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Ausgabe 2/2011 Foto: Diakonie Bayern Vom Zivildienst zum Freiwilligendienst

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Vom Zivildienst zum Freiwilligendienst

2 Bayerische Sozialnachrichten 2/2011

E D I T O R I A L

Liebe Leserin, lieber Leser,

„Neue Kultur der Freiwilligkeit“ oder „Not am Mann“? Zwischen die-sen beiden Polen schwankt die Befindlichkeit sozialer Einrichtungen,die von der Aussetzung des Zivildienstes betroffen sind. Die „Zivis“haben sich bewährt: in ungezählten Einrichtungen der ambulanten wiestationären Betreuung und Pflege, in Krankenhäusern und Rettungs-diensten, in Umwelt- und Naturschutz, in Sport, Kultur und Entwick-lungshilfe. Sie ließen sich für soziale Problemlagen sensibilisieren, ha-ben ein Stück weit Persönlichkeitsbildung erfahren - und nicht wenigehaben sich im Anschluss an ihren Zivildienst für einen sozialen Berufentschieden.

Welche Folgen wird der Wegfall des Zivildienstes für die sozialen Ein-richtungen haben? Welche Handlungsmöglichkeiten bleiben ihnen? DieBeteiligten gehen davon aus: Der künftige Bundesfreiwilligendienstwird den Zivildienst nicht vollständig ersetzen können. Es wird vorallem vom Engagement der Einrichtungen abhängen, ob sie neue Frei-willige für sich gewinnen können.

„Vom Zivildienst zum Freiwilligendienst“ lautet das Thema dieser Ausgabe der Bayerischen Sozialnachrichten.Dr. Jens Kreuter, Bundesamt für den Zivildienst, und Dr. Gerhard Timm und Dr. Volker Mosemann, Bundes-arbeitsgemeinschaft der Freien Wohlfahrtspflege, zeigen Lösungsansätze auf.

Ihr

Friedemann Götzger

I N H A L T

Thema: Vom Zivildienst

zum Freiwilligendienst

Was wird, wenn die Zivis gehen? S. 3

Not am Mann? S. 7

Panorama S. 12

Mitgliedsorganisationen S. 15

Bücher S. 21

Praxis

Esel und Mensch auf „Augenhöhe“ S. 22

Nachhaltige Hilfe zur Selbsthilfe S. 24

Zwischenruf

Inklusion als Ziel S. 25

Forum

Gepflegte Gesellschaft? S. 26

Nachruf S. 28

Die Bayerischen Sozialnachrichtenerscheinen in jährlich fünf Ausgabenmit Beilage der Zeitschrift „Pro Jugend“.

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Bayerische SozialnachrichtenZeitschrift der Landesarbeitsgemeinschaftder öffentlichen und freien Wohlfahrtspflegein Bayern (ISSN 1617-710X)HerausgebendeRobert Scheller, VorsitzenderGisela Thiel, Stellvertretende VorsitzendeFriedemann Götzger, GeschäftsführerVerlagLandesarbeitsgemeinschaft der öffentlichenund freien Wohlfahrtspflege in BayernNördl. Auffahrtsallee 14, 80638 MünchenTelefon 089/153757- Telefax 089/15919270E-Mail: [email protected]: www.lagoefw.deRedaktion und AnzeigenFriedemann Götzger (verantwortlich)Nördl. Auffahrtsallee 14, 80638 MünchenGültig ist die Anzeigenpreisliste vom 1.1.2010.

Redaktionsschlussder Ausgabe 2/2011: 16. Mai 2011

Impressum

3Bayerische Sozialnachrichten 2/2011

Dr. Jens KreuterBundesbeauftragter

für den Zivildienst

WAS WIRD,WENN DIEZIVIS GEHEN?

T H E M A

Am 15. Dezember 2010 hat das Bundeskabinettzwei Gesetzentwürfe verabschiedet: Mit demeinen soll die gesetzliche Pflicht zur Ableistung

des Wehrdienstes ausgesetzt werden - und damit auch diePflicht zur Ableistung des Zivildienstes. Der andere Ge-setzentwurf sieht die Einrichtung eines Bundesfreiwil-ligendienstes vor. Viele Einrichtungen gerade im sozia-len Bereich fragen sich: Werden genug Freiwillige kom-men? Was wird, wenn die Zivildienstleistenden gehen?

Die geplante Aussetzung der Wehrpflicht muss auchKonsequenzen für den Zivildienst, den Wehrersatzdienstnach Artikel 12a Absatz 2 des Grundgesetzes, haben.Denn solange die Wehrpflicht bestand und durchgesetztwurde, war es Aufgabe des Zivildienstes, sicherzustel-len, dass diejenigen Wehrpflichtigen, die von demGrundrecht auf Kriegsdienstverweigerung gemäß Ar-tikel 4 Absatz 3 des Grundgesetzes Gebrauch machtenund den Dienst an der Waffe aus Gewissensgründenverweigerten, ihre Wehrpflicht in einem belastungs-gleichen Ersatzdienst erfüllen konnten. Mit der Aus-setzung der Wehrpflicht entfällt jedoch diese Aufgabe.

DER ZIVILDIENST - EINE 50-JÄHRIGE INSTITUTION

Wenn im Dezember 2011 die letzten Zivildienstleis-tenden aus ihrem Dienst entlassen werden, kann derZivildienst auf ein halbes Jahrhundert erfolgreicherDurchführung zurück blicken. Am 11. April 2011 sindes genau 50 Jahre her, dass die ersten anerkanntenKriegsdienstverweigerer ihren „zivilen Ersatzdienst“,wie er damals noch hieß, antraten. Seitdem hat der Zi-vildienst eine erstaunliche Entwicklung erfahren. Dankdes Engagements von bislang über 2,5 Millionen jun-gen Männern und rund 37.000 in der Durchführung desZivildienstes engagierten Einrichtungen hat er sich zueiner gesellschaftlichen Institution mit jugend- und so-zialpolitischer Bedeutung entwickelt.

Allein 2009 wurden über 90.000 Zivildienstleistendeeinberufen und leisteten ihren Dienst auf bundesweit rund170.000 Einsatzplätzen, überwiegend im Bereich derPflegehilfe/Betreuung, aber auch im Umwelt- und Na-turschutz sowie in der Landschaftspflege. Sie unterstüt-zen bei der Pflege und Betreuung in kommunalen

VOM ZIVILDIENST ZUM FREIWILLIGENDIENST

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Krankenhäusern, sie helfen in Kindertagesstätten oderengagieren sich im Umweltschutz. Allein in Bayern be-stehen 22.514 Zivildienstplätze, davon 22.021 im so-zialen Bereich. Fast jeder von uns durfte vom Einsatzeines Zivildienstleistenden schon einmal profitierenoder ist einem „Zivi im Einsatz“ zumindest begegnet.

Durch ihr Engagement im über die Jahrzehnte mehrund mehr als „Lerndienst“ ausgestalteten Zivildiensthaben die jungen Männer sich nicht nur in den Dienstder Gemeinschaft gestellt und ihr viel gegeben, son-dern auch viel zurück erhalten. Die praktische Arbeitin den Dienststellen fordert und fördert wichtigeSchlüsselkompetenzen wie Verantwortungsbereit-schaft, Kommunikations- und Teamfähigkeit. Die Zi-vildienstleistenden erwerben so nicht nur fachlicheKenntnisse, sondern auch soziale Kompetenzen; diesbelegen die Ergebnisse eines Forschungsprojektes,welches das Bundesministerium für Familie, Senio-ren, Frauen und Jugend in Auftrag gegeben hat.1

Viele soziale Einrichtungen, die Zivildienstplätze zurVerfügung stellen, berichten davon, dass sie dies nichtin erster Linie aus betriebswirtschaftlichen Gründentun, die Zivis also nicht etwa als „billige Arbeitskräf-te“ sehen, sondern für sie die Werbung für sozialeBerufe, die Sensibilisierung für soziale Problemlagenund die Persönlichkeitsbildung der jungen Männer imVordergrund stehen. Zudem geht es ihnen um die Ge-winnung von Nachwuchs - gerade auch männlichemNachwuchs - im sozialen Bereich, und um Motivierungfür eine ehrenamtliche Tätigkeit.

KONSEQUENZEN DER AUSSETZUNG DER WEHRPFLICHT

Der Zivildienst ist als Wehrersatzdienst allein vertei-digungspolitisch begründet; er hat keine sozial- oderjugendpolitische Begründung und insbesondere kei-nen Sicherstellungsauftrag, sondern ist eine Form derErfüllung der Wehrpflicht. Seine Erfolgsgeschichtekann kein Argument zur Beibehaltung der Wehrpflichtsein, wenn die sicherheitspolitischen Voraussetzungennicht mehr vorliegen.

Dennoch hat der Wegfall des Zivildienstes Auswir-kungen auf die Engagementmöglichkeiten junger Män-ner und ihre Sozialisation sowie auf die soziale Infra-struktur, wie in meinem Bericht zu den Auswirkungenmöglicher Änderungen der Wehrform auf den Zivil-dienst vom 15. September 2010 dargestellt.

Angesichts der beschriebenen Folgen einer Ausset-zung der Wehrpflicht und damit des Zivildienstes wur-de als Fazit für den Fall der Aussetzung der WehrpflichtHandlungsbedarf festgestellt mit dem Ziel, die darge-stellten negativen Folgen möglichst zu verringern:� Negative Effekte auf die soziale Infrastruktur soll-

ten minimiert werden.

� Die positiven Prägungen eines sozialen Engage-ments sollten auch künftig möglichst viele jungeMenschen erfahren können.

Die Aussetzung der Wehrpflicht und die Entwicklungvom Zivildienst zum Bundesfreiwilligendienst zählensicher zu den größten gesellschaftlichen Herausforde-rungen seit vielen Jahren. Es gibt dafür kein Hand-buch, wir haben den vor uns liegenden Prozess nichtausprobieren können.

Es gilt, in Zusammenarbeit mit den zivilgesell-schaftlichen Trägern und Verbänden sowie den Bun-desländern eine Lösung zu finden, welche aufbauendauf den vorhandenen Strukturen den Wegfall des Zi-vildienstes zumindest teilweise kompensiert undinsbesondere auch die bestehenden Engagement-formen unterstützt.

Mit der Einführung eines neuen Bundesfreiwilligen-dienstes sowie dem Ausbau der Jugendfreiwilligen-dienste haben wir einen Weg gefunden, der uns dieMöglichkeit eröffnet, die Effekte der Aussetzung derWehrpflicht (und damit des Zivildienstes) entscheidendabzumildern.

DER NEUE BUNDESFREIWILLIGENDIENST

Ziel des neuen Dienstes ist es, zukünftig möglichstvielen Menschen einen Einsatz für die Allgemeinheitzu ermöglichen. Im Gegensatz zum Zivildienst, derals Wehrersatzdienst nur die jungen Männer erfasste,wird der Bundesfreiwilligendienst daher Männern undFrauen jeden Alters ab Erfüllung der Vollzeit-schulpflicht offen stehen. In diesem Punkt folgt unserKonzept einer damaligen einstimmigen Empfehlungder Kommission „Impulse für die Zivilgesellschaft“.Der Gesetzentwurf sieht vor:� Die nach dem Zivildienstgesetz bereits anerkann-

ten Beschäftigungsstellen und -plätze gelten alsanerkannte Einsatzstellen und -plätze des Bundes-freiwilligendienstes. Das demnächst mit erweiter-ten Aufgaben betraute und umbenannte Bundes-amt für Zivildienst erkennt neue Einsatzplätze an,auch in weiteren Einsatzfeldern wie beispielsweiseSport, Integration und Kultur.

� Ein Einsatz im arbeitsmarktneutral auszugestalten-den Bundesfreiwilligendienst – bei Jugendlichenund jungen Erwachsenen vergleichbar einer Voll-zeitbeschäftigung - dauert in der Regel zwölf,mindestens sechs und höchstens 24 Monate. Frei-willige, die älter als 27 Jahre sind, können aucheinen Teilzeitdienst leisten, müssen sich wöchent-lich aber für mehr als 20 Stunden verpflichten. ImRahmen der Evaluation des Gesetzes werden wirsehen, wie sich diese Regelung bewährt.

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T H E M A

� Das mit dem Bund zustande kommende Rechts-verhältnis setzt einen entsprechenden gemeinsamenVorschlag von Freiwilligem / Freiwilliger und Ein-satzstelle voraus. Es liegt keine umsatzsteuerbarePersonalgestellung vor.

� Die Freiwilligen sind sozialversichert.� Die Einsatzstellen können für Unterkunft, Verpfle-

gung und Arbeitskleidung der Freiwilligen sorgen.Sie zahlen für den Bund die den Freiwilligen zu-stehenden Taschengelder, Geldersatzleistungen unddie Sozialversicherungsbeiträge. Das Taschengeld(das selbstverständlich in Ost und West eine ein-heitliche Obergrenze hat) und die übrigen Leistun-gen werden zwischen den Freiwilligen und ihrerEinsatzstelle vereinbart.

� Die pädagogische Begleitung der Freiwilligen sollsoziale, ökologische, kulturelle und interkulturel-le Kompetenzen vermitteln und das Verantwor-tungsbewusstsein für das Gemeinwohl stärken. DerBundesfreiwilligendienst wird durch Seminarebegleitet. Die Gesamtdauer der Seminare beträgtbezogen auf eine zwölfmonatige Teilnahme amfreiwilligen Dienst mindestens 25 Tage; davonentfallen fünf Tage auf ein Seminar zur politischenBildung. Das Seminar wird in den 17 staatlichenZivildienstschulen durchgeführt – auf Wunsch derTräger zusammen mit Teilnehmerinnen und Teil-nehmern der Jugendfreiwilligendienste. Auch dieTeilnahme von freiwilligen Wehrdienstleistendenist möglich.

Der Bundesfreiwilligendienst ist ein Dienst des Bun-des, der in seinen Strukturen jedoch weitestmöglichden bestehenden Freiwilligendiensten angeglichenwurde. Er wird so als harmonische Ergänzung undStärkung der bestehenden Freiwilligendienste gestal-tet, damit unnötige Doppelstrukturen vermieden wer-den und eine schlanke Verwaltung gewährleistet ist,die die vorhandenen Kompetenzen und Ressourcen derzivilgesellschaftlichen Träger nutzt.

So übernehmen Zentralstellen, die - in Übereinstim-mung mit den Wünschen der bestehenden zivil-gesellschaftlichen Strukturen - in der Regel bei denheutigen bundeszentralen Trägern der Jugendfrei-willigendienste eingerichtet werden, eine entscheiden-de Steuerungsfunktion im Bundesfreiwilligendienst.Sie werden gebildet von Trägern und Einsatzstellenund sind das Bindeglied zwischen zuständiger Bun-desbehörde und den Einsatzstellen sowie deren Trä-gern. Für Einsatzstellen, die sich keiner zivilgesell-schaftlichen Zentralstelle anschließen können odermöchten, wird eine eigene Zentralstelle bei der zustän-digen Bundesbehörde, dem bisherigen Bundesamt fürden Zivildienst, eingerichtet.

Die Zentralstellen gewährleisten die ordnungsgemä-

ße Durchführung des Bundesfreiwilligendienstes durchTräger und Einsatzstellen. Außerdem nehmen sie dieVerteilung der Bundesfreiwilligendienstplätze vor. Siekönnen den ihnen angeschlossenen EinsatzstellenAuflagen erteilen, insbesondere die Auflage, sich ei-nem Träger anzuschließen.

Das Bundesfreiwilligendienstgesetz wird, soweitnichts anderes bestimmt ist, in bundeseigener Verwal-tung ausgeführt. Die Durchführung wird dem bisheri-gen Bundesamt für den Zivildienst als selbständigerBundesoberbehörde übertragen, welches eine andereBezeichnung erhalten wird und weiterhin demBMFSFJ untersteht. Wie auch schon im Zivildienstübernimmt es die Anerkennung von Einsatzplätzen undschließt für den Bund mit den Freiwilligen eine Ver-einbarung über ihren Einsatz ab. Zudem können ihmauch weitere Aufgaben übertragen werden.

AUSBAU UND STÄRKUNG

DER JUGENDFREIWILLIGENDIENSTE

Die Befürchtung, dass es zu einer Konkurrenz zwi-schen dem neuen Bundesfreiwilligendienst und denbereits bestehenden Jugendfreiwilligendiensten kom-men könnte, haben wir ernst genommen, sind ihr abermit einem auf breiter Ebene mitgetragenen Konzeptentgegen getreten. Von Anfang an ist, neben der Ein-führung des Bundesfreiwilligendienstes, ein zweiteswichtiges Standbein der weitestmöglichen Kompen-sation des Engagements der Zivildienstleistenden auchdie Stärkung der Jugendfreiwilligendienste FSJ/FÖJ.Das Freiwillige Soziale Jahr und das Freiwillige Öko-logische Jahr sollen nicht nur fortgeführt, sondern aus-gebaut werden. Für Träger und Einsatzstellen von FSJund FÖJ besteht keine Notwendigkeit, Strukturen undVerfahren zu verändern. Veränderungen entstehenallenfalls dadurch, dass der Bundeszuschuss für diepädagogische Begleitung der Freiwilligen auf bis zu200 Euro pro Monat und Freiwilligem erhöht werdensoll und dass künftig alle Plätze, auch die bei kleinen,regionalen Trägern, gefördert werden sollen. FSJ- (undFÖJ-)Träger können bereits heute mit interessiertenJugendlichen Verträge über ein z. B. im September2011 beginnendes FSJ/FÖJ schließen und dabei miteiner erhöhten Bundesförderung planen.

Um negative Auswirkungen des Bundesfreiwilligen-dienstes auf die bestehenden und bewährten, zivil-gesellschaftlich organisierten Jugendfreiwilligen-dienste auszuschließen, wird der Bundesfreiwilligen-dienst auf Bundesebene mit den JFD verbunden. Ver-einfacht ausgedrückt bedeutet dies, dass es nicht mehrFreiwillige im BFD als im FSJ/FÖJ geben soll. Ge-

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währleistet wird dies über auf Bundesebene angesie-delte Zentralstellen.

Da die Bundesregierung die zivilgesellschaftlich or-ganisierten Jugendfreiwilligendienste FSJ und FÖJ aufkeinen Fall gefährden, sondern vielmehr ausbauen undstärken möchte, ist eine Umwidmung bisheriger FSJ-oder FÖJ - Plätze in Plätze des Bundesfreiwilligen-dienstes ausdrücklich nicht vorgesehen.

Selbstverständlich steht es bisherigen FSJ/FÖJ-Ein-satzstellen offen, sich beim bisherigen Bundesamt fürden Zivildienst zusätzlich um die Anerkennung alsEinsatzstelle des Bundesfreiwilligendienstes für zu-sätzliche Plätze zu bemühen. Anerkannte Einsatzstellender Jugendfreiwilligendienste werden in der Regelauch alle notwendigen Voraussetzungen für den Bun-desfreiwilligendienst erfüllen und deswegen zusätzli-che Plätze als BFD-Plätze zeitnah anerkannt erhalten.Auch in der künftigen Praxis muss und wird gewähr-leistet sein, dass zusätzliche BFD-Plätze auf keinenFall bestehende FSJ- oder FÖJ-Plätze verdrängen.

AUSBLICK

Die Aussetzung der Wehrpflicht hat tief greifendeKonsequenzen über die verteidigungspolitische Di-mension hinaus. Auf unsere gesamte Gesellschaft kom-men weit reichende Reformen zu, die nicht ohne Ein-schnitte vonstatten gehen werden. In der Veränderungliegt aber auch immer eine Chance. Der Weg vomPflichtdienst hin zur Stärkung des freiwilligen Enga-gements ist eine Einladung an den mündigen Bürgerund die mündige Bürgerin, sich selbstbestimmt undaufgrund einer autonomen Entscheidung für unserLand einzusetzen.

Entsprechend der nach Angabe der bundeszentralenTräger der Jugendfreiwilligendienste bisher konstanthohen Nachfrage nach Freiwilligenplätzen und derhohen Bereitschaft von Zivildienstleistenden, den Zi-vildienst freiwillig zu verlängern, wird mit 35.000 Frei-willigen im Bundesfreiwilligendienst und gleichzei-tig 35.000 Freiwilligen bei den bestehenden Jugend-freiwilligendiensten gerechnet.

Um dieses ehrgeizige Ziel auch zu erreichen und umdie Bürgerinnen und Bürger für freiwilliges Engage-ment zu gewinnen, müssen wir – die Verwaltung, diePolitik, die Einsatzstellen des Freiwilligendienstes -uns noch mehr Gedanken darüber machen, wie wir

die Rahmenbedingungen dazu noch attraktiver ausge-stalten. Vor uns liegt eine große Gemeinschaftsaufgabe.Wir müssen dafür werben, sich für ein Jahr in einemFreiwilligendienst zu engagieren. Damit tun die Frei-willigen nicht nur etwas für Andere, sondern auch fürsich. Denn solch ein Freiwilligendienst ist eine unge-heure Bereicherung, die auch im Berufsleben mancheTür öffnet.

Bund, Länder, Kommunen, Hochschulen und Unter-nehmen: Alle sind aufgefordert, Anreize zu schaffen.Bundesministerin Dr. Schröder hatte bereits Ende Ja-nuar 2011 alle eingeladen, gemeinsam eine neue An-erkennungskultur zu initiieren.Vor allem müssen die Einrichtungen, Vereine und Trä-ger auf junge und ältere Menschen zugehen und siebegeistern. Dafür brauchen wir individuell passgenaueAngebote, attraktive Tätigkeiten und vor Ort ganz kon-kret Ausgestaltungen, die einen solchen Dienst sinn-voll und attraktiv machen.

Nach der Verabschiedung des Bundesfreiwilligen-dienstgesetzes (BFDG) durch den Deutschen Bundes-tag, die im Idealfall in der zweiten Märzhälfte erfolgtist, steht eine erneute Befassung des Bundesrates so-wie anschließend die Ausfertigung durch den Bundes-präsidenten und die Verkündung im Bundesgesetzblattan. Selbst im idealen Fall ist mit dem formalen Ab-schluss des Gesetzgebungsverfahrens nicht vor Osternzu rechnen.

Gleichwohl muss allen Beteiligten bewusst sein, dasssie in der Praxis mit Blick auf Freiwillige, die sich abdiesem Sommer engagieren möchten, zügig aktiv wer-den müssen. Da das Gesetz nicht zustimmungspflichtigist, wird eine durchaus belastbare Planungsgrundlagemit der Verabschiedung durch den Bundestag erreichtsein. Auch angesichts der Zeitspanne zwischen Redak-tionsschluss für diesen Text und dem Erscheinungs-datum möchte auf meinen Newsletter verweisen, derjederzeit auf www.zivildienst.de eingesehen oder abon-niert werden kann.

Ich bitte dringend alle Einrichtungen und Träger, früh-zeitig mit der Werbung zu beginnen. Denn in geradeeinmal einem Vierteljahr wird der Zivildienst vomBundesfreiwilligendienst abgelöst werden. Auch dieBundesregierung wird mit einer großen Werbe-kampagne unterstützend tätig werden. Es gilt, start-klar zu sein, wenn dieser bedeutende Umbruchvom Pflichtdienst zum freiwilligen Engage-ment stattfindet – und wir werden es sein.

(Footnotes)1 s. Forschungsprojekt „Zivildienst als Sozialisationsinstanz für junge Männer“. Eine Zusammenfassung zentraler Ergebnisse kann unterwww.bmfsfj.de unter „Zivildienst“ eingesehen oder beim BMFSFJ angefordert werden.

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NOTAM

MANN?Dr. Gerhard Timm

Geschäftsführerder Bundesarbeitsgemeinschaft

der Freien Wohlfahrtspflege (BAGFW)

T H E M A

Im Zusammenhang mit der Diskussion um die Aus-setzung der Wehrpflicht und damit auch des Zivildiens-tes1 hat am 23.08.2010 Bundesfamilienministerin Dr.Kristina Schröder2 erstmalig einen bundesweiten frei-willigen Zivildienst als Ergänzung zu den zivilgesell-schaftlich ausgerichteten etablierten Jugendfreiwil-ligendiensten Freiwilliges Soziales Jahr (FSJ) und Frei-williges Ökologisches Jahr (FÖJ) vorgeschlagen. Dieersten Reaktionen auf diesen Vorschlag waren sehr un-terschiedlich und reichten von verhaltener Begrüßungbis zu begründetem Zweifel, dass dieser neue Dienstdie etablierten Freiwilligendienste gefährdet.

In der darauf einsetzenden politischen Diskussion,an der sich die in der Bundesarbeitsgemeinschaft derFreien Wohlfahrtspflege (BAGFW) zusammenge-schlossenen Wohlfahrtsverbände Arbeiterwohlfahrt(AWO), Deutscher Caritas Verband (DCV), DeutschesRotes Kreuz (DRK), Diakonisches Werk der Evange-lischen Kirche Deutschlands (Diakonie) und Paritäti-scher Wohlfahrtsverband (Der Paritätische) aktiv be-teiligten, entwickelte sich die Idee des freiwilligen Zi-vildienstes nach und nach zu dem nun vorliegendenModell des Bundesfreiwilligendienstes (BFD).

Die Bundesregierung hat nunmehr am 15.12.2010 ei-nen Gesetzentwurf zur Einführung eines Bundes-freiwilligendienstes beschlossen. Dieser Gesetzentwurfbefindet sich zurzeit in parlamentarischer Beratung undLesung im Deutschen Bundestag.

Die CDU/CSU/FDP-Regierungskoalition ist sich da-rin einig, den Zivildienst zum 30.06.2011 auszuset-zen. Die letzten Zivildienstleistenden werden am16.12.2011 entlassen. Dann ist mit dem Zivildienstendgültig Schluss.

Die durch die Bundesregierung eingeleitete Entwick-lung folgt u. a. den Empfehlungen der Kommission„Impulse für die Zivilgesellschaft - Perspektiven fürFreiwilligendienste und Zivildienst in Deutschland“(2004)3, in denen der gleitende Strukturwandel vomPflicht- zum Freiwilligendienst herausgearbeitet wurde.

AUSSETZUNG DES ZIVILDIENSTES

Die Aussetzung des Zivildienstes ist eine unmittel-bare Folge der Aussetzung der Wehrpflicht und alleindiesem Umstand geschuldet. Sie hat nichts damit zutun, dass dieser Dienst sich nicht im Bereicharbeitsmarktneutraler, sozialer Dienstleistungen be-währt hat. Im Gegenteil: In vielen Einrichtungen, instationären und ambulanten Betreuungs- und Pflege-einrichtungen, in Krankenhäusern, Rettungsdienst-stellen usw. waren die Zivildienstleistenden eine wich-tige Ergänzung und Bereicherung für soziale Angebo-te. Sie waren dies auch im Bereich des Umwelt- undNaturschutzes, des Sportes und der Kultur und zuletztzunehmend auch der Entwicklungshilfe.

Dr. Volker MosemannDRK

BAGFW-Fachausschuss Zivildienstund Bürgerschaftliches Engagement

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Im sozialen Bereich war es vor allem bedeutsam, dassdie jungen Männer Erfahrungen mit den Lebensweltensozial marginalisierter und individuell benachteiligterPersonengruppen sammeln konnten.

Die Präsidentin der Bundesarbeitsgemeinschaft derFreien Wohlfahrtspflege, Donata Freifrau Schenck zuSchweinsberg hat in diesem Zusammenhang festge-stellt: „Sollte es zur Aussetzung der Wehrpflicht unddamit zum faktischen Ende des Zivildienstes kommen,so ist auch der Staat in der Verantwortung, die positi-ven Effekte des Zivildienstes nachhaltig sichern zuhelfen. Die Einführung eines neuen Freiwilligen-dienstes auf der Grundlage von Plänen des BMFSFJwäre im Zusammenspiel mit den bestehenden (Jugend-)Freiwilligendiensten nach Ansicht der BAGFW einpragmatischer Schritt, um dieses Ziel zu erreichen.“4

In ersten, anfänglichen politischen Diskussionen for-derten einige Verbände und Anbieter, nach Aussetzungdes Zivildienstes keinen zusätzlich neuen Dienst undkeine Doppelstrukturen bezüglich der Freiwilligen-dienste aufzubauen. Letztendlich wurde auf der Basisungelöster Föderalismusfragen und eines somit nichtzu lösenden Dilemmas zwischen dem Bund und denLändern versucht, einen politischen Konsens zu errei-chen, in dem die Stärke der Freiwilligendienste ihreVielfalt ist5 und die bewährten Freiwilligendienste

durch den BFD sinnvoll ergänzt werden und nicht be-hindert werden dürfen.

Wir begrüßen daher zwar die Einführung des Bundes-freiwilligendienstes, um nach dem Aussetzen des Zi-vildienstes auf freiwilliger Basis das gesellschaftlicheEngagement von Jugendlichen sowie Frauen und Män-ner aller Altersstufen zu stärken und auszubauen, sa-hen von Anbeginn der Diskussion aber in der Stär-kung der bestehenden Freiwilligendiensten die ersteund bessere Option.

Die Öffnung des BFD für alle Jugendlichen ab 16Jahren, für Frauen und Menschen jeden Alters, ist einwichtiger Schritt. Mit der Einführung des BFD wirdein Großteil der wertvollen Dienste der ehemaligenZivildienstleistenden, an die sich viele Bürgerinnen undBürger insbesondere die Hilfebedürftigen und Schwa-chen der Gesellschaft seit 40 Jahren gewöhnt haben,weitergeführt werden können. Dies ist nicht zuletzt imInteresse derer, die von diesen Hilfen und dieser Un-terstützung profitieren.

DER BUNDESFREIWILLIGENDIENST (BFD)Mit der Einführung des BFD ist beabsichtigt, die

durch die Aussetzung des Zivildienstes wegfallendensozialen Dienstleistungen weitestgehend zu kompen-sieren und gleichzeitig FSJ und FÖJ weiter auszubau-en und zu stärken.

Der staatlich geführte Bundesfreiwilligendienst(BFD) ist ein freiwilliger Dienst (Dienst im Sinne vonfür jemanden arbeiten, aushelfen, etwas Gutes tun undnützlich sein) für die Gesellschaft mit überwiegendpraktischer Hilfstätigkeit, zu dem sich Jugendliche miterfüllter Vollzeitschulpflicht ab 16 Jahren, Männer undFrauen aller Altersklassen und Ethnien vertraglich vonmindestens sechs bis maximal 24 Monate (er kann auchabschnittsweise geleistet werden) in gemeinwohl-orientierten Einrichtungen der Bereiche Soziales, Kul-tur, Bildung, Sport, Natur- und Umweltschutz, Denk-mal- und Landschaftspflege sowie Integration ver-pflichten. Im Mittelpunkt des BFD steht die engagier-te praktische Tätigkeit, die fachliche Betreuung, dasLernen, die Bildung und pädagogische Begleitung derDienstleistenden in den Dienststellen. Der BFD ist keinPflichtdienst. Er orientiert sich - auch unter Berücksich-tigung der Erfahrungen im Zivildienst - stark am FSJ.Bis auf die insbesondere für die Einsatzstellen mit ei-nigen Schwierigkeiten und bürokratischem Aufwandverbundenen unterschiedlichen Regelungen bzgl. Kin-der- und Taschengeld sind die Freiwilligen rechtlich

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T H E M A

ähnlich gestellt, auch mit Auszubildenden. Gesetzlichgeregelt sind die Rahmenbedingungen für den BFD im„Gesetz zur Einführung eines Bundesfreiwilligen-dienstes“ (dieses liegt zurzeit im Entwurf vor6).

Der BFD wird in sozialen Einrichtungen derWohlfahrtsverbände, der Kommunen und anderer Trä-ger durchgeführt. Die Freiwilligen werden vor Ort inden Einsatzstellen fachlich unterwiesen und in Semi-naren pädagogisch begleitet.

Die Koppelung der bestehenden Freiwilligendienste(FSJ/FÖJ, Generationsübergreifende Freiwilligen-dienst) und des neuen Bundesfreiwilligendienstes fin-det vorrangig über die bestehenden bundeszentralenTräger von FSJ und FÖJ statt.

Die Bundesregierung beabsichtigt, zunächst Plätzefür 35.000 Bundesfreiwilligendienstler pro Jahr bereit-zustellen und zu finanzieren. Im Rahmen des BFD wirdauch die Mitwirkung im Zivil- und Katastrophenschutzmöglich sein.

Der BFD hat das Ziel, Jugendlichen und Erwachse-nen aller Altersklassen Möglichkeiten zu bieten, sichfreiwillig in vielfältigen Diensten - auch zur Unter-stützung des Fachpersonals der Einrichtungen - zu en-gagieren und ihre Persönlichkeit sowie ihr soziales Be-wusstsein nachhaltig zu entwickeln. Im Mittelpunktdes BFD steht die engagierte praktische Tätigkeit, diefachliche Betreuung, das Lernen, die Bildung und päd-agogische Begleitung der Dienstleistenden in denDienststellen. Der BFD ist kein Langzeitpraktikum undkein Vorpraktikum für bestimmte Studiengänge.

Auch wenn klar ist, dass der BFD den Zivildienstnicht 1:1 ersetzen kann, gehen wir davon aus, dassFrauen und Männer, Junge und Alte zusätzliche Chan-cen erhalten werden, sich freiwillig sozial zu engagie-ren, zu lernen, Erfahrungen zu sammeln und ihre Per-sönlichkeit weiter zu entwickeln.

Die vielfältigen Tätigkeitsinhalte im BFD, insbeson-dere die psycho-sozialen Herausforderungen, die derunmittelbare Kontakt mit relativ fremden Lebens-welten bedingt, fördern auf unterschiedliche Weise denErwerb persönlich und beruflich nützlicher Kompe-tenzen.

Tatsache ist, dass der Umgang mit behinderten, kran-ken, alten und sozial benachteiligten Menschen einbreites Spektrum an Lernorten im BFD bereit haltenwird, die die Persönlichkeitsentwicklung anregt undfördert. Der BFD wird sich mit seinen informellen

Erfahrungsräumen als Sozialisationsort und mit sei-nen formalen Anteilen zu einem Qualifikationsort ent-wickeln.

Wir gehen davon aus, dass sich die Persönlichkeitder Dienstleistenden im BFD in folgenden Richtun-gen weiter entwickeln wird:

� Zunahme von Verständnis und Einfühlungsvermö-gen gegenüber marginalisierten Personengruppen,

� die persönliche Erfahrung, gebraucht zu werden,� erhöhte Wertschätzung sozialer Berufe,� Erhöhung des Selbstbewusstsein,� verstärkte Übernahme von Verantwortung.7

Die von den Frauen und Männern im BFD erworbe-nen Erfahrungen werden positive Auswirkungen aufihr Denken und Verhalten hinsichtlich ihres pro-so-zialen Verhaltens und ehrenamtlichen Engagements ha-ben und sie werden Kompetenzen erwerben, die für ihranschließendes Leben verwertbar und nützlich sind.Nicht zuletzt wird der BFD für die Nachwuchsgewin-nung für soziale Berufe eine wichtige Rolle spielen.

Für die Zielgruppe der über 27-Jährigen wird die päd-agogische Begleitung stärker durch andragogische For-men und Methoden der Erwachsenenbildung erfolgenmüssen. Dabei ist zu berücksichtigen, dass ältere Men-schen einen starken Wunsch nach selbstgesteuertemLernen haben, ihre Erfahrungen in den Lernprozesseinbringen möchten, ihre Lernbereitschaft selbst un-

Alle Fotos: morguefile / Inge Mayer

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ter Beweis stellen wollen und lernen wollen, um die Pro-bleme ihres Alltags zu lösen.

STRUKTUR DES NEUEN BUNDESFREIWILLIGENDIENSTES

Zur Führung und Steuerung des BFD ist zurzeit folgen-de Struktur vorgesehen:

� Bundesministerium für Familie, Senioren,Frauen und Jugend und Bundesamt

� Zentralstellen� Träger� Einsatzstellen

Einsatzstellen und Träger können Zentralstellen bilden.Da jede Einsatzstelle des BFD sich (mindestens) einerZentralstelle zuordnen muss, kommt den Zentralstelleneine große Bedeutung bei der Durchführung des BFDzu. Eine Zuordnung zu mehr als einer Zentralstelle wirddann in Betracht kommen, wenn innerhalb einer Ein-richtung zwei unterschiedliche Programme angebotenwerden, z.B. sowohl das FSJ als auch das FÖJ. Über-wiegend werden die Zentralstellen aus den bestehen-den bundeszentralen Trägern des FSJ hervorgehen.Zentralstellen werden dafür Sorge tragen, dass ihre Trä-ger und Einsatzstellen ordnungsgemäß an der Durch-führung des BFD mitwirken. Sie können ihnen Aufla-gen erteilen. Zentralstellen werden das Bindeglied zwi-schen Bundesbehörde, Träger und Einsatzstelle sein undeine wichtige Steuerungs-, Koordinierungs- und Service-funktion ausüben. Zentralstellen stellen die Koppelung(Kopplungsmodell) zwischen bestehenden Jugendfrei-willigendiensten und BFD sicher und regeln die interne

regional angemessene Zuteilung der Plätze in eigenerZuständigkeit. Das Kopplungsmodell gewährleistet, dassnicht mehr Freiwillige im BFD als im FSJ/FÖJ einge-setzt werden.8 Die Mindestanforderungen für Zentral-stellen hinsichtlich Anzahl, Größe und geografischeVerteilung werden durch eine Rechtsverordnung desBundes, die zurzeit noch nicht vorliegt, geregelt.9

Im zukünftigen BFD müssen sich die Einsatzstellenund Träger auch auf jüngere und kulturell unterschied-lich geprägte Freiwillige und weniger auf Abiturienteneinstellen. Es könnten letztlich auch mehr Haupt- undRealschüler unter den Bewerbern sein, was Auswirkun-gen auf die pädagogische Begleitung haben wird. DasBewerbungsverfahren für den neuen BFD läuft bereits.Interessenten können sich bei den Einsatzstellen undTrägern der Wohlfahrtsverbände melden und ggf. vor-merken lassen.

ATTRAKTIVE FREIWILLIGENDIENSTE GESTALTEN

WERBUNG UND ÖFFENTLICHKEITSARBEIT 10

Den Wohlfahrtsverbänden liegt viel daran, dieFreiwilligendienste weiter auszubauen und zu stärken.Die persönliche Entscheidung, sich freiwillig für einenDienst zu engagieren, wird maßgeblich von der Aner-kennung und Wertschätzung der Leistungen der Frei-willigen beeinflusst. Deshalb ist es wichtig, für dieFreiwilligendienste eine Kultur der Anerkennung zuentwickeln. Das könnte u.a. auch gefördert werdendurch: Freiwilligencards, die Ermäßigungen für öffentli-che Verkehrsmittel, Kultur- und Sportveranstaltungenbieten, Steuervorteile, Weiterbildungen im Rahmen derDienste. Auch die Anrechnung der Dienstzeit als War-te- oder Praxissemester für einen Studienplatz oder derErlass von Praktika und die Erleichterung von Zugän-gen zu einer Ausbildung, eine Vorzugsbehandlung beiBewerbungen bzw. ggf. auch als Anrechnung bei mög-lichen BAFÖG-Rückzahlungsmodalitäten sowieRentenanrechnungspunkte können Freiwilligendiensteattraktiver machen. Wir können deutlich machen, dassFreiwilligendienste Qualifikationen für den Wiederein-stieg in den Berufsprozess mit sich bringen. Freiwilligen-dienste können gegebenenfalls als Qualifikationen fürnachfolgende Ausbildungen anerkannt werden, außer-dem können Auszeichnungen und Preise vergeben wer-den. Die Freie Wohlfahrtspflege wird alles tun, um sol-che Anreize zu unterstützen.

Wichtig ist die Öffentlichkeitsarbeit. Attraktiv sind un-sere Freiwilligendienste auch dann, wenn sie in der Öf-fentlichkeit Aufmerksamkeit und Interesse erregen,

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Fußnoten: 1 Aussetzung (auch: Moratorium) ist die nicht weitere Durchfüh-

rung der Wehrpflicht / des Zivildienstes und die Aufschiebungweiterer Handlungen bis zum Ende der Aussetzung. Aussetzungheißt nicht Abschaffung.

2 Pressemitteilung Nr. 48/2010 des Bundesministeriums für Fa-milie, Senioren, Frauen und Jugend vom 23.08.2010, S. 1.

3 Perspektiven für Freiwilligendienste und Zivildienst in Deutsch-land. Bericht der Kommission Impulse für die Zivilgesellschaft.Berlin, den 15. Januar 2004.

4 Errungenschaften des Zivildienstes bewahren. Pressemeldungder BAGFW vom 24.09.2010, S. 1.

5 Pressemitteilung des BMFSFJ Nr. 77/2010 vom 26.10.2010, S. 1. 6 Gesetz zur Einführung des Bundesfreiwilligendienstgesetzes vom

05.12.2010 (Entwurf) 7 Entwicklungsimpulse, Chancen und ungeplante Wirkungen im

Kontext sozialen Engagements junger Männer. In: DeutscheJugend, Heft 7/8 2005; S. 333.

8 BMFSFJ - Newsletter BfZ informiert Nr. 02, 26. Januar 2011, S. 4. 9 Gesetz zur Einführung des Bundesfreiwilligendienstgesetzes vom

05.12.2010, § 8 (Entwurf)10 Attraktive Freiwilligendienste gestalten. Rede der Präsidentin

der BAGFW, Donata Freifrau Schenck zu Schweinsberg auf derAuftaktveranstaltung „Attraktive Freiwilligendienste“ desBMFSFJ am 25.01.2011 in Berlin.

Literatur:

Kristina Schröder schlägt bundesweiten freiwilligen Zivildienst vor.Pressemitteilung Nr. 48/2010 des Bundesministeriums für Familie,Senioren, Frauen und Jugend vom 23.08.2010

Perspektiven für Freiwilligendienste und Zivildienst in Deutschland.Bericht der Kommission Impulse für die Zivilgesellschaft. Berlin,den 15. Januar 2004.

Pressemitteilung des BMFSFJ Nr. 77/2010 vom 26.10.2010,Internetredaktion.

Errungenschaften des Zivildienstes bewahren. Pressemeldung derBAGFW vom 24.09.2010.

Entwicklungsimpulse, Chancen und ungeplante Wirkungen imKontext sozialen Engagements junger Männer. In: Deutsche Jugend,Heft 7/8 2005.

BMFSFJ - Newsletter BfZ informiert Nr. 02, 26. Januar 2011.

Gesetz zur Einführung des Bundesfreiwilligendienstgesetzes vom05.12.2010 (Entwurf)

Attraktive Freiwilligendienste gestalten. Rede der Präsidentin derBAGFW, Donata Freifrau Schenck zu Schweinsberg, auf derAuftaktveranstaltung „Attraktive Freiwilligendienste“ des BMFSFJam 25.01.2011 in Berlin.

Anziehungskraft ausüben. Die Durchführung der ab dem01.04.2011 geplanten „Informations- und Öffentlichkeits-kampagne des BMFSFJ zur Einführung des Bundes-freiwilligendienstes und dem begleitenden Ausbau derJugendfreiwilligendienste“ ist daher zu begrüßen. Wirsind auch gern bereit, diese Kampagne mit ihrer Träger-vielfalt aktiv zu unterstützen und entsprechend mit ei-gener Presse- und Öffentlichkeitsarbeit zu begleiten.

Um die Angebote der Freiwilligendienste durch Viel-falt attraktiv zu machen, benötigen die Zentralstellenim Sinne der Subsidiarität ausreichend Gestaltungs-spielraum, um Freiwilligendienste in ihrer Trägerschaftzu strukturieren und zu gestalten.

Die derzeitig noch ungelöste Umsatzsteuerproblematikist ein Beispiel für hinderliche Rahmenbedingungen: Inden Freiwilligendiensten unterliegen einzelne Verwal-tungsleistungen zwischen Trägern und Einsatzstelleneinem Regelsteuersatz von 19 Prozent. Dies führt zurechtlichen Unsicherheiten bei den Trägern, zu büro-kratischem Mehraufwand bei möglichen Umsatzsteu-er-Erstattungen und sendet ein falsches Signal über dieWertigkeit freiwilligen Engagements. Wir meinen, esist höchste Zeit, die bisherigen Freiwilligendienste vonder Umsatzsteuer zu befreien und das Problem im neuenFreiwilligendienst erst gar nicht entstehen zu lassen.

Wir setzen zukünftig mehr als bisher auf eine ganz neueGruppe von Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern – dieSeniorinnen und Senioren, die sich noch zu jung fürsAltenteil fühlen und über ein hohes Maß an Lebenser-

fahrung verfügen. Und es wird für alle eine besondereHerausforderung sein, zu erfahren, welche Formen derAnerkennung diese Personengruppe erwartet und wasderen Engagement angemessen ist.

SCHLUSSBEMERKUNG

Der Übergang vom Pflicht- zum Freiwilligendienstzeichnete sich in den letzten Jahren seit dem Jahr 2004deutlich ab. Die Wohlfahrtsverbände haben daran mit-gewirkt, sich darauf eingestellt und vorbereitet. Mit demAussetzen des Zivildienstes und der Einführung desBundesfreiwilligendienstes wird im Sozialbereich keinNotstand ausbrechen. In den nächsten Monaten und Jah-ren wird die attraktive Ausgestaltung der Freiwilligen-dienste auch für die Wohlfahrtsverbände eine wichtigeAufgabe sein und ihren ganzen Einsatz erfordern. DerBFD wird, wie auch die anderen Freiwilligendienste,einen wichtigen Beitrag leisten, Menschen für die Mit-wirkung in und zur Mitverantwortung für unsere Ge-sellschaft zu gewinnen. Damit dies mittelfristigmöglichst optimal gelingen kann, regen wir neben an-deren zivilgesellschaftlichen Playern an, dass eine un-abhängige Evaluation des neuen Gesetzes nach denFreiwilligenjahrgängen 2011/12 und 2012/13 unbedingtdurchzuführen ist. Bis dahin werden sich die Wohlfahrts-verbände an der Einführung und Gestaltung des Bundes-freiwilligendienstes – unter Beachtung des Prinzips derSubsidiarität „Selbstverantwortung vor staatlichem Han-deln“ - aktiv und engagiert beteiligen und dafür Ein-satzstellen und Plätze zur Verfügung stellen.

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Konstituierende Sitzung des Bayerischen Landesjugendhilfeausschusses

Unser Bild zeigt den neu gewählten Vorstand zusammen mit Staatsministerin Haderthauer(3. v. l.). Von rechts: Günter Tischler, Leiter des Jugendamtes Regensburg; Martina Liebe,Bayerischer Jugendring; Stefanie Krüger, Bayerisches Landesjugendamt; Bernhard Zapf,Diakonisches Werk Bayern; Hermann Imhof, MdL.

„Der Landesjugendhilfeausschussleistet in Bayern eine sehr wertvolleund gute Arbeit. Ich bin mir sicher,dass auch in der jetzt beginnenden8. Amtsperiode wieder auf hohemNiveau diskutiert wird und am Endekonstruktive, pragmatische Lösun-gen stehen werden.“ Mit diesen Wor-ten begrüßte Bayerns Familienmi-nisterin Christine Haderthauer dieMitglieder des neu konstituiertenLandesjugendhilfeausschusses. Siedankte den zahlreich Anwesendenfür ihre Bereitschaft, ihre Erfahrun-gen und Fachkenntnisse mit großemEngagement in die Arbeit des Gre-miums in der neuen Amtsperiodeeinzubringen. Hermann Imhof, Ab-geordneter im Bayerischen Landtag,wurde bei der konstituierenden Sit-zung mit einhelligem Votum als Vor-sitzender bestätigt. Bereits in der

vergangenen Amtsperiode war ereinstimmig als erster politischer Ver-treter an die Spitze des Landesju-gendhilfeausschusses gewählt wor-den. Die ersten fachlichen Diskus-sionen des Gremiums galten denEmpfehlungen zur Handhabung des

§ 72a SGB VIII, der Neufassung derfachlichen Eckpunkte für die Groß-tagespflege in Bayern sowie derBekanntgabe zur Vergabe des Güte-siegels im Rahmen der Säule II desAktionsprogramms Tagespflege desBundes.

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Wissenslücken beim Thema PflegeNürnberg (epd). Ältere türkische Migranten inDeutschland haben offenbar große Wissenslückenbeim Thema Pflege. Der Arbeits- und Sozialattachébeim türkischen Generalkonsulat in Nürnberg, KemalRamoglu, sagte bei einer Tagung in Nürnberg, dieGeneration seiner Landsleute, die vor 50 Jahren alsGastarbeiter kam, nütze nur selten ambulante Pflege-dienste und wüsste nicht, was ihnen über die Pflege-versicherung zustehe. Viele türkische Migrantenwünschten sich laut Ramoglu, auch ihr Alter inDeutschland zu verbringen, weil hier ihre Kinder lei-ben. Statistische Erhebungen hierzu gebe es aber nochnicht. Ramoglus Ziel ist es, mehr türkischstämmigejunge Leute für Pflegeberufe zu gewinnen. „Geradedie erste Generation will sich lieber von Landsleutenpflegen lassen“, sagte Ramoglu. Pflegekräfte aus ih-rer eigenen Kultur würden türkische Patienten leich-ter die Tür öffnen, berichtete auch Altenpflegerin AyceGülec, die in Nürnberg einen ambulanten Pflegedienstbetreibt. Die Ärztin Johanna Myllymäki-Neuhoff vomZentrum für Altersmedizin am Klinikum Nürnbergbetonte, wie wichtig eine Ausbildung zur „kultur-sensiblen“ Pflege sei. Junge türkische Frauen, diekaum die Heimat ihrer Eltern kennen würden, hättendas effiziente westliche Medizinmodell vor Augen.„Sie wissen nicht mehr, welche Bedeutung früher hei-lende Berufe in der Türkei hatten.“

BBayern will Babyklappen behaltenMünchen (SZ/dm). Bayerns Justizministerin BeateMerk geht auf Konfrontation zum Nationalen Ethik-rat. Die Position des Ethikrates, Babyklappen undAngebote zur anonymen Geburt aufzugeben, ist lautMerk nicht der richtige Weg. „Es ist mir ein Herzens-anliegen, dass wir die anonyme Geburt und die Baby-klappe – ich spreche hier lieber vom Babyfenster –weiter anbieten“, sagte die Ministerin. VerzweifelteMütter in absoluten extremen Lebenssituationen sei-nen darauf angewiesen, ihr Neugeborenes in sichereObhut geben zu können. Zwar sei es „unfassbar, wenneine Frau ihr Neugeborenes aussetzt und seinemSchicksal überlässt“, doch eine solche Mutter befin-det sich meist in einer ausweglosen Situation. Oft gehees den Frauen darum, ihr Kind vor Misshandlungenoder gar Missbrauch zu schützen, oft könnten sie esauch selbst nicht ernähren, oder sie fürchteten sichvor familiären Ausgrenzung, sagte die Ministerin. DerEthikrat spricht sich gegen die Einrichtungen zur an-onymen Geburt aus, weil die Kinder ein Recht aufKenntnis ihrer eigenen Abstammung hätten. Merk,die bei ihrem Anliegen den Augsburger WeihbischofAnton Losinger auf ihrer Seite weiß, erklärte, sie re-spektiere dieses Argument. Aber in Extremsituationenböten die Babyfenster „Sicherheit für das Kind“.

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Immer mehr Klagengegen Hartz IV

Berlin (dpa). Die Klagewelle gegenHartz-IV-Bescheide hat in Berlineinen neuen Höhepunkt erreicht. AnDeutschlands größtem Sozialgerichtgingen 2010 fast 32.000 Klagen ein.Das sind fast 20 Prozent mehr als imVorjahr. Seit Einführung von HartzIV vor sechs Jahren habe sich dieZahl der Verfahren damit mehr alsvervierfacht - auf jetzt 117.000, sagteGerichtspräsidentin Sabine Schudo-ma. Mit einem Rückgang sei auchnach Inkrafttreten der geplanten Re-form nicht zu rechnen.

Kinderhospiz-Dienste stärker bekannt machen

Weniger Geld fürBehindertenhilfe

München (dapd). CSU-Landtags-präsidenten Barbara Stamm ist mitdem Kurs der CSU-Staatsregierungunzufrieden. Als Vorsitzende des Ver-eins „Lebenshilfe für Menschen mitgeistiger Behinderung“ spricht sichStamm gegen die geplanten Kürzun-gen der Behindertenhilfe im Entwurfdes neuen Doppelhaushaltes aus. DieFördermittel im Landesbehinderten-plan sollen von 25 auf 22 MillionenEuro gesenkt werden. „Angesichtsder Haushaltslage“ seien „weitereMittel im Bereich der Menschen mitBehinderung leider nicht durchsetz-bar“, teilte das Sozialministerium aufAnfrage dazu mit. „Wir sind enttäuscht.Dieser Vorschlag der Staatsregierungbedeutet innerhalb weniger Wochendie zweite millionenschwere Kür-zung von Mitteln im Bereich derBehindertenhilfe“, kritisiert Stamm.Erst Mitte Dezember seien mehreredringend benötigte Millionen Eurodem Rotstift zum Opfer gefallen.Damals habe die Staatsregierung Gel-der ersatzlos gestrichen, die im In-vestitionsprogramm „Aufbruch Bay-ern“ für den Wohnungsbau für alteMenschen mit Behinderung vorgese-hen gewesen seien.

München (epd). In Bayern sterbenjährlich rund 700 Kinder an Erkran-kungen. Speziell geschulte ehrenamt-liche Kinderhospizhelfer stehen ih-nen und ihren Familien auf ihrem Lei-densweg bei. „Sie leisten mit ihrembürgerschaftlichen Engagement einenunschätzbaren wichtigen Dienst undleben zentrale gesellschaftliche Wer-te vorbildlich vor“, sagte Bayerns So-zialministerin Christine Haderthauerin München. Sie beklagte, dass es„beim Thema Hospiz immer noch eingroßes Informationsdefizit in der Be-völkerung gibt“. Sie appellierte be-sonders an die Haus- und Kinderärz-te, „sich noch viel stärker über das

Angebot der Hospizdienste zu infor-mieren“. Die Krankenkassen forder-te sie auf, alle Hospiz-Dienste „nach-haltig zu fördern“ und „die Leistun-gen der stationären Hospize ange-messen zu vergüten“. In Bayern sindelf ambulante Kinder-Hospizdienstetätig. Die Bayerische Stiftung Hos-piz fördert die Aus- und Weiterbil-dung und die Supervision der Hos-piz-Helfer. Haderthauer mahnte, ne-ben der Begleitung der sterbendenKinder und ihrer Eltern nicht die Ge-schwister zu vergessen. Ihr Mitleidenverlange eine besondere Zuwendung,um lebenslangen Traumatisierungenvorzubeugen.

Mehr Analphabetenjedoch keine zusammenhängendenkürzere Texte. Dadurch seien sienicht in der Lage, am gesellschaft-lichen Leben in angemessenerForm teilzuhaben, so die Studie.Weitere 25 Prozent der Befragtenbeherrschten die Rechtschreibungnicht hinreichend. Sie könnenselbst gebräuchliche Wörter nurfehlerhaft oder langsam lesen undschreiben. Dabei zeigt sich, dassMänner mit einem Anteil von 60,3Prozent häufiger als Analphabetengelten als Frauen mit 39,7 Prozent.

Regensburg ist Zivi-HochburgRegensburg (dapd). Regensburg istDeutschlands „Zivis“-Hauptstadt.Gemessen an der Einwohnerzahlgibt es nirgendwo so viele Zivil-dienstleistende wie in Regensburg.Wie das Zeit-Magazin berichtet, lie-gen mit Landshut und Passau zweiweitere ostbayerische Städte an derSpitze der Zivi-Rangliste. In Re-gensburg sind demnach 7,2 Prozentaller Männer im Alter zwischen 18und 25 Jahren Zivildienstleitende.

Landshut folge mit einem Anteil von6,3 Prozent auf Platz drei imDeutschlandvergleich. Passau (5,2Prozent) liege auf dem fünften Platz.Der Ergebung zufolge liegen diezehn Städte mit den höchsten „Zivi“-Quoten alle im Süden Deutschlands.Mit dem Ende der Wehrpflicht leis-ten „Zivis“ ihren Dienst seit dem 1.Januar nur noch freiwillig. Am 30.Juni 2011 wird der Zivildienst inDeutschland enden.

MBerlin (epd). Die Zahl der Analpha-beten in Deutschland ist deutlichhöher als bisher geschätzt: Nach ei-ner Studie der Universität Ham-burg, die Bundesbildungsmini-sterin Annette Schavan in Berlinvorgestellt hat, können 7,5 Millio-nen Deutsche zwischen 18 und 64Jahren nicht richtig lesen undschreiben. Bislang sind Expertenvon vier Millionen Analphabetenausgegangen. 14 Prozent der 18-bis 64-Jährigen können zwar ein-zelne Sätze lesen und schreiben,

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Bayern wächst durch Zuwanderung

Trinken bis zum UmfallenWiesbaden (dpa). Im Jahr 2009 lan-deten rund 26.400 junge Menschenim Alter zwischen zehn und 20 Jah-ren mit Alkoholvergiftungen imKrankenhaus. Das war ein Anstiegum 2,8 Prozent gegenüber 2008, wiedas Statistische Bundesamt in Wies-baden weiter mitteilte. Im Vergleichzum Jahr 2000 bedeutet das sogarein Plus von 178 Prozent – damalswurden rund 9.500 junge Patientenund Patientinnen mit der Diagnose„akute Alkoholintoxikation“ statio-när behandelt. Insgesamt waren psy-chische und Verhaltensstörungendurch Alkohol der zweithäufigsteGrund, weshalb Menschen inDeutschland 2009 ins Krankenhauskamen. Häufigster Grund war Herz-schwäche. Die Herzerkrankung An-gina pectoris landete auf Platz drei.Insgesamt wurden 2009 rund 18.3Millionen Patienten vollstationär imKrankenhaus behandelt. Davon wa-ren etwas mehr als die Hälfte Frau-en. Das Durchschnittsalter der Be-handelten lag bei 54 Jahren. Auf100.000 Einwohner gab es 2009 ins-gesamt 20.543 Behandlungsfälle –ein Plus von 1,2 Prozent.

venzen ein deutliches Nord-Süd-Gefälle feststellen: In Bremen gibtes mit 307 Pleiten auf 100.000Einwohner die meisten, in Bayern mit125 die wenigsten Insolvenzen. DieMetropolregion Nürnberg trägt einengroßen Teil zu diesem guten Wert bei:Den bundesweit stärksten Rückgangan Schuldnern gab es in Weißenburg-Gunzenhausen, Ansbach und imNürnberger Land. Hier ging die An-zahl der Privatpleiten je um rund einDrittel zurück. Die durchschnittlicheSchuldenhöhe pro Fall lag im ver-gangenen Jahr bei 33.000 Euro.

Meier überzeugt. Die Sozialreferen-tin schlug vor, wie in den angelsäch-sischen Ländern auf mehr Professio-nalisierung zu setzen. Nur so könneeine wachsende Zahl älterer Men-schen mit spezifischem Behand-lungsbedarf betreut werden. Als „Un-verschämtheit“ bezeichnete es Mei-er, dass die bayerische Sozialmini-sterin Christine Haderthauer mit ei-ner Kampagne für mehr Pflegekräftewerbe, während Kultusminister Lud-wig Spaenle Kürzungen bei der Aus-bildung der Pflegeschüler vornehme.„Wir müssen auch über eine Finan-zierung neu nachdenken“, sagte sieund schlug ein Umlageverfahren vor.

Fünftel davon kamen aus dem Aus-land. Das Geburtendefizit lag bei13.879 Personen und damit etwasniedriger als 2009. Vom Bevölke-rungswachstum profitierten nichtalle Regierungsbezirke gleicherma-ßen. Während Oberbayern, Schwa-ben, Mittelfranken und NiederbayernZuwächse verbuchten, sank die Ein-wohnerzahl in Ober- und Unter-franken wie auch in der Oberpfalz.

P A N O R A M A

MMehr PflegebedürftigeWiesbaden (KNA). Immer mehrMenschen in Deutschland sindpflegebedürftig. Am Ende des Jah-res 2009 waren es 2,34 Millionen,wie das Statistische Bundesamt inWiesbaden mitteilte - 16 Prozentmehr als noch 1999; damals wardie Zahl der Pflegebedürftigenerstmals erhoben worden. Mehr alszwei Drittel der aktuell Betroffe-nen wurden zu Hause versorgt.Davon erhielten 1,07 Millionenausschließlich Pflegegeld; sie wur-den also in der Regel durch Ange-hörige gepflegt. Vollstationär inHeimen betreut wurden 717.000Pflegebedürftige.

PPrivatinsolvenzen auf Höchststand

Nürnberg (NN/vp). 2010 gab es soviele Privatinsolvenzen wie niezuvor. Die rund 140.000 Pleitiers(6,4 Prozent mehr als 2009) übertref-fen sogar den bisherigen Rekord von2007. Das aktuelle Schuldenbaro-meter weist zwei Trends auf, wie dieHamburger WirtschaftsauskunfteiBürgel weiter mitteilt. Zum einenverschulden sich immer mehr jungeMenschen zwischen 18 und 25 Jah-ren; im Vergleich zu 2009 ist dieZahl der Betroffenen in dieser Al-tersgruppe um 27 Prozent angestie-gen. Auch lässt sich bei den Insol-

UUmdenken bei der Pflege

München (epd). Neue Wege in derAltenpflege hat die Sozialreferentinder Landeshauptstadt München,Brigitte Meier, gefordert. Die mo-mentane Situation mit einer Quotevon 50 Prozent an Fachkräften seikeine tragfähige Lösung für die Zu-kunft, sagte Meier: „Es ist schon jetztschwierig, Auszubildende zu be-kommen“. Derzeit fehlen laut Mei-er bereits 7.000 zusätzliche Fach-kräfte für die Pflege in Bayern. Inzehn Jahren werde der Fehlbedarfbei 50.000 Kräften liegen. Ein Pfle-genotstand könne nur durch spezi-ell ausgebildete Fachleute und vieleHilfskräfte bewältigt werden, ist

BMünchen (SZ/hem). Bayern wächst.Von Januar bis September 2010 stiegdie Einwohnerzahl um rund 21.600Menschen auf mehr als 12,53 Milli-onen. Zurückzuführen ist das Wachs-tum maßgeblich auf Zuzüge, dennnoch immer sterben in Bayern mehrMenschen als geboren werden. Wiedas Landesamt für Statistik mitteilt,zogen rund 35.500 Menschen mehrin den Freistaat als abwanderten, vier

15Bayerische Sozialnachrichten 2/2011

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Unter das Motto „Kein Mensch ist perfekt. Behinderte Menschen – Menschen wiedu und ich“ stellt die Caritas ihre Jahreskampagne 2011. Mit Veranstaltungen,Plakaten und Diskussions- und Begegnungsveranstaltungen will der katholischeWohlfahrtsverband den Blick der Politik und der Bevölkerung darauf lenken, „dasses noch ein weiter Weg ist, bis Menschen mit Behinderung gleichberechtigte undselbstbestimmte Mitglieder unserer Gesellschaft sind“, sagte Landes-Caritasdirektor Prälat Karl-Heinz Zerrle in München. Im Alltag, in der Schule, imBeruf und in der Freizeit seien Menschen mit Behinderung noch immer benachteiligt.Die Kampagne will Barrieren abbauen, zum Dialog ermutigen, gesellschaftlicheund politische Prozesse der Inklusion fördern und das Bild des Miteinanders stattder Aussonderung in den Köpfen wachrufen. Sie will dafür werben, behinderteMenschen nicht zuerst nach ihrer Behinderung zu taxieren: „Menschen mitBehinderung sind Menschen wie du und ich. Sie haben dieselben Vorlieben undAbneigungen, dieselben Wünsche und Sorgen wie wir alle.“

Aufbruch Bayern:Ohne Menschen mit Behinderung?

Kosten sparen,Umwelt bewahren

Caritas. Die Einrichtungen der Ca-ritas haben eine große Verantwor-tung, zur Bewahrung der SchöpfungGottes beizutragen. Deshalb brau-chen sie ein professionelles Umwelt-management. Darauf hat der baye-rische Landes-Caritasdirektor Prä-lat Karl-Heinz Zerrle hingewiesen.Bei der Fachtagung zu einem bay-ernweiten Pilotprojekt „Umweltma-nagement leicht gemacht“, sagteZerrle, Gott habe die Welt den Men-schen zur Bewahrung und Gestal-tung gegeben. „Wir müssen achtsamund verantwortungsvoll mit demGeschenk der Schöpfung umgehen.Umweltschutz und Nachhaltigkeitmüssen mehr als bisher Themen inder Caritas werden. Dazu müssenwir eigene Instrumente entwickeln.“In einem Pilotprojekt mit 13 cari-tativen Einrichtungen in Bayernhabe der Landes-Caritasverbandein solches Instrument vorgestellt.Mit diesem Managementsystem,EMASeasy genannt, können dieEinrichtungen vom Kindergarten biszum Pflegeheim Strom und Wassersparen, die Heizkosten senken undbeim Einkauf von Lebensmitteln,Baustoffen und anderen Gütern aufdie Regeln umweltgerechter undmenschenfreundlicher Produktionsowie fairen Handels achten. Nach-haltigkeit sei eine soziale, gesell-schaftliche und ökonomische Pers-pektive zugleich. Sie reiche für diesozialen Einrichtungen vom öko-fairen Beschaffungswesen über dasUmweltmanagement bis zur ethi-schen Geldanlage. Außerdem kön-ne man damit erheblich Kosten spa-ren.

Caritas. Der Landes-CaritasverbandBayern hat eindringlich an Minister-präsident Horst Seehofer appelliert,im milliardenschweren Sonderpro-gramm „Aufbruch Bayern“ auch In-vestitionen in der Behindertenhilfevorzunehmen. „Es kann doch nichtsein, dass die Menschen mit Behin-derung wieder einmal völlig verges-sen werden“, sagte Landes-Caritas-direktor Karl-Heinz Zerrle in Mün-chen. Dringend erforderlich seien

Investitionen für Wohnmöglichkei-ten für ältere Menschen mit Behin-derung, die von ihren Angehörigennicht mehr betreut werden könnten.Nach den vorliegenden Zahlen müss-ten in Bayern sowohl neue Heim-plätze wie Plätze für betreutes Woh-nen geschaffen werden. Außerdemgebe es Bedarf für tagesstrukturie-rende Angebote für Menschen mit Be-hinderung, die aus Altersgründen ausden Werkstätten ausgeschieden sind.

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M I T G L I E D S O R G A N I S A T I O N E N

Kurzatmigkeit der SozialpolitikDiakonisches Werk. Der Präsidentdes Diakonischen Werkes in Bayern,Ludwig Markert, hat deutliche Kri-tik an der bayerischen Sozialpolitikgeäußert. Bei der Jahrespressekon-ferenz der Diakonie in Nürnberg,sagte er, die Politik der vergangenenJahre sei „kurzatmig“. „Sie agiertnicht, sie reagiert, sie packt nicht an,sondern verlagert.“ Markert bezwei-felte, dass ein Pflegebeauftragteroder eine Pflegekammer, wie vonSozialministerium und Gesundheits-ministerium eingesetzt bzw. ange-kündigt, Probleme lösten. Es gebebereits Institutionen, die die Quali-tät der Pflege überwachen, und aucheine Beschwerdestelle, so Markert.Obwohl ein bundesweiter Fachkräf-temangel in den Pflegeberufen seitlangem absehbar sei, würde die Po-litik erst jetzt und dann mit wider-

sprüchlichen Maßnahmen reagieren.Er vermisse „Weitsicht und Nach-haltigkeit“. Markert forderte einedurch Umlagen finanzierte Ausbil-dung in den Pflegeschulen und kri-tisierte finanzielle Kürzungen für dieAltenpflegeschulen.

Diakonie-Vorstand Birgit Löwe be-fürchtet einen Verteilungskampf aufdem sozialen Arbeitsmarkt in denkommenden Jahren. Denn auch inder Kinder- und Jugendhilfe fehltendie Fachkräfte, sagte sie. Bundes-weit gebe es hier nach Schätzungendes Bundesfamilienministeriums imJahr 2013 etwa 65.000 Mitarbeiten-de zu wenig. Löwe wies darauf hin,dass trotz sinkender Geburtenzahlendie Erziehungsberatung und sozial-pädagogische Familienhilfen mehrin Anspruch genommen würden.

Dafür macht sie eine gewachseneSensibilität für problematische Le-bensverhältnisse, aber auch mehrProblemfamilien, „verantwortlich“.Die Diakonie-Vorstände sprachensich für bessere Rahmenbedingun-gen für soziale Berufe aus. Dazuzählen sie auch eine attraktivere Be-zahlung, bessere Kinderbetreuungs-möglichkeiten für Mitarbeitenden insozialen Berufen und bessere Aus-und Weiterbildung. Löwe betonte,die soziale Arbeit habe große Bedeu-tung für den sozialen Frieden unddas gesellschaftliche Zusammenle-ben und müsse angemessen aner-kannt werden.

Verbesserungen inder Pflege angemahnt

Diakonisches Werk. Erneut mahntdie Diakonie in Bayern Verbesse-rung in der Pflege an. Sie erhält jetztauch Unterstützung vom Fachver-band Evangelische Altenhilfe, einemVerband, in dem die Träger vonPflegeeinrichtungen organisiert sind.Übereinstimmend forderten beideVerbände in Nürnberg: Angesichtsder demographischen Entwicklungmüssten die Rahmenbedingungenfür die Pflege dringend verbessertwerden. In einem gemeinsamenGrundsatzpapier heißt es, alle vonden Pflegeeinrichtungen erbrachtenLeistungen müssten zukünftig auchangemessen finanziert werden. Diesgelte nicht nur für die pflegerischenLeistungen, sondern auch für Maß-nahmen der Weiterbildung, desQualitätsmanagements und der Ver-waltung. Es könne nicht sein, so derPräsident der Diakonie Bayern, Dr.Ludwig Markert, dass der Gesetzge-

ber Leistungen vorschreibe, diesedann aber nicht refinanziert würden:„Wir müssen Mitarbeitende mehre-re Stunden pro Woche freistellen,damit sie Verwaltungsaufgaben undQualitätsmanagementsaufgaben wahr-nehmen können. Diese Zeit fehlt inder Pflege.“ Die Prüfung einer Ein-richtung durch den MedizinischenDienst der Kassen (MDK) in einer

mittelgroßen Diakoniestation bindetMarkert zufolge zwei leitende Pfle-gekräfte zwei Tage - „und verhin-dert, dass sie in dieser Zeit das tunkönnen, wofür sie eigentlich bezahltwerden, nämlich sich um den Men-schen kümmern.“Das Grundsatzpapier „Pflege - wie wirsie verstehen“ findet sich im Internetunter www.diakonie-bayern.de.

Foto: Henrik-G.-Vogel pixelio

17Bayerische Sozialnachrichten 2/2011

M I T G L I E D S O R G A N I S A T I O N E N

LAG FW. Die ambulanten Pflege-dienste in Bayern leiden schon seitJahren darunter, dass die bestehen-den Vergütungen für die häuslicheKrankenpflege (Krankenversiche-rung) und für die häusliche Pflege(Pflegeversicherung) keine ange-messene Finanzierung der Diens-te erlauben. Die Folge ist enormerZeitdruck in der Pflege, längst istvon „Rennpflege“ oder „Pflegemit der Stoppuhr“ die Rede. Die-se Dauerbelastung geht auf Kos-ten der pflegebedürftigen Men-schen und des Gesundheitszustan-des und der Motivation der Pflege-kräfte. Diese Situation ist nichtlänger tragbar: Die Zukunft derambulanten Pflege – und damit dieGesundheit der alten und krankenMenschen – ist gefährdet. DerWunsch der meisten Menschen istes, im Alter so lange wie möglichzuhause bleiben und möglichst

auch dort gepflegt und versorgt wer-den zu können. Deshalb muss derGrundsatz „Ambulant vor stationär,solange es möglich ist“ auch von derFinanzierung her gezielt Unterstüt-zung erfahren.

Das seit März 2009 zwischen denKranken- und Pflegekassen auf dereinen und Caritas, Diakonie, BRKund AWO auf der anderen Seite lau-fende sog. Transparenzverfahren inBayern mit dem Ziel, leistungs-gerechte Vergütungssätze für einezukunftsfähige häusliche Kranken-und Altenpflege (Kranken- und Pfle-geversicherung) zu schaffen, wurdejetzt erfolgreich abgeschlossen. MitAbschluss dieses Transparenz-verfahrens, in dem eine umfangrei-che Datensammlung aus 80 ausge-wählten Pflegediensten erstellt wur-de, ist endlich der Weg für zeitnaheVergütungsverhandlungen frei. Bei

einem ersten Gesprächstermin derVerhandlungspartner im Dezem-ber 2010 wurden Termine für diefolgenden Vergütungsverhand-lungen festgelegt und im Januar2011 damit begonnen.

Wilfried Mück, Geschäftsführer derLandesarbeitsgemeinschaft derFreien Wohlfahrtspflege in Bayern(LAGFW): „Auf der Grundlage derErgebnisse aus dem Transparenz-verfahren erwartet die LAGFW nunkonstruktive Verhandlungen, ummöglichst bald eine spürbare Ver-besserung der sehr schwierigen Si-tuation der ambulanten Kranken-und Altenpflege zu erreichen unddamit deren Zukunftsfähigkeit zusichern – es geht dabei um dieWürde bei der Pflege und Versor-gung unserer älteren Menschen, esgeht letztlich um die Menschlich-keit unserer Gesellschaft!“

Ambulante Pflege:Konstruktive Gebührenverhandlung erwartet!

Keine Glanzsstunde der PolitikDiakonisches Werk. Auf verhalte-ne Zustimmung ist die Einigung aufBundesebene bei der Neuberech-nung der Hartz-IV-Regelsätze beider Diakonie gestossen: „Die Pro-filierung auf Kosten der Betroffenenhat nun zunächst ein Ende“, sagteDiakoniepräsident Dr. Ludwig Mar-kert in Nürnberg. Enttäuscht zeigteer sich jedoch über die Höhe derzukünftigen Hartz-Leistungen fürErwachsene. „Wesentliche Forde-rungen der Diakonie sind leider un-berücksichtigt geblieben.“ Markertverwies erneut auf die Berechnun-gen der Diakonie, nach denen derRegelsatz auf über 420 Euro ange-hoben werden müsse, um die Bedar-fe tatsächlich abzudecken. „Ein Be-

trag von jetzt fünf und später weite-ren drei Euro reicht hier nicht aus –er deckt kaum die Preissteigerungder vergangenen Jahre.“ Auch diedrohende Pauschalierung derUnterkunftskosten sei nach demKompromiss ebenso wenig vomTisch wie die verschärften Sank-tionsregelungen. „Das war keineGlanzstunde der deutschen Politik.“Wie der Bundesverband der Diako-nie, so begrüßte allerdings auchMarkert, dass Städte und Gemein-den die Kosten für Schul- undJugendsozialarbeiter sowie das Hort-essen ersetzt erhielten. Ausdrücklichlobte Markert hingegen die angekün-digten Mindestlöhne in der Zeitar-beitsbranche. „Hier wird eine alte

Forderung auch der Diakonie umge-setzt – denn immerhin sind die Löh-ne in dieser Branche so niedrig, dassjeder achte Beschäftigte zusätzlicheTransferleistungen beziehen muss.“Sollte der Kompromiss al-lerdingsaus verfassungsrechtlichen Gründenkeinen Bestand haben, so kündigteMarkert bereits jetzt an, sich auchweiterhin für eine völlige Neu-berechnung der Regelsatzhöhe einzu-setzen: „Zur Erinnerung: Der Auftraglautete, dass die Hartz-IV-Sätze trans-parent und nachvollziehbar berech-net werden müssen. Wenn eine ge-richtliche Überprüfung ergibt, dassdie Politik diesen Auftrag nicht er-füllt hat, kann dies eine neue Chan-ce für die Betroffenen sein.“

18 Bayerische Sozialnachrichten 2/2011

Arbeiterwohlfahrt. Was tun, wennein lieber Angehöriger von heute aufmorgen zum Pflegefall wird? Abwann habe ich Anspruch auf einenPflegeplatz? Welche Möglichkeitengibt es, wenn wider Erwarten keinePflegestufe genehmigt wird? DieErfahrung zeigt: Im konkreten Fallhaben die Menschen das Bedürfnis,sich persönlich und individuell be-raten zu lassen. Deshalb hat dieAWO eine zentrale telefonische An-laufstelle zum Thema Pflege ins Le-ben gerufen. Die BezirksverbändeOberbayern, Unterfranken undSchwaben machen in Bayern denAnfang und stellen unter einer ge-bührenfreien Rufnummer Experten-rat zur Verfügung. Unter der Num-mer 0800 6070110 erreichen Anru-fer Mitarbeiter am Telefon, die diewichtigsten Eckdaten aufnehmenund diese an das entsprechende re-gionale Serviceteam weiterleiten.Allein in Oberbayern stündenPflegedienst- und Einrichtungsleiteraus 22 AWO-Seniorenzentren undzehn Pflegediensten mit ihrem fun-dierten Wissen zur Verfügung, er-klärt Wolfgang Schindele, Ge-schäftsführer des AWO Bezirks-verbandes Oberbayern. Sie setztensich spätestens am folgenden Werk-tag mit dem Ratsuchenden in Ver-bindung. Für die Beratungstätigkeitsind alle Mitarbeiter zusätzlich ge-schult worden. Schon bisher werdenAWO-Mitarbeiter in Pflegeein-richtungen und -diensten von verun-sicherten Senioren und Angehörigenangesprochen, wenn es um Fragenrund um die Pflege geht. Mit derBeteiligung an der Pflegeberatungwill man das vorhandene Wissen nungeordnet zur Verfügung stellen. „Wirverstehen uns auch als Ratgeber inSachen Pflege“, sagt Schindele.Schließlich habe man viel Kompe-

tenz und Erfahrung zu bieten. Gernhätte Schindele den Beratungsdienstbundesweit installiert. Doch bislangwar auf dieser Ebene keine Einigungmöglich. So sind es zunächst einzel-ne Bezirke, die mitmachen. Nord-hessen startete bereits im Aprilvergangenen Jahres, dort hat mangute Erfahrungen gemacht. Nun fol-gen Hessen Süd, Braunschweig undeben ein Großteil Bayerns.

„Sie sprechen kein Pflegelatein?“,„Sie verirren sich im Pflegedschun-gel?“, „Sie stolpern über Pflege-stufen?“ – Diese Schlagzeilen sol-len auf das Angebot aufmerksammachen. Das Konzept einer Ham-burger Werbeagentur umfasst Flug-blätter, Plakate und ein Leporello mitNotrufnummern. Das Infomaterialkann zum Beispiel in den Orts-vereinen, in Arztpraxen und kommu-nalen Einrichtungen ausgelegt wer-den. Durch den Schulterschlussmehrerer Bezirksverbände habe manauch mehr Möglichkeiten beim Mar-keting, sagt Wolfgang Schindele, der

auch dem Landesfachausschuss Al-tenhilfe der AWO vorsitzt. WeitereBezirks- bzw. Landesverbände, diesich dem Projekt anschließen wol-len, können gegen einen überschau-baren Betrag die Telefonhotline unddas ansprechende Marketing für sichnutzen.Unter www.awo-pflegeberatung.dekönnen sich Angehörige informie-ren, die zunächst kein Gesprächwünschen. „Es gibt konkrete Pläne,den Internetauftritt um eine Online-Pflegeberatung zu erweitern“, sagtWolfgang Schindele. Natürlich solldie Beratung durch die AWO-Fach-leute neutral sein. Dennoch ist derneue Service auch eine Möglichkeit,auf das Angebot der AWO bei Hei-men und Pflegediensten hinzuwei-sen. Dass tatsächlich ein großerBeratungsbedarf besteht, das wurdeschon in den ersten Tagen deutlich:Schon Anfang Januar gingen etlicheAnrufe beim Bezirksverband Ober-bayern ein. Dabei soll die neue Num-mer erst von April an umfangreichbeworben werden.

Neues Angebot:Pflegeberatung als Orientierung im Pflegedschungel

M I T G L I E D S O R G A N I S A T I O N E N

19Bayerische Sozialnachrichten 2/2011

M I T G L I E D S O R G A N I S A T I O N E N

Fachkräftemangel im sozialen BereichDER PARITAETISCHE. Der Fach-kräftemangel im sozialen Bereich istein drängendes und ebenso existen-zielles Problem wie in anderen Tei-len des Arbeitsmarktes auch. Ohnequalifizierte Fachkräfte könneneinerseits keine technischen Güterentwickelt und hergestellt werden.Anderseits kann ohne sie eben auchder Anspruch auf hohe professio-nelle Betreuung und Bildung vonKindern oder qualifizierte Pflegeund Unterstützung älterer Men-schen nicht erfüllt werden. DerFachkräftemangel beschränkt sichzudem nicht nur auf Erziehung undPflege. Hier stellt sich die Situationbereits jetzt zum Teil dramatisch darund wird sich durch den Ausbau derKinderbetreuung und den demogra-phischen Wandel absehbar noch wei-ter verschärfen. Längst wird es aberauch in anderen Arbeitsfeldern derSozialen Arbeit zunehmend schwie-riger, qualifizierte Fachkräfte zu ge-winnen. Für die Lösung des Fach-kräfteproblems zuständig sind dabei

nicht allein die Anbieter sozialerDienstleistungen in ihrer Arbeitgeber-funktion. Die Politik steht ebenso inder Verantwortung, schließlich ist dieSicherstellung der sozialen Daseins-vorsorge eine öffentliche Aufgabe.Die Bemühungen der bayerischenSozialministerin Christine Hader-thauer, mit Öffentlichkeitsarbeit das

Image der Pflegeberufe aufzuwerten,sind daher grundsätzlich zu begrüßen.Wenn sie jedoch die Träger der Alten-pflegeeinrichtungen in den Medienauffordert, mit den Gewerkschaftenhöhere Vergütungen für ihre Mi-tarbeiterinnen und Mitarbeiter zu ver-handeln, ohne entsprechende Rah-menbedingungen zu schaffen, ist dieswenig hilfreich. Sie weist damit po-litische Verantwortung von sichund verschiebt sie einseitig auf die

Träger. Die Forderung, Mitarbeiter-innen und Mitarbeiter angemessen zuvergüten, ist uneingeschränkt zu un-terstützen. Zugleich muss die Refi-nanzierung durch die Krankenkassenin der Pflege oder in anderen Arbeits-feldern durch andere öffentlicheKostenträger sichergestellt werden.Hier liegt die Verantwortung der Po-

litik. Die Finanzierungsverhand-lungen sind aufgrund der Lage deröffentlichen Haushalte derzeitgeprägt von Einsparungen durchdie Absenkung von Standards.Doch dazu äußert sich die Sozial-

ministerin nicht. Der Paritätische wirdsich weiterhin für die Verbesserungder finanziellen Rahmenbedingungensowie eine deutliche gesellschaftlicheAufwertung sozialer Berufe einset-zen, da beide Aspekte wesentlich fürdie Gewinnung junger Frauen undMänner für die Ausbildung in sozia-len Berufen sind.

Margit BerndlVorstand Verbands-

und Sozialpolitik

Sicherungsverwahrte überfordern Bezirke

Verband der bayerischen Bezir-ke. Bayerns Bezirke wehren sichgegen die Unterbringung vonHäftlingen mit nachträglicherSicherheitsverwahrung in ihrenpsychiatrischen Kliniken. „Diepassen da nicht hinein“, sagte derPräsident des Verbandes der bay-erischen Bezirke, Manfred Hölz-lein. „Unsere Forensikabteilungensind für psychisch kranke Straftä-ter da und nicht für Häftlinge, diezusätzlich zu ihrer Gefängnisstra-fe zu nachträglicher Sicherungs-verwahrung verurteilt wurden.“ InBayern gibt es derzeit bis zu 50

Strafgefangene, deren Haftzeit abge-laufen ist, für die aber danach we-gen ihrer Gefährlichkeit Sicherungs-verwahrung verhängt wurde.Bislang saßen sie diese Form der

Haft in Gefängnissen ab, in denenSchwerverbrecher untergebrachtsind. Nun sollen sie in psychiatri-schen Klinken unterkommen.Grundlage dafür ist das neue The-rapie- und Unterbringungsgesetz.„Ich möchte sagen, in fast allenFällen sind diese Gefangenen nichttherapiewillig und nicht therapie-fähig“, so Hölzlein. Zudem näh-men die Ex-Häftlinge den tatsäch-lich seelisch kranken Straftäternden Therapieplatz weg. Außerdemfehle eigens geschultes Personalfür Häftlinge mit nachträglicherSicherungsverwahrung.

20 Bayerische Sozialnachrichten 2/2011

M I T G L I E D S O R G A N I S A T I O N E N

Knapp 3,5 Millionen Euro für dieKinder- und Jugendhilfe 2009 in Bayern

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Bayerischer Landkreistag. Im Jahr2009 wurden in Bayern insgesamtrund 3.483 Millionen Euro für Leis-tungen und Aufgaben der Kinder-und Jugendliche ausgegeben. NachAbzug der Einnahmen lagen dieNettoausgaben bei 3.178 MillionenEuro. Wie das Bayerische Landes-amt für Statistik und Datenverarbei-tung weiter mitteilt, lagen die Brutto-ausgaben für Kindertagesbetreuungbei 2.249 Millionen Euro und stell-ten somit rund zwei Drittel der Aus-gaben. Der zweitwichtigste Postenwaren Hilfen zur Erziehung, Ein-

gliederungshilfe für seelisch behin-derter Kinder und Jugendliche, Hil-fe für junge Volljährige und vorläu-fige Schutzmaßnahmen mit zusam-men rund 809 Millionen Euro undsomit rund einem Viertel der gesam-ten Bruttoausgaben. 57 Prozent(1.820 Millionen) waren Leistungenöffentlicher Träger und 43 Prozent(1.385 Millionen) wurden als Zu-schüsse an freie Träger verausgabt.Die Ausgaben für Hilfe zur Erzie-hung, Eingliederungshilfe für see-lisch behinderte Kinder und Jugend-liche, Hilfe für junge Volljährige und

vorläufige Schutzmaßnahmen betru-gen insgesamt 809 Millionen Euro,wovon 23 Millionen Euro für Ein-richtungen und 786 Millionen Eurofür Einzel- und Gruppenhilfen die-ser Hilfearten verausgabt wurden.Hiervon flossen 543 Millionen Euroin Hilfen zur Erziehung, 156 Milli-onen Euro in Eingliederungshilfenfür seelische behinderte Kinder undJugendliche, 73 Millionen Euro inHilfen für junge Volljährige sowie14 Millionen Euro in vorläufigeMaßnamen zum Schutz von Kindernund Jugendlichen.

Regierungs-bezirk

OberbayernNiederbayernOberpfalzOberfrankenMittelfrankenUnterfrankenSchwaben

Bayern

darunter für

Ausgaben/Auszahlungen

insgesamt

Kindertages-betreuung

Hilfe zur Erziehung,

Eingliederungshilfe für

seelisch behinderte

Kinder und Jugendliche,

Hilfe für junge Volljäh-

rige und vorläufige

Schutzmaßnahmen

EinnahmenReihe

AusgabenAuszahlungen

1.900.105195.415178.809179.053448.966231.138349.149

3.482.634

1.321.108122.062102.37996.692

267.894132.272206.994

2.249.401

359.97548.48054.30657.889

122.48263.032

103.077

809.242

154.88117.59616.59512.78940.46620.67741.332

304.335

1.745.224177.819162.214166.264408.500210.461307.817

3.178.299

Ausgaben für Kinder- und Jugendhilfe im Jahr 2009 nach Regierungsbezirke(in 1.000 Euro)

21Bayerische Sozialnachrichten 2/2011

M I T G L I E D S O R G A N I S A T I O N E N

Erleichterung über Hartz-IV-KompromissBayerischer Landkreistag.Mit gro-ßer Erleichterung hat der Präsidentdes Bayerischen Landkreistages,Landrat Dr. Jakob Kreidl, die Ent-scheidung von Bundestag und Bun-desrat zu den Regelbedarfen sowiezum Bildungs- und Teilhabepaketfür Kinder zur Kenntnis genommen:„Die Verhandlungen waren außeror-dentlich schwierig und haben dieGrenzen der Politik im Föderalismusaufgezeigt. Umso mehr sind wir er-leichtert, dass man sich am Ende ei-nigen konnte. In die Erleichterunginsbesondere über die zukünftigeEntlastung der Kommunen von denKosten für die Grundsicherung imAlter und bei Erwerbsminderungdurch den Bund mischen sich abereinige Sorgen für die bayerischenLandkreise. „Wenn bis in die frühenMorgenstunden verhandelt wird,besteht die große Gefahr, dass beider Umsetzung von politischenKompromissen in GesetzestextenFehler entstehen, die später im Voll-

zug zu großen Problemen führen.Die wichtigste Aufgabe wird daherin den nächsten Wochen darin be-stehen, die zahlreichen Rechts-änderungen in die Verwaltungs-praxis umzusetzen“, so Präsident Dr.Kreidl. Am leichtesten wird das ge-lingen bei der rückwirkend zum 1.Januar greifenden Erhöhung derRegelsätze. Problematisch werdendürfte es dagegen beim Bildungs-und Teilhabepaket für bedürftigeKinder. Das Paket soll nicht nur Kin-dern von Eltern zugutekommen, dieArbeitslosengeld II beziehen, son-dern auch Beziehern von Wohngeldund Kinderzuschlägen, die in eini-gen Landkreisen eine wesentlichgrößere Gruppe ausmachen als dieArbeitslosengeld II-Bezieher. Hiermüssen die Kommunen erst Struk-turen aufbauen und Zuständigkeitenklären. „Wir bitten schon jetzt umVerständnis, wenn hier nicht vonheute auf morgen in allen Landkrei-sen des Landes die Umsetzung opti-

mal läuft. Trotz der Dringlichkeit derAngelegenheit müssen wir daraufachten, dass keine Doppelarbeitengeleistet und keine Doppelförde-rungen ausgereicht werden“, gibt derKreidl zu bedenken. Auch die Re-gelungen zur Kostenerstattung müs-sen noch genau geprüft werden. Mitdem Bildungs- und Teilhabepaket istein erheblicher Verwaltungsmehrauf-wand verbunden, auf dem die Kom-munen nicht sitzen bleiben dürfen.Trotz der Entlastung der Kommunenbefinden sich die Landkreise auf-grund der gestiegenen Soziallastender vergangenen Jahre in einem er-heblichen Finanzierungsdefizit. Kreidlfordert daher: „Wir müssen gerade imSozialbereich auch die nächsten Jah-re ganz genau darauf schauen, wasder Bund und der Freistaat an Leis-tungsgesetzen auf den Weg bringenwollen. Die Zeiten, in denen andereEbenen Politik zu Lasten der Kom-munalfinanzen betrieben haben, müs-sen endgültig vorbei sein!“

Beate Galm / Katja Hees /Heinz KindlerKindesvernachlässigung –verstehen, erkennen, helfenErnst Reinhardt Verlag 2010171 Seiten; 16,90 Euro978-3-497-02066-9Die Debatte um vernachlässigte undmisshandelte Kinder ist derzeit all-gegenwärtig. Zu der brisanten Dis-kussion der „Kindesvernachlässi-gung“ leistet dieses Buch einen wich-tigen Beitrag. Es klärt, wie esüberhaupt zu Vernachlässigungenkommen kann. Es betrachtet, wie esin Familien aussieht, in denen ver-nachlässigte Kinder leben. Fall-beispiele vermitteln Eindrücke.Schließlich wird geklärt, unter wel-chen Folgen vernachlässigte Kinderoft ihr Leben lang zu leiden haben.

Institut für Sozialarbeit und Sozial-pädagogik e.V., (Hrsg.)Der Allgemeine Soziale DienstAufgaben, Zielgruppen StandardsErnst Reinhardt Verlag 2010162 Seiten; 19,90 Euro978-3-497-02135-2Fast jede kreisfreie Stadt und jederLandkreis in Deutschland haben ei-nen Allgemeinen Sozialen Dienst(ASD), einen sozialen Dienst fürBürger, regelmäßig zuständig von derumfassenden Beratung bis zur Kri-senintervention. Der ASD als Kern-bereich sozialarbeiterischen Han-delns in den Kommunen wird in die-sem Buch in seiner fachlichen und or-ganisatorischen Komplexität struktu-riert und kompetent dargestellt.

Gerda Holz /Antje Richter-Kornweitz (Hrsg.)Kinderarmut und ihre FolgenWie kann Prävention gelingen?Ernst Reinhardt Verlag 2010183 Seiten; 24,90 EuroISBN 978-3-497-02170-3Kinder, die in Armut aufwachsen,sind besonders Risiken hinsicht-lich Gesundheit, Bildung und so-zialer Integration ausgesetzt. Eineffektives Präventionskonzept er-fordert genaue Kenntnis darüber,wie Armut wirkt und in welchenEntwicklungs- und lebensberei-chen sie Spuren hinterlässt.DiesesBuch enthält praktische Konzeptefür eine Armutsprävention auf derindividuellen und strukturellenEbene für Praktiker in der Sozia-len Arbeit wie auch für Politikerauf kommunaler Ebene.

B Ü C H E R

22 Bayerische Sozialnachrichten 2/2011

Diese Tiere haben Qualitäten, die man auchan Menschen schätzt. Sie sind „geduldig,ausdauernd, sozial, intelligent, lernfähig und

sehr sensibel“, beschreibt Friederike Dajek die Gat-tung der Esel. Die Diplom-Sozialpädagogin hat ander Veterinärmedizinischen Universität in Wien eineZusatzausbildung für „tiergestützte Pädagogik“ ab-solviert, die sie jetzt in ihrer Arbeit beim Evangeli-

schen Beratungsdienst für Frauen in München ein-setzt.

Menschen, die das Vertrauen in ihre Fähigkeiten fastvollkommen verloren haben, schon lange arbeitslosund wohnungslos sind und sich vor anderen verste-cken, können im pädagogisch gestützten Umgang mitTieren langsam wieder Vertrauen und Selbstbewusst-

P R A X I S

MenschEsel und„auf Augenhöhe“

Ein tiergestütztes Sozialprojekt willdas Selbstbewusstsein wieder stärken

Karawane im Englischen Garten:wohnungslose Frauen bei der „Eselwanderung“.

(Foto: Schellnegger)

Von Heinz Brockert

23Bayerische Sozialnachrichten 2/2011

sein aufbauen. Sie lernen, Verantwortung zu über-nehmen. Zuerst für die Kreatur. Dann für sich.

Esel sind neben Hunden, Katzen und Kaninchenbesonders gute „Weggefährten“ für verzweifelteMenschen. Seit etwa 6.000 Jahren begleiten sie denMenschen bei der Arbeit. „Sie sind in Statur undCharakter dem Menschen ebenbürtig. Tier undMensch begegnen einander auf Augenhöhe“, erklärtDajek. Wie solches geschieht, konnte bei einer Esel-wanderung mit wohnungslosen Frauen im EnglischenGarten in München beobachtet werden, zu der derEvangelische Beratungsdienst und die Asinella Esels-farm aus Pähl am Ammersee eingeladen hatten.

Lise ist mit ihren 380 Kilogramm ist ein besondersstattliches Exemplar ihrer Gattung. Wally und Gretl,die 130 Kilo wiegen, sind ein ganzes Stück kleineraber ebenso geduldig zu lenken wie die „großeSchwester“. Die Frauen, die sie an diesem nebel-verhangenen Morgen vom Westausgang des Engli-schen Gartens zum Biergarten am Chinesischen Turmführen, ist es nicht einfach, plötzlich im Mittelpunktvon Journalisten, Fotografen und Spaziergängern zustehen. Aber sie haben sich „getraut“, an dieser öf-fentlichen Demonstration der Tier-Therapie teilzu-nehmen. Dies sei „ein riesiger Fortschritt“, wie Dajekanmerkt.

„Seien sie ruhig ein bisschen strenger mit ihren Tie-ren“, fordert Anahid Klotz von der Eselsfarm ihreSchützlinge auf, als die Grautiere stehen bleiben undsich am taufrischen Gras des Englischen Gartens la-

P R A X I S

ben wollen. Die vielfach für störrisch gehaltenen Tie-re sind gut lenkbar, wie man gleich darauf sehen kann.

Seit vier Jahren führt der Evangelische Beratungs-dienst das sozialpädagogische Projekt mit der Esels-farm durch. Dajek wurde auf die Farm aufmerksam,als sie nach Praktikumsplätzen im Rahmen ihrer be-ruflichen Weiterbildung im Internet suchte. Die an-geleiteten Begegnungen zwischen Eseln und denmeist zwischen acht bis 15 Teilnehmerinnen orien-tieren sich an Bedürfnissen und Fähigkeiten der Eselund der Frauen gleichermaßen.

Jeder „Eselbegegnungstag“ steht unter einem The-ma, dazu bietet Klotz ausgewählte Übungen mit ih-ren speziell ausgebildeten Tieren an. Das kann „Kon-takt aufnehmen“, „In Beziehung kommen“, „Ler-nen“, „Erfolg erleben“, „Konzentration und Geduld“,„Standpunkte vertreten“, „Richtungen einhalten“oder Ausdauer“ sein. „Die Teilnehmerinnen solcherBegegnungstage stabilisieren sich so, genießen schonkleine Erfolgserlebnisse und entwickeln sich auf ver-schienen Ebenen weiter“, erläutert Dajek. In Kon-takt zur Natur zu kommen und sich körperlich zubewegen, hilft den Frauen ebenfalls. „Sich durch dieEsel emotional anrühren lassen, legt verdrängte Ge-fühle frei.“

Internet: www.tierealstherapie.org/uni_lehrgang.phpEselsfarm unter www.asinella.com

Abdruck mit freundlicher Genehmigung desEvangelischen Sonntagsblattes in Bayern

24 Bayerische Sozialnachrichten 2/2011

Nachhaltige Hilfe

P R A X I S

Das seit drei Jahren laufende Energie-sparprojekt (ESP) für einkommens-schwache Haushalte hat die Erwar-tungen voll erfüllt. Die N-ERGIE hatjetzt eine Unterstützung für zumin-dest ein weiteres Jahr zugesagt.Hunderten Haushalten pro Jahr wirdder Strom abgedreht, weil die Be-wohner mit den Zahlungen allzustark in Verzug geraten sind. Einenoch größere Zahl kann das, etwadurch rechtzeitige Ratenvereinba-rung, mit Müh und Not noch abwen-den.Genaue Zahlen für Nürnberg, soN-ERGIE-Sprecherin Rita Kamm-Schubert, seien jedoch nicht be-kannt, da nur das Aufkommen desgesamten Versorgungsgebietes erho-ben werde. Aus eigener Kraft aber schaffen esBedürftige, die auf ArbeitslosengeldII, Sozialgeld oder Grundsicherungangewiesen sind, nur selten, derSchuldenfalle wieder zu entkom-men, wenn sie einmal hineingetapptsind. Hier setzt die Initiative an, dieinzwischen in verschiedenen Städ-ten Nachahmung findet: Professio-nelle Energieberater - derzeit stehensechs Fachleute mit entsprechenderZusatzausbildung bereit - machen imersten Schritt bei Hausbesuchen einegenaue Bestandsaufnahme aller Ge-räte, des Gebäudezustandes und desVerbrauchsverhaltens und analysie-ren mit den Bewohnern auch dieletzten Abrechnungen.Mal stoßen sie dabei auf falschesLüftungsverhalten oder verschwen-derischen Umgang mit Warmwasserbeim Abspülen oder Duschen. Häu-fig aber zeigen sich ganz andere Pro-bleme: „In einer Dachgeschoss-wohnung war einfach die obere De-cke nicht gedämmt“, erzählt Bera-

ter Dirk Stolzenberger, „in einemanderen Fall lief die Nachtspeicher-heizung mit Tagstrom. Ursache wareine Zeitschaltuhr, von der die Mie-ter gar nichts wussten.“ Als unab-hängige Gutachter können die Be-rater daher auch Kontakt mit Haus-besitzern und Vermietern aufneh-men, um Verbesserungen vorzu-schlagen, oder gegenüber der Argeeinen unabänderlichen Mehrver-brauch glaubhaft machen.Aus dem ersten Hausbesuch ergebensich bestimmte Empfehlungen, zumBeispiel zum Austausch alter Herdeoder Kühlschränke oder zum Einbauvon wassersparenden Duschköpfen.Einige Energiesparlampen bringendie Berater den Haushalten - sozu-sagen als Motivationshilfe - ausProjektmitteln oft gleich mit. Dankeiner neuen Vereinbarung zwischender Stadt und der N-ERGIE kommenarme Haushalte künftig endlich auchin den Genuss der günstigsten Tari-fe, wenn sie einer Einzugsermächti-

gung über die Arge zustimmen.Welche Ratschläge umgesetzt undbeherzigt wurden, zeigt sich bei ei-nem zweiten, manchmal auch drit-ten Termin. So haben bis Ende 2010insgesamt 1310 Haushalte das An-gebot genutzt. Das zahlt sich für sie- und bei Heizeinsparungen in Hartz-IV-Haushalten auch für die Stadt -aus: Die Ausgaben für Energie konn-ten um durchschnittlich 20 Prozentgedrückt werden; das ergibt einGesamtvolumen von 380.000 Euroeingesparter Strom- und Heizkosten.„Die Teilnahme ist freiwillig, dieBeratung neutral und professionellund bezieht alle Seiten mit ein“,nennt Dieter Maly, Leiter des Am-tes für Existenzsicherung, die Er-folgsfaktoren. Mit Zuschüssen zurAnschaffung effizienter Geräte be-teiligt sich die Aktion „Freude füralle“ an dem Programm, wenn Be-dürftige damit auf Dauer entlastetwerden.

Nürnberger Nachrichten (woh)

Ein Berater prüft Einstellung, Temperatur und Verbrauch eines Kühlschranks. Die Fachleuteerhalten Pauschalvergütungen, die über den Zuschuss der N-ERGIE gedeckt sind.

Foto: N-ERGIE

Energie-Spar-Projekt in Nürnberg wird fortgesetzt

zur Selbsthilfe

25Bayerische Sozialnachrichten 2/2011

Z W I S C H E N R U F

Behinderungen sind kein Stigma, sondern eine Beschrei-bung bestimmter eingeschränkter Möglichkeiten, die inder Allgemeinheit als natürlich angesehen werden. Diesesind in Beurteilung und Auswirkung gesellschaftlichenund kulturellen Veränderungen unterworfen. Es gibtviele Einschränkungen, die von außen vorgegeben sindund auch Mehrheiten in der Bevölkerung betreffen kön-nen. Im Gegensatz dazu wird der Begriff Behinderungallgemein erst verwendet, wenn vereinzelt Personen be-troffen sind. Sind vielePersonen betroffen, kön-nen die behinderndenUmstände bei genügen-dem Engagement relativleicht den Bedürfnissenangepasst werden. Sinddie Behinderungen nur fürMinderheiten relevant,bleiben diese dann vonden behindernden Berei-chen ausgeschlossen undsie müssen individuelleKompensationsstrategienentwickeln oder bleibeneingeschränkt.Dabei bilden Menschenmit Behinderungen einengroßen Anteil an der Ge-samtbevölkerung. Da es ihnen oft nicht möglich ist, ihreInteressen alleine zu formulieren oder ihre Rechte zukennen, sind sie hierbei (häufig) auf Unterstützung an-gewiesen. Die Gesetzeslage bietet mittlerweile eine guteGrundlage zur Umsetzung der persönlichen Ansprüche.Doch bei der Umsetzung des Rechts in den Alltag wer-den doch oft wieder hohe verwaltungstechnische Hür-den errichtet. Die Lebenshilfe als Elternvereinigung,aber auch viele freie Träger, sehen es als ihre Aufgabe,die Menschen mit Behinderungen einerseits bei der Um-setzung ihrer individuelle Kompensationsstrategien undRechtsansprüche unterstützend zu begleiten. An-dererseits wollen und müssen sie auch eine Lobby-funktion ausüben, um die gesellschaftlichen Bedingun-gen auf die Erfordernisse der Menschen mit Behinde-rungen voranzubringen. Ziel soll es sein, dass Men-schen mit Behinderungen immer weniger auf aktiveHilfe angewiesen sind und dass behinderungskom-pensierende Maßnahmen als Dienstleistung wahrge-nommen und in Anspruch genommen werden. Die Ra-tifizierung der UN-Behindertenkonvention kommt die-sen Leitgedanken wohl sehr entgegen. Was schonimmer Grundrecht war, wird nun aufgegriffen und inalle Richtungen lebhaft und sehr unterschiedlich dis-kutiert. Doch rein ideologische Auslegungen nundavon abzuleiten, diese aber auch zu ignorieren, sind

wohl kaum zielführende Wege. Die Kosten und dieGelder, die in unserem Lande für die vielen Sonder-einrichtungen verwendet werden, zeigen, dass positi-ve grundlegende Intentionen in allen Gesellschafts-schichten für behinderte Personenkreise erkennbarsind, auch wenn die finanziellen Belastungen derzeitzunehmend und ganz konkret von den Kostenträgernöffentlich platziert werden. Gerade in den letzten 40Jahren wurde im Förderbereich für behinderte Men-

schen sehr viel erreicht - und doch so wenig, denn jedeSondereinrichtung ist letztlich eine Ausgrenzung. Die-se beginnt beim behinderten oder von Behinderung be-drohten Personenkreis sehr oft schon, und leider nochimmer, im Vorschulalter! Bei den Normalen mit der Dif-ferenzierung des von Staat bzw. Gesellschaft definier-ten einseitigen Leistungsniveaus, i. d. R. im Grundschul-bereich. Eine diskriminierungs- und barrierefreie Teil-habe in allen Lebensbereichen muss oberstes Ziel sein.Die grundlegende Hürde in unserer Gesellschaft ist derSchul- und Bildungsbereich, der ohne Kompromisse alleRahmenbedingungen erfüllen muss, um jegliche Aus-grenzung zu vermeiden, gleichzeitig aber allen not-wendigen Förderungen, für alle - wirklich alle Kinderund Schüler - gerecht zu werden. Erst mit dieser sozial-gesellschaftlichen revolutionären Wirklichkeit wärenGrundlagen und Fundamente gesetzt für eine gesamt-gesellschaftliche Normalität. Die notwendigen An-strengungen werden uns Jahrzehnte abverlangen. In-tegration und Inklusion von Menschen mit Behinde-rung hätten dann keine Bedeutung mehr für unserenfachlichen Wortschatz. Doch auf dem Weg dorthinmüssen wir sehr darauf achten, dass alle unbeschadetmit ins Ziel kommen, auch die, für die we-der der Weg noch das Ziel erkennbar oderwichtig ist!

Jochen FischerVorsitzender der Bezirksarbeitsgemeinschaft

Niederbayern der öffentlichen und freienWohlfahrtspflege

Inklusionals Ziel

26 Bayerische Sozialnachrichten 2/2011

F O R U M

Gepflegte Gesellschaft? Von wegen!Schon das Fragezeichen verriet Skepsis,und die Fachtagung des „Sozialen Netzes Bayern“ am16. März 2011 in München brachte wieder einmal Ge-wissheit darüber, was ohnehin schon jeder wusste: DiePflege wird in Bayern ebenso wie anderswo in der Re-publik keineswegs so gepflegt, wie es um der Men-schen willen sein müsste. Dabei passiert doch einiges,gerade in diesem Jahr. Bayerns Sozialministerin Chris-

tine Haderthauer hat die Pflege zum politischen Mega-thema 2011 erklärt. Ein staatlicher Pflegebeauftragterwurde vom Bayerischen Sozialministerium eingesetzt.Der Bayerische Gesundheitsminister Markus Södermöchte eine Pflegekammer einrichten. Die Vereini-gung der Bayerischen Wirtschaft möchte die Pflege-versicherung nachhaltig reformieren, durch eine wei-tere Privatisierung allein auf Kosten der Arbeitneh-mer. Es bewegt sich was im Freistaat. Aber auch indie richtige Richtung? In Richtung einer gepflegten,das heißt einer menschenwürdigen, solidarisch finan-zierten Pflege? Einer Pflege, die allen Menschen diemedizinisch und pflegerisch notwendigen Leistungenauf dem wissenschaftlich aktuellen Stand garantiert,die allen gleiche Wahlmöglichkeiten eröffnet und dieso finanziert ist, dass sich alle eine optimale Pflegeleisten können?Der bayerische DGB-Chef Matthias Jena mochte dasnicht glauben. Wenn Haderthauer die Pflege zumMegathema erkläre, „dann ist mir noch nicht ganz klar,ob das Gutes bedeutet.“ Eine Pflegekammer mitZwangsmitgliedschaft der Pflegekräfte lehnte er rund-weg ab, denn die Interessensvertretung der Beschäf-

tigten seien nun mal die Gewerkschaf-ten. Dass sich die Pflegenden dort

kaum organisieren, thematisierte er allerdings nicht.Die weitere Privatisierung lehnte der Gewerkschafts-boss ab, darin war er sich mit den Wohlfahrtsverbändenund dem VdK einig. Wie aber soll es nun weitergehenmit der Pflege?Die Fakten zur Pflege sind bekannt. Die Vorschlägezu einer nachhaltigen Verbesserung liegen auf dem

Tisch. Aber seit Jahren bewege sich nichts, sagte einDiskussionsteilnehmer. Die Diskussion zeigte, dass erda Unrecht hatte. Es bewegt sich politisch doch et-was, und zwar in der von der Wirtschaft vorgegebe-nen Richtung, die von der schwarz-gelben Koalitionin Berlin Schritt für Schritt umgesetzt wird. In eineRichtung, die den sensiblen Pflegebereich dem Marktausliefert und unter dem Deckmantel von mehr Eigen-verantwortung vor allem die sozial Schwachen zu über-fordern droht. Eine ethisch nicht akzeptable Politik derEntsolidarisierung der Gesellschaft nannte dies dieevangelische Oberkirchenrätin Cornelia Coenen-Marx(Hannover).

DIE FAKTEN

Dr. Andreas Netzler vom Bayerischen Sozialminis-terium referierte die bayerischen „Pflege-Fakten“ ausdem Sozialbericht der Bayerischen Staatsregierung.Danach steigt die Zahl der Pflegebedürftigen im Sin-ne der Pflegeversicherung stetig, von 302.000 im Jahr2005 auf 319.000 im Jahr 2009. Bis 2020 wird dieZahl auf 424.000 steigen, wenn der bisherige auf die

Gepflegte Gesellschaft?Pflegepolitik in Bayern. Eine Fachtagung des „Sozialen Netzes Bayern“

Von Bernd Hein

Foto: Michael Hegele

27Bayerische Sozialnachrichten 2/2011

F O R U M

körperlichen Beschwerden fixierte Begriff der Pflege-bedürftigkeit beibehalten wird. Schon heute aber sind116.000 Menschen dement, mit zunehmender Lebens-erwartung der Bevölkerung wird diese Zahl massivansteigen. 66,7 Prozent werden zu Hause gepflegt, 33,3Prozent im Heim. Der Anteil der stationären Pflegesteigt an, weil die Pflege zu Hause nicht realisierbarist. Dieser Trend wird sich fortsetzen, die stationärePflege ist nicht am Ende, ihr Bedarf steigt.Wie aber steht es um die ambulanten und stationärenHilfsangebote? Zu wenig Zeit, zu viel Dokumentati-on, die auf Kosten der Zuwendung geht, ein sich ab-zeichnender Mangel an Fachpersonal, zu schlechte Be-zahlung der Mitarbeitenden: Darüber waren sichAndrea Renz-Ulbricht vom AWO-SeniorenzentrumEgenhofen und Monika Ritter von der DiakoniestationUnteres Pegnitztal in Lauf einig. Dr. Not-RupprechtSiegel vom Geriatriezentrum Neuburg/Donau forder-te mehr Information der Bevölkerung „über das, wasim Alter bevorstehen kann“, mehr Aufklärung für dieHausärzte über Altersmedizin und eine stärkere Ver-zahnung der bestehenden Angebote. Bewegend schil-derte Dr. Wolfgang Kort aus München den Alltag mitseiner an Alzheimer erkrankten Frau.

WAS TUN?In einer Podiumsdiskussion wollte man Auswege ausdem Dilemma zeigen. Zunächst verwahrte sich derMünchner AOK-Direktor Robert Schurer gegen dieVorwürfe, die Kassen würden zu viel an den Pflege-bedürftigen sparen und zu viele dringend nötige Leis-tungen ablehnen. „Wir sind doch keine Unmenschen.Wir unterliegen als Teil eines rechtlichen und finanzi-ellen Systems Zwängen.“ Damit hatte er die Pflege-frage zur Systemfrage gemacht. Dr. Claudia Wöhlervon der Vereinigung der Bayerischen Wirtschaft (vbw)hakte sofort ein. Allein die vielen Beschwerden derDienstleister im Pflegebereich und der Betroffenensowie der hohe Krankheitsstand von Arbeitnehmernmit pflegedürftigen Angehörigen zeigten doch, dassdas ganze System nicht stimme. Der vbw habe des-halb Vorschläge für einen Systemwechsel vorgelegt.In die Einzelheiten wollte aber niemand gehen, wardoch die Grundrichtung schon mehrmals an diesemTag abgelehnt worden. Stattdessen fragte Pfarrer Hein-rich Götz, der Vorsitzende des Diakonischen Rates inBayern in die Runde: „Was ist uns die Pflege tatsäch-lich wert?“ Damit hatte er einen wunden Punkt ange-sprochen. Der CSU-Landtagsabgeordnete und stellver-tretende Vorsitzende des Sozialausschusses im Bay-erischen Landtag, Joachim Unterländer, beklagte, dassdie Einsicht der Bevölkerung und der Politik in dieNotwendigkeit, dass gute Pflege Geld koste, nicht ge-rade ausgeprägt sei. Die deutsche und bayerische VdK-

Vorsitzende Ulrike Mascher (München) sprach sichvehement gegen die staatliche Zerstörung der solida-rischen Umlagesysteme aus. Dass jeder künftig nurnoch für sich selbst sorgen solle, sei nicht hinnehmbar.Diese „soziale Hirnwäsche“ müsse aufhören.Den ethischen Schlusspunkt des Tages setzte derbayerische Landes-Caritasdirektor Prälat Karl-HeinzZerrle: „Wir brauchen eine Gesellschaft, die ihren kran-ken und alt gewordenen Mitgliedern ein Leben in Wür-de bis zum letzten Atemzug ermöglicht und garantiert- diese Gesellschaft haben wir noch nicht, da möchtenund müssen wir hin.“

Soziales Netz BayernIm Soziale Netz Bayern arbeiten 17 bayerische Ver-bände und Organisationen, darunter sind die Wohl-fahrtsverbände, der VdK und der DGB, zusammenfür soziale Gerechtigkeit und Solidarität sowie einLeben aller Menschen in Würde.Kontakt: [email protected]

Forderungen der Landesarbeitsgemeinschaft

der Freien Wohlfahrtspflege in Bayern (LAGFW)

„Die Länder sind verantwortlich für die Vorhaltungeiner leistungsfähigen, zahlenmäßig ausreichendenund wirtschaftlichen Versorgungsstruktur. Das Nähe-re zur Planung und zur Förderung der Pflegeein-richtungen wird durch Landesrecht bestimmt.“ (SGBXI § 9)Vor diesem rechtlichen Hintergrund benannte die Vor-sitzende der LAGFW im Jahr 2011, Margit Berndl(Paritätischer Wohlfahrtsverband), beim Fachtag „Ge-pflegte Pflege?“ zentrale Herausforderungen, die inden nächsten Jahren dringend zu lösen sind. Ziel müs-se es sein, jedem Menschen zu ermöglichen, in Würdezu altern und gepflegt zu werden, so wie es seinen eige-nen Wünschen entspricht. Dafür seien nötig:� die Sicherung der Refinanzierung steigender ge-

setzlicher Anforderungen an die Qualität der Leis-tungen und an die Qualifikation des Personals

� die rasche Umsetzung des neuen Pflegebe-dürftigkeitsbegriffs

� eine grundlegende Reform der Pflegeversicherungauf solidarischer Finanzierungsbasis

� moderne, zukunftssichere Aus- und Weiterbil-dungsstrukturen, die für die Auszubildenden kos-tenfrei sind mit entsprechender Absicherung desLebensstandards, Einführung einer bezahltenPflegezeit für pflegende Angehörige und eine stär-kere Berücksichtigung bei der Rentenberechnung.

Landesarbeitsgemeinschaft der öffentlichen und freien Wohlfahrtspflegein Bayern, Nördliche Auffahrtsallee 14 - 80638 MünchenPostvertriebsstück Deutsche Post AG - „Entgelt bezahlt“ - B1610

Diakon Hans Flierl

Am 6. März 2011 ist Diakon Hans Flierl im Alter von 74 Jahrengestorben. Eine große Schar beruflicher Weggefährten undFreunde hat ihn zusammen mit seiner Familie am 10. März 2011auf dem Friedhof in Jettingen zu Grabe getragen.

Ein knappes Vierteljahrhundert, von 1974 bis 1998, war HansFlierl neben seiner Tätigkeit als Leiter der Münchener Stelle desDiakonischen Werkes Bayern ehrenamtlicher Geschäftsführerder LAG Ö/F. Deren Ziele waren für ihn Programm:

• die Pflege vertrauensvoller und partnerschaftlicher Zusam-menarbeit der Mitgliedsorganisationen

• die Überwindung von Interessensgegensätzen• die Bündelung der Kompetenz ihrer Mitglieder und die

Hinwirkung auf bedarfsgerechte und zeitgemäße Hilfean-gebote

• die Mitgestaltung der Sozialpolitik

Für diese Ziele stand er mit seiner Person ein. Hans Flierl warein profunder Kenner des Sozialen, ein Mann mit Fingerspitzen-gefühl, stets auf der Suche nach Gemeinsamkeiten. Er war einBrückenbauer, ziel- und lösungsorientiert, ein profilierter Vertre-ter für die Sache der öffentlichen und freien Wohlfahrtspflege inBayern. Seine Partner haben ihn als vertrauenswürdig undglaubwürdig erlebt und geschätzt. Mit diesen Gaben hat er sicherfolgreich nachhaltig für das soziale Bayern engagiert.

Bei seiner Verabschiedung aus dem aktiven Dienst im April1998 wurde die große Wertschätzung, der er sich erfreute, deut-lich. Sie ist nach zwölf Jahren noch immer zu spüren und wirdüber seinen Tod hinausreichen.

Robert Scheller Gisela Thiel Friedemann Götzger Vorsitzender Stv. Vorsitzende Geschäftsführer