Barrieren gegen Prekarität?
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Prof. Dr. Thomas Blanke Vortrag auf der Tagung "Wettbew
erb und Prekarität"
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Barrieren gegen Prekarität?
Die Sicherung branchenüblicher Beschäftigungsbedingungen im
Briefmarkt
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PostG: Aufteilung des Briefmarktes
• §§ 5ff.: Lizenzierter Bereich (gewerbsmäßige Beförderung von Briefsendungen bis zu 1000 Gramm)– Ausnahmen nach § 5 Abs.2: Keine Lizenzpflicht für
• Erfüllungs- und Verrichtungsgehilfen • PEK-Dienste (Paket- und Kurierdienste)
– Das ist der offene, keiner Erlaubnispflichtunterliegende Wettbewerbsbereich
• § 51 S.1 PostG: Bis 31.12.07 befristete gesetzliche Exklusivlizenz für die DP AG für Briefsendungen bis 50 Gramm und Preisbegrenzung auf das 21/2-fache des niedrigsten Einzelpreises– Ausnahmen nach § 51 S.2 u.a. für
• „qualitativ höherwertige“ Dienstleistungen• Abhol- und Einlieferungsdienste etc.
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PostG: Drei Regulierungsbereiche
• 1. Wettbewerb
• 2. Lizenzierter Bereich
• 3. Gesetzliche Exklusivlizenz– Die Ausnahmen von 2 führen zu 1, die
Ausnahmen von 3 zu 2 (Folge: Bei Wegfall der Exklusivlizenz Ende 2007 bleibt es beim Erfordernis der Lizenzerteilung für die Briefbeförderung bis 100o Gramm)
– Ausnahmen unsystematisch
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Die Soziale Lizenzvoraussetzung nach § 6 Abs.3 S.1 Nr.3 PostG
• „Die Lizenz ist zu versagen, wenn
• …
• Tatsachen die Annahme rechtfertigen, dass der Antragsteller die wesentlichen Arbeitsbedingungen, die im lizenzierten Bereich üblich sind, nicht unerheblich unterschreitet“.
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Rechtsnatur der Lizenzerteilung
• Gebundener Verwaltungsakt
• Keine Ermessensentscheidung der Regulierungsbehörde (jetzt BNetzA, zuvor RegTP), kein Beurteilungsspielraum
• Anspruch auf Lizenzerteilung aus Art. 12 GG nur, soweit Lizenzvoraussetzungen vorliegen
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Klärungsbedürftige unbestimmte Rechtsbegriffe
• Anwendungsbereich : Im „lizenzierten Bereich üblich“
• Sachlicher Bezugspunkt der Lizenzversagung: „Wesentliche Arbeitsbedingungen“
• Maßstab “nicht unerheblich“ unterschritten
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Entstehung und Zweck von § 6 Abs.3 PostG
• Einfügung im Vermittlungsausschuss (SPD-Länder)
• Begründung:– Sozialschutz der Arbeitnehmer (Verhinderung
von Dumpinglöhnen)– Stärkung der Sozialkassen– Verhinderung von „unfairen“
Unterbietungswettbewerbs
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Lizenzierter Bereich und Üblichkeit
• „lizenzierter Bereich“: Definition in § 5 Abs.1 PostG
• Üblichkeit– Bislang unstreitig: Bezugspunkt ist DP AG
(Marktführer, der die Mehrzahl der Arbeitnehmer im Lizenzbereich beschäftigt), Übl. Wortsinn, Zweck + Syst. Auslegung : Tarifüblich, betriebsüblich
– Jetzt a.A. Säcker: Bei wettbewerblicher Öffnung sich herstellende Verhältnisse (künftige Arbeitsentgelte)
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Kritik der Neudefinition von Üblichkeit
• Falscher Zeitpunkt
• Verkennung der sozialen Schutzfunktion von § 6 Abs.3 PostG
• Keine automatische Selbstkorrektur des Marktes
• Einseitig wettbewerbsorientierte Auslegung
• Fehlende quantitative Betrachtung
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Wesentliche Arbeitsbedingungen
• BNetzA:– Berücksichtigung von
konkreten Arbeitsbedingungen (Entgelt, Arbeitszeit, Urlaub, Kündigung) unzulässig wg. Verstoß gegen Tarifautonomie sowie Gewerbe- und Vertragsfreiheit
• Zutreffende Auslegung:– Abzustellen ist auf
Kernmaterien des Arbeitsvertrages (Entgelt, Arbeitszeit, Urlaub)
– Argumente:– Wortlaut, Zweck und
Entstehungsgeschichte, systemat. Auslegung (§ 2 I S.2 NachwG, §§ 3 I Nr.3, 9 S.1 Nr.2, 10 IV AÜG)
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Erheblichkeitsschwelle
• BNetzA: mind. 20%• Argumente:
– BAG Rechtspr. zur Tarifkonkurrenz im Baugewerbe (aber: nicht einschlägig)
– BAG Rechtsprechung zur Zulässigkeit einseitiger Vertragskorrektur durch AG (zu grobes Raster, vgl. § 138, 242 BGB, nicht einschlägig)
• Zutr. Ansicht: Mind. 10%• Argumente:
Erheblichkeitsschwelle kontextabhängig zu bestimmen
• In Risikobereichen eng auszulegen
• Sozialschutzzweck = Gefahrenabwehr
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Ergebnis: Richtige Lesart von § 6 Abs.3 PostG
Die Lizenz ist zu versagen, wenn Tatsachen die Annahme rechtfertigen, dass der Antragsteller die für die Mehrzahl der im lizenzierten Bereich beschäftigten Arbeitnehmer geltenden wesentlichen tariflichen Arbeitsbedingungen (das sind: die Lohnhöhe, die Arbeitszeit und die Dauer des Jahresurlaubs) um mehr als 10% unterschreitet. Bezugspunkt sind dabei, solange die Mehrzahl der Arbeitnehmer im lizenzierten Bereich von der DP AG beschäftigt wird, die tariflichen Regelungen der Beschäftigten der DP AG.
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§ 6 Abs.3 PostG verfassungs- und europarechtskonform I
• Demokratieverstoß? Nein, wesentliche Arbeitsbedingungen nur Maßstab
• Art. 12 GG: § 6 Abs.3 PostG als subjektive Berufszulassungsregelung zum Schutz überragend wichtiger Gemeinschaftsgüter zulässig (kein milderes Mittel, Verhältnismäßigkeit gegeben)
• Art. 9 Abs.3 GG: Koalitionsfreiheit und Tarifautonomie nicht verletzt
• Art. 3 Abs.1 GG: Keine unzulässige Privilegierung der DP AG
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§ 6 Abs.3 PostG verfassungs- und europarechtskonform II
• Erwägungsgrund 5 der Post-RL 2002/39/EG: „Maßnahmen in diesem Bereich (sollen) so gestaltet werden, dass auch die sozialen Aufgaben der Gemeinschaft nach Art. 2 des Vertrages …als Ziele verwirklicht werden“
• Art. 2, Art.3 Abs.1 lit.i-k, Art. 136ff. EG: EU keine reine Wettbewerbsordnung, Gleichrangigkeit sozialer Ziele
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Folge:
• Leerlaufen des § 6 Abs.3 PostG in Auslegung und Praxis der BNetzA rechtswidrig– Anwendung von § 6 Abs.3 PostG auch auf Klein- und
Mittelunternehmen sowie Neugründungen – Bei Dumpinglöhnen: Lizenzerteilung unter Auflagen,
ggf. Lizenzversagung und Lizenzentzug– Effektive Kontrolle nötig
• Kein Vertrauensschutz auf Fortsetzung rechtswidriger Behördenpraxis
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Ergebnis
• BNetzA zu rechtmäßiger Handhabung von § 6 Abs.3 PostG verpflichtet
• Hierzu ggf. durch Weisung des BMWT anzuhalten• Umsetzung operationalisierbar durch Heranziehung von
ETV + MTV-DP AG• Tarifliches Referenzentgelt: 1977,91 €, abzügl. 10% =
monatl. Mindestentgelt 1780,01 €• Liegt über dem gesamtdeutschen Niedriglohn von
1.633,00 €• Weitgehende Übereinstimmung mit Regulierungsrecht
und –praxis der Konzessionserteilung in der Schweiz (Gewährleistung branchenüblicher Arbeitsbedingungen)
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Alternative Optionen
• Allgemeinverbindlicherklärung der TV der DP AG nach § 5 TVG (kaum zielführend: zu große Regelungsbreite)
• Gesetzlicher Mindestlohn (politisch derzeit wohl nicht aussichtsreich)
• Erstreckung von § 1 Abs.3a AEntG auf Postdienstleistungen (Voraussetzung TV über Mindestlöhne)