Auf den Trümmern der Unterbringungsgesetze der Länder und im Niemandsland zwischen Einsichts- und...

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DOI: 10.1007/s00350-013-3498-x Auf den Trümmern der Unterbringungsgesetze der Länder und im Niemandsland zwischen Einsichts- und Einwilligungsfähigkeit Adrian Schmidt-Recla I. Ein Rechtsgebiet in Bewegung Das zivile und das öffentliche Fürsorgerecht sind seit dem Inkrafttreten des FamFG und der §§ 1901a–1901c BGB im Jahre 2009 in heftige Bewegung geraten. Betreuung, Unterbringung, konsentierter Behandlungsabbruch und abgelehnte Zwangsbehandlung werden auf allen Ebe- nen kollektiver Willensbildung diskutiert. Treibende Kraft dabei ist eine selbst durch unzufriedene, von als ungerechtfertigt empfundenen Fürsorgemaßnahmen be- troffenen Personen getriebene Institution – das BVerfG. Nachdem es bereits 2009 eine langjährige prozessuale Übung, mit der sich die beteiligten Gerichte und Be- hörden Kenntnis über die Lebensumstände betroffener Personen verschafften, für nicht verfassungskonform erklärt und damit sofortige Nacharbeiten am eben erst in Kraft gesetzten FamFG erzwungen hatte 1 , sorgte es 2011 bezüglich der medikamentösen Zwangsbehandlung in geschlossenen Einrichtungen dafür, dass Eingriffsbe- fugnisse aus dem öffentlichen Maßregelvollzugs- bzw. Unterbringungsrecht (zunächst für Rheinland-Pfalz und Baden-Württemberg) implodierten 2 . In den beiden betreffenden Entscheidungen hat es einen Kriterienka- talog aufgestellt, an dem die rechtliche Zulässigkeit der (antipsychotisch-medikamentösen) Zwangsbehandlung sich hinfort zu orientieren hatte 3 . Der BGH sah sich 2012 – nachdem er 2006 eine innerprivatrechtliche Lösung versucht hatte 4 – gezwungen, die verfassungsgerichtliche Rechtsprechung für das bürgerliche Recht nachzuvoll- ziehen 5 und entgegen früherer Rechtsprechung anzuer- kennen, dass das BGB bis dahin keine Möglichkeit dafür vorsah, dass ein Betreuer in eine Zwangsbehandlung ein- willigte. Diese BGH-Entscheidung hat den Gesetzgeber zum Handeln gezwungen und zur neuen Fassung des § 1906 BGB 6 geführt. In der in diesem Heft abgedruckten Entscheidung musste das BVerfG jüngst wieder zu den Eingriffsbefugnissen zur Zwangsbehandlung aus dem öffentlichen (Landes-)Recht zurückkehren und es deklinierte den 2011 aufgestellten Kriterienkatalog erneut durch. Das Ergebnis war abzuse- hen 7 : Die betreffenden Ermächtigungsgrundlagen des säch- sischen PsychKG – das in der sächsischen Selbstwahrneh- mung damit verbunden war, rechtsstaatlich und vorbildlich auf Zwangsbehandlungen in der DDR-Psychiatrie reagiert zu haben – sind an diesem Kriterienkatalog gescheitert (II.). Interessant ist dabei, wie das BVerfG in der vorliegenden Entscheidung versucht, sich aus einem selbst projektierten Niemandsland zurückzuziehen, und welche Probleme sich damit verknüpfen – vgl. dazu II.2.a) aa)–cc) im folgenden Text. Dieser Besprechungsaufsatz schließt mit einer kurzen Zwischensumme (III.). II. Verfassungsrechtliche Anforderungen an Ermächtigungsgrundlagen zur antipsychotisch- medikamentösen Zwangsbehandlung 1. Die Zwangsbehandlung im sächsischen Unterbringungsrecht An der die Streitigkeiten zwischen dem Beschwerdeführer und seinen Ärzten entscheidenden Grundnorm 8 des § 22 Abs. 1 S. 1 PsychKG SN fällt zunächst auf, dass sie nicht umreißt, für welche einzelnen Behandlungsmaßnahmen sie gelten soll 9 . Die Norm ist keine Katalog- oder Definiti- onsvorschrift, wie sie in modernen Gesetzen üblich gewor- den sind. Sie beschränkt sich darauf zu erklären, dass für alle Behandlungsmaßnahmen in der öffentlich-rechtlichen oder der Maßregelvollzugsunterbringung die Einwilligung des Patienten oder seines gesetzlichen Vertreters notwendig sei. Für Medizinrechtler ist das an sich schon selbstverständ- lich. Sonderbar mutet zudem an, dass die Vorschrift ein Erforderlichkeitskriterium einbaut, das aus medizinrecht- licher Sicht überholt und unnötig ist: Behandlungsmaß- nahmen in der Unterbringung müssen, so S. 1, nach den anerkannten Regeln der ärztlichen Kunst erforderlich sein. Prof. Dr. iur. Adrian Schmidt-Recla, Universität Leipzig, Juristenfakultät, Burgstraße 27, 04109 Leipzig, Deutschland MedR (2013) 31: 567–570 567 1) BVerfG, FamRZ 2009, 1814 ff.; vgl. dazu Schmidt=Recla/Diener, FamRZ 2010, 696–702. 2) BVerfGE 128, 282–322 = NJW 2011, 2113–2120; und BVerfGE 129, 269–283 = NJW 2011, 3571 f. 3) Kurzfassung in der Problemstellung zur aktuellen Entscheidung des BVerfG in diesem Heft; (1)-(6). 4) Eine kurze Skizze dieser Lösung bei Schmidt=Recla/Diener, MedR 2013, 6–11, 9. Das Modell wurde ausgearbeitet von Volker Lipp; vgl. dens., Freiheit und Fürsorge, 2000; dens., BtPrax 2005, 6 ff.; dens., BtPrax 2008, 51 ff.; und schließlich dens., FamRZ 2012, 669 ff. Der BGH orientierte sich daran in der Entscheidung BGHZ 166, 141 ff. = MedR 2007, 104–107 = NJW 2006, 1277–1281. 5) BGHZ 193, 337–353 = MedR 2013, 39–44 (m. Anm. Olzen/ Götz) = NJW 2012, 2967–2972. 6) Vgl. § 1906 BGB i. d. F. des Gesetzes zur Regelung der betreu- ungsrechtlichen Einwilligung in eine ärztliche Zwangsmaßnahme v. 18. 2. 2013, BGBl. I S. 266 ff.; in Kraft seit dem 26. 2. 2013. 7) Irritierend ist, wie die am vorliegenden Verfahren beteiligten sächsischen Gerichte und Institutionen (AG, LG, OLG, Sächsische Staatsregierung) noch 2012 versuchten, Positionen zu retten, die seit März 2011 nicht mehr zu verteidigen waren und die andere (BGH, Bundesregierung) mittlerweile geräumt hatten. Um dem Beschwerdeführer die Verfassungsbeschwerde zu ersparen, hätte es nur eine Richtervorlage gebraucht. Trotz eigener Zweifel an der Verfassungsgemäßheit von § 22 PsychKG SN griff das OLG nicht dazu und zögerte nicht, Art. 1 GG gegen die Art. 2 Abs. 2 S. 1 GG durchsetzende Rechtsprechung des BVerfG in schiefe Stellung zu bringen. Das BVerfG würdigte diesen Versuch mit keinem Wort. 8) Der ebenfalls umstrittene § 23 PsychKG SN 2007 erlaubt unmit- telbare Gewalt bei duldungspflichtigen Maßnahmen. Er ist hinfäl- lig, wenn schon keine Duldungspflicht besteht. 9) Insoweit ist § 22 PsychKG SN kein Einzelfall. Verwiesen sei der Kürze halber nur auf § 30 PsychKG BLN, § 13 UnterbrG BAY und § 18 PsychKG NRW.

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DOI: 10.1007/s00350-013-3498-x

Auf den Trümmern der Unterbringungsgesetze der Länder und im Niemandsland zwischen Einsichts- und EinwilligungsfähigkeitAdrian Schmidt-Recla

I. Ein Rechtsgebiet in Bewegung

Das zivile und das öffentliche Fürsorgerecht sind seit dem Inkrafttreten des FamFG und der §§ 1901a–1901c BGB im Jahre 2009 in heftige Bewegung geraten. Betreuung, Unterbringung, konsentierter Behandlungsabbruch und abgelehnte Zwangsbehandlung werden auf allen Ebe-nen kollektiver Willensbildung diskutiert. Treibende Kraft dabei ist eine selbst durch unzufriedene, von als ungerechtfertigt empfundenen Fürsorgemaßnahmen be-troffenen Personen getriebene Institution – das BVerfG. Nachdem es bereits 2009 eine langjährige prozessuale Übung, mit der sich die beteiligten Gerichte und Be-hörden Kenntnis über die Lebensumstände betroffener Personen verschafften, für nicht verfassungskonform erklärt und damit sofortige Nacharbeiten am eben erst in Kraft gesetzten FamFG erzwungen hatte 1, sorgte es 2011 bezüglich der medikamentösen Zwangsbehandlung in geschlossenen Einrichtungen dafür, dass Eingriffsbe-fugnisse aus dem öffentlichen Maßregelvollzugs- bzw. Unterbringungsrecht (zunächst für Rheinland-Pfalz und Baden-Württemberg) implodierten 2. In den beiden betreffenden Entscheidungen hat es einen Kriterienka-talog aufgestellt, an dem die rechtliche Zulässigkeit der (antipsychotisch-medikamentösen) Zwangsbehandlung sich hinfort zu orientieren hatte 3. Der BGH sah sich 2012 – nachdem er 2006 eine innerprivatrechtliche Lösung versucht hatte 4 – gezwungen, die verfassungsgerichtliche Rechtsprechung für das bürgerliche Recht nachzuvoll-ziehen 5 und entgegen früherer Rechtsprechung anzuer-kennen, dass das BGB bis dahin keine Möglichkeit dafür vorsah, dass ein Betreuer in eine Zwangsbehandlung ein-willigte. Diese BGH-Entscheidung hat den Gesetzgeber zum Handeln gezwungen und zur neuen Fassung des § 1906 BGB 6 geführt.

In der in diesem Heft abgedruckten Entscheidung musste das BVerfG jüngst wieder zu den Eingriffsbefugnissen zur Zwangsbehandlung aus dem öffentlichen (Landes-)Recht zurückkehren und es deklinierte den 2011 aufgestellten Kriterienkatalog erneut durch. Das Ergebnis war abzuse-hen 7: Die betreffenden Ermächtigungsgrundlagen des säch-sischen PsychKG – das in der sächsischen Selbstwahrneh-mung damit verbunden war, rechtsstaatlich und vorbildlich auf Zwangsbehandlungen in der DDR-Psychiatrie reagiert zu haben – sind an diesem Kriterienkatalog gescheitert (II.). Interessant ist dabei, wie das BVerfG in der vorliegenden Entscheidung versucht, sich aus einem selbst projektierten Niemandsland zurückzuziehen, und welche Probleme sich damit verknüpfen – vgl. dazu II.2.a) aa)–cc) im folgenden Text. Dieser Besprechungsaufsatz schließt mit einer kurzen Zwischensumme (III.).

II. Verfassungsrechtliche Anforderungen an Ermächtigungsgrundlagen zur antipsychotisch-medikamentösen Zwangsbehandlung

1. Die Zwangsbehandlung im sächsischen Unterbringungsrecht

An der die Streitigkeiten zwischen dem Beschwerdeführer und seinen Ärzten entscheidenden Grundnorm 8 des § 22 Abs. 1 S. 1 PsychKG SN fällt zunächst auf, dass sie nicht umreißt, für welche einzelnen Behandlungsmaßnahmen sie gelten soll 9. Die Norm ist keine Katalog- oder Definiti-onsvorschrift, wie sie in modernen Gesetzen üblich gewor-den sind. Sie beschränkt sich darauf zu erklären, dass für alle Behandlungsmaßnahmen in der öffentlich-rechtlichen oder der Maßregelvollzugsunterbringung die Einwilligung des Patienten oder seines gesetzlichen Vertreters notwendig sei. Für Medizinrechtler ist das an sich schon selbstverständ-lich. Sonderbar mutet zudem an, dass die Vorschrift ein Erforderlichkeitskriterium einbaut, das aus medizinrecht-licher Sicht überholt und unnötig ist: Behandlungsmaß-nahmen in der Unterbringung müssen, so S. 1, nach den anerkannten Regeln der ärztlichen Kunst erforderlich sein.

Prof. Dr. iur. Adrian Schmidt-Recla, Universität Leipzig, Juristenfakultät, Burgstraße 27, 04109 Leipzig, Deutschland

MedR (2013) 31: 567–570 567

1) BVerfG, FamRZ 2009, 1814 ff.; vgl. dazu Schmidt=Recla/Diener, FamRZ 2010, 696–702.

2) BVerfGE 128, 282–322 = NJW 2011, 2113–2120; und BVerfGE 129, 269–283 = NJW 2011, 3571 f.

3) Kurzfassung in der Problemstellung zur aktuellen Entscheidung des BVerfG in diesem Heft; (1)-(6).

4) Eine kurze Skizze dieser Lösung bei Schmidt=Recla/Diener, MedR 2013, 6–11, 9. Das Modell wurde ausgearbeitet von Volker Lipp; vgl. dens., Freiheit und Fürsorge, 2000; dens., BtPrax 2005, 6 ff.; dens., BtPrax 2008, 51 ff.; und schließlich dens., FamRZ 2012, 669 ff. Der BGH orientierte sich daran in der Entscheidung BGHZ 166, 141 ff. = MedR 2007, 104–107 = NJW 2006, 1277–1281.

5) BGHZ 193, 337–353 = MedR 2013, 39–44 (m. Anm. Olzen/Götz) = NJW 2012, 2967–2972.

6) Vgl. § 1906 BGB i. d. F. des Gesetzes zur Regelung der betreu-ungsrechtlichen Einwilligung in eine ärztliche Zwangsmaßnahme v. 18. 2. 2013, BGBl. I S. 266 ff.; in Kraft seit dem 26. 2. 2013.

7) Irritierend ist, wie die am vorliegenden Verfahren beteiligten sächsischen Gerichte und Institutionen (AG, LG, OLG, Sächsische Staatsregierung) noch 2012 versuchten, Positionen zu retten, die seit März 2011 nicht mehr zu verteidigen waren und die andere (BGH, Bundesregierung) mittlerweile geräumt hatten. Um dem Beschwerdeführer die Verfassungsbeschwerde zu ersparen, hätte es nur eine Richtervorlage gebraucht. Trotz eigener Zweifel an der Verfassungsgemäßheit von § 22 PsychKG SN griff das OLG nicht dazu und zögerte nicht, Art. 1 GG gegen die Art. 2 Abs. 2 S.  1 GG durchsetzende Rechtsprechung des BVerfG in schiefe Stellung zu bringen. Das BVerfG würdigte diesen Versuch mit keinem Wort.

8) Der ebenfalls umstrittene § 23 PsychKG SN 2007 erlaubt unmit-telbare Gewalt bei duldungspflichtigen Maßnahmen. Er ist hinfäl-lig, wenn schon keine Duldungspflicht besteht.

9) Insoweit ist § 22 PsychKG SN kein Einzelfall. Verwiesen sei der Kürze halber nur auf § 30 PsychKG BLN, § 13 UnterbrG BAY und § 18 PsychKG NRW.

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Auf die ärztliche Kunst (oder den Kunstfehler) stellt das Medizinrecht schon lange nicht mehr ab – vor allem, weil die Medizin eine nach möglichst objektivierbaren Krite-rien forschende, handelnde und damit nachprüfbare Wis-senschaft und keine Kunst ist, die sich der Standardisierung und Objektivierung entzöge. Eine gewisse Rückwärtsge-wandtheit lässt sich dem bisherigen Wortlaut des § 22 Abs. 1 S. 1 PsychKG SN 2007 daher nicht absprechen 10. Unnötig ist die Klausel, weil Ärzte ohnehin nur erforderliche (= in-dizierte) Behandlungen vornehmen dürfen. Die Indikation ist hier stets eine psychiatrische.

2. Der Kriterienkatalog des BVerfG und daran anknüpfende Probleme

Die Einwände des BVerfG gegen die hier umstrittene Re-gelung 11 lassen sich in zwei Komplexe gliedern. Im materi-ellen Recht (im Folgenden sub a) abgehandelt) vermisst das BVerfG klare Eingriffsvoraussetzungen. Diese Eingriffsvo-raussetzungen werfen durchaus veritable Schwierigkeiten auf. Daneben fehlt es (hier kürzer sub b) diskutiert) an pro-zessrechtlichen Absicherungen gegen einseitig oktroyierte Entscheidungen und an ausreichendem rechtlichen Gehör für die von Zwangsbehandlungen betroffenen Personen.

a) Die Eingriffsvoraussetzungen, die in den betreffenden Landesgesetzen bundesweit nachzutragen sind, lassen sich mittlerweile an § 1906 Abs. 3 BGB n. F. ablesen. Es geht um Anlass, Zweck und Verhältnismäßigkeit der Behand-lung. Damit wird der Zwangsbehandlung von vornherein ein enges Korsett angelegt. Anlass einer medikamentösen Zwangsbehandlung kann nur der Umstand sein, dass die betroffene Person auf Grund einer psychischen Krankheit oder einer geistigen oder seelischen Behinderung nicht er-kennen kann, dass die ärztliche Maßnahme notwendig ist, oder dass sie nicht nach dieser Einsicht handeln kann. Das wird bei manifesten psychotischen Erkrankungen häufig gegeben sein 12. Allerdings ist hier wichtig zu betonen, dass nicht schon daraus, dass die betroffene Person die ärztli-cherseits für notwendig gehaltene Behandlung nicht dul-den will, auf die eingriffslegitimierende Unfähigkeit, sich frei selbst zu bestimmen, geschlossen werden darf 13.

Solcherart veranlasste Zwangsbehandlungen können (auch insoweit müssen die Ländergesetze § 1906 BGB n. F. ähneln) nur zu dem Zweck vorgenommen werden, von der betroffenen Person einen ihr drohenden erheblichen ge-sundheitlichen Schaden zu ihrem Wohl abzuwenden. Fer-ner muss die Behandlung alternativlos sein (der drohende gesundheitliche Schaden darf nicht durch eine andere zu-mutbare Maßnahme erreicht werden können) und muss der zu erwartende Nutzen der Behandlung die abzusehenden Beeinträchtigungen deutlich überwiegen. Alle Landesge-setze, die eine solche Anlass-, Zweck- und Verhältnismä-ßigkeitsbeschreibung bisher nicht aufweisen, müssen geän-dert werden.

aa) Problematisch erscheint nach diesen engen Zulässig-keitsvoraussetzungen die vom BVerfG erneut 14 aufgestell-te Forderung, wonach die Ermächtigungsgrundlage zur Zwangsbehandlung den Ärzten vorschreiben müsse, dass sie sich vor der Behandlung darum zu bemühen hätten, mit der betroffenen Person einen Konsens über die Behand-lung herbeizuführen. Das BVerfG spricht im vorliegenden Beschluss vom Versuch, die „freiwillige Zustimmung“ der betroffenen Person zu erwirken. Das hat sich auch in § 1906 Abs. 4 BGB n. F. niedergeschlagen. Der Sinn dieser Forde-rung erschließt sich nicht. Es mag zwar sinnvoll sein, dass BVerfG und Gesetzgeber den Ärzten insoweit ins Gewis-sen reden – Ärzte sind als der Gesundheit und der Selbst-bestimmung des Patienten verpflichtete Vertragspartner und Leistungserbringer hierzu aber ohnehin und immer verpflichtet und wissen das in aller Regel auch ohne die juristische Belehrung. Es lohnt sich, das Betreuungs- und

Unterbringungsrecht insoweit vom allgemeinen Medizin- bzw. Arztrecht her zu denken und nicht umgekehrt. Aus dieser Perspektive ist die Formulierung so überflüssig wie die des § 1901 b Abs. 1 S. 1 BGB.

bb) Außerdem ist die Forderung perplex: Wenn auf-grund sachverständiger Beurteilung feststeht, dass die be-troffene Person auf Grund einer psychischen Krankheit oder einer geistigen oder seelischen Behinderung nicht er-kennen kann, dass die ärztliche Maßnahme notwendig ist, oder dass sie nicht nach dieser Einsicht handeln kann – und nur dann ist die Zwangsbehandlung allenfalls erlaubt und möglich –, dann muss nicht mehr nach Konsens gestrebt werden. Solche Personen können keinen rechtlich rele-vanten Willen bilden und eine eventuelle Zustimmung entpuppte sich als schöner Wahn, hinter dem sich die Be-teiligten allenfalls gegenseitig beruhigen könnten. Das BVerfG glaubt differenzieren zu können: Die den Anlass der Behandlung bildende krankheitsbedingte Unfähigkeit zu verhaltenswirksamer Einsicht (kurz: krankheitsbeding-te Einsichtsunfähigkeit) sei nicht gleichbedeutend mit der Einwilligungsunfähigkeit 15. Das kann einen juristische Weisheiten rezipierenden Arzt schon ratlos machen; offen-bar soll es möglich sein, krankheitsbedingt nicht einsehen zu können, dass die antipsychotisch-medikamentöse Be-handlung notwendig sei, und andererseits doch wirksam in diese Behandlung einwilligen zu können. Beunruhigend an diesem Begriffstohuwabohu ist, dass das BVerfG diese unterschiedlichen Kategorien ohne moderne psychopa-thologische, willens-, neuro-, verhaltens- und affektpsy-chologische Beratung ausmachen zu können glaubt. In der zweiten 2011 ergangenen Entscheidung wurde diese Differenzierung etwas relativiert 16 und nun hat sich das BVerfG noch weiter zurückgezogen. Unter Bezug auf ei-nen Aufsatz von Martin Böse 17 unterscheidet es nun zwi-schen der Fähigkeit zu positiver Einwilligung in eine ärzt-lich indizierte Behandlung einerseits und der Vetofähigkeit andererseits und gibt zu bedenken, dass bestimmte (etwa paranoische) psychische Erkrankungen nur die letztere Fä-higkeit beeinträchtigen könnten 18. Abgesehen davon, dass die Unterscheidung zwischen Einwilligungsfähigkeit und Vetofähigkeit ein seit langem (vgl. nur § 1905 Abs. 1 S. 1

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10) Das heißt nicht, dass andere PsychKG/UBG’e moderner wären; vgl. Art. 13 UnterbrG BAY.

11) Vor dem BVerfG hat schon Jens Diener in seiner Leipziger Disserta-tionsschrift § 22 PsychKG SN für verfassungswidrig gehalten; vgl. dazu demnächst dens., Patientenverfügungen psychisch kranker Personen und fürsorglicher Zwang, 2013 (im Erscheinen).

12) Schwieriger dürfte das bei den Persönlichkeitsstörungen sein. Auch hier aber werden Neuroleptika eingesetzt; vgl. nur den Sachverhalt der Entscheidung BVerfGE 129, 269, 271.

13) BVerfGE 128, 282, 308. Das muss in Zukunft in den ärztlichen Gutachten klar herausgearbeitet werden.

14) Vgl. schon BVerfGE 128, 282, 307.15) Vgl. BVerfGE 128, 282, 310: der grundrechtseingreifende Cha-

rakter der Zwangsbehandlung hänge nicht von der Einsichts- und Einwilligungsfähigkeit ab; S.  307: die verfassungsrecht-liche Zulässigkeit einer medizinischen Behandlung habe strikt dessen krankheitsbedingte Unfähigkeit zu verhaltenswirksamer Einsicht zur Voraussetzung; S.  310: auch beim Einwilligungs-unfähigen sei daher ärztliche Aufklärung nicht von vornherein entbehrlich.

16) Vgl. BVerfGE 129, 269, 281: „… auch wenn man annehmen wollte, dass …“.

17) Böse, Zur Rechtfertigung von Zwangsbehandlungen einwilli-gungsunfähiger Erwachsener, in: FS f. Claus Roxin, 2011, Bd. 1, S. 523–536, besonders S. 529. Zum Problem umfassend Amelung, Vetorechte beschränkt Einwilligungsfähiger in Grenzbereichen medizinischer Intervention, 1995.

18) Es könnte „die Möglichkeit zu erwägen sein …“: Aus den Grün-den I. 3. b) aa) (1). Nicht sehr hilfreich ist es, wenn das BVerfG auch hier wieder nicht auf psychopathologische oder willenspsy-chologische Beratung oder Literatur zurückgreift.

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BGB und daneben § 2 Abs. 2 S. 3 und § 8 a S. 1 Nr. 4 TPG; verwiesen werden kann auch auf den Rechtsgedanken des § 1626 Abs.  2 BGB 19) eingeführtes Instrument ist, geht es im vorliegenden Kontext nicht darum. Dass es darum auch gar nicht gehen kann, zeigen die Streitigkeiten: Wür-de bei der antipsychotisch-medikamentösen Behandlung ein Vetorecht akzeptiert, könnte sie in zahlreichen Fällen niemals stattfinden. Das Medizinrecht stellt nicht auf eine generelle Einwilligungsfähigkeit ab und ist deshalb auch nicht gezwungen, so konstruiert zu differenzieren. Ob der Patient einwilligungsfähig ist, wird vielmehr immer ein-griffsspezifisch geprüft 20, Referenzmaße 21 lassen sich nicht begründen. Es existiert kein Unterschied zwischen dem, was das BVerfG als Anlass der Zwangsbehandlung akzep-tiert, und der (eingriffsbezogenen) Einwilligungsunfähig-keit. Hineingeraten in dieses Niemandsland ist das BVerfG durch den (unterstützenswerten) Versuch, die zwangsbe-handelnden Ärzten zu mehr Rücksicht gegenüber den (vielleicht gestörten, vielleicht aber auch nicht gestörten) Befindlichkeiten ihrer psychisch kranken Patienten aufzu-fordern. Der angemessene Standort dafür wäre aber wohl eher das Berufsrecht.

cc) Letztlich steckt hinter diesem Kriterium der verfas-sungsgerichtlichen Rechtsprechung (unter umgekehrten Vorzeichen) derselbe Gedanke, der auch den Gesetzgeber den Rechtsbegriff des „natürlichen“ Willens für das Pro-blem der Einwilligungsunfähigkeit hat verwenden lassen (vgl. §§ 1905 Abs.  1 S.  1 Nr.  1 22, und ganz aktuell 1906 Abs.  3 S.  1 BGB n. F.). Das scheint einfacher zu sein als es ist, denn dieser Begriff wird bisher auch in Kontexten verwendet, die zwar irgendwie (nähere Konkretisierungs-versuche fehlen) mit der Einwilligungsfähigkeit verwandt zu sein scheinen, die aber doch ganz unterschiedliche Probleme betreffen (die folgenden Beispiele sind nicht er-schöpfend). Der natürliche Wille als Rechtsbegriff taucht als Gegenpol zum rechtsgeschäftlichen Willen etwa bei der Besitzerlangung auf 23, wird deshalb für §§ 104 ff. BGB 24, mitunter auch bei der Geschäftsführung ohne Auftrag 25 und bei den Voraussetzungen für das Getrenntleben von Ehegatten (§ 1567 BGB) genannt 26 und kann Rechtsfolgen bei über Vertragsende hinaus fortgesetzter Arbeitsleistung auslösen 27. Die Rechtsprechung verwendet ihn auch, um Schuldfähigkeitsproblemen bei der Pflichtteilsentziehung (§ 2333 BGB) aus dem Weg gehen zu können 28, um bei § 239 StGB eine Strafbarkeit annehmen zu können, wenn der Täter eine psychisch kranke oder (und) minderjährige Person ihrer „Freiheit“ beraubt 29 oder um nach § 218 Abs. 2 StGB die Strafe schärfen zu können, wenn der die Schwan-gerschaft abbrechende Arzt einen dem Abbruch eventuell entgegenstehenden (mindestens: natürlichen) Willen der Schwangeren bricht 30. Der natürliche Wille kehrt schließ-lich auch im Betreuungsverfahrensrecht wieder, wenn es darum geht zu begründen, warum § 275 FamFG die Verfah-rensfähigkeit von psychisch kranken Personen anerkennt 31. Ein keineswegs ausdiskutiertes, geschweige denn gesetzlich gelöstes Problem stellt schließlich die Frage dar, ob eine Pa-tientenverfügung im Zustand der Einwilligungsunfähig-keit mit „natürlichem Willen“ widerrufen werden kann 32. Es mag zwar vielleicht eine „common sense“-Vorstellung darüber geben, was mit „natürlichem Willen“ gemeint sein könnte – es erscheint aber angesichts der Häufung der Rechtsfigur im jüngeren Fürsorgerecht notwendig, juris-tisch zu klären, was darunter und was ferner unter einem Konsens mit einwilligungsunfähigen Personen verstanden werden soll. Da der Text des BGB seit dem Jahre 2005 auch den „freien Willen“ kennt (§ 1896 Abs. 1a BGB) – ein überraschender Befund nach den Mühen, unter denen die „freie Willensbestimmung“ bis 1934 aus dem StGB ver-schwand 33  –, ist das Bedürfnis nach einer psychowissen-schaftlich abgestützten Begriffsklärung für das Privatrecht mit Händen greifbar 34.

dd) Aktuell nicht geprüft hat das BVerfG die Frage, ob bestimmte medikamentöse Behandlungsmethoden gene-rell verboten sein sollen. Nun wäre das a priori eine nicht ohne Weiteres zu rechtfertigende Direktion medizinischen Standards. Anhalt danach zu fragen ergibt sich aber etwa aus § 30 Abs. 4 PsychKG BLN. Diese Norm erklärt, dass eine Behandlung, die die Persönlichkeit des Untergebrach-ten in ihrem Kernbereich ändern würde, unzulässig sei. Die Frage war auch 2011 im ersten Beschluss des BVerfG zum Problem kurz aufgetaucht; dort hatte eine Stellungnahme des Präsidenten der DGPPN ergeben, dass Neuroleptika nach dem Absetzen keine bleibenden Persönlichkeitsverän-derungen hinterließen 35. Warum auf das Absetzen der Psy-chopharmaka abgestellt wird, erschließt sich mit folgender Überlegung. Es ist der Sinn von antipsychotisch wirkenden Medikamenten, wahnhafte Vorstellungen und/oder Hallu-

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19) Ein darauf gestütztes Vetorecht des Kindes anerkennt BGH, NJW 2007, 217, 218; vgl. auch Huber, in: MüKo/BGB, Bd. 8, 6. Aufl. 2012, § 1626, Rdnr. 43.

20) Spickhoff, in: Soergel, BGB, 13. Aufl. 2005, § 823 Anh I, Rdnr. 108; Ulsenheimer, in: Laufs/Kern (Hrsg.), Handbuch des Arztrechts, 4. Aufl. 2010, § 139, Rdnr. 43; zuletzt Magnus, NStZ 2013, 1–6, 2. Das ergibt sich schon aus der vom BGH seit 1958 verwende-ten Standardformel zur Einwilligungsfähigkeit; vgl. BGHZ 29, 33–37, 36. Vgl. weiter v. Sachsen-Gessaphe, Der Betreuer als ge-setzlicher Vertreter für eingeschränkt Selbstbestimmungsfähige, 1999, S. 333 ff.

21) Vgl. dazu Taupitz, Empfehlen sich zivilrechtliche Regelungen zur Absicherung der Patientenautonomie am Ende des Le-bens?, Gutachten A für den 63. Deutschen Juristentag, 2000, S. A 62 f.

22) Diese Regel wird allgemein so verstanden, dass sie auf den „na-türlichen“ Willen der betroffenen Person abstelle; vgl. schon BT-Dr.  11/4528, S.  143; OLG Hamm, FamRZ 2001, 314, 316; Bienwald, in: Staudinger, BGB, Neubearb. 2006, § 1905, Rdnr. 41; Schwab, in: MüKo/BGB, Bd. 8, 6. Aufl. 2012, § 1905, Rdnr. 17.

23) Vgl. nur Gutzeit, in: Staudinger, BGB, Neubearb. 2012, § 854, Rdnr.  17; Joost, in: MüKo/BGB, Bd.  6, 5.  Aufl. 2009, § 854, Rdnr.  9; Baldus, in: MüKo/BGB, Bd.  6, 5. Aufl. 2009, § 940, Rdnr. 5.

24) Knothe, in: Staudinger, BGB, Neubearb. 2011, Vor §§ 104–115, Rdnr. 9.

25) Bergmann, in: Staudinger, BGB, Neubearb. 2006, Vor §§ 677 ff., Rdnr. 46.

26) Rauscher, in: Staudinger, BGB, Neubearb. 2011, § 1567, Rdnr. 91; Berger/Mansel, in: Jauernig (Hrsg.), BGB, 14. Aufl. 2011, § 1567, Rdnr. 4.

27) Greiner, in: Ascheid/Preis/Schmidt (Hrsg.), Kündigungsrecht, 4. Aufl. 2012, § 33 TVOeD, Rdnr. 16.

28) BVerfG, NJW 2005, 1561–1567, 1566: § 2333 BGB a. F. schließe es nicht aus, „dass auch ein mit ‚natürlichem‘ Vorsatz handelnder psychisch Kranker eine solche“ (zur Erbunwürdigkeit führende) „Handlung vornehmen“ könne.

29) BGHSt 32, 183 ff. = NJW 1984, 673 f.; vgl. Wieck=Noodt, in: MüKo/StGB, 2. Aufl. 2012, § 239, Rdnr. 7; in dieselbe Rich-tung bei § 177 StGB Renzikowski, in: MüKo/StGB, 2. Aufl. 2012, § 177, Rdnr. 21.

30) Gropp, in: MüKo/StGB, 2. Aufl. 2012, § 218, Rdnr. 63.31) Vgl. dazu Schmidt=Recla, in: MüKo/ZPO, Bd. 4, 2010, § 275

FamFG, Rdnr. 2.32) S. nur Coeppicus, NJW 2011, 2085–2091, 2089 f.; Spickhoff, Medi-

zinrecht, 2011, § 1901 a BGB, Rdnr. 3; Schwab, in: MüKo/BGB, Bd.  8, 6.  Aufl. 2012, § 1901 a, Rdnr.  35; Höfling, NJW 2009, 2849–2852, 2850 f.; und jüngst Magnus, NStZ 2013, 1, 4 f. Auch dazu demnächst Diener, Patientenverfügungen psychisch kranker Personen und fürsorglicher Zwang.

33) Schmidt=Recla, Theorien zur Schuldfähigkeit, 2000, S. 21–93.34) Das Problem umreißt auch Steenbreker, NJW 2012, 3207–3211,

wenn er unter Verweis auf BT-Dr. 16/8442, S. 15, auf S. 3207 festhält, natürliche Willensfähigkeit sei eine offene Wertungsfra-ge, und auf S. 3210 das „situativ spontane Verhalten“ als eventu-ellen Anknüpfungspunkt nennt.

35) BVerfGE 128, 282, 299. Psychiatrieerfahrene sehen das naturge-mäß ganz anders.

Page 4: Auf den Trümmern der Unterbringungsgesetze der Länder und im Niemandsland zwischen Einsichts- und Einwilligungsfähigkeit

zinationen aufzulösen, Misstrauen und Ablehnung des Pa-tienten einzudämmen und ihn compliant zu machen. Psy-chopharmakotherapien werden eingesetzt, um Symptome psychischer Krankheiten zu beseitigen. Sie ermöglichen es, dass die durch die vorherrschende Symptomatik teils maskierten Persönlichkeitseigenschaften der psychotisch erkrankten Person wieder zum Vorschein kommen – sie verändern die Persönlichkeit (theoretisch) nicht, ebenso wenig wie sie die schizophrene Psychose heilen können. Gleiches gilt für die Thymoleptika, die bei der unipolaren affektiven Psychose eingesetzt werden. Die zitierte Berliner Vorschrift zielt nicht auf die Psychopharmakotherapie, sie verbietet vielmehr psychochirurgische Eingriffe.

b) Ebenso wichtig wie die materiellen Voraussetzungen sind ihre prozessualen Absicherungen. Während das bür-gerliche Unterbringungsrecht es (neuerdings) erfordert, dass vor der Zwangsbehandlung ein betreuungsgerichtli-ches Genehmigungsverfahren durchgeführt wird, in dem Anlass, Zweck und Verhältnismäßigkeit der Behandlung anhand der vom Betreuer erklärten Einwilligung in vol-lem Umfang nach den §§ 271 ff. FamFG überprüft werden (Betreuungssache i. S. des § 271 Nr. 3 FamFG), werden die PsychKG/UBG’e der Länder ein den Vorgaben des BVerfG entsprechendes Verfahren einrichten müssen. Sie werden das i. d. R. dadurch erreichen, dass diesbezügliche Streitig-keiten den Betreuungsgerichten zugewiesen werden und dass die §§ 271 ff. FamFG für entsprechend anwendbar er-klärt werden.

aa) Entscheidend wird sein, dass das Genehmigungs-verfahren die Anhörung der betroffenen Person, die Be-stellung eines Verfahrenspflegers 36 und eine eigenständi-ge, von der Unterbringungsentscheidung unabhängige sachverständige Begutachtung des Zustands der betroffe-nen Person nach §§ 321 Abs. 1, 280 FamFG fordert. § 321 Abs. 1 FamFG ist zum 26. 2. 2013 um einen S. 5 erweitert worden, der vorschreibt, dass bei der Genehmigung einer Einwilligung in eine ärztliche Zwangsmaßnahme oder bei deren Anordnung der Sachverständige nicht der zwangs-behandelnde Arzt sein darf 37. Auf diese Weise lässt sich er-reichen, dass die Prüfung der materiellen Voraussetzungen für die antipsychotisch-medikamentöse Zwangsbehand-lung sich nicht in bloßer Schreibtischroutine in der Anstalt erschöpft 38, sondern dass sie in gesicherter Unabhängigkeit von der Anstalt vorgenommen wird. Für den Inhalt des Gutachtens gelten dieselben Grundsätze wie für das Sach-verständigengutachten nach § 280 FamFG – Methoden-transparenz und Evidenzbasierung sind selbstverständliche Gebote wissenschaftlicher Ehrlichkeit, auch wenn § 321 FamFG anders als § 280 Abs. 3 Nr. 2 FamFG sie nicht aus-drücklich fordert 39.

bb) Auch im Hinblick auf die Ankündigung der geplan-ten Zwangsbehandlung müssen viele PsychKG/UBG’e nachgebessert werden. Zwar enthalten sie oft eine spezi-fische Erörterungs- und Aufklärungspflicht über den Be-handlungsplan gegenüber der betroffenen Person 40. Weil diese Erörterungspflichten aber i. d. R. darauf abzielen, eine wirksame Einwilligung der betroffenen Person her-beizuführen, versagen sie in der Situation der an die krank-heitsbedingte Einwilligungsunfähigkeit 41 anknüpfenden geplanten Zwangsbehandlung. Das vom BVerfG 2011 42 aufgestellte Ankündigungserfordernis hat einen anderen Zweck: Es soll der betroffenen Person die Möglichkeit geben, vor Beginn der Zwangsbehandlung um effektiven Rechtsschutz nachzusuchen. Diese Rechtsschutzmöglich-keit wird in Zukunft durch die kommenden PsychKG/UBG-Reformen hoffentlich flächendeckend dadurch er-öffnet sein, dass ein an § 1906 Abs. 3 BGB n. F. angelehntes reguläres (Genehmigungs-)Verfahren vor dem Betreuungs-gericht durchgeführt werden muss. Die Betreuungsrichter sind aufgefordert, diese Genehmigungsverfahren nicht in der Formblattroutine erstarren zu lassen.

III. Zwischensumme: Mehr Rechte für betroffene Personen, mehr Rechtssicherheit für Ärzte oder nur juristische Selbstvergewisserung?

Eine im Zusammenhang mit den höchstgerichtlichen Entscheidungen der zurückliegenden zwei Jahre häufig diskutierte Frage ist es, wozu dieser juristische Aufwand betrieben wird. Das wird auch anhand der vorliegenden Entscheidung deutlich, denn die Krankengeschichte zeigt, dass hier gehandelt werden musste. Das anerkennt auch das BVerfG: Es sprachen gute, ja zwingende sachliche Grün-de für den umstrittenen Eingriff. Mancher Arzt schüttelt angesichts der Umständlichkeit, mit der Verfassungsrecht-ler versuchen, die sachlich zwingenden Gründe in einen Rechtsrahmen zu fassen, verwundert den Kopf.

Der schmerzende Nerv ist dabei gar nicht so schwer aufzufinden. Es geht darum anzuerkennen, dass sowohl das bürgerliche Betreuungs- und Unterbringungsrecht als auch das öffentlich-rechtliche Unterbringungsrecht (des-sen Vorschriften für den Maßregelvollzug benutzt wer-den) seinem etwa auch in den amtlichen Bezeichnungen der betreffenden Gesetze zum Ausdruck kommenden Grundgedanken als Hilfs- und Fürsorgerecht zum Trotz letztlich ein janusköpfiges Eingriffsrecht ist 43. Das BVerfG stellt das auch in der vorliegenden Entscheidung erneut klar heraus. Das paternalistisch-heteronome Helfenwollen darf nicht dazu führen, dass der betroffenen Person die unverhandelbare Qualität als Rechtssubjekt genommen wird. Hilfe und Fürsorge darf außerdem nicht in Diszi-plinierung umschlagen. Aus diesem Grunde braucht pa-ternalistische Heteronomie Grenzen, die sie nicht über-schreiten darf, Rechtfertigungen für innerhalb erlaubter Grenzen stattfindende Eingriffe, Maßstäbe, anhand derer sich entscheidet, ob Eingriffe verhältnismäßig sind, und den Nachweis tatsächlicher Benevolenz im Einzelfall. Da-mit werden nicht mehr Rechte für betroffene Personen geschaffen, als sie ohnehin schon haben – für die behan-delnden Ärzte steigt aber durch das Abstecken rechtlicher Grenzen die Rechtssicherheit.

Das BVerfG hat 2011 ein letztes, früher sog. „besonderes Gewaltverhältnis“ geschleift und die von Philippe Pinel (1745–1826) durch die Befreiung der „Irren“ von ihren Ketten im Pariser Hospice de Bicêtre 1794 begonnene Humanisierung der Psychiatrie fortgesetzt, indem es auch im Verhältnis zwischen psychisch kranken Personen und denjenigen, die als fürsorgende oder Gefahren abwehrende Entscheidungs-träger im privaten oder öffentlichen Interesse tätig sind, die Grundrechtsbindung jeder einzelnen Entscheidung fordert. Auch der psychisch noch so kranke Mensch (und mag er „animalisch verroht“ und für das gesamte Umfeld und Personal extrem störend sein) ist Grundrechtsträger. Sei-ne Freiheit beschränkende und seinen Körper in Anspruch nehmende Eingriffe brauchen eine verfassungskonforme gesetzliche Grundlage, über die das Parlament diskutieren und abstimmen muss. Der Staat des Grundgesetzes erlaubt keine a priori grundrechtsfreien Räume.

Schmidt-Recla, Auf den Trümmern der Unterbringungsgesetze der Länder570 MedR (2013) 31: 567–570

36) Wie wichtig gerade das ist, zeigt die vorliegende Entscheidung ebenfalls. Für die betroffene Person war nicht ihr rechtlicher Be-treuer in die Schranken gestiegen, sondern ihr Verfahrenspfleger.

37) Damit zieht der Gesetzgeber eine Parallele zu § 297 Abs. 6 S. 3 FamFG.

38) BVerfGE 128, 282, 317.39) Schmidt=Recla, in: MüKo/ZPO, Bd.  4, 2010, § 321 FamFG,

Rdnr. 11.40) Etwa § 21 Abs. 2 PsychKG SN, § 30 Abs. 1 S. 4 PsychKG BLN.41) Der Terminus ist hier in Abgrenzung zum Schwanken des BVerfG

zwischen Einsichts- und Einwilligungsfähigkeit (s.  oben) be-wusst gewählt.

42) BVerfGE 128, 282, 320; 129, 269, 283.43) Bienwald, in: Staudinger, BGB, Neubearb. 2006, § 1896, Rdnr. 3.