„Zur Gefährlichkeitseinschätzung psychisch Kranker“ · Schiffer et al. (2006) J Psychiat Res...

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Zur Gefährlichkeitseinschätzung Zur Gefährlichkeitseinschätzung psychisch Kranker“ psychisch Kranker“ Institut für Forensische Psychiatrie Universität Duisburg-Essen Rheinische Kliniken Essen (Dir.: Prof. Dr. N. Leygraf) Priv.-Doz. Dr. med. Dieter Seifert 59. Gütersloher Fortbildungstage Dissozialität und psychiatrische Erkrankung 23. u. 24. September 2008

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  • „„Zur Gefährlichkeitseinschätzung Zur Gefährlichkeitseinschätzung psychisch Kranker“psychisch Kranker“

    Institut für Forensische PsychiatrieUniversität Duisburg-EssenRheinische Kliniken Essen(Dir.: Prof. Dr. N. Leygraf)

    Priv.-Doz. Dr. med. Dieter Seifert

    59. Gütersloher Fortbildungstage

    Dissozialität und psychiatrische Erkrankung

    23. u. 24. September 2008

  • „Das Leben kann in der Schau nach rückwärts verstanden, aber nur in der Schau nach vorwärts gelebt werden.“.“

    SorenSoren KierkegaardKierkegaard(dänischer Philosoph 1813(dänischer Philosoph 1813--1855)1855)

  • Cesare Lombroso (1836 – 1909)„L´Uomo delinquente“

  • Prognose-Tafeln /Checklisten

    Glueck & Glueck (1930ff)Frey (1951)Mayer (1953)

    Steadman & Cocozza (1974)Monahan (1981)

    Hare (1991) „Psychopathy Checklist“ – PCLWebster (1997) „HCR-20“

  • Schiffer et al. (2006) Schiffer et al. (2006) J J PsychiatPsychiat ResRes

    VB

    M A

    naly

    se

    OFC (BA 47)VIIB+/ IX+

    Insula(BA 13)

    G.parah. (BA 36/37)

    PutamenPutamen

    G.tp.sp. (BA 41)

    G.tp.sp. (BA 41)

    G.Cinguli(BA 30/31)

    Insula(BA 13)

    G.tp.sp. (BA 41)

    G.tp.sp. (BA 22)

    G.tp.sp. (BA 22)

    OFC (BA 47)

    VMPFC (BA 25)

    VMPFC (BA 11)

    • Volumenminderung in der grauen Sub-stanz bei Patienten des forensischen Maß-regelvollzugs mit einer Pädophilie im Vergleich zu einer gesunden Kontroll-gruppe

    Zukunft?

  • Grundsätzliches zur Prognose (1)

    historische Kriterien (Aktenmaterial)klinische Kriterien (Exploration, Verlauf)„Basisrate“ von gewalttätigem Verhalten„falsch Positive“ kriminelles Verhalten ist nicht nur durch die Person, sondern auch durch Umgebungs-faktoren determiniertPrognosezeitraum muss überschaubar sein

  • Die vier Dimensionen nach Rasch (1986):

    die Tat

    die Persönlichkeit / Krankheit des Täters

    der Verlauf seit Begehung der Tat

    Perspektiven (sozialer Empfangsraum)

    Grundsätzliches zur Prognose (2)

  • Grundsätzliches zur Prognose (3)- aus der Sicht der Allgemeinpsychiatrie -

    Anamnese/Fremdanamnese: Nach Straftaten oder deliktnahes Verhalten nachfragen

    Über das Zustandekommen gewalttätigen Verhaltens nachfragen (und nachdenken)

  • Essener Prognosestudie*

    Entwickelt wurde der Fragebogen aus:bekannten Prognosemerkmalen aus der Literaturund klinikinternen Prognosekataloge

    Beteiligung: 23 forensische Einrichtungen

    Design: prospektiv und praxisnah

    Analyse der Bewährungshelferberichte an die Strafvoll-streckungskammern während der Führungsaufsicht

    * D. Seifert (2007) Gefährlichkeitsprognosen Steinkopff-Verlag Darmstadt

  • Lippstadt-EickelbornBedburg-Hau

    Viersen

    DürenAndernach

    Landau

    Wiesloch

    Moringen

    Neustadt

    Berlin

    ArnsdorfSchkeuditz

    Rodewisch

    Langenfeld

    NRW§ 64 StGB – Kliniken- Marsberg u. - Schloß HaldemAllgemeinpsychiatrische Kliniken- Bonn- Dortmund- Düsseldorf- Gütersloh- Köln u. Münster

  • Klinische Prognoseaspekte

    1. Aktuelle klinische Symptomatik 13 Items

    2. Sozialverhalten in der Unterbringung 18 Items

    3. Belastungsfaktoren der Persönlichkeit 12 Items

    4. Anpassungsverhalten im aktuellen Lebensalltag 16 Items

    5. Emotion / Motivation des Patienten 24 Items

    6. Leistungs- und Kontrollbereich 20 Items

    7. Entwicklung/Verlauf während der Unterbringung 16 Items

    8. Entlassungssituation (sozialer Empfangsraum) 14 Items

  • Emotion / Motivation (24 Items)

    Item 39: Affektive Resonanz Man kann sich gefühlsmäßig relativ gut auf den Patienten einstellen.

    stimmt stimmt eher stimmt eher nicht stimmt nicht

    0 0 0 0 0 0 00

  • Belastungsfaktoren der Persönlichkeit Item 29: Grundhaltung

    unabhängig von der derzeitigen Befindlichkeit ist die Grundhaltung des Patienten meinem Eindruck nach geprägt von:

    • 29.1 Misstrauen• 29.2 Feindseligkeit• 29.3 Gehemmtheit• 29.4 Unberechenbarkeit• 29.5 Kränkbarkeit• 29.6 Bindungsunfähigkeit• 29.7 Depressivität• 29.8 Machtstreben• 29.9 Gefühlsarmut• 29.10 Aggressivität• 29.11 Externalisierungstendenzen• 29.12 sadistischen Tendenzen

  • Ergebnisse

    „Rückfallquote“„Rückfallquote“

    Bei 104 der 333 Probanden (31,2 %) fand sich eine Eintragung im Bundeszentralregister

    Katamnesezeitraum mindestens 4,5 Jahre (maximal: 10,3 Jahre nach der Entlassung)

  • generelle „Rückfälligkeit“: 31,2 % (21,6%)

    erneute schwereschwere Straftaten: 11,1 % (6,7%)

    erneuter Freiheitsentzug: 9,8% (12,8%)

    Aktuelle Rückfallzahlen (n=333)

  • „Rückfälligkeit“

    Schizophrene 13 %

    Persönlichkeitsstörungen 38 %

    dissoziale Persönlichkeitsstörungen 48 %

    Bei zwei Dritteln scheiterte die Wiedereingliederung innerhalb des ersten Jahres nach der Entlassung.

  • Ergebnisse

    Valide Prognosemerkmale

    historisch-anamnestische (aktuarische)

    klinisch-therapeutische

  • Historisch-anamnestischePrognosekriterien

    Erziehungsschwierigkeiten 49 %* (vs. 27 %)

    Alter z.Z. der 1. Inhaftierung 21,8 Jahre* (vs. 25,3)

    vorhergehende Inhaftierung 53 % (vs. 36 %)

  • Effektstärke Cohens d

    geringe Ängstlichkeit .70hohe subkulturelle Rolle innerhalb der Patienten .66starke emotionale Reaktion auf Kritik .64stabile Ich-Funktionen unter Stress .56geringe Auseinandersetzung mit dem Suchtproblem .53geringe Kontrolle aggressive Impulse .50geringe aggressive Gehemmtheit .49hohe Formalanpassung .46geringe extramurale Compliance .43geringe Arbeitskontinuität .41

    Klinische Prognosekriterien- Einzelitems -

  • Treffergenauigkeit

    0,0 0,2 0,4 0,6 0,8 1,0

    1 - Spezifität

    0,0

    0,2

    0,4

    0,6

    0,8

    1,0Se

    nsiti

    vitä

    t

    Diagonale Segmente ergeben sich aus Bindungen.

    ROC-Kurve

  • Vergleich mit anderen Studien- Münchener Arbeitsgruppe (Nedopil et al.)

    HCR-20 .57 / .71 PCL-R .54 / .70

    - Niederländische Studie (de Vogel et al.)HCR-20 .70 / .82PCL-R .68 / .75

    - Essener Prognosebogen (Seifert et al.)klinische Faktoren .78klinische Einzelitems .83logistische Regression der Einzelitems (6) .83

  • „keine“ prognostische Relevanz

    hohe Anzahl an Vorstrafenmangelnde Frustrationstoleranzfehlende Deliktbearbeitungmangelnde Reuekeine Krankheitseinsichtfehlende TherapiemotivationBindungsunfähigkeitGefühlsarmutmangelnde Ordnung

  • Fazit 1Fazit 1

    Klinisch-therapeutische Prognosekriterien besitzen für die

    Gefährlichkeitseinschätzung behandelter forensischer Patienten

    durchaus eine Bedeutung.

    Die hier analysierten Kriterien sind grundsätzlich geeignet, auch

    zur Einschätzung des Behandlungsverlaufes genutzt zu werden.

    Die Relevanz einiger aus der Literatur bekannten historischen

    sowie klinischem Prognosekriterien konnte nun nicht bestätigt

    werden.

  • Rückfällige werden vergleichsweise in geringer strukturierte Nachsorgekonzepte entlassen. Die Differenz vergrößert sich mit zunehmender Zeit in Freiheit.Im Laufe der Führungsaufsicht werden die Rückfälligen häufiger arbeitslos.Bei den Rückfälligen werden mehr Warnungen aus-gesprochen (Alkoholproblem, labile psychische Ver-fassung, richterliche Weisungen nicht eingehalten)

    Seifert & Seifert & MöllerMöller--MussaviMussavi (2006) (2006) NStZNStZ 26: 13126: 131--136136

    Entlassungssituation / Verlauf der Nachsorge

  • Fazit 2Fazit 2Insbesondere der Übergang von der stationären Unterbrin-gung im Maßregelvollzug in die „Freiheit“ stellt eine sensible Phase dar.Die Qualität der forensischen Nachsorge limitiert die Treffsicherheit der zum Ende der Unterbringung erstellten Gefährlichkeitseinschätzung.Die Frage der Gefährlichkeit ist im Laufe der Führungsaufsicht immer wieder neu zu stellen.Die Qualität der Bewährungshelferberichte ist ver-besserungswürdig.Interdisziplinäre Weiterbildung erscheinen angebracht und sinnvoll.Eine professionelle forensische Nachsorge hilft Rückfälle zu vermeiden und besitzt somit eine protektive Funktion.

  • Eine Szene aus einer Eine Szene aus einer wissenschaftlichen Tagungwissenschaftlichen Tagung

    Der ewige „Expertenstreit“ Der ewige „Expertenstreit“ über die Ätiologie über die Ätiologie

    kriminellen Verhaltenskriminellen Verhaltens

  • Quelle:Quelle:

    Lucky Luke (Band 54)Lucky Luke (Band 54)

    Die Daltons und der Die Daltons und der PsychoPsycho--DocDocDelta Verlag GmbH Delta Verlag GmbH stuttgartstuttgart

  • Herzlichen Dank für Ihre Herzlichen Dank für Ihre

    AufmerksamkeitAufmerksamkeit

    Kontakt:Kontakt: [email protected]@uni--duisburgduisburg--essen.deessen.de

    mailto:[email protected]

    „Zur Gefährlichkeitseinschätzung �psychisch Kranker“�Cesare Lombroso (1836 – 1909)�„L´Uomo delinquente“�Prognose-Tafeln /ChecklistenSchiffer et al. (2006) J Psychiat ResGrundsätzliches zur Prognose (1)Die vier Dimensionen nach Rasch (1986):Grundsätzliches zur Prognose (3)�- aus der Sicht der Allgemeinpsychiatrie -Essener Prognosestudie*Klinische PrognoseaspekteEmotion / Motivation (24 Items)�Belastungsfaktoren der Persönlichkeit Ergebnisse��„Rückfallquote“Aktuelle Rückfallzahlen (n=333) „Rückfälligkeit“ ErgebnisseHistorisch-anamnestische PrognosekriterienKlinische Prognosekriterien�- Einzelitems -TreffergenauigkeitVergleich mit anderen Studien„keine“ prognostische RelevanzFazit 1 � �Fazit 2