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auschwitz information 61. Ausgabe, Juni 2003, Institut für Sozial- und Wirtschaftsgeschichte, Johannes Kepler Universität Linz auschwitz Lagergemeinschaft Auschwitz: HR Dr. Franz Danimann Dagmar Ostermann Institut für Sozial- und Wirtschaftsgeschichte Johannes Kepler Universität Linz: Univ. Prof. Dr. Rudolf Kropf information Institut für Sozial - und Wirtschaftsgeschic hte Univ. Prof. Dr. Rudolf Kropf Johannes Kepler Universität Linz 61. Ausgabe, Juni 2003 Täterinnen und Opfer in Auschwitz Auschwitz-Prozess, Krakau 1947. Verurteilung, Maria Mandl. Foto: Gedenkstätte Auschwitz Nr. 21258/70 .

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auschwitz

Lagergemeinschaft Auschwitz:HR Dr. Franz Danimann

Dagmar Ostermann

Institut für Sozial- und WirtschaftsgeschichteJohannes Kepler Universität Linz:

Univ. Prof. Dr. Rudolf Kropf

informationInstitut für Sozial - und Wirtschaftsgeschic hteUniv. Prof. Dr. Rudolf Kropf

Johannes Kepler Universität Linz61. Ausgabe, Juni 2003

Täterinnen und Opfer inAuschwitz

Auschwitz-Prozess, Krakau 1947. Verurteilung, MariaMandl.Foto: Gedenkstätte Auschwitz Nr. 21258/70.

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Frauen im KL AuschwitzOpfer und Täterinnen.

Winter 1947, Montelupich-GefängnisKrakau. Unter jenen, die auf die Todes-strafe durch den Obersten Nationalge-richtshofs warten, sind zwei Frauen: Ma-ria Mandl, die Lagerführerin des Fraue n-lagers des ehemaligen Konzentrations-lagers Auschwitz-Birkenau und TheresaBrandl, eine ehemalige SS Oberaufse-herin des Lagers. Daneben, in einerweiteren Zelle Stanislawa Rachwalowa,die wegen ihrer Nachkriegsaktiv itäten inPolen zum Tode verurteilt wurde undauf ihre Begnadigung durch den Präs i-denten wartet. Sie war Häftling im L agerAuschwitz-Birkenau. Eine ungewöhnl i-che Situation, mü ssen sich doch dieFrauen unbeaufsichtigt den gemeinsa-men Waschraum im Gefängnis teilen.Die Konfrontation war vorprogrammiert.Die SS Frauen näherten sich dem ehe-maligen Häftling, wie Mieczyslaw Zajacin einem bisher unveröffentlichten Be-richt schrieb: [...] Mandl, schwer atmendund krampfartig weinend, sagte leise:"Ich bitte um Verziehung" und streckteihre Hand aus. Sie wartete ungewiss aufdie Reaktion des ehemaligen Häf t-lings? und damals nahm dieser Häf t-ling, erschüttert bis in das tiefste seinesWesens aufgeregt, ihre ausgestreckteHand und flüsterte mit größter Schwie-rigkeit: "Ich verzeihe im Namen desHäftlings." Dann küs sten Mandl undBrandl weinend, auf Knien die Hä ndedes ehemaligen Auschwitz Häftlings."

Kurz danach wurden die SS Frauenhingerichtet.

*

Stanislawa Rachwalowa war 35 Jahrealt, als man sie im März 1941 zum er s-ten Mal verhaftete und ins GefängnisMontelupich in Krakau brachte. Nachdrei Monaten Haft wurde sie mangels anBeweisen freigelassen. Seit 1940 warsie Mitglied des ZWZ (= Verband derWaffenorganisation). Nach ihrer Entlas-sung blieb sie weiterhin im Untergrundtätig, was im Oktober 1942 zu einerneuerlichen Verhaftung führte. Offiziellwarf man ihr vor, dass sie einem Polen,den die Gestapo suchte, half. Vom Ge-fängnis Montelupich aus brachte mansie in das Gefängnis in der Po-morskastraße, wo sie fünf Tage verhörtwurde, bis sie schließlich g estand. Manschlug sie nicht, aber drohte ihr mit derVerhaftung ihrer Kinder. Am 30. No-vember 1942 wurde sie dann zusam-men mit weiteren 14 Frauen in einemLKW nach Auschwitz gebracht, wo sieam ersten Dezember 1942 ankam. "ImKniefall, ohne Bewegung und schwei-gend - wie sie sagte - fuhr man sie zumHaupttor des Lagers mit der InschriftArbeit macht frei." Hier hielt man sieacht Stunden fest und führte sie a n-schließend mit den anderen unter derAufsicht einer SS Aufseherin nach Bir-kenau in die sogenannte Frauenabtei-lung, wo Maria Mandl seit September1942 SS Oberaufseherin war.Die Bedingungen waren für die Frauenim Lager Birkenau extrem schlecht. DasGelände verfügte über keine Kanalisati-

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on, das Gebiet war sumpfig, die Bara-cken ohne befestigten Fußboden ausge-führt und es fehlte an Wasser. Die Auf-nahme der Frauen fand in der soge-nannten "Sauna" statt. Dort nahm manihnen ihre Bekleidung ab, durchsuchtesie, scherte ihnen die Haare kahl undmit denselben Wischlappen, den manschon zuvor für viele verwe ndet hatte,desinfizierte man die kahlgeschorenenStellen. Dann trieb man sie in dieDuschräume und teilte ihnen im A n-schluss die Häftlingskleidung aus. Aufeinem speziellen Formular, dem soge-nannten Personalbogen, vermerkte manalle persönlichen Daten. So erhielt Sta-nislawa Rachwalowa einen roten Winkelund man tätowierte ihr die Häftling s-nummer 26.281 auf den linken Unter-arm. Danach wurde sie von drei Seitenfotografiert und gemeinsam mit den an-deren Neuzug ängerinnen auf Block 7,dem sogenannten Quarantäneblock ge-bracht. Hier gab es keinen Fußb oden,keine Beleuchtung und zum Schlafen 3-stöckige Betten. In einer Koje solltenfünf Frauen schlafen, aber wie Rachw a-lowa berichtete, wurden j eweils zwölfuntergebracht, die gemeinsam einenverschmutzten Strohsack und eineWolldecke erhielten. Katastrophale hy-gienische Bedingungen verursachten,dass es eine große Menge an Ungezie-fer gab, vor allem Läuse. " Unten diesenBedingungen - wie sie weiter berichtete- konnte keine Rede von Schlafen sein,ganze Nächte verbrach ten wir sitzend,ohne Schaf." Es gab in den Barackenzwar zwei Eisenöfen, aber kein Heizma-

terial. Die Quarantä ne dauerte zwischenzwei bis drei Wochen. Der Tagesablaufbegann bereits um 4 Uhr früh mit demWecken. Die Frauen wurden nach au-ßen auf ein Feld getrieben, wo sie aufden Morgenappell warteten. Dieserdauerte durchschnittlich zwischen zweibis drei Stunden, was vor allem imHerbst und im Winter eine unsä glicheQual war. Es geschah, dass während-dessen Frauen in Ohnmacht fielen oderstarben. Tagsüber mussten die Frauenauf der sogenannten Wiese (so nannteman den großen Platz zw ischen denSanitärbaracken und der Lagerumzä u-nung), ohne Rücksicht auf das Wette r,bleiben. Sie bekamen keine fix zugeteil-te Arbeit. Nach der Quarantäne erfolgtedie Zuteilung in die Arbeitskommandos.Beim Auszug aus dem Lager in der Frühund bei der Rückkehr am Abend wurdendie Kommandos vom Lagerorchestermusikalisch begleitet. In Birkenau diri-gierte das Orchester seit dem Frühjahr1943 die Polin Zofia Czajkowska und abAugust 1943 die Jüdin Alma Rose. Nachder, den ganzen Tag dauernden Arbeitmussten die Frauen ihre kranken Kame-radinnen, aber auch die Leichen ausihren Reihen ins Lager zurücktragen.Stanislawa Rachwalowa wurde in derersten Zeit ihres Aufenthaltes im Lagerdem Rollwagenkommando zugeteilt, d.h. anstatt von Pferden, zogen Fraueneinen zweispännigen Wagen und tran s-portierten so im Lager Baumaterialienwie Kalk, Zement, Ziegeln, aber auchErde, Steine und Abfälle von einem Ortzum anderen. Da die Lagerstrassen

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holprig und morastig waren, wateten dieFrauen dabei im Kot und Schmutz. Be-aufsichtigt wurden sie von SS Aufsehe-rinnen mit Hunden. Bei Außenkomma n-dos hatten auch SS Männer die Auf-sicht, aber auch Häftlinge, die sog e-nannten Capos. Darunter zu dieser Zeitauch eine junge J üdin aus der Slowakei,die wie Rachwalowa berichtete, dieFrauen sehr schlecht behandelte. Sieschlug sie beispielsweise mit einemStock auf den Kopf, ohne irgendwelcheGründe d afür zu haben. Nach 10 bis 12Stunden andauernder Arbeit folgte derAbendappell, der meist an die zweiStunden dauerte.In weiterer Folge wurde StanislawaRachwalowa dem Abbruchkommandozugeteilt. Diese Arbeit gehörte zu denschwersten im Lager. Ohneentsprechendes Werkzeug mussten dieFrauen arbeiten. Eine gewisse Zeitarbeitete Rachwalowa auch in einemKommando, das man in derLagersprache "Scheisskomnando"nannte. Die Häftlin ge beschäftigten sichmit dem Abtran sport der Fäkalien ausden Lagerlatrinen auf die nahegelegenen Felder. Nach einiger Zeitwurde sie dem Unterkunftskommandozugeteilt. Hier führte sie eine Kartei inder die persönlichen Gegenstände derNeuzugänge vermerkt wurden. Im März1943 erkrankte Stanislawa Rachwalowaan Flecktyphus und man brachte sie insHäftlingsrevier, das dem SS Ober-scharführer Dr. Werner Rohdeunterstellt war. Die Funktion des leiten-den Häftlingsarztes nahm die slowak i-sche Jüdin, Ena Wiess ein. Weiters ar-

beiteten als Häftlingsärzti nnen unteranderem Irena Bialówna, IrenaKonieczna, Ernestyna Michalik, StefaniaPerzanowska, Stefania Kosciuszkowa,Janiana Kosciuszkowa, JaninaWegierska und Celina Chojnacka. Werins Krankenrevier aufgenommen wurde,entschieden die SS Ärzte. StanislawaRachwalowa wurde zusammen mit zweiweiteren Frauen, Jüdinnen aus Grie-chenland, in einem Bett untergebracht.Die Bedingungen hier beschrieb sie wiefolgt: "Sehr schlechte hygienische Ver-hältnisse, Mangel an Wasser, Fehlen anBettwäsche und Kleidung und vor allemLäuse." Außerdem fehlte es an Med i-kamenten, Spritzen und Verbandszeug.Die Ernährung der Kranken war völligunzureichend. Doch Stanislawa Rach-walowa gelang es, gesund zu werden.Ihre Fremdsprachenkenntnisse machtenes ihr im Anschluss möglich, im Auf-nahme- und Entlassungsreferat der Poli-tischen Abteilung, dem Aufnahmebürozu arbe iten. Ihre Tätigkeit bestand darin,Personalbögen auszufüllen. Sie arbeite-te täglich von 6.00 bis 18.00 Uhr, kamengroße Transporte ins Lager wurde auchTag und Nacht gearbeitet. Die Formula-re mussten in Blockbuchstaben, deutlichlesbar, ausgefüllt werden und wurdenanschließend in der politischen Abte i-lung des KL Auschwitz in die Schreib-maschine getippt und in Kopien an dieverschiedensten Abteilungen weiterge-leitet. Durch diese Tätigkeit wusste Sta-nislawa Rachwalowa über die anko m-menden Transporte genauestens be-scheid. Auch hatte sie von Anfang an

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Kontakt zur Widerstandsgruppe und ge-hörte seit 1943 der Widerstandsorgan i-sation ZOW an. Mit Hilfe der ihr zugäng-lichen Karteien füh rte sie Aufzeichnu n-gen über die , im Lager verstorbenenFrauen, belauschte die, ihr vorgesetztenSS Männer und gab die Inhalte Wider-standsgruppen weiter. Auch gelang esihr durch ihre Arbeit im Aufnahmebüro,Frauen mit dem Karteivermerk "Rück-kehr unerwünscht", zu retten.

*

Foto: Gedenkstätte Auschwitz Nr. 1882

Maria Mandl war 30 Jahre alt, als sie imSeptember 1942 ihre Funktion als SSOberaufseherin und Lagerführerin imFrauenlager in Birkenau antrat. Geboren

wurde Maria Mandl am 10. Jä nner 1912in ober österreichischen Münzkirchen,als Tochter einer Handwerksfamilie. IhreEltern waren sehr religiös. Sie wuchs

gemeinsam mit zwei Schwestern undeinem Bruder auf. Nach dem Besuchder acht Klassen Grundschule in Mün z-kirchen besuchte sie die Bürgerschuleund ein Jahr Handelsschule. Nach demSchulabschuss arbeitete sie anfangs alsHilfskraft oder Putzfrau und in weitererFolge als Postbeamtin. Nach dem An-schluss folgte wegen ihrer Nichtzugehö-rigkeit zur NSDAP die Entlassung.Durch familiäre Kontakte, ihr Onkel warin München Polizeioberinspektor, erhieltsie im Oktober 1938 eine Stelle als SSAufseherin im Lager Lichtenberg. ImMai 1939 wurde sie in das KL Ravens-brück versetzt und im Frühjahr 1942 zurSS Oberaufseherin befördert. Im Jahr1941 trat sie der "Deutschen Frauen-schaft" und 1942 der NSDAP bei. ImSeptember 1942 übernahm sie im KLAuschwitz-Birkenau die Funktion der SSOberaufseherin gemeinsam mit demLagerführer des Frauenlagers SS Ober-scharführer Franz Hössler. Im Sommer1944 wurde sie für ihre Verdienste mitdem Kriegsverdienstkreuz II. Klasseausgezeichnet. Maria Mandl, die eineschlanke Frau mit feinen G esichtszügenwar, wurde von den Frauen als "ManciaMigdal" bezeichnet, da sie äußerst br u-tal und jähzornig war. Sie schlug mitenormer Kraft zu. So war es ihre "Spe-zialität", den Häftlingen mit nur einemSchlag das Gebiss zu zerstören. Be-rüchtigt war sie auch für ihre heftigen

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Schläge in den Unterleib der Frauen.Für eine Bestr afung reichte es aus, dassman die Hä nde in den Hosentaschenhatte oder nur rauchte. So wurde bei-spielsweise die Sekretärin des Präs i-denten Benesz blutig geschlagen, weilsie eine Zigarette rauchte. Sie wurde mitdrei Wochen Stehbunker bestraft. Mandlschlug unter anderem auch Frauen, dieihre Kopft ücher zu fest gebunden hatte,einen Gürtel tr ugen, oder weil sie nichtrichtig marschierten. Alle hatten Angstvor ihr. Strafappelle waren ihre Speziali-tät, stimmte die Zahl nicht, folgte stu n-denlanges Stehen mit erhobenen Hä n-den. Zum Zwecke der Verringerung desLagerstandes wurden Appelle mit Selek-tionen abgehalten. Vor allem in der Zeitder großen Typhusepide mien, d.h. von1942 auf 1943, war dies der Fall. Dabeizeigte Maria Mandl einfach auf jeneFrauen, die sie zum Tode verurteilte.Diese wurden auf Block 25 geführt, wosie einige Tage auf den Tod zu wartenhatten. Stanislawa Rachwalowa be-schrieb diese Situation wie folgt: " ?einmal schaute ich zufällig hinein, weilich mich selbst davon überzeugen woll-te, wie dieser Block von innen aussah.In dem Block war damals ein Transportvon griech ischen Jüdinnen, ca. 600Personen, die für den Tod bestimmt wa-ren. Im Block fanden grauenhafte Sze-nen statt. Die schwüle Luft und der Ge-stank erlaubte es kaum, sich auch nurdem Eingang zu nähern. Der Block warmit Leichen und sterbenden Frauenüberfüllt, die um Wasser bettelten." Se-lektionen wurden auch bei der Rückkehr

von den A ußenkommandos ins Lagerdurchgeführt. Am Lagertor erwart etendie Frauen der SS Rapportführer A ntonTaube in Begleitung von Maria Mandl,die einen Stock in der Höhe von 50 cmüber den Boden hielt. Über diese Hü rdemussten die Frauen springen, schafftensie es nicht, bedeutete dies ihr Todesur-teil. So enthielt die Liste vom 21. August1943 498 Namen von Frauen, die alsarbeitsunfähig eingestuft und in dieGaskammer eingewiesen wurden. MariaMandl bestätigte dies auch bei spä terenVerhören: " ? Ich kann nicht feststellen,wie lange ich während me iner Arbeit inAuschwitz solche Listen erstellte, ... ichmachte es nicht nur in der Anfangszeit.""Mandl hatte aber auch ihre schwacheSeiten", wie Hermann Langbein in sei-nem Buch "Menschen in Auschwitz"schreibt. Sie liebte Musik aber auchKinder. Auf ihre Initiative hin wurde dasLagerorchester im Frauenlager gegrü n-det. Waclawa Kedzierska, die zum Zeit-punkt ihrer Inhaftierung 14 Jahre alt war,erinnert sich, dass, wenn Kinder ohneEltern aus dem Gebiet der damaligenSowjetunion ins Lager geschickt wur-den, Mandl oft zu ihnen kam, sie an dieHände nahm, mit ihnen herumging undein deutsches Lied sang: " ? grünesGras, grünes Gras, unten meinen Füs-sen. Ein verlorener lieber Schatz, dennwir suchen müssen . ?" Diese Vo rliebehinderte sie aber nicht daran, Kinder indie Gaskammer zu schicken.

*Durch die immer näher kommendensowjetischen Truppen, begann man im

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August 1944 etappenweise mit der Spu-renvernichtung der begangenen Verbre-chen. Viele jener Häftlinge, die in denKrematorien beschäftigte waren, wurdengetötet und an die 65.000 Frauen undMännern evakuiert. Ein Grossteil desangehäuften Vermögens aus dem LagerKanada wurde evakuiert, Dokumenteverbrannt und die Öfen für die Masse n-vernichtung zur Sprengung vorbereitet.Am 17. Januar 1945 fand der letzte Ge-neralappell im KL Auschwitz statt. Inden Tagen zwischen dem 17. und dem21. Jänner 1945 wurde das ganze Lagerevakuiert. Maria Mandl war zu dieserZeit nicht mehr da. Ende 1944 versetzteman sie in das Nebenlager Mühldorf.Am 18. Jänner 1945 um 20.00 Uhr, ve r-ließ unter SS Aufsicht auch StanislawaRachwalowa gemeinsam mit 1.800Frauen das Lager in Richtung Westen.Die Witterungsverhältnisse waren sehrschlecht, es schneite, war windig undeisglatt. Der Weg, wie Rachwalowa be-richtete: " ? war mit Leichen bedeckt.Das waren jene, die nicht mehr gehenkonnten, aber auch solche, die versuch-ten, zu flüchten." Während des Ma r-sches aber auch während dem Trans-port bek amen die Häftlinge ni chts zuTrinken. Man erlaubte auch der Bevö l-kerung aus der Gegend nicht, den Häf t-lingen zu helfen. Der Transport ging insLager Groß Rosen, wo man die Häftli n-ge wegen Überfüllung nicht aufnahm.Die nächste Station war Sachsenha u-sen, aber auch hier wurden sie wegenÜberfüllung weiterg eschickt, die Frauennach Ravensbrück. Sie kamen am 26.

Januar 1945 an und wurden im soge-nannten Jugendlager untergebracht. Esherrschten schreckliche hygienischeBedingungen und eine unzureichendeZuteilung an Essen. Stanislawa Rach-walowa brachte man von Ravensbrücknach Neustadt Gleve, ein Nebenlagervon Ravensbrück, wo sie am 3. Mai1945 durch die amerikanische Armeebefreit wurde. Von dort aus kehrte sieam 24. Mai 1945 nach Polen zurück."Die Kraft, gesund zu werden gab ihr dieErfüllung des Traums, wieder einMensch und keine Nummer mehr zusein."

*Durch das Londoner Abkommen vom 8.August 1945 berief man den Internatio-nalen Militärgerichtshof ein, um dieHauptkriegsverbrecher zur Rechen-schaft zu ziehen. Gemäß dem Londo nerAbkommen, das auf den Grundgesetzender Moskauer Deklaration von 1943aufbaute, sollten die Kriegsverbrecheran jene Lä nder ausgeliefert werden, aufderen Territorien sie die Verbrechenverübt hatten. Ausgenommen davonwaren die Hauptkriegsverbrecher, siesollten auf Basis der gemeinsamen De-klaration der Vereinten Nationen bestraftwerden. Für die Verurteilung der Kriegs-verbrecher, die an Polen ausgeliefertworden waren, schuf man mit dem Dek-ret des PKWN (Polnisches Kom itee derNationalbefreiung) vom 22. Januar 1946ein Organ, das in Polen eine Entspre-chung des Internationalen Militärge-richtshofs in Nürnberg war, den Obers-ten Nationalgerichtshof. Die Staatsan-

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waltschaft des Obersten Nationalenge-richtshofs und die Hauptuntersuchungs-kommission zur Untersuchung der Nazi-Verbrechen in Polen übernahm dieseTätigkeit. Am 4. April 1946 schickte diePolnische Abteilung für Kriegsverbre-chen ein Schreiben an die Alliierte Be-hörde (Kriegsverbrechena bteilung inEuropa) in Dachau, betreffend der Aus-lieferung von Maria Mandl. Dem Inhaltist zu entnehmen, dass: "Maria Mandl,weibliches Mitglied der SS, das von1942 bis im Mai 1945 Aufseherin in denKonzentrationslagern Lichtenberg, Ra-vensbrück, Ausc hwitz, Müldorf war. Sieist für die schlechte Behandlung undErmordung der weibl ichen Häftlinge, diein diesem Lager getötet wurden, ver-antwortlich. Mit besonderer Grausamkeitverfolgte sie polnische, weibliche Häf t-linge im KL Auschwitz Birkenau." Mantraf die Entscheidung, sie am 11. Juli1946 auszuliefern. In dieser Angelegen-heit wandte sich im September 1946 derStaatsanwalt des Strafgerichts Krakauaufgrund der Aussagen der ehemaligenHäftlinge des KL Birkenau Janiana Sa d-zikowska, Antonina Piatkowska, HalinaRoszkowska an das Sondergericht inKrakau. Bei dieser Gerichtsverhandlungwurde Maria Mandl verurteilt, mit derBegründung, dass : " ? sie an denMisshandlungen der dort inhaftiertenPolinnen und anderen Frauen teilnahm,ihren Tod verursachte, vor allem als La-gerführerin von Birkenau, sie Frauenschlug und misshandelte, sie zur Verga-sung bestimmte, sie nackt und frierenddraußen stehen ließ." Währendessen

wandte sich der Staatsanwalt des Straf-gerichtshofs Krakau an die Bezirks-kommission zur Untersuchung der NaziVerbrechen mit der Bitte, die MaterialienMaria Mandel betreffend, zu überse n-den. Das Gericht wollte auch die Namenund Adre ssen jener Personen, die überMaria Mandl ihre Aussage gemacht hat-ten. Als Zeugin wurde etwas späterauch Stanislawa Rachwalowa befragt.Am 11. J anuar 1947 übergab der ersteStaatsanwalt des Obersten Nationalge-richtshofs in Warschau den StraffaktMaria Mandl der Staatsanwaltschaft desBezirksgerichts Krakau. Drei Tage spä-ter, am 14. J änner 1947 verhängte di e-se g egen Marie Mandl vorläufig die Haft.Begründet wurde die Inhaftierung da mit,dass die Angeklagte Zeugen zurFalschaussage überreden wollte, sichum die Beseitigung von Beweisen be-mühte, damit sie sich der Strafverant-wortlichkeit entziehen könnte. Die Un-tersuchungshaft war vorerst bis zum 10.März 1947 befristet. Am 5. März 1947wurde mit der Vernehmung von MariaMandl begonnen, die die ihr vorgewor-fenen Taten zu gab. Über die ZeuginStanislawa Rachwalowa wurde zwi-schenzeitlich die Untersuchungshaftdurch die öffentliche Sicherheit sbehördeverhängt, die sie im Gefängnis Montel u-pich in Krakau ve rbrachte. Grund für dieInhaftierung war ihre politische Tätigkeitgegen die kommunistische polnischeRegierung der Jahre 1945 und 1946.Stanislawa Rachwalowa engagierte sichnach ihrer Genesung für den Kampf ge-gen das totalitäre Regime in Polen. Man

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nahm sie und ihre zwei Töchter Annaund Kristina fest (Anna wurde nach einpaar Wochen entlassen, Kristina nach 4Jahren). Stanislawa Rachwalowa wardamit bereits zum dritten Mal im Ge-fängnis Montelupich. Sie wurde für ihreAktivitäten durch das Mil itärgericht zumTode verurteilt und wartete im Gefäng-nis auf die Vollstreckung des Urteils,doch gleichzeitig verlor sie nicht dieHoffnung auf Begnadigung. Zur selbenZeit wurde der Prozess gegen 40 Mit-glieder der SS Wachmannschaft desehemaligen KL Auschwitz vorbereitet.Ihr Urteil wurde am 22. Dezember 1947verkündet. 23 der 40 der ehem aligenMitglieder der SS Wachmannschaftwurden zum Tode verurteilt, unter ihnenauch Maria Mandl und Therese Brandl,eine weitere Aufseherin aus diesem La-ger.

Im Gefängnis Montelupich trafen sichOpfer und Täterinnen zum ersten Mal1946 wieder. Maria Mandl wischte einenKorridor, durch den Stanislawa Rachwa-lowa ging. Zum zweiten Mal trafen siesich im Frühling 1947, als StanislawaRachwalowa, Maria Mandl und ThereseBrandl gemeinsam in den Waschraumgeführt wurden. Damals protestiertensie dagegen. Man akzeptierte die Ein-wände und brac hte sie zurück in ihreZellen. Dann

- wie sich Stanislawa

Rachwalowa erinnerte - " ? sind sievorbei gegangen, einzeln, verwirrt undwirklich erschrocken. ... Mit gr oßerSchwierigkeit zwang ich mich zur Ruheund versuchte mir darüber klar zu we r-den, dass sie mir nichts mehr tun wür-

den ? und vor mir lief ein zurückgespul-ter Film ab und ich sah mich plötzlichwieder schmutzig und verlaust mit denanderen Häftli ngen als Pferde vor denRollwagen Nr. 9 gespannt. ? Wiedereinmal hatte ich in der Nähe der Küch ezusammen mit Zosia Bratro Kartoffelnorganisiert. Wir kochten eine Suppe, alsMandl vor uns erschien und uns zuschlagen und mit dem Fuß zu stoßenbegann und uns mit dem Gürtel auf dieKöpfe schlug, wie eine Ver rückte, wiedie Ausgeburt des Bösen. Aber dieSuppe goss sich nicht aus. Mandl liefwie eine Wahnsinnige zu den anderen"Köchinnen", die wegrannten und wirbeide aßen diese nicht fertigte Suppeschell auf und verbrannten uns dabeiunsere Münder."

Dann trafen sie sich noch ein paar Malwieder. Weil Stanislawa RachwalowaDeutsch sprach, bat sie die Gefängn i-saufseherin um Hilfe, um sich mit MariaMandl und den anderen verständ igen zukönnen. Stanislawa Rachwalowa wurdein die Zelle, in der Mandl untergebrachtwar gebracht, sie dachte sich, dass sieihre Emotionen nicht beherrschen wirdkönnen und sie schlagen müsste. Dochsie tat es nicht. Dann sah sie Mandlbeim Spazi erengehen im Gefängnis,doch das war nicht mehr dieselbe Auf-seherin von damals. Sie ging sehrschnell mit gesenktem Kopf und gerun-zelter Stirn. Zwar hatte sie noch immerso schönes goldenes Haar und diestrahlenden blauen Augen, doch ihrBlick war nicht mehr der von damals. Als

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sie mich sah, hatte sie einen erstauntenund fragenden Blick in den Augen. Dasletzte Mal traf Stanislawa RachwalowaMaria Mandl in Begleitung von ThereseBrandl im Waschraum. Damals, kurz vordem Tode der beiden ehemaligen Auf-seherinnen, war Stanislawa Rachwalo-wa zu dieser ungewöhnlichen Geste derVergebung im Stande.Mandl und Brandl wurden ein paar Tagespäter hingerichtet, Stanislawa Rachw a-lowa begnadigt. Sie wurde Jahr 1956aus dem Gefängnis entlassen und starb1985 im Alter von 82 Jahren in Polen.

Lucyna Filip

Impressum:Medieninhaber: Österreichische Lagergemeinschaft

Auschwitz, Sekretariat: Dagmar OstermannRedaktion: Dr. Herta Neiß

Institut für Sozial - und WirtschaftsgeschichteJohannes Kepler Universität LinzAltenbergerstraße 69, 404 0 Linz Tel:0732/2468-8863; Fax: 0732/2468- 8532 e-mail: [email protected]

MitarbeiterInnen an dieser Ausgabe:Mag. Lucyna FilipMag. Michael Pisecki

Hersteller: Institut für Sozial- und Wirtschafts-geschichte, Johannes Kepler Universität Linz

Der Inhalt der Text gibt nicht die Meinung des Institu-tes, sondern die der jeweiligen Autoren wieder.

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