber mirgefiel er und ich kletterte hinein.

Meine Großmutter war gekommen, um mich zu verabschieden. Sie druck-te mir ein kleines Packchen in die Hand.

”Fur alle Falle“, sagte sie. Auch

meine Eltern sagten Tschus, ich klappte mein Visier runter und los ging dieFahrt.

Wir fuhren durch Deutschland und dann durch Holland. Die Strecke kammir aber nicht lang vor, weil es so toll war, in dem Beiwagen zu sitzen. Ichwinkte den an uns vorbeifahrenden Autos zu, die neugierig guckten. Manchewinkten zuruck. Ein paarmal machten wir Pause und auch dann liefen immer

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Leute zusammen und staunten, als hatten sie so was noch nie gesehen.Dann waren wir in Amsterdam und da ging die Englandfahre los. Wir

fuhren aufs Schiff und ich sah ganz viele Motorradfahrer, aber keiner vondenen hatte einen Beiwagen.

2 Auf dem Schiff

Meine Kabine war eine Viererkabine und hatte kein Bullauge. Sie lag ziemlichweit unten im Schiff. In der von Doktor Weiß gab es sogar mehrere Bullaugenund sie war so groß, dass man darin wohnen konnte.

”Du konntest auf dem Sofa schlafen“, bot er mir an.

”Hier oben gefallt es

dir vielleicht besser.“

”No“, sagte ich,

”ich mag stickig ganz gern.“

In Wirklichkeit kann ich stickige Luft kein bisschen vertragen, aber ichdachte, so kann er nicht so gut auf mich aufpassen.

”Wenn du willst, kannst du allein das Schiff erkunden“, sagte er, als hatte

er meine Gedanken uber das Aufpassen erraten.Wir verabredeten uns zum Abendessen im Restaurant und ich lief los.Irgendwas rief er mir noch hinterher. Es klang wie:

”Fall nicht uber

Bord!“aber das wollte ich sowieso nicht.Draußen auf Deck guckte ich uber die Reling und sah das schwarze Wasser

ganz tief unter mir. Ich kann gut schwimmen, hatte aber keine Lust, dareinzufallen. Die Rettungsboote schienen in Ordnung zu sein. Ich sah siemir von allen Seiten an, reinsteigen konnte man aber leider nicht. Ich legtemich mal kurz in einen der Liegestuhle, die uberall herumstanden, lief dannaber weiter, um noch mehr vom Schiff zu sehen. Unten die Autodecks, woauch das Motorrad stand, waren zugeschlossen. Ich ruttelte an verschiedenenTuren bis mich ein Matrose erwischte. Er schrie, dass man da nicht rein durfewahrend der Fahrt und ich sah zu, dass ich wieder nach oben kam.

In dem großen Aufenthaltsraum mit den vielen Sesseln wurde Bingo ge-spielt. Das Spiel ist einfach. Man kauft eine Karte mit Zahlen und streichtdie durch, die angesagt werden. Ist man schnell fertig, hat man gewonnen.Auch auf Englisch konnte ich die Zahlen einwandfrei. One, two, three... bishundred, hundert, und weiter braucht man fur dieses Spiel auch nicht zukonnen.

Aber ich hatte eine Pechstrahne und verlor eine Menge Taschengeld. Mei-ne Stimmung war ziemlich schlecht, als ich wegging und weiter durchs Schiff

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lief. Die shops waren alle noch geschlossen. Die wurden erst spater offnen.Schade, ich hatte mir sonst Lakritz oder Chips gekauft, ein bisschen Geldhatte ich ja noch ubrig. Da entdeckte ich die Spielautomaten.

Ein paar großere Jungen standen davor. Sie steckten Munzen in denSchlitz, druckten den Automatenarm nach unten und schon rannten Bilderund Zahlen wie wild durch die Maschine. Es blitzte und blinkte nur so. Dannwar es entweder ruhig und man hatte verloren, oder es ratterte und klingeltewie verruckt und man hatte gewonnen.

Vielleicht konnte ich das verlorene Taschengeld wieder reinkriegen. Nach-dem es den Jungen langweilig geworden war guckte, ich mich um, ob auchkein Erwachsener in der Nahe war, der so aussah, als wurde er gleich beimSchiffspersonal petzen, dass hier ein Kind verbotene Sachen machte. Niemandwar da, also spielte ich. Und ich hatte Gluck. Die Munzen schossen nur so ausder Klappe und ich schaffte es kaum, sie genauso schnell in meinen Rucksackzu werfen.

”Wie machst du das?“fragte mich ein Madchen, das mir zugeguckt hatte,

aber ich hatte das erst gar nicht gemerkt. Eigentlich rede ich nie mit Madchen,aber weil wir auf einem Schiff waren, beschloss ich eine Ausnahme zu machenund erklarte ihr mein System, das ich mir beim Zugucken ausgedacht hatte.Ich erklarte es auch noch ein zweites Mal, aber sie kam nicht dahinter undich hatte keine Lust, es noch ein drittes Mal zu erklaren.

”Gib mal her“,

sagte ich und griff nach dem Geld, das sie in der Hand hielt, aber sie hieltdie Munzen so fest, als musste sie sie vor Raubern schutzen.

Sie ließ dann aber doch los und ich spielte fur sie. Das Rattern und Klin-geln fing wieder an und sie guckte und staunte. Die Munzen fielen aus derKlappe auf die Erde, weil sie sie nicht einsteckte.

”Hier“, sagte ich und hob sie fur sie auf.

”Danke!“Sie nahm das Geld und lachelte mich an, wie mich noch nie ein

Madchen angelachelt hatte. Aber ich hatte ja auch noch fur kein MadchenGeld gewonnen.

”Keine Ursache“, sagte ich

”und jetzt hab‘ich noch andere wichtige Dinge

zu tun.“Ich drehte mich um und spurte ihre Blicke im Rucken. BewunderndeBlicke waren das, da war ich mir ganz sicher, und es gefiel mir, es gefiel miraußerordenlich gut.

Ich uberlegte, welche wichtigen Dinge ich zu erledigen hatte. Da mir nichtseinfiel, ging ich in meine Kabine und guckte nach, ob der Koffer noch da war.

Meine Schafe waren sauer, weil ich sie so lange eingesperrt hatte. Ichkonnte sie aber nur kurz herausnehmen, weil es Zeit war, zu dem Restaurant

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zu gehen, wo ich mit Doktor Weiß verabredet war.Ich kam eine Viertelstunde zu spat. Aber er meckerte nicht. Er sagte

auch nichts dazu, dass ich mir vom Buffet nur Nachtisch holte; Vanillepud-ding, Rote Grutze, Wackelpudding, Schokoladentorte. Er sagte nicht mal,erstaunlich, dass deine Zahne so wenig Locher haben bei der Ernahrung. Fureinen Zahnarzt war der wirklich schwer in Ordnung.

3 Der Seerauber

Das Schiff schaukelte in der Nacht nicht das kleinste bisschen oder vielleichtdoch, und ich hab’ es nur nicht gemerkt, weil ich so fest geschlafen habe.

Als ich aufwachte und draußen nachguckte, war schon Land zu sehen undals wir beim Fruhstuck saßen, kam der Hafen von Newcastle immer naher.Newcastle liegt noch in England, aber von dort ist es nicht mehr weit biszur schottischen Grenze. Das wusste ich, weil ich mir das auf dem Atlas zuHause angeschaut hatte. Das mit dem Hadrian Wall wusste ich nicht unddas erklarte mir Doktor Weiß:

”Die Romer haben einen Befestigungswall gebaut, damit die wilden Hor-

den, das waren die Schotten, nicht immer in ihr Gebiet einfielen, eben denHadrian Wall. Hadrian nach ihrem Kaiser, der Hadrian hieß und Wall wieWall oder Mauer eben und der ging von Newcastle an der Ostkuste bis ruberzur Westkuste nach Carlisle. Die Befestigungsanlagen kann man heute nochbesichtigen.“

Das wurden wir aber nicht machen, sondern gleich in Richtung Edinburghfahren.

”Dein Onkel erwartet dich doch und ich will heute noch weiter nach Nor-

den fahren“, erinnerte mich Doktor Weiß.An meinen Onkel hatte ich die ganze Zeit uberhaupt nicht gedacht, den

hatte ich bei der aufregenden Fahrt vollig vergessen. Wie der wohl war? Undwie der wohl aussah? Vielleicht so ahnlich wie Papa?

Erstmal gingen wir zu den Autodecks, die Turen waren jetzt offen undich stieg wieder in den Beiwagen. Die Motorrader machten ordentlich Krachals sie vom Schiff herunterfuhren. Auch als ich meine Horgerate mal kurzherausnahm, konnte ich das Geknatter noch deutlich horen.

Dann befanden wir uns plotzlich in einem Gewirr von Straßen. Wie kannman sich da bloß zurechtfinden, uberlegte ich. Aber Doktor Weiß konnte. Wirfuhren auf eine Schnellstraße, die heißt A1 und als wir da drauffuhren habe

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ich mich erst mal furchterlich erschrocken.Wir sind Geisterfahrer, wir fahren auf der falschen Seite, wollte ich rufen,

da fiel mir ein, dass es hier Linksverkehr gibt. Alle Autos, die uns entgegen-kamen, fuhren auf der anderen Seite, das war ulkig.

”Wo sind die Romer?“fragte das schwarze Schaf, ich hatte es zusammen

mit dem Schaf mit der Glocke um den Hals aus dem Rucksack genommen.

”Mensch, die gab‘s vor 2000 Jahren“, erklarte ich ihm.

”Du weißt auch

gar nichts. Das kommt davon, dass ihr immer schlaft, wenn ich in die Schulegehe.“

”Ein Weltreich hatten die Romer, das ging rund um das Mittelmeer“,

erklarte ich den beiden Schafen und nahm auch noch die anderen Schafeheraus, damit die‘s auch mitkriegten.

”Und dann waren die Romer eben

auch in England bis beinah in Schottland.“Und gerade in dem Moment kam das Schild Scotland, Schottland und

jetzt waren wir richtig in dem Land, in das wir wollten. Noch sah ich keineinziges Loch, von denen es hier in Schottland so viele geben soll, aber rechtsvon uns konnte man ab und zu das Meer sehen, das war die Nordsee.

Wir machten mal Pause, Doktor Weiß kaufte Tee und Apfelsaft und be-zahlte mit Pfund. Ich rechnete aus, wie viel das wohl in Euro ware. Aberich muss mich verrechnet haben. Die Tute Lakritz, die ich mir kaufte war soteuer, davon hatte ich in Hamburg drei kaufen konnen.

Bald kamen die Schilder Edinburgh. Wir fuhren jetzt auf der Autobahn,die heißt hier motorway und hat auch Nummern, so wie bei uns. Dann fuhrenwir runter von der Autobahn, die Straßen wurden immer enger, manchmalmussten wir anhalten, um den Gegenverkehr vorbeizulassen, weil es nur eineSpur gab. Wir fuhren durch Dorfer mit kleinen Hausern und es gab vieleKurven, bei denen der Beiwagen jedes Mal ein bisschen kippte. Das warnoch viel besser als Achterbahnfahren. Und dann standen wir vor dem Hausmeines Onkels!

”Das muss es sein“, sagte Doktor Weiß und zeigte auf ein dunkelrot ge-

strichenes Haus. Ein anderes war auch weit und breit nicht zu sehen.

”Die Nummer stimmt“, sagte er und stieg vom Motorrad.

Ich kletterte aus dem Beiwagen und wir gingen durch den Vorgarten aufdas Haus zu. Die Fensterladen waren schwarz und die Haustur war auchschwarz. Sie offnete sich gerade als wir davorstanden und eine Klingel suchenoder klopfen wollten.

Ich schob mein Visier nach oben, das mir wieder nach unten gerutschtwar und bekam einen solchen Schreck, dass ich mich an Doktor Weiß fest-

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klammerte wie ein Kleinkind sich an seine Mami klammert, wenn Fremdezu Besuch kommen. Das war echt peinlich, aber der Mann, der uns die Turoffnete, war ein Seerauber.

Schwarzes, lockiges Haar guckte unter einem roten Tuch hervor, das Ge-sicht war ganz braun, beinah schwarz, weiße Zahne blitzten und ein einzigesblaues Auge sah mich an, an Stelle des anderen hatte er eine Augenklappe.

Nicht weggehen, lassen Sie mich nicht hier, nehmen Sie mich mit, wollteich schreien, doch Doktor Weiß befreite sich aus meiner Umklammerung.

”Hier ist Ihr Neffe Attila“, sagte er zu dem Seerauber,

”und ich bin Doktor

Weiß und liefere jetzt wie verabredet den Jungen bei Ihnen ab. Der Verkehrwar ganz schon dicht und wir sind ziemlich spat dran; ich will heute noch bisInverness kommen und mochte deshalb gleich weiterfahren. Gibt es vielleichteine Moglichkeit, den Beiwagen irgendwo unterzustellen bis ich den Jungenwieder abhole?“

”Selbstverstandlich.“Der Seerauber half Doktor Weiß den Beiwagen abzu-

bauen und in die Garage zu stellen. In der Garage stand ein riesiger schwarzerWagen, altmodisch sah der aus. Ich hatte so einen noch nie gesehen. DoktorWeiß staunte auch.

”Toller Schlitten“, sagte er,

”hat der bei seinem Alter schon automatisches

Getriebe oder noch Handschaltung?“Der Seerauber guckte ihn an und kratzte sich am Ohr.

”Keine Ahnung“,

sagte er.”Mein Chauffeur konnte Ihnen das beantworten.“

”Gut, ich frag noch mal, wenn ich zuruckkomme und Attila abhole“, sagte

Doktor Weiß.Ich kriegte meinen Koffer und meinen Rucksack, Doktor Weiß stieg auf

sein Motorrad und brauste davon.

”Komm rein“, sagte der Seerauber und lachte so freundlich wie Seerauber

eigentlich nicht lachen.Ich betrat das Haus und dabei rannten Geschichten von Piraten durch

meinen Kopf wie Spielzeugzuge, bei denen der Ausschaltknopf kaputtgegan-gen ist.

4 Im Haus meines Onkels

Ich war froh, als ich erfuhr, dass mein Onkel gar kein richtiger Seerauberist. Und mein Onkel war froh, dass ich kein richtiger Ritter bin, das hatteer namlich gedacht, als er mich mit dem heruntergeklappten Visier vor der

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Tur stehen sah. Er hat mir auch gestanden, dass er sich richtig erschrockenhatte. Na, da konnte ich ihm auch erzahlen, dass ich machtige Angst vor ihmgehabt hatte. Wir konnten jetzt beide uber unsere Angst lachen.

Der richtige Beruf meines Onkels ist Archaologe. Das sind Leute, die alteSachen ausgraben. Er hatte lange in China gelebt und fliegt da noch oft hin,um Ausgrabungen zu machen. In seinem Haus waren viele Sachen aus Chinazu sehen. Buddha-Figuren und Bilder und Vasen und Truhen. Er zeigte mirdas Haus und auch das Zimmer, in dem ich schlafen wurde. Ein aus Holzgeschnitztes Bett stand drin, das kam naturlich auch aus China.

Dann fuhrte er mich durch den Garten. Das dauerte, weil der so großwar. Es ging immer hoch und runter, eine richtige Landschaft. In einem Teildes Gartens standen Obstbaume, die interessierten mich besonders und auchdie Himbeer- und Brombeerhecken, so hohe hatte ich noch nie gesehen. Wirgingen quer uber den Rasen, der war ganz dicht und sah aus wie Samt.

”Das ist die englische Gartenkultur“, sagte mein Onkel,

”die Englander

geben sich viel Muhe mit ihren Garten. Sie arbeiten pausenlos daran und amtollsten ist es, wenn es so aussieht, als hatte man gar nichts gemacht, sondernes ware alles von allein so gewachsen.“

”Mein Vater macht auch dauernd was im Garten“, sagte ich. Wir setzten

uns in die Gartenstuhle und ich erzahlte meinem Onkel von Hamburg undvon meinen Eltern. Er horte zu und ich redete und redete bis mir nichts mehreinfiel.

”Ich freue mich, dass du gekommen bist, um mich zu besuchen“, sagte er,

und dann erkundigte er sich, was ich hier in Schottland gern machen wurde.

”Schlosser angucken“, sagte ich,

”von denen habe ich tolle Bilder gesehen.

Und Schafe mochte ich sehen, das sind meine Lieblingstiere.“

”Sehr schon“, sagte mein Onkel.

”Ich hatte schon befurchtet, du hattest

Lust zu angeln. Viele Leute fahren zum Lachse angeln her, weißt du, dafurist Schottland geradezu beruhmt, aber ich mag es nicht.“

”Tun dir die Fische Leid?“wollte ich wissen.

”Ich glaube ja“, sagte er.

Ich hatte Hunger bekommen von dem vielen Gucken und Erzahlen.”Du

bist doch sicher jetzt hungrig“, sagte mein Onkel genau passend und ichnickte.

”Mrs Bennett, das ist meine Haushalterin“,sagte mein Onkel,

”sorgt hier

fur alles, sie kocht und putzt und bugelt, sie hat sicher etwas fur uns in denKuhlschrank gestellt. Lass uns mal nachsehen.“

Wir gingen in die Kuche. Mein Onkel offnete den Kuhlschrank und was

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er da rausholte, sah furchterlich aus. Irgendwie nach Fleisch, es hatte abereine merkwurdige graue Farbe. Ein Hund, dem ich das heimlich hatte gebenkonnen, war nirgends zu sehen. Vielleicht konnte ich Bauchweh bekommen.Mein Onkel sah die Platte, bzw. das, was drauf war, auch sehr misstrauischan.

”Das ist Huhn“, sagte er,

”und Huhn ist genau das Gericht, das Mrs

Bennett uberhaupt nicht kochen kann. Aber unglucklicherweise denkt sie,das sie das besonders gut kann.“

Er sah das Huhn noch mal kopfschuttelnd an und schob es dann in denKuhlschrank zuruck. Dann holte er eine Dose Ravioli aus der Speisekammer.Ruck zuck hatte er sie warm gemacht. Ich deckte den Tisch und dann aßenwir jeder eine große Portion. Die schmeckten so wie zu Hause.

Mein Papa macht auch immer Ravioli, wenn Mama nicht da ist und er furuns beide was kochen soll. Ob Bruder denselben Geschmack haben, uberlegteich. Schade, dass ich keinen habe, sonst hatte ich das sicher gewusst.

Nach dem Essen wollte mir mein Onkel beim Auspacken helfen, aber ichlehnte ab.

”Ich mach’ das allein“, sagte ich.

In meinem Zimmer packte ich meine 19 Schafe aus.

”Wo ist der Seerauber?“rief das kleine Schaf.

”Ich will den Seerauber

sehen.“

”Sei still“, sagte ich,

”hier gibt’ s keine Seerauber.“

”Doch“, fing es an zu streiten.

”Ich hab‘s genau gehort.“

”Ja, wir haben‘s auch gehort“, standen die anderen ihm bei.

”Wir wollen sein Schiff sehen, wo ist sein Piratenschiff?“schrie das schwar-

ze Schaf.

”Ja, und wie er kampft, das wollen wir auch sehen. Mit dem Dolch!“Das

war das Schaf mit dem roten Band um den Hals.

”Mein Onkel ist Archaologe“, sagte ich

”und jetzt Schluss, ihr kommt ins

Bett!“Ich legte sie hinein und deckte sie zu. Da konnten sie weiterschreien,ohne dass ich was horte.

In dem Rucksack war noch was drin, ach her je, das Packchen von mei-ner Großmutter. Das riss ich jetzt auf. Ein Handy war drin. Was sollte ichdenn damit? Ich hatte nie ein Handy haben wollen. Meine Klassenkameradenhatten alle, wirklich alle eins und hielten mich fur bescheuert, dass ich keinshatte und auch keins wollte. Mir ging das ewige Gebimmel auf die Nerven.Ich tippte ein bisschen darauf herum. Mehrere Nummern waren einprogram-miert.Und das hatte mir meine Großmutter gegeben, die sich nie den Knopfmerken konnte, mit dem ihr Kassettenrekorder anging. Ich stellte es dann

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aber ab und warf es zuruck in den Rucksack. Das fehlte noch, dass mich je-mand anrief, wahrend ich schlief! Noch wusste ich nicht, was fur eine wichtigeRolle das Handy in diesen Ferien spielen wurde.

5 Der Bus

Meine Großmutter hatte mir einiges vom englischen Essen erzahlt.

”Das Essen dort ist grauenhaft“, hatte sie gesagt

”und in Schottland

wird es kaum besser sein, es gibt angebrannten Speck, verbrannten Toastund furchterlichen Brei, den sie Porridge nennen. Außerdem werden die Kar-toffeln... “

”Mutter“, hatte meine Mutter geschimpft, als sie mitkriegte, was meine

Großmutter mir erzahlte,”erzahl’ dem Jungen doch nicht solchen Unsinn.“

Zum Fruhstuck gab es Porridge, aber den fand ich nicht so furchterlich,ehrlich gesagt, schmeckte mir dieser suße Brei aus Haferflocken richtig gut.Mrs Bennett strahlte, als sie sah, dass ich alles aufgegessen hatte. Ich verstandsie nicht richtig, auch wenn sie langsam sprach und alles wiederholte. DasEnglisch, das ich in der Schule bei Frau Walter gelernt hatte, horte sichirgendwie anders an.

Porridge war noch nicht alles, was es zum Fruhstuck gab. Mrs Bennetthatte auch noch Spiegeleier gebraten und zu denen gab es Wurstchen, Speck,Tomaten und Pilze. Dann wollte sie mir auch noch Fisch auf den Tellertun, haddock war das, Schellfisch, wie mein Onkel spater ubersetzte. ZumFruhstuck Fisch fand ich grasslich.

”Stop it!“schrie ich. Mrs Bennett verstand mich und der Fisch blieb in

der Pfanne.Damit war das englische Fruhstuck noch nicht zu Ende, es gab noch

Toast mit Butter und Marmelade. Der Toast war wirklich angebrannt, dahatte meine Großmutter recht, die das behauptet hatte. Aber die Marmeladeschmeckte.

Nach dem Fruhstuck ging ich in das Arbeitszimmer von meinem Onkel.Ich musste aufpassen, dass ich nicht uber die Bucher stolperte, die uberallherumlagen. Es waren Bucher mit chinesischen Schriftzeichen. Eins lag aufdem Schreibtisch und mein Onkel las darin. Donnerwetter, mein Onkel konnteChinesisch!

”Na, hast du gut geschlafen und gut gefruhstuckt“, wollte er wissen.

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Page 15: Attila f ahrt nach Schottlandattilas-schafe.de/schottland.pdf1 Einladung nach Schottland Ich heiˇe Attila! Diesen Namen hat meine Mutter ausgesucht. Sie ist Geschichtslehrerin und

”Bestens“, sagte ich.

”Ich hab’ so viel gegessen, bis heute Abend bin ich

satt.“

”Dann konnen wir ja mit der Schlosserbesichtigung anfangen, wenn du so

gut gestarkt bist“, sagte mein Onkel.

”Du meinst, wir gehen sofort los“, sagte ich.

”Na klar, was dachtest du denn?“

”Meistens mussen Erwachsene erst mal arbeiten“, sagte ich.

”Ich heute nicht“, erklarte er,

”ich hab‘ mir uberlegt, dass wir uns als

erstes Glenmoral Castle anschauen, das Schloss kann man zu Fuß erreichen.Du bist doch hoffentlich gut zu Fuß? “

”Klar“, beruhigte ich ihn.

”Mit meinen Eltern wandere ich oft. Ich ha-

be sogar richtige Wanderschuhe. In denen kann man besser laufen, als inTurnschuhen. Das Schnuren ist aber lastig, weil es so viele Haken gibt.“

Ich ließ das meist bleiben und stopfte nur die langen Schnursenkel in dieSchuhe, um nicht zu fallen.

”Die sind toll“, sagte mein Onkel,

”du musst sie nur noch zubinden.“

Das wollte ich erst machen, aber vergaß es dann wieder.

”Auch wenn du jetzt satt bist, werde ich Mrs Bennett bitten, uns ein

Picknick zurechtzumachen“, sagte er”und du, du solltest dir einen Pulli zum

uberziehen mitnehmen, im Moment ist es warm, aber hier in Schottland kanndas Wetter leicht umschlagen.“

Ich ging in mein Zimmer, aber einen Pulli konnte ich nicht einpacken, weilich keinen mithatte. Ich hatte doch wegen meiner Schafe die dicken Sachenwieder ausgepackt. Zwei Schafe tat ich in den Rucksack. Das sah so aus, alsware ein Pullover drin.

Zuvor hatten sich meine Schafe gezankt, wer von ihnen mit durfte.”Hier

gibt‘s so viele Schlosser, da kommt jeder mal dran“, hatte ich erklart, abereinige Schafe kapierten das nicht und drangelten sich immer wieder nach vorn.Als ich zwei aussuchte, murrten die anderen, aber ich konnte mich jetzt nichtdarum kummern.

Der Weg ging am Loch Tagar entlang. Er war steinig und wurde manch-mal so eng, dass wir hintereinander gehen mussten. Wir bogen dann ab undgingen uber Wiesen. Ich sah viele Schafe, mehr als am Deich hinter Wedel, woes auch schon eine Menge Schafe gibt. Ich versuchte, ein kleines anzulocken,indem ich wie ein Schaf blokte, aber es lief weg. Mein Onkel war verblufft,wie gut ich bloken konnte. Er versuchte auch mal zu bloken, aber sein Blokenwar nicht so gut wie meins.

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Dann kam noch ein anderes Loch und da suchten wir uns einen schattigenPlatz fur ein Picknick. Ich hatte doch schon wieder Hunger. Die Sandwiches,die Mrs Bennett geschmiert hatte, waren lecker und dazu gab es sußen Teemit viel Milch. Dann aß jeder noch einen Apfel.

”Apfel sind gesund“, sagte mein Onkel.

Nach dem Picknick liefen wir noch eine ordentliche Strecke und dann sahman graue Turme, die gehorten zum Schloss. Das ganze Schloss war ausgrauen Steinen gebaut. Es sah ziemlich duster aus.

”Sieht beinah aus wie eine Burg“, meinte ich.

”Viele schottische Schlosser sehen wie Burgen aus“, sagte mein Onkel

”und sie dienten auch zur Verteidigung, es hat fruher viele Kampfe zwischen

Schotten und Englandern gegeben.“

”Und vertragen die sich jetzt? “wollte ich wissen.

”Na ja“, antwortete mein Onkel, und ich wusste nicht, was er damit mein-

te.Unterdessen waren wir im Schlosshof angelangt Wir gingen uber den ge-

pflasterten Hof, da standen eine Menge Leute, die auch rein wollten. Es gingein paar Treppenstufen hoch in die Eingangshalle und da stand ein Schild:Next guide 15.00 o‘clock, die nachste Fuhrung ist um 15.00Uhr. Mein Eng-lischunterricht war also doch nicht ganz umsonst, fur die Katz, wie meineGroßmutter immer sagte. Was das wohl mit einer Katze zu tun hatte...

”Attila“, mein Onkel schuttelte mich am Arm. Er hatte mich schon mehr-

mals gerufen, aber bei dem Gemurmel um uns herum hatte ich nichts gehort.

”Komm“, sagte er,

”wir brauchen nicht auf eine Fuhrung zu warten, ich

kenne die Leute, die hier im Schloss wohnen.“

”Hier wohnen Leute?“

”Ja“, sagte er,

”in einem Teil des Schlosses wohnen sie, der andere wird

bei den Fuhrungen gezeigt.“Im Treppenhaus hingen Portraits und mein Onkel erzahlte mir, wer das

alles war. Er wusste so viel von denen, dass man denken konnte, er hattedie Leute gekannt. Einige waren jetzt sicher Gespenster und geisterten imSchloss herum. Dieser Duke, das ist ein Herzog, der so bose guckte und der,wie mein Onkel mir gerade erklart hatte, die Leute schlecht behandelt hatte,war sicher ein boses Gespenst. Und die freundlich aussehenden Leute auf denGemalden, ob die jetzt freundliche Gespenster waren?

Wir guckten uns noch die anderen Raume an. Mein Onkel erklarte mir,was da alles drin stand.

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”Nicht alle Kinder in deinem Alter interessieren sich fur alte Gemauer“,

sagte mein Onkel.

”Ich schon“, sagte ich und er freute sich daruber.

Wenn wieder eine Gruppe auftauchte, warteten wir im Treppenhaus oderin einem der Gange und machten uns ganz dunn. In einem Gang stand eineTruhe, die sah sehr alt aus.

”Ich wurde gern mal sehen, ob ein Gespenst drin ist“, flusterte ich.

”Nur Staub ist da drin“, sagte mein Onkel.

”Das stimmt nicht“, behauptete ich. Mein Onkel hob den Deckel hoch,

ganz schnell, damit er nicht erwischt wurde. Aber lang genug, dass ich sehenkonnte, es stimmte. Es war wirklich nur Staub drin.

”Bei soviel Staub wird man durstig“, sagte mein Onkel und wir gingen

in die ehemalige Schlosskuche, die jetzt ein tea-room, eine Teestube, ist undtranken wieder Tee.

”Tee ist wichtig in diesem Land“, sagte mein Onkel,

”wenn die Teepause

gekurzt werden soll, dann lassen sich die Leute das nicht gefallen, sie strei-ken.“

Wir waren die letzten Gaste. Mein Onkel kaufte mir ein Eis und ich nahmes mit nach draußen. Wir setzten uns auf eine der Banke, die auf dem Rasenstanden. Wenn man nach rechts guckte, sah man den Parkplatz und wennman nach links guckte, das Schloss.Es war schon Abend und die Sonne gingunter. Feuerrot sah sie aus. Sie farbte auch den Himmel und die Wolken rot.

Die beiden Frauen aus dem tea-room und das Madchen von der Kassekamen auf uns zu. Sie sahen in diesem Licht ganz schwarz aus. Als sie an unsvorbeigingen, nickten sie uns zu und gingen dann zum Parkplatz. Da standenihre Autos. Sie stiegen ein und fuhren los.Es gab eine Staubwolke und derParkplatz war leer.

Und dann sah ich ihn... den Bus. Irgendwann war der sicher mal richtiggelb gewesen, jetzt sah er schmutzig gelb aus. Er hielt auf dem Parkplatz undder Fahrer offnete die Tur. Niemand stieg aus, niemand stieg ein. Niemandwar auf dem Parkplatz zu sehen. Trotzdem tippte der Fahrer an seine Mutze,so wie man an seine Mutze tippt, wenn man jemanden grußt. Dann schlosssich die Tur wieder und der Bus fuhr ab. Ich konnte genau erkennen, dasskeiner drin war.

Ich stieß meinen Onkel an.”Der Bus eben“, sagte ich,

”hast du nicht eben

den Bus gesehen?“Und noch ehe ich es ihm weiter erklaren konnte, traf michein kalter Luftzug. Etwas ging an mir voruber... und dann sah ich etwas, esglitzerte und bewegte sich blitzschnell auf das Schloss zu.

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”Was ist denn los? “Mein Onkel sah mich besorgt an, so wie mich meine

Mama anguckt, wenn ich Bauchschmerzen habe.

”Der Bus“, sagte ich,

”er war leer, trotzdem hat sich der Fahrer an die

Mutze getippt und dann habe ich einen kalten Luftzug gespurt und da waretwas Glitzerndes.“

Mein Onkel verstand gar nichts.”Ist mit dir wirklich alles in Ordnung?“fragte

er.Und dann sah er auf seine Uhr und machte ein zufriedenes Gesicht, als in

dem Moment ein Auto auf den Parkplatz fuhr. Das war der Wagen, der inder Garage gestanden hatte.

”John ist punktlich auf die Minute“, sagte er.

John, das war sein Chauffeur, der uns abholte.Auf der Heimfahrt dachte ich die ganze Zeit daruber nach, dass hier irgen-

detwas Geheimnisvolles vor sich ging. Warum hatte der Busfahrer gegrußt,wenn doch gar keiner da war? Was war das fur ein kuhler Luftzug gewe-sen und was war das fur ein Glitzern, dass sich so schnell auf das Schlosszubewegt hatte? So viele Fragen, und keine konnte ich beantworten.

Wir kamen wieder an der Schafswiese vorbei.”Soll ich John bitten anzu-

halten?“fragte mein Onkel.”Vielleicht mochtest du gern ein Schaf streicheln.“

”Nein danke“, sagte ich. Die Schafe interessierten mich im Moment nicht

das kleinste bisschen.

6 Und wieder der Bus

In der Nacht traumte ich von dem Bus. Er tauchte plotzlich vor mir auf undich wollte ihm folgen. Mitten auf der Elbchaussee lief ich hinter ihm her.Autos rechts und links neben mir hupten, aber ich ließ mich nicht verjagen.Dann bog der Bus ab nach Nienstetten.

Da war gerade Jahrmarkt und fur Fahrzeuge gab es jede Menge Verbots-schilder. Der Bus hielt und dann war er weg, wie vom Erdboden verschlungen.Es roch nach Mandeln und Fett und die Musik drohnte so laut, dass sogarmir die Ohren wehtaten. Ich stellte mich an, um Waffeln und Zuckerwatte zukaufen, und da sah ich ihn wieder. Er drehte sich auf dem Kinderkarussell.Bei jeder Umdrehung wurde er großer, so als wurde er wachsen. Er drangtealle anderen Fahrzeuge beiseite. Die Straßenbahn bimmelte, die Pferde wie-herten, die Autos quietschten... dann stoppte die Musik, das Karussell hieltund ich kletterte auf die Plattform. In dem Bus saßen lauter Schafe. Sie wink-ten mir zu und ruckten, um mir Platz zu machen, aber ich konnte die Tur

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nicht offnen. Ich fuchtelte mit den Handen und machte dem Fahrer Zeichen,aber der grinste nur. Dann begann die Musik wieder zu spielen und die Fahrtbegann von neuem. Das Karussell drehte sich schneller, immer schneller. Ichversuchte mich irgendwo festzuhalten, griff aber ins Leere.

”Du darfst nicht

mitfahren!“schrien meine Eltern. Und dann fiel ich, die Fahrzeuge rutschtenvon der Plattform, fielen auf mich drauf.

Ich wachte auf und lag neben dem Bett. Der Nachttisch war umgekipptund ich hatte eine Beule am Kopf. Mrs Bennett druckte eine Messerklingedrauf und dann wickelte sie mir noch nasse Tucher um den Kopf.

Mit den Tuchern um den Kopf ging ich ins Arbeitszimmer meines Onkels.

”Was ist denn mit dir passiert?“fragte er erschrocken.

”Ach nichts weiter,“beruhigte ich ihn.

”Mrs Bennett hat meine Beule

behandelt.“Ich machte es mir in einem breiten Sessel bequem und er erzahlte mir von

seinen Ausgrabungen in China. In dicken Buchern zeigte er mir Fotos. Daraufwaren Knochen, Scherben und Geroll zu sehen. Aber mein Onkel erzahltevon Stadten und Dorfern, in denen Menschen herumliefen, von Kaisern inprachtigen Kleidern, die in Palasten wohnten, vom lustigen Treiben auf demMarkt, von Bettlern in Lumpen, von Feuerwerkskorpern und fremden Pflan-zen und Tieren, von Verschworungen und von schrecklichen Kampfen undtapferen Kriegern.

”Kann ich mal Bucher mitnehmen und sie mir nachher nochmal allein

angucken?“fragte ich meinen Onkel. Er gab mir ein paar Bucher mit und ichzeigte sie meinen Schafen.

”Oh, ein Porzellangefaß aus dem Grab der T’ang Prinzessin Yung-tsai,

der siebten Tochter des Kaisers Hsi-tsung“, rief das Schaf mit dem Knopf imOhr.

Ich guckte nochmal auf das Bild mit den winzigen Scherben, die nur zusehen waren, wenn man wirklich ganz genau hinguckte und war beeindruckt.

Die Beule war weg und ich hatte den verflixten Bus ganz vergessen. Anden dachte ich erst wieder, als mein Onkel ein paar Tage spater vorschlug,Kendonan Castle zu besichtigen. Diesmal wurde uns John fahren.

”Es ist so weit weg, da konnen wir nicht hinlaufen“, hatte mein Onkel

gesagt.Ich hatte meinen Rucksack gepackt und wollte schon rauslaufen, da fiel

mir noch was ein. Mrs Bennett stand an der Spule und scheuerte Pfannen.Ich schlich an ihr vorbei in die Speisekammer und suchte nach Knoblauch.Noch ehe ich ihn gefunden hatte, erwischte sie mich.

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Hoffentlich denkt sie jetzt nicht, ich will was naschen, schoss mir durchden Kopf. Wie heißt bloß Knoblauch auf Englisch? Das Wort war bisher nichtim Englischunterricht vorgekommen. Schade, dass die wirklich nutzlichen Vo-kabeln immer nicht vorkommen.

Da kam mein Onkel.”Ich habe Knoblauch gesucht“, erklarte ich ihm,

”aber ich kann keinen finden.“

”Was willst du denn mit dem Knoblauch?“

”Der hilft gegen Gespenster“, sagte ich.

Er redete mit Mrs Bennett und es stellte sich heraus, dass das ein Haushaltohne das kleinste bisschen Knoblauch war.

”Wir nehmen eine Zwiebel“, entschied mein Onkel,

”gegen schottische Ge-

spenster hilft die viel besser.“Er griff in den Korb mit den Zwiebeln, drucktemir eine in die Hand, nahm sich auch eine und schob mich aus der Speise-kammer.

Ich drehte mich noch mal um und sah, dass Mrs Bennett mit offenemMund dastand und uns nachguckte.

”Woher weißt du, dass Knoblauch gegen Gespenster hilft?“fragte mich

mein Onkel als wir im Auto saßen.

”Mein Vater sagt das immer“, erklarte ich ihm.

”Er sagt, es hilft gegen

Vampire und auch gegen Gespenster.“

”Aha, dein Vater.“Und das ’dein Vater’ sagte er mit so merkwurdiger

Stimme, so redete er sonst uberhaupt nicht.Ich hatte gern gewusst, was zwischen den beiden Brudern vorgefallen

war, aber das Gesicht, das mein Onkel machte, ermunterte mich nicht zu derallerkleinsten Frage.

Dann waren wir da. Ich zahlte die Reisebusse, die vor dem Schloss park-ten.

”Vielleicht passen wir auch noch rein“, scherzte mein Onkel. Er kaufte

Tickets und ich sah mir solange die Souvenirs an. Jede Menge Keksdosengab es und immer war das Schloss drauf. So eine Dose wurde ich mir nachherkaufen. Erst mal besichtigten wir das Schloss. Uberall drangelten sich Leute.Es war wie auf dem Schulhof.

”Ich kann nichts richtig sehen“, beklagte ich mich.

”Seit Jahren besuchen immer mehr Leute die schottischen Schlosser, be-

sonders in den Sommermonaten, weil da Ferien sind“, sagte mein Onkel.

”Komm, wir gehen mal nach oben und steigen auf einen der Turme. Von

dort hat man eine tolle Aussicht.“Die Aussicht war wirklich super. Ich ware gern noch auf einen anderen

Turm gestiegen, der mit einem Seil abgesperrt war.

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”Von da ist die Aussicht sicher noch besser, lass uns da raufsteigen“,

schlug ich vor, aber mein Onkel wollte nicht.Als wir wieder im Auto saßen, fiel mir ein, dass ich vergessen hatte, die

Keksdose zu kaufen.

”Ich bin gleich wieder da“, rief ich und kletterte noch mal aus dem Auto.

An der Kasse war eine Schlange. Ich hatte keine Lust, mich anzustellen,ich hatte eine bessere Idee. Ich wurde nachprufen, ob die Aussicht von demanderen Turm nicht doch besser war. Unter dem Seil durchzukriechen wareinfach und schon war ich oben. Die Aussicht war nicht besser, nur anders.Auf dem Parkplatz stand noch ein Reisebus und der fuhr gerade los. Auchdie PKW’ s waren alle weg, nur das Auto von meinem Onkel stand noch da.

Und da kam er. Ich erkannte ihn sofort an der schmutzig gelben Farbe. Daswar der Bus, den ich an dem anderen Schloss gesehen hatte. Die Tur ging auf.Niemand stieg aus. Niemand stieg ein. Dann ging die Tur wieder zu und derBus fuhr ab. Den Fahrer hatte ich von hier oben nicht erkennen konnen, daswar zu weit weg. Jetzt stieg mein Onkel aus dem Auto aus. Er kam bestimmtum zu gucken, wo ich geblieben war. Ich rannte die Treppe hinunter. Als ichdie Halfte der Treppe geschafft hatte, war plotzlich etwas Kaltes neben mir.So ungefahr, als hatte jemand die Tur eines Gefrierschranks geoffnet, abernur fur eine Sekunde. Ich lief weiter, die letzten Stufen sprang ich und dabeifiel mir die Zwiebel aus der Hosentasche. Ich steckte sie wieder ein. VerruckteGedanken liefen durch mein Gehirn. Was war das fur ein Bus? Hatte der wasmit Gespenstern zu tun? War ich einem Gespenst begegnet?

”Wo bist du denn gewesen?“fragte mein Onkel. Die Kekskasse war unter-

dessen zu.”Ich hab‘ nur so rumgeguckt“, sagte ich.

Auf der Ruckfahrt sagte ich kein Wort. Ich war damit beschaftigt einenPlan zu entwerfen. Das Ratsel musste gelost werde, das nahm ich mir festvor.

7 Durchfahrt verboten

Es rauschte und ich wusste genau, was jetzt kam. Die Batterien meinerHorgerate waren gleich aufgebraucht. Blieben die Gerate in den Ohren, ließensie nicht das klitzekleinste Gerausch mehr durch. Ich nahm sie also herausund steckte sie in die Hosentasche.

”Nicht in die Hosentasche!“horte ich die Stimme meiner Mutter,

”da ist

doch immer Sand drin und die Gerate sind so empfindlich.“

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Irgendwo musste das kleine Kastchen sein, in das sie hineingehorten. Ichsuchte, aber ich fand es nicht. Die Ersatzbatterien fand ich auch nicht.

Mein Onkel merkte sofort, das was nicht in Ordnung war. Sicher fing ichan, blodsinnige Antworten zu geben, weil ich nicht richtig verstanden hatte.

”Wir konnen morgen nach Abertly fahren“, sagte er,

”es gibt dort einen

Horgerateladen.“

”Gibt es auch ein Schloss in der Nahe?“Ich dachte an den Bus. Mir war

noch kein richtiger Plan eingefallen, aber ich wollte mir den Bus mal aus derNahe anschauen.

Mein Onkel schuttelte den Kopf.”Wenn wir in Abertly sind, will ich

gleich noch einige Dinge erledigen, und wir sollten fur dich einen warmenPullover kaufen, fur die nachsten Tage ist kuhleres Wetter angesagt. EtwasWasche konnte auch nicht schaden. Mrs Bennett ist schon ganz traurig, dasssie nichts fur dich waschen kann.“

Die Vorstellung, einkaufen zu gehen fand ich grasslich.”Morgen gehen wir

einkaufen“, sagte ich abends im Bett zu meinen Schafen. Keiner wollte zu sowas mitkommen, das hatte ich mir schon gedacht.

”Na, dann eben nicht!“Ich

drehte mich um und schlief ein, ohne noch irgendwas mit ihnen zu reden.

Nach dem Fruhstuck fuhren wir los. Mein Onkel und ich saßen hintenim Wagen und unterhielten uns. Er sprach laut und ubertrieben deutlich, soging das. Ob ich ihn jetzt mal fragen konnte was zwischen Papa und ihmvorgefallen war?

”Onkel Alexander“, fing ich an,

”bitte erzahl’ mir doch mal, was zwischen

dir und Papa gewesen ist. Warum... “und da sah ich ihn plotzlich. Er warschmutzig gelb und fuhr direkt hinter uns.

”Der Bus!“schrie ich,

”der Bus!“

Mein Onkel wusste nicht, was los war.”Was fur ein Bus denn?“fragte er.

”Da, der gelbe Bus, der hinter uns fahrt. Um Himmels Willen, jetzt biegt

er ab, wir mussen hinterherfahren! Hinterherfahren!“Ich war so aufgeregt,dass ich immer weiterschrie,

”hinterherfahren, hinterherfahren!“

Mein Onkel sprach mit John und ich horte auf zu schreien. Wir wendeten,bogen auch ab und hatten den Bus jetzt vor uns.

”Erzahl’ mir mal, warum du diesem Bus unbedingt folgen willst“, sagte

mein Onkel.

”Ich hab’ den Bus an den beiden Schlossern gesehen, die wir besichtigt

haben“, erklarte ich ihm.”Die Tur ging immer auf und zu und keiner stieg

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aus oder ein. Trotzdem hat der Busfahrer einmal an seine Mutze getippt undgegrußt.“

”Ach ja, ich erinnere mich“, sagte mein Onkel,

”aber ich kann dabei

nichts besonderes finden. Lohnt es sich deshalb einen solchen Umweg zumachen?“Er faltete die Landkarte auseinander und zeigte mir, dass wir ineine total andere Richtung fuhren.

”Ich hab’ auch noch was Kaltes gespurt und etwas Glitzerndes gesehen“,

sagte ich.”Irgendwas stimmt da nicht, ich weiß es ganz genau. Ich bin ganz

sicher“, fugte ich noch hinzu.Mein Onkel dachte eine Weile nach. Gleich sagt er, sei doch vernunftig,

oder so was ahnliches, dachte ich, aber er sagte das nicht.

”Gut“, sagte er,

”wir nehmen die Verfolgung auf.“

Er sprach noch mal mit John und dann fuhren wir dem Bus immer hin-terher. Mal war der Abstand kleiner, mal großer, der Busfahrer sollte janichts merken. Wenn der Abstand zu groß wurde, hatte ich immer Angst,wir wurden ihn verlieren. Ich biss dann in mein T-Shirt, das sah nachherfurchterlich aus.

Die Gegend, durch die wir fuhren, wurde immer einsamer. Es gab kaumnoch Hauser, nur noch Felder und Wiesen. Irgendwann war die Straße einWeg. Und dann war es auf einmal dunkel wie in einer Hohle. Rhododendron-straucher wuchsen rechts und links von uns. Die kannte ich, denn wir habendie auch im Garten. Aber nicht solche. Die hier wuchsen uber dem Weg zu-sammen und bildeten ein richtiges Dach. Der Weg war auch nicht mehr fest,wir fuhren auf Sand. Da stoppte John.

Himmel, jetzt sitzen wir fest, dachte ich. Aber das war nicht der Grund.Ein weißes Schild mit rotem Rand war es: Durchfahrt fur Fahrzeuge aller Artverboten.

”Bitte lass uns trotzdem weiterfahren!“bettelte ich.

Mein Onkel stieg aus und sah sich kurz um. Dann stieg er wieder ein,sagte was zu John und wir fuhren weiter. Nach ein paar Metern standen wirschon wieder vor einem Schild. Diesmal stand private,privat, drauf.

”Attila, wir kehren um“, sagte mein Onkel.

”Der Bus gehort offensichtlich

jemandem, der hier wohnt. Es ist ja nicht verboten, einen Bus statt einesPKW zu fahren, aber es ist sehr ungehorig, privates Eigentum zu betreten.Und das ist mein letztes Wort“, fugte er noch hinzu, als er merkte, dass ichwieder betteln wollte.

John wendete vorsichtig auf dem Sandweg und dann fuhren wir nachAbertly. Es war schon Mittag als wir endlich ankamen. Wir kauften Batteri-

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en im Horgerateladen und erledigten auch noch die anderen Einkaufe.

”Wem wohl der Bus gehort?“fragte ich meinen Onkel nach dem Abendes-

sen.

”Tja“, mein Onkel kratzte sich am Kinn.

”In Schottland gibt es viele In-

dividualisten und es gibt viele Schrullen. Menschen konnen ja die seltsamstenAngewohnheiten haben. Mit einem Bus durch die Gegend zu fahren, ist mei-ner Ansicht nach eine sehr harmlose Verrucktheit.“

Ich war nicht uberzeugt. Ich hatte so ein Gefuhl, dass das in dem Falletwas anderes war als eine Schrulle. Aber dann dachte ich den ganzen Abendnicht mehr an den Bus, weil Onkel Alexander mir von Papa und sich erzahlte.Und von dem Streit, den sie gehabt hatten. Um ein Madchen war es gegangen.In das war mein Onkel total verliebt. Und mein Papa hatte es ihm eines Tagesweggeschnappt.

”Ich war der unglucklichste Mensch auf der Welt“, sagte mein Onkel.

”Mein Bruder, mit dem ich mich immer gut verstanden hatte, hatte so etwas

gemacht. Ich wollte nur noch weg.“

”Bist du weggelaufen?“

”Ja“, sagte mein Onkel,

”ich hab’ mein Studium, ich hatte ja schon an-

gefangen Archaologie zu studieren, sausen lassen und bin abgehauen. Ichging zum Hafen und nahm das erstbeste Schiff, das da lag. Es war einesdieser halbverrosteten Schiffe, die so aussehen, als wurden sie jeden Momentuntergehen. Container waren auf dem Schiff, sparlich beleuchtet von einertruben Funzel, den Schiffsnamen konnte kein Mensch mehr entziffern unddie Flagge, die am Heck wehte, war aus einem Land, das ich nicht kannte.Die Kabinen waren eng und stickig und es gab grauenhaftes Essen, einenrichtigen Schlangenfraß.“

”Und das hast du ausgehalten?“

”Ja“, sagte mein Onkel,

”sogar monatelang. Ich bin durch die ganze Welt

gefahren auf verschiedenen Schiffen, die sich alle ahnelten.“

”Du kennst also die ganze Welt?“

”Nein, das Laden der Schiffe geht heutzutage so schnell, dass man nur den

Hafen zu sehen kriegt. Und die sehen uberall gleich aus. Es ist sehr langweilig,auf diese Art die Welt zu bereisen. Aber mir war das egal, ich wollte meinenSchmerz uber die Treulosigkeit des Madchens und uber die Gemeinheit vondeinem Papa vergessen.“

”Und dann passierte etwas Furchtbares.“Er zeigte auf seine Augenklappe.

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”Hast du mit den anderen Seeleuten gekampft? Vielleicht mit einem Sabel

oder einem Schwert?“Mein Onkel lachte.

”Nein“, sagte er,

”ein Kapitan, der standig Schnaps

trank, war eines Abends so betrunken, dass er mit einer Stange auf michlosging. Als ich an Land zu einem Arzt gebracht wurde, war das Auge nichtmehr zu retten. Und danach begann eine schlimme Zeit. Ich wurde angestarrt,man zeigte mit dem Finger auf mich, manche liefen auch weg sobald sie michsahen.“

”Ja, das kenne ich“, sagte ich,

”wenn man irgendwie anders ist oder an-

ders aussieht als die anderen, will keiner was mit einem zu tun haben. Mirschneiden sie Grimassen, rufen Sachen hinterher und lassen mich nicht mit-spielen.“

”Ich war zuerst verzweifelt und versuchte mich zu verstecken“, sagte mein

Onkel,”aber das funktioniert nicht, irgendwann habe ich begriffen, dass ich

es anders machen muss.“

”Und dann bist du auf die Idee gekommen, dich als Seerauber zu verklei-

den.“Mein Onkel nickte und hielt mir noch mal die Schachtel mit der Schoko-

lade hin und ich durfte reingreifen.”Schokolade beruhigt“, sagte er

”und du

kannst jetzt hoffentlich trotz der aufregenden Geschichten gut schlafen.“Dass ich nicht gleich schlafen konnte, lag an meinen Schafen.

”Was ist mit dem Bus?“wollten sie wissen,

”du wolltest uns doch von dem

Bus erzahlen.“

”Ich bin zu mude“, wehrte ich ab, aber sie nervten mich weiter mir ihrer

Fragerei.

”Ich hab’ ihn wieder gesehen, fing ich an, den gelben Bus, er war plotzlich

... “und dann schlief ich auch schon, tief und fest.

8 Meine Fahrt als blinder Passagier

Am nachsten Morgen klingelte dauernd das Telefon. Mein Onkel konnte nichtin Ruhe fruhstucken. Sein Tee und seine Spiegeleier wurden kalt, weil er hin-und herlief und mit irgendwelchen Leuten redete. Mrs Bennett wollte frischenTee machen, aber mein Onkel hatte nicht das kleinste bisschen Zeit. Anseinem Ausgrabungsort in China hatten sie etwas Sensationelles gefunden.Das wurde gerade nach London geflogen und er wurde es sich so schnell wiemoglich angucken.

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”Ich werde zwei, drei Tage in London bleiben“, sagte er zu mir.

”Mrs

Bennett wird in der Zeit hier schlafen.“

”Ich brauche keinen Aufpasser“, sagte ich, aber er horte nicht zu, weil das

Telefon wieder klingelte.Dann ging er nach oben, um seinen Koffer zu packen.

”John wird mich nach Edinburgh zum Flughafen bringen, er ist heute

Abend zuruck“, erklarte er mir.”Wenn du dir in der Zeit, in der ich weg bin

noch andere Schlosser anschauen mochtest, brauchst du John nur Bescheidzu sagen. Er fahrt dich dann hin. Und schau mal, hier ist eine Schlosserkartevon Schottland.“Er druckte mir die Karte in die Hand, winkte und weg warer.

Am Nachmittag backte Mrs Bennett rasperry pie, Himbeerkuchen. Erwar der beste Kuchen, den ich je gegessen habe, aber das darf ich meinerGroßmutter nicht erzahlen, die mit ihrem Kasekuchen bisher die Nummereins war.

Nachdem ich soviel Kuchen gegessen hatte, dass ich fast platzte, guckteich mir die Schlosserkarte an. Hier waren die zwei Schlosser, die ich mitmeinem Onkel besichtigt hatte. Die lagen beide westlich vom Haus meinesOnkels. In Richtung Suden lag noch ein Schloss ganz in unserer Nahe. Castleof Tay. Ich beschloss, morgen da hinzulaufen. Und das machte ich dann auch.Zwei meiner Schafe, den neuen Pullover und ein Picknick von Mrs Bennettim Rucksack und die Wanderschuhe an den Fußen, machte ich mich auf denWeg.

Als ich das Schloss vor mir liegen sah, kriegte ich erst mal einen Schreck.Es war eine Ruine.

Die Außenmauern mit den leeren Fensterhohlen standen noch und ichlief einmal drumherum. An den vier Ecken hatten mal Turme gestanden.Reste davon waren noch deutlich zu erkennen. Im Inneren waren Treppen,die konnte man benutzen. Ich ging so hoch wie es ging und schaute hinunterin den Innenhof. Viele Leute standen da, und es sah aus, als ob sie auf waswarteten. Und da war auch schon Musik zu horen. Dudelsackspieler kamenin den Hof und spielten. Die Musik gefiel mir, aber am besten fand ich dieSchottenrocke, die die Spieler anhatten. Ich wurde meinen Onkel bitten, mirauch so einen zu kaufen.

Ich lief den Spielern noch hinterher als sie zu ihrem Bus gingen, da ein-stiegen und abfuhren. Auch die anderen Busse und PKW’ s verließen denParkplatz.

Vielleicht kommt der Bus ja doch, obwohl das hier eine Ruine ist, uberlegte

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ich, versteckte mich in den Buschen und wartete.Und dann kam er. Die schmutzig gelbe Farbe konnte ich schon von weitem

erkennen. Er fuhr direkt auf mich zu.Hoffentlich versagen die Bremsen nicht, so alt und klapprig wie der aus-

sieht, dachte ich, doch sie funktionierten.Der Bus hielt und die Tur ging auf. Der Fahrer tippte an seine Mutze

und nickte freundlich. Niemand stieg ein oder aus. Zu gern hatte ich mal inden Bus hineingeguckt. Aber wie? Vielleicht konnte ich den Fahrer nach derUhrzeit fragen. What time is it? Wie spat ist es? konnte ich perfekt. Ich krochaus dem Gebusch und ging auf den Bus zu. Der Busfahrer war aufgestanden,aber nicht, weil ich kam, er suchte etwas uber seinem Sitz, mich hatte er garnicht bemerkt. Das war die Gelegenheit! Ich sprang in den Bus und unter denBeifahrersitz. Da lag die Jacke des Busfahrers, die zog ich noch ein bisschenuber mich. Die Tur ging zu und der Bus fuhr los.

Ich horte die Fahrgerausche ganz laut, denn durch die Horgerate werdensie verstarkt, und deshalb wollte ich die Horgerate erst ausschalten, doch dahorte ich noch etwas anderes. Redete da jemand? Lachte da jemand? Als ichvorsichtig unter der Jacke hervor nach hinten schaute, konnte ich niemandensehen.

”Das sind Kinder“, flusterte mir das kleine Schaf ins Ohr.

Ich guckte noch mal nach hinten, aber da war wirklich niemand zu sehen.Der Bus hielt mehrmals, aber ich wagte nicht zu gucken, wo wir waren. Ichblieb in meinem heißen Versteck, in dem ich bestimmt bald ersticken wurde.Ehe es dazu kam, wurde plotzlich die Jacke uber mir weggezogen. Ich warnicht erstickt, aber ich war gefangen. Der Busfahrer war ausgestiegen undhatte den Bus abgeschlossen. Ich ruttelte an der Tur, untersuchte dann dasArmaturenbrett, druckte auf verschiedene Knopfe. Die Turen bewegten sichnicht das kleinste bisschen.

Draußen waren noch andere Busse zu sehen, es schien eine Art Busab-stellplatz zu sein. Was sollte ich jetzt bloß machen?

Das Handy! Das Schaf mit dem Knopf im Ohr war es, dem das einfiel,und ich kramte im Rucksack. Ganz unten fand ich es. Wie war noch maldie Pin-Nummer? 1109, mein Geburtstag. Ich tippte die Nummern ein. Daoffnete sich auf einmal die Bustur und Frauen mit Eimern und Besen stiegenein. Sie starrten mich an, mir fiel das Handy aus der Hand. Schnell hob iches auf, nahm meinen Rucksack und kletterte so schnell ich konnte aus demBus. Dann rannte ich uber den Busabstellplatz bis zur Landstraße. Die gingich ein ganzes Stuck entlang, da kam plotzlich ein Schild Drumlan Castle,

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eine Meile. Als ich an dem Schloss ankam, nahm ich das Handy heraus undrief Mrs Bennett an. Es dauerte eine Weile bis sie begriffen hatte wo ich war.

”Drumlan Castle, Drumlan Castle“, wiederholte ich immer wieder.

Ich wartete ganz schon lange, dann sah ich den schwarzen Wagen. Johnkam, um mich abzuholen.

”Thank you very much, vielen Dank“, sagte ich und war froh, ihn zu

sehen.Mrs Bennett umarmte mich und redete wie ein Wasserfall. Ich verstand

kein Wort, aber bestimmt hatte sie sich Sorgen gemacht, weil es schon sospat war und weil John mich an einem Schloss abgeholt hatte, das so weitvon dem anderen entfernt war.

Sie kochte mir Nudeln und Tomatensoße. Das ist mein Lieblingsgericht,aber ich war so mude, dass ich beinah am Tisch eingeschlafen ware.

9 Das Gespensterschloss

Als ich am nachsten Morgen aufwachte, lag kein Schaf mehr in meinem Bett.Sie hatten sich versteckt und ich sollte sie suchen. Aber ich hatte keine Zeit.So kam es, dass ich das Abenteuer bestand, ohne dass ein einziges Schaf dabeiwar.

Mrs Bennett guckte erstaunt, als ich so fruh wie noch nie am Fruhstuckstischsaß. Ich erklarte ihr, dass ich gleich wieder zu dem Schloss wollte, von demJohn mich gestern abgeholt hatte. Wie ich es schaffte, ihr das auf Englischzu sagen? Ich zeigte auf die Schlosserkarte und dann redete ich noch mitHanden und Fußen. Sie machte ein ungluckliches Gesicht und seufzte, aberdann machte sie mir doch ein Picknick. John kam und brachte mich genaudahin, wo er mich gestern abgeholt hatte. Wir verabredeten, dass er michabends um sechs hier abholen wurde, six o’clock, sechs Uhr.

Mein Plan war, zu dem Busabstellplatz zu laufen. Ich wurde mich wiederin den Bus hineinschmuggeln und diesmal wurde es mir sicher gelingen, dasGeheimnis zu ergrunden. Doch die Rucklichter von dem schwarzen Wagenmeines Onkels waren kaum verschwunden und ich wollte mich gerade aufden Weg machen, da kam er, der Bus, den ich sofort an seiner schmutziggelben Farbe erkannte. Er kam zum Schloss. Ich versteckte mich hinter einerMauer, der Bus hielt und dann stieg der Busfahrer aus. Er zundete sich eineZigarette an und ging ein paar Schritte. Die Bustur stand offen. Wie einBlitz war ich drin und kroch diesmal unter einen Sitz in der ersten Reihe.

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Sehen konnte ich nichts, aber ich spurte plotzlich einen eiskalten Luftzug undkriegte davon eine Gansehaut. Und dann ging die Fahrt los. Der Bus hieltmehrmals so wie gestern und jedes Mal spurte ich diese Kalte. Ich horte auchwieder die Gerausche. Das kleine Schaf hatte recht gehabt. Kinder redetendurcheinander und lachten. Schließlich guckte ich doch mal nach hinten, auchauf die Gefahr hin, dass ich entdeckt wurde. Aber da war keiner. Ich krochwieder zuruck und uberlegte.

Und dann hielt der Bus lange Zeit nicht mehr. Wir fuhren und fuhrenund fuhren. Was war das? Auf einmal sanken die Rader ein, so wie neulichdie Rader vom Auto meines Onkels. Ohne dass ich was sehen konnte, wussteich, dass wir erst an dem einen Schild Durchfahrt verboten und dann an demanderen Schild private vorbeifuhren.

Der Bus hielt und ich kroch vorsichtig aus meinem Versteck. Unbemerktverließ ich ihn und stand vor einem Schloss. Es hatte viele Turme undTurmchen und sah genauso aus wie das Schloss in meinem Marchenbuch.Sicher war es verzaubert oder verwunschen, so hieß das in den Marchen im-mer. Eine Fee oder eine Hexe hatte dafur gesorgt, dass niemand hineinkam.Ich ruttelte an den Turen, aber sie waren fest verschlossen und ließen sichauch mit den Zauberspruchen, die ich kannte und jetzt aufsagte, nicht offnen.

Das Pst war so leise, ich dachte erst, ich hatte mich geirrt. Da offnete sicheine kleine Tur in einem der Turmchen wie von Geisterhand und ich ginghinein. Ich stieg die Wendeltreppe hinauf bis ganz nach oben und gelangtein ein Turmzimmer. Vor einem der Fenster glitzerte etwas.

”Du bist mutig“, sagte eine Madchenstimme.

”Ich hab’ dich schon gestern

gesehen, unter dem Beifahrersitz. Ob er es wohl noch mal wagt, habe ichgedacht. Und tatsachlich. Heute morgen, als ich zustieg, kauertest du untereinem Sitz in der ersten Reihe.“Sie kicherte.

”Ich traume“, dachte ich, zwickte mich in den Arm und schloss die Augen.

Als ich sie wieder aufmachte, war ich immer noch in dem Turmzimmer.Ich zwickte mich noch mal doller.

”Du traumst nicht“, sagte die Madchenstimme,

”die anderen schlafen

und traumen, aber wir beide sind wach. Ich mag namlich tagsuber gern wachsein.“

”Welche anderen?“fragte ich.

”Na, die anderen Gespensterkinder“, sagte sie,

”die jeden Tag hierher

gebracht werden, damit sie in Ruhe schlafen konnen.“

”In Ruhe schlafen?“Ich begriff gar nichts.

”Niemand weiß davon“, ihre Stimme war jetzt nur noch ein Flustern, und

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ich musste mich hollisch anstrengen, um sie zu verstehen.

”Sprich doch ein bisschen lauter!“bat ich sie.

”Die Aktion ist geheim“, sagte sie.

”Welche Aktion? “Ich platzte fast vor Neugier.

”Ich erzahle es dir“, sagte sie,

”aber du darfst mit niemanden daruber

sprechen, du darfst das Geheimnis nicht verraten und du darfst nicht verra-ten, dass ich es dir verraten habe.“

”Ich schwore“, sagte ich feierlich.

”Ich heiße Katharina, Antonia, Elisabeth, Maria... “Sie zahlte noch eine

Reihe von Vornamen auf, die wurde ich mir nie alle merken konnen.

”Aber Katharina reicht“, sagte sie.

”Attila, Alexander“, sagte ich,

”aber Attila reicht.“

”Ich werde mit den anderen Gespensterkindern in den Sommermonaten

hier in dieses abgelegene Schloss gebracht“, fing sie an zu erzahlen.”Mit

einem Bus, das hast du ja schon herausgekriegt. Niemand soll uns hier finden,deshalb ist das Schloss auch auf keiner Karte drauf. Auch der Busfahrer darfniemandem was erzahlen. Er heißt Diesel und kommt aus Deutschland. Ichmag ihn sehr gern. Er schimpft nie, auch wenn wir Krach machen, und erwartet, wenn wir uns mal verspaten. Und er kann er uns horen, so wie du,nicht alle Menschen konnen das.“

Sie hupfte vor dem Fenster hin und her.”Siehst du mich?“wollte sie wis-

sen.

”Du glitzerst wie ein Weihnachtsstern.“

”Weihnachtsstern, Weihnachtsstern“, sang sie und bewegte sich noch wil-

der hin und her.Und plotzlich war sie weg.

”Siehst du mich noch immer?“fragte sie.

”Nein, ich kann dich nur noch horen.“

”Ich kann mich unsichtbar machen“, erklarte sie mir, und ich verstand in

dem Moment, warum ich niemanden im Bus gesehen hatte.Dann glitzerte sie wieder am Fenster.

”Du wolltest mir erzahlen, warum ihr in dieses abgelegene Schloss ge-

bracht werdet“, erinnerte ich sie.

”Wir waren verhaltensgestort“, sagte sie,

”verhaltensgestort das heißt,

dass man lauter verruckte Sachen macht.“

”Seid ihr bei Minusgraden ohne Socken in die Schule gekommen und bei

Hitze im Skipullover, den ihr euch auch noch uber die Ohren gezogen habt?“

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”Nein“, sagte Katharina,

”wir haben uns die alten Ritterrustungen ange-

zogen, du hast die sicher in den Schlossern herumstehen sehen.“Ich nickte.

”Das war vielleicht laut, als wir damit herumrannten. Unsere Lehrer wa-

ren heiser vom Schreien. Und dann wurde uns das zu langweilig. Wir nahmendie Waffen, die auch uberall herumstanden und kampften damit.“

”Du meinst, ihr habt mit echten Waffen gekampft, mit Lanzen, Pistolen,

Schwertern, Dolchen?“

”Na klar“, sagte sie.

”Was machst du denn fur ein entsetztes Gesicht,

Attila. Mit was kampft ihr denn?“

”Mit B...Besen“, stotterte ich,

”und mit Schwammen“, fiel mir ein,

”neu-

lich hab‘ ich einem Mitschuler einen an den Kopf geworfen, der war klatschnass.“Katharina lachte.

”Bei uns wusste niemand, warum wir solche Sachen machten und deshalb

hat sich der National Trust so große Sorgen gemacht. Du weißt doch, wasdas ist, der National Trust.“

”Ja“, sagte ich,

”das ist eine Stiftung, die Geld kassiert und Mitglieder

hat. Mein Onkel hat mir erzahlt, dass die dafur sorgen, dass alles so gut inSchuss ist, Burgen, Schlosser, Schlachtfelder und sogar Inseln.“

”Du weißt gut Bescheid“, sagte Katharina.

”Der National Trust hat auch

fur die Gespensterkinder die Verantwortung. Schließlich leben wir seit Jahr-hunderten mit unseren Eltern auf den Schlossern. Der National Trust hatdann Fachleute geholt, Gespensterkinderpsychologen und Gespensterkinderpsy-chotherapeuten.“

”Und was haben die mit euch gemacht?“wollte ich wissen.

”Sie machten Tests mit uns und fuhrten Gesprache und immer wieder

Gesprache, aber sie kamen nicht dahinter, was mit uns los war. Dann holtensie Spezialisten aus anderen europaischen Landern und als auch die nichtsrauskriegten, kamen Experten aus Amerika, Russland, Australien, Japan undChina. Die machten Kongresse, alles sehr geheim, niemand durfte davon wis-sen. Und sie schafften es auch, dass kein einziger Journalist was merkte.

Soll ich dir sagen, warum ich das alles so genau weiß? Sie wartete nichtauf meine Antwort. Ich habe gelauscht“, sagte sie,

”als meine Eltern sich

daruber unterhielten, saß ich auf dem Kronleuchter.“

”Ich lausche immer hinter der Tur“, verriet ich ihr

”und nun sag schon,

was haben all die Experten herausgefunden?“

”Es waren“, sagte sie und machte eine Pause um es spannend zu machen,

”es waren die Touristen, die waren schuld. Seit einiger Zeit fallen sie wie

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Page 32: Attila f ahrt nach Schottlandattilas-schafe.de/schottland.pdf1 Einladung nach Schottland Ich heiˇe Attila! Diesen Namen hat meine Mutter ausgesucht. Sie ist Geschichtslehrerin und

die Heuschrecken uber die Schlosser her. Jahrhundertelang konnten die Ge-spenster in Ruhe auf den Schlossern leben, ihre Kinder waren ausgeglichen,psychisch stabil, wie die Gespensterkinderpsychologen das nannten. Und nunlaufen in den Sommermonaten unzahlige Menschen durch die Schlosser. Siegucken in jeden Winkel, in jede Ecke. Denk mal, sie offnen sogar Truhen.“

”Tatsachlich“, sagte ich und merkte, wie ich rot wurde. Doch Katharina

hatte nichts bemerkt.

”Einer vom National Trust hatte dann die Idee, uns an einen versteckten

Ort zu bringen, wo wir in Ruhe schlafen konnen. Du weißt doch, Gespensterschlafen tagsuber und sind nachts wach.“

”Ja“, sagte ich,

”das weiß ich aus Gespenstergeschichten.“

”Unsere Verhaltensstorungen sind seitdem jedenfalls verschwunden“, sag-

te Katharina,”wie weggeweht.“

”Du meinst, ihr kampft nicht mehr, ihr seid ganz brav und macht alles,

was eure Eltern und Lehrer sagen?“

”Ja“, sagte Katharina,

”so ungefahr.“

”Komm“, sagte sie,

”wir gucken mal, ob die anderen schlafen.“

Sie glitzerte die Wendeltreppe nach unten und ich folgte ihr.Wenn ich das meinen Schafen erzahle, dachte ich, die glauben mir kein

Wort.Wo und wie schlafen Gespenster?

”Wir konnen auf Holz und auf Steinen schlafen“, sagte Katharina,

”wir

spuren keine Harte. Wir brauchen keine Decken und Kissen.“Und da lagen dann die Gespensterkinder uberall im Schloss verteilt und

schliefen, wahrend ich hinter Katharina durch die Raume ging, auf Socken,meine dicken Schuhe hatten zu viel Larm gemacht.

”Das ist meine Freundin Albertine“, sagte Katharina leise.

Albertine lag hinter einem Schrank und schnarchte ein bisschen. Nebenihr lag eine winzige Stoffmaus.

”Sie liebt Mause“, erklarte Katharina,

”und ich auch.“

Ich sah verschiedene Kuscheltiere bei den Gespensterkindern, aber einSchaf war nicht dabei. Unter einer Dachluke lagen Robert und William.

”Hier guck mal, das sind meine Nachbarn Robert und William“, sagte

Katharina.”

Neben den beiden lagen mehrere Bonbonpapiere.

”So viele haben die schon wieder gefuttert“, stellte Katharina fest.

”Ich dachte, Gespenster essen nicht“, sagte ich.

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”Wir essen auch nicht, sagte sie, nur eben Bonbons, die mogen wir genauso

gern wie andere Kinder. Und Diesel weiß das. Er bringt uns oft welche mit.Die Grunen mag ich am liebsten.“

”Das nachste Mal, wenn ich hierher komme, bringe ich dir welche mit“,

sagte ich, denn mir war eingefallen, dass man als Gespenst schlecht in denSupermarkt gehen und Bonbons kaufen kann.

”Du bist lieb“, sagte Katharina.

Ich glaube, ich wurde wieder rot. An Komplimente war ich nicht gewohnt.Auf der Haupttreppe angekommen, horte ich plotzlich Stimmen.

”Das ist der Hausmeister“, erklarte Katharina,

”komm, wir nehmen die

andere Treppe nach unten.“Ich lief geduckt hinter ihr her.

”Du kannst ganz normal gehen, der Mann kann dich nicht sehen“, sagte

sie,”er ist blind.“

”Wie kann er denn Hausmeister sein“, wunderte ich mich.

”Er hat fruher auf einem anderen Schloss gearbeitet, vor seinem Autoun-

fall. Der National Trust hat ihn hierher versetzt. Hier spielt es keine Rolle,ob er sehen kann oder nicht. Und wenn etwas ganz gefahrlich kaputt ist,kommt ein Handwerker aus dem Dorf. Seine Frau schimpft manchmal, wennwir Sachen rumliegen lassen und sie hat keine große Lust, sauberzumachen.Aber wir Gespensterkinder fuhlen uns wohl, wenn es Staub und Spinnwebengibt.“

”Komm, ich zeig’ dir meinen Lieblingsplatz im Garten“, sagte sie, und

ich lief hinter ihr her.Auf dem Lieblingsplatz von Katharina wuchsen jede Menge Brennnesseln.

Ich setzte mich auf einen Stein und zog meine Schuhe wieder an.

”Ganz schon dreckig, deine Socken“, meinte Katharina.

”Mrs Bennett kriegt alles wieder sauber“, erklarte ich ihr.

Und dann erzahlte ich von Mrs Bennett, von meinem Onkel und vonmeinen Eltern.

Katharina horte zu.”Und wie heißt dein Freund?“wollte sie dann wissen.

”Ich habe keinen“, sagte ich.

”Warum nicht? “

”Mich mag keiner leiden, mit mir will keiner spielen. Aber das macht mir

nichts aus. Ich bin lieber allein.“

”Warum will denn keiner mir dir spielen?“fragte sie nach einer Weile.

”Sie machen sich uber mich lustig. Weil ich nicht gut hore. Wenn alle

durcheinanderreden, kapiere ich nichts, da helfen auch die Horgerate nicht.

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Und dann lachen sie. Und ich werde wutend.“

”Sie lachen vielleicht nicht jedes Mal uber dich.“

”Genau das sagen meine Eltern auch.“

Die Lasche in meinem linken Schuh war schief und druckte. Aber ich hattekeine Lust, den Schuh noch mal auszuziehen.

”Und dann verstehe ich falsch“, sagte ich.

”Wie falsch?“fragte Katharina.

”Ich verstehe den Satz, aber nicht, wie er gemeint ist.“

”Ich dachte, man kann mit Horgeraten alles horen, so wie man mit einer

Brille alles sehen kann.“Ich schuttelte den Kopf.

”Bei Horgeraten gibt es auch noch Nebengerausche.

Nebengerausche musst du dir so vorstellen: Ich sitze in der U-Bahn oder inder S-Bahn und hore das Quietschen und Rattern der Rader wie verruckt,aber nicht das kleinste bisschen von dem, was der Junge neben mir sagt. Unddann verlier’ ich die Dinger so oft und es darf kein Dreck reinkommen undmanchmal drucken sie ekelhaft. Und jetzt will ich nicht mehr daruber reden,da sind Himbeeren, ich pfluck’ mir welche.“

Katharina kam mir nach.”Willst du mein Freund sein?“fragte sie.

Ich konnte nicht sofort antworten. In meinem Bauch kribbelte es so ko-misch.

”Ja“, sagte ich dann,

”gern.“

Ich hatte einen Freund! Auch wenn es ein Gespenst war und ein Madchen.Es war ein tolles Gefuhl, einen Freund zu haben. Ich aß Himbeeren undKatharina schlief. Es war ja ihre Schlafenszeit. Und dann schlief ich auch,obwohl das nicht meine Schlafenszeit war.

10 Das Feuer

Katharina weckte mich.”Der Bus ist weg“, sagte sie.

Ich brauchte einen Moment ehe ich kapierte, wo ich war und wovon siesprach.

”Du meinst...“

”Ja“, sagte sie,

”wir haben die Abfahrt verschlafen, ich hab’ eben nach-

gesehen, alle sind weg.“Ich sah mich um. Die Sonne stand schon ganz tief.

”Was passiert, wenn die anderen merken, dass du nicht im Bus bist?“fragte

ich.

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”Das geht schon in Ordnung, Gespensterkinder verpetzen sich nicht un-

tereinander.“

”Aber deine Eltern“, sagte ich,

”die machen sich doch Sorgen, wenn du

nicht nach Hause kommst.“

”Meine Eltern sind so mit sich selbst beschaftigt, die kriegen das gar nicht

mit. Sie streiten sich dauernd, vielleicht lassen sie sich sogar scheiden.“

”Nachdem sie nun schon so lange zusammengelebt haben?“Ich verstand

das nicht.”Sie sind doch schon jahrhundertelang verheiratet.“

”Ja, gerade deshalb, sie sagen, nun reicht es wirklich.“

Es musste schlimm sein, Eltern zu haben, die sich nicht vertrugen. Abermir fiel nichts Trostendes ein. Und dann fiel mir John ein. Um HimmelsWillen, um sechs Uhr wollte er mich am Drumlan Castle abholen. Ich erzahltees Katharina.

”Au wei“, sagte sie,

”was machen wir jetzt?“

”Ich muss erst mal was essen“, sagte ich,

”mit leerem Magen habe ich

nicht die allerkleinste Idee.“

”Komm“, sagte sie,

”wir gehen zur Schlosskuche, die ist da unten.“

Die Kuchenfenster befanden sich halb in der Erde, halb oberhalb. Siewaren geoffnet, aber ein Gitter war davor, so dass man nicht hineinkletternkonnte. Der Mann saß am Tisch und trank Bier, die Frau lief in der Kucheherum. Sie machte den Mund auf und zu.

”Was sagt sie?“

”Warte!“Katharina wurde unsichtbar und ich wartete.

”Sie will etwas Besonderes zum Abendessen kochen, weil das heute ihr

Hochzeitstag ist“, flusterte Katharina mir ins Ohr.

”Was denn?“

”Lammbraten“, antwortete sie, und ich stohnte, aber nur sehr leise, denn

es durfte ja keiner horen.

”Dazu will sie Pommes frites machen, die isst der Mann so gern. Und Eis

hinterher, ein richtiges Festessen.“Bei dem Gedanken an einen Eisbecher mit viel Zitronen- und Schokola-

deneis lief mir das Wasser im Mund zusammen. Und ordentlich Sahne drauf,dachte ich, da spurte ich Katharinas Kalte am Arm.

”Weg hier!“Ich presste mich an die Mauer bis ich platt wie eine Flunder

war.

”Der Mann hat was am Fenster gehort und die Frau hat nachgeguckt, was

das war“, sagte Katharina.”Wir mussen warten bis sie gekocht und gegessen

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haben und dann konnen wir uns in die Kuche schleichen und sehen, ob siewas ubriggelassen haben.“

”Bis dahin bin ich verhungert“, erklarte ich.

Katharina uberlegte.”Wir konnten im Vorratskeller gucken“, schlug sie

dann vor,”vielleicht finden wir da was.“

Gerauschlos offnete sie alle Turen. Ich hatte wieder meine Schuhe ausge-zogen und schlich auf Socken hinter ihr her.

Der Vorratskeller war stockdunkel und der Lichtschalter funktioniertenicht. Wie gut, dass Katharina hell wie eine Gluhlampe leuchten konnte.

Ich packte Toastbrot und ein Stuck Kase in meinen Rucksack. Als ichnach einer Packung Kekse griff, horte ich ein Schlurfen. Katharina hatte esauch gehort, sie machte sich sofort dunkel. Ich versteckte mich hinter einemRegal. Gerade rechtzeitig, die Hausmeisterfrau kam in den Vorratskeller. Sieknipste den Lichtschalter an, noch mal und noch mal. Aber er war ja kaputt.Langsam kam sie in den Raum, kam direkt auf mich zu. Mein Herz schlug biszum Hals. Doch sie blieb vor der Gefriertruhe stehen, nahm einiges herausund ging wieder.

”Pommes frites und Eis hat sie geholt“, sagte Katharina.

”Und ich hab‘ schon gedacht, sie hatte mich entdeckt“, sagte ich.

”Ich hatte dir irgendwie geholfen, Freunde machen das, dafur sind Freun-

de da. Und jetzt lass uns nach oben gehen, wahrend die da unten kochen undessen, konnen wir im Wohnzimmer fernsehen.“

Wir gingen also nach oben. Ich setzte mich auf die Couch und aß Brotund Kase, Katharina machte den Fernseher an.

”Ich liebe Fernsehen“, sagte sie.

”Du auch?“

”Nein“, sagte ich,

”es ist mir zu langweilig. Ich sitze nicht gern da und

gucke, was andere machen. Ich laufe lieber rum oder baue an meiner Lego-Eisenbahn.“

”Ich mag alles gucken“, sagte Katharina,

”sogar die Werbung, all die

schonen bunten Bilder und diese Quizsendung, die gerade lauft, habe ichschon ofter gesehen, sie ist wahnsinnig spannend. Du kannst viel Geld gewin-nen, und es ist ganz einfach, du musst nur wissen, was die gerade fragen.“

”Und was willst du mit dem gewonnenen Geld machen? Dir ein tolles

Auto kaufen? Vielleicht einen Ferrari?“Katharina lachte.

”Was wurdest du denn mit viel Geld machen?“

”Zum Mond fliegen“, sagte ich.

”Was willst du denn da oben, da ist doch nur Geroll. Und um da mitzu-

fliegen musst du nicht nur Geld haben, du musst auch topfit sein.“

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”Bin ich“, sagte ich,

”ich kann 100 Liegestutze hintereinander und ich

springe vom Drei-Meter-Brett.“

”Ins Wasser?“fragte Katharina entsetzt.

Ich wollte ihr noch mehr von meiner Fitness erzahlen und auch was ich aufdem Mond wollte, da horten wir Schreie, entsetzliche, furchterliche Schreie.

”Um Himmels Willen, das ist die Hausmeisterfrau, die da so schreit, da

muss was Schreckliches passiert sein.“Wir rannten den Korridor entlang, dann die Treppe hinunter. An einer

Stelle war der Laufer nicht richtig befestigt, ich rutschte aus, schoss Kobolzund landete auf dem Steinboden.

”Bist du verletzt?“fragte Katharina.

”Ich bin o.k.“, sagte ich,

”aber riechst du das auch?“Ein widerlicher Ge-

ruch nach Verbranntem stieg mir in die Nase. Aus dem Kellergeschoss kamRauch.

”Beeil’ dich, wir mussen gucken, was da los ist!“

Ich griff nach meinem Rucksack und wir rannten zur Kuche. Die branntelichterloh. Weil alles so voller Qualm war, konnte man schlecht gucken. Aberdann sah ich sie doch. Die Frau lag am Boden und der Mann hockte nebenihr.

”Wir mussen die beiden hier rausholen und schnell“, schrie ich.

Katharina versuchte, mit dem blinden Mann zu reden, aber er konnte sienicht horen. So wiederholte ich ihre Anweisungen und sagte ihm genau, waser machen sollte. Er packte die Schultern seiner Frau und ich nahm ihre Beineund so wuchteten wir sie die Treppe hinauf. In der Eingangshalle legten wirsie mal kurz ab, weil sie so schwer war und dann nichts wie raus.

Sie lag auf dem Rasen und stohnte, denn sie hatte Verbrennungen an denArmen und die taten bestimmt schrecklich weh. Wir mussten Hilfe holen,aber wie? In die Kuche konnten wir nicht zuruck. Und da ausgerechnet standdas einzige Telefon, das es im Schloss gab.

Das Handy meiner Großmutter! Ich suchte in meinem Rucksack.Hoffentlich ist es bei dem Sturz heil geblieben, betete ich.Es war heil und ich tippte die Nummer der Feuerwehr ein. Katharina sagte

sie mir. Sie sagte mir auch alles andere langsam und deutlich auf englisch vorund ich wiederholte es. Ich gab an, wo wir waren, dass es in der Schlosskuchebrannte, dass es eine verletzte Frau gab und dass sie so schnell wie moglichdie Feuerwehr und einen Krankenwagen schicken sollten.

Katharina hatte bisher immer deutsch mit mir gesprochen, das fiel mirplotzlich auf. Konnen Gespenster alle Sprachen? Ich musste sie fragen, spater,

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wenn das hier vorbei war. Erst einmal uberlegten wir, was wir fur die Frautun konnten.

Kaltes Wasser hilft bei Brandwunden! Woher ich das wusste? Ich hattemir die Finger bei meiner Großmutter verbrannt, als ich heimlich mal guckenwollte, ob der Kuchen schon fertig war.

”Du halst jetzt die Hand ganz lange

unter den kalten Wasserhahn“, hatte meine Großmutter gesagt. Und es hattegeholfen. Aber hier war kein Wasserhahn.

”Wir nehmen den Gartenschlauch!“Katharina hatte die Idee, nachdem

ich ihr von meiner Verbrennung erzahlt hatte. Sie wusste auch, wo einer war.Und wir hatten Gluck, dass er lang genug war, sonst hatten wir die Fraunoch mal schleppen mussen. Wir ließen ganz viel Wasser uber die Arme derFrau laufen. Und dann horten wir die Feuerwehr. Sie raste auf das Schlosszu und der Krankenwagen kam gleich hinterher.

11 Ich komme in die Zeitung

Mit der Feuerwehr war ich bisher nur auf dem Karrussel in Nienstetten ge-fahren. Meist hinten, weil da die Glocke ist. Jetzt saß ich vorn und fuhr ineiner richtigen Feuerwehr. Wie konnte man das verschlafen!

Katharina konnte. Sie war dicht neben mir und schlief. Ich horte es anihrem Atem. Der war ganz gleichmaßig. Jetzt war es an mir, dafur zu sorgen,dass sie nach Hause kam.

”I want to go to Gladis Castle, ich mochte zum Schloss Gladis“, sagte ich

den Feuerwehrmannern. Die schienen mich erst nicht verstanden zu haben.

”I want to go to Gladis Castle“, wiederholte ich.

Sie redeten miteinander. Sicher wunderten sie sich, was ich ausgerechnetda wollte. Dann nickten sie mir zu und wir fuhren hin.

Wir fuhren ziemlich lange, wahrend Katharina immer weiterschlief. Dannstoppte die Feuerwehr.

”Gladis Castle“, sagte einer der Feuerwehrleute.

”This is Gladis Castle.“

Wie sollte ich Katharina bloß wecken? Ich konnte doch nicht rufen, Ka-tharina wach auf. Ich uberlegte und dann pfiff ich meine Lieblingsmelodieaus Peter und der Wolf und das klappte. Katharina wachte auf.

”Wo sind wir?“fragte sie und ihre Stimme klang noch ganz verschlafen.

”Gladis Castle“, sagte ich.

”Yes, really Gladis Castle“, sagten die Feuerwehrleute und hielten mich

sicher fur bescheuert.

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”Danke, dass du mich nach Hause gebracht hast“, sagte Katharina.

”Please open the door, bitte offnen Sie die Tur“, mein Englisch wurde

richtig super und die Tur wurde geoffnet.

”Good-bye, auf Wiedersehen“, sagte Katharina und ihre Kuhle war einen

Moment lang ganz dicht an meinem Gesicht,”vergiss nicht, dass du mein

Freund bist.“Und dann sah ich, wie sie ganz schwach schimmernd uber den Rasen

schwebte.

”Go on, please, bitte weiterfahren“, sagte ich.

Die Feuerwehrleute warfen sich Blicke zu. Der kann nur verruckt sein,bedeuteten die. Niemand von ihnen hatte Katharina gehort oder gesehenund so auch nicht begriffen, warum wir hier hielten, warum sie die Tur offnensollten und warum wir jetzt, nachdem ihrer Meinung nach nichts geschehenwar, weiterfuhren.

Sie brachten mich zu dem Haus meines Onkels. Mrs Bennett hatte roteAugen, sie hatte geweint. Sie nahm mich in die Arme und wollte mich garnicht mehr loslassen. John sah mude aus. Wo der mich wohl uberall gesuchthatte. Meine Schafe waren vollig aus dem Hauschen.

”Erzahl’, erzahl’“, schrien sie durcheinander.

Bei solchem Krach quietscht es in meinen Horgeraten und das tut weh.

”Ich hole den Rohrstock!“sagte ich. Diese Drohung habe ich in einem alten

Kinderbuch gelesen und sie wirkt Wunder. Sie horten mir jetzt ruhig zu undich erzahlte von dem Bus, in den ich mich hinein geschmuggelt hatte, vondem Gespensterschloss, von Katharina, von dem Feuer, von der verletztenFrau, von dem blinden Mann und von der Feuerwehr. Und davon, wie siegeloscht hatten.

Das kleine Schaf fragte dreimal.”Nicht mit Wasser?“

”Nein, mit Schaum ist das Feuer erstickt worden“, erklarte ich,

”denn es

ist doch durch brennendes Fett entstanden. Die Friteuse war kaputt, und alsdie Frau die Pommes frites machen wollte, ist es passiert.“

”Erzahl uns alles noch mal von vorn“, sagten sie dann. Sie drangten sich

alle dicht an mich heran, um mich zu warmen, obwohl es ja eigentlich nichtkalt war.

Mrs Bennett hatte sich nicht getraut, meinen Onkel anzurufen und ihmzu sagen, dass ich verschwunden war. Sie sollte doch auf mich aufpassen undhatte sicher Angst, mein Onkel wurde ihr Vorwurfe machen, dass sie dasnicht richtig gemacht hatte.

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Er erfuhr alles aus der Zeitung. BOY RESCUES COUPLE FROM BUR-NING CASTLE! Junge rettet Ehepaar aus brennendem Schloss, stand in derschottischen Zeitung, im Scotsman. Ich war abgebildet, von der Seite. DieHande hatte ich durch die Trager meiner Lederhosen gesteckt. Die Schnallenund das Edelweiß waren gut zu erkennen. Im Hintergrund sah man einenFeuerwehrmann. Ich hatte bei den Loscharbeiten zugeguckt und nicht ge-merkt, dass ich fotografiert wurde. Katharina war nicht drauf, obwohl siegenau neben mir gewesen war. Sie hatte sich unsichtbar gemacht und nichtdas kleinste Glitzern war auf dem Foto zu sehen.

Mein Onkel kam am Abend aus London zuruck. Er ubersetzte mir denArtikel und ich erzahlte ihm alles, was nicht drin gestanden hatte, aber vonKatharina sagte ich kein Wort.

Die Leute vom Fernsehen riefen an, aber ich wollte nicht rein und meinOnkel war auch nicht dafur. Der Rummel reichte ihm schon so. Nachbarn undDorfbewohner kamen, um mir die Hand zu schutteln. Und als wir wieder einSchloss besichtigten, zeigte plotzlich einer auf mich und dann klickten die Fo-toapparate wie verruckt und die Leute fotografierten nicht etwa das Schloss,nein, sie fotografierten mich. Mein Onkel und ich, wir waren so schnell weg,ich konnte nicht mehr sehen, ob der schmutzig gelbe Bus kam, der die Ge-spensterkinder hin- und herfuhr.

Und dann kundigte sich Besuch an.”Er wollte mir nicht genau sagen,

was er von dir will“, sagte mein Onkel,”aber er ließ sich nicht abwimmeln,

er wollte unbedingt mit dir sprechen. Und ich hielt es dann fur besser, einenTermin mit ihm zu machen. Der Mann ist vom National Trust.“

Der Mann vom National Trust brachte mir ein Paket. In dem waren Haus-schuhe, aber keine gewohnlichen. Es waren Schafe. Das Hausmeisterehepaarhatte erfahren, dass ich Schafe so liebe, und sie wollten sich bei mir bedanken.

Und dann wollte der Mann vom National Trust wissen, wie ich zu die-sem Schloss gekommen bin, was ich da gemacht hatte und ob ich irgendwasgemerkt hatte. Er fragte immer wieder, aber ich verriet nichts.

Und dann ging er. Vorher kriegte ich noch ein Geschenk von ihm.”Du

darfst ab jetzt alle Einrichtungen des National Trust besuchen, ohne Eintrittzu bezahlen“, sagte er und gab mir eine Karte, da war ein dicker Stempeldrauf.

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12 Ruckfahrt

Mit der Karte hatte ich zu gern noch Gladis Castle besichtigt, aber meinOnkel wollte nach unserer letzten Schlossbesichtigung keine weitere mehrmit mir machen.

”Wenn du das nachste Mal kommst, besichtigen wir wieder

Schlosser“, sagte er,”dann haben die Leute vergessen, dass du in der Zeitung

warst. Die Menschen vergessen schnell.“Und dann war es auch schon soweit. Doktor Weiß kam und holte mich

ab. Und wisst ihr, wer noch mitfuhr? Ja richtig, mein Onkel. Er setzte sichhinten auf das Motorrad von Doktor Weiß, hielt sich gut fest, ich klettertewieder in den Beiwagen und los ging die Fahrt!

Einen Helm hatte sich mein Onkel noch vorher gekauft, der war knall-rot wie die Feuerwehr. Wir fuhren nach Newcastle und dann ging es aufsSchiff. Ich spielte wieder an den Automaten, aber diesmal hatte ich nicht daskleinste bisschen Gluck. Vielleicht lag es daran, dass ich mich nicht richtigkonzentrierte. Ich musste immer daran denken, was mein Vater sagen wurde,wenn er seinen Bruder wiedersah. Konnte es passieren, dass er ihn gar nichtreinließ? Das durfte ich nicht zulassen. Wenn man einen Bruder hatte, mussteman sich mit dem vertragen. Aber ich hatte gut reden, ich hatte ja keinen.Und wenn ich einen hatte, ob ich mich dann mit dem vertragen wurde, oderversohnen, wenn wir uns mal gezankt hatten. Und die beiden hatten sich jaso doll gezankt!

Mein Onkel sah, wie zappelig ich war. Ich lief auf den Gangen auf undab, die Treppen rauf und runter...

”Ich will mich mit deinem Vater versohnen, ich werde ihm sagen, dass ich

ihm verziehen habe und dass ich nicht mehr bose auf ihn bin“, erklarte ermir.

”Das finde ich prima“, sagte ich und ging, nachdem ich zum Abendbrot

wieder Vanillepudding, Rote Grutze, Wackelpudding und Schokoladentortegegessen hatte, beruhigt ins Bett.

Die Fahrt durch Holland ging so schnell wie auf der Hinfahrt und dannkamen die Schilder Hamburg. Wir fuhren von der Autobahn ab und dieElbchaussee entlang. Da war unser Haus. Mit meinem Onkel zusammen standich davor.

”Papa, dein Bruder will sich mit dir versohnen“, sagte ich, als mein Vater

offnete. Ich gab meinem Onkel einen klitzekleinen Schubs, obwohl man dasja als Kind bei Erwachsenen nicht macht, aber mein Onkel stand so fest da,dass man dachte, er ware mit Uhu angeklebt.

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Und dann fielen sich die Bruder in die Arme und lachten und redeten undlachten und redeten die ganze Nacht, weil sie sich ja so lange nicht gesehenhatten und sich so viel zu erzahlen hatten. Und meine Mama und ich liefenauf Zehenspitzen um die beiden herum, um sie ja nicht zu storen, bei ihrerVersohnung.

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