2

Autor: Horst Wein

Redaktion und Produktion:

Peter Schreiner, Dr. Marion Becker-Richter

© 2010 Institut für Jugendfußball, Deutschland, und easy Sports-Software C.B., SpanienAlle Rechte vorbehalten. Nachdruck, auch auszugsweise, sowie Verbreitung durch Film, Funk,

Fernsehen und Internet, durch fotomechanische Wiedergabe, Tonträger und

Datenverarbeitungssysteme jeder Art nur mit schriftlicher Genehmigung der Herausgeber.

www.ifj96.de - www.easy-sports-software.com

IMPRESSUM

--> zur Webseite --> zur Webseite

3

Die Spielweise und Philosophie der Spanier erklärt man am besten mit einem Zitat von Pep Guardiola, dem Trainer vom FC Barcelona. Im WM-Halbfinale spielten allein sieben Spieler aus seiner Mannschaft gegen Deutschland:

Um im Fußball erfolgreich zu sein, sollten man sich möglichst wenig Sorgen um die Spieler der gegnerischen Mannschaften machen. Wir erreichen dieses dadurch, dass unsere Mannschaft so häufig wie möglich im Ballbesitz ist und sich so die Gegenspieler um unsere ballbesitzenden Spieler kümmern müssen.“

Pep Guardiola

Der Ball sollte schnell und sicher durch die eigenen Reihen laufen, damit der Gegner gezwungen wird zu reagieren und keine Zeit hat, das Heft selbst in die Hand zu nehmen. Man sollte so häufig und so lange wie möglich im Ballbesitz bleiben!Spanien ist seit 3 Jahren die weltbeste Mannschaft im Ballhalten, eine Tatsache, die allen deutschen Spielern vor dem Spiel bewusst war, und ihre Zurückhaltung, besonders in der ersten Spielhälfte des WM-Halbfinales, erklärt.

VORBEMERKUNGEN

Horst Wein (Barcelona)

Im ersten Brief 01-2010 erklärt der Spanienkenner Horst Wein das Erfolgsgeheimnis des spanischen Fußballs.

Horst Wein lebt seit über 30 Jahren in Barcelona, kennt den spanischen Fußball sehr genau und hat ihn mitgeprägt durch seine Vorträge, Seminare und Bücher für den spanischen Fußballverband.

Pep Gardiola, FC Barcelona

4

Normalerweise sollten temperament-volle Spanier eher auf Konterfußball spielen, aber die charakteristischen Merkmale ihrer Schlüsselspieler Iniesta, Xavi, Xavi Alonso, Busquets and Piqué sind alles andere als leidenschaftlich, feurig und temperamentvoll.

Doch wenn man sie persönlich ken-nenlernt, erscheinen sie eher ruhig und gelassen. Deshalb liegt ihnen auch viel mehr das Spiel mit Positionsangriffen. Dabei wird der Ball so lange in den eigenen Reihen gespielt, bis schließlich kurz vor dem Strafraum ein Steilpass möglich ist. Der wird dann in den Lauf eines plötzlich schräg aus der Tiefe des Feldes kommenden Mitspieler gespielt.

Häufig wird im Fussball gesagt: Du spielst wie du lebst!

5

1. Kein Ballverlust beim Spielaufbau oder Ballvortrag

Vermeide risikoreiche Zuspiele oder Ballführungen, weshalb ab und zu auch Rückpässe gespielt werden sollen, die das Ballhalten sicherstellen. Sicherheit ist das oberste Gebot, dies gilt auch bei der Ballan- und –mitnahme und besonders bei der Ballführung.

Horst Wein:

„Die absolute Sicherheit beim Ballhalten und auch beim Ballvortag erreichten die Spanier durch ihre exzellente Technik, aber auch dadurch, dass sie ihre Aktionen so aufeinander abstimmten, dass der angespielte Spieler sich meist in der Nähe des Ballverteilers anbot. Dieses verwirrende Kurzpassspiel in alle Richtungen beherrschen die Spanier wie keine zweite Mannschaft auf der Welt. Deutschland war im Augenblick des Ballbesitzes weniger gut positioniert und suchte in erster Linie den Konterangriff, bei dem das Risiko des Ballverlustes entschieden höher lag."

Die 14 wichtigsten Regeln beim Positionsangriff

Im Gegensatz zum Konterangriff gelten beim Positionsangriff völlig andere Regeln, die über den Erfolg oder Misserfolg des Angriffs entscheiden.

2. Kein Ballverlust beim Spielaufbau oder Ballvortrag

Flache Pässe sind schneller und viel leichter zu „verarbeiten“ als hohe Bälle. Damit lässt sich der Ball sicherer in den eigenen Reihen halten.

Horst Wein:

„Ballhalten ist eine sehr wichtige Fähigkeit des modernen Fußballs, denn solange eine Mannschaft im Ballbesitz ist, kann der Gegner nicht zum Torerfolg kommen.“

6

Um beim Ballhalten Erfolg zu haben, ist es für alle beteiligten Spieler unabdingbar, nicht nur die Kunst des Zuspiels und der Ballannahme und -sicherung zu beherschen, sondern darüberhinaus auch Meister im Spiel ohne Ball zu sein. Der Ballbesitzende sollte durch geschicktes Freilaufen seiner Mitspieler immer mehrere Abspielmöglichkeiten zur Auswahl haben. (Quer-, Rück-, Schräg- und Steilpässe).

Das Spiel ohne Ball ist eine wichtige Grundlage der Leistung eines jeden Spielers, denn 98% des Spiels ist er nicht im Ballbesitz. Spiel ohne Ball sollte jedoch auch geordnet und wohl koordiniert erfolgen. Wenn sich z. B. ein Mitspieler in der Tiefe des Feldes für einen Steilpass anbietet, sollten sich andere Mitspieler im gleichen Augenblick so freilaufen, dass der Ballbesitzende einen Quer-, Diagonal- oder auch einen Rückpass spielen kann.

Horst Wein:

„Ein gut organisiertes und aufeinander abgestimmtes Freilaufen und Hinterlaufen von mehreren Mitspielern zur gleichen Zeit erfordert, neben einer ausgezeichneten Fähigkeit zur Wahrnehmung und Entscheidungsfindung, auch viel Spielverständnis und Spielintelligenz. In allen diesen Bereichen waren die Spanier den Deutschen überlegen, weil in Spanien seit Jahren intensiv an einer Verbesserung der Wahrnehmungsfähigkeit und Entscheidungsfindung sowie an der Spielfähigkeit und Spielintelligenz geforscht und gearbeitet wird.

3. Ständig geschickt und intelligent freilaufen

4. Risikofreie Anspielmöglichkeiten schaffen

Schaffe durch sicherndes Dribbling risikofreie Abspielmöglichkeiten, die eine Überzahl im Angriff herbeiführen.

7

Es ist besser den Ball abzuspielen als mit ihm zu laufen. Der Ball wird nie müde! Reduziere lange Ballführungen und meide als Ballbesitzender Zweikämpfe im 1 gegen 1. Stattdessen ist es ökonomischer und sicherer, den Ball zu einem besser postierten Mitspieler zu passen, der mehr Zeit und Raum als der Zuspieler hat, um den Angriff erfolgreich weiterzuführen.

5. Zweikämpfe vermeiden

Spielverlagerungen durch risikoarme lange Pässe in Räume, die vomGegner gerade wenig kontrolliert werden, sind eine geeignete Waffe für ein erfolreiches Angriffsspiel.

6. Spielverlagerung

Bei einem guten und erfolgreichen Positionsspiel sollten alle Spieler der angreifenden Mannschaft die gleiche Sprache sprechen, denn erst so kommt es zu einer reibungslosen Zusammenarbeit.

Horst Wein:

„Im Halbfinale gegen Deutschland spielten bis auf ihren linken Außenverteidiger Capdevilla sieben Profis vom FC Barcelona und drei von Real Madrid, was die gute Harmonie der Spanier gegenüber einer weniger eingespielten jungen deutschen Mannschaft erklärt.

7. Gute Kommunikation

8

Es gibt beim Positionsangriff zwei grundlegende Phasen:

• 1. Phase (Ballsicherung und Ballhalten) • 2. Phase (Ballvortag).

Das Ballhalten im Positionsangriff ist ein langsamer, wohl bedachter und geplanter Spielaufbau mit Zuspielen direkt in den Fuß des Mitspielers, während beim Ballvortrag häufig der Ball in den Lauf des Mitspielers gepasst werden sollte, falls dieser dafür genügend Spielraum zur Verfügung hat. Die Ballannahme im Lauf ist riskanter als die Ballannahme im Stand, weil sie technisch schwieriger ist.

Vor dem Abspiel sollte der Zuspieler blitzschnell die Risiken beurteilen, denn überstürztes Handeln und Eile führt häufig zu Ballverlusten.

Spieler sollen deshalb nur die technisch-taktischen Handlungen ausführen, die sie auch wirklich beherrschen. Disziplin und viel Geduld sind für den Positionsangriff extrem wichtig, während temperamentvolle und risikofreudige Spieler mehr auf Konter spielen sollten.

Horst Wein:

„Ein charakteristisches Merkmal des spanischen Positionsangriffes ist die ungeheure Sicherheit, mit der der Ball in der eigenen und gegnerischen Hälfte bis unmittelbar vor dem Strafraum des Gegners von Mann zu Mann gespielt wird. Sie zeigten dabei nicht nur viel Geduld, sondern besonders auch ein hohes Verantwortungsbewusstsein und taktische Disziplin für den Ballbesitz. Spaniens Abwehr- und Mittelfeldspieler entschieden nicht nur, schnell oder langsam und geordnet anzugreifen, sondern sie bestimmten auch den Spielrhythmus.“

8. Geduldig und ohne Eile und Risiko angreifen

9

Berücksichtige beim Ballhalten auch den Torhüter. Im Training sollte der Torhüter das Selbstvertrauen und die Technik erhalten, die notwendig sind, damit er als sichere Anspielstation genutzt werden kann.

9. Torhüter einbeziehen

Wenn drei Spieler beim Positionsangriff unmittelbar beteiligt sind, sollten sie möglichst im Dreieck agieren.

10. Dreiecke bilden

Vier Angreifer bilden am besten eine Rautenformation, fünf Angreifer eine Pentagonalformation, um den Ball zu sichern und vorzutragen.

11. Rauten- und Pentagonalformationen bilden

Es ist immer besser, den Ball vertikal als quer oder auch zurück zum Mitspieler zu passen, vorausgesetzt, dass die goldene Regel des Positionsangriffes eingehalten wird, ohne jegliches Risiko zu spielen (Prozentspiel, d. h. nur das ausführen was zu 100 % zum Erfolg führt).

12. Vertikal spielen, wenn das Risiko überschauber ist

10

Bevor der Ball zugespielt wird, sollte zwischen dem Passgeber und dem Passempfänger immer eine visuelle Übereinstimmung hergestellt werden. (Blickkontakt). Viele Ballverluste können so vermieden werden.

13. Blickkontakt herstellen

Wenn die angreifende Mannschaft die gesamte Breite des Spielfelds nutzt, fällt es dem Gegner schwerer, Bälle abzufangen, Druck auf den Ballführenden auszuüben und Zweikämpfe zu provozieren und zu gewinnen.

Horst Wein:

„Im Spiel ohne Ball waren die Spanier den Deutschen überlegen. Sie boten sich in der gegnerischen Hälfte immer in der Tiefe und Breite des Feldes gestaffelt für den jeweiligen Ballbesitzenden an. War ein Pass in die Tiefe nicht möglich, wurde der Ball seitlich oder auch wieder zurückgepasst (und fast immer flach und nicht als Flugball!), um den Gegner zum Laufen zu zwingen. Spanien lief weniger mit dem Ball als die Deutschen, da sie wissen, dass der Ball nie müde wird!

14. Gesamte Breite des Spielfelds nutzen

11

"Im Fußball ist es wichtig, Risiko und Sicherheit miteinander abzuwägen. Zuviel Risiko führt zur Selbstzerstörung und zu viel Sicherheit zur Stagnation. Zwischen beiden liegen Überleben und Erfolg.“

Gunnar Breivik

Vorankündigung

Demnächst erscheinen in der Reihe der „Spielintelligenz im Fußball“ weitere E-Books von Horst Wein:

1. Wettkampfnahes Kontertraining

2. Übungen und vereinfachte Spiele zur Verbesserung des Ballhaltens (vom Anfänger bis zum Nationalspieler)

3. Lernen und Lehren des Positionsangriffs