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lew Test. Stud. vol. 38,1992, pp. 481-500 Dill ZY:KLISCHE STRUKTUR VON LUKAS 9.43b-19.28 1 HEINRICH BAARLINK (Wilhelm Raabe-Btl. 52a, D-4A60 Nordhom, Germany) L DIE LlTERARlSClIE STRUlITUR, EIN NOCH NICHT GELOSTES PROBLEM. Die Frage nach der Hterarisehen Struktur der sogenannten groBen Einsehaltung im Lk-Ev ist bis heute noeh nieht fiber- zeugend beantwortet worden. Sie wird jedoch so Lange in regel- miiBigen Abstiinden auf die Tagesordnung zuriickkehren, bis sich tiber sie eine gewisse communis opinio gebildet hat, aueh wenn wir davon heute noch weit entfernt sind. Wohl aUe Forscher sind sich dariiber im klaren, daB der Aufbau dieses Textgeffiges schlicht ratselhaft ist. Uberblickt man die ver- sehiedenen Einleitungen zum NT, zeigt sich eh mageres Ergebnis. Die meisten begniigen sieh mit der Feststellung einer kleinen und einer groBen Einschaltung. Zahn spricht von einer groBen Einschaltung, urn die Ausbeute aus dem iibrigen Quellenmaterial unterzubringen; ahnlieh auBert sieh Schlatter, dem jedoch die eigenttimliche Gestalt und Gruppierung aufgefallen ist. Kiimmel behandelt ihre beiden Hiilften als getrennte Hauptteile. Robert- Feuillet sprechen von einem kiinstlich zusammengestellten Gan- zen, oft wohl so, wie Lk es vorgefunden hat, wobei seine literari- sehen Mittel zwar etwas nnbeholfen, jedoch recht wirksam sind.' Marxsen, Vielhauer und Perrin/Duling begniigen sich mit der Uberschrift: Jesus auf dem Weg nach Jerusalem. Andere wie z.E. Wikenhauser-Schmidt bieten lediglich eine Auflistung der Einzel- absehnitte. Immer mehr entsteht die Uberzeugung, daB diese groBe. Ein- schaltung zu Unreeht ein Reisebericht genannt wird. Robert- Feuillet fiel auf, daB der Verf. alle topographischen Angaben bis auf Jerusalem loscht, W. C. Robinson 2 ist dieser Frage eingehend nachgegangen. Obwohl das Wegmotiv theologisch gesehen fiir das lk Doppelwerk deutlich bestimmend ist, gilt doch fur mesen Teil, daB 'the materials have almost nothing of a strip nature or any 1 Referat, gehalten auf dem KongreJl der SNTS 1m Juli 1990 in Mailand. 2 W. C. Robinson, vrhe Theological Context for Interpreting Luke's Travel Narrative (9: 51 £f.r, JBL 79 (1960) 20-31; jetzt auch in G. Braumann, Vas LUkas-Evangelium (WdF 280) 115-34.

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lew Test. Stud. vol. 38,1992, pp. 481-500

Dill ZY:KLISCHE STRUKTUR VON LUKAS 9.43b-19.281

HEINRICH BAARLINK(Wilhelm Raabe-Btl. 52a, D-4A60 Nordhom, Germany)

L DIE LlTERARlSClIE STRUlITUR, EIN NOCH NICHT GELOSTES PROBLEM.

Die Frage nach der Hterarisehen Struktur der sogenanntengroBen Einsehaltung im Lk-Ev ist bis heute noeh nieht fiber­zeugend beantwortet worden. Sie wird jedoch so Lange in regel­miiBigen Abstiinden auf die Tagesordnung zuriickkehren, bis sichtiber sie eine gewisse communis opinio gebildet hat, aueh wenn wirdavon heute noch weit entfernt sind.

Wohl aUe Forscher sind sich dariiber im klaren, daB der Aufbaudieses Textgeffiges schlicht ratselhaft ist. Uberblickt man die ver­sehiedenen Einleitungen zum NT, zeigt sich eh mageres Ergebnis.Die meisten begniigen sieh mit der Feststellung einer kleinenund einer groBen Einschaltung. Zahn spricht von einer groBenEinschaltung, urn die Ausbeute aus dem iibrigen Quellenmaterialunterzubringen; ahnlieh auBert sieh Schlatter, dem jedoch dieeigenttimliche Gestalt und Gruppierung aufgefallen ist. Kiimmelbehandelt ihre beiden Hiilften als getrennte Hauptteile. Robert­Feuillet sprechen von einem kiinstlich zusammengestellten Gan­zen, oft wohl so, wie Lk es vorgefunden hat, wobei seine literari­sehen Mittel zwar etwas nnbeholfen, jedoch recht wirksam sind.'Marxsen, Vielhauer und Perrin/Duling begniigen sich mit derUberschrift: Jesus auf dem Weg nach Jerusalem. Andere wie z.E.Wikenhauser-Schmidt bieten lediglich eine Auflistung der Einzel­absehnitte.

Immer mehr entsteht die Uberzeugung, daB diese groBe. Ein­schaltung zu Unreeht ein Reisebericht genannt wird. Robert­Feuillet fiel auf, daB der Verf. alle topographischen Angaben bis aufJerusalem loscht, W. C. Robinson2 ist dieser Frage eingehendnachgegangen. Obwohl das Wegmotiv theologisch gesehen fiir daslk Doppelwerk deutlich bestimmend ist, gilt doch fur mesen Teil,daB 'the materials have almost nothing of a strip nature or any

1 Referat, gehalten auf dem KongreJl der SNTS 1m Juli 1990 in Mailand.2 W. C. Robinson, vrhe Theological Context for Interpreting Luke's Travel Narrative (9:

51 £f.r, JBL 79 (1960) 20-31; jetzt auch in G. Braumann, Vas LUkas-Evangelium (WdF 280)115-34.

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reference to locations'. 1m Gegenteil: 'Luke replaces Mark's topo­graphic and chronological notices with generalizations'.s In 10.38scheint Jesus bereits in der Niihe Jerusalems zu sein, und in 13.34redet er diese Stadt in seiner Wehklage an; aber in 17.11·wirdvorausgesetzt, daB er sieb noch in Galiliia befindet.

Die Komposition dieses Telles stent die Fachwelt noch immer vordie groBten Riitsel. B. Reicke spricht von einem 'centrai enigma'.4Goulder bezeichnet den Teil als eine 'amorphous miscellany' undfaBt das bisherige Forschungsergebnis in dem lapidaren Satzzusammen: 'Criticism has despaired of it'.5 Marshall gesteht ein,daB 'we land in difficulties'; ein allgemeines Thema ist schwer zudefinieren, 'even more difficult to find any thread running throughit'.S Auch Fitzmyer ist der Meinung, daB 'it is impossible to detect astructure in this account'.7 In einem Forschungsbericht aus demJahre 1975 uber die Auslegungsgeschichte dieses Telles kommtJ. Resseguie zu dem Ergebnis, daB 'the important problem, as towhy Luke has gathered this material into the central part of hisgospel remains unsolved'.s

Inzwischen ist von verschiedenen Forschern das Wegmotiv alstheologischer Leitfaden dieses Teiles des Lk-Ev erkannt worden.'MuBte nicht Christus dies erleiden undin seine Herrlichkeit ein­gehen?' Diese Frage des Auferstendenen hat ihre bemerkenswerteParallele in der Zuordnung von avo)..l1Jl'l'lG (9.51) und Jerusalemals Ort des Leidens und Sterbens (9.44, 51; 13.33; 18.32-3; 19.28).Nach J. Schneider9 stent Lk den ganzen Bericht unter das Thern:avon 9.51: 'Als sich die Tage seiner Hinaufnahme (in den Himmel)erftillten .. .'.10 Er enthiilt besonders JUngerlehre; es geht in ersterLinie um die Gestalt der Kirche und des Lebens der Junger.H Erverfolgt durch die Gruppierung des Stoffes den Zweck, in die

S Robinson, 'Theol context'. 20.4 B. Reieke. ~Instruction and discussion in the Travel Narrative', in: Studia Evangelica

1 (TV 73; Berlin, 1959) 206-16, Zitat 8. 206.5 M. D. Gaulder, /The Chiastic Structure of the Luken Journey'. in; Studia Evangelica 2

(Hsg. F. L. Cross; TV 87; Berlin, 1964) 196-202; Zitat von 8.195,61. H, Marshall, The Gospel of Luke (NIGTC; Exerer, 1978) 401-2.7 J. A. Fitzmyer, The Gospel According to Luke 1 (Anchor; New York, 1981) 825.8 J. R. Resseguie, "Interpretation of Luke's Central Section (Luke 9:51-19:44) since 1856',

StudBibetTheol5 (1975) 36; zitiert nach C. L. Blomberg, 'Midrash, Chiasms, and the Outlineof Luke's Central Section', in: Gospel Perspectives, Studies in Midrash and Historiography(Hsg. R. T. France, D. Wenham; Sheffield, 1983) 217-61, 217.

9 J. Schneider, 'Zur Analyse des lk. Reiseberichts', in: Synoptische Studien (FS rUT A.Wikenhauser; 1953) 207-29.

10 Schneider, 'Analyse', 212.11 Schneider, 'Analyse', 219.

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Situation der Gemeinde hineinzureichen.I2 B. Reicke, der diesegroBe Einschaltung in seinen oben genaunten Aufsatz unter dasvielsagende Thema 'Instruction and discussion' stellte, vermutetehinter dem Begriff av6:lvlllJ.\If1.i; das hebraische ii?.\lr:l und las V. 51 alsHinweis auf erne Pilgerreise Jesu nach Jerusalem.Is Er stellte dieFrage, ob sich vielleicht hinter 9.51-13.35 ein vor-lk Reiseberichtverberge.l4 D. Flusser stimmt der These eines urspriinglichenReiseberichts zu; es musse jedoch iI'?.\l als hebr. Ausdrnck: an­genommen werden, der dann falschlich mit av6:lvllIJ.1lI1i; iibersetztworden seLI5 Wir konnen dieser These zwar im einselnen nichtnachgehen; einen vor-lk Reisebericht, der mit 9.51 einsetzte und .zUInindest Teile von Kap. 10 und moglicherweise weiteres Sonder­gut aus den Kap. 11-13 enthielt, durfen w,ir als durchaus moglichbetrachten.I6 Es wiirde sich daraus recht gut erklaren, daB derAblehnung Jesu, Feuer vom Himmel uber die Samariter regnen zulassen, im nachsten Kapitel einerseits der Fall des Satans (D ausdem Himmel wahrend der Mission der siebzig (10.18) genanntwird, andererseits an das Feuer vom Himmel uber Sodom ennnertwird als Drohung fur die Stadte, die das gepredigte Evangelium (!)nieht annehmen werden (10.12). Auch das Gleichnis vom barm­herzigen Samariter hatte dann ursprunglich als Gegenaussage zuder Verwunschung der Samariter durch die Junger gestanden.Nur in einem hat Flusser gewiB nicht recht: Es liegt sieher keinUbersetzungsfehler vor. Zu der Vermutung durften wir ubrigensauch aus methodischen Grunden nur dann unsere Zufluchtnehmen, wenn der jetzige Zusammenhang keinen rechten Sinnergeben wiirde und wir &.v6:lvllIJ.1lI1i; hier nicht als von Lk bewuBtgewiihlten Ausdruck betrachten konnten. Er korrespondiert je­doch geradezu mit seinem theologischen Anliegen, das seinenNiederschlag findet in dem in 1:3 in Aussicht gestellten Ziel, allesKuOel;fji; wiederzugeben. Damit meint er nicht eine historischgenaue oder luck:enlose Wiedergabe, sondern eine Anordnung desStoffes, durch die die heilsgeschichtliche Kontinuitat, auch uber

12 SchneideT l "Analyse\ 22l.IS Schneider, 'Analyse'. 21l.14 Schneider, <Analyse', 214,15 D. Flusser, 1..ukas 9:51-56 - ein hebraisches Fragment,\ in TIM New T~stam~nt Age 1

(FS rur B. Reicke; Hsg. W. C. Weinrich; Macon GA, 1984) 165-79.16 Siehe auch G. Ogg, The Central Section of the Gospel according to LUke',NTS 18 (1971)

39-53, Er nimmt zwei Traditionsstrome in diesem Teil an: 9.51-10,42 und 17.11-19.28.Auf den ersten, einen gut laufenden Bericht mit verhitltnismaBig wenigen Episoden folgtvon 11.1-17.10 eine groBe Kollektion, die haupt.sfichlich aus Gleiehnissen und GesprB.chenbesteht. Die aVaA.ilJufll; in 9.51 wird ohne weiteren Kommentar auf die fJerusalemreisebezogen.

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Tod, Auferstehung und Himmelfahrt Jesn hinaus, glanbhaft be­zengt wirdP Auch Talbert spricht davon, daB Jesu Gang nachJerusalem gleichzeitig sein Weg in den Himmel ist; der Nach­drock in diesem Gesamtteil liegt seiner Meinung nach jedoch aufder Augenzeugensebaft derer, die Jesusjetzt begleiten und danachZeugen seines Sterbens, seiner Auferstehung und Himmelfahrtsein werden.ls

2. BISBERlGE ENTWtlRFE EINER ZYllLISCIlEN STRURTURSTIEIlEN AUF SKEPSIS

2.1. In den hinter uns liegenden Jahrzehnten hahen M. D. Goul­der,19 K E. Bailey,ZO Ch. H. Talhert21 sowie C. L. Blomherg22 je aufeigene Weise versucht, einen zyklischen Aufbau dieses Textge­fliges aufzuweisen. Diese Sicht konnte die Fachwelt jedoeb nochnicht iiberzeugen. reb erinnere an die letzten beiden ausfiihrlichenKommentare zum Lk-Ev. Marshall (1978) begniigt sich mit derFeststellung, daB 'attempts to establish a chiastic structure (erbezieht sieb dabei auf Goulder und Bailey, HB) are not possiblewithout doing some violence to the text'.23 Das Urteil von J. A. Fitz­myer (1982) ist noch entschiedener. Er nimmt Bezug auf dieArbeit von Talbert aus dem Jahre 1974 und stellt die Frage: 'Who isseeing the correspondences, Luke or Talbert?' Er stellt fest, daBbeim Lesen der Konstruktionen Talbert's 'one constantly shakesone's head'.24

DaB die Arbeiten von Goulder, Bailey, Talbert und Blombergbisher nicht iiberzeugt haben, wird vor aUem mit einigen me­thodischen Fehlern zusammenhiingen, zugleich aber auch mitfolgenschweren Fehleinschatzungen und in einer Anzahl von

1'1 Siehe hierzu G. Schneider, .rzut Bedeutung von lCa.ee;f\o; im lukanlsenen' DoppelweTk',ZNW 68 (1977) 128-31.

18 Ch. H. Talbert l lAntidoketische Frontstellung der lukanischen Christologie'. inG. B1"aumann, Lukas~ 354-77, vor aHem 365-6; siehe auen vl)m selben Verfasser: "TheRedaction Critical Quest for Luke the Theologian'~ in: Jesus and Man's Hope 1 (Hsg.G. Miller; Pittsburg, 1970) 171-220, vor ,,110m 177.

19 Goulderj

siehe Anm. 5.

20 K E. Bailey, Poet and Peasant, A Literary-eultural Appr()(U;h to the Parables in Luke(Grand Rapids, 1976) vor aHem 79-85.

21 C. H. Talbert., Literary Patterns, Theological Themes and the Genre of Luke-Acts(Missoula MT, 1974); daroelbe, Reading Luke, A Literary and Theological Commentary onthe Third GOilpel (!\lew York, 1982).

22 C. L. Blomberg, siehe Anm. 8.23Marshall. Luke, 402.

24 Fitzmyer, Luke. 97.

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Fallen mit der Annahme von Parallelismen, die sich als unhaltbarerwiesen.

. 2.2. In allen Fallen wurde, ohne das naher zu verantworten, derAnfang der Einschaltung, also 9.51, mit dem Beginn eines zyklischstrukturierten Teiles gleichgestellt. Die Frage, ob vielleicht auchvorherige Uberlieferungseinheiten zu einem zyklischen Makro­kontext hinzugehiiren ktinnten, wurde, so weit uns bekannt ist,noch nie gestellt, obwohl zumindest Goulder'l5 auf 9.44, 46 alschiastische Parallele zu 18.15,31 aufmerksam macht.

Nach vorn gingen die Meinungen tiber den AbschluB des Teilesauseinander. In alteren Arbeiten ging man oft automatisch vondem Ende der nicht·mk Einfugung, also von 18.14 aus. W. C. Ro·binson bemerkt dazu Jnit Recht: 'But Luke may not have owned acopy of Huck-Lietzmann's Synopsis, which ends the travel accountnot at the end of the trip, but at the end of Luke's insertion (18.14),i.e., at the point where the trip continues with Markan material.'26In den letzten J ahrzehnten setzte sich jedoch immer mehr eineAbgrenzung hinter 19.27 oder 19.28 durch. K. L. SchJnidt27 undH. Schtirmann28 nennen V. 28 eine typisch lk Ubergangsbildung.J. Jeremias29 und P. RehkopfSo sind der Meinung, 19.28 gehBre zudiesem Teil hinzu und bilde seinen AbschluB. Talbert grenzt denTeil mit 19.44, Bailey gar mit 19.48 abo

2.3. Die von genannten Autoren ausgewahlten Abschnitte bil­den nur einen beschrankten Teil des ganzen Textes. Das galt fUrGoulder, der mit seinen 2 x 7 Texten eher Verse denn grtiGereTexteinheiten im Visier hatte; es gilt nicht weniger fur Bailey, derGoulders Entwurf weiterentwickeln und korrigieren wollte undnach eigenen Berechnungen 90% des Stoffes inkorporiert hat;Slaber auch Talbert laBt erhebliche Teile auGer Betracht; das giltsowohl fUr seinen Entwurf aus 1974 wie auch fUr den aus 1982.Nicht weniger als 8 Perikopen aus dem Entwurf1974, die u.E. fUrdie Frage des zyklischen Aufbaus von eminenter Bedeutung sind,kommen im Schema aus 1982 nicht mem vor. SchlieBlich Sel hier

25 Gouldsr, 'Structure', 196.26 Robinson, 'Theol Context', 21.27 K L. Schmidt, Dcr Rahmen der Oeschichte Jesu (Darmstadt, 1969 =2. Anfl. Berlin,

1919) 286.28 H. Schurmann, 'DeT PaschamahlbeTJcht Luk.22'~ in: Ursprung und Gestalt: Erorte-

rung"" und Besinnungen zum Neuen Testament (Diisseldorf. 1970) 15-18.29 J. Jeremias,NTS 4 (1958) 115-19.30 P. Rehkopf. Zwei Permop,n der luk. PlUlsionsgeschit:hte (GOttingcn, 1956) 104.31 Blomberg, ~idrash', 239 rechnete es nach and kam auf 86%1 was jedoch unerheblich

1st.

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auch Blomberg genannt, der nach kritischer Sichtung der ver­schiedenen Entwiirfe zu dem Ergebnis kommt, es habe eine vor-lkSammlung von chiastisch einander zugeordneten Gleichnissengegeben (zwischen 10.25 und 18.14); durch die redaktionelle Tatig­keit des Lukas und die Verknupfung verschiedener trberlieferun­gen sei diese Struktur jedoch nicht mehr ohne weiteres erkennbar.Es ist verwunderlich, daB Blomberg in den anderen Bestandteilendieses Textteils das Bestehen einer chiastischen Struktur leugnet,ist sie doch an vielen von ihm nicht ausgewerteten Stellen nichtweniger evident als in den von ibm aufgelisteten Gleichnissen, dieer zudem in vier von acht Fallen falsch miteinander verbindet.

2.4. Die Auswahl der Abschnitte, von denen man meint, daB sieTeile einer chiastischen Struktur sind, macht bei naherer PrUfungoft einen recht willkiirlichen Eindruck. Es wiirde zu weit fiihren,wollten wir dies hier naher ausfiihren. Doch sei auf ein paarBeispiele hingewiesen.

Goulder ordnet 11.1 und 17.5 einander zu; 'Lehre und beten!' und'Mehre unseren Glauben!' Weiter gehOren s.E. 11.37 und 16.14zusammen, der Pharisaer, der Jesus einliidt und die Pharisaer, diegeldgierig genannt werden; schlie.Blich 12.1 und 16.1 unter demStichwort 'Liebe zum Geld'. Es ware leicht zu zeigen, daB die Bei­spiele erstens die Aussagerichtung der ganzen Abschnitte aufleracht lassen, zweitens, dati die genannten Motive sehr vage oder gar'fUr diesen Zweck irrelevant sind und drittens, dati die gleichenMotive an vielen anderen Stellen ebenfalls vorkommen.

Bailey's Analyse weist eine grotle Anzahl richtiger Beobaehtun­gen auf, obwohl er zu Unrecht 13.22-35 (nicht V. 31-5) alszentralen Abschnitt betrachtet, wobei die Verse 22--30 und 34-5einander zugeordnet werden, wahrend die Verse 31-3 den Kerndes zentralen Abschnittes bilden sollen. Bedenklich ist jedoch, datier eine grotle Anzahl Abschnitte wie z:B. 10.13-15,21-4; 11.27'-8,33-6; 12.1-12; 16.17-18; 17.1-10; 18.15-17, 31-4 und 19.11-21nicht unterbringen kann. Ein Vergleich mit unserem weiter untenaufgefUhrten Schema kann verdeutlichen, wie viele fUr Lk zen­trale Aussagen bei Bailey keine Berucksichtigung finden.

Auch die trbersichten von Talbert sind Hickenhaft, wenn aucheine groBe Anzahl von ihm genannter Parallelen richtig seindurfte. Leider laflt er in seinem zweiten Entwurf Abschnitte wie10.21-4, 38-42; 12.1--34; 12.49-13.9; 14.25-15.32; 17.1-10 und18.9-17 aus dem ersten Entwurf zugunsten anderer Perikopenfallen. Richtig gesehen hat Talbert, daB 13.31--3 und 13.34-5 diebeiden einander zugeordneten zentralen Textelemente sind.

Was schlietllich die Losung betrifft, die Blomberg anbietet, muE

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1. 9.43b-45

1* 18.31-4

2. 9,46-50

2* 18.15-17

3. 9.51

3* 19.28

4a. 9.52-62

DIE ZYKLISCHE sTRmrruR VON LUKAS 9.43b-19,28 487

abgesehen von den oben bereits erwahnten grundsatzlichen Be­denken auch darauf hingewiesen werden, dafl seine Zuordnungverschiedener Wunderperikopen gekiinstelt und fragwiirdig ist.Aus Platzgriinden sehen wir von einer Auflistung abo

2.5. Erst nach Fertigstellung des Gesamtmanuskripts konnte ichvon einem schwer zuganglichen Aufsatz zu diesem Thema ausjiingster Zeit von H. K Farrell Kenntnis nehmen.32 Auch er grenztdiesen Teil wie Talbert mit 9.51 und 19.44 ab; er teilt ihn sodann in2 x 7 Abschnitte ein. Urn 13.31-3 und 34-5 als Zentralabschnittgruppiert er jeweils sechs groflere Textzusammenlliinge. Die Folgeist notgedrnngen eine oft viel zu allgemeine Umschreibung ihresInhalts oder eine Hervorhebung eines Motivs, das zwar fur einekleinere Einheit, nichtjedoch fur einen so grossen Textzusammen·hang bestimmend ist; auch ubersieht er eine groBe Zahl vonParallelen und Chiasmen, sodafl die Analyse trotz grundsatzlichguter Beobachtungen nicht ZUlli Ziel fiihrt.

3. EIN NEUER El'\'TWURF

3.1. Ubersicht

Zweite Leidensankiindigung ohne Erwahnung der Aufer­stehung;* Dritte Leidensankilndigung mit Erwahnung der 4ufer­stehung.

Streit um den Vorrang; werden wie ein Kind (negat.Kontext);* Jesus segnet die Kinder; werden wie Kinder (posit.Kont.).

Jesus 'wendet sein Angesicht', nach Jerusalem zugehen.* Jesus erreicht Jernsalem und wird nun Einzug halten.

Jesus wendet sich den Samaritern ZU. [Spatere HSS: DerSohn des Menschen ist gekommen. (das Verlorene) zuretten.(!)] Er findet noch keine Aufnahme. keinen Steinfur sein Haupt (negativ).

4a* 18.35-19,10 * Jesus wendet sich in Jericho einem Blinden I Zollner zu;der Sohn des Menschen ist gekommen, das Verlorene zuretten. Er findet Aufnahme (positiv).

4b. 10.1-24 Der Auftrag der (70) Jiinger (predigen und heilen in derihnen gegebenen Vollmacht) und das (negative wie posi­tive) Ergebnis;

32 Hobert K. Farrell, <The Structure and Theology of Luke's Central Section', Trin.Journ, NS 7, No, 2 (1986) 33-54,

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4b* 19.11-27 * Ver Auftrag der Jilnger (arbeiten mit den ihnen an.­uertrauten Pfunden) und das (positiue wie negatiue)Ergebnis.

5a. 10.255a'" 18.185b. 10.26-85b'" 18.19-21

5e. 10.29-37

5c* 18.22-75d. 10.38--4200'" 18.28-30

6. 11.1-13

6* 18.1-14

7a. 11.14--267a* 17.11-19

7b. 11.27-8

7b* 17.20-1

7c. 11.29-32

7c* 17.22-37

8. 11.33-5412.1-12

8* 17.1-10

9. 12.13-2110. 12.22-34

Frage des Sehriftgelebrten: 'Was mull ich tun,* Ides reichen Jilnglings: dall ich (las Lebenererbe?Antwort des Schriftgelehrten, hestiitigt dUTch J eBUs: Dt 6.5;• Antwort Jesu, bestiitigt durch den Schriftgelehrten: Dt 5.16-20.Zweite Antwort (v. Jesus): Handle v.ie der barmherzigeSamanter.* Zweite Antwort Jesu: Verkaufe alles, was du hast!Maria und Martha hIlren auf Jesus und menen ibm;• Die Junger Jesu haben alles uerlassen und sind ihmgefolgt.

Vom Beten (Unser Vater): Gleichnis VOID bittenden Freund;Gleichnis vom bittenden Sohn.

* Yom allezeit Belen: Gleichnis von der bittenden Witwe;Gleichnis uom Pharisiier und ZaUner.

Austreibung bOser Geister; einer kehrt ,wrlick (negativ).'" Heilung uon zehn Aussatzigen; einer kehrt zurllck (posi­tiu).Apophthegma anliiJ3lich eines Zwischenrufes: 'Selig sind,die daa Wort Got188 hBren und bewahren.'• Apophthegma anUtj3li£h einer Frage: 'Vas Reich Gottestst mitten unter euch.'Die Frage nach einem Zeichen des Reiches Gottes; Hinweisauf Jona, die Kllnigin des Sudens und die Stadt Ninive;* Die Frage nach dem Anbruch des Retches GoUes; Hin­weis auf Noah, Lot und die Stadt Sadom.

Das Bildwort von der Lampe (positiu) und vom Sauerteig[der Pharisil.er] (negattv);Warnnng vor VerftuJlerlichung und Heuchelei bei gutenWerken;Aufruf ZUDl Bekennen und Worte uber Vergeben.* Vas Wort von der Verfllhrung mtt dem Btldwort vomMllhlstein (negattu) und der Vergletch des Glaubens mitdem Senfkorn (posittv);Aufruf zum Zurechtweisen, Vergeben und Glauben; War­nung vor Lohndenken bet guten Werken [chiastischJ.

Das Gleichnis vom rorichten Reichen (negatiu);Vertrauen auf die Gahen des bereits prasenten ReichesGottes (Schatz) und damit verbunden daa Gebot tlltigerLiebe (Herz).

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DIE Z¥KLISCHE STRUKTUR VON LUKAS 9.431>-19.28 489

11. 12.35-48

11* 16.1-15

10" 16.16-18

9" 16.19-31

12a. 12.49-59

12a* 14.25-7

12b. 13.1-5

12b* 14.28-35

12c. 13.6-9

12c* 15.1-32

13a. 13.10-1713a* 14.1-613b. 13.18-21

13b* 14.7-14

13c. 13.22-30

13c* 14.15-24

14. 13.31-2

14* 13.34-5

15 13.33

Aufruf, zu leben als Wartende, bereit zur Verantwortung;selig die treuen Verwalter (positiv); Gleichnis vom brutalenKnecht.

* Mahnung zu verantwortlichem Handeln mit demMammon; Gleichnis von dem zur Rechenschaft gezogenenHaushalter (positiv).* Das gegenw{jrtige Eingehen in das Reich Gattes,und damit verbunden die bleibende Galtigkeit der Gebote.* Gleichnis vom reichen Mann und vom armen Lazarus(negativ).

Streit in der Familie liber die konsequente Nachfolge; Auf­ruf zu ungeheuchelter Jiingerschaft.* Aufruf zur Nachfolge trotz Widerstand in der Familie undzur konsequenten Jangerschaft.ErHtuterung durch das Bild v-om grausamen Pilatus undvon einem umgesturzten Turm (negativ) mit anschliellen­der Warnung.* Erlauterung durch das Bild vom Turmbau und vom Krieggegen einen ii.bermachtigen Feind [chiastisch] (positiv) mitanschliepender Warnung.Jesu Slinderliebe; Gleichnis vom Feigenbaum; nach dreiJahren noch drei weitere MaBnahmen: laB ibn, grabe umibn, dunge ibn.* Jesu Sunderliebe; drei Gleichn. vom Suchen des Ver·lorenen ..

Heilung einer verkruppelten Frau am Sabbat;* Heilung eines wassersuchtigen Mannes am Sabbat.Gleichms vom Senikorn (die Vogel des Himmels wobnen inden Zweigen) und vom Sauerteig.* Gleichnis vom Einladen von Gasten; lade Arme, Verkrap·pelte, Lahme und BUnde ein.Wer wird gerettet werden?Gleichnis vom Hausherrn, der bestimmte Knechte aus­schlieBt.* Wer wird gerettet werden?Gleichnis vom Gastherrn, der bestimmte Gtlste ausschliept.

Blick zurUck auf HerodeslGalilaa; trotz a11er Drohungenwird er von Tag zu Tag sein Werk fortsetzen und vo11enden.* Blick nach vorn auf Jerusalem; Klage aber die Stadt, dieihn umbringen wird; dennoch positiver Aspekt: Es wird einWillkommen geben trotz aller Proteste (ugl. 19.38-9).

Nach Gottes Rat muf3 er Jerusalem entgegengehen, umdort zu sterben.

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490 HEINRICH BAARLIh"'K

3.2. Schematische Darstellung mit vereinfachter Angabevon Quellen

" l.M 9.30";'2 9.43b-45

tea M9.33-4I 9.46-50G 3. MI0.1 9.51\) 4a 9.52-62

41>. 10.1-246 5a. M12.28 1O.2."i

5b. M 12.29";'4 10.26-285e. 10.29-375d. 10.38-42

.j:' 6. Q 11.1-13e, 7a Q 11.14-26

Th. 11.27-2870. 11.29-32

H 8. Q 11.33-12.12J: 9. 12.13-21..l 10. Q 12.22-<14'f'. 11. .Q 12.35-48L 12a. Q 12.49-59

12b. 13.1-512e. 13.6-9

Il'1 13a. 13.10-1713b. SQ 13.13-2113c. Q 13.22-30

N 14. 13.31-320 15. Die zentrale Aussage des Gesamtteiles 13.33

/Ii 14' Q 13.34-35

m 13a* l4.1-613b" 14.7-1413e* Q 14.15-24

L 12a* 14.25-2712b' 14.28..;l."i12c' 15~-32

~ n' 16.1-15:J 10' Q 16.16-18

1= 9' 16.19-31

\1 8' Q8 17.1-10t:l 7a' 17.11-19

Th' 17.20-2170" Q 17.22-37

f 6' 18.1-14

t1 5a'" MI0.17 18~8

5b' MI0.l8-20 18.19-215e' MI0.21-27 18.22-275d* M 10.28..;lO 18.28..;l0

0 4a' MI0.46-52 18.35-19.104b* Q 19.11-27

C- 3' Mll.1 19.28

6 2' MI0.13-I6 18.15-17

A l' MI0.32-34 18.31,",,4

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DIE ZYKLISCHE STRUKTUR VON LUKAS 9.48b-19.28 491

3.3. Allgemeine Bemerkungen

3.3.1. Der hier vorgelegte Entwurf entstand in volliger Unabhan­gigkeit von den oben erwiihnten Arbeiten. Dies zu erwiihnenmag hier seinen Sinn haben, zeigt er doch, daB einige Grunder­kenntnisse friiherer Forscher sich auch unabhiingig von ihnendurchzusetzen vermtigen. Dieses Vorgehen ergab sich daraus,daB am Anfang nicht der Plan stand, den Aufbau des Lk-Ev zuanalysieren; vielmehr war die Auslegung von Lk 16.16-17 imRahmen der Frage nach der Gegemvart des Reiches Gottes derAnlaB, das Umfeld dieses Textes niiher zu betrachten. tiber denKontext des 16. Kap. und erste Erkenntnisse mit Bezug auf seinestrukturelle Gestaltung wuchs die Neugierde, den ganzen Inhaltder graBen Einschaltung auf seine Struktur zu untersuchen. Erstnach Beendigung der Arbeit mit dem hier vorgelegten Resultatsind daun die genannten Entwiirfe hinzugezogen worden. Dernachtriigliche Vergleich bestiitigte mein Ergebnis und lieB deutlicherkennen, wo trotz eines richtigen Ansatzes Weichen falsch ge­stellt waren, sodaB die Ergebnisse nicht zu iiberzeugen vermoch­ten.

3.3.2. Eine wichtige Voraussetzung fur diese Untersuchung war,daB nicht vorschnell der Anfang der Einschaltung mit dem Anfangeines zyklisch strukturierten Makrotextes gleichgesetzt wurde.Das galt es gerade bei Lk zu beachten, ist er doch auch an anderenStellen bekannt fUr nahtlose Ubergiinge. In diesem Fall bot sichihm die Mk-Vorlage als Ausgangspunkt an. In den Abschnitten9.30-2 und 10.32--4 (zweite und dritte Leidensankiindigung)sowie in 9.33--41 und 10.13-16 (Streit um den Vorrang: werdenwie ein Kind - Segnung der Kinder) lagen zwei Perikopenpaarevor, die jedenfalls so gelesen werden konnten, daB sie sich chia­stisch zueinander verhielten. Es zeigt sich, daB diese Abschnitteinhaltlich und strukturell ganz zu diesem Teil gehoren.

3.3.3. Was die Reihenfolge der einzeln nummerierten Unter­abschnitte betrifft, besteht an zwei miteinander verbundenenPunkten (es sind nach unserer Ziihlung die Nummern 111* und2/2*) eine Unregelmafiigkeit. Diese lii.Bt sich jedoch problemloserkliiren. In dem ersten von Lk eingefiigten Satz (9.51) wird dasThema des Ganzen umschrieben: der Weg nach Jerusalem imRahmen des angekiindigten Leidens und im Hinblick auf diebevorstehende Erffillung seiner Aufnahme, seiner Erhohung,seiner Himmelfahrt. Noch unabhiingig von der Frage, ob mit 9.51eine griiBere vor·1k tiberlieferungseinheit anfangt, 1St es begreif­lich, daB der Evangelist dafiir den mk Traditionszusammenhang

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nicht unterbrach, um diese Notiz einzuschieben. Bei Annahmesolch einer vor-lk Tradition ware es selbst eine Vergewaltigung desTextzusammenhanges gewesen, wenn er fur eine konsequenteParallelisierung gesorgt hatte. Auf jeden Fall hat er die Unregel­maBigkeit in zwei Fallen in Rauf genommen.

DaB er dort, wo ihn in den Anfangsabschnitten keine Mk­Vorlage band, die Reihenfolge der Mk-Unterabschnitte am Ende(Mk 10.13-11.1) zum Ausgangspunkt ror seine redaktionelleTatigkeit gemacht hat, ist leicht zu erschlieBen, wenn wir dieNummern 5a-d und 5a*-d* miteinander vergleichen. Siehe un­ten im Abschnitt 3.4.

3.3.4. Bei der Rekonstruktion eines zyklisch aufgebauten groBe­ren Textes darf nicht ausgegangen werden von einem zuvordefinierten IV[aBstab, dem dann der Evangelist zu genii,gen hat.Vielmehr muJ.I der Weg von behutsamen Beobachtungen am TextausgeheIL Uber die Strnktur seines Textes entscheidet allein derVerfasser; es ist unsere Sache, dafiir angemessene Termen zu ver­wenden. Zu diesen Beobachtungen gehort z.B., daB Lk in einigenFallen mehrere Perikopen in beiden Halften seines Textes ingleicher Reihenfolge aufnimmt, zwar zyklisch im Hinblick aufandere Perikopen, jedoch linear im Vergleich miteinander. Siehedie Nummern 4ab, 5a-d, 7a-c, 12a-c und 13a-c. Wir hatten unseine Bemerkung hieriiber ersparen konnen, wenn wir diese Num­mern einfach ohne Unterbezeichnung a. usw. benannt hatten. Dajedoch, und zwar fast ausnahmslos, an diesen Stellen Sondergutund Stoff aus Q zu groBeren Einheiten zusammengestellt war,schien es angemessener zu sein, die Unterteilung vorzunehmenund den Inhaltjeweils zu benennen. Die Sorgfalt und Konsequenzdes Verfassers kommt so noch deutlicher zum Ausdruck.

An einer anderen Stelle ist der Sachverhalt umgekehrt so, daBjeweils drei Perikopen, die sichtlich zu einer Sinneinheit gemachtwurden, doch chiastisch zueinander zusammengefiigt sind. Eshandelt sich urn die Nummern 9-11. Wegen der inneren Zu­sammengehOrigkeit in beiden Fallen sind sie in der anliegendenUbersicht auch jeweils zusammengestellt worden. Die Auslegungwird dem Verfasser nachtraglich Recht geben. In beiden Fallenstehen langere (12.22-34) oder kiirzere Texte (16.16-18) einan­der gegeniiber, die auf die unlosliche Verbindung zwischen derGegenwart des Reiches Gottes und der unverminderten Geltungder Gebote Gottes weisen. In beiden Fallen werden diese Abschnitteflankiert von Gleichnissen, in denen einerseits von torichten rei­chen Miinnern erzahlt wird, die bis ans Ende ihres Lebens davonnichts erfullt haben und zeigen, wahrend andererseits Menschen

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DIE ZTICLISCHE STRUKTUR VON LUKAS 9.431>-19,28 493

geschildert werden, die leben nnd wirken als treue Verwalter(12.35-48), zumindest jedoch ahnen, daB es notig nnd erstrebens­wert ist, mit dem Eigentum Gutes zu tun (16.1-15).

3.3.5. Es muB auffallen, daB in einigen Fallen eine SteigerungodeI' eine Umkehrung yom Negativen zum Positiven vorliegt. Dawir in Einzelnfallen die redaktionelle Tatigkeit des Evangelistenklar erkennen k6nnen (sehr klar bei Pnnkt 1), diirfte dies beab­sichtigt sein.

3.3.6. SchlieBlich ergab eine nachtragliche Zahlung del' Verse inbeiden Halften dieses Hauptteils eine Uberraschung. An beidenSeiten del' zentralen Aussage von 13.33 stehen 207 Verse im erstenTeil208 Versen im zweiten Teil gegentiber. Diese Zahlen mit ihrerverbliiffenden Ubereinstimmung verraten wegen del' gleichenGr6J3enordnung ein durchdachtes Gesamtkonzept.

3.4. Bemerkungen zu den einzelnen Nummern

Zu 1: Die einander zugeordneten Leidensankiindignngen sind ausMk iibernommen. Lk hat jedoch eine bezeichnende Anderungangebracht. Wiihl'end Mk 9.31 bereits tiber Leiden, Sterben undAuferstehung sprach, liiBt Lk das letztere bier aus, wiihrend er in18.33 die Auferstehnng am dritten Tage tibernimmt. Dadurcherreicht er eine Steigerung.

Zu 2: Die Frage, weI' unter den Jungern del' groBte sei, sowie ihreUberzeugung, daB sie aufjeden Fall groBer seien als del' Exorzist,del' Jesus nicht folgt wie sie, ruft die Ermahnung Jesu hervor: erstellt ein Kind in die Mitte (9.46-50). In einem kleinen Kind kon­nen sie Jesus selbst und seinen Vater aufnehmen; nnd das erlor­dert, daB sie selbst auch klein werden in eigenen Augen. Die eben­fulls aus Mk stammende Erzahlung von del' Segnung del' Kinder(18.15-17) bildet wiedel' eine ins Positive gewandte Entsprechung;hier ist Jesus selbst derjenige, del' die Kleinen segnet, wiihrend dieJunger noch immer meinen, sie kamen dafur vorliiufig noch nichtin Frage.

Zu 3: Jerusalem als bezeichnendes Schlusselwort, das das ge­samte Geschehen des Leidens und Sterbens Jesu meint (vg1. auch13.33b), wird in 9.51 mit del' sich in Balde erfiillenden Himmel­fahrt verbnnden. Das ist typisch lukanisch. Man vergleiche 24.26und die dortige Notiz, daB gerade darin Mose nnd die ProphetenerfUllt werden. Mit diesel' Umrahmung steht del' Gesamtteil ineinem heilsgeschichtlichen Bezug. Abel' mehr noch: auf dieseWeise bekommt alles, was innerhalb diesel' Klammer steht,seine

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Relevanz und Aktualitiit fUr die Zeit nach seiner aVO:/c'l]fUjfIs, dasheiBt: fUr die Kirche nach Pfingsten.

Zu 4a: Die Einheitlichkeit der Thematik in 9.52-62 ist vielleichtnicht gleich erkennbar, auch nicht konsequent durchgefiihrt; derVerfasser hat es mit gestalteter Tradition zu tun. Doch liegt derNachdruck bier wie im zweiten Teil auf der Hinwendung Jesu; imersten Abschnitt nimmt Jesus Ablehnung und Heimatlosigkeit inKauf und erwartet das auch von denen, die ihm folgen. 1m Paral­lelabschnitt von 18.35-19.10, der auch aus zwei Teilen besteht,fiihrt die Zuwendung Jesu bei zwei Menschen in Jericho zupositiver Resonanz. Der Blinde folgt ihm nach, und Zachaeusnimmt ihn mit Freude in seinem Hause auf. Darin liegt cineSteigerung. Dem Menschensohnwort in 9.58, das die negativenBegleitumstande seiner Sendung nennt, steht das Menschensohn­wort von 19.10 gegenuber, das in positiven Worten den AuftragJesunennt.

Zu 4b: Die Aussendung der (zweiund-)siebzig Junger (10.1-24)spricht deutlich uber den Jungerauftrag, metaphorisch selbstschon tiber den weltweiten Auftrag, der in Apg. 1.8 naher um­schrieben wird. Beauftragung und Vollmacht gehoren dabei zu­sammen. Dazu gehi:\ren die negativen (V. 13-16) wie die positivenErgebnisse (V. 17-24). Diesem Abschnitt entspricht in 19.11-27das Gleichnis von den anvertrauten Pfunden. Es enthlilt die Ant­wort Jesu auf die MutmaBung, die Erfiillung des Reiches Gottesstehe kurz bevor. Damit wird die Reise des Ki:\nigsanwarters in einfemes Land zum Zweck der Erlangung seiner Konigswiirde zueinem Gleichnis fUr die Himmelfahrt Jesu und die Zeit bis zuseiner Parousie. So steht der Auftrag in Kap. 19, mit den anver­trauten Pfunden zu arbeiten, parallel zu dem Missionsauftrag vonKap 10. Die Progression besteht darin, daB die Verantwortung derJunger im Hinblick auf den Tag der Wiederkunft des Konigs hierexpliziert wird.

Zu 5: Der Teil 5a*-d* (18.18-30) war luckenlos aus Mk 10.17­30) iibernommen worden. Auf die Frage 'Was muE ich tun, daBich das ewige Leben ererbe?' antwortet Jesus mit dem Hinweis aufeinige Gebote; wenn der Gesprachspartner darauf antwortet, erhabe dies alles seit seiner Jugend getan, verschiirft Jesus seineHinweise durch das Gebot: Verkaufe alles, was du hast, und gib esden Armen. Gegenuber diesem Ma:an, der damber traurig wurde,stehen am Ende die Junger, die anes verlassen haben, urn Jesuszu folgen, und die von ihm triistliche Zusagen fur die Zukunfterhalten. Das zyklische Gegenstiick 5a-d (10.25-42) stammt teilsaus anderen TeHen von Mk (10.25, 26-8 = Mk 12.28, 29-34), teils

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OlE ZYKLISCHE STRUKTUR VON LUKAS 9.43b-19.28 495

aus 1k Sonderquelle (10.29-37, 38-42). Auf die gleichlautendeFrage antwortet dort (nach Jesu Gegenfrage) der Schriftgelehrteselbst. Dabei neunt er nicht Einzelgebote, sondern das zentraleGebot der Liebe zu Gott. So weit kaun Lk einen Abschnitt aus Mk12 hier einfugen. Urn den Parallelismus vollstandig zu machen,muB er zusiitzliches Material hinzufugen. Da auch der Schrift­gelehrte sich rechtfertigt, verschiirft Jesus das Liebesgebot durchdas Gleichnis vom barmherzigen Samariter. Schliefllich hat Lkauch eine Analogie zu der Notiz uber die Junger gesucht und ge­funden: den Abschnitt iiber Maria und Martha. Allein schon dieTatsache, daB er damit Stoff einfiigte, der nahe bei Jerusalembeheimatet war, obwohl Jesus sich vorHlufig noch in Galilaaaufuielt, zeigt, daB er fUr den Abschnitt 5d* eine Parallele suchte.DaB er so der Erzahlung uber die Junger einen Abschnitt uberJungerinnen gegenuberstellt, entspricht einer oft wiederholtenTendenz im lk Doppelwerk.33

Zu 6: In beiden Fallen bildet das Gebet das beherrschende Thema.In 1l.1-13Iehrt Jesu sie beten (Unser Vater) und verdeutlicht dieGewiBheit der ErhOrung durch zwei Gleichnisse (vom bittendenFreund und vom bittenden Sohn). In 18.1-14 wird das Themagleich im ersten Vern 1 angegeben: Allezeit beteD:. Wie sinnvoll un­aufuorliches Beten ist, weun es aus dem Herzen kommt, erlautertJesus wieder durch zwei Gleichnisse (von dar bittenden Witwe undvon dem bittenden Zollner). Der Zollner ging gerechtfertigt nachHause, der Witwe widerfuhr Gerechtigkeit. Ubrigens wird sowohlin 11.7 als in 18.5 der Ausdruck 1C61tovhc6n:01J~ r.apextw gebraucht,der sonst weder im Lk-Ev noch in der Apg. vorkommt.

Zu 7: DaB es sich in 11.14-32 urn eine bewuBte Zusammen­stellung handelt, geht schon daraus hervor, daB Lk zwischen diebeiden Perikopen 7a und 7c (V. 14-26 und 29-32), die aus Qstammen und dort bereits einen Sinnzusammenhang gebildethaben diirften (vgl. Mt 12.22-30, 43-5 sowie V. 38-42), in 7b(V. 27-8) eine Seligpreisung aus SLk eingefiigt hat. Auch 17.11-37ist deutlich eine lk Komposition. Teil 7a*, das Gleichnis von denzehn Aussatzigen (V. 11-19), ist ebenso wie das Apophthegma inTeil 7b* (V, 20-1) lk Sondergut, wahrend Teil 7c* (V. 22-37) imgroBen und ganzen aus Q stammende apokalyptische Aussagenentbalt.

Die Ubereinstimmung in den Teilen 7a und 7a* scheint auf denersten Blick gekiinstelt zu sein. Immerhin besteht eine formeUe

33 VgL H. Baarlink, Die Esdwtolagie der synaptischen Eva.ngelien. (Stuttgart, 1986) 140-3. Siehe aucb die Ausl'Ubrungen unten im Teil 3.5.2. .

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Analogie darin, daB anlaBlich eines Exorzismus erst iiber dieAustreibung baser Geister, dann iiber die Riickkehr eines bosenGeistes erzahit wird. Dem steht die Heilung von zehn Aussatzigenund die Riickkehr von einem aus ihrer Mitte gegeniiber. In denTeilen 7c und 7c* sind Aussagen Jeau tiber die Zukunft aufgenom­men. In beiden Fallen werden sie eingeleitet durch die wortlicheBitte urn ein Zeichen (11.29) bzw. inhaltlich durch das erwahnteVerlangen danach. In beiden Fallen wird dieses Verlangen abge­wiesen und geriigt. Besonders aufflillig ist, daB injeder der beidenPerikopen zur Warnung erst zwei Personen, sodann eine Stadtgenannt werden: Jona, die KDnigin vom Suden und Ninive in Rap.11, Noah, Lot und Sodom in Rap. 17. .

SchlieElich die eingeschobenen Apophthegmen: In 11.27-8 ist eseine SeIigpreisung Jesu. Ausgangspunkt war, daB jemand dieMutter Jesu selig pries; im Kontext des Rapitels steht das in dout­lichem Zusammenhang mit dor Austreibung boser Geister durchJesus, die nach V. 20 unmiBverstiindliches Zeichen der Gegenwartdes Reiches Gottes ist.Dem entspricht die Aussage von 17.20-1 insehr auffiilliger Weise. Die beiden Verse sind inhaltlich mit denfolgenden verbunden, wahrscheinlich selbst redaktionell aus ihnenerwachsen. Ab V. 22 erhalten die Junger im Zusammenhang mitdem Gottesreich wichtige Unterweisung mit Bezug auf die Zu­kunft. Den Pharisliern jedoch wird weitergehende Auskunft ver­weigert, weil sie die Gegenwart .des Reiches Gottes im HandeinJesu nicht erkennen oder anerkennen wollen. Das Apophthegma'Siehe, das Reich Gottes ist in eurer Mitte' (evtOstJI1IDV) entsprichtder Seligpreisung wegen des Zusammenhanges mit seiner Voll­macht, Taten zu tun, die diese Gegenwart bezengen.

Zu 8: Fragen wir erst nach dem kerygmatischen Ziel der bei­den einander gegeniiberstehenden Abschnitte. Beide Male wirdgewarnt vor unlauterer und heuchlerischer Gesinnung, vor dembosen Auge, dem finsteren Licht (11.34-5), vor Verfiihrung,Vergeltungs- und Anspruchsdenken (17.1-10). In beiden Fallenverbindet der Evangelist damit je zwei Bildworte Jasu: in Kap. 11­12 vom Licht und vom Sauerteig (positiv - negativ), in Rap. 17vom Milhlstein und vom Senfkorn (negativ - positiv), also inchiastischer Reihenfolge.

Zu 9-11: Da hier die Reihenfolge in beiden Teilen nicht dieselbeist, haben wir den Stoff den Nummern 9, 10 und 11 zugeordnet.Der Zusammenhang ist jedoch in heiden Fallen sehr eng; ausdiesem Grunde behandeln vvir sie hier zusa=en.

Wir gehen von den zentralen Aussagen in 10. und 10* aus. DerAbschnitt 12.22-34 hat seine direkte Parallele in Mt 6, entstammt

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DIE ZYKLISCHE STRUKTUR VON LUKAS 9.431>-19.28 497

also Q. Es sind Worte der Ermutigung wegen der verlaBlichenSorge des Vaters im Himmel; diese ist untrennbar mit dem bereitsgegenwartigen Reich verbunden, ist selbst Ausdruck dieser gnadi­gen Gottesherrschaft. Wer also nach dem Reich Gottes trachtet, istder qualenden Sorge enthoben. Vielsagend ist die lk Hinzufiigungvon V. 32, daB es dem Vater wohlgefallen hat, der kleinen Herdedas Reich zu geben. Die Kehrseite dieses Trostes ist nunaber derAufruf, Gutes zu tun, in lk Zuspitzung: Verkauft alles und gebtAlmosen f'J'. 32a)! So expliziert Lk den Aufruf aus Q, Schatze imHimmel zu suchen (Mt 6.19-20), und so macht er deutlich, was imLogion von V. 34 in Verbindung mit dem Gottesreich als Schatz mitdem Herzen gemeint ist. Das Reich Gottes tritt nicht an die Stelledes menschlichen Tuns, sondern verwirklicht und fordert dieses.Dies alles findet seine genaue Entsprechung in 16.16-17. Die Be­deutung dieses Apophthegma besteht nicht darin, daB tiberhauptvon der Gegenwart des Reiches Gottes die Rede ist, sondern daBdiese Gegenwart mit einer qnalitativ neuen und inhaltlich derErfUllung gemaBen Gilltigkeit des Willens Gottes gepaart geht.Schatz und Herz gehoren auch mer zusammen.

Diesen beiden zentralen Predigtteilen sind je zwei Gleichnissezugeordnet, und zwar wieder in chisstischer Entsprechung. UnterNummer 9 und 9* sind Gleichnisse aufgenommen tiber (in beidenFaIlen reiche!) Manner, die bis zum Augenblick ihres Sterhensnicht das Geringste iiber die Giiltigkeit des Liebesgebotes alsInfragestellung ichbezogenen Lebens begriffen haben und damitdem Gericht Gottes entgegengehen. In 12.13-21 ist Habgier dieTriebfeder ichbezogener Wirtschaftsplanung, in 16.19--31 ist Lieb­losigkeit in letzter Konsequenz die Folge dieser Ichbezogenheit.Dem stehen nun unter 11. und 11* zwei Gleichnisse gegeniiber, indenen Menschen zeigen, zumindest etwas verstanden zu habenvon dem Wert des Guten, konkret: von dem Wert, Gutes zu tunmit dem, was ihnen gegeben worden ist. 1m ersten Falle (12.35­48) ermahnt Jesus, in rechter Weise - und das heHlt: in steterVerantwortung - auf den kommenden Herrn zu warten. Auf dereinen Seite werden zwar Menschen erwiilint, die in der Zwischen­zeit riicksichtslos, menschenverachtend und in Viillerei lehen, aherim Mittelpunkt steht 'der treue und kluge Verwalter', und er soIlals Leithild flir die Jiinger dienen. Damit korrespondiert in 16.1-15das Gleichnis vom dem Haushalter, der wegon seines nicht naherausgefiihrten Auftretens bei seinem Herm. angeklagt wurde; erwird jedoch nachher yom Herrn deshalb gelobt, weil er in seinerNot zumindest gerade rechtzeitig noch etwas Entscheidendesgelernt hat: daJ.l man mit anvertrautem Gut Gutes tun kann, das

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ibm dann auch selbst zugute kommt.34 Das zentrale Anliegen inden Anssagen in 10. und 10* wird also zweimal in negativer (9. und9*) und zweimal in positiver Form (11. und 11*) erzahlend aus­gelegt.

Zu 12a-c: Der Abschnitt 12a. (12.49-59) besteht ans Q-Stoff, derbei Mt auf verscmedene Teile seines Ev verteilt ist. Beherrschen­des Thema ist die Unansweichlichkeit der Zerstrittenheit in derFamilie wegen der Dringlichkeit des Rufes in die konsequenteNachfolge. Das Feuer von V. 49 hangt mit dieser Zeit in V. 56 zu­sammen. trber dieser Zeit hangen die schwarzen Wolken desnahen Gerichts. Dieselbe Dringlichkeit liegt in dem Logion von12a* (14.25-7); wieder ist das .Auseinandergehen in der Familiedie Folge davon, daB jemand den Ruf in die Nachfolge und zumKreuztragen ernst nimmt. Die Drohung mit dem strengen GerichtfehIt mer jedoch.

Die Abschnitte 12b. und 12b* bilden in der lk Redaktion trotzrelativer Selbstandigkeit die Forlsetzung der vorhergehendenLogien. In 13.1-5 geschieht das dem Kontext gemaB in drohenderWeise. Es wird berichtet iiber die brutale Metzelei des Pilatus, beider eine Anzahl Pilger wahrend der Darbringung ihrer Opfer denTod gefunden hatten, danach von einem umfallenden Turm, derachtzehn Menschen unter sich begraben hatte. Behle Beispieledienen hier als Warnung: Wenn ihr nicht BufJe tut, werdet ihr alleauch so umkommen. In 14.28-35 wird das ermahnende Wort dervorangehenden Verse, in denen jede Drohung fehlte, fortgesetzt.Der Jiinger, der den Bruch mit der Familie in Kauf genommenhat, muB wissen, was er tut. Die Gleichnisse von dem Turmbauer,der nachrechnen muLl, ob er ihn auch vollenden kann, und vondem Feldherrn, der einkalkulieren muB, daB sein Gegner eindoppelt so groBes Beer hat, sind mer nicht in abschreckendemSinne gemeint, sondern als Ansporn zum Einsatz der ganzen Exi­stenz. Zu beachten ist hierbei die verbliiffende Ubereinstimmungder Bilder, wobei jedoch beide Male auf ein negatives Beispiel einpositives Bild folgt: (1) Dem umfallenden Turm steht ein zubauender Turm gegenuber. trbrigens kommt im NT sonst nurnoch in Mk 12.1 par. Mt 21.33 im Gleichnis vom Weinberg einTurm (1tUpyo.;) vor. (2) Dem grausamen Pilatus steht ein mutigerFeldherr gegenuber. Dabei ist die Reihenfolge chiastisch: Pilatns ­Turm, Turm - Feldherr.

34 In allen Evv ist ausschUeBHch 1n meson beiden lk Abschnitten von einem OiK6vol!o~ dieRede, und bei Lk kQrnmt nUT in diesem Zusammenhang, und zwar beige Ma1e, das Adj.rpp6V~VOT.

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DIE ZY:KUSCHE STRUKTUR VON LUKAS 9.431:>-19.28 499

In den Abschnitten 12c. und 12c* wird die Jetztzeit (das ange­nehme Jahr von 4.19) als Zeit der Geduld und der suchenden Liebegeschildert, die Kehrseite des ernsten Rufes zu Nachfolge undKreuztragen. In 13.6-9 geschieht das mit kurzen Strichen imGleichnis vom Feigenbaum: drei Jahre hat der Weinbergbesitzervergeblich Frucht erwartet. Das Abhauen ware nunmehr fallig.Aber auf Fursprache des Weingartners wird noch Aufschubgewahrt. Seine Fursprache enthiilt drei Elemente: stehen lassen,graben und dungen, in der Hoffnung auf Frucht, obgleich mitder Ankundigung, ihn dann niitigenfalls umzuhauen. In Kap. 15werden die Geduld im Suchen, die Bereitschaft zur Vergebung unddie Festfreude naeh dem Finden in drei Gleichnissen erzahlenddargelegt, wobei in Ubereinstimmung mit dem Vorangehendenjeglicher Hinweis auf das Gericht fehlt. DaB im ersten Teil dreiJahre und drei MaBnahmen im Jahre danach erwahnt, imzweiten Teil hingegen drei Gleichnisse ZUlll selben Thema erziihltwerden, kann !mum zufiillig sein.

Die Koherenz dieser beiden Perikopenfolgen und die auffalligeEntsprechung in allen drei Teilen diirfte somit deutlich gewordensein, nicht weniger aber auch die Konsequenz, mit der analogeVerkiindigungsinhalte einmal im Schatten des kommenden Ge­dehts, das andere Mal im Licht des kommenden Gottesreichesstehen.

Zu 13a-c: Die beiden Perikopenreihen setzenjeweils ein mit demBericht tiber eine Genesung am Sabbat, im ersten Falle in einerSynagoge (13.10-17) bzw. im Hause eines angesehenen Phari­saers (14.1-6); im 'ersten Abschnitt wird eine Frau von lang­jahriger Krankheit (Sem01C'f(O im!'lTT nur in Lk 13.4, 11) geheilt,die sie zum KrUppel gemacht hatte, 1m zweiten ein Mann vonWassersucht. Die Einwande der Anwesenden gegen die Heilungenam Sabbat werden in beiden Fallen durch Jesus entkraftet mitdem Rinweis auf das, was sie selbst am Sabbat mit ihren Haus­tieren zu tun pflegen: sie fiihren wen Esel zur Tranke (13.15);und sollte ihr Ochse in einen Brunnen fallen, so holen sie ihnwieder heraus (14.5).

Die Randlungsweise Jeau, durch die er leidenden Kindern Abra­hams Hilfe und Roffnung schenkt, wird danach durch Gleichnisseerlautert und zugleich auf das Handeln der Junger ausgeweitet. In13.18-21 sind es die Gottesreichsgleichnisse vom Senfkorn undvom Sauerteig. Wenn im ersten Falle gesagt wird, daB die Vogeldes Hirnmels in seinen Zweigen women, ist demit das Reich Gottesals Zufluchtsort fUr Menschen ohne Unterschied gemeint. Auch inder analogen Perikope von 14.7-14 geht es urn Trost, Zuflucht und

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Hoffnung fiir Menschen ohne Unterschied, jetzt aber im Zusam­menhang mit der Art, wie seine Junger wirken. Sie selbst erfahren,wie in der Cesellschaft Rang und Stand gelten, und sie tun gutdaran, daraus kluge Konsequenzen zu ziehen; und auch sie selbststehen in der Versuchung, Privilegien zu suchen (V. 7-11). Siesollen jedoch in der Nachfolge Jesu nach anderen Ma1lstabenhandeln, bei Einladungen offen sein mr aIle, vor allem fiir die oftVergessenen, und ebenso wenig wie Gott nach Wiirde und Sym­pathie handeln.

In den abschlie1lenden Abschnitten wird jeweils die Frage beant­wortet, wer deun wohl selig werden (13.23) bzw. 'im Reich GottesBrot essen' (14.15) werde. Diese Frage wird durch zwei Gleichnissebeantwortet, in denen jeweils der Hausherr aufsteht und Men­schen ausschlie1lt. 1m ersten Fall (13.22-30) sind es Menschen, diesich darauf berufen, in seiner Gemeinschaft gegessen und ge­trunken sowie auf seine Predigt gehOrt zu haben. 1m zweiten Fall(14.15-24) sind es Menschen, die sich auf fadenscheinige Weiseentschuldigt haben. Da1l dabei in beiden Fallen die Predigt desEvangeliums unter den VOlkern in Sichtweite kommt (13.29;14.23), ist unverkennbar.

Zu 14: In u=ittelbarer Nahe zum Kern des zyklisch struk­turierten Ganzen stehen zwei Aussagen Jesu. Die erste blicktzuriick auf Galilaa, die zweite schaut voraus auf Jerusalem. Nurauf literarischer Ebene riicken sie so dicht zusammen. Das Logionvon 13.31-2 enthalt den urspriinglichen Wortlautder AussageJesu. Dies melt schon Bultmann35 fiir wahrscheinlich, obwohl derZusammenhang mit V. 33 ibm (begreiflicherweise, wie wir jetztsagen konnen) ein Riitsel war. Auf eine Warnung, die ibm Angstmachen konnte, antwortet er souveran, er werde heute und mor­gen sein Heil bringendes Werk fortsetzen und am dritten Tage zuEnde fuhren}6 Was die Bedeutung von 't£luoil~(n betrifft, hat esden Anschein, alsob zumindest Lk es nicht im Blick auf das KreuzaHein als Endpunkt betrachtet, sondern als Ziel seiner Reise, daser auf souverane Weise erreichen wird; in heilsgeschichtlichemRahmen konnte es schon in die Richtung der uv&'f:rw'Jfts von 9.51weisen. Es gibt daneben gute Griinde, in diesen Worten Jesu eigeneStimme zu horen; ibn leitet die GewiBheit, daB Gott selbst seinen

35 R. Bultmann. Die G••chichte der synoptischen Tradition (8. Aufl.; Gottingen, 1970)35,59.

36 J. A. Fitzmyer, Luke, 1031, ist der Meinung, daB bei dem Ausdruck 'heute und morgenund am dritten Tage' an Ex 19,10 gedacht 1St,

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Weg und sein Werk vollenden wird und daB er, auf welchemWege auch immer, der Inthronisation entgegengeht.37

Die Verse 34-5 bilden das analoge Gegenstuck; in dieser Klagetiber Jerusalem, aus Q ubernommen, wird diese Stadt als Pro­phetenmiirderin und damit indirekt schon als Mlirderin Jesu (vgl.V. 33) hingestellt. Dabei wird das Verwerfliche ihres Tuns dadurchhervorgehoben, daE Jesu Bemiihungen um sie verglichen werdenmit der liebevollen und riihrenden Sorge einer Henne um ihreKillien. Doch erschiipft sich die Aussage darin nicht. Es wird Lkgewesen sein, der die Ankundigung des Gerichts uber die Stadtabgemildert hat, indem er entgegen dem Wortlaut bei Mt (23.37­9) das Wort €prUJ.O<; auslieB und in V. 35b das begriindende 'Yapdurch das adversative os ersetzte. Das bedeutet doch wohl: dieFeindschaft Jerusalems, die Un Kreuzestod Jesu ihren Hlihepunkterreichen wird, wird auch flir diese Stadt nicht das Einzige, auchmcM das Lehte sein; es wird in ihr fUr den auf das Kreuz zu­gehenden Jesus, aber auch fiir den vom Kreus Herkommenden,Auferstandenen und in den Himmel Aufgenommenen ein Will­kommen geben, Menschen, die ihn erkennen und ehren als den,der im Namen des Herm ko=t.

So gelesen enhalt jede der beiden Aussagen Jesu sowohl einenHinweis auf das, was ihm in Jerusalem bevorsteht, als auch aufseinen Sieg: daB er sein Ziel erreicht und daB es auch in Jerusalemfiir ihn einen jubelnden Empfang geben wird. Dies wiirde auchubereinstimmen mit der weiteren Erzahlung tiber die RaltungJerusalemer Biirger vor (19.47-8; 20.26, 45; 21.37-8; 23.5, 27-30,48) und nach der Kreuzigung (24.18-21) sowie mit der Tatsache,daB nach Lk aIle Erscheinungen des Auferstandenen in und umJerusalem stattfanden. SchlieElich werden die ersten Kspitel derApg dadurch gepragt; daB in Jerusalem Tausende zum Glauben anJesus Christus kommen und so Lk 13.34-5 auf vielschichtigeWeise in ErfiiIlung geht.

Zu 15: Es ist leicht zu erkennen, wie Elemente aus den Versen31-2 und 34-5 diese zentrale Aussage Jesu bestimmen. nATtVbedeutet 'jedoch' und stellt das darauf Folgende in deutlichenGegensatz zum bisher Gesagten. Waren vorher die Tage Jesuangedeutet als durch Heil bringende Taten bestimmt, jetzt wird ihrInhalt schlicht mit ltOpcuccrOett umschrieben; aber nun ist es nicht

37 Vgl. V. Hampel, Menschensohn and historisther Jesus (Neuldrchen, 1990) 118-22.Bemerkenswerl 1St .zud~m das: von O. Bet:z lind ihm herausgearbeitete uno ansgewerteteWortspiel '»lll! - '1l<~. 1st Herodes aIs Fuchs mit dem Klinig Saul zu vergleiehen, so stehtihm in Jesus der I,owe aus Davids Stamm gegeniiber.

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Andeutung kommender Ereignisse, sondern Ausdruck gottlicherVerfiignng (/ici). Andererseits wird aus der Klage von V. 34 Jeru­salem als Ort des Geschehens iibernommen, und zudem deutetJesus sich selbst an als den Propheten, der in Jerusalem zu Todekommen wird. Der Weg nach Jerusalem und das Geschehen indieser Stadt stehen unter dem Vorzeichen einer von Gott verfugtenNotwendigkeit. Nur von dieser Erkenntnis her ist all das ver­stiindlich, was in zyklischer Anordnung unmittelbar davor unddanach ausgesagt wird: die Vollendung seines Weges und der JubelfUr den nunmehr Verherrlichten. Darum kann es ffir 13.33 mit­samt seinem Kontext keine sachgemiiBere Zusammenfassunggeben als das Wort des Auferstandenen an die Junger auf demWege nach Emmaus (24.26): OUX1. 'talYta ~oel lta8civ 'tOY Xpu)'tOVKat eicrvJk'iv d<; -cljv 061;av au'toil;

AbschlieBend weisen wir auf zwei textkritische Besonderheitenhin, die als Hinweis darauf gewertet werden konnen, daB es in denersten Jahrhunderten zumindest Leser und Abschreiber des Lk­Ev gegeben hat, die sich der zyklischen Struktur dieses TeBesdurchaus bewuBt gewesen sind und auch um den Bezug zur Zeitnach Pfingsten gewuBt haben.

Zu der Notiz in 9.55 uber Jesus, der seine Jiinger wegen ihrerWut auf die Samariter rfigte, fugen viele spiitere HSS (mit unerhe­blichen Varianten) den folgenden Satz hinzu: '0 1Jto<; 'toil uv8pro:n:01JOUK ~A.8ev 'V1Jxa<; UV8palJtOlV UltOA.EO'm aA.IJJ. O'W(}'(H. Mit eben diesemSatz schlieBt der Abschnitt von 19.1-10, den wir mit vollig andererBegriindung als zyklische Parallele zu 9.52-6 erkannt haben.

Ein Teil dieser HSS hat dem hier zitierten Satz jedoch noch eineandere Frage, ebenfalls mit kleinen nebensiichlichen Varianten,vorangehen lassen: OUK oLo<1n: 0101J ltV£UI1Cl:"CO<; eQ''tE; Wenn die hiererziihlte Begebenheit mit der im vorigen Vers genannten Himmel­fahrt im Zusammenhang steht, daun ist es der Heilige Geist, derdie Reaktion der Junger bestimmen muB, wenn sie zumindestihrer Berufung gerecht werden wollen, die damit vorausgesetztwird und die im 10. Kap. gemeint ist.

3.5. AU8wertung

Die Rekonstruktion der zyklischen Struktur dieses wichtigenTeiles des Lk-Ev kann nicht ohne Bedeutung sein ffir die Aus­legnng der Einzelperikopen sowie fur die Frage nach der Theologiemeses Evangelisten. Wir konnen hier nur andeutungsweise einigeAspekte nennen.

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3.5.1. Der Rahmen des ganzen Teiles ist durch die von Mkiibernommenen Leidensankiindigungen Jesu gegeben. Dadurch,daB Lk im ersten Fall die Ankiindigung der Auferstehung weg­gelassen hat, entsteht eine Progression von 9.44 in Richtung 18.33.Dieselbe Zielrichtung hat Lk selbst in dem ersten von ihm einge­fiigten Satz (9.51) angegeben, indem er den Weg nach Jerusalemund zum Kreuz in die Perspektive der Himmelfahrt riickte. Soabwegig es ist, diesen Teil des Ev einen Reisebericht zu nennen, sozutreffend ist es andererseits, das Wegmotiv als bestimmendestheologoumenon zu bezeichnen.

3.5.2. Lk hat den Stoff dieses Teiles so geordnet, daB darin denJiingern fUr die Zeit nach Himmelfahrt und Pfingsten zu einergroBen Zahl aktueller Fragen und Aufgaben Instruktion, Er­mutigung und Mahnung mit auf den Weg gegeben werden. Es istauch durchaus konsequent, wenn OPOllO'; und boo.; in der Apgauffallig oft Andeutung fur den Glauben der Gemeinde sind. s8

Zu Recht ist deshalb dieser Teil des Ev als 'instruction for disciple­ship'39 bezeichnet worden. Die zyklische Struktur nun laBt er­kennen, mit welchem Aufwand und mit welcher Akribie Lk dafiirin Frage kommendes Material zusammengerngt und komple­mentar angeordnet hat. Anhand unserer Analyse lassen sich dielebensnahen Themen fast von Nummer zu Nummer benennen.Wegen der zulassigen Lange dieses Aufsatzes mussen wir leiderdaraufverzichten, dies im einzelnen ausfuhren.

So wie Jesus seinen Gang nach Jerusalem ala Weg zu seinerHimmelfahrt betrachtet, ist der Weg der Junger in seiner Nach­folge der Weg zu ihrem Zeugendienst in der Zeit danach, in derZeit, die durch die Pfingstereignisse inauguriert wird. Zu diesemDienst werden sie zugeriistet; diese Mahnung und Wegweisungihres Herm wamend seiner Erdenzeit bleibt fiir die !Grche nachPfingsten verpflichtend. Das hat der Interpolator sehr wohl emp­funden, der in 9.55 die Frage Jesu einfiigte: 'WiSt ihr nicht, wesGeistes ihr seid?' und der mit dieser Frage eine Verbindung her­stellte zwischen der in V. 51 angekundigten nahen HimmelfahrtJesu und dem Zeugendienst der Junger unter schweren Bedin­gungen in der Zeit nach Pf"lllgsten. Inzwischen ist uns deutlichgeworden, daB die verschiedensten Aspekte ihrer .Jungerexistenzund ihres Auftrages in diesem paranetischen Teil zur Sprachekommen.

38 Vgl. W. C. Robinson, 'Theol Context', 23-6.39 W, C, Robinson, Then]. Context', 31 mit Hinweis auf J, Schneider und B. ~icke,

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Dabei verwendet Lk viel MUhe darauf, den Gesichtspunkt derBerufung und gelebten Jiingerschaft von Mannern und Frauenerzahlend zum Ausdruck zu bringen, wo sich dazu die Gelegenheitbietet. Wir weisen auf die folgenden Parallelen hin:40

Nummer 5d und 5d*: In 10.38-42 und 18.28-30 Maria undMartha gegeniiber den Jiingern; gemeinsam zeigen sie, was esheiflt, Jesus konsequent zu folgen.Nummer 6*: Die bittende Witwe und der betende Zollner. Beidesind sie Beispiele fur reehtes Beten.Nummer 7b und 7b*: 1m einen Faile gibt eine Frau mit ihrerSeligpreisung Jesus AnlaB zu seiner Aussage, im anderen FaIlesind es Manner.Nummer 7c*: Neben zwei sich ausruhenden Mannern stehenzwei mahlende Frauen.Nummer 12c*: Einem Mann, der ein Sehaf verloren hat, stehteine Frau gegeniiber, die eine Miinze sueht.Nummer 13a und 13a": Einer Frau, die geheilt wird, steht einMann gegeniiber, den Jesus genest.3.5.3. Die Erkenntnisse, die wir im Zusammenhang mit der

grof:\en Einschaltung im Lk-Ev gewonnen haben, erlauben unsaueh, das Ziel der kleinen Einschaltung in 6.17-8.3 besser zu ver­stehen. 1st die grof:\e Einschaltung zusammen mit ibrem unmittel­baren Kontext eng mit der von Pfingsten herkommenden Kircheund so mit der Pfingstprophetie von Joel 3.1-5 verbunden, liegt dieFrage nahe, ob die kleine Einschaltung moglieherweise in beson­dererer Nahe zu Lk 4.18-19 steht, wo Jesus seine Zuriistung mitdem Heiligen Geist mit der Prophetie von Jes 61.1-2 erlautert. DieAntwort liiBt nicht lange auf sich warten. Alles weist darauf hin,daB Lk das Bediirfnis empfand, die von ibm in den Text eingefUgteNazarethperikope von 4.16-30 mit der Prophetie aus Jes 61 nochdeutlicher aus dem Auftreten Jesu zu erlautern als das hereits indem von Mk iibernommenen Stoff (Lk 4.31-6.16) geschehen war.Die von Lk hinzugefUgte Tradition leistet genau das.

6.20-49 sind der direkte Kommentar zum Auftrag: den Armendas Evangelium zu verkiindigen.

7.1-17 erzahlen von Jesu liebevoller Bemuhung urn den Haupt­mann von Kapernaum und seinen Knecht sowie urn die Witwevon Nain und ibren Sohn. An ihrren erfiil1t sich das Programmdes Erbarmens.

7.18--50 An Johannes dem Tiiufer wird deutlich, wie groB diEVersuchung ist, an der Realitat des angenehmen Jahres de,

40 Siehe Anm. 33.

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Herrn zu zweifeln. Die Jungerin dagegen erfahrt den Segender nunmehr erfullten Prophetie; glaubig geht sie hin in Frie­den.

8.1-4 Wiilirend der Ausfiihrung des Programmes von Jes 61 inJesu Predigt und Handeln sind Manner und Frauen Zeugender ErfUllung; als Junger und J ungerinnen treten sie dieNachfolge an.

Nach der mit der Seligpreisung der Armen einsetzenden soge­nannten Feldrede sind es jeweils dreimal Manner und Frauen, dieam eigenen Leibe und Leben erfahren, daB die Heilsprophetie imBegriff ist, in Erfiillung zu gehen: ein Hauptmann und eine Witwe,ein Taufer und eine Sunderin, eine Jiingerschar und eine GruppeFrauen.

Es ist nicht zuf"lillig, daB die kleine Einschaltung mit 8.1-4schlieBt. Derselben Gruppe Manner und Frauen, die hier Zeugender Erfiillung von Jes 61 sind, begegnen wir wieder in Apg 1.13-14.Dort sind sie nach Jesu Himmelfahrt beisammen und warten aufdie Erfullung von Joel 3.1-5! Mit anderen Worten: in heidenFallen, in denen Lk einen kurzeren (6.17-8.3) oder einen langerenTeil (9.51-18.14) in den Markustext einfugt und integriert, ver­folgt er im Grunde genommen dasselbe Ziel. Er will dem Leserzeigen, daB seine eigene Zeit, die Zeit der Kirche, ihres Zeugnissesund ihrer Liebestiitigkeit, in der heilsgeschichtlichen Verlange­rung der Zeit des irdischen Jesus liegt und sich immer wieder anseinem Wort, an seinemWerk und an seinem Vermachtnis zumessen hat. Wer das Evangelium in dieser guten Ordnung (1CaS­£~i1~) liest, wird darin mit Theophilus den sicheren Grund derLeme erfahren, darin er unterrichtet ist (1.3-4).

3.5.4. Das lk Doppelwerk ist in jeder Hinsicht einer Ellipse mitzwei Brennpunkten41 gleich. Dem Kommen des Sohnes im erstenBuch entspricht das Kommen des Geistes im zweiten. 1m Ev wirdChristus mit dem Heiligen Geist ausgeriistet, in der Apg dieJungerschar oder Gemeinde. Jesus erlautert die Gabe des Geistesbei der Taufe mit der Prophetie aus Jes 61; Petrus erlautert dieAusgieBung des Geistes mit Worten aus Joel 3. In diesen Zusam­menhang gehiiren auch die beiden kompositorischen Einschaltun­gen mitsamt ihrem Kontext, die kleine in 6.17-8.3 und die groBein 9.51-18.14. DaB dieses heilsgeschichtliche Strukturprinzip

41 Der Vergleich mit einer Ellipse wird iiberraschenderweise nnch sinnvoller, wenn WiT

bedenken l daB geometrisch gesehen lder Abstand voo clem eillen Brennpunkt und derAbstand von dem anderen Brennpunkt tibetan die gleiche Summe ergebenJ

, Duden,Deut""he. Universal-Worterbuch (2. Aufl.; Mannheim/WienlZUrich. 1989) 425.

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lange nicht erkannt ist, mag damit zusammenhangen, daB Lk esversteht, gleitende Ubergange zu schaffen, aber wool auch damit,daB andere Fragen an dieses Ev gcstellt wurden, Nun Lk indes aufneue Weise im Mittelpunkt des theologischen lnteresses steht,bemUhen sich immer mehr Forscher, die Gestaltungsweise diesesEvangelisten angemessen zu analysieren. DaB er das als schrift­stellerische Person verdient, ist dabei von zweitrangiger Be­deutung; daB die von ihm so und nicht anders weitergegebeneBotschaft daraufhin neu zu hiiren und auszulegen ist, scheintunausweichlich und verheiBungsvoll zu sein,