BAUHAUS 100 - rosalux.de

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1 BAU HAUS MITWIRKENDE: REGINA BITTNER · DIETER FESEKE · THOMAS FLIERL · KATHRIN GERLOF · FLORIAN HERTWECK · PETER MEYER · PHILIPP OSWALT · WOLFGANG RUPPERT · TOM STROHSCHNEIDER · JÜRGEN TIETZ HENSELMANN BAUHAUS 100 AUSBLICK 2019–1 BEITRÄGE ZUR STADTPOLITIK

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BAUHAUS 100AUSBLICK

2019–1 BEITRÄGE ZUR STADTPOLITIK

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kann man sagen, unsere Befürchtungen gegenüber dem Bauhaus-Jubel sind bestätigt wor-den, zum Teil auf absurde Weise, erfreulicherweise aber wurde sie überwiegend positiventtäuscht. Dank der Initiative vieler Akteure, Projektgruppen und Institutionen sind groß-artige Entdeckungen gemacht worden, konnte das Bild vom Bauhaus in seiner ganzen Viel-falt, in seinen historischen Entwicklungsphasen und in den jeweiligen Kontexten differen-ziert, die Bauhaus-Rezeption in Ost und West historisiert und die internationale Verflech-tungen dieser einzigartigen Kunsthochschule herausgearbeitet werden. – Wasallerdings weiterhin fehlt, sind vor allem zukunftsweisende Aktualisierungen. Das hängtwohl mit dem Fehlen eines konsistenten Reformprojektes insgesamt zusammen – alsDeutungs hintergrund des Bauhaus-Erbes. Die nur 14 Jahre existierende Hochschule fürGestaltung wurde zwar aus Anlass ihrer Gründung vor 100 Jahren – aber mehr noch inResonanz mit einer unsicher werdenden Weimarer Republik und also der Wahrnehmungeiner End- und keiner Aufbruchszeit – gefeiert.

Unerwartete Re-Politisierung zum AuftaktDazu trug auch die Absage des Konzerts der Band «Feine Sahne Fischfilet» auf der Des-sauer Bauhaus-Bühne im Oktober letzten Jahres durch die Direktorin Claudia Perren bei –aus Angst vor Protesten der militanten rechten Szene. Perren wollte keine Konfrontationvon militanten Demonstranten und dem fragilen Weltkulturerbe und anstatt die Demons-tranten vom Bauhaus-Gebäude fernzuhalten, unterband sie den Anlass ihres Protestes: dasvom ZDF veranstaltete Konzert. Hier brach die politische Realität der bundesdeutschenGesellschaft in die Jubeldramaturgie auf verstörende Weise ein. Die Neonazis bedanktensich mit einem Transparent «Danke Bauhaus» vor der Weltkulturerbe-Ikone. – DieChance, dass die im Bauhaus-Verbund zusammengeschlossenen Institute aus diesem Lern-prozess einen eigenen Verhaltenskodex erarbeiten und so ihre Unabhängigkeit von der Poli-tik (den Staatskanzleien und der Straße) stärken, sich durch gegenseitige Solidarität imöffentlichen Diskurs behaupten und so vielleicht auch einen Anstoß für die bundesweiteDebatte geben, wurde leider nicht genutzt. Das Konzert fand dann im Dessauer «Brauhaus»statt – und nicht im «Bauhaus».

Last und Chance der MusealisierungDie Hauptinvestitionen von Bund und Ländern gehen in den Neubau von drei Bauhaus-Museen in Weimar, Dessau und (den Erweiterungsbau) in Berlin. Werner Durth hat unlängstdie Vorgeschichte der Entscheidung, das ursprünglich für Darmstadt geplante Bauhaus-Archiv in West-Berlin zu errichten, als Teil der deutsch-deutschen Konkurrenz dargestellt.Zum 50. Jahrestag der Eröffnung 1976 hatte die DDR das Bauhaus-Gebäude in Dessau res-tauriert. 60 Jahre nach Gründung des Bauhaus in Weimar 1979 wurde das nach Plänen vonWalter Gropius für die Darmstädter Rosenhöhe projektierte Bauhaus-Archiv, das dort an

kommunalpolitischen Querelen scheiterte, aber im Rahmen der Berlin-Politik der Bundes-regierung umsetzbar war, am Berliner Landwehrkanal übergeben. Mein Gropius ist besserals Dein Gropius... – Nach der deutschen Vereinigung 1990 setzte sich mit der Föde-ralisierung Ostdeutschlands die Konkurrenz in gewisser Weise fort. Weimar konnte zuRecht gegenüber dem für die Geschichte des Bauhaus vernachlässigbaren Standort Berlinein eigenes Museum beanspruchen, ebenso Dessau, denn das Werkstattgebäude eignetsich nicht als Museum. Der Bauhaus-Verbund und die drei Museumsprojekte müssen auchals Versuch eines Ausgleichs dieser jahrzehntelangen Konkurrenz unter der Moderationeiner an Bedeutung gewinnenden Bundeskulturpolitik gedeutet werden. Welche anderedeutsche Gestaltungshochschule hatte eine so kurze Geschichte und so viele Standorte?Bei einem so starken institutionellen Hintergrund und dem starken finanziellen Engage-ment von Bund und Ländern muss sich doch die historische Bedeutung herleiten lassen.– Um hier nicht missverstanden zu werden, keineswegs soll die herausragendeästhetische und historische Rolle des Bauhaus in Zweifel gezogen werden, aber das starkeGewicht auf die Musealisierung wirft doch Fragen für die Bauhaus-Rezeption auf.–Durch die zeitversetzte Inbetriebnahme der Museen werden wir im Jubeljahr 2019 nur wissen, was Weimar und Dessau mit ihren neuen Häusern vermögen. Berlin lässt auf sichwarten. In dieser HENSELMANN-Ausgabe versuchen wir, die drei Museen erstmals inihren stadträumlichen Bezügen, in ihrer Architektur und in ihren Größenverhältnisseneinander gegenüberzustellen. – Bisher kann nur das Weimarer Museum betrachtetwerden. Die Diskrepanz zwischen der Verortung im Stadtraum, der programmatisch richti-gen Positionierung des Bauhaus-Museums an der Bruchstelle von NS-Gauforum und Wei-mar-Hallen-Park aus der Zwischenkriegszeit einerseits, und der monströsen, einem Sarko-phag ähnlichen Architektur des Museums von Heike Hanada anderseits ist unübersehbar.Das ist allerdings die gebaute Rücknahme des Bauhaus, ist näher an Hermann GieslersTurmhaus als an Walter Gropius’ Dessauer Bauten. Natürlich wäre ein Projekt der klassi-schen, weißen, gläsernen Moderne hier auch falsch, ja verfälschend, galt es doch nicht nur topographisch, sondern auch architektonisch den Bruch zu artikulieren. – Für dieTopographie der Moderne – die Neuformatierung Weimars als einem Muster aus der Klas-sik um und nach 1800, dem «Neuen Weimar» vor und um 1900, dem Bauhaus 1919–1925,der Reformbewegung nach dem Bauhaus, der vor 1933 einsetzenden NS-Zeit mit dem KZBuchenwald und dem Gauforum, der verhältnismäßig langen Nachkriegszeit von SBZ undDDR und dem heutigen Zeitgeist – hätte man sich anderes gewünscht, einen programma -tischen Bau einer reflektierten, «unvollendeten Moderne». – Und als Museum?Kein Ausblick aus der Ausstellung auf die Referenzpunkte Gauforum und den Park (immer-hin ein, für die Ausstellung allerdings bedeutungsloser, Blick in Richtung Buchenwald),wenig Platz für Sonderausstellungen, zweigeschossig versetzte Etagen mit Blick in Luft-räume, die für die Ausstellung nichts bringen, ein Design, das die Präsentation an den

HERMANN

HENSELMANN

STIFTUNG

HENSELMANN #2BEITRÄGE ZUR STADTPOLITIK

AUSGABE 2019 — 1

BAUHAUS 100 · AUSBLICK

EDITORIAL 2TOM STROHSCHNEIDER

MIT DEM BAUHAUS AUFS GANZE GEHEN 3-4THOMAS FLIERL

WARUM IST DAS BAUHAUS AKTUELL? 5-7PHILIPP OSWALT

DIE BAUHAUS-MUSEEN 8-9SYNOPSE

THOMAS FLIERL / DIETER FESEKE

BAUHAUS-MUSEEN 10-11WEIMAR DESSAU BERLIN

JÜRGEN TIETZ

ACH MÄDELS, DIE FRAUEN 12REZENSION

KATHRIN GERLOF

ABSEITS DES RUMMELS 13-14REZENSION

TOM STROHSCHNEIDER

ANZEIGEN 15

SERIAL FOTOCODE | TYPOFOTO 16,17,32COLLAGEN

DIETER FESEKE

WALTER GROPIUS 18-19DIE ERFINDUNG DES KÜNSTLERGESTALTERS

WOLFGANG RUPPERT

HFG ULM / NID AHMEDABAD 20-21SCHULEN DES AUFBRUCHS

REGINA BITTNER

FESTIVAL SCHULE FUNDAMENTAL 22-23EINE BAUHAUS-SCHULE AUF ZEIT

REGINA BITTNER · KATJA KLAUS · PHILIPP SACK

DIE HOCHSCHULEN FÜR GESTALTUNG 24-25SYNOPSE

THOMAS FLIERL / DIETER FESEKE

DAS HAUS UND DER BODEN 26-27FLORIAN HERTWECK

GLÜCKSVERSPRECHEN SERIELLES BAUEN 28-29KATHRIN GERLOF

MELDUNGEN · PROJEKTE · REZENSIONEN 30-31HERMANN-HENSELMANN-STIFTUNG

HENSELMANN · Beiträge zur Stadtpolitkwird von der Hermann-Henselmann-Stiftung herausgegeben — in Kooperation mit der Rosa-Luxemburg-Stiftung.

«Auch wenn das Bauhaus nur auf 14 Jahre Arbeit zurückblicken kann, reicht sein ästhe-

tisches und politisches Echo bis heute. Es aufzunehmen, setzt eine eigene Position voraus.»

Mit diesen Worten haben wir vor einigen Monaten die Neuherausgabe der Zeitschrift

HENSELMANN eröffnet – nun liegt eine neue Ausgabe der «Beiträge zur Stadtpolitik» vor,

und auch in dieser folgen wir weiter diesem Motto. Inzwischen liegt ein Teil des Jubilä-

umsreigens hinter uns, die Herausforderungen, eine kritische, eine an den Widersprü-

chen ansetzende, eine die gesellschaftspolitische Kraft des Bauhaus aufnehmende

Debatte zu führen, bleibt bestehen.– Wie nahe das Bauhaus an den offenen Nerven-

enden einer kontroversen Gegenwart liegt, hat unter anderem der Streit um den Auftritt

der linken Punkband «Feine Sahne Fischfilet» gezeigt. Thomas Flierl schaut in dieser

Ausgabe unter anderem auf diese, durchaus unerwartete Politisierung des Jubiläums.

– Aber ist das Bauhaus deshalb auch im konzeptionellen, den ganzen Anspruch

umfassenden Sinne noch «aktuell»? Philipp Oswalt geht dieser Frage nach und sieht

auch heute das Potenzial: Bejahung von Modernität bei kritischer Distanz zur Gegenwart,

Suche nach Komplexitätsreduktion und Synthese, Bemühen um gesellschaftliche Eman-

zipation mit Mitteln der Gestaltung.– Idee und Umsetzung der drei neuen, mit Blick

auf 100 Jahre Bauhaus geplanten Museen in Weimar, Dessau und Berlin spielen auf den

folgenden Seiten eine Rolle. – Der zweite Heftabschnitt stellt die «Schule» in den

Mittelpunkt: Institutionen, Lehrende und Studierende: Wolfgang Ruppert nimmt sich die

widersprüchlichen Sichtweisen auf Walter Gropius vor und die von ihm intendierte Her-

vorbringung eines neuen Typus des «KünstlerGestalters». Regina Bittner schaut auf die

Ulmer Hochschule für Gestaltung und das National Institut of Design im indischen Ahme-

dabad als «Schulen des Aufbruchs», die unter grundverschiedenen Bedingungen nach

Konzepten einer zeitgemäßen Designausbildung suchten. Die Rückschau auf das multi-

kulturelle «Festival Schule Fundamental am Bauhaus Dessau» vermittelt, wie das alte

Bauhausgebäude zu einem quicklebendigen Lernort transformiert wurde. Die nach -

folgende Infografik versammelt als Synopse eine Chronologie relevanter «Hochschulen

der Gestaltung» im Kontext des historischen Bauhaus. – In Zeiten, in denen die Ent-

eignung spekulativen Wohnungseigentums breite Akzeptanz gewinnt, kommt auch die

Frage nach der Verfügung über Grund und Boden wieder in den Blick – darum dreht sich

Florian Hertwecks Text. Und Kathrin Gerlof klopft das Glücksversprechen «serielles

Bauen» auf seine Trag fähigkeit ab. Außerdem haben wir uns für diese Ausgabe von

HENSELMANN Ausstellungen und Neuerscheinungen zur Geschichte und Gegenwart

des Bauhaus angesehen. – Gedruckt wurde in einem kleineren aber ökonomisch

optimalen Format. Der Erwerb erfolgt über die Website der Hermann-Henselmann-

Stiftung – wir freuen uns auf ihre Bestellung. Ein besonderer Dank für die Unter -

stützung geht an unseren Kooperationspartner Rosa-Luxemburg-Stiftung.

TOM STROHSCHNEIDER ist gelernter Historiker, arbeitet seit langem als Journalist und ist Redakteur der common Verlagsgenossenschaft.

EDITORIAL TOM STROHSCHNEIDER MIT DEM BAUHAUS AUFSGANZE GEHENIn der letzten HENSELMANN-Ausgabe, in der die «Aufstellung zumFest» vor dem Bauhaus-Jubiläum Thema war, hatten wir Skepsisartikuliert. Diese war unter anderem vom großkoalitionären Bun-destagsbeschluss verursacht, in dem es hieß: «Das Bauhaus gehörtder Welt, aber es kommt aus Deutschland und ist einer der erfolg-reichsten Exportartikel unserer Kulturgeschichte.»– Schon jetzt

THOMAS FLIERL

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wurde vor mehr als achtzig Jahren geschlossen. Nüchternbetrachtet ist es erstmal absurd, das Fortleben einer Institu-tion zu erwarten, die bekanntermaßen schon seit so langerZeit nicht mehr existiert. – Woher kommt diese selt-same Unab geschlossenheit des Bauhauserbes? Woher dieErwartung, dass durch das «Bauhaus» – zumindest als Idee– auch heute wesentliche Beiträge zur Gestaltung derGegenwart erbracht werden? Eine Erwartung, die im Übrigennicht nur an den historischen Bauhausstätten besteht, son-dern auch andernorts formuliert wird. Etwa bei dem Bau-hausmuseum in der chinesischen Stadt Hángzhou, das 2012von der Chinese Academy of Arts eröffnet wurde, um dieheutige Designlehre und -praxis zu beleben.– Wennwir dies verstehen wollen, geht es nicht um die Formen undProdukte des Bauhaus – sei es in ihren trivialisierten Formen,wie etwa bei Fertighäusern im Bauhausstil, oder in ihren feti-schisierten und musealisierten Formen, wie im Bauhaustou-rismus mit lizensierten Nachbauten originalen Bauhaus -designs oder der Rekonstruktion von Bauhausbauten. All dasist sehr real, aber nicht mehr als die Verwertung einer ver-gangenen Epoche, einer nicht mehr lebendigen Praxis. DieUrsache für die fortbestehende Virulenz der Bauhausideenliegen tiefer und erfordern einen genaueren Blick auf dasWesen der Moderne.

Die Moderne: Fragmentiert und zentrifugalDas Bauhaus ist Teil der Moderne, deren Epoche um 1800mit der Industrialisierung, dem Kapitalismus, den modernenWissenschaften und den Nationalstaaten Gestalt annahmund bis heute fortdauert. Das Verständnis von der Architek-tur der Moderne folgt meist einer heroischen Geschichts-schreibung: Heroische Architekten schaffen ikonische Bau-ten, die Geschichte schreiben. Die Realität der Architektur-praxis ist weitgehend eine andere. Die Moderne als Prozessvollzieht sich in der Akkumulation einer Vielzahl von kleins-ten Veränderungen in den unterschiedlichsten Bereichen. Es ist eine Evolution in einem Prozess mit zahllosen Akteu-ren in unzähligen Mikroschritten. – Exemplarischdafür ist die Bautechnik, die für die klassische Avantgardemit ihrer Begeisterung für neue Materialien und Konstruk-tionen eine wichtige Rolle spielte. Patente repräsentierenund dokumentieren im Bereich dieser materiellen Kultur dieEvolution der Moderne. Auf Basis unzähliger Erfindungenfür die verschiedensten Elemente und Methoden wird dieBautechnik ständig weiterentwickelt. In Deutschland etwa wurden seit Einführung des modernen Patentwesens im

Jahre 1877 mehr als eine Million Patente für das Bauwesenangemeldet. Diese technische Entwicklung schlägt sich inder Architektur der Moderne nieder und prägt diese in rele-vanter Weise. Moderne Bauten sind in dieser Hinsicht nichtholistische Entitäten, sondern Aggregate aus einer Vielzahlvon Komponenten. Jedes Mikroelement selbst bildet sich ineiner technischen Evolution aus, die sich global durch einKollektiv von Erfindern, Ingenieuren und Herstellern entfal-tet, welche gemeinsam am Metatext der technischen Ent-wicklung schreiben. Das bautechnische Wissen hat sich vonhandwerklichen Traditionen in technische Produkte verla-gert. Handwerkliche Kulturen beruhen auf dem implizitenWissen der Handwerkstraditionen, auf lebendigen lokalenPraktiken. Mit der Moderne wurde das bautechnische Wis-sen in Patenten explizit gemacht und in die Produkte und ihreGebrauchsanweisungen verlagert. Daher können moderneBautechniken unabhängig von lokalen Baukulturen weltweiteingesetzt werden. Die Modernisierung entwickelt zentrifu-gale Kräfte, welche bestehende Zusammenhänge auflöstund die Gegenwart fragmentiert. Die Entfesselung diesertechnisch-wissenschaftlichen Kräfte hat eine bemerkens-werte Dynamik. Aber diese Entwicklung, dieser Fortschritt,ist nahezu wertefrei, quasi ungerichtet und zunächst einmalziellos. Wissenschaft, Technik und Wirtschaft können erfreu-liche wie schreckliche Dinge hervorbringen, und meist lie-gen diese Dinge sehr nahe beieinander. Eine Technologie –wie etwa das Flugzeug Junkers 52 – kann gleichermaßenzum Transport vieler Menschen in den Urlaub, wie zum Bom-bardieren von Städten genutzt werden. Eine neue Substanz– wie Zyklon B – kann dem menschlichen Wohlbefindendurch die Bekämpfung von Ungeziefer dienen, wie zur indus-triellen Ermordung von Menschen genutzt werden. Die Ambi-valenz der Moderne gehört zu ihrem Wesenskern.

Bauhaus: Suche nach einer neue SyntheseAls das Bauhaus 1919 gegründet wurde, hatte unmittelbardavor die krisenhafte Entwicklung der modernen Industrie-staaten in die Katastrophe des Ersten Weltkriegs gemündet,dem ersten modernen, industrialisierten Krieg. Ein Tradi -tions- und Zivilisationsbruch unvorstellbarer Härte hattestattgefunden. In Reaktion auf die zentrifugale, ungerichteteund nicht zuletzt zerstörerische Entfaltung der Moderne ver-suchte das Bauhaus, die Fragmentierung durch eine neueGesamtheit und Synthese zu überwinden und zugleich, demProjekt der Moderne einen Sinn, eine Ausrichtung, ein Zielzu geben. – Dies trifft nicht nur auf das Bauhaus zu,

sondern auch auf weitere Avantgardegruppierungen derklassischen Moderne. Aber anders als die heroische Selbst-beschreibung der Avantgarden des 20. Jahrhunderts sindsie nicht die primären Initiatoren und Autoren des Moderni-sierungsprozesses, die Motoren der Erneuerung. Längsthatte der Zivilisationsbruch stattgefunden, hatte die Mo -derne bestehende Traditionen zerbrochen.

Reparaturbetrieb der ModerneSo gesehen waren die Avantgarden in der Entwicklung derModerne nicht eine Vorhut, sondern der kulturelle Repara-turbetrieb der Moderne. Wenn etwa Walter Gropius 1923von «Kunst und Technik – eine neue Einheit» sprach, so wardies weniger Ausdruck einer ungebrochenen Zukunfts -euphorie, als Verweis auf ein gestörtes, krisenhaftes Ver-hältnis zwischen Kunst und Technik, das durch kulturelleErneuerung in eine neue Balance und einen neuen Zusam-menhang gebracht werden sollte.– Symptomatischdafür ist die Architektur des Bauhausgebäudes selbst. Sogestalterisch innovativ es ist, so offenkundig ist zugleich,dass es technisch gesehen ein Rückblick in das 19. Jahrhun-dert ist: Stahlbeton, Skelettbauweise, Glasfassade, Zentral-heizung, Aufzug und vieles mehr sind Errungenschaften des19. Jahrhunderts. Technisch gesehen wäre es möglich ge -wesen, das Bauhausgebäude in nahezu gleicher Gestaltauch 50 Jahre früher zu errichten. Die technischen, aberauch gestalte rischen Zitate des Bauhausgebäudes gleicheneher einer Spolienarchitektur des vergangenen Industrie-zeitalters als einem Aufbruch ins Neue und Unbekannte.Genau dies kritisierte dann auch der amerikanische Erfinderund Architekt-Ingenieur Buckminster Fuller: «Der ‹Inter -nationale Stil›, der auf diese Weise durch die Neuerer vomBauhaus nach Amerika gebracht wurde, stellte eine Mode -erscheinung dar, die ohne die Kenntnis der wissenschaft -lichen Grundlagen für strukturelle Mechanik und Chemieauskam. (…) Die internationale Bauhaus-Schule benutzteStandardinstallationen und brachte es gerade noch fertig,die Hersteller zur Modifikation der Oberfläche von Wasser-hähnen sowie der Farbe, Größe und Anordnung der Kachelnzu überreden. (…) Kurz, sie befassten sich nur mit dem Pro-blem, die Oberfläche von Endprodukten zu modernisieren,wobei diese Endprodukte notwendigerweise Subfunktioneneiner technisch veralteten Welt waren.» – Es wärefehlgeleitet, mit dieser durchaus zutreffenden Kritik denWert der Leistung von Walter Gropius und des Bauhausinsgesamt zu schmälern. Hingegen sollte es Anlass sein,

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Wänden untersagt und so Objekte in Vitrinen präferiert, wenig historische Kontextualisie-rung, keine explizite Darstellung der vielfältigen Akteur*innen des Bauhaus in Weimar.– Die thematische Konzentration auf die Bauhaus-Werkstätten, die Bauhaus-Bühneund die Bauhaus-Woche 1923 mag für sich funktionieren, warum aber eine private Schen-kung von Mies van der Rohe-Möbeln hier gezeigt wird, wenn doch die Geschichte des Bau-haus über Weimar hinaus nicht erzählt wird, bleibt schleierhaft. Die schmale inhaltlicheBrücke: Man wolle auf die kommenden Bauhaus-Direktoren hinweisen. So bleibt für Hannes Meyer nur eine Projektionsfläche neben der Spielecke. Hätte man mit den Möbelnvon Gropius und Mies mithalten wollen, hätte man ja sein co-op Design oder die Muster-wohnung des Bauhaus Dessau zeigen können. – Das provisorische Bauhaus-Museum am Theaterplatz 1995–2018 war zu klein, aber charmant arrangiert und machteneugierig auf die ganze Sammlung, auf das Bauhaus Weimar in all seinen Facetten. Nungibt es ein großes Museum und die Bilanz fällt eher bescheiden aus. Mag sein, dass diesauch den impliziten, nicht näher erläuterten Absprachen zwischen den drei Museengeschuldet ist. Wenn nun auch architektonisch nicht mehr möglich, wünscht man sich dochbald eine inhaltliche Lüftung des Mausoleums in Weimar. – Solche erste Eindrückesind sicher überzogen, sie werden sich relativieren, wenn auch die beiden anderen Museenöffnen. In Dessau bereits Anfang September. Das Konzept des spanischen Büros addendaarchitects (vormals González Hinz Zabala) «sieht einen transparenten Korpus vor, der dieschwebende Black Box als Ort für die Sammlung und das Erdgeschoss als Offene Bühne fürzeitgenössische Positionen und Wechselausstellungen umfasst.» Das klingt vielverspre-chend, zumindest was den lebendigen Charakter des Museums durch Sonderausstellungenangeht. Ob die räumliche Trennung des Museumneubaus vom Bauhaus-Campus mit demBauhaus-Gebäude und den Meisterhäusern von Walter Gropius und die intendierte Ideeeiner Steigerung der Attraktivität der Dessauer Innenstadt aufgehen und dem Bauhaus-Gedanken kompatibel sind, bleibt abzuwarten. – Berlin hat den Vorteil, daraus Kon-sequenzen zu ziehen. Das Bauhaus-Archiv hat nicht nur die weltweit größte Bauhaus-Sammlung, sondern setzt auch, wie anlässlich eines Vortrages seiner Direktorin AnnemarieJaeggi in Zürich während der Tagung «Die Schweizer Moderne und das Bauhaus» imNovember letzten Jahres zu erleben war, strikt auf zeitgemäße Interpretation der Bauhaus-Idee. Der Wettstreit der Bauhaus-Museen bleibt weiter interessant.

ScheitelpunkteFür den Kreis der Bauhaus- und Moderne-Forscher*innen ist die im Jubeljahr, allen Diffe-renzierungen zum Trotz, stets reproduzierte Vorstellung natürlich ein Graus, dass alle klas-sische Moderne nun «Bauhaus-Moderne» sein und der «Bauhaus»-Stil in allem steckensoll, was die ästhetische Kultur zeitgenössischer moderner Gesellschaften ausmacht. Das«iPhone» sei Bauhaus, heißt es. Ist diese Reduktion der Preis, um wieder an die Idee desFortschritts anknüpfen zu können? War nicht vor kurzem noch das Bauhaus – im post -modernen Verständnis – Schuld am monotonen Massenwohnungsbau und an falsch ver-standener Gleichmacherei? Wie historisch und ästhetisch reflektiert sind hier die Zugänge?– Auch die richtige Idee, an das Bauhaus bundesweit zu erinnern, hat zu vielenregionalen Initiativen ermutigt, bei denen oft der Bezug zum Bauhaus als eher konstruiertgelten muss. Besonders tut sich hier das Land Nordrhein-Westfalen mit dem Rahmen -programm «Bauhaus im Westen» hervor. Der 6. Rheinische Tag für Denkmalpflege «Neuesbauen! Moderne Architektur der Weimarer Republik im Rheinland» formuliert dagegenerfreulich exakt: «Obwohl direkte Verbindungen zum Schulbetrieb des Bauhaus, etwa durchehemalige Studierende des Bauhaus selten sind und die Bauten Mies van der Rohes in Krefeld die Ausnahme von der Regel blieben, finden sich im Rheinland doch auch eineReihe von Gebäuden jener Zeit, die eine funktionale Konzeption mit einer sachlichen Archi-tektursprache verbinden.» – Beobachten wir so zum einen eine Überdehnung desBauhaus-Begriffes, muss das Bauhaus zum anderen als Projektionsfläche zeitgenössischerReduktionen herhalten. Verstörung und Empörung rief der ARD-Film «Lotte am Bauhaus»hervor, der unter Anspielung auf Thomas Manns «Lotte in Weimar» (und in Dessau) diesoziale Frage am Bauhaus pseudofeministisch reduzierte, «sich in die Vergangenheithineinempört, aber zur Gegenwart schweigt. Oder wann haben Sie in der Primetime vonARD und ZDF zuletzt den Namen einer zeitgenössischen Künstlerin gehört oder besser

noch eines ihrer Kunstwerke gezeigt und erläutert bekommen?» Als «Historienschrott»,entstanden auf «Verkitschungsbefehl von ganz oben», charakterisierte Hannah Pilarczykim SPIEGEL die Produktion. «Dass ausgerechnet die Ufa Fiction nun die Geschichte desBauhaus erzählen und in ihren revisionistischen Produktionskatalog vor ‹Unsere Mütter,unsere Väter› einsortieren darf, ist wahrscheinlich das Einzige, das an diesem unsäglichenFilm Relevantes über deutsche Geschichte zum Ausdruck bringt.» Wie klar und erfrischendwar doch dagegen die Perspektive auf der oben schon erwähnten Tagung im selbstbewuss-ten Zürich «Die Schweizer Moderne und das Bauhaus». Hier kam niemand auf die Idee,von «Bauhaus-Moderne» zu reden.

Forschung jenseits der Bauhaus-InstitutionenDurch die Konzentration auf ihre neuen Häuser fallen die Bauhaus-Museen tendenziell alsForschungsakteure aus. Sie sind beansprucht von der Präsentation und Vermittlung, nichtder Produktion von Wissen. Wie die Präsentation und Vermittlung von Wissen mit dessenErzeugung tendenziell zusammenfallen kann, hat dagegen das Projekt «bauhaus imagi-nista» demonstriert, das seit 2016 die internationale Verflechtungsgeschichte des Bauhausuntersucht, das nach 1933 weiterwirkte. Die Ausstellung im Haus der Kulturen der Welt(zuvor mit Veranstaltungen und Teilausstellungen in vielen Regionen der Welt) und dieWebsite «bauhaus imaginista» verfolgen, «auf welch vielfältige Weise internationaleBegegnungen und Bedingungen die Konzepte des Bauhauses verwandelten: durch Migra-tion, aber auch Imagination, Interpretation und Aneignung seiner pädagogischen undgestalterischen Praktiken in China, Nordkorea, Indien, Marokko, der Sowjetunion, Nigeria,den USA, Japan, Großbritannien, Taiwan und Brasilien.» – Magdalena Droste legtezum Jubiläum die aktualisierte Neuauflage ihres Standardwerkes «Bauhaus 1919–1933»vor. Das Buch zum DFG-Projekt «Bewegte Netze. Bauhausangehörige und ihre Beziehungs-Netzwerke in den 1930er und 1940er Jahren» steht noch aus, ebenso die Publikation «Derneue Mann und das Bauhaus. Männlichkeitskonzepte in der klassischen Moderne» vonAnja Baumhoff. Einen bemerkenswerte Output lieferte Philipp Oswalt mit gleich drei vonihm 2019 herausgegebenen Büchern: «Hannes Meyer und das Bauhaus. Im Streit der Deu-tungen» (mit Thomas Flierl), «Hannes Meyers neue Bauhauslehre», «Bauhaus/Documenta.Vision und Marke» (u.a. mit Daniel Tyradellis) sowie als Autor «Marke Bauhaus 1919-

2019». – Auch das auf fünf Jahre angelegte und mit der Zeitschrift «ARCH+» ver-bundene «Projekt Bauhaus» kann auf eine bemerkenswerte Bilanz verweisen (www.pro-jekt-bauhaus.de). Zuletzt war im Grünen Salon der Volksbühne die Beerdigung des Bauhaus«Ciao Bauhaus» zelebriert worden: «Es ist an der Zeit, vom Bauhaus Abschied zu nehmen,um sich unvoreingenommen den Herausforderungen der Gegenwart zu stellen zu können.Fünf Jahre lang hat ‹projekt bauhaus› eine kritische Inventur der Bauhausideen unternom-men, ihren utopischen Überschuss, die immanenten Widersprüche und das Potential fürdie Gegenwart überprüft.» Zum Abschluss auf der Hauptbühne der Volksbühne: «Das Bau-haus – ein rettendes Requiem». – Was bleibt zur Halbzeit im Jubiläumsjahr? AllesBauhaus? Nein. Mit dem Bauhaus aufs Ganze gehen? Ja! Deshalb versuchen wir in derzweiten Ausgabe von HENSELMANN zum Bauhaus zwei Punkte zu setzen: Erstens, woliegt das Erbe jenseits der Museen in den Hochschulen für Gestaltung? Und zweitens: Dieals soziale Grundfrage wiederentdeckte WOHNUNGSFRAGE und die ihr zugrundeliegendeBODENFRAGE eröffnen neue Zugänge zum Bauhaus. – Wir plädieren für eine Fort-setzung des Bauhaus-Jubiläums! Für den anstehenden gesellschaftlichen Wandel benötigtDeutschland einen Bauhaus-Projektfonds 2019–2033, ein in die Zukunft gestülptes viertes,virtuelles Museum. Damit sich Deutschland nicht wie 1933 vor dem Abgrund sieht, brauchtes Aufbruch. Eine zukunftsweisende Rezeption des Bauhaus, auch im grün-rot-roten Spek-trum, hat gerade erst begonnen.

THOMAS FLIERL, Jahrgang 1957, ist Philosoph, Historiker und Autor. 2002 bis 2006 war er Kultur- und Wis-senschaftssenator von Berlin. Zahlreiche Veröffentlichungen zum Themenfeld Architektur, Stadtentwick-lung, Geschichte und Politik.

WARUM IST DAS BAUHAUS AKTUELL?

PHILIPP OSWALT

Wer das Bauhaus in Weimar oder Dessau besucht, erwartet nichtnur das «Museum», also die Präsentation des Erbes, sondern ebensoselbst verständlich die lebendige «Schule», ein Bauhaus, an demauch heute noch unterrichtet wird. Warum eigentlich? Das Bauhaus

FOTOCOLLAGE* QUELLEN © FOTOS: FEINE SAHNE FISCHFILET, KONZERT BRAUHAUS · VOLKSBÜHNE BERLIN/PROJEKT BAUHAUS/CIAO BAUHAUS! · BAUHAUS IMAGINISTA/AFRIKA · ARD/LOTTE AM BAUHAUS · SPECTOR BOOKS/HANNES MEYER-COVER

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dessen vereinsamen, hatte die virtuelle Größe des Bauhausden gegenteiligen Effekt: Sie schuf Aufmerksamkeit undAttraktion und zog viele interessierte und experimentelleMenschen an, wovon das Schaffen des Bauhaus wiederumreal profitierte. Die überzogenen Behauptungen wurden zuselbsterfüllenden Prophezeiungen.

Utopischer Überschuss und VagheitWesentlich zur Aktualität des Bauhaus trägt der utopischeÜberschuss der Bauhausprogrammatik bei. Eben weil es eineDifferenz zwischen Anspruch und Wirklichkeit des histo -rischen Bauhaus gab, zwischen Idee und Praxis, er zeugtdas uneingelöste Versprechen den Drang zur Fortführung.

– Verstärkt wird die fortwirkende Virulenz des Bau-haus durch seine konzeptuelle Vagheit und Diffusität, diezu einer breiten Anschlussfähigkeit führt, der Möglichkeit,

eine Vielzahl von Ideen und Blickwinkeln einzubinden.

– Mit der Einbeziehung einer großen Zahl relevan-ter Gegenwartspositionen entwickelte das historische Bauhaus einen Plattformcharakter aus, der letztendlich die progressive Gegenwart als Ganzes repräsentieren sollte, sei es durch die Einladung zu Vorträgen und Lehraufträgen,sei es durch die Aufnahme von Fremdautoren in die Publi-kationen des Bauhaus.

Instabilität und WiderspruchAuf Basis eines vagen programmatischen Kerns formiertesich ein diskursiver Suchprozess, der eher eine produktiveInstabilität als Gewissheit zum Ausdruck brachte. In denvierzehn Jahren ihrer Existenz folgte die Schule nicht etwaeinem festen Programm; vielmehr richtete sie ihr Konzeptgleich mehrfach neu aus. Aufgrund einer bemerkenswertenDynamik gab es nicht das Bauhaus, sondern die Bauhäuser– unterschiedliche, widersprüchliche, gegensätzliche Strö-mungen und Meinungen. Symptomatisch hierfür war dieKoexistenz der Suche nach Norm, Standard und Universali-tät mit der exzentrischen Individualität der Bauhäusler undihrer Werke.– Denn das war gerade die Stärke:Widersprechende Konzepte und gegensätzliche Ideen inVerbindung zu bringen, in produktiven Austausch. JosefAlbers beschrieb dies im Nachhinein so: «Das Beste amBauhaus war, dass wir voneinander absolut unabhängigund uns über nichts einig waren. Wenn Wassily Kandinsky‹Ja› sagte, sagte ich ‹Nein›, und wenn er ‹Nein› sagte, sagteich ‹Ja›. Dabei waren wir bestens befreundet, weil wirgemeinsam die Studierenden mit unterschiedlichen Sicht-weisen konfrontieren wollten.»

Wo stehen wir heute?Heute sind wir an einem anderen Punkt als vor 80 Jahren.Die Moderne hat alle Lebensbereiche durchdrungen. DieKonsumgesellschaft ist voll entfaltet, ebenso wie das fossileEnergiesystem. Die digitalen Technologien befinden sich ineiner rapiden Expansion.– In den 1920er Jahrensprach man von der Neuen Welt, dem Neuen Menschen, derNeuen Stadt. Heute geht es nicht mehr darum, eine neueWelt zu erfinden. Wir benötigen ein anderes Verständnis alsdie klassische Avantgarde von Erneuerung und dem Neuen.Die moderne Industriegesellschaft durchdringt die ganzeWelt. Eine Ausweitung und Radikalisierung der Moderne istobsolet. Es geht um Gestaltung als Re-Form der Gegenwart,nicht um Neukonstruktionen.– Der Blick auf dasGanze ist nach wie vor unverzichtbar, aber wir haben heuteden positivistischen Glauben an die Möglichkeit einesumfassenden und vollständigen Verstehens der Welt, an dieEinheitswissenschaft, verloren. Nicht auflösbare Wider-sprüche wie auch eine fundamentale Unvollständigkeit desWissens und der Erkenntnis erfordert ein Agieren mit Unsi-cherheiten und Unwissen. – Trotz dieser Verände-rungen eignet sich das Modell Bauhaus noch heute für einePositionierung im Modernisierungsdiskurs: Bejahung vonModernität bei kritischer Distanz zur Gegenwart, Suche nachKomplexitätsreduktion und Synthese, Bemühen um gesell-schaftliche Emanzipation mit Mitteln der Gestaltung etc. Das Bauhaus hat seinen (vermeintlichen?) Avantgarde -charakter verloren und ist zum Namensgeber eines anderenkulturellen Modells geworden, das selbst schon Tradition ist.

– Aber wie andere Traditionen auch bedarf es dersteten Neuinterpretation und Aktualisierung, um seine Rele-vanz für die Gegenwart zu behaupten. Der Bedarf an kultu-rellen Reparaturen der Modernisierungskrisen besteht fort.

Das untote BauhausDoch stellt sich die Frage, ob es zu solchen Aktualisierungenüberhaupt kommt, wenn man das Elend der Bauhausrezep-tion seit 1930 betrachtet. Walter Gropius, der bis zu seinemTod die ungebrochene Aktualität der Bauhausidee propagiert

hatte, war seit seinem Ausscheiden aus dem Bauhaus 1928intensiv damit befasst, eine griffige, widerspruchsfreieMarke «bauhaus» zu formulieren, die ein vermeintlich zeit -loses Idealbild der neuen Einheit von Kunst und Technik for-muliert, die in dem Bauhausstil der frühen Dessauer Phasemit ihren Stahlrohrmöbeln und einer kubischen Architekturmit Flachdächern, großen Verglasungen und weißen Fas -saden mündete. Möglich war dies nur durch Ausblendung seiner Vorgänger (van der Velde), Mitstreiter (Arbeitsrat fürKunst), Zeitgenossen (sowjetische Avantgarde) und Nach -folger (Hannes Meyer). Die konzeptuellen Konflikte und Krisen des Bauhaus, welche für jegliches Aktualisierungsbe-mühen essenziel wären, wurden systematisch verschwiegenund vertuscht, eine aseptische Ikone wurde geschaffen.Bemerkenswerterweise hat Gropius bis zu seinem Tode zurBeschreibung der Bauhauskonzeption nur seinen Text von1923 veröffentlicht, als hätte danach keine relevante Wei-terentwicklung oder Veränderungen stattgefunden. Undobwohl sein Bild des historischen Bauhaus nicht nur verzerrt,sondern auch bewusst verfälscht ist, hat es sich durch -gesetzt: mit Hilfe von Institutionen wie dem Museum ofModern Art, der Harvard University und dem Bauhaus-Archiv,und Projekten wie der Wanderausstellung «50 Jahre Bau-haus» von 1968 und der von Hans Maria Wingler geschrie-benen Bibel der Bauhausgeschichtsbeschreibung aus demJahr 1962. Das Bild, welches wir heute vom Bauhaus haben,ist das von Walter Gropius.– Wenn es irgend etwasin Deutschland nach 1945 gegeben hat, was mit einer ge -wissen Berechtigung und Relevanz als eine Aktualisierungder Bauhausidee verstanden werden kann, dann war diesdie Hochschule für Gestaltung in Ulm. Und dies geschahgenau in der bewussten Abkehr von dem Bauhauserbe, wiees von Gropius vertreten wurde, und einer expliziten Kritikdaran. Im Kontext des 100-jährigen Bauhausjubiläums istvon Kritik aber wenig zu hören. Unter dem nebulösen, ver-meintlich radikalen, aber letztendlich völlig unverbindlichenMotto «Die Welt neu denken» soll das Bauhauserbe touris-tisch, kulturell und politisch in Wert gesetzt werden. DreiBauhausmuseen wurden und werden gebaut, die kulturelleMaschinerie des Außenministeriums läuft auf Hochtouren,die öffentlich-rechtlichen Medien und die Filmförderungproduzieren Bauhausfilme im Dutzend.– Die politi-schen Parteien im Bundestag von der CSU bis zur Linkenbeschwören unisono das Bauhaus als von «Einfachheit,Schönheit, Funktionalität» gekennzeichnetes «Gutes De -sign» für eine «demokratische Gesellschaft», «sozial» und«zugänglich für alle Menschen».– Der zeitweiligeDirektor der Ulmer Hochschule Tomás Maldonado schriebbereits 1963: «Das Verständnis der eigentlichen Bedeutungdes Bauhauses, vor allem die Beziehung zu unseren gegen-wärtigen Problemen, gibt es nicht. Im Grunde handelt es sichnur um eine Scheinblüte, um den Versuch, das Bauhaus zukanonisieren oder besser noch, zu archäologisieren, das Bau-haus in eine Reliquie zu verwandeln, die nur bei feierlichenAnlässen hervorgeholt wird. In ein Kultobjekt, das bisweilendie Funktionen des Totems erfüllt, bisweilen die eines Tabus.Auf diese Weise wird das Bauhaus endgültig außer Spielgesetzt und seine Nicht-Aktualität beschlossen; genau dasGegenteil dessen, was heute Not täte.»PHILIPP OSWALT, Jahrgang 1964, ist Architekt und Professor für Architekturtheorie und Entwerfen an der Universität Kassel. Er begrün-dete mit Partnern die Initiative «projekt bauhaus», die sich seit 2015dem Potenzial des Bauhaus für die Gegenwart widmet.

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unser Verständnis der künstlerischen Avantgarde zu über-denken. Viel zu sehr folgen wir den Selbstdarstellungen undSelbstheroisierungen der Avant garden als Speerspitzen derGesellschaft, welche die Traditionen aufbrechen und insUnbekannte voranschreiten. Doch de facto befanden siesich in einer prekären Situation, in der die einstigen kultu-rellen Zusammenhänge längt zerstört waren. Der Moderne-prozess war in technisch-wissenschaftlicher Hinsicht weitvorangeschritten und hatte zu einer kulturellen wie gesell-schaftlichen Krise geführt. Die Suche nach neuen kulturel-len Formen war weniger proaktiv als reaktiv. Gleichwohlwäre es einseitig und verkürzt, die Avantgarden auf dieRolle einer Reparaturtruppe zu reduzieren, denn sie reagier-ten nicht nur auf den Modernisierungsprozess, sie agiertenauch in Hinsicht auf die Formulierung kultureller Prozesse.Sie waren also Getriebene wie auch Treibende.

Synthese des WissenDie Suche nach einer neuen Synthese umfasste neben dergegenständlichen Welt der vom Menschen gestaltetenObjekte die Welt des Denkens und Wissens. Die Krise derModerne war nicht zuletzt gekennzeichnet durch das unver-mittelte Nebeneinander unterschiedlicher Wissensartenund die Konflikte zwischen diesen. Dazu gehörten – um diefür Gestaltungsfragen wichtigsten Wissensformen zu be -nennen – die sich rapide entfaltenden modernen Natur-,Technik- wie auch Geisteswissenschaften, das schrittweiseabgelöste, doch in vielen Alltagsbereichen noch sehr prä-sente, wenn auch zunehmend fragmentierte tradierte Erfah-rungswissen, das neu entstehende industrielle Produktions-wissen und der mystifizierende Geniekult des 19. Jahrhun-derts. Vor diesem Hintergrund suchte das Bauhaus durch dieIntegration von Wissenschaft, Kunst und Technik nach einerneuen Synthese des Wissens, nach einer neuen Kohärenzim Geistigen. Diese war – bei zugleich vorhandenen esote-rischen Ansätzen – zwar vorwiegend rationalistisch-positi-vistisch orientiert, doch suchte sie die Dominanz der Natur-und Technikwissenschaften durch andere Wissensartenauszubalancieren. Gestaltungsfragen wurden durch die Ent-wicklung von systematischen Methoden zur Behandlungvon Formen, Geometrie und Bewegungen, Farben und Mate-rialien versachlicht, Produktionswissen durch Werkstattpra-xis und Prototypenentwicklung erschlossen und umgekehrtwissenschaftliche Erkenntnisse in die Gestaltungsarbeiteingeführt und für diese fruchtbar gemacht. Gestaltungwurde nicht mehr isoliert von und im Konflikt mit Wissen-schaft und Technik gesehen. Angestrebt waren die Verknüp-fung und wechselseitige Befruchtung der unterschiedlichenDisziplinen. Somit gelang in Ansätzen eine Synthese vonzuvor durch die Entwicklung der Moderne getrennten Wis-sensarten, von Bild- und Textwissen, von analytischem undprojektivem Arbeiten, von intuitivem, implizitem und ratio-nalem Wissen. – Das Bauhaus war ein Experimentder Entgrenzung, Entkategorisierung und Zusammenfüh-rung, der Verbindung des zuvor Getrennten: Interaktion derunterschiedlichen gestalterischen Disziplinen; Durchdrin-gung von Kunst, Wissenschaft und Technik; Verschmelzungvon Forschung, Lehre und Praxis; Zusammenführung von kul-turellen Einflüssen aus verschiedensten Ländern.

Ein Entwurf des In-der-Welt-SeinDas Bauhaus formulierte einen Entwurf des In-der-Welt-Sein des Menschen in der Moderne. Der Designtheoretikerund zeitweilige Rektor der Hochschule für Gestaltung UlmTomás Maldonado sprach davon, dass das Bauhaus 1963

«sich seinerzeit vorgenommen hatte, wenngleich ohneErfolg, eine humanistische Sicht auf die technische Zivilisa-tion freizulegen, d.h. die menschliche Umwelt als ein neues‹konkretes Entwurfsfeld› zu betrachten.» Und: «Das Bauhausbegnügte sich nicht damit, das Hin und Her der Welt wider-zuspiegeln; es versuchte auch, diese Welt zu verändern. (...)Das Bauhaus befand sich immer in Gegenrichtung, weil esauf die Zukunft ausgerichtet war.»– Das historischeBauhaus hat versucht, die Transformation von der hand-werklichen zur industriellen Produktion, vom Laissez-faire-Kapitalismus zum Sozialstaat fortschrittlich zu gestalten.Wesentlich war hierbei, dass es eine kritische Differenz zurGegenwart formulierte. Es verfolge die Idee, mit GestaltungGesellschaft transformieren zu können. Also Gestaltungnicht als Affirmation der Gegenwart, als Dienstleistung amStatus quo, sondern Gestaltung als Kritik der Gegenwart,als Imagination eines anderen Möglichkeitsraum; Gestal-tung als emanzipatorisches Versprechen.

Modell einer Moderne Wesentliches Kennzeichen der Moderne ist, dass verschie-dene kulturelle Ideen von Moderne und Modernisierunggleichzeitig existieren und im Widerstreit liegen. Und hiernimmt das Bauhaus – so meine These – eine strategischeRolle ein. Die Aktualität des Bauhaus liegt in seiner Haltungund Positionierung zum Modernisierungsprozess, die es prototypisch praktiziert hat. In der Auseinandersetzung überdie Frage, welche Moderne wir wollen, formuliert das Bau-haus eine Idee von Moderne, die nach wie vor Grundfragender Gegenwart adressiert. Es sind nicht die konkretenLösungen für dieses Modell einer Moderne, welche dieAktualität des Bauhaus ausmachen. – Das vomBauhaus formulierte Modell einer Moderne formuliert eineKritik des Status quo wie es gleichzeitig die Modernitätbejaht. Es sieht die Antworten auf die Herausforderung derGegenwart eben nicht in einer Restaurierung zerstörter kul-tureller Traditionen und Modelle, sondern die Weiter- undNeuentwicklung von kulturellen Modellen und Praktiken aufBasis der technischen und wissenschaftlichen Möglichkei-ten der Gegenwart. Diese gegenwartsbejahende Haltungzum und im Modernisierungsprozess macht die Essenz derBauhausidee aus, die mit ihrer kritischen Distanz zum Statusquo Antworten auf die aktuellen Krisen der Modernisierungzu geben verspricht. – Dabei zeichnet sich dasModernisierungsmodell des Bauhaus keineswegs durch Ein-zigartigkeit aus, sondern ist eher typisch für eine Vielzahlmoderner Positionen der 1920er Jahre in Europa – vor allemim deutschsprachigen und niederländischen Raum. Dochwohl kaum einer anderen Gruppierung bzw. Institution ein-schließlich des Werkbundes und des CIAM ist es gelungen,eine auch international so erfolgreiche Marke zu kreieren,so dass heute das Bauhaus oft als pars pro toto steht undihm fälschlicherweise viele Gestaltungen anderer zuge-schrieben werden, wie es etwa bei der vermeintlichen Bau-hausstadt Tel Aviv der Fall ist. Bauhaus ist zu einem Stil-, janahezu zu einem Epochenbegriff geworden.

Zur Prägnanz des «Modell Bauhaus», die für seinen Erfolgausschlaggebend war, trugen mehrere Faktoren bei:

– eine visuell-rhetorische Plakativität der Gestal-tungsprodukte, die den Übergang vom Handwerk in dieIndustrieepoche markierte, sei es in der Architektur durchFlachdach, Glasfassade, weiße Wände und kubische Baufor-men, sei es im Produktdesign durch die Verwendung derMaterialien Stahl und Glas, sei es in der Grafik durch serifen-

lose Schriften, geometrische Grundformen und die Verwen-dung von Elementarfarben. Die Produkte waren hierbei weni-ger Motoren der Transformation, als dass sie in ihrer ikono-grafischen Qualität die Schwelle des bereits weit vorange-schrittenen Epochenwechsels in leicht verständ licher Formdinglich-visuell markierten. Gegenüber dieser Zeichenhaf-tigkeit trat die angebliche Priorität der alltagsweltlichen Performativität der Produkte meist in den Hintergrund.

– Die abstrakte und reduktionistische Zeichenhaftig-keit der Objekte formulierte das ästhetisch Versprecheneiner neuen Einfachheit im Kontrast zu einer zu nehmendenkomplexeren, ausdifferenzierten und mit der Entfaltung derIndividualität vielfältigeren Welt.

– Die symbolischen Formen waren zudem pro-grammatisch aufgeladen mit emanzipatorischen Ideen undVersprechen, welche sie zwar dinglich-alltagsweltlich weit-gehend nicht einlösen konnten, die sie aber als visuell-räumliche Metaphern ästhetisch veranschaulichten unddamit glaubhaft repräsentierten.

– Durch die geschichtliche Entwicklung wurden dieGestaltungen des Bauhaus zum Gegenbild der NS-Moderne,welche in ihrer unvergleichlichen Brutalität das emanzi -patorische Versprechen ihres Gegenpols deutlicher zum Vorschein brachte, dessen Glaubwürdigkeit bekräftigte undde facto heroisierte.

Die fortgesetzte Verwendung des Formenrepertoires desBauhaus (welches de facto das Repertoire einer breitenStörung der klassischen Moderne ist) stellt durch seineprogrammatische Aufladung eine Art Glaubensbekenntnisdar, mit welchem das vom Bauhaus repräsentierte Moder-nisierungsmodell und die darin formulierten Werte symbo-lisch-rituell bejaht werden. Hiermit erfolgt eine für jeder-mann verständliche kulturelle Positionierung in dem fort-dauernden gesellschaftlichen Widerstreit konkurrierenderMo der nisierungsmodelle.

Exemplarische PraxisEntscheidend war, dass dieses Modell des In-der-Welt-Seinnicht alleine Idee blieb, die Formulierung eines Manifestes,sondern gemeinschaftlich modellhaft praktiziert wurde. Undhiermit geht das Bauhaus über die Avantgardebewegungender klassischen Moderne vom Dadaismus und Futurismusüber DeStijl bis zum Surrealismus hinaus: Es gelang ihm, dieGrenzen von Künstlerklubs zu überwinden und sich ansatz-weise im gesellschaftlichen Alltag zu verankern. Die Kraftdes Bauhaus lag nicht in seinem Manifest (das schnell ver-altet war), sondern in seiner pädagogischen und gestalteri-schen Praxis. Und diese beruhte auf einer selbstorganisier-ten und selbstbestimmten Produktion. In dieser gelang dieVerknüpfung von Theorie mit Praxis, die sich Gestaltung alsgesellschaftlicher Aufgabe widmete.

Kollektivität und MarkeEine Voraussetzung des Modellcharakters des Bauhaus wardie für die 1920er Jahre typische Gruppenbildung, die dasIndividuelle überwand. Die Produkte des Bauhaus wurdennicht unter den Namen ihrer Gestalter in die Welt gebracht,sondern unter dem gemeinschaftlichen Label. Die MarkeBauhaus wurde bewusst entwickelt und positioniert.

– Durch geschickte Vermarktung und PR war dasBauhaus gerade zu Anfang in vieler Hinsicht überbewertetund quasi ein Scheinriese, der größer zu sein vorgab, als er war. Doch anders als in Kinderzählungen, in denenScheinriesen ihre Umwelt in Angst versetzen und infolge-

Der Designtheoretiker und

zeitweilige Rektor der Hoch-

schule für Gestaltung Ulm

Tomás Maldonado sprach davon

(…) «Das Bauhaus begnügte sich

nicht damit, das Hin und Her

derWelt widerzuspiegeln;

es versuchte auch, dieseWelt

zu verändern. (...) Das Bauhaus

befand sich immer in Gegen -

richtung, weil es auf die Zukunft

ausgerichtet war.»

© FOTOCOLLAGE* QUELLE FOTOS: HFG-ARCHIV ULM · TOMÁS MALDONADO · HOCHSCHULE FÜR GESTALTUNG ULM · MAX BILL

Page 5: BAUHAUS 100 - rosalux.de

Bauherrin: Stiftung Bauhaus Dessau

Finanzierung: 28 Mio. € Land Sachsen-Anhalt und Bund

Nutzfläche: 3.670 qm

Ausstellungsfläche: 2.100 qm

Breite x Höhe: 12 x 105 m FRONTANSICHT

98 INFOGRAFIK* QUELLEN: 1) BAUHAUS KOOPERATION / BAUHAUS100.DE · 2) KLASSIK STIFTUNG WEIMAR / HEIKE HANADA - LABORATORY OF ART AND ARCHITECTURE · 3) STIFTUNG BAUHAUS DESSAU / ADDENDA ARCHITECTS · 4) BAUHAUS-ARCHIV E.V. / STAAB ARCHITEKTEN

DIE BAUHAUS-MUSEEN

Bauherrin: Klassik Stiftung Weimar

Finanzierung: 22,6 Mio. € Freistaat Thüringen und Bund

Nutzfläche: 4.600 qm

Ausstellungsfläche: 2.100 qm

Breite x Höhe: 44 x 22 m FRONTANSICHT

105m

WEIMARBAUHAUS-MUSEUM WEIMAR

BERLINBAUHAUS-ARCHIV MUSEUM FÜR GESTALTUNG

DESSAUBAUHAUS MUSEUM DESSAU

Mit dem neuen BAUHAUS-MUSEUM WEIMAR entstand ein neues Kulturquartier in derStadt Weimar, das den Bogen vom ausgehenden 19. Jahrhundert über die ambivalente Historieder Moderne bis hin zur Gegenwart spannt. In unmittelbarer architektonischer und musealerNachbarschaft treffen hier in einer Art «Topographie der Moderne» Reformideen des ausge-henden 19. und frühen 20. Jahrhunderts, ein bemerkenswertes Kulturprojekt der WeimarerRepublik, das ehemalige «Gauforum» der Nationalsozialisten mit einer Ausstellung zum ThemaZwangsarbeit, die DDR-Moderne und das neue Bauhaus-Museum Weimar aufeinander.– Am Rande des Weimarhallenparks direkt gegenüber der Herrschaftsarchitektur desehemaligen nationalsozialistischen «Gauforums» steht der Neubau des Bauhaus-MuseumsWeimar. Die Architekten setzen dem historisch sensiblen Ort mit einem Kubus, der auf einemBetonsockel thront, ein minimalis tisches, zugleich aber selbstbewusstes Statement entgegenund lösen dieses mit einem komplexen Spiel aus fünf unterschiedlichen Raumebenen in seinemInneren auf. Der Entwurf stammt von HEIKE HANADA. Sie setzte sich mit ihrer Idee 2012in einem internationalen Architektenwettbewerb gegen mehr als 500 Teilnehmer durch.– Das neue Domizil der Bauhaus-Sammlung der Klassik Stiftung, deren wichtigstenGrundstein einst Walter Gropius selbst legte, verfügt über ca. 3.000 Quadratmeter Nutzfläche.1/2

ANLÄSSLICH DES 100-JÄHRIGEN BAUHAUS JUBILÄUMS ENTSTEHEN DREI NEUE MUSEEN IN WEIMAR, DESSAU UND BERLIN. SIE SIND BEGEGNUNGSORTE, KULTURZENTREN, BILDUNGSLABORE UND VERANSTALTUNGSBÜHNEN.

In Berlin wird der BAUHAUS-MUSEUMSNEUBAU ein architektonisches Zeichen setzenund mit dem markanten Bau von Walter Gropius in einen Dialog treten.– SteigendeBesucherzahlen und ein stetig anwachsender Sammlungsbestand ließen den von Bauhaus-Gründer Walter Gropius entworfenen und 1979 fertiggestellten Bau mit den charakteristischenSheddächern an seine Grenzen stoßen. Nun entsteht ein ERWEITERUNGSBAU mit einerGesamtnutzfläche von rund 5.900 Quadratmetern. Der Entwurf des Berliner ARCHITEKTENVOLKER STAAB überzeugte in einem internationalen Wettbewerbsverfahren mit 41 ausge-wählten Teilnehmern.– Im Stadtbild zeigt sich der Erweiterungsbau durch einen fili-granen, fünfgeschossigen Glasturm und einen Riegel für Café und Shop. Sämtliche Ausstel-lungsflächen, die rund 2.000 Quadratmeter umfassen werden, liegen unterhalb eines Plateaus,das als neue Freifläche gestaltet ist und mit einem großen Innenhof an den Bestand anschließt.Hier werden ab 2022 in Dauer- und Wechselausstellungen die Schätze der weltweit größtenBauhaus-Sammlung präsentiert. Das Bestandsgebäude wird nach der denkmalgerechten Sanie-rung das Forschungsarchiv, die Bibliothek, die Sammlungsmagazine sowie Veranstaltungs -flächen beherbergen.Die Aufgabe, das Gebäude um ein Museum von doppelter Fläche zuerweitern, bot die Chance, es besser im Stadtraum zu verankern und seine Präsenz zu stärken.1/4

Das BAUHAUS MUSEUM DESSAU entsteht zum 100. Gründungsjubiläums des Bauhaus und wird im Jubiläumsjahr 2019 eröffnet werden. Das neue Bauhaus Museum im Dessauer Stadtpark präsentiert die wertvolle Sammlung der Stiftung BauhausDessau und schafft eine neue Verbindung zu den übrigen Bauhaus-Bauten in der Stadt. Bisher war die Präsentation der Sammlung im Bauhausgebäude nur eingeschränkt möglich. In dem neuen Museum entstehen erstmals geeignete Räumlichkeiten füreine umfassende öffentliche Präsentation. Die Sammlung der Stiftung Bauhaus Dessau umfasst rund 49.000 katalogisierte Exponate und ist die zweitgrößte Sammlung zum Thema Bauhaus weltweit.– Das Bauhaus Museum Dessau wird vonADDENDA ARCHITECTS (vormals GONZÁLEZ HINZ ZABALA) gebaut. Ende 2015 wurde der Entwurf von dem jungen Architekturbüro aus Barcelona GONZÁLEZ HINZ ZABALA in einem offenen internationalen Wettbewerb unter 831 Einreichungenausgewählt. Überzeugt hat die Jury die Museumskonzeption— HAUS IM HAUS – mit einem schwebenden Riegel aus Stahl in einer gläsernen Hülle. Im Obergeschoss wird eine in sich geschlossene «BLACK BOX» die Präsentation der Sammlung ermög-lichen. Das transparente Erdgeschoss, das Foyer des Museums, gibt als offene Bühne unter anderem kuratorische Freiheiten für zeitgenössische Wechselausstellungen und Veranstaltungen. Standort des neuen Museums ist der STADTPARK im Zentrumvon Dessau, indem es eine Verbindung schafft zwischen dem städtischen Teil der Kavalierstraße und der grünen Parkseite.1/3

Bauherrin: Bauhaus-Archiv Berlin

Finanzierung: 64,3 Mio. € Berlin und Bund

Nutzfläche: 5.900 qm

Ausstellungsfläche: 2.000 qm

Breite x Länge: 58 x140 m OBJEKT/GELÄNDE

NEUBAU ADDENDA ARCHITECTS (VORMALS GONZÁLEZ HINZ ZABALA) · BARCELONA

«OFFENE BAUHAUS-BÜHNE IN DER STADT » 1

«EIN NEUES KULTURQUARTIER FÜR DIE MODERNE » 1

« IM DIALOG MIT WALTER GROPIUS » 1

ERWEITERUNGSBAU STAAB ARCHITEKTEN BERLIN

WESTWEST

SÜD · UFERSEITE / LANDWEHRKANAL OM

NEUBAU HEIKE HANADA | BENEDICT TONON · BERLIN

44 mOST

58m

22m

19m

12m

SÜD

PARKSEITE

WEST · PARKSEITE OMSÜD · NACHTSANSICHT

PERSPEKTIVE STADTZENTRUM

HANSAVIERTEL

BauhausMuseumDessau

Schloss Bellevue

U-Gleisdreieck

Postdamer Platz

0ST

BAUSTELLE APRIL 2019

TIERGARTEN

Englischer Garten

Kurfürstenstraße

Potdsamer Str.

Straße des 17. Juni

Stadtpark

AnhaltinischesTheater Dessau

UCI

UmweltBundesamt

HistorischerFriedhof

Elbe

ZENTRUM

HochschuleAnhalt FH

Bahnhof

Neues Museum

Am Horn

WEIMARALTSTADT

PARKVORSTADT

BauhausMuseumWeimar

GoetheparkWESTVORSTADT

DeutschesNationaltheater

Gauforum

NORDVORSTADT

BauhausUniversität

Weimar

OM

OM

OM

OM

Gropiusallee

Kava

lierstra

ße

Askanische

Straße

GROPIUS-BESTANDSBAUTEN

RIEGEL·CAFE/SHOP

SiedlungTörten

Meisterhäuser · Ebertallee

Landweh r k a n a l

Siegessäule

Aquarium Berlin

BundeskanzleramtHaus der Kulturen der Welt

Sp r e e

Bauhaus-ArchivMuseum für Gestaltung Berlin

Brandenburger Tor

BAUHAUSDESSAU

GLASTURM

AUSSTELLUNGSFLÄCHEN AUSSTELLUNGSFLÄCHENFOYER + DEPOT

THOMAS FLIERL / DIETER FESEKE

Page 6: BAUHAUS 100 - rosalux.de

empor. Am gelungensten ist die Raumwirkung dort, wo dieGeschosse aufgebrochen wurden, um Blickbezüge zwi-schen den Etagen zu öffnen. Doch selbst sie fördern letzt-lich nur die museale Selbstreflektion. Über eine himmels-leitergleiche Kaskadentreppe geht es wieder zum Ausganghinab. Immerhin öffnen sich hier einzelne Ausblicke, einewirkliche Interaktion von Museum und Umwelt entsteht sogleichwohl nicht.

Von Weimar aus wurde das Bauhaus bekanntlich nach Dessau vertrieben. Dort wird derzeit noch eifrig am neuenBauhaus-Museum gewerkelt. Dessen Entwurf stammt vomArchitekturbüro addenda (vormals Gonzales, Hinz, Zabala)aus Barcelona, die sich in einem offenen Architektenwett-bewerb durchsetzen konnten. Für September 2019 ist dieEröffnung des Hauses geplant. Ein Besuch auf der Baustelle

bietet also lediglich einen ersten Eindruck, noch ohne Aus-stellungsstücke. Doch auch hier macht sich beim Rundgangschnell Ernüchterung breit. Zwischen Altstadtfragmenten,DDR-Plattenbauten und gruseligster Investorenarchitekturder Nachwendezeit böte das neue Museum die Chance fürDessau, die Innenstadt durch ein architektonisches High-light aufzuwerten. Doch der langgestreckte gläserne Rie-gel bietet keine «Hallo, hier bin ich»-Architektur. Was im Ent wurf als eine luftig transparente Referenz an die Glas-hausfantasien eines Ludwig Mies van der Rohe daherkam,verströmt in der gebauten Wirklichkeit lediglich den Muffeiner Kreissparkasse der 1990er Jahre. Auf sich selbst

zurück geworfen spiegelt sich die Stadt in der Glasfrontwider. In seinem Inneren gibt sich das Museum betontbetonruppig und werkstattmäßig. Über ein flexibel bespiel-bares weites Erdgeschoss gelangen die Besucher künftig in das Ausstellungsobergeschoss empor. Es ist erneut einemuseale Black-Box, die jeden optischen Austausch mitihrer Umgebung verweigert.

Bleiben Berlins Bauhauspläne. Dort hatte man sich eigent-lich schon 2005 auf den Weg gemacht, um das 1979 eröff-nete Bauhaus-Archiv zu erweitern. Der erste Anlauf, fürden die japanischen Superstars von Sanaa einen Entwurfvorgelegt hatten, scheiterte an der Finanzierung und damiteine Eröffnung im Bauhaus-Jubeljahr. Einen zweiten Wett-bewerb gewann Volker Staab, der zu Recht zu den erfolg-reichsten deutschen Museumsarchitekten zählt. Mit Sanie-

rung und Umbau des Stuttgarter Landtages hat er darüberhinaus bewiesen, dass er in der Lage ist, auch mit derNachkriegsmoderne gut umzugehen. Während man also inWeimar und Dessau 2019 Eröffnung feiert, haben die Bau-arbeiten in Berlin gerade erst begonnen. – Das Ber-liner Bauhaus-Archiv geht noch auf einen Entwurf des Bau-hausgründers Walter Gropius aus den 1960er Jahrenzurück. Ursprünglich für einen Standort in Darmstadt kon-zipiert, strickte der Berliner Architekt Hans Bandel dessenEntwurf für das Grundstück am Landwehrkanal um. Dochschon bei der Eröffnung war das mittlerweile denkmalge-schützte Bauhaus-Archiv eigentlich zu klein für die welt-weit größte und bedeutendste Bauhaussammlung. Es man-gelte ihm an Sonderausstellungsfläche, an ausreichendDepots sowie an einem angemessenen Vortragsraum undeinem Ort für die Vermittlung der Bauhausideen. Hinzukamen die klimatischen Probleme des Hauses. Staabs Ent-wurf sieht vor, den Altbau denkmalgerecht zu sanieren undum einen markanten, fünfgeschossigen Glasturm zu ergän-zen. Von einem zarten Mantel aus tragenden Stahlstützenumhüllt, soll er künftig weithin sichtbar den Eingang mar-kieren. Der Turm bietet zudem Raum für Museumspädago-gik, Lounge und Dachgarten. Vom Turm gelangen die Besu-cher in das Sockelgeschoss der Museumserweiterung, mitden eigentlichen Räumen für die Dauer- und Sonderaus-stellung, die dem Altbau vorgelagert werden. Schützendsoll sie sich um einen offenen Hof legen. Dort könnte einOrt von hoher Aufenthaltsqualität entstehen. Über Treppenund Rampen ist er an Gropius‘ Bauteil mit seinen markan-ten Sheddächern angebunden, der künftig Verwaltung undBibliothek beherbergt. – Wird Staabs Berliner Bau-

haus-Museum also die eigentliche Antwort darauf geben,wie ein Bauhaus 2.0 nach 100 Jahren aussieht? Es ist ihmam ehesten zuzutrauen.

Gleichwohl spricht einiges dafür, dass der ganze Bauhaus -jubel grässlich überfrachtet ist und die Singularitätsbe-hauptung der Bedeutung des Bauhauses derart überinter-pretiert wird, dass jede architektonische Auseinanderset-zung mit ihm schnell zu scheitern droht. Zugleich werfendie beiden Bauhaus-Museen in Weimar und Dessau einSchlaglicht auf die aktuelle Situation der internationalnahezu bedeutungslosen Architektur in Deutschland. DasBauen wird durch eine übermäßige gesetzliche Regulie-rungswut stranguliert. Gleichzeitig wird es mit minima -lisierten Budgets geknebelt, die mit maximalisierten An -sprüchen der Bauherrenschaft und Nutzer einhergeht. Geld

ist beim Bauen gewiss nicht alles. Aber aus dieser ungutenAnspruchs- und Gemengelage kann schwerlich eine weg-weisende Architektur entstehen. Darüber hinaus fehlt es in Deutschland – nicht nur im Museumsbau – an jenem leidenschaftlichen Aufbruchsgeist, an der Lust zur künst -lerischen Innovation und an Mut, die das Neue Bauen der1920er Jahre wie das Bauhaus einst ausmachten. Zu hin-terfragen ist zudem das Selbstverständnis der Museen.Licht und Klima gelten als die ärgsten Feinde allen Kunst -erhalts. Sie wollen gebändigt, müssen reguliert sein. Dochohne Licht und Luft, ohne Sichtbezug zur Welt, für die dieKunst ja einst entstanden ist, bleibt alle Kunstpräsentationganz ohne Lust und Leben. Vergraben in traurigen Kisten, beidenen es am Ende egal ist, ob sie nun aus Beton bestehenoder mit Glas verhängt werden. Hierhin werden nur jeneBesucher gelockt, die wissen, was sie erwartet. Das Poten-zial von Museen als «Dritte Orte» wird zu selten ausge-schöpft. Dazu müssen niederschwellige Aufenthaltsqualitä-ten zwanglos mit der Möglichkeit zur ästhetischen Bildungverschmolzen sein, die sich in einer lustvollen architektoni-schen Gestaltung und einer einladenden stadt räumlichenVerortung widerspiegeln. Eine Einladung auf dem Weg zueiner neuen Moderne, zu einem neuen Bauhaus.

JÜRGEN TIETZ studierte Kunstgeschichte, Klassische Archäologieund Ur- und Frühgeschichte an der Freien Universität Berlin. Er arbeitetean verschiedenen Ausstellungsprojekten und Veröffentlichungen zur Architektur und Denkmalgeschichte des 20. Jahrhunderts mit und schreibt für überregionale Tageszeitungen. Ein Schwerpunkt seinerArbeit ist die Architektur der Moderne.

Doch halt. Bereits die Frage nach dem «wieviel Bauhaus»birgt Fallstricke. Sie unterstellt nämlich, dass es das eine,einheitliche Bauhaus wirklich gab, aus dem ein typischerBauhaus-Stil hervorgegangen ist. Dann braucht man nurnoch eine Art architektonisches Kochbuch: Ein paar TonnenFlachdach, etliche Kilo Fensterbänder mit Stahlrahmen undliterweise weiße Farbe, fertig ist der Bauhaus-Salat. Nein,so funktionierte Bauhaus weder 1919 noch 2019.

Es gab nie nur das eine Bauhaus und daher auch keinen ein-heitlichen Bauhaus-Stil, obgleich das im hundertsten Jubel-jahr der Bauhausgründung weltweit immer wieder sugge-riert wird. Das Bauhaus war eine der schillerndsten Facet-ten einer architektonischen Moderne seit der Wende zum20. Jahrhundert, die mit dem Neuen Bauen der 1920er Jahrefür einen baukulturellen und gesellschaftlichen Umbruchstanden. Zwischen den esoterisch-handwerklich geprägtenAnfängen des Bauhaus in Weimar, seiner bau lichen Blüte inDessau und seinem kurzen Nachleben in Berlin, lagen mo -derne Welten. Ablesen lässt sich das an den drei Bauhaus-Direktoren Gropius, Meyer und Mies van der Rohe. WalterGropius, lärmender Propagandist des Bauhaus und der ei -genen Person, formulierte mit dem Bauhaus eine program -matische Setzung. In Dessau gab er ihr mit Glasfront, fla-chem Dach und industriellen Materialien eine gebauteForm. Doch Achtung! Gropius Meisterhäuser sind nicht nurKompositionen cooler Kuben, sondern vor allem formalminimalisierte bürgerliche Villen. Kaum größer könnte derUnterschied zu Hannes Meyers «ADGB Gewerkschafts-schule» in Bernau sein, mit der er ziegelruhig und städte-baulich bewegt, einen sozialen und bildungspolitischen An -spruch gestaltete. Obwohl inzwischen Welterbe, ist sie einbis heute unter bewertetes Meisterwerk, ein «hidden cham-pion», der in den letzten Jahren von Winfried Brenne aus

Berlin grandios restauriert wurde. Bleibt Mies, und derbaute getreu dem Bonmot über ihn einfach, koste es was es wolle.– Wenn aber das Bauhaus schon in der kurzen Zeitspanne seines Bestehens bis 1933 derart hete-rogen war, wie sollte es dann heute aussehen? Bauhausheute ist also keine Frage des Stils, sondern einer Haltung.Es formuliert ein ganzheitliches künstlerisches und gesell-schaftliches Konzept, zukunftsweisend in Form, Materialund Funktion. Absolut modern in städtebaulicher wie in öko-logischer Hinsicht, muss ein Bauhaus 2.0 kluge Antwort aufdie relevanten Herausforderungen der Gegenwart parathaben. Das also ist die Latte, an der sich die drei neuenMuseen messen lassen müssen. Ihre Aufgabe wäre es, zurfortschreitenden mystifizierenden Musealisierung des Bau-haus einen Gegenpol zu formulieren, indem sie ein ästheti-sches und baukulturelles Zukunftslaboratorium kreieren.

Also auf nach Weimar, um diese Forderung zu über prüfen.Auf mitten in das Herz der deutschen Klassik, die dort Handin Hand mit der Klassischen Moderne schreitet. Auf zuGropius und Goethe, zu Bauhaus und Buchenwald. Dortsteht am Rande des nationalsozialistischen Gau forums,gleich neben der Weimarhalle der Hamburger Architektenvon Gerkan, Marg und Partner (gmp) das neue Museum, dasnach einem Entwurf der Berliner Architektin Heike Hanadaentstanden ist.– Es ist ein mächtiger Betonkoloss,über dessen streng ge schlossene Fassade sich ein minima-listisches Fugenraster legt, das nachts teilweise erleuchtetwird. Ein monumen tales Portal ist hoch in den monolithi-schen Baukörper ge schnitten. Es bleibt die einzige Öffnungan der Hauptschauseite des Museums. Fenster sind dortansonsten Fehlanzeige und werden auch am übrigenGebäude nur homöopathisch eingesetzt. In luftiger Höhemacht ein stets umlaufender Schriftzug allen Betrachtern,

die zweifelnd vor dem Haus stehen mögen, mantraartig klar:Ja, ich bin wirklich das … Bauhaus Museum BauhausMuseum…, als brauche es angesichts der abweisendenArchitektur dieser gewaltige Bauhaus-Black-Box sicher-heitshalber einer solchen Selbstvergewisserung. Nein, die-ses Haus bietet keinen geheimen Sinn zu kosten, wie’s denWissenden erbaut. Stattdessen fühlen sich vermutlich jeneModerne-Kritiker bestätigt, die mit zeitgenössischem Bauenin erster Linie klotzige Betonkisten in Verbindung bringen,die sich derart abweisend präsentieren, dass einem fast dieLust vergeht, einzutreten. Wie schade. Ob die aus Kosten-gründen verworfene Glasfassade Abhilfe geschaffen hätte?So steht der Koloss von Weimar jedenfalls hermetisch da,ohne einen erkennbaren Bezug zur umgebenden Stadt.Autistisch, sich selbst genug. Am interessantesten ist derBlick auf die Fassade der Rückseite. Dort schafft die hüge-lige Landschaft, die Vogt Landschaftsarchitekten (Zürich,Berlin) angelegt haben, einen bewegten Kontrapunkt zurstarren Architektur. – Wie ein Museum aus dem glei-chen Material (und ebenfalls mit recht wenigen Fenstern)ganz anders, nämlich gleichermaßen klug wie lust- undkraftvoll aussehen kann, das haben Beispiele wie das groß-artig Vorarlberg-Museum (Cukrowicz Nachbaur) längstbewiesen. Aber Weimar ist halt nicht Bregenz und Thürin-gen nicht Vorarlberg. – Die Atmosphäre im Innerendes Museums ist spürbar unterkühlt. Immerhin, von der Ein-gangshalle fällt der Blick durch ein weites Fenster in die villenschöne Parkumgebung und durch ein zweites hinab indas kleine Café des Museums. Das war es aber auch schon.Ansonsten stülpt sich das Haus wie eine gewaltige Lager-halle mit Rippendecke und selt samen weiß geschlämmtenBetonwänden über seine Exponate, weil für den geplantenLehmputz ebenfalls kein Geld vorhanden war. Über schmaleStiegen führt der Besucherweg in die Ausstellungsräume

1110

BAUHAUS MUSEEN

JÜRGEN TIETZ

Was ist das Bauhaus 2019? Wieviel Walter Gropius, Hannes Meyerund Ludwig Mies van der Rohe hat in einem Museum zu stecken,das 100 Jahre nach Gründung der einflussreichen deutschen Kunst-schule deren Ideen und Arbeiten ausstellt? Oder müssen sich dieAusstellungshallen im Gegenteil von dem Bauhaus-Erbe befreien?Antworten bieten drei neue Museen in Weimar, Dessau und Berlin.

WEIMARDESSAUBERLIN

Gleichwohl spricht einiges

dafür, dass der ganze Bauhaus -

jubel grässlich überfrachtet ist

und die Singularitätsbehaup-

tung der Bedeutung des Bau-

hauses derart überinterpretiert

wird, dass jede architektonische

Auseinandersetzung mit ihm

schnell zu scheitern droht.

FOTOCOLLAGE* QUELLEN © FOTOS: KLASSIK-STIFTUNG.DE/HEIKE HANADA · BAUHAUS-DESSAU.DE/ADDENDA ARCHITECTS · BAUHAUS-ARCHIV.DE/STAAB ARCHITEKTEN

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Erfurt, Jena, Weimar – diese Thüringer Städte-Triade galtim Lutherjahr 2017 als das Nonplusultra eines touristischenBildungstrips. Der Reformator, die Frühromantik, die Aufklä-rung, die Klassik, der Terror eher nicht: Reiseführer verspra-chen, in drei Tagen nicht nur klüger geworden zu sein, son-dern auch gutes Essen, schönste Altstädte, freundlicheMenschen. Luther light, Goethe satt, Buchenwald gehörtebei den meisten Reiseanbietern nicht dazu, stattdessen dasFlair der Universitätsstadt Jena, sozusagen die Ankunft inder Gegenwart. Städte- mischte sich mit Geschichtshop-ping. Wer allein reiste war im Zweifelsfall besser dran.– Das gilt vielleicht auch in diesem Jahr, denn nun istBauhaus und fast alles dreht sich um Weimar. Aber Weimarallein ist nicht das ganze Vergnügen. Denn die Landeshaupt-stadt hat sich ebenfalls – einmal ordentlich und einmal fastverwegen – des Jubiläums angenommen. Ihre zwei großenAusstellungsorte, die Kunsthalle Erfurt und das Angermu-seum widmen sich dem Thema, ob und wie das BauhausMöglichkeitsraum für Frauen war und ist. – Und weilzwei Ausstellungen in einer Stadt, die sich ausschließlichder Kunst von Frauen widmen, vielleicht doch eine zu viel istund also zu Verwirrung führen können, heißt die im Anger-museum «Vier Bauhausmädels» und die in der Kunsthalle«BauhausFrauen». Wer immer auf die Idee mit den Mädels

gekommen ist, gehört dafür nicht gelobt. Gertrud Arndt,Marianne Brandt, Margarete Heymann und Margaretha Rei-chardt, mögen für die Bauhausmänner in ihrer Zeit dieMädels gewesen sein, und es lag darin ganz gewiss aucheine paternalistisch-freundliche Art der Anerkennunggegenüber den jungen Frauen, die nicht Hausfrau, Stenoty-pistin, Verkäuferin, stattdessen Künstlerinnen gewordensind, die wir heute als stille Bewunderung werten können.– Was aber noch nicht ausreicht, der Ausstellungdann diesen Titel zu verpassen. Die ist inzwischen (Finis-sage war am 16. Juni) Vergangenheit, war sehenswert,auch wenn die Präsentation der 335 Objekte aus privatenund öffentlichen Sammlungen und Archiven ein wenig denEindruck erweckte, als sei es im Jubiläumsjahr nicht geradeeinfach, noch ausreichend Exponate zusammenzubekom-men. Schließlich wollen viele und schließlich gibt es dreiOrte (Weimar, Dessau, Berlin), die sozusagen die Hoheitüber alles beanspruchen.– Viel spannender (undnoch bis zum 14. Juli anzuschauen) ist die Ausstellung «Bau-hausFrauen» im Kunstmuseum Erfurt. Und natürlich wäre esgeradezu ein Coup gewesen, hätten sich die Kuratorinnendarauf eingelassen, beiden Ausstellungen den gleichenTitel zu geben und somit allen ausgestellten Künstlerinnenden ehrenvollen Titel Bauhausfrau zuzugestehen. –Bei den Frauen also handelt es sich um Lehrerinnen undAbsolventinnen der Bauhaus Universität Weimar und die

Grundaussage ist, dass es im Kontrast zum historischenBauhaus heute um die Emanzipation der Frauen in der Kunstgut bestellt ist. Sie sei selbstverständlich, wird gesagt.Darüber lässt sich streiten, denn wenn man sich nur einmalanschaut, wie es dort, wo aus Kunst Vermögensanlage oderWerkschau wird, um die Preisgestaltung bei und Anerken-nung von Künstlerinnen bestellt ist, ließe sich das in Abredestellen. – 31 Künstlerinnen stellen in der ErfurterAusstellung Werke vor. Sie kommen aus den FakultätenKunst und Gestaltung, was meint: Freie Kunst, Medienkunstund Mediengestaltung, Produkt-Design und Visuelle Kom-munikation sowie Architektur. Ganz gewiss stimmt die Fest-stellung, dass die Widerstände gegen Künstlerinnen heutenicht mehr da sind, bzw. eine weitaus subtilere Form ange-nommen haben, wo es sie weiterhin gibt. Den heutigenAbsolventinnen wird nicht zwingend der rote Teppich aus-gerollt, aber sie haben Möglichkeiten und auch die sozial-ökonomischen Bedingungen, derer es für freie Kunst alsAusdrucksform und zugleich Möglichkeit, seinen Lebens -unterhalt zu verdienen, bedarf, sind besser als zu Beginndes 20. Jahrhunderts. Im Ausstellungstext heißt es dennauch selbstbewusst: «Hier steht das Werk pars pro toto füreine Situation, welche die künstlerische Selbstentfaltungvon Frauen als eine Selbstverständlichkeit ansieht, in der

gerechte Strukturen für die Entwicklung von Menschen jed-weden Geschlechts zu den gesetzlich verankerten Zielenstaatlichen Handelns gehören, auch wenn die Praxis nochmanches zu wünschen übrig lässt.» – Und zur Rück-versicherung und Selbstvergewisserung, damit nur niemanddenkt, hier handle es sich um eine «Frauenecke», steht dannda auch: «Die vielfältigen, qualitativ bemerkenswerten, oftgenug auch staunenswerten Zeugnisse ästhetischer Kreati-vität in dieser Ausstellung sollen nicht deshalb herausge-stellt werden, weil die Veranstalter glauben, dass ihreBesonderheit in der weiblichen Konnotation liege. Nein, siesind besonders, weil sie formale und inhaltliche Konse-quenz auszeichnet, weil sie Innovatives, Einmaliges, Über-raschendes, Irritierendes, Erzählerisches, Nachdenkliches,Spielerisches, Ironisches, handwerklich Brillantes oder aus-gesprochen Praktisches bieten in ihren Perspektiven aufunsere Welt…» – Diese Beschreibung wirkt ambi-valent erst dann, wenn man sich vorstellt, es bedürfte sol-cher Selbstvergewisserung auch bei einer Ausstellung, dieausschließlich die Kunstwerke von Männern zeigt. Tut esnicht. Das wissen wir. – Nicole Degenhardt, eine derausgestellten Künstlerinnen, hat für ihre rätselhaft schönenFotografien den Titel «Das Wesen erscheint und die Erschei-nung ist wesentlich» gefunden. Das wäre auch eine guteÜberschrift für die Ausstellung gewesen. Die im Übrigenden Künstlerinnen Licht und Raum genug lässt, Wirkung zu

entfalten. Die sparsam ist mit didaktischem Überzug, wasman denn da zu sehen oder zu denken habe, die den Werkenim Wortsinn den ihnen gebührenden Platz einräumt.– Auf eine schöne Art verwegen steht am Anfang dieFrage «Warum können Sie kein Bauhaus mehr sehen?». Undwird mit den Fotos der israelischen Künstlerin Naomi TerezaSalmon (sie promovierte 2013 an der Bauhaus-Universität)kolportiert, die sich im Alltag der Anwesenheit jenes Farb-dreiklangs nähert, der wie kein anderer für das Bauhaussteht: blue-yellow-red-blau-gelb-rot. Ein blaues Handtuch,ein gelbes Wischtuch, ein roter Seifenspender. Die Ironiedes Trivialen – gelbe Pommes, blauer und roter Messergriff– überall scheint Bauhaus auf, das macht es ja gegenwärtigdann oft auch so nervenaufreibend (war bei Luther nichtanders) und zugleich ist es ein wunderbar ironischer Ein-stieg in eine sehenswerte Ausstellung, in der Malerei,Zeichnung, Fotografie, Video, Installation, Objekt, Produkt-design und Architektur miteinander kämpfen und gegenei-nander fraternisieren. – Im Rahmen der Ausstellungfand im Mai eine Diskussion unter dem Titel «Chancen-gleich? Künstlerinnen heute» statt. Im Vorfeld hatte derErfurter Bauhaus-Forscher und Kommunikationswissen-schaftler Patrick Rössler noch einmal festgehalten, wasauch in diesem Jubiläumsjahr erneut überdeutlich klar

geworden ist: Das Bauhaus wurde von den Meistern ge -prägt: «Und die Meister waren mit einer Ausnahme männ-lich. Denen ist es gelungen, auch nach dem Krieg die Rezep-tion des Bauhauses zu dominieren – in den Ausstellungenund in den Büchern.– Deshalb ist es nicht erstaun-lich, dass bis vor ungefähr 20 Jahren Frauen sehr wenigvorkamen in der Bauhaus-Geschichtsschreibung.» Mankönnte sich der kleinen Hoffnung hingeben, die in der Aus-stellung im Erfurter Kunstmuseum gute Nahrung findet,dass die Geschichtsschreibung nun ein wenig anders funk-tioniert. Vielleicht ist in zehn Jahren schon Konsens, dasseine Ausstellung nicht Bauhausmädels heißen sollte.

die man kennen sollte« aufreiht.– In einer Welt, inder der gesellschaftliche Reichtum einem berühmten ersten Satz zufolge als «ungeheure Warensammlung» er -scheint, stellt das Angebot an Büchern zu einem Themaauch so etwas wie ein Zeugnis aus. Man sollte daraus keinUrteil über die aktuelle Lage der Bauhaus-Literatur schluss-folgern, es hat großartige Neuerscheinungen zum Jubi -läumsjahr gegeben. Bücher, die wie Kontergewichte zueinem 100-Jahre-Rummel wirken, dem es an Glättungen,an Vereinfachungen, an tourismusökonomischen Motivennicht eben fehlte.

Georg Leidenberger und Bernd Hüttner haben ob dieses«Bauhaus-Rummels, der oft mit dem historischen Bauhauswenig gemein hat», auf die Schwierigkeiten hingewiesen,«aus kritischer Perspektive» an eine Entwicklung zu erin-nern, deren Einfluss unbestritten ist, die man aber ohneKenntnisnahme der Widersprüche nicht in Gänze erfassenkann. Wo «Symbole und Superlative» grell strahlen, bleibe«kein Platz für Erneuerung oder gar Radikal-Kritisches, auchfür die «Gegensätze und Konflikte».– Damit ist einSelbstanspruch des Sammelbandes «100 Jahre Bauhaus»formuliert, den Leidenberger und Hüttner herausgegebenhaben, an «Vielfalt, Konflikt und Wirkung» schon formuliert.16 Einzelbeiträge, die sich zu kurzen Schwerpunkten zusam-

mengefunden haben, sollen dem gerecht werden. Da gehtes um «Designer und Künstler», um «Ideen und Ideologie»oder um »Ursprünge« – unter solchen Überschriften-Dächerntrifft man dann aber nicht auf allgemeine Einführungen, son-dern bekommt Geschichten vom Bauhaus erzählt, die das«gefühlte Wissen» ergänzen, es hier und da positiv stören,neue Perspektiven ermöglichen. – Etwa, wenn Clemens Bach «Anarchistische und marxistische Spuren imtheoretischen Werk von László Moholy-Nagy» verfolgt,oder wenn Monika Wucher am Beispiel von Ernö Kállai inden Blick nimmt, wie der Schriftleiter der Zeitschrift «bau-haus» zu Zeiten von Hannes Meyer «den institutionalisier-ten Avantgarde-Kanon aus der Innensicht infrage stellte».Einen neuen Blick auf die Rolle von Frauen am Bauhaus wirftDina Comisarenco Mirkin, die dem häufigen Vorwurf, eshabe «Geschlechter-Apartheid» an der Schule gegeben, ausgenderkritischer Perspektive eine andere Lesart entgegen-stellt: dass nämlich «die allgemeine Atmosphäre» eher«recht frei» gewesen und die Geschlechterungleichheit fürdie Bauhäuslerinnen «nicht so extrem» gewesen sei. Hierseien in der Literatur der «historische Kontext ignoriert undWerte und Situationen der Gegenwart auf die Vergangen-heit projiziert» worden, so Mirkin. – Eine besondereAufmerksamkeit wird der Wirkungsgeschichte des Bauhausund seiner Protagonisten in Lateinamerika zuteil, Luis Rod-

ríguez Morales schreitet die Einflüsse ab, die sich in den frü-hen mexikanischen Gestaltungsschulen bemerkbar machen.Und David Maulen de los Reyes versucht die Puzzleteile desBauhaus-Netzwerkes in Lateinamerika zusammenzufügen. – Ein anderes Thema, auf das verschiedene Beiträgedes im Metropol Verlag mit Unterstützung der Rosa-Luxem-burg-Stiftung erschienenen Sammelbandes immer wiederzu sprechen kommen, führt zurück in die dunkelste deutscheGeschichte und hat zugleich etwas mit dem heutigenUmgang damit zu tun: Wie antifaschistisch war das Bau-haus, wie sehr lässt es sich zu einer Geschichte der Emigra-tion reduzieren und welche erinnerungspoli tischen Bilderwerden heute aufgerufen? – Auch in diesem Sam-melband wird kritisch reflektiert, wie das Bauhaus «zu einerVisitenkarte eines Landes umgedeutet wird, das in der Weltlieber als Wiege der Nachkriegsmoderne angesprochenwerden möchte, denn als Land, das zwei Weltkriege undden Holocaust verantwortet». Laura Rosengarten versuchtin ihrem Beitrag «Bauhaus und National sozialismus» dieses«einseitige Bild vom Bauhaus als Opfer des Naziregimes» zukorrigieren. Auf der einen Seite wurden mindestens 17 Bau-häusler vom NS-Regime ermordet – auf der anderen ver-suchten die ehemaligen Bauhausdirektoren Walter Gropiusund Mies van der Rohe «sich über Jahre mit den Nazis zuarrangieren, obgleich deren menschenverachtende Prakti-

ABSEITS DES RUMMELSEIN NEUER SAMMELBAND NIMMT SICH DIE GEGENSÄTZEUND KONFLIKTE DER BAUHAUS-GESCHICHTE VOR

ACH MÄDELS DIE FRAUEN

Wer sich bei einem großen Onlinebuchhändler für das Bauhaus interessiert, bekommt es mit einem Problem zu tun: Die Auswahl istzu groß, riesig, unüberschaubar. Allein 993 Bücher über die Schulefür Gestaltung, deren Geschichte, ihre Protagonisten, die Werkeund so weiter sind hier gelistet. Fotografische Weltreisen, ein Bau-haus-Roman oder Beispiele jener Literatur, die sich zur verkaufs-fördernden Kanonisierung selbst ermächtigt und «Bauhaus-Ikonen,

TOM STROHSCHNEIDER

KATHRIN GERLOF ,

DIE KÜNSTLERINNENLIZ BACHHUBERDANICA DAKICNICOLE DEGENHARDTELFI E. FRÖHLICHNADINE GÖPFERTJANA GUNSTHEIMERCHRISTIANE HAASEHEIKE HANADACHRISTINE HILLFRANZISKA UND SOPHIA HOFFMANNKATHARINA HOHMANNINDRA KUPFERSCHMIDVERENA KYSELKAMEIKE LANGERCARINA LINGE

RICARDA LÖSERNINA LUNDSTRÖMBARBARA NEMITZ NINA RÖDERNAOMI TEREZA SALMONTONIA SCHMITZTHERESA SCHUBERTANKE STILLERLAURA STRASSERMARIA VILLLEONIE WEBERKAREN WEINERTROSMARIE WEINLICHNADINE WOTTKELUSHA YE

AUSSTELLUNG: BAUHAUSFRAUENLEHRERINNEN UND ABSOLVENTINNEN DER BAUHAUS UNIVERSITÄT WEIMAR

KUNSTMUSEUM ERFURT · 1 8 . 0 4 . – 14 . 0 7 . 2 0 19

FOTOCOLLAGE* QUELLE © FOTO: METROPOL-VERLAG · COVERMOTIV FOTOCOLLAGE* QUELLEN © FOTOS: BAUHAUS-UNIVERSITÄT WEIMAR · KUNSTMUSEUM ERFURT / JANNIS UFFRECHT, SAMUEL SOLAZZO (ANNA RUPP) · CHRISTIANE HAASE · CARINA LINGE

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ken offenkundig waren», so Rosengarten. Auf der einenSeite die Verfolgung, der faschistische Kampf gegen dasBauhaus – auf der anderen Seite die Indienstnahme vonBauhaus-Aspekten durch die Nazis. – «Die Zugehö-rigkeit zum Bauhaus allein bedeutete noch nicht, von denNazis verfolgt zu werden. Vielmehr war ausschlaggebend,ob die Künstler_ innen und Gestalter_ innen aus Sicht derNationalsozialisten jüdischer Herkunft oder kommunisti-scher Gesinnung waren», schreibt Rosengarten – und zeigtauf der anderen Seite, wie Bauhäusler weitermachten, wie»ihre Entwürfe als nationalsozialistisches Design» im Aus-land präsentiert und «auch innerhalb des Deutschen Reichszu einem wichtigen Wirtschaftsfaktor und identitätsstiften-den Moment» wurden. Das Bauhaus- und Werkbunddesignsei dabei doppelt vereinnahmt worden: Einerseits «ludendie Nazis die Erzeugnisse mit neuem politischen Gehalt aufund brachten sie als Gegenstände gemäßigter Modernitätgegen den grassierenden Nazi-Kitsch in Position», anderer-seits entsprach die Materialität von Alltagsexponaten ausGlas, Ton und Porzellan einer Wirtschaftspolitik, die seit1936 auf Aufrüstung und Autarkie setzte. – In dieentgegengesetzte, die antifaschistische Richtung blickt derBeitrag des Gestaltungsbüros Schroeter & Berger über MaxGebhard, jenen «selbstlosen, in der BRD kaum und in derDDR zu wenig beachteten Bauhäusler». Gebhard schufzusammen mit Max Keilson «eines der in seinen Abwand-lungen weltweit bekanntesten politischen Signets», das

der Antifaschistischen Aktion. Bis heute gehört es in leich-ter Abwandlung zum Symbolvorrat linker Bewegungen welt-weit. Nachdem Maximilian Sauerbier und Sebastian Helm2008 erstmals bei Recherchen auf Gebhard stießen, war dieFrage aufgeworfen, warum dieser Gestalter «in kaum einerBauhaus-Publikation Erwähnung findet, obwohl er ein Sig-net entworfen hat, das weitaus häufiger kopiert und be -kannter werden sollte als die Stahlrohrstühle von MarcelBreuer». – Schroeter & Berger zeichnen die politischeund gestalterische Biografie Gebhards nach, der «mit derMachtübertragung an die Faschisten und der zunehmendenRepression» seine Arbeit in die Illegalität verlegen musste,aber im Widerstand aktiv blieb. Nach dem Zweiten Welt-krieg wurde er Ressortleiter der Bildredaktion und Presse-zeichner beim «Vorwärts», 1950 wurde Gebhard vom SED-Zentralorgan «Neues Deutschland» engagiert, später war er als Grafiker beim Aufbau- und beim Dietz-Verlag tätig.– «In der DDR nahm er Kontakt zu Bauhäuslern auf,die keine Nazis geworden waren und nun in der DDR lebenwollten. Sie trafen sich regelmäßig, und Gebhard setzte sichintensiv für die Rehabilitierung des Bauhaus ein», heißt esin der biografischen Skizze. Das war mindestens anfänglichkeine Sache, die bei den DDR-Oberen auf Gegenliebe stieß.Gebhard musste «für ein Weiterbestehen der ‹Bauhaus -idee› kämpfen, war diese doch zu Stalins und Ulbrichts Zeiten als ‹westlich› und anti-völkisch verschrien», so formu-lieren es Georg Leidenberger und Bernd Hüttner in dem Bau-

haus-Band. «Erst in den späten 1950er- und 1960er-Jah-ren erlebte sie eine Renaissance.»– Die Ambivalenz des Bauhaus, die in den Texten des Sammelbandes gezeigt werden kann, ist wissenschaftlich «in einigen Aspekten auf -gearbeitet, allerdings verlassen die Forschungsergebnissekaum ihre Fachkreise», so Rosengarten. Wie man dieseLücke füllen könnte, auch und gerade jenseits der Bauhaus-Literatur, also auch noch andere Weise sinnlich erfahrbar,sichtbar und erinnerungspolitisch wirksam, dazu habenSchroeter & Berger einen Vorschlag parat – einer, der aufMax Gebhard zurückgeht. – Für die von den Nazisermordeten Baushäusler hatte dieser «eine Ideenskizze» füreinen Erinnerungsort entwickelt: «eine Scheibe transpa -renten Materials vor der Wand des Gebäudes, auf ihr dieNamen der Ermordeten. Als Plastik aus Material und Schrift,aus Licht und Schatten wäre es ein Denkmal für jene undein Symbol für das Bauhauskonzept». Schroeter & Bergerwollen diese Idee «in den nächsten Jahren in die Nähe einerUmsetzung bringen». Man darf hoffen, dass dies im 100.Jahr der Gründung und an ge sichts eines «Bauhaus-Rum-mels», der nicht der ganzen Geschichte gerecht wird, dieentsprechende Unterstützung findet. Der hier besprocheneSammelband trägt seinen Teil dazu bei.

BERND HÜTTNER UND GEORG LEIDENBERGER (HG.)

100 JAHRE BAUHAUS. VIELFALT, KONFLIKT UND WIRKUNGMETROPOL VERLAG 2019 · 2 7 1 SEITEN · 22 EURO

DASS ZUM VORSCHEIN KOMMT, WAS ZUM VORSCHEIN KOMMEN SOLL

Wir stellen eine rhetorische Frage: Ist es plausibel, dass allepolitischen Fraktionen der Gegenwart von der Linken biszur CSU in der Bundestagsdebatte über die Bewilligung derGelder für das Jubiläum das Bauhaus aufs höchste willkom-men geheißen hätten, so wie sie es getan haben, wenn dasBauhaus einen feststell baren Kern gehabt hätte? Könntensich alle politischen Richtungen in einer Sache einig sein,die so anstößig wäre wie ein kantiges Unikum?

Die Sache wird wohl eher so verständlich: Wenn man im linken Lager Bauhaus hört, denkt man an das sozialreforme-rische Programm, Hannes Meyer und den Volks bedarf. Beiden Konservativen klingt dagegen Industrie, Versöhnungund die internationale Wirkung durch. Liberale vernehmen:individueller Ausdruck und Freiheit. Auch gewisse proto -typische Formen ökologischen Bewusstseins lassen sich fürdas Bauhaus konstruieren – womit die Anschlussfähigkeitauch unter Grünen gewährleistet ist. Alle scheinen etwasfür sich finden zu können.

So koexistieren im Bauhaus friedlich die deutschen Tu gen -den: Dichten, Denken, Handwerken, Innovieren, Indus tria -lisieren, Vernachhaltigen und Geeinigtsein. Und ausnahms-weise kann man fürs 20. Jahrhundert sogar friedfertigenInternationalismus vorweisen. Wer wollte da etwas ande-res, als dabei sein?

In einer wohligen Distanz zum Phänomen, dort, wo eineallzu konkrete Begegnung nicht wehtun kann, fühlt man sichganz wohl: Im Kulturbetrieb herrscht Einigkeit, das WortBauhaus nur noch als eine Art Marker für Projekte heranzu-ziehen, die man als humanistisch, nachhaltig und irgendwieästhetisch verstanden haben möchte. Wer Fördergelder fürDesignprojekte einwerben möchte, setzt sich gewohnheits-mäßig in Linie zum Bauhaus, damit umweglos klar wird,dass es nicht um Werbung oder verkaufszentrierte Produkt -ästhetik geht, sondern um Kultur. Auch den Betreiber Innendes Online-Shops bauhaus-classics24.com ist formaleReduktion Ausweis genug für Bauhaus-Nähe – gleichgültig,ob die zum Verkauf angebotenen Produkte weit vor odernach Gründung und Schließung des Bauhauses entworfenwurden. Neben Möbelläden und Fertighausanbietern ge -lingt es auch Cafés, Buchläden, Friseuren, Modelabels,einer Rockband, einer Brauerei, einer Investmentbank sowieeinem Solarkongress, sich in Bezug zum Bauhaus zu setzen.

Um Missverständnissen zuvorzukommen: Diese Les artenund Indienstnahmen des Bauhauses sind nicht per se falsch.Die Behauptung der falschen Lesart würde unterstellen,dass es die richtige Deutung, die eine historische Wahrheitgibt. Doch wie jedes historische Phänomen ist das Bauhausnicht mehr nur «es selbst», sondern auch das Konstrukt derZuschreibungen, Aneignungen, Hommagen und Vereinnah-mungen der Nach geschichte. Mit einem Wort, das Bauhausist Gegenstand von Interpretationen – Missverständnisseeingeschlossen. Die Eigentümlichkeit der Bauhaus-Rezep-tion besteht vielmehr darin, dass mit großer Regelmäßigkeitnur die jeweils bevorzugten Bauhaus- Fakten bemüht wer-den. So wird der Gegenstand durch Auslassung auf Liniegebracht. Bevor man das Bauhaus zur eigenen Referenzmacht, ist das Material häufig schon derart zugerichtet, dasszum Vorschein kommt, was zum Vorschein kommen soll.

Auszug aus dem Text von Julia Meer und Florian Walzel«What is it that makes the Bauhaus so appealing?», der in dem hier besprochenen Sammelband «100 Jahre Bauhaus. Vielfalt, Konflikt und Wirkung» enthalten ist.

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Gropius und der großherzoglichen Verwaltung kam. –Hieran konnte er im März/April 1919 anknüpfen, um sein radi-kales Re form projekt zur inneren Verbindung der Professionenauf den Weg zu bringen, nun getragen von der thüringischenRevolutionsregierung.– Gropius musste hierfür dieakademischen Professoren der bisherigen Kunsthochschuleübernehmen. Sie wandten sich bereits im Verlauf des erstenJahres wieder vom neuen, integrativen Konzept ab – als siedie Konsequenzen für ihren individuellen Künstlerhabituserkannten – und versanken nach einer Rückgründung in eineeigene Institution mit ihrem konventionellen Selbstbild alsBildhauer oder Maler schließlich in der Bedeutungslosigkeit.Demgegenüber setzte der neue Direktor markante Zeichen fürdie Bedeutung der modernistischen Kunst für sein Konzept: Er berief sofort den Kubisten Lyonell Feiniger und den in Wienbereits lehrenden Expressionisten Johannes Itten nach Wei-mar. 1920 folgte der in München mittlerweile chancenlosePaul Klee. Mit Wassily Kandinsky hatte es während dessenBeteiligung an der Neueinrichtung von künstlerischen Institu-tionen für den Kunstsektor der frühen Sowjetunion Kontaktegegeben.10 Nach dessen Rückkehr nach Deutschland über-nahm auch dieser Maler ab 1922 Theorieunterricht für diezukünftigen KünstlerGestalter im Bauhaus. Der auf techni-sche Experimente ausgerichtete Modernist László Moholy-Nagy arbeitete bald an einer neuen Ästhetik von Licht undSchatten – im Fotogramm – sowie, mithilfe von technischemGerät, der Bewegung.11 Die Funktionalität des industriellenModernisierungsschubs der zwanziger Jahre ging schließlich1922/23 in die programmatische Formel der Verbindung von«Kunst und Technik» von Gropius ein. In den Kunstakademien

galt Technik dagegen weiterhin als unvereinbar mit Kunst.– Der häufig zitierte Satz aus dem Bauhausmanifest«Das Endziel aller bildnerischen Tätigkeit ist der Bau» mussdaher primär metaphorisch verstanden werden. Mit einer«Kathedrale der Zukunft» war das Ziel des Aufbaus einerGemeinschaft von Künstlerindividuen gemeint. Im expressiv-utopischen Zeitgeist des Winters 1918/19 sollten die koope-rierenden Professionen zur künstlerischen Arbeit an einemquasisakralen gemeinsamen Werk der «Zukunft» versammeltwerden. Doch diese Programmatik transformierte sich imZeitverlauf durch die beteiligten Akteure. – Erprobtwurde diese kooperierende Arbeitsweise im Haus am Hornfür die erste Bauhausaustellung 1923, das von dem EntwerferGeorg Muche konzipiert und mithilfe der Werkstätten von denStudierenden eingerichtet wurde. – Eine eigene Archi-tekturabteilung differenzierte Gropius bekanntlich erst 1927aus, mit Hannes Meyer als Leiter. Gropius zog sich 1928zurück, nachdem er sich in der uferlosen Verwaltungsarbeitund Verteidigung des Projektes gegen Angriffe auch von Kan-dinsky allein gelassen fühlte. Gropius warf Klee und Kandin-sky vor, sich als selbstbezogene Künstler mit vorrangigemBezug zum Kunstbetrieb zu verhalten. Meyer fungierte bis1930 als sein Nachfolger als Direktor, der sich mit dem neuenProgramm an Zielen der Arbeiterbewegung zur Verbesserungder materiellen Lebenswelt der Arbeiter orientierte und am«Volksbedarf statt Luxusbedarf» qualitativ neu ausrichtete.12

Regional unterschiedliche Chancen zur Reform Die Bedeutung des Konzeptes von Gropius für Weimar wirdim Vergleich plastisch. Aus der Revolutionszeit ergaben sichin den unterschiedlichen deutschen Ländern gegensätzlicheWeichenstellungen. In München entwickelte der bedeu-tende Jugendstilkünstler Richard Riemerschmid aus denDebatten des Künstlerrates heraus ein Konzept für die Inte-gration von Kunstakademie und Kunstgewerbeschule. Nachdem Sieg der Gegenrevolution im Mai 1919 war dieseReform auf Druck des nun gestärkten kulturkonservativenProfessorenkollegiums der Münchner Kunstakademie vomTisch.13 Von diesem wurde während der ganzen zwanzigerJahre kein einziger modernistischer Künstler berufen,sodass 1933 auch niemand zu entlassen war.– Auchin Berlin hatte der Arbeitsrat für Kunst einen Reformdiskursbegonnen, auf den sich dessen Vorsitzender Gropius imMärz 1919 in seinem Bauhausmanifest stützte. Doch auchhier waren die Beharrungskräfte des akademischen Tradi-tionalismus zu stark, als dass es eine Chance zu einergrundsätzlichen Reform gegeben hätte. Immerhin wurde1924 im Zuge der sozialdemokratisch-liberalen Kulturpoli-tik in Preußen schließlich eine Reformhochschule gegrün-det, die «Vereinigten Staatsschulen für freie und ange-wandte Kunst», in der auch ge mäßigt moderne Künstler bis1933 lehren konnten, wie Karl Hofer, Edwin Scharff, EmilRudolf Weiss14. – Doch die kulturkonservativenGegenkräfte diffamierten den Modernismus bereits seit1919 als «Kulturbolschewismus». Die Mehrheit unter denKunstprofessoren der Kunstakademien blieb an der «hohenKunst» orientiert. Die deutschnationale, völkische und

schließlich nationalsozialistische Rechte sah in der natio-nalen Aufladung des Akademismus die wahre «deutscheKunst», für die es Geldmittel bereitzustellen gelte. Sie kürz-ten dem Bauhaus daher 1932 erneut die Mittel, setztensich mit ihrem Ausschließlichkeitsanspruch in der Malereiund Bildhauerei jedoch erst sukzessive bis 1937 durch.Innerhalb der NS-Bewegung hatte sich eine Minderheit vonnationalen Modernisten gesammelt, die bis 1935/37 nichtohne Einfluss blieb und beispielsweise einen begabtenBauhäusler wie Herbert Bayer als Gestalter von national-sozialistischen Propagandaausstellungen, so der «Deutsch-landausstellung» von 1936, gewann.15 Profilierte Bau haus -lehrer wie Gropius gingen im Verlauf der dreißiger Jahreals gefragte «Künstlergestalter» in die USA. Zahlreicheandere Bauhäusler arbeiteten während der NS-Herrschaftin Deutschland weiter, nicht wenige mit einer zustimmen-den Haltung zur Führerdiktatur.

Nachwirkungen des «KünstlerGestalters» Ohne Gropius und dessen Denkhorizont, der auf die zeit -genössischen Modernisierungen bezogen blieb, hätte eskein derartig wirkungsmächtiges Bauhaus gegeben. SeineVerbindung von künstlerischem Modernismus und qualifizier-ter Werkstattarbeit gelang um 1920 an keiner anderenKunsthochschule in dieser Konsequenz und war der Haupt-grund für die kreative Produktivität in der neuen Institution.

Die meisten Bauhäusler arbeiteten in ihrer künstlerischenPraxis auch nach dem Verlassen der Institution sowohl an aufdas Leben bezogenen Entwurfsprojekten der «nützlichen Kün -ste» des Gebrauchs als auch an freikünstlerischen Arbeiten.

1 Bereits 2007 war der Mythos Bauhaus Titel einer Konferenz am ZIF der Univer-sität Bielefeld, vgl. Anja Baumhoff/ Magdalena Droste: Mythos Bauhaus, Berlin2009 2 Überblick zum Bauhaus in Wolfgang Ruppert: Künstler! Kreativität zwi-schen Mythos, Habitus und Profession, Köln 2015, S. 103-122 3 Zum BegriffWolfgang Ruppert: ‹KünstlerGestalter›. Widersprüche im Künstlerhabitus am Bau-haus, in Sabine Fastert u.a.(Hg): Die Wiederkehr des Künstlers. Themen und Po-sitionen der aktuellen Künstler/Innenforschung, Köln/Weimar/ Wien 2011, S.175-192 4 Wolfgang Ruppert: Der moderne Künstler. Zur Sozial- und Kulturge-schichte der kreativen Individualität in der kulturellen Moderne, (3. Aufl.) Berlin2017 (zuerst Frankfurt a.M. 1998), S. 237 5 Vgl. Ruppert 2017, S.478ff. 6 vgl.zur «modernen Bewegung» Ruppert 2018, S. 144f. 7 Ruppert 2018, S.145 8Ruppert 2017, S.494f. 9 Magdalena Droste: Vom Meister zum Professor. DieSymbolik der Titelfrage am Bauhaus, in Wolfgang Ruppert/ Christian Fuhrmeister(Hg): Zwischen Deutscher Kunst und internationaler Modernität. Formen derKünstlerausbildung 1918 bis 1968, Weimar 2007, S. 127-136 10 Thomas Flierl:Zwischen Anerkennung und Ablehnung. Bauhaus-Rezeption in der Sowjetunion,in Thomas Flierl/ Philipp Oswalt (Hg): Hannes Meyer und das Bauhaus. Im Streitder Deutungen, Leipzig 2018, S. 362 11 vgl. Ruppert 2018, S. 238 12 Selbst imProtestschreiben gegen seine Entlassung nannte Meyer Gropius «den Gründer desBauhauses» und hob dessen Mehrschichtigkeit als Kunsthochschule hervor, indemer eigens auf die Maler «Paul Klee, L. Feininger und W. Kandinsky als Künstlervon Weltruf» hinwies, vgl. Mein Hinauswurf aus dem Bauhaus, in: Das Tage-buch,16. August 1930, nachgedruckt in Flierl/ Ostwald 2018 S. 133 13 Ruppert2017, S. 501ff. 14 Wolfgang Ruppert (Hg): Künstler im Nationalsozialismus,Köln/Weimar/Wien 2015, S.46 15 Sabine Weißler: Bauhaus-Gestaltung im NS-Propagandaausstellungen, in Winfried Nerdinger: Bauhaus Moderne im Natio-nalsozialismus. Zwischen Anbiederung und Verfolgung, München 1993, S. 48-63

WOLFGANG RUPPERT , lehrte zwischen 1983 und 1988 Kultur -geschichte im Studiengang Geschichtswissenschaft der Universität Bielefeld, seit 1988 als Professor an der Universität der Künste Berlin. BV: Der moderne Künstler. Zur Sozial- und Kulturgeschichte der kreativen Individualität in der kulturellen Moderne, Suhrkamp Taschenbuch Wissen-schaft 1352, Berlin 2017 (3. Aufl.), (zuerst Frankfurt a.M. 1998); Künstler!Kreativität zwischen Mythos, Habitus und Profession, Köln 2018; (Hg):Künstler im Nationalsozialismus, Köln/Weimar/ Wien 2015

1918

sein Projekt als PR-Mann eingetreten, habe ein zu einseitigauf ihn selbst konzentriertes Bild hinterlassen, sei mit denArchitektur experimenten – wie in Dessau- Törten – aber«gescheitert». Man hielt ihm vor, dass er nicht zeichnenkonnte, dafür einen Mitarbeiter benötigte und zudem keinen«ordentlichen Abschluss» eines Studiums der Architekturvorzuweisen hatte. Diese Einwände sind intellektuellschlicht. Sie gehen zudem von einer Konvention «des Archi-tekten» und unreflektierten Vorstellungen «vom Künstler»aus. Damit erfassen sie in keiner Weise den innovativenAnteil, der Walter Gropius an der Programmatik des Bau-haus als einer Kunst- und Gestaltungs hochschule zukommt.2

– Demgegenüber muss eine kulturgeschichtlichePerspektive nach den strukturellen Gründen für die außer-ordentliche kreative Produktivität des Bauhauses fragen.Das Konzept von Gropius beinhaltete eine neue Integra -tionsform von künstlerischen Kompetenzen durch Überwöl-bung der Spaltung der kreativen Arbeit in «freie» und «nütz-liche» Künste im 19. Jahrhundert. Der in seinem Studienpro-gramm angelegte Künstlerhabitus des «KünstlerGestalters»war Ergebnis einer Synthese von modernistischer Kunst undhandwerklich fundierter Gestaltungsarbeit.3 Um die Bedeu-tung dieser Innovation zu verstehen, ist es notwendig, denhistorischen Ort der Bauhausgründung in der langfristigenGeschichte der kulturellen Moderne zu verdeutlichen.

Die Hierarchie im Künstlerhabitus überwindenUm 1800 hatten sich die Umformungen mit der Etablierungder bürgerlichen Gesellschaft auch auf die Berufsbilder in denKünsten erstreckt und diese «vergeistigt».4 Die Neugründungvon Ausbildungsinstitutionen, beispielsweise der Akademieder bildenden Künste München 1808, war Ausdruck für einneues Verständnis von «hoher» Kunst».5 Es entstand eine Hie-rarchie zwischen den «freien» Professionen der «hohen Kunst»– mit Malerei, Bildhauerei und Architektur – und der seit derMitte des 19 Jahrhunderts neu konstituierten Synthese des«Kunst-Gewerbes». Eine qualitative Kluft zwischen demsozialen Raum zur Selbstentfaltung des Individuums im Ver-lauf einer Studiendauer von 6 bis 7 Jahren an den Kunstaka-demien und einer lediglich dreijährigen Schulausbildung imKunstgewerbe, vorwiegend im Zeichnen von Ornamenten,

kennzeichnete die unterschiedlichen Professionen. Mit demBeginn der «modernen Bewegung» 1896 sollte daher einneues, ganzheitliches Kunstverständnis angestrebt werden.6

Deren führende Protagonisten, Peter Behrens oder RichardRiemerschmid, hatten in der Regel in den 1880er Jahren aneiner Kunstakademie Malerei oder Bildhauerei studiert undarbeiteten nun in dem sich öffnenden kulturellen Raum in denMedien Architektur (z.B. Behrens AEG-Gebäude Berlin, Rie-merschmid Münchner Kammerspiele), in der Gestaltung vonAlltagsdingen, Industrieprodukten oder der Grafik gleicher-maßen als «angewandte Künstler». Hierzu war kein spezifi-scher Berufsabschluss, etwa «als Architekt», erforderlich.Vielmehr wurden diejenigen künstlerischen Entwürfe reali-siert, die die Zeitgenossen überzeugten. Für etwa 10 Jahresymbolisierte das Jugendstilornament als epochentypischeChiffre für diese Generation die Vision des modernen Lebens.7

Frühzeitig bemühte sich Behrens 1902 um die Einrichtungeiner Professur an der Kunstakademie München.8Dies wurdejedoch vom Kollegium mit der Begründung abgewiesen, seinArbeitsansatz sei «angewandte Kunst» und nicht zur «hohenKunst» der Kunstakademie gehörig. Diskussionsbeiträge,Schriften und Versuchsschulen sollten als Impulse die Hierar-chie überwinden helfen, blieben jedoch ohne weitertragendeWirkung. In der konkreten Utopie der kreativen Szene zur Ent-wicklung einer ästhetisch gestalteten Lebenswelt bewegtesich Gropius. – Mit der Revolution im November 1918und dem Zusammenbruch der symbolischen Ordnung des Kaiserreiches entstand eine günstige Konstellation. Sie beflü-gelte den Zeitgeist des kulturellen Aufbruchs in der Linkennach der Katastrophenerfahrung des Ersten Weltkriegs. DieVision einer «Neuen Zeit» war in der Arbeiterbewegung mitder Erfahrung von industriellen und gesellschaftlichen Moder-nisierungen in der zweiten Hälfte des 19. Jahrhunderts ent-standen. Sie schloss die Bildungsutopie einer «Kunst für alle»und Teilhabe am ästhetischen Genuss in der eigenen Lebens-welt ein.– Im November 1918 bildeten sich an denKünstlerorten schnell regionale Künstlerräte, in denen darü-ber diskutiert wurde, was die demokratische Gleichheitsfor-derung für die Entfaltungschancen der Kreativität in denkünstlerischen Professionen und damit der Künstlerausbil-dung bedeuten könnte. Blicken wir zunächst auf Weimar.

Die Neuformulierung des Künstlerhabitus durch GropiusGropius agierte 1919 im Kontext des linken und liberalen Teilsder Öffentlichkeit, die auf ein emanzipatorisches Weltbild ver-traute. Dieser Kontext ermöglichte es ihm, eine völlig neueKunsthochschule einzurichten und als Direktor mit Überzeu-gungskraft bis 1928 zu führen, trotz aller Widerstände undFliehkräfte der unterschiedlichen Impulse und Personen. SeinVerständnis war für die Institution prägend. Unter seiner Lei-tung entwickelte sich dieses Pionierprojekt schnell zu einemder kreativsten Produktionsorte von ästhetischer Modernität.Im Meisterrat wurde ein kollegiales Beratungsgremium derLehrenden geschaffen. Die Zusammenarbeit von Handwer-kern als Werkmeister und Künstlern als Formmeister, unterAufgabe des Titels Professor für einige Jahre, symbolisiertedie Abgrenzung von den Kunstakademien.9 Aufgrund derSiege der politischen Rechten bei regionalen Wahlen durchliefdas Bauhaus verschiedene Phasen. In Thüringen erfolgte 1924die Kürzung des Haushalts, wodurch Gropius mit dem erzwun-genen Neubeginn in Dessau 1925 erstmals die Möglichkeiterhielt, eigene Hochschulgebäude und Meisterhäuser alsseine Architekturmanifeste zu errichten. –Auf welches «geis-tige Rüstzeug» konnte sich Gropius stützen? Er agierte mit demHabitus einer selbstbewussten Bürgerlichkeit, die andersgerichtete Mit akteure einbezog. Erste Fähigkeiten in der prak-tischen Gestaltungsarbeit hatte er im Entwurfsbüro von PeterBehrens erworben. Die Verbindung von Kunst und Leben der«modernen Bewegung» wirkte in ihm weiter und ging in dasBauhausprojekt ein. Gropius hatte sich zudem um 1910 an denTheoriedebatten im Werkbund beteiligt. Die Strukturpro-bleme des modernen Lebens, wie sie mit der Mobilität durchdie Erfindung der Eisenbahn, des Fahrrads und Autos im Ver-kehr entstanden waren, galten als neue Herausforderung inden Städten. Auf diesen Denkhorizont der modernen Lebens-welt bezog sich Gropius.– Er hatte in seiner Entwurfs-arbeit an einem radikal-funktionales Architekturkonzept für dieSchuhleistenfabrik in Alfeld begonnen, sich ein eigenstän -diges Profil zu schaffen. Daher schlug ihn der Begründer derWeimarer Kunstgewerbeschule, der Belgier Henry van deVelde, zum Leiter einer neukonzipierten Hochschule vor, weshalb es bereits 1916 zu einem ersten Gespräch zwischen

WALTER GROPIUSDIE ERFINDUNG DES «KÜNSTLERGESTALTERS» UND DAS BAUHAUS

WOLFGANG RUPPERT

Der Mythos Bauhaus wirkt weiter.1 Doch auch 100 Jahre nach derGründung stehen widersprüchliche Sichtweisen einander gegen-über. Einerseits werden die aus den neuen künstlerischen Arbeits-formen entstandenen Artefakte in zahllosen Publikationen und Ausstellungen gefeiert. Andererseits dient der GründungsdirektorWalter Gropius als Ziel von Angriffen: Er sei in zu starkem Maße für

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arbeiteten sie in Zusammenarbeit mit den Köchinnen der Bau-hauskantine weiter zu Speisen und Kunst werken. In ihrerWorkshopreihe ging es um die Rolle, die Frauen* beim Spre-chen über diesen «neuen Menschen» zugedacht ist, unddarum, wie sich bestimmte Räume des Bauhausgebäudesauch heute noch als gegendert wahrnehmen lassen. –Im Zeichensaal im zweiten Obergeschoss schuf die vonAbsolvent*innen der HFBK HAMBURG gemeinsam mitFRIEDRICH VON BORRIES entwickelte Bib liothek für Gesell-schaftsdesign den Rahmen für das Symposium BAUHAUS

TRANSLATED: Die im Titel angesprochene Idee der Überset-zung meinte dabei nicht einfache Übernahme eines pädago-gischen Modells sondern vielmehr eine ständige Bewe-gung, Veränderung und Neubestimmung in jeweils unter-schiedlichen Kontexten. Die mutigen Lernexperimente desDESIGN LABORATORY in New York als Teil einer Strategie

der Bewältigung der GREAT DEPRESSION in den USA, dieSHANNAN CLARK darlegte, war dabei ebenso faszinierendwie die Radikalität, Energie und Strahlkraft der HöherenKünstlerisch-Technischen Werkstätten, bekannt als BXУTE-

MAC, die ANNA BOKOV untersuchte und im Rahmen radika-ler Massenbildungskampagnen im revolutionären Russlandbesprach. Die israelische Kunsthistorikerin AYALA LEVIN botmit ihrem Vortrag Einblicke in eine Reihe grundlegenderDesignworkshops des Architekten JULIAN BEINART, die von1961 bis 1965 in Mosambik, Ni geria, Südafrika, Rhodesienund Kenia durchgeführt wurden. Inspiriert von seinen ehe-maligen MIT-Lehrern KEVIN LYNCH und GYÖRGY KEPES warBeinart an der Entwicklung einer neuen populären Bildspra-

che interessiert, die den Übergang der afrikanischen Gesell-schaft zur postkolonialen Moderne ermöglichen sollte.Warum und wie erinnern wir diese internationalen Schul -experimente des vergangenen Jahrhunderts gerade heute?Beim ABSCHLUSSPLENUM waren sich die versammeltenKunsthistoriker*innen und Geisteswissenschaftler*inneneinig: Hier wurden Schulen als Keimzellen des Neudenkensdes Verhältnisses von Kunst, Gestaltung und Gesellschafterprobt, die Ressourcen für die gegenwärtigen Suchbewe-gungen nach alternativen Lernorten bereitstellen. Dafür, die-ses Wissen mit heutigen Initiativen, Aktivist*innen undBewegungen in Kontakt zu bringen, so waren sich die Teil-nehmer*innen einig, kann es keinen besseren Ort als dasBauhaus geben. – Als der schottische AnthropologeTIM INGOLD die Parlamen tarier* innen, Praktiker*innen, Akti-vist*innen und Forscher* innen, Studierenden und Gäste des

Festivals in der Bauhaus aula am Freitagabend versammelte,um über nichts einfacheres oder auch komplizierteres alsüber die UNIVERSITÄT als gemeinsames Gut nachzudenken,kam für einen Moment die enorme Geschäftigkeit des Festi-vals zum Stillstand. Ingold skizzierte entlang scheinbar ein-facher Prinzipien wie Wahrheitssuche, Neugier, Freiheit,Lerngemeinschaft und COMMON GOOD, was ein COMMING

TOGETHER IN DIFFERENCE, also eine MULTIVERSITY seinkönnte. – Diesen ge dank lichen Faden griffen die Ver-treter*innen der chilenischen Architekturschule CIUDAD

ABIERTA auf und gestalteten in Zusammenarbeit mit denanderen Parlamentarier* innen und zahlreichen Gästen dasAbschlussplenum der Programmlinie PARLAMENT DER SCHU-

LEN als POETISCHE PER FORMANCE. Bei einer PROZESSION

vom Bauhaus in die Dessauer Parklandschaft notierten dieTeilnehmer*innen ihre Beobachtungen und Überlegungenauf einer großen PAPIERBAHN. Die Performance kulminiertein einer Lesung auf der Bauhausbühne, bei der alle Beteilig-ten die verschiedenen Aufzeichnungen zeitgleich vortragenund damit wieder der Vielstimmigkeit Ausdruck verliehen, von der die Debatten zuvor bereits geprägt waren. –Das alte Bauhausgebäude beherbergte an diesen fünf Tagen 60Einzelveranstaltungen, über 150 Beteiligten und mehr als 1.000Besucher* innen. Ehemalige Teilnehmer*innen des BAU HAUS

LAB hatten mit ihrer Festivalarchitektur aus inein ander verwo-benen und am Raster des Gebäudes orientierten Strukturenaus farbigen Spanngurten einen Dialog zwischen der histori-schen Lernumgebung und den vielfäl tigen Aktions feldern desFestivalprogramm entworfen. Eine temporäre Architektur, die

den Respekt vor dem Erbe mit dem Austesten seiner Brauch-barkeit für eine experimentelle Lerngemeinschaft verband,und das Bauhausgebäude für die fünf Tage des Festivals zueinem quicklebendigen Lernort transformierte.1 Das internationale Masterprogramm CoopDesignResearch ist ein kooperativerMasterstudiengang der Hochschule Anhalt, der Stiftung Bauhaus Dessau undder Humboldt Universität zu Berlin

KATJA KLAUS ist wissenschaftliche Mitarbeiterin der Akademieder Stiftung Bauhaus Dessau. Ihre Arbeitsschwerpunkte liegen imBereich Pädagogik, Design und Vermittlung, seit 2016 betreut sie dieOpen Studios. Von 2005 bis 2014 war sie Referentin des Direktors. PHILIPP SACK ist wissenschaftlicher Mitarbeiter in der Akademie derStiftung Bauhaus Dessau. Er hat in Heidelberg, Lyon und Paris Kunst -geschichte, Mittlere und Neuere Geschichte sowie Museumswissen-schaften und promoviert zur Geschichte der Stock-Photography.

2120 © FOTOCOLLAGE* QUELLEN FOTOS: STIFTUNG BAUHAUS DESSAU / NATHALIE WAECHTER · MAURICIO SOSA NORENA

Dessau und wird von LUCIA TRIAS und MARIANE EL GHRAY-

CHE kommentiert, zwei Studierenden des MasterkursesCOOP DESIGN RESEARCH.1 Die performative Führung ist Teilder LIQUID WALKS, kuratiert von der Künstlerin ANGELIKA

WANIEK, in denen sich am Eröffnungsabend die internatio-nalen Teilnehmer*innen des Festivals Schule FUNDAMEN-TAL dem Bauhausgebäude nähern. In allen Räumen flim-mert es, selbst an die Nordfassade sind Fotos von moder-nen Schulprojekten aus Mexiko von 1940 projiziert, dieHANNES MEYER auf seiner Reise durch das Land dokumen-tiert hatte. – Die Studierenden bringen die filmischenZeugnisse internationaler Übersetzungen der Bauhaus-schule mit ihren eigenen Lebens- und Lernerfahrungen inKontakt. Das alte Bauhausgebäude ist wie ein Rahmen, derdiese Dialoge stimuliert. Die Eröffnungsszenerie setzt denTon für das, worum es in dem fünftätigen Festival gehensollte: ein kritisches Engagement, ein Sich-in-Beziehung-Setzen mit der historischen Lernumgebung Bauhaus aus denProblemlagen der Gegenwart. Schließlich hat sich im Bau-hausgebäude in Dessau das CURRICULUM der Avantgarde-schule materialisiert. Gleichwohl die Schule nur sechsJahre hier wirken konnte, verkörpert das Gebäude nochimmer die in Glas und Stein gebaute Überzeugung, dass

Schulen Keimzellen für die Gestaltung des Zusammenlebensin der Zukunft sind, weniger Ausbildungsstätte als Experi-mentraum. – Was wäre also heute eine Bauhaus-Schule? Wie würde sie sich der Gestaltung von Alltags-umgebungen einer globalisierten Gesellschaft zuwenden?Welche Experimente würde sie wagen, wie das Lernen inder Gemeinschaft organisieren? Und wie würde sie, imMikrokosmos Campus, neue Politiken eines sozialenDesigns umsetzen? – Das Bauhausgebäude selbstlieferte das Layout für die Programmlinien des Festivalpro-gramms: dem PARLAMENT DER SCHULEN, den Werkstät-ten der «Lernumgebung Bauhaus» zu Wissen und Materialund dem Symposium BAUHAUS TRANSLATED. Das Festival

bildete den Auftakt das Jubiläumsprogrammes der StiftungBauhaus Dessau – nicht zuletzt auch deshalb, weil die Insti-tution selbst seit Jahren ein Ort postgradualer Bildungsfor-mate für junge Professionelle und Studierende ist, dieMöglichkeiten einer «Schule» in einer Erbeinstitution aus-testen. – Im «Parlament der Schulen» kamen dreißigVertreter*innen experimenteller Kunst-, Design- und Archi-tekturschulen wie PAPER CRANE (Bangalore), RUANGRUPA

(Jakarta), CIUDAD ABIERTA (Valparaiso), CASCO ART INSTI-

TUTE (Utrecht), OPEN SCHOOL EAST (Margate) u.a. zusam-men, um Möglichkeiten und Grenzen einer Aktualisierungder pädagogischen Modelle des Bauhauses vor dem Hinter-grund ihrer jeweiligen lokalen Gegebenheiten zu diskutie-ren. Von Südamerika bis Indonesien reichte das geographi-sche, von partizipativen Planungs- und Gestaltungsprozes-sen bis hin zur fortwährenden Befragung des eigenenSta tus als Institution das thematische Spektrum der einge-ladenen Schulen. Was sie bei aller Verschiedenheit ihrerAnsätze und Ziele einte, war die Wahrnehmung einesMoments historischer Dringlichkeit: Es ging darum, die Er -rungenschaften des pädagogischen Projekts der Moder nezum einen in ihren Ambivalenzen anzuerkennen, und diesezum anderen gegen die Bedrohungen zu verteidigen, wie

sie insbesondere von nationalistischen und illiberalenpolitischen Strömungen ausgehen. Einer ausführlichenVorstellungsrunde im Plenum folgten, über die Festivaltageverteilt, Ausschusssitzungen zu den Themen PRAXIS, INSTI-

TUTION und POLITIK, bevor dann in einem Ab schluss-plenum VISIONEN FÜR EINE BAUHAUS-SCHULE DER

GEGENWART UND ZUKUNFT ent wickelt wurden.–Während der Sitzungssaal des Parlaments in der histori-schen Metallwerkstatt als Plenum mit wechselnden Spre-cher* innen fungierte, stand die historische Weberei imWerkstattflügel zeitweilig buchstäblich unter Dampf: Riesige Wolken aus Wasserdampf waberten durch denRaum, Menschen in Maler overalls hantierten mit Papp -

röhren, Zerstäubern und anderen Utensilien, um die Wolkenzu erzeugen und in Form zu bringen. Unter Anleitung vonCLEMENS WINKLER, Designer aus Zürich, erkundeten dieTeilnehmer*innen des Workshops die Möglichkeiten undGrenzen des Einsatzes von Wasserdampf als Material für Gestaltungsaufgaben – ein spielerischer Forschungs -prozess, der eher auf das poetische denn auf das praktischePotential dieses Materials abzielt. So wurden in denGesprächen unter den Beteiligten nicht nur die physikali-schen Materialeigenschaften des erzeugten Nebels erör-tert, sondern beispielsweise auch die Allgegenwart derWolkenmetapher im Technologiebereich diskutiert. NebenClemens Winkler erarbeiteten Studierendengruppen ausMANCHESTER, SHEFFIELD, EDINBURGH und NEW YORK

unterschiedlichste Versuchsanordnungen des Materialfor-schens und kommentierten so die in das Prinzip der Bau-haus-Werkstatt eingetragene Agenda des haptischen Ler-nens. Und schließlich debattierten die Alumni des BAU-

HAUS LAB, eines postgradualen Bildungsprogramms derStifutng im Bereich der GLOBAL MODERNISM STUDIES, ihrein dem dreimonatigen Forschungs- und kuratorischen Pro-zess unternommenen Objekt-Lektionen. – Dergegenüberliegende historische Vorkursraum wurde zum

Schauplatz für Formate, die sich kritisch mit den gängigenBegriffen von Wissen, seinem Erwerb und seiner Gültigkeitbeschäftigten. In Anlehnung an die pädagogische Innova-tion des Vorkurses ging es bei den in diesem Raum angesie-delten Formaten um Praktiken des Verlernens, um das Neu-Begreifen gestalterischer Praxen von den Grundlagen an.Die Festebene mit Aula, Bühne und Kantine schließlich botRaum für Aktionen, die sich mit dem ambivalenten Funda-ment der Bauhauspädagogik auseinandersetzten: derSchaffung eines neuen Menschen. Auf die blinden Fleckendieser Erzählung wiesen SEPAKE ANGIAMA und CLARE

BUTCHER mit ihren Gästen hin. In der Kantine nahmen sieeinige der Tische in Beschlag, schälten Kartoffeln und ver-

FESTIVAL SCHULEFUNDAMENTALEINE BAUHAUS-SCHULE AUF ZEITBeim Flechten ihrer textilen Skulpturen berichtet die Künstlerin RuthAsawa über ihre Lernerfahrung bei Josef Albers am Black MountainCollege. Der Film läuft in der historischen Weberei im Bauhaus gebäude

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Bauhaus im Nachkriegseuropa als Moderne zu beerben sei.– Als auf dem Höhepunkt der internationalen Studen-tenproteste 1968 die Ausstellung «50 Jahre Bauhaus» eröff-nete und Gropius eine Rede an die gegen die Schließung derHfG protestierenden Studenten hielt, sich nicht um Politik,sondern um ihre Expertise als Gestalter einer neuen Ästhetikzu kümmern, traf dies auf wenig Sympathie.8 MusealisiertesBauhaus traf auf lebendige Nachfolginstitution. Die kultu-rellen Orientierungsnöte und Generationenkonflikte derwestdeutschen Nachkriegsgesellschaft, in die das Ringenum die kulturelle Einordnung des Bauhaus eingebettet war,wurden hier öffentlich ausgetragen.

DESIGN FÜR DIE UNABHÄNGIGKEIT: NID Zwei Jahre bevor Otl Aicher seine Reise nach Indien unter-nahm, hatten Charles und Ray Eames im Auftrag des Präsi-denten des jungen unabhängigen Indiens, JawaharlarNehru, und gefördert von der amerikanischen Ford Founda-tion 1958 den «India Report» vorgelegt.9 Der heute alsGründungs dokument des National Instituts of Design gel-tende Bericht sollte Bedingungen und Möglichkeiten einer

modernen Designbildung im unabhängigen Indien untersu-chen. Die Modernisierungsagenda Nehrus schloss aucheine aktive Design- und Architekturpolitik ein. MassiveInfrastrukturprojekte, der Ausbau der großen Industrie,die Förderung moderner Bildungseinrichtungen – all dieswar Teil der staatlichen Fünfjahrespläne, mit denen einmodernes Indien seine koloniale Vergangenheit hinter sichlassen wollte. – Ähnlich der HfG Ulm war auch dasNID von Beginn an als globale Plattform der Designausbil-dung konzipiert. Der Aufbau des NID als erste moderneGestaltungsschule in Indien unterstützten internationaleFachleute wie Louis Kahn, Charles und Ray Eames, Ale-xander Girard, George Nakashima, Hans Gugelot derenBeratertätigkeit großzügig von der amerikanischen FordFoundation gefördert wurde. Zugleich – und das haben dieEames in ihrem Report herausgestellt – besaß Indien abereine eigene Kultur der Gestaltung von Dingen des alltägli-chen Gebrauchs: Der Lota, ein aus Ton gefertigtes Wasser-gefäß, wurde zur Metapher dieser von den Eames nichtohne einen gewissen Exotismus bewunderten Kultur desFormgebens. So hatte das National Institute of Design vonBeginn gleich zwei Aufgaben zu erfüllen: Auf der einenSeite sollte es Motor für ein modernes industrielles Pro-duktdesign werden; zugleich sollte es aber auch an der För-derung und Verbesserung der lokalen «Cottage industries»mitwirken. Im Curriculum des neuen Instituts waren des-halb die sogenannten «craft documentations», Feldstudiender Studierenden zu lokalen Handwerkskulturen, fest ver-ankert. – Allerdings war dies ein schwieriges Unter-fangen auch und gerade deshalb, weil sich das NID alspostkoloniales Design Institut verstand, das konsequentvom kolonialen Projekt des «Craft improvements» Abstandnahm. «Design» sollte sich als moderne Profession inner-halb der Bedingungen des Konsumgütermarktes in Indienentwickeln.10 Der sowohl an der HfG als auch am NID

lehren de Kumar Vyas sprach von einem postkolonialenDesign diskurs, in dem das westliche internationale Nach-kriegsdesign eine Ressource neben anderen darstellte,dessen Kern es jedoch war, landes eigene präkolonialeDesign-Praktiken auszubilden.11 – Insofern war dieAusgangslage der beiden Pionierinstitutionen modernerDesignbildung äußerst unterschiedlich: Das NID als Flagg -schiff eines neuen Indiens sah sich mit der Aufgabe konfron-tiert, einkommensschwache Konsumenten aus der zumeistländlich geprägten Bevölkerung in das Design-Denken zuintegrieren und zugleich den Dynamiken einer an der Indus-trialisierung orientierten Modernisierung zu entsprechen.Die Ulmer Hochschule dagegen rang um ein Verhältnis zwi-schen Konsumismus und moralischen Ansprüchen an dieGebrauchsgüterproduktion im «Wirtschaftswunder» einerunaufhaltsam wachsenden Konsumgesellschaft.12 Es sindalso völlig konträre Problemhorizonte, vor deren Hinter-grund die beiden Schulen nach Konzepten einer zeitgemä-ßen Designausbildung suchten. Doch gerade das UlmerInstitut bot für das NID eine Alternative gegenüber denkolonialen Hinterlassenschaften an.

NACHSATZWährend die Ulmer Hochschule den Zerreißproben seinerGegenwart um 1968 nicht mehr standhalten konnte, ver folgte das NID weiterhin die in den Gründungsjahren formulierte Designagenda. Die 1979 im National Institut ofDesign Ahmedabad veranstaltete internationale Konferenz«Design for Development» bildete den Höhepunkt diesesDesign diskurses, der Abstand vom hegemonialen west -lichen De sign paradigma nehmen wollte. Im Kontext west -licher Ex porte von Modernisierungsmodellen in die Entwick-lungsländer suchte man nach alternativen Praktiken füreinen wirt schaftlichen und sozialen Wandel. In Ahmedabadsprachen sich die internationalen Delegierten für ein post-koloniales Verständnis von Design aus. Man wollte sich nunvon der westlichen Hegemonie, die Design mit formalenästhe tischen Wertvorstellungen verband, loslösen und sichstattdessen vernakulären und «appropriate technologies»ausgerichteten Gestaltungsweisen von Gebrauchsgegen-ständen zuwenden. – Mit der Ahmedabad Declara-tion, so Alison Clarke, formierte sich nun eine «alternativedesign movement underpinned by theories of anthropo-logy, intermediate technology, development studies andNeomarxist critique of Western consumer culture».13 Hattesich das National Institute of Design von seinem, wie esSaloni Mathur nennt, «problem-solving spirit of the Neh-ruvian era» verabschiedet, zu dem auch seine Allianz mitdem Ulmer Institut gehörte? Wenn heute die die Ahmeda-bad Declaration im Designdiskurs zum Social Design undCritical Design eine Neubewertung erfährt, dann haben dieKonversationen und Missverständnisse zwischen diesenbeiden für die Nachkriegsmoderne so einflussreichen Campizu diesem Paradigmenwechsel entscheidend beigetragen.

1 Otl Aicher: «Voraussetzungen der Erschließung 1960», Nachlass Otl Aicher Ai.Az.2074 Nr.1.98, S.19, HfG- Archiv/Ulm Museum. 2 Sarah Williams Goldhagen &Rejean Legault (Hg.): Anxious Modernisms, MIT Press, Cambridge 2002. 3 PaulBetts: «Das Bauhaus als Waffe im Kalten Krieg. Ein Amerikanisch-Deutsches JointVenture», in: Philip Oswalt (Hrsg.): Bauhaus Streit. 1919–2009: Kontroversen undKontrahenten, HatjeCantz, Ostfildern Ruit 2009, S. 196–213, hier: S. 206. 4Paul Betts: The Authority of Everyday Objects. A Cultural History of West GermanIndustrial Design, University of California Press, Berkely 2004, S. 170ff. 5 Ebd.6 Tomás Maldonado: «Ist das Bauhaus aktuell», in: ulm, No. 8/9, 1963, S. 5–13.7 Siehe: Asger Jorn: «Notes on the Formation of an Imaginist Bauhaus», «www.bop-secrets.org/SI/bauhaus.htm», www.bop secrets. org/SI/bauhaus.htm» (5 November2018). 8 Frederic J. Schwartz: «The Disappearing Bauhaus. Architecture and itsPublic in Early Federal Republic», in: Jeffrey Saletnik & Robin Schuldenfrei (Hg.):Bauhaus Construct. Fashioning Identity, Discourse and Modernism, RoutledgeChapman & Hall, London 2009, S. 61–82, hier: S. 79. 9 Der India Report vonCharles und Ray Eames aus dem Jahr 1958 steht im Research Archive der Edition«www.bauhaus-imaginista.org/editions/5/moving-away» Moving Away dieses On-line Journals kostenfrei zum Download bereit. 10 Farhan Sirajul Karim: «MoMA,the Ulm and the development of design pedagogy in India», in: Shanay Jhaveri &Devika Singh (Hg.): Western Artists and India. Creative Inspirations in Art and De-sign, The Shoestring Publisher, London 2013, S. 122–139, hier: S. 132; auch kos-tenfrei abrufbar im Research Archive der Edition «www.bauhaus-imaginista.org/editions/5/moving-away» Moving Away dieses Online Journals. 11 H. KumarVyas: «Design History. An Alternative Approach», in: Design Issues, Vol. 22, No.4, Autum 2006, S. 28. 12 Karim: «Moma, the Ulm and the development of desginpedagogy in India», 2013, S. 132. 13 Alison Clarke: «Design for DevelopmentICSID and UNIDO. The anthropological turn in the 1970th Design», in: Journalof Design History, Vol. 29, No. 1, 1 February 2016, S. 43–57, hier: S. 46. 14 DerBeitrag geht zurück auf Forschungen im Rahmen des Bauhaus Lab 2017 «BetweenChairs. Design Pedagogies in Transcultural Dialogue»

REGINA B ITTNER (Dr.phil.) studierte Kulturwissenschaften undKunstgeschichte an der Universität Leipzig und promovierte am Insti-tut für Europäische Ethnologie der Humboldt-Universität zu Berlin. AlsLeiterin der Akademie der Stiftung Bauhaus Dessau ist sie für die Kon-zeption und Lehre der postgradualen Programme für Architektur- undModerneforschung verantwortlich. Sie kuratierte zahlreiche Ausstel-lungen zur Architektur-, Design- und Kulturgeschichte der Moderne.Seit 2009 ist sie stellvertretende Direktorin der Stiftung Bauhaus Des-sau. Zu ihren Arbeitsschwerpunkten in Forschung und Lehre gehören:global modernism studies in Architektur und Design, Moderne undMigration, Kulturgeschichte der Moderne und Heritage Studies.

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Konzeption der Koexistenz ins Gespräch gebracht.… Es hatdie Gewaltlosigkeit konzipiert, die Idee der dritten Kraft,der Bündnisfreiheit gegenüber den Machtblöcken. … SeinWeg der Entlassung aus dem Kolonialismus war Beispielfür eine ganze Reihe von Staaten. Es hat politische Persön-lichkeiten von ungewöhnlicher moralischer Autorität her-vorgebracht: Gandhi und Nehru. Obwohl es eine spekula-tive Behauptung ist, spricht einiges dafür, dass wir ohneIndien heute in einer massiven Auseinandersetzung zwi-schen Ost und West stünden.»1 – Otl Aichers Berichtüber seine Indienreise 1960 mit dem seltsamen Titel«Voraussetzungen der Erschließung» ist ein faszinierendesDokument der Stimmungslage einer Generation, die Natio-nalsozialismus und Krieg erlebt hatte und mit Sorge diegeopolitischen Spannungen des Kalten Krieges beobach-tete. Es ist ein Bericht über die wirtschaftliche, soziale,politische und kulturelle Situation des Landes, nicht freivon Exotismen und doch zugleich voller Sympathie für dasModernisierungsstreben des Subkontinents. Von heuteaus lesen sich die Materialien der Reise des HfG-GründersOtl Aicher wie die Ouvertüre zu einer Zusammenarbeitzwischen zwei Gestaltungsschulen, welche die Nach-kriegsmoderne in Design und Architektur nachhaltig mit-bestimmten: Die Hochschule für Gestaltung (HfG) in Ulmund das National Institut of Design (NID) in Ahmedabad.– Beide Campi sind beispielhafte Plattformen desRingens um eine zeitgemäße Gestaltunghaltung, die dieDiskurse um die Moderne in Architektur und Design der1950er und 1960er Jahre generell be stimm te. Die ameri-kanische Architekturhistorikerin Sarah William Goldhagensprach von einem «Anxious Modernisms» – der Suche nachgestalterischen Positionen in einer veränderten globalenOrdnung, geprägt durch westliche Massenkonsum- undWohlfahrtgesellschaften, den Systemwettstreit zwischenOst und West und neuen Allianzen im globalen Süden.Dass man in den 1950er Jahren Abstand zur «klassischenModerne» nahm, hatte nicht nur generationelle Ursachen,sondern vor allem gesellschaft liche, wirtschaftliche und kul-turelle Verschiebungen zum Hintergrund die dem Gestaltereine neue Rolle zuwiesen.2 Neugegründete Universitätenund Hochschulen entstanden rund um den Globus als Teiljenes Versprechen moderner Gesellschaften, Bildung undsozialen Aufstieg zu ermög lichen. Im geopolitischen Kontext

von Kaltem Krieg und nationaler Unabhängigkeit bildetendie beiden Hochschulen – und eingebunden in internatio-nale Netzwerke von Experten, Institutionen und Akteuren –besondere Orte der Neu bestimmung des Verhältnisses vonDesign und Gesellschaft.

NACH DEM BAUHAUS: ULM Otl Aicher gehörte gemeinsam mit Inge Scholl und HansWerner Richter zu den Gründern der HfG Ulm. Zunächstsollte die vom Geist des Antifaschismus bestimmte Hoch-schule eine neue junge Generation von demokratisch orien-tierten, der Öffentlichkeit verpflichteten Journalisten, Aka-demikern, Kulturakteuren und Publizisten hervorbringen. DieIdee einer solchen neuen und unabhängigen Schule gingzurück auf die von Inge Scholl initiierte Volkshochschule. DieSchwester der von den Nationalsozialisten ermordetenGeschwister Scholl hatte diese als Ort der politischen De -batte und demokratischen Bildung in Ulm etabliert und mitOtl Aicher und Hans Werner Richter an einem Curriculum füreine zeitgemäße und politische «Re-Education» gearbeitet.Dank ihres breiten internationalen Netzwerkes kamen sieauch mit Max Bill, ehemaliger Bauhaus-Student, in Kontakt.Bill wurde der Direktorenposten der Schule angeboten, auchvor dem Hintergrund des kulturellen Kapitals, das seineBauhausvergangenheit und seiner Beziehung zu Walter Gropius bei den amerikanischen Alliierten besaß. Paul Bettsstellte heraus, dass das Bauhaus als kultureller Repräsen-tant einer vom Nationalsozialismus nicht kontaminiertenVergangenheit, nämlich der Weimarer Republik, eine liberaldemokratische Traditionslinie für die Neuorientierung amwestlichen Liberalismus bot.3 Insofern stellte das Bauhausfür die Gründung der HfG ein überzeugendes und kaum hin-terfragbares kulturelles Erbe dar, dass auch die Finanzierungder Schule mit Mitteln des amerikanischen Re-EducationFonds begründen half. Doch so kulturpolitisch bedeutsamderen Unterstützung für die Formierung der HfG anfangsgewesen sein mag, in seinem Curriculum, seiner Architekturund seinen Produkten rang die Schule permanent um einenzeitgemäßen Bezug zum Bauhaus. – Das von Bill ent-worfene Hochschulgebäude gilt als Modell des kooperati-ven Zusammenwohnens und -arbeitens von Studenten undDozenten und stellt Bezüge zum Bauhausgebäude in Dessauher. Auch das Curriculum steht in den Anfangsjahren noch

in der Traditionslinie des Bauhaus: So gab es auch hier eineGrundlehre – zunächst von Josef Albers (der bereits amBauhaus den Vorkurs unterrichtete) und Walter Peterhans(ehemaliger Leiter der Fotoklasse am Bauhaus) unterrichtet,und die Ausbildung fand – angelehnt an das Bauhaus – inWerkstätten statt. Aber während Max Bill einen «Artist-Designer» als kultureller Vermittler zwi schen Industrie undMarkt ausbilden wollte, dessen Aufgabe in der Gestaltungguter Formen alltäglicher Ge brauchs gegenstände als «kul-turelle Güter» bestand, nahm sein Nachfolger, der Argen -tinier Tomás Maldonado, Abstand von Bills moralischemIdealismus. Worum es ihm ging, war eine Schule, die dieaktuellen Aufgaben des industriellen Designs bearbeitenkonnte. Der Designer sollte dabei als Koordinator zum akti-ven Partner der modernen Industrie werden.4 Seine konse-quent wissenschaftliche, an rationalen Kriterien ausgerich-tete Gestaltungslehre, die Vermittlung neuester technischerKenntnisse und die Einführung von sogenannten Entwick-lungsgruppen fand international An erkennung und wurdedurch ein Netzwerk internationaler Gestalter und Theoreti-ker wie Abraham Moles, Bruce Archer, Charles Morris oderCharles und Ray Eames unterstützt.5 – In der haus -eigenen Zeitschrift ulm fragt Maldonado 1963, ob dasBauhaus noch aktuell sei. Gegenüber einem eher restau-rativen Verständnis des Bauhaus im Nachkriegsdeutsch-land forderte Maldonado «eine schonungslose Gewissens-prüfung» der Gründe, warum das Bauhaus dreimal ge schlos-sen wurde. Dabei könne ins besondere das bisher wenigbeachtete Wirken Hannes Meyers für die HfG Ulm alsVorbild gelten.6 – Die Auseinandersetzung mit demVermächtnis des Bauhaus bildet schließlich so etwas wiedas Basso continuo der Schule auf dem Kuhberg. WährendMaldonado Abstand vom «expressionistischen Bauhaus»nahm, musste sich Max Bill schon in der Gründungsphaseder Ulmer Hochschule mit Vorwürfen von Seiten der Künst-lergruppe bauhaus imaginiste auseinandersetzen. AsgerJorn wollte mit der internationalen Bewegung eines Imagi-nären Bauhauses das freie Experiment, die Ekstase desAusdrucks, die Verschwendung im Spiel befördern.7 DerBriefwechsel zwischen Bill und Jorn ist ein beeindrucken-des Dokument der Such bewegungen einer neuen Genera-tion, die mit Massenkonsum, kalten Kriegsfrontstellungenund Umweltzerstörung konfrontiert danach fragt, wie das

ULM |NIDSCHULEN DES AUFBRUCHSZWEI MODERNE CAMPI IM TRANSKULTURELLEN DIALOG

REGINA BITTNER

«Der indische Staat besteht erst seit 13 Jahren. Und schon wäredie Weltgeschichte nicht mehr denkbar ohne seinen unorthodoxenEinfluss. Indien hat im letzten Jahrzehnt mehr neue Inhalte geliefertals irgendein anderes Land. Von ihm, nicht von Russland, wurde die

Hochschule für Gestaltung Ulm (HfG)1952–1968— 1952 von der Pädagogin Inge Scholl,dem Grafikdesigner Otl Aicher sowie dem Künstler undArchitekten Max Bill gegründet, gehörte die Hochschulezu den wichtigsten Nachfolgeinstitutionen des Bauhaus.Ihre gestalterische Haltung fußte auf Wissenschaft undRationalität. Damit reagierte sie auf die kulturelle undpolitische Situation im Nachkriegsdeutschland.National Institute of Design Ahmedabad (NID)1961–heute — Im Zusammenhang mit den Moderni-sierungsplänen von Ministerpräsident Jawaharlal Nehruentstand 1961 die erste Designhochschule im unabhängi-gen Indien. Als Gründungsdokument gilt der im Auftragder Regierung von Ray und Charles Eames erstellte IndiaReport, der die Vermittlung zwischen modernem Produkt-design und lokalem Handwerk betont. Das Institut arbei-tete eng mit der HfG Ulm zusammen.

India Lounge1965 wurde Hans Gugelot, Dozent an der HfG Ulm, einge-laden, einen Sommerkurs am NID zu unterrichten. Dorttraf er Gajanan Upadhyaya und zusammen entwickeltensie die India Lounge. Die India Lounge war ein leichterStuhl aus Teakholz und gewebtem indischen Stoff. Ur -sprünglich war der Stuhl als Dreier-Sitzkombination mitpassendem Fußhocker konzipiert. Sie steht beispielhaftfür das Zusammenwirken zweier Ansätze, des System -designs der Ulmer Schule und der Low Cost Designs, demsich das Institut in Ahmedabad verpflichtet hatte.

AHMEDABADHFG

© FOTOCOLLAGE* QUELLE: ARCHIV GUGELOT / HANS GUGELOT · INDIA LOUNGE SITZGRUPPE, 1965 — FOTO: WOLFGANG SIOL

Page 13: BAUHAUS 100 - rosalux.de

Die Stiftung Bauhaus Dessau ist eine Stiftung des öffentlichen Rechts mit Sitz im historischen Bauhausgebäude in Dessau-Roßlau – und wurde in ihrer heutigen Form1994 gegründet. Sie ist ein Ort der Forschung, Lehre und experimentellen Gestaltung.— Der Bereich «Akademie» forscht und arbeitet zur Bauhaus-Pädagogik und führt Programme durch, in deren Rahmen Studierende und junge Professionelle aus verschie-denen gestalterischen Disziplinen, so z. B. dem Design und der Architektur, in der Tradition des historischen Bauhaus lernen, forschen und gestalten.

Die Bauhaus-Universität Weimar ist eine auf gestalterische und technische Bereicheorientierte Universität in Weimar, deren Ursprünge auf die 1860 gegründete Großher-zoglich-Sächsische Kunstschule und auf das 1919 gegründete Staatliche Bauhauszurückgehen. Den Rang einer Hochschule erlangte sie 1910. Ihren heutigen Namenerhielt sie aber erst 1996 . An der Universität sind ca. 4.000 Studierende immatrikuliert.— 2010 feierte die Bauhaus-Universität Weimar ihr 150-jähriges Bestehen als Kunst-schule und Hochschule in Weimar. 2019 begeht sie das 100-jährige Jubiläum des Bauhaus, das dort gegründet wurde.

BAUHAUS DESSAUSTIFTUNG BAUHAUS DESSAU · AKADEMIE

«Das Bauhaus war ideengeschichtlich eingebettet in die allgemeine Stro�mungder kulturellen Entwicklung des 19. Jahrhunderts. Mit den «Ecole de BeauxArts» in Frankreich begann (...) eine Sammlungsbewegung der Kunstausbil-dung, in die auch die der Architektur einbezogen wurde. In diesen Zusammen-hang gehören die Reformbewegungen der anderen europäischen Länder, wieetwa die «Arts and Crafts Bewegung» in England, Jugendstil und Werkbund inDeutschland, aber auch konstruktivistische Ansätze, wie etwa in Italien und denNiederlanden und den genossenschaftlichen Bewegungen in der Schweiz.Damit gab es zwar schon vor dem ersten Weltkrieg eine verstärkte Suche nachneuen Formen, die ohne historischen Rückbezug so etwas wie eine neue Sach-lichkeit zum Ziel hatten. Aber es erfolgte noch kein Durchbruch.»1

DIE HOCHSCHULEN FÜR GESTALTUNG KONTEXT BAUHAUS AUSWAHL THOMAS FLIERL / DIETER FESEKE

KUNSTGEWERBESCHULE / KUNSTGEWERBEMUSEUM1933 NEUBAU

BXУTEИH

1953–1968

1919–1933

CHICAGO

NORTH CAROLINA

NIEDERLANDE BERLIN

DESSAU

WEIMAR

ULM

ZÜRICH

TEL AVIV

MOSKAU

1920 201019301910190018901880 1940 1950 1960 1970 1980 1990 2000

BAUHAUS-UNIVERSITÄT WEIMAR

HOCHSCHULE FÜR ARCHITEKTUR UND BAUWESEN (HAB)1951– 1991

HÖHERE KÜNSTLERISCH-TECHNISCHE WERKSTÄTTEN

KUNSTSCHULE DES NORDENS · HS FÜR ANGEWANDTE KUNST · HS FÜR BILDENDE UND ANGEWANDTE KUNST

weißensee kunsthochschule berlinNEUBAU

ERSTER WELTKRIEG 1914-1918

ZWEITER WELTKRIEG 1939-1945

CHICAGO SCHOOL OF DESIGNINSTITUTE OF DESIGN

«Erst mit der Gründung des Bauhaus in Weimar 1919 – als Staatliche Hoch-schule für Gestaltung – durch Walter Gropius wird ein neuer Weg gesucht:Anstatt in die Breite und Tiefe, wie an den Universitäten, suchte Gropius eineradikale Verkürzung der Aspekte allein auf jene, die sich aus der Tätigkeit desGestaltens ergaben. Die Ausbildung wurde vom Ende her gedacht. Was mussein Gestalter können, um mit einem bestimmten Material in einem eingegrenz-ten Anwendungsfeld zeitgemäße Antworten geben zu können? Damit wurdendie traditionellen Grenzen zwischen Architektenausbildung, Handwerk undKunst überwunden.»2 «Die Ausbildung des Künstlers durfte in der modernenGesellschaft nicht mehr aufgeteilt werden auf theoretisch orientierte Aka -demien, die «freie Kunst» lehrten, und rein handwerklich orientierte Kunst ge wer - be schulen, die für den Bereich der «angewandten Kunst» zuständig waren. An einem Institut sollten sowohl die ästhetischen als auch die handwerklichenPrinzipien der neuen Zeit vermittelt werden»3 (Vorlehre, Werklehre, Baulehre).«Zudem errichtete der Begriff ‹Gestaltung› eine Grenze zu den Kunstakademienund den älteren Kunst gewerbeschulen, mit dem Anspruch, eine neue Brückezwischen gesellschaftsbezogenen künstlerischen Kompetenzen und der freien,ästhetischen Arbeit zu schaffen.»4 «Dementsprechend gab es am Bauhaus keineFachabteilungen, sondern die Studierenden lernten in den Werkstätten, wo sieden Namen und den Status eines Lehrlings hatten, die Lehrer hießen deshalb‹Meister› und nicht mehr Professor. —Ab 1923 erfolgte eine Hinwendung zurIndustrie unter dem Leitsatz: ‹Kunst und Technik – eine neue Einheit›. Mit Han -nes Meyer, wird dann ab 1927 das Lehrprogramm auf das Bauen ausgeweitet,was eine eigenständige Architektenausbildung ermöglichte. Das Bauhaus hattesich gewandelt. (...)Mit dem «Funktionalismus» (Adolf Behne, 1926) verband sichschließlich die Maxime: «Zweckmässigkeit sollte nicht mehr gefordert werdenmüssen, sollte selbstverständlich sein (...)».5

Die gesellschaftspolitischen Realitäten in Europa (Faschismus / Nationalsozia-lismus / Stalinismus) veränderten alles: die Schließung des Bauhaus 1933 durchdie Nazis. Ebenso unvermeidbar (wenn auch aus anderen Gründen) löste sichin Moskau bereits 1930 die Ausbildungsstätte BXУTEMAC auf. Ihre Bezug-nahme auf die einflussreiche «russischen Avantgarde» (ab 1920 · Ėl’ Lisickij,Rodčenko u.v.a. ) wich der neuen Orientierung des staatlich verordneten sozia-listischen Realismus. —Dennoch: die Impulse des BAUHAUS in die Welt,waren nicht mehr aufzuhalten. Andern orts – insbesondere in Nordamerika –waren Anfang der dreißiger Jahre Voraussetzungen gegeben, die europäischenAusbil dungs erfahrungen fortzusetzen bzw. fort zu schrei ben – sowohl in der Verbreiterung der Ausbildungsdisziplinen als auch in der Kombination mit neuesten wis senschaft lichen Erkenntnissen (Interdisziplinarität). Zahlreiche«Bauhaus-Emigranten» zogen in die USA und fanden – ausgestattet mit Re nommee – neue Heraus forderungen als Lehrende — wie am Black Mountain College/North-Carolina: Anni und Josef Albers, Lyonel Feininger, Xanti Scha-winsky, auch Walter Gropius — oder wie in Chicago: László Moholy-Nagy mitdem «New Bauhaus», kurzzeitig später überführt ins IIT (Illinois Institute of Technology) – eben so Ludwig Mies van der Rohe am Armour-Institute.—In Europa konnte erst nach Ende des zweiten Weltkriegs die Wiederaufnahmeder Bauhaus-Ideen an den Gestaltungshochschulen erfolgen (Ausnahme: Zürich/«neutrale» Schweiz). Dies geschah natürlich auf ganz unterschiedliche Weise, wiedie frühzeitig ge startete Hochschule für Gestaltung Ulm im west lichen Nach-kriegsdeutschland aufzeigte – mit konzeptionell substantieller Programmatik.—Fazit: «Einzelne Elemente der Bauhaus-Pädagogik – insbesondere des Vorkurses– leben an den internationalen Kunst- und Gestaltungshochschulen bis heute fort – «verknüpft mit epochentypischen Herausforderungen und Zielsetzungen, dievon den Lehrenden mit ihrem eigenem Künstlerhabitus beantwortet werden»6.Mehr noch als in bestimmten Formen und Produkten zeigt sich die Wirkung desBauhaus vor allem in den grund legenden Ideen und Methoden.»7— Unsere Aus-wahl an Hochschulen repräsentiert wenige – aber relevante Beispiele.1 Vgl. Gerhard Curdes, Vortrag bei der Jahrestagung des club off ulm am 29.09.06 in Weil am Rhein, Bauhaus und HFG – Parallelen,Unterschiede, Konfliktfelder (www.club-off-ulm.de/output/Curdes-Bauhaus-und-HFG-Parallelen-Unterschiede-Konfliktfelder-Weil-2006.pdf)2 ebenda. 3 Vgl. Freistaat Thüringen – Landesstelle für Politische Bildung (www.thueringen.de/de/lzt/index.asp?unten= http://www.thue ringen.de/ de/lzt/thueringen/blaetter/bauhaus/content.html) 4 Vgl. Wolfgang Ruppert (S. 18-19) 5 Vgl. dazu 1) 6 Vgl. dazu 4) 7 Vgl. Bauhaus – Archiv für Gestaltung, Berlin (www.bauhaus.de/de/das_bauhaus/ 81_ nach_1933/) © INFOGRAFIK* QUELLEN TEXTE: WIKIPEDIA/CEVREN · UDK WOLFGANG RUPPERT / FOTOS: BAUHAUS-ARCHIV BERLIN · HFG-ARCHIV ULM · KH HALLE · KH BERLIN-WEISSENSEE · UDK BERLIN · STIFTUNG BAUHASU DESSAU · MUSEUM FÜR GESTALTUNG ZÜRICH / VG BILD-KUNST · AKG IMAGES

BAUHAUS DESSAU ·WISSENSCHAFTLICH-KULTURELLES ZENTRUM DDR / SAMMLUNG

HOCHSCHULE FÜR GESTALTUNG ZÜRICH / ZHDKCH · ZÜRICH

AKADEMIE BRESLAUD · BRESLAU

STAATLICHE AKADEMIE FÜR KUNST UND KUNSTGEWERBE 1911– 1932

1860 GROSSHERZOGLICH-SÄCHSISCHE KUNSTSCHULE FÜR BILDENDE KUNST

BAUHAUSD · WEIMAR / DESSAU / BERLIN

G-SHF BILDENDE KUNST1910– 1919

WEIMAR DESSAU BERLIN

1920–1930BXУTEMACSOWJETUNION · MOSKAU

BLACK MOUNTAIN COLLEGEUSA · NORTH CAROLINA

1933–1957

NEW BAUHAUS CHICAGO · I ITUSA · ILLINOIS / CHICAGO

HOCHSCHULE FÜR GESTALTUNG ULMBRD · ULM

UNIVERSITÄT DER KÜNSTE BERLIN UDK

D · BERLIN

STAATLICHEN HOCHSCHULE 1946–1975

FÜR BILDENDE KÜNSTEFÜR MUSIK UND DARSTELLENDE KUNST

BURG GIEBICHENSTEIN HALLED / DDR · HALLE

KUNSTHOCHSCHULE HALLE1915– 1958

HOCHSCHULE FÜR INDUSTRIELLE FORMGESTALTUNG 1958–1989 HOCHSCHULE FÜR KUNST UND DESIGN1989–2010

KUNSTHOCHSCHULE2010–

KUNSTHOCHSCHULE BERLIN-WEISSENSEE1990–

UNIVERSITÄT DER KÜNSTE UDK2001–

HOCHSCHULE DER KÜNSTE HDK1975–2001

KUNSTHOCHSCHULE BERLIN1969-1990

HOCHSCHULE FÜR BILDENDE UND ANGEWANDTE KUNST1946–1969KUNSTHOCHSCHULE BERLIN-WEISSENSEE

DDR / D · BERLIN

NEW BAUHAUS 1937–1949

IIT · ILLINOIS INSTITUTE OF TECHNOLOGY [ INSTITUTE OF DESIGN]1949–

HOCHSCHULE FÜR GESTALTUNG / MUSEUM FÜR GESTALTUNG 1960

ZHDK2007

ZÜRCHER HOCHSCHULE DER KÜNSTE

BAUHAUS-UNIVERSITÄT WEIMAR1996–

STIFTUNG BAUHAUS DESSAU / AKADEMIE1994–

WZ GESTALTUNG1986

Die Kunsthochschule Berlin-Weißensee wurde 1946 in Berlin-Weißensee gegründet. 1947 erfolgte die staatliche Anerkennung als Kunsthochschule durch die sowjetische Militäradministration und die Umbenennung in Hochschule für angewandte Kunst.1950 wurdeMart Stam Direktor der Kunsthochschule und begründete das fächerübergreifende Grundlagenstudium. Stam blieb Direktor der Hochschule bis 1952. Die Hochschule bezog im Jahr 1956 eigens für ihre Bedürfnisse hergerichtete Gebäude in der damaligen Straße 203(frühere Schokoladenfabrik) – Architektenteam: Selman Selmanagič, Peter Flierl, Erwin Krause und Günther Köhler. In Kunsthochschule Berlin wurde sie 1969 umbenannt. Eine Besonderheit ist das für alle Studierenden verbindliche Künstlerische Grundlagenstudium,das an die Tradition des Bauhaus anknüpft — Bedeutende Lehrende / Studierende: Theo Balden, Axel Bertram, Dieter Goltzsche, Rudolf Grüttner, Waldemar Grzimek, Heinz Hirdina, Daniel Libeskind, Arno Mohr, Gabriele Mucchi, Selman Selmanagič, Werner Stötzer,Klaus Wittkugel, Walter Womacka – Georg Baselitz, Karl Clauss Dietel, Bert Neumann, Einar Schleef.

Die Burg Giebichenstein Kunsthochschule Halle (Burg Halle) ist die 1915 gegründete Kunsthochschule in Halle an der Saale. Die heutige Burg Giebichenstein Kunsthochschule Halle geht auf die Gewerbliche Zeichen- und Handwerkerschule der Stadt Halle zurück.Diese Schule entstand 1879 aus der Vereinigung der seit 1852 bestehenden Provinzial-Gewerbeschule Halle und der seit 1870 bestehenden Gewerblichen Zeichenschule. Nach Auflösung des Bauhaus in Weimar im Jahr 1925 kamen zahlreiche ehemalige Bauhäuslerals Lehrende an die «Burg», unter ihnen Marguerite Friedlaender, Gerhard Marcks, Hans Wittwer, Charles Crodel und Erwin Hahs. Der Bildhauer Gerhard Marcks bekleidete von 1928 bis 1933 das Amt des Direktors.– In der Nachkriegszeit wurde die «Burg» als Kunstschulewiederaufgebaut. Unter Direktor Walter Funkat wurde 1958 der Grundstein für die Hochschule für industrielle Formgestaltung gelegt, die bis 1989 eine der einflussreichsten Ausbildungsstätten für Designer und Künstler in der DDR war.— Heute ist sie eine der größtenKunsthochschulen in Deutschland. — Bedeutende Lehrende / Studierende: Erich Consemüller, Hanns Hopp, Benita Koch-Otte, Johannes Niemeyer, Johanna Schütz-Wolff, Paul Thiersch, Gustav Weidanz, Jochen Ziska, Rolf Frick, Helmut Brade, Dieter Hofmann.

An der 1696 gegründeten «Akademie der Künste Berlin» wurde 1875 eine Hochschule der bildenden Künste eingerichtet. 1903 erhielt diese mit der Hochschule für Musik einen gemeinsamen Campus in Charlottenburg. Seit 1867 diente die Unterrichtsanstalt des Kunstgewerbemuseumsals Schule für Musterzeichner. Nachdem 1918/19 auch in Berlin die Reform der Künstlerausbildung diskutiert wurde, konnten 1924 die «Vereinigten Staatsschulen» (VS) mit den Abteilungen Architektur, bildende Kunst und angewandte Kunst mit Bruno Paul als Direktor gebildetwerden. Quer dazu liegende «Ergänzungsfächer», Werkstätten und wissenschaftliche Vorträge integrierten alle Studienrichtungen. Nach einer «Säuberung» 1933 erfolgte der Rückbau im Sinne der NS-Kunst, 1945 ein demokratischer Neubeginn als HfbK unter Karl Hofer. 1975 wurdenin der Hochschule der Künste alle Ausbildungsrichtungen der ästhetischen Professionen zusammengeholt. Die 1996 gebildete Fakultät Gestaltung versammelte – begrifflich in Anlehnung an das Bauhaus – Architektur, Produktdesign, Visuelle Kommunikation, Gesellschafts- undWirtschaftskommunikation. Bedeutende Lehrende waren: Anton von Werner, Wilhelm Gerstel, Emil Rudolf Weis, Edwin Scharff, Oskar Schlemmer – später: Herbert W. Kapitzki, Hans Röricht, Georg Baselitz, Valie Export, Katharina Sieverding, Rebecca Horn, Vivienne Westwood.

Die Hochschule für Gestaltung Ulm (HfG Ulm) wurde 1953 von Inge Aicher-Scholl, Otl Aicher, Max Bill u.w. in Ulm gegründet und bestand bis 1968. Sie gilt als die international bedeu tendste Design-Hochschule nach dem Bauhaus. International genoss sie einen hervor-ragenden Ruf und war Wegbereiter und Vorbild sowohl für künftige Design-Studiengänge an Hochschulen für Gestaltung als auch für das Berufsbild des Designers. — Am 1. April 1953 wurde Max Bill (Bauhausschüler) erster Rektor der neu gegründeten Hochschule –später ab 1962 folgte Otl Aicher. Die Bauten der Hochschule für Gestaltung gehören zu den bedeutendsten der frühen BRD und knüpfen mit ihrer «Konkreten Architektur» an die Tradition des Bauhaus an. Die Fachgebiete waren: Produktgestaltung, Visuelle Kommunikation,Bauen, Information und Film. Nach Entwürfen von Max Bill entstand der Campus (1955) – ganz in der Tradition des Bauhaus. 1958 erschien die erste Ausgabe der HfG-Zeitschrift «ulm», die bis zum Ende der Hochschule herausgegeben wurde. — Die für die Schließungausschlaggebenden (politischen) Ursachen im CDU-geführten Baden-Württemberg sind heute umstritten. Die Geschwister-Scholl-Stiftung stellte den Betrieb der Hochschule zum 31. Dezember 1968 ein. — Bedeutende Lehrende: Josef Albers, Bruce Archer, Gui Bonsiepe,Hans Gugelot, Johannes Itten, Herbert W. Kapitzki, Alexander Kluge, Helmut Lachenmann, Beate Mainka-Jellinghaus, Tomás Maldonado, Josef Müller-Brockmann, Walter Peterhans, Edgar Reitz, Claude Schnaidt, Nicolaus Sombart, Friedrich Vordemberge-Gildewart.

Das IIT Institute of Design wurde 1937 von László Moholy-Nagy als New Bauhaus gegründet. Kurz nach Schließung wurde es 1939 unter neuem Namen als Chicago School of Design wieder eröffnet.— DasIllinois Institute of Technology (Technische Universität in Chicago) entstand 1940 unter diesem Namen aus der Vereinigung des Armour Institute of Technology, gegründet 1893, und dem Lewis Institute, gegründet1895. Das Gelände des IIT im Süden von Chicago war der erste derartige Campus in den USA gewesen und wurde 1938 von Ludwig Mies van der Rohe entworfen und realisiert. Bis heute gilt der architektonischeEntwurf als beispielhaft. — Die Ausbildungs fächer sind u.a.: Mathematik, Ingenieurwesen, Architektur, Psychologie, Kommunikationswissenschaften, Wirtschaft und Recht. Bedeutende Lehrende und Studie-rende u.a.: László Moholy-Nagy, Ludwig Mies van der Rohe, Harry Callahan, Leon Max Lederman, Karl Menger – Marvin Camras, Martin Cooper, Hans Hollein, Helmut Jahn, Grote Reber, Susan Solomon.

Das Black Mountain College wurde 1933 in der Nähe von Asheville, North Carolina gegründet und bestand bis 1957. Es war Ende der 1940er Jahre die führende Institution zur interdisziplinären Ausbildung vor-wiegend (aber nicht ausschließlich) künstlerischer Fachrichtungen. Am Black Mountain College sammelten sich unter anderem einige Lehrende aus dem Bauhaus nach ihrer Emigration aus Deutschland (Walter Gropius, Lyonel Feininger, Anni/Josef Albers, Alexander Schawinsky). Folgende Fachrichtungen wurden gelehrt: Bildende Kunst, Theater, Literatur, Musik, Architektur, Geschichte, Physik, Ökonomie. — Bedeutende Lehrende: Richard Buckminster Fuller, John Cage, Merce Cunningham, Willem de Kooning, Robert Motherwell, Charles Olson, Ben Shahn, Cy Twombly, Stefan Wolpe – Gastdozenten: Albert Einstein,Clement Greenberg, William Carlos Williams — Studierende: Ruth Asawa, Robert De Niro Sr., Arthur Penn, Robert Rauschenberg, Dorothea Rockburne, John Wieners, Vera B. Williams.

In Folge der Oktoberrevolution (1917) wurden Staatliche Freie Kunstwerkstätten (svomas) gebildet – u.a. in Sankt Petersburg, Kasan, Saratow, Odessa, Charkow und Witebsk. Die BXУTEMAC (Höhere Künstle-risch-Technische Werkstätten) in Moskau war eine von 1920 bis 1930 bestehende staatliche Kunsthochschule in Moskau – hervorgegangen am 19.12.1920 per Dekret der Sowjetregierung. Sie hatte sich den Ideender russischen Avantgarde verschrieben. Von 1927 bis 1930 wurde sie geführt als BXУTEИH. Das Besondere dieser neuen Werkstätten war die Verbindung der Schönen Künste – Malerei und Bildhauerei – mit densogenannten Produktionskünsten – Architektur, Druckgewerbe, Metall- und Holzbearbeitung, Textil und Keramik. Die künstlerisch-technischen Werkstätten waren in Zielsetzung, Aufgabenbereich und Organisation demim gleichen Zeitraum bestehenden Bauhaus vergleichbar. — Im Zuge der Zurückdrängung der Avantgarde (sozial. Realismus) wurde sie 1930 aufgelöst. Bedeutende Lehrende/Studierende: Robert Falk, Anna Golubkina,Vasilij Kandinskij, Michail Lifšic, Ėl' Lisickij, Ivan Leonidov, Konstantin Mel’nikov, Ljubov’ Popova, Aleksandr Rodčenko, Varvara Stepanova, Vladimir Tatlin.

Das Staatliche Bauhaus wurde 1919 von Walter Gropius in Weimar als Kunstschule gegründet. Es entstand am 12. April 1919 aus der Vereinigung der Großherzoglich-Sächsischen Hochschule für Bildende Kunstin Weimar und der 1915 aufgelös ten Kunst gewerbeschule Weimar. Nach Art und Konzeption war es damals etwas völlig Neues, da das Bauhaus eine Zusammenführung von Kunst und Handwerk darstellte. —Das historische Bauhaus (1919 bis 1933) nimmt in der Reihe der Kunstschulen eine Sonderstellung ein. Seine Exklusivita� t und Programmatik weiteten die Perspektive fü� r die moderne Architektur und Kunst. Es gilt heute als die einflussreichste Bildungsstätte im Bereich der Architektur, der Kunst und des Designs im 20. Jahrhundert. Der Deutsche Werkbund gilt als Vorläufer und Begleiter – zugleichen wurde es beein-flusst von zeitgleichen Strömungen und Institutionen wie De Stijl (Niederlande) und BXУTEMAC Moskau. — Bedeutende Lehrende / Studierende: Hannes Meyer, Ludwig Mies van der Rohe – Anni u. JosefAlbers, Marianne Brandt, Marcel Breuer, Lyonel Feininger, Johannes Itten, Vasilij Kandinskij, Paul Klee, László Moholy-Nagy, Georg Muche, Walter Peterhans, Oskar Schlemmer, Joost Schmidt, Gunta Stölzl u.v.a.

Die Staatliche Akademie für Kunst und Kunstgewerbe in Breslau ging aus der am Kaiserin-Augusta-Platz bereits 1791 gegründeten Königlichen Kunst- und Gewerbeschule hervor. Infolge der 2. PreußischenNotverordnung wurde die Akademie am 1. April 1932 geschlossen. Nach der Schließung wurde der Unterricht in Meisterateliers für rund ein Jahr weitergeführt. Ihr erster Direktor (1903) war Hans Poelzig, unterdem die Königliche Kunst- und Gewerbeschule den Rang einer Akademie erhielt und seit 1911 Königliche Kunst- und Gewerbeakademie hieß. — Bedeutende Lehrende/Studierende: Emil Bartoschek, August Endell, Gertrude Daubert, Johnny Friedlaender, Gerhart Hauptmann, Georg Paul Heyduck, Willy Jaeckel, Hans Leistikow, Otto Mueller, Ernst Ludwig Molzahn, Otto Mueller, Georg Muche, Otto Mueller, Herbert Sandberg, Hans Scharoun, Oskar Schlemmer.

Die Zürcher Hochschule der Künste ging aus der 1878 gegründeten Kunstgewerbeschule der Stadt Zürich hervor und hat eine hat eine lange Geschichte von Wandlungen. Sie hatte ihren Sitz im 1933 errichteten Gebäude von Adolf Stegerund Karl Egender, wie auch das Museum für Gestaltung. Zuletzt fusionierten 2007 die Hochschule für Gestaltung und Kunst (HGKZ) und die Hochschule für Musik und Theater (HMT). Allein das Departement Design gliedert sich in siebenFachrichtungen, in denen gelehrt und geforscht wird. Im Herbst 2014 wurde ein neuer Campus auf dem Toni-Areal in Zürich-West bezogen. — Angegliedert sind das Museum für Gestaltung Zürich. Diese ist aus dem 1875 gegründeten Kunst-gewerbemuseum der Stadt Zürich hervorgegangen. 1933 bezogen das Museum und die Kunstgewerbeschule das inzwischen denkmalgeschützte Gebäude. Es gilt als eines der herausragenden Beispiele moderner Schweizer Architektur. —Bedeutende Lehrende/Studierende: Sophie Taeuber-Arp, Johannes Itten, Hans Finsler, André Gelpke, Stefi Geyer, Hansjörg Mattmüller, Serge Stauffer, Robert Haussmann – Ruedi Baur, Max Bill, René Burri, Maria Eichhorn, Hans Falk, AdrianFrutiger, Augusto Giacometti, HR Giger, Markus Imboden, Richard Paul Lohse, Urs Lüthi, Doris Stauffer, Tika, Oliviero Toscani

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waren. Eine andere Konzeption wurde fast zeitgleich, aberam anderen Ende der Welt von Henry George formuliert, derin seinem erfolgreichen Buch «Fortschritt und Armut» dasBodenmonopol weniger kritisierte und forderte, die Boden-rente zugunsten der Gemeinschaft zu erheben und gleichzei-tig alle anderen Steuern abzuschaffen. Frank Lloyd Wrightübersetzte mit «Broadacre City» Georges sozioökonomischeKonzeption in eine städtebauliche Vision. Mit seinem Single-Tax-Konzept stellte Henry George eine gesellschaft-liche Frage, die nichts von ihrer Aktualität verloren hat: Wol-len wir in einer Gesellschaft leben, die hauptsächlich Arbeitund durch Arbeit hergestellte Produkte und Leistungenbesteuert? Oder wollen wir in einer Gesellschaft leben, dieden Grund und Boden – sowie die Vermögen – besteuert,die in der Regel auf ein Erbe oder auf den Erwerb diesesBodens als einer Ware zurück zuführen sind?

Im 20. Jahrhundert tauchten zwei Wellen der Bodenreform-ansätze auf, die beide Male auf einen radikalen Wandel derStadtentwicklung reagierten. Die erste Welle entstand mitder Bevölkerungsexplosion, die europäische Städte gegenEnde des 19. und zu Beginn des 20. Jahrhunderts heimsuch-ten und die mit einer zügellosen Bodenspekulation einher-ging. Aufgrund des Fehlens von städtebaulichen Regelwer-ken hatte diese Situation vor allem für die Arbeiter men-schenunwürdige Lebensverhältnisse verursacht, die CharlesDickens und Émile Zola textlich und Gustav Doré und Heinrich Zille zeichnerisch eindrücklich dokumentiert haben. Die Antworten darauf wurde von den moderatesten bis hinzu den radikalsten Bodenreformern sowie von Anarchistenund Kommunisten gegeben. Es darf auch nicht unterschlagenwerden, dass auch Nationalsozialisten die Nationalisierungdes Bodens forderten, um diesen sowie durch Kriege gewon-nenen neuen Boden exklusiv unter Volksgenossen aufzu -teilen. – Unter den Bodenreformern sticht SilvioGesell hervor, dessen Freilandkonzeption die Kommunalisie-rung des Bodens forderte, während die Gebäude privat ver-bleiben sollten. Gesell verbindet nicht nur die Rolle desBodens mit dem Geldsystem – die Kommerzialisierung desBodens ist tatsächlich unökonomisch –, er hebt auch dieökologische Bedeutung eines gemeinschaftlich behandeltenBodens hervor. Dank diverser Schriften und Initiativen vonBodenreformern wie Gesell, Rudolf Eberstadt oder AdolfDamaschke sind nach dem Ersten Weltkrieg zahlreichegemeinnützige Wohnungsbauten entstanden, mit den

Superblocks und Siedlungen, an denen auch Akteure ausdem Dunstkreis des Bauhaus mitwirkten. Die Anarchistenbanden hingegen den Status des Bo dens an seine Kultivie-rung. Wenn Michail Bachtin bereits gefordert hatte, dassdie Erde nur jenem gehören sollte, der sie kultiviert, so verlangten die Anarchisten der 1920er und 1930er Jahre,dass jeder erst seinen Garten für sich und die Gemeinschaftbestellt, bevor er darauf ein Haus setzen darf. –Die zweite Welle der Bodenreformbewegung schwapptnach dem Zweiten Weltkrieg im Zuge der Wiederaufbauan-strengungen auf. Obwohl viele Städte sehr zerstört wordenwaren, hatten sich zumindest im Westen die Besitzständetatsächlich nicht geändert. Während liberale und konserva-tive Politiker privates Eigentum an Boden zu schützen such-ten (was sie seit dem Ende des 19. Jahrhunderts als heiligansahen), wollten deutsche Sozialdemokraten wie Hans-Jochen Vogel in städtischen Gebieten, die einem hohen Ent-wicklungsdruck unterlagen, den Grund und Boden in öffent-liches Eigentum überführen. Vogel konnte sich auf Hans Ber-noulli, den Autor des programmatischen Buchs «Die Stadtund ihr Boden», berufen, der unter Einfluss Gesells dieTrennung von Boden und Architektur propagierte, vor allemum einen kohärenten und sozial verträglichen Städtebau zubetreiben. Ähnliche An sätze wurden in den 1960er Jahrenbereits in Italien verfolgt. – Nach der neoliberalenWende der 1980er Jahre begannen etliche Gemeinden,ihre Liegenschaften zu verkaufen, einerseits ideologischmotiviert, da der freie Markt in dieser Logik besser mit Geldumzugehen vermöge als die öffentliche Hand und da sich inihm die Wohnungsfrage von allein lösen würde, anderer-seits – und das besonders nach der schweren sogenanntenBanken- und Finanzkrise von 2008 – um ihre Haushalteauszugleichen, mit allen bekannten deutlich negativenAuswirkungen auf die Entwicklung der Städte. Berlin hatbeispielsweise nach der Vereinigung über rund die Hälfteseines baureifen Grund und Bodens verfügt. Das meiste istdavon an die Meistbietenden verkauft worden, egal, wasdiese damit vorhatten. Wie Vogel bereits 1972 feststellte:Von alleine regelt sich die Wohnungsfrage mitnichten. – Seit wenigen Jahren bahnt sich nun eine neueWelle der Bodenreformbewegung an, auch angesichts dersich verschärfenden Situation auf dem Wohnungsmarkt inden europäischen Großstädten. Diese Welle ist wenigerideologisch aufgestellt, was damit zu tun hat, dass sich dieklassischen Ideologien auflösen und auch, weil das Teilen

und der Verzicht auf Eigentum immer mehr zum Lifestylewird.– Und die Architekten? Sie schaffen meistensnur eine Illusion des Politischen. So hatte sich beispiels-weise Bernoulli gewundert, dass der Leser von Le Corbu-siers Städtebau bis zur fünftletzten Seite warten muss, umzu erfahren, dass der Boden enteignet werden soll, wobeisein gesamter Städtebau ohne kommunalisierten Bodennicht vorzustellen sei. Es gibt tatsächlich einige Stadt -konzeptionen, die explizit auf einem vergemeinschaftlichenBoden entstehen sollten: Wrights Broadacre City, GarniersCité industrielle, Sorias Bandstadt, natürlich die Projekteder sowjetischen Architekten wie Leonidovs Magnitogorsk.In einem kleineren Maßstab muss Hannes Meyers Freidorfgenannt werden, die französischen Grands Ensembles, dieangesprochenen Ge nossenschaften in Deutschland, Öster-reich und der Schweiz. Fast die gesamte InternationaleBauausstellung Berlin 1979–1984/1987 war im Erbrecht-verfahren entstanden. Für die Architektur stellt sich dieFrage, ob die Vergesellschaftung des Bodens neue Architek-turtypologien und eine neue architektonische Kultur hervor-bringt. Sicherlich macht die Integration der verschiedenstengemeinschaftlichen Funktionen den Wohnungsbau hybrider.Auch wird der Garten als Gemeinschaftsraum wesentlicherBestandteil der Architektur, was von den Anarchisten aberauch von dem Planerteam der Hufeisensiedlung – BrunoTaut, Martin Wagner, und vor allem Leberecht Migge –erkannt wurde. Durch die zeitliche Begrenzung eines Erb-pachtvertrags wird auch die Recycle- und Umnutzungs -fähigkeit eines Gebäudes an Bedeutung gewinnen.–Von einigen europäischen Städten können andere lernen.Amsterdam beispielsweise verfügt noch heute über um die 80 Prozent seines Grund und Bo dens, den die Stadt über Erb-pachtrecht vergeben hat. In der Schweiz wird dieses Instru-ment immer populärer, weil damit viel effektiver als überBebauungs- und Flächennutzungspläne soziale Stadtent-wicklung betrieben werden kann. Die Frage nach der Gestal-tung dieser Verträge ist dabei wesentlich, wie hoch der Erbpachtzins ausfällt und welche programmatischen Vorga-ben definiert werden. Diesen Fragen geht ein Buch nach,das derzeit an der Universität Luxemburg vorbereitet undEnde dieses Jahres erscheinen wird. Es wird Zeit, dass wirWohnungsbau und die Stadt nicht mehr als Ware begreifen.

FLORIAN HERTWECK ist Architekt und Professor an der Universität Luxemburg, wo er den internationalen Masterstudiengang «Archi-tecture, European Urbanism and Globalization» leitet.

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im Laufe der 1920er Jahre immer mehr einer der Gesell-schaft dienenden Rolle. Die nunmehr dominierende NeueSachlichkeit, die die Industrie in die Synthese von Kunst undKunsthandwerk integrierte, manifestierte die soziale Funk-tion von Kunst und Architektur. In diesem Sinn sollten dasKunstwerk und das Bauwerk seine Autonomie verlieren undin der Logik von industrieller Standardisierung hergestelltwerden. Damit wurden aber Objekte wie das Haus am Hornoder die Teppiche und Teekannen immer mehr zur handel -baren Ware. Der soziale Anspruch der zweiten Phase desBauhaus, den Lebensstandard der Bevölkerung durch diemassenweise Herstellung und Verbreitung von gleichsamästhetischen wie nützlichen Gegenständen deutlich anzu-heben, wurde tatsächlich vom Kapitalismus absorbiert. Daswar auch eine der Kritiken der Postmoderne an die Adressedes Funktionalismus, dass er jenen Bedingungen entsprach,um zum Mainstream des Kapitals zu werden. Der zweiteDirektor des Bauhaus, Hannes Meyer, war sich bewusst, dassder sozialen Frage nur systemisch beizukommen ist. –Zu Beginn seines Buchs «Topologie der Kunst» stellt BorisGroys fest, dass Kunst vor allem eine Ökonomie gewordenist: «Die Aufgabe der Kunst besteht in Produktion, Verbrei-tung und Verkauf von Kunstwerken […]. Die Kunstwerke zirkulieren in unserer Ökonomie wie andere Ware auch imKontext der allgemeinen Warenzirkulation.» Tatsächlichsind heute nicht nur die Kunst, sondern auch Architektur,insbesondere der Wohnungsbau, und selbst die Stadt alssolche Objekte eines globalen Finanzmarkts geworden. So

meinte kürzlich der Direktor der aktuellen IBA-Stuttgart,Andreas Hofer: «Wir haben es toleriert, dass Städte eineWare geworden sind, und eine Generation von Immobilien-spezialisten ausgebildet, die sie so behandeln.» –Städte sind zur Ware geworden, weil der Grund und Boden,auf dem sie entwickelt werden, nicht als gemeinsames Gutbehandelt wird. Im Gegenteil: Ein Jahrzehnt nach der Ban-ken- und Finanzkrise, infolge derer unfassbare Mengen vonGeld in den Immobilienmarkt geflossen sind, ist der städti-sche – und landwirtschaftliche – Boden zum bedeutendenBestandteil des kapitalistischen Systems geworden, bzw.dessen, was Kritiker heute Finanzialisierung nennen. DieTatsache, dass Boden als Spekulationsobjekt gehandeltwird, trägt zweifelsohne zur Verschärfung vieler Problemebei, mit denen wir heute in den Städten konfrontiert sind:Mietenexplosion, Wohnungsnot, Gentrifizierung, Monofunk-tionalisierung ganzer Viertel, Gated Communities und Luft-verschmutzung. Die Bodenfrage ist von wesentlicher Bedeu-tung für unsere gebaute und unbebaute Umwelt. Die Art undWeise, wie der Boden aufgeteilt, verteilt und genutzt wird,bedingt Architektur, die Stadt und unser Zusammenleben.Die Bodenfrage ist tatsächlich die soziale Frage unserer Zeit.

Die Vorstellung des Bodens als gemeinschaftliches Gut,bzw. dass der Boden unter den Menschen gerecht aufgeteiltwerden sollte, ist so alt wie die Sesshaftigkeit des Men-schen. Bereits in der Bibel heißt es, «Grund und Boden darfnicht für immer verkauft werden, denn das Land ist mein und

ihr seid Fremdlinge und Beisassen bei mir.» Bei den altenGriechen wurde bei Stadtgründungen der Grund und Bodengleichmäßig unter seinen Bürgern aufgeteilt und mit derBedingung verknüpft, dass ihn keiner verkaufen durfte. Inder mittelalterlichen deutschen Stadt wurden der Bodenund das Haus voneinander getrennt: Wer den Boden besaß,durfte nicht das Haus darauf errichten. Auch hier war dieSpekulation mit Boden ausgeschlossen. Und wenn einGrundstück in der Stadt beispielsweise nach Brand nichtzügig bebaut wurde, durfte es dem Besitzer weggenommenwerden. In der zweiten Hälfte des 18. Jahrhunderts reagier-ten viele Denker auf die Enclosure of the commons, dernach 1760 unternommenen Privatisierung der Gemein-schaftsgüter, der Karl Marx die Rolle des Katalysators fürden Übergang vom Feudalismus zum Kapitalismus zuge-schrieben hatte. 1776 fordert Thomas Spence die Kommu-nalisierung des Bodens, deren Rente Haupteinkommen derKommunen werden sollte. Ein Jahr später forderte AdamSmith die Besteuerung des gesamten Bodens, um die Ein-nahmen unter der Gemeinschaft gerecht aufzuteilen.– In großem Maßstab nimmt die Privatisierung desBodens ihren Lauf nach der Französischen Revolution undder Verbreitung des Code Napoléon in Europa. Die Kritikvon Pierre Joseph Proudhon – «Eigentum ist Diebstahl» –sowie von Friedrich Engels, der wie der Ko-Autor des Kom-munistischen Manifests die Kommunalisierung der gesam-ten Erde propagierte, sind ähnlicher Natur, auch wennbeide in der Wohnungsfrage unterschiedlicher Meinung

DAS HAUSUND DER BODEN

FLORIAN HERTWECK

Wie schon in der Romantik symbolisiert die Kathedrale des Bauhaus- Manifests die Kooperation der verschiedenen Künste. Als Vorbildfür das Bauhaus war die Bauhütte jener Ort im Mittelalter, wo dieHandwerker zusammengekommen waren, um unter der Leitung desBaumeisters den Gemeinschaftsbau zu errichten. Nachdem im 19. Jahrhundert der Architekt häufig zu einem Fassadenzeichnerdegradiert wurde, zielten Gropius und seine Mitstreiter damit aufdie Neuausrichtung der Künste und die Rehabilitierung der Archi-tektur ab. Diese expressionistische Ausrichtung des Bauhaus, die sich der Autonomie der Künste verschrieben hatte, wich jedoch

© FOTOCOLLAGE* QUELLE FOTO: AKG-IMAGES · LYONEL FEINGER: BAUHAUS-KATHEDRALE · BAUHAUS-MANIFEST · 1923

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Bauweisen heute weniger denn je zu einer tödlich langwei-ligen, weil gleichförmigen Architektursprache führen müs-sen. Die Gleichförmigkeit entsteht zum einen erst durch dieKombination von Masse und zum anderen durch Vernachläs-sigung von Stadtentwicklung und Raumgestaltung, dieMissachtung von Proportionen und Beziehungen zwischenden Teilen der Serie, durch soziale Verwerfungen, die einemQuartier, das massenhaft preiswerte Wohnungen vorhält,ihren Stempel aufdrücken. Das alles muss nicht sein, aberwenn der Druck groß und Tempo gefragt ist, besteht dieGefahr, dass es genauso kommt. – Fakt ist: WennHerstellungs- und Montageprozesse optimiert und aufSerie ausgerichtet werden, können ein höheres Bautempound größere Effizienz erreicht werden. In einem Wirt-schaftssystem, das auf Skalierbarkeit (Fähigkeit eines Sys-tems zur Größenveränderung und zum Wachstum) setzt, istdies ein wichtiges Argument. Das politische Argument –Wohnraummangel zu beseitigen und bezahlbare Wohnun-gen vorzuhalten – kommt erst danach. – Peter Meyervom Architekturbüro Meyer Grosse Hebestreit Sommererweiß darüber zu erzählen, was es mit dem Heilsverspre-chen, den Möglichkeiten (verpasste und genutzte) und denHemmnissen auf sich hat, die der sogenannten Beseitigungdes Wohnraummangels entgegenstehen. Die Grundfrage

sei, ob es eine wirtschaftliche Basis für serielles Bauengibt, sagt er. «Kann jemand 50 Schulen in Serie bauen odersetzt derjenige vielleicht seine Existenz aufs Spiel, weilnach den 50 Schulen keine weitere Schule kommt? In derDDR gab es zum Beispiel die Schule Typ Erfurt, in der warbis zum Kaffeelöffel alles standardisiert. Spielräume gabes maximal in Farbgestaltung und Fassadenbeschichtung.So etwas geht nur in einem zentral organisierten Systemund der Architekt muss sehen, nicht in diese Mühle zu ge -raten. Das war für ihn ein Elend.» – Peter Meyer be schäftigt die wirtschaftliche Frage. Er hat bereits in sei-nem Metier gearbeitet, als der soziale Wohnungsbau imWesten seine Hochzeit hatte. «Alles klar umrissen und

hinter allem die Frage, welches Dach, welche Baugröße ist förderfähig. Damit waren die Parameter gesetzt. Aber dieseZeiten waren dann auch schnell vorbei.» – DieGesellschaft habe sich, sagt Meyer, in «eine furchterre-gende Qualität gearbeitet», und er meint damit die stetigwachsende Zahl an Vorschriften in Bereichen wie Wärme-schutz, Sicherheit, Lärmschutz, technische Ausstattung, dieeinhergehen bzw. sich beißen mit gestiegenen Erwartun-gen. «Die Luxusvorstellungen, die Wünsche sind ja oftunökologisch. Früher wurde ein Zimmer geheizt, heute sindes alle. Bei dieser Form des Wachstums durch steigendenVerbrauch helfen auch dreifach verglaste Fenster nicht.»Viel schwerer wiege aber, dass zu wenig darüber diskutiertwerde, ob der Massenwohnungsbau nicht auch mit einerkulturellen Verelendung einhergehe. Trivialqualität werdegesichert, der kulturelle Anspruch stehe hintenan. –Peter Meyer hat einmal gemeinsam mit seinen Kollegeneinen Vorschlag für eine interessante Serie in Berlin-Fried-richshain (zwischen Strausberger Platz und Straße der Pari-ser Kommune) unterbreitet. Die drei Blätter, die er zur Erklä-rung auf dem Tisch ausbreitet, erzählen eine Geschichte, diesich zur Versinnbildlichung auch des aktuellen Dilemmas guteignet: 32 zehngeschossige Punkthäuser auf je 18 mal 18Meter Fläche, verteilt auf das Quartier, eine überschaubareSerie, deren Teile den An wohner*innen weder die Luft,noch das Licht, noch die Sonne nehmen würden. Wohnraumund – so ließe es sich sehen – eine Aufwertung der städte-baulichen Qualität durch Struktur und behutsame Verände-rung der Textur des Quartiers. Sehr schön sieht das aus. Undnatürlich gab es mehr Bedenken als Zustimmung, wie dasbei innerstädtischer Bebauung und Plänen zur Verdichtungist. Aus 32 wurden im zweiten Schritt 22, im dritten 17,gebaut worden ist nicht eines. Zum Unmut der Bewoh -ner*innen gesellte sich der Un-Mut der Entscheider*innenund beides zusammen ergab: nichts.

Peter Meyer sieht ein unlösbares Problem: «Es gibt keineUniversalgelehrten mehr, und nicht mehr die Orte, an denenalles zusammen gedacht und bedacht werden kann. Überstädtebauliche Qualität wird kaum noch geredet. Alles istextrem arbeitsteilig, 3-D-Software und Simulationstoolsvereinfachen Planungs- und Fertigungsprozesse, der Tech-nikglaube ist unendlich groß, aber der Prozess der digitalenDurchtechnisierung funktioniert auf der Baustelle nichtmehr, denn hier beginnt dann doch der handwerkliche Pro-zess.» – Meyer spitzt zu und verdichtet: «Man kannästhetisch sehen, dass die Rechner-Architektur wenigerQualität hat als die Handwerker-Architektur. Sehr additiv,weniger Gestaltung. Und niemand stellt mehr die Frage, ob,wenn ich auf dem Flughafengelände Tegel sechs gleicheKitas baue, das dann in Neukölln später genauso aussehenmuss. Aber was wir brauchen ist mehr Varianz. Natürlichhast du Preisvorteile bei der Massenproduktion. Aber wirunterschätzen die Folgen.» – Dies ist kein Vetogegen serielles Bauen in abgeschlossenen Gebieten.«Serie ist ok, aber sie sollte überschaubar klein sein. Es istdoch ein Riesenthema, wie Massenprodukte angeeignetwerden, indem später der Versuch unternommen wird, siefür sich zu individualisieren.» – In der Zeitschrift fürArchitektur «Detail» steht zum Thema Serielles Bauen:«Serielle Systeme dürfen nicht ausschließlich im Kontextvon Stückzahlenoptimierung und wirtschaftlicher Effizienz-steigerung gesehen werden, sondern müssen zugleichsämtliche Anforderungen erfüllen, die auch an jedesandere Gebäude gestellt werden: architektonisch-gestal-

terische, konstruktive und technische ebenso wie energe-tische und ökologische.» – Die allgegenwärtigeFrage ist, ob dazu die öffentliche oder die private Handbesser in der Lage ist. Und dahinter steht die Frage, werbei dem Versuch, einen eklatanten Mangel an Wohnraumin großen Metropolen zu beseitigen, noch oder zumindestbesser Licht, Luft und Sonne mitdenkt.

KATHRIN GERLOF Jahrgang 1962, hat viele Jahre als Redakteurin beiTageszeitungen gearbeitet und ist seit 1995 freiberuflich als Filme -macherin, Autorin und Journalistin tätig. Ihre Romane werden bei Auf-bau verlegt, zuletzt erschien im Herbst 2018 «Nenn mich November».

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gleichen oder zumindest sehr ähnlichen Einzelteilen be -steht. Drei Standard-Einfamilienhäuser auf der grünenWiese (Gästeklo im Hausflur rechts, geradeaus die ameri-kanische Küche) sind also eine Serie. Berlin-Marzahn oderMümmelmannsberg in Hamburg sind die Inkarnation derSerie. Dazwischen liegen Welten, Vorurteile, Heilsverspre-

chen, Übertreibungen, Missverständnisse. Die Begriffe pur-zeln durcheinander, das serielle wird dem modularen Bauengleichgesetzt, die industrielle Vorfertigung von Bauteilenoder Modulen in Werkhallen als Beweis für serielles Bauengenommen. – Dass serielles Bauen immer der Vor-fertigung bedarf, Vorfertigung aber nicht zwingend zurSerie führt, scheint eine Petitesse, ist es aber nicht. Ein-heitliche Bauteile zu verwenden, das war sozusagen eineGrundvoraussetzung für nomadisches Leben mit einemDach über den Kopf. Die Jurte, das Zelt, da Vincis Garten -pavillons, die sich zerlegen und wieder aufbauen ließen, dasalles beruhte auf Vorfertigung, die Mobilität ermöglichte.Der Krieg der modernen Zeit gebar die transportablen Sani-tätsbaracken, der Baustoff Holz ermöglichte, Häuser relativschnell auf- aber auch wieder abzubauen, vor allem, wenndie Konstruktion aus einheitlichen Teilen bestand.

In den zwanziger Jahren des 20. Jahrhunderts gründetenArchitekten in Mailand eine Bewegung namens «raziona-lismo». Sie verkündeten, Architektur müsse sich an die Ord-nung der Vernunft halten, beteten den «reinen Rhythmus»an und nahmen die serielle Wiederkehr einzelner Elementeals gestalterische Grundlage ihres Tuns. Das Heilsverspre-chen der Serie kam erst später, mit der Anerkenntnis derWohnungsnot, wachsendem Elend des Wohnens und

gesellschaftlichen Versuchen, Abhilfe zu schaffen. Über diejeweiligen Intentionen unterschiedlicher Wirtschaftssys-teme, die damit verbunden waren, sind Bücher geschriebenund Kolloquien abgehalten worden – das muss an dieserStelle als Randglosse genügen. – «Razionalismo»ging es um eine sichtbare Ordnung, die sich in einer neuen

Ästhetik ausdrücken und das Chaos bannen sollte. Heutegeht es – mal wieder – darum, das serielle Bauen zurLösung eines in den Metropolen sich zunehmend verschär-fenden Problems heranzuziehen. Und das modulare Bauenauch, womit wir wieder bei der Unschärfe der Begrifflich-keiten wären. Parallel dazu wird die Diskussion geführt, obserielles und modulares Bauen dazu taugen, schleichendund en passant die Standards zu senken und soziale Klüftezu vergrößern. Als die MUF 2.0 (mobile Unterkunft für Ge flüchtete) gepriesen wurde ihrer Möglichkeit wegen,später wirklich armen Familien als Wohnraum zu dienen,wurde davor gewarnt, damit zugleich einer Sichtweise Vor-schub zu leisten, die schlicht und billig für jene Klientel alsausreichend definiert. – 2018 wurde ein erstes euro-paweites Ausschreibungsverfahren für serielles und modu-lares Bauen beendet, in dessen Ergebnis neun Bieter denZuschlag für «innovative Wohnungsbaukonzepte» beka-men, aus denen nun Mitgliedsunternehmen des Spitzenver-bandes der Wohnungsbauwirtschaft (GDW) auswählenkönnen. Das Versprechen: schneller, einfacher, kostengüns-tiger, da eine Rahmenvereinbarung zeitaufwändige Aus-schreibungs- und Vergabeprozesse beschleunige und dievorgefertigten Bauteile Bauzeiten verkürzten. 2.000 bis3.200 Euro pro Quadratmeter Wohnfläche sind aufgerufen,was unter den gegenwärtig üblichen Kosten liegt. Skalen-

effekte in Größenordnungen werden erwartet. Ob darauseine neue Tristesse oder neues Glück erwächst, wird manerst später sehen. Aber da nicht über Stadtplanung, Stadt-entwicklung geredet wurde, sollte die Hoffnung nicht über-bordend sein. – 1929 wurde auf einem Kongress inFrankfurt am Main die Wohnung als Existenzminimum defi-

niert, Bauhausgründer Gropius formulierte den Gedankenaus, schuf gemeinsam mit Hans Scharoun die GroßsiedlungSiemensstadt (1929-1934), Bruno Tauts «Tuschkastensied-lung» Gartenstadt Falkenberg setzte Maßstäbe. Allein inBerlin entstanden zwischen 1914 und 1934 sechs Siedlun-gen, die heute Weltkulturerbe sind. Ernst May sind in die-ser Zeit 12.000 Wohnungen in Frankfurt am Main zu ver-danken. – Der Kerngedanke hinter allem, was vomBauhaus kam: Licht, Luft, Sonne für alle. Typisierung undserielle Vorfertigung setzten die Grundvoraussetzungen.Der Flächenverbrauch war teilweise enorm und ist heuteunter den Verwertungsbedingungen und Spekulationsexzes-sen, die der Kapitalismus aufzwingt, nicht mehr denkbar.– Gesagt wird, dass sowohl Gropiusstadt, als auchMarzahn den damals gedachten Gedanken entsprangen undwiederum die Voraussetzung schufen, dass soziale Brenn-punkte entstehen. Darin steckt Wahrheit und zugleich dieÜbertreibung. Soziale Brennpunkte entstehen durch missli-che soziale Verhältnisse und gesellschaftliche Verformun-gen, die wiederum ihre Basis in einem ökonomischen Sys-tem finden. Man könnte dem Bauhaus also den Vorwurfmachen, dass es an der Stelle den Kapitalismus nicht aus-reichend mitgedacht hat. Ob das weiterbringt, scheint frag-lich. – Der Fortschritt – von Marzahn und Mümmel-mannsberg aus betrachtet – besteht darin, dass serielle

GLÜCKSVERSPRECHENSERIELLES BAUENSerielles Bauen gilt als effizient, ressourcenschonend, wirtschaftlich.Zugleich haftet ihm das Vorurteil an, langweilig zu sein und schnellschäbig zu wirken. Gerade aber stellt es wieder einmal ein Heils-versprechen dar. In allem stecken ein wahrer Kern und zugleichmaßlose Übertreibung. — Zuerst einmal gilt es, auf den Bodender Tatsachen zu kommen. Als Serie zählt, was aus mindestens drei

«Serielle Systeme dürfen nicht aus-

schließlich im Kontext von Stückzahlen-

optimierung und wirtschaftlicher Effizienz-

steigerung gesehen werden, sondern

müssen zugleich sämtliche Anforderun-

gen erfüllen, die auch an jedes andere

Gebäude gestellt werden: architekto-

nisch-gestalterische, konstruktive und

technische ebenso wie energetische

und ökologische.» Serie schafft Struktur

und mit Struktur lässt sich städte bau -

liche Qualität erlangen. Das allerdings

wird viel zu wenig mitgedacht. Statt -

dessen geht es vorrangig um Effizienz.

Typisierung Gebäudetypen, die in Grundzügen gleichsind, zugleich Möglichkeiten der Modifikation eröffnen.Der Typenbau verlangt oft eine serielle Vorfertigung vonBauelementen. Ein Beispiel dafür sind die in der DDR ent-wickelten Wohnungsbauserien (Plattenbau), Q3A alserste drei-, vier- und fünfgeschossige Großserie, späterund bis zum Ende der DDR, WBS 70, basierend auf einemPlattenraster von 1,20 mal 1,20 Meter. Typisierung in die-ser Weise hat oft eine gewissen Monotonie im Stadtbildzur Folge, zeichnet sich aber durch nicht unbeträchtlichenVariantenreichtum bei der inneren Grundrissaufteilungaus, die jedoch keine etagenweise Abweichung erlaubt. Vorfertigung Heißt erst einmal nur Auslagerung der Pro-duktion von Bauteilen. Bauen mit vorgefertigten Teilen istBasis und Grundlage der Architekturproduktion und reichtvon der Normierung bei Ziegelsteinen bis hin zur Fertigpro-duktion ganzer Raummodule. Im 20. Jahrhundert gewanndie Idee der Vorfertigung vor allem im Zusammenhang mitder Diskussion über Lösungen für Wohnungsmangel unddie Verminderung sozialer Ungleichheit an Kraft undZuspruch. Vorfertigung kann witterungsunabhängig undzeitlich getrennt vom Bauprozess stattfinden, ermöglichtbessere Qualitätskontrolle und größere Effizienz.Serielles Bauen Meint mehrere oder eine Serie vonBauten nach gleichem Gebäudeplan. Serielles Bauen istwenig flexibel, kann aber sowohl in konventioneller Bau-weise (Stein auf Stein) als auch mit vorgefertigten Teilenpassieren. Aber der Zahl drei reden wir von einer Serie.Modular – ein Beispiel macht Schule MOBS ist diewenig charmante Abkürzung für das interessante «Modell-vorhaben zur Beschleunigung von Schulneubauten» derBerliner Regierung. Beschlossen 2016 wurde ein nichtof-fener Realisierungswettbewerb mit 15 Teilnehmendendurchgeführt, die aufgefordert waren, eine typisierte undmodular konzipierte Grundschule mit Sporthalle zu ent-werfen. Ein flexibler und möglichst wirtschaftlicher Typen-bau, mit dem sich neue räumliche Konzepte umsetzen las-sen, sollte es sein. Klar ist: Spätestens im Jahr 2026 wer-den in Berlin rund 53.000 mehr Schülerinnen und Schülerlernen, als gegenwärtig. 5,5 Milliarden Euro wurden vomLand für die Schulbauoffensive bereitgestellt. Und da dasLand ab 2020 und der Schuldenbremse wegen keine Kre-dite mehr aufnehmen kann, bekommt die kommunaleWohnungsbaugesellschaft HOWOGE, die dies tun darf,einen Großauftrag. Mit der Cluster-Schule setzt Berlineinen Trend fort, dem andere Kommunen folgen. Damitkönnte fast das Ende der Klassenzimmer-Flur-Schulen, wiewir sie kennen und nicht lieben, eingeläutet werden.Stattdessen werden die neuen Schulen dem Cluster-Prin-zip folgen – räumliche Offenheit, visuelle Verbindungen,flexible Nutzungsmöglichkeiten bei Flächen.

KATHRIN GERLOF

© FOTOCOLLAGE* QUELLE FOTO: CSM-SYSTEMBAU-SHELTER2020 · AGK-IMAGES

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Wem gehört die Stadt? Immer häufiger wird diese Fragegestellt, aber es gibt zu wenige Antworten. Und es geht beiMietsteigerungsraten von 150 Prozent in zehn Jahren inBerliner Innenstadtbezirken um mehr Hintergrundwissen.Um sich wehren zu können, um zu wissen, wen man über-haupt ansprechen und adressieren kann. Die im Juni 2019bei der Rosa-Luxemburg-Stiftung erschienene Studie «Pro-fitmaximierer oder verantwortungsvolle Vermieter? GroßeImmobilienunternehmen mit mehr als 3.000 Wohnungen inBerlin im Profil» von Christoph Trautvetter und Sophie Bon-cyk liefert Hintergrundinformationen zu den Eigentümernund den Geschäftspraktiken der Unternehmen, die in Berlinmehr als 3.000 Wohnungen besitzen und damit von demVolksentscheid «Deutsche Wohnen & Co. enteignen»betroffen wären. Die Rosa-Luxemburg-Stiftung unterstütztMultiplikatoren (Verwaltung, Politiker, Journalisten) undMieter*innen bei der Analyse der wirtschaftlichen Zusam-menhänge und zeigt, wie durch die Profitorientierung dieUngleichheit erhöht und Gesellschaften ausgehöhlt werden.WWW.ROSALUX.DE/PUBLIKATION/ID/40502/PROFITMAXIMIERER-ODER-VERANTWORTUNGSVOLLE-VERMIETER/

100 JAHRE GROSS-BERLINKOLLOQUIEN · PUBLIKATIONEN · AUSSTELLUNG

Im Jahr 2020 jährt sich eines der bedeutendsten Ereignissein der Geschichte Berlins zum 100. Mal: die Bildung derneuen Stadtgemeinde zum 1. Oktober 1920. Das so ge nannte«Groß-Berlin-Gesetz» wurde nach vielen Jahren harter Aus-einandersetzung am 27. April 1920 verabschiedet – «mit lebhaftem Beifall der Linken und Zischen von seiten derRechten», wie es in den Zeitungen damals hieß. Die Stadt-fläche wuchs dabei um das Dreizehnfache, die Bevölke-rungszahl verdoppelte sich auf knapp 3,9 Millionen; Berlinwurde zur drittgrößten Stadt der Welt. Die Hermann-Hen-selmann- Stiftung nimmt dieses Jubiläum zum Anlass, sichin mehreren Kolloquien mit Schlüsselthemen der Stadtent-wicklung des Großraums Berlin zu befassen: Im Lichte derdamaligen Erfahrungen sollen die aktuellen Herausforde -rungen interpretiert und für die Zukunft formuliert werden. Die Ergebnisse der Kolloquien werden in Buchform publiziert.

KOLLOQUIEN

15. HERMANN-HENSELMANN-KOLLOQUIUM —4) DIE PLANUNGSKULTUR · MÄRZ 2019

Im März 2019 fand das 4. Kolloquium der Veranstaltungs-reihe «100 Jahre Groß-Berlin» statt. Groß-Berlin war und istein Spiegel der Planungskultur, der Suche nach Ordnungeiner chaotisch wachsenden Großstadt. Dazu gehörte dieSuche nach großen Plänen, aber auch der dauernde Streitzwischen den Bezirken und dem Berliner Magistrat, zwischenBerlin und seinem Umland. Heute stellt sich erneut dieFrage nach einer Planungskultur. Diese umfasst eine Ver-ständigung über die strategische Planung einer wachsendenund nachhaltigen Großstadtregion, aber auch über eineneue Qualität öffentlicher Steuerung mit angemessenenInstitutionen, rechtlichen und finanziellen Instrumenten –im Rahmen einer Verständigung von Politik und Verwaltungin Berlin und Brandenburg und einer Beteiligung zivilgesell-schaftlicher Initiativen. WWW.HERMANN-HENSELMANN-STIFTUNG.DE/ARCHIVE/1378

16. HERMANN-HENSELMANN-KOLLOQUIUM —5) PERSPEKTIVEN: SIEDLUNGSSTERN · MÄRZ 2020

Im Jahr 2020 wird die Veranstaltungsreihe «100 JahreGroß-Berlin» mit einem strategischen Thema abgeschlos-sen. Berlin und sein Umland präsentieren sich heute alsSiedlungsstern. Zugleich ist der Siedlungsstern ein Leitbildim neuen Landesentwicklungsplan für die HauptstadtregionBerlin-Brandenburg. Woraus besteht aber dieser Stern?Was hat er für Potenziale, wo liegen die Probleme? Wiekann er gefestigt und weiterentwickelt werden – als öffent-licher Raum, als Hauptbühne der Verkehrswende, als Platt-form für Stadtteilzentren, als Standort Identität stiftenderBauwerke, als Raum für Nachverdichtung, als Kontrastraumzu den Regionalparks. Hier sind viele Akteure gefragt: dieBezirke, die Umlandgemeinden, die beiden Länder, die ver-schiedenen Senatsverwaltungen, aber auch zivilgesell-schaftlichen Initiativen und Wirtschaftsverbände.

PUBLIKATIONEN

1) WOHNUNGSFRAGEDas Groß-Berlin-Gesetz von 1920 schuf entscheidende Rah-menbedingungen für eine neue Wohnungspolitik, die zur Ver-besserung der Wohnverhältnisse breiter Schichten führte.Erst mit Groß-Berlin wurde eine einheitliche kommunale Pla-nung und ein öffentlich kontrollierter Wohnungsbau möglich,der in der Weimarer Republik, in der nationalsozialistischenZeit und in den Jahrzehnten der Spaltung der Stadt unter-schiedliche Formen annahm. Vor dem Hintergrund dynamischwachsender Bevölkerungszahlen und steigender Mietenstellt sich heute wieder und dringlich die Frage nach einerneuen Wohnungspolitik, und zwar nicht nur für die Innen-stadt, sondern für die gesamte, wachsende Hauptstadtre-gion. Das Buch (224 Seiten) bereichert historische und aktu-elle Beiträge um Erfahrungen aus London, Moskau und Paris.WWW.HERMANN-HENSELMANN-STIFTUNG.DE/ARCHIVE/1009

2) VERKEHRSFRAGE

Groß-Berlin war zunächst ein Produkt des neuen Schnell-bahnverkehrs und später die Bühne der autogerechtenStadtregion. Groß-Berlin hat widersprüchliche Verkehrsge-schichte geschrieben. Nach der Wiedervereinigung wurde– mit 100 jähriger Vorbereitung – ein neues Eisenbahnsys-tem mit neuen Hauptbahnhöfen realisiert. Die immer nochnicht abgeschlossene Neuorganisation der Flughäfen wirddie Schwerpunkte in der Stadtregion weiter verändern.Heute ringen wir um eine Mobilitätswende, zugleich wirdder innerstädtische Autobahn(halb)ring A 100 weiter ausge-baut. Das Buch (208 Seiten) bereichert historische und aktu-elle Beiträge um Erfahrungen aus London, Paris und Wien.WWW.HERMANN-HENSELMANN-STIFTUNG.DE/ARCHIVE/1245

3) GRÜNFRAGEBereits beim Wettbewerb Groß-Berlin 1910 war klar gewor-den: Wachsende Großstadtregionen brauchen nicht nur Ver-kehrsstraßen und Wohnquartiere, sondern auch Stadtgrün:grüne Keile, grüne Ringe, grüne Straßen, grüne Plätze und«Gartenstädte». Angesichts des Wachstums Berlins und sichzuspitzender Herausforderungen des Klimawandels, Arten-und Ressourcenschutzes stellt sich heute die Frage nacheiner Balance zwischen Stein und Grün in anderer Weise alsin der Nachkriegszeit. Das Buch (240 Seiten) bereichert historische und aktuelle Beiträge um Erfahrungen aus Paris.WWW.HERMANN-HENSELMANN-STIFTUNG.DE/ARCHIVE/1245

AUSSTELLUNG

Am 1. Oktober 2020, genau zum 100. Jahrestag der Schaf-fung von Groß-Berlin, wird die Ausstellung «100 Jahre(Groß-) Berlin. Ein unvollendetes Projekt» im Kronprinzen -palais eröffnet, die im Auftrag des Architekten- und Inge-nieur-Vereins zu Berlin von der Berlin 2020 gGmbH vorberei-tet wird. Die Hermann-Henselmann-Stiftung ist ein Partnerdieses Ausstellungsvorhabens, die Ergebnisse der Kollo-quien werden im Konzept der Ausstellung berücksichtigt.WWW.AIV-BERLIN.DE/UPLOADS/100-JAHRE-BERLIN/190430_BB2020_FLYER.PDF

BUCHREZENSION

BRUNO FLIERL – HAUS STADT MENSCH ÜBER ARCHITEKTUR UND GESELLSCHAFT. GESPRÄCHE · DAS NEUE BERLIN 2019Nachdem 2017, zum 90. Geburtstag des Architekturtheore-tikers und -kritikers Bruno Flierl, Aufsätze aus sechs Jahr-zehnten erschienen waren, liegt nun ein Band mit Gesprä-chen mit Bruno Flierl vor. Zehn Kapitel rekapitulieren diethematischen Schwerpunktes seines Lebenswerks: Stadt-planung und Städtebau in der DDR und der Umgang mitihrem Erbe heute, die Entwicklung des Ost-Berliner Stadt-zentrums, Schloss-Palast-Humboldt Forum, Hochhäuser inder Stadt, eine kritische Würdigung des industriellen Woh-nungsbaus, Architektur und bildende Kunst, Auftraggeberund Architekt. Vorangestellt ist eine biographische Selbst-auskunft (vgl. auch seine Autobiographie Selbstbehauptung.Leben in drei Gesellschaften bei Theater der Zeit 2015).– Diese enorme Produktivität im hohen Alter ist beein-druckend, sie hält Bruno Flierl am Leben und kostet ihnzugleich die letzten Kräfte. Obgleich er immer wieder Textezum selben Thema schrieb, hat er sich nie wiederholt. SeineArbeitsdokumentation ist online zugänglich: DDR-PLANUNGSGESCHICHTE.DE/BRUNO-FLIERL/

Das neue Buch fand in der FAZ vom 24. Mai 2019 eine sehrpositive Be sprechung. Man könne bei Flierl nachlesen,warum es nach dreißig Jahren mit der vielbeschworenen«inneren Einheit» so schlecht stehe. Wenn Flierl «von sei-nem – am Ende erfolglosen – Einsatz für den Erhalt desRepublikpalastes erzählt oder die beabsichtigte baulicheNachverdichtung des Areals zwischen Fernsehturm undSchlossneubau kritisiert, ist keine Bitterkeit zu hören, son-dern das Sentiment des sozialistischen Romantikers. Oderwie er selbst sagt: ‹I had this dream.›»

HENSELMANN – BEITRÄGE ZUR STADTPOLITIKDas Zeitungsmagazin HENSELMANN #2 erscheint im neuenFormat und kann bestellt werden – unter folgendem Link:WWW.HERMANN-HENSELMANN-STIFTUNG.DE/ORDERS

IMPRESSUM

HENSELMANN – Beiträge zur Stadtpolitik – herausgegeben vonder Hermann-Henselmann-Stiftung in Kooperation mit der Rosa-Luxemburg-Stiftung – Redaktion: Thomas Flierl (V.i.S.d.P.), KathrinGerlof, Tom Strohschneider (common verlagsgenossenschaft e.G.),Stefan Thimmel (Rosa-Luxemburg-Stiftung), Layout und Grafik: Dieter Feseke – Druck: DBM Druckhaus Berlin-Mitte © 2019 —Die Herausgeber haben sich bis Redaktionsschluss bemüht, dieInhaber von Abbildungsrechten ausfindig zu machen. Personen undInstitutionen, die möglicherweise nicht erreicht worden sind undRechte an verwendeten Abbildungen beanspruchen, werden gebe-ten sich nachträglich mit dem Herausgeber in Verbindung zu setzen.

* SERIAL FOTOCODE | TYPOFOTO · COLLAGEN (16, 17, 32)* INFOGRAFIKEN (8-9, 24-25) © 2019 DIETER FESEKE

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PROJEKTEVORTRAGSREIHE · AUSSTELLUNG · TAGUNG · STUDIEN

BAUHAUS LECTURES 2018/2019 · RÜCKBLICK

Was bringt das große Bauhaus-Jubiläum, was sind die inte-ressanten Kontroversen über das politische und gestalte -rische Erbe, welche Bezüge lassen sich zur heutigen gesell-schaftlichen Situation herstellen? Um Fragen wie diesedrehte sich die nun abgeschlossene VeranstaltungsreiheBauhaus Lectures, die in den vergangenen Monaten vielfäl-tige Perspektiven auf die einflussreichste Bildungsstätte fürArchitektur und Design im 20. Jahrhundert ermöglichte.Organisiert vom Bauhaus-Institut in Weimar und der Her-mann-Henselmann-Stiftung in Kooperation mit der Rosa-Luxemburg-Stiftung konnten dabei seit dem vergangenenHerbst unter anderem Forschungsergebnisse zur Real- undRezeptionsgeschichte des Bauhauses mit der interessiertenÖffentlichkeit diskutiert werden. Gestartet wurden dieLectures im Oktober 2018 an historischer Stätte in Weimarmit einem Vortrag des Thüringer Kultusminister Benjamin-Immanuel Hoff. Das Bauhaus in seiner Vielfalt und Ambiva-lenz sowie in seiner gesellschaftlichen Verortung zu erfas-sen, statt es zu einem werbewirksamen Markenträger zudegradieren, galt auch bei den anderen Veranstaltungen alsRichtschnur. Ines Weizmann blickte auf «Die Neuerfindungvon Raum und Zeit» rund um das Jahr 1919, Max WelchGuerra stellte das Bauhaus in den Kontext von Reform derLebenswelt und gesamtgesellschaftlicher Rationalisierung,in Thomas Flierls Vorträgen standen die Bauhaus-Rezeptionin der frühen Sowjetunion und die Rolle von Hannes Meyerim Zentrum. – Der Bedeutung und Widerspiegelung,die das Bauhaus in der BRD und der DDR erlebten, widme-ten sich Philipp Oswalt und Wolfgang Thöner. Anja Gut -tenberger stellte die Bundesschule des ADGB in Bernau(UNESCO-Welterbe) unter anderem bei einer Exkursion vorOrt vor. Und bei einer die Bauhaus Lectures abschließenden«Kritischen Revue» diskutierten Annemarie Jaeggi (Direktorindes Bauhaus-Archivs Berlin) und Philipp Oswalt (UniversitätKassel / projekt bauhaus) mit Thomas Flierl über die Bezie-hungen zwischen der medialen und touristischen Vermark-tung, der Musealisierung und der Erforschung des Bauhausim Jubiläumsjahr sowie über das generelle Spannungsver-hältnis von Historisierung und Aktualisierung des Bauhaus.

BAUHAUS · SHANGHAI · STALINALLEE · HA-NEUDER LEBENSWEG DES ARCHITEKTEN RICHARD PAULICK

Aus Anlass der diesjährigen Triennale der Moderne (11. bis13. Oktober 2019) plant die Hermann-Henselmann-Stiftung,im Café Sibylle eine Ausstellung über Richard Paulick zu zei-gen, den Bauhäusler, China-Emigranten, Architekten desWiederaufbaus der Staatsoper und der Blöcke C-Nord und -Süd der Stalinallee in Berlin, den Chefarchitekten von Hoy-erswerda und Halle-Neustadt. Die Wege der Architekturkreuzen sich im 20. Jahrhundert. Zur selben Zeit als dasBauhaus in der DDR offiziell als «formalistisch» und «kos-mopolitistisch» abgelehnt wurde, entwirft der Bauhäuslerund welterfahrene Architekt Paulick zwei klassische Pro-jekte der «Architektur der nationalen Traditionen» (Staats-

oper/Block C), um wenige Jahre später die beiden Neubau-städte der DDR in industrieller Bauweise zu gestalten undzu bauen. Diesen Weg vom Bauhaus zur Stalinallee undzurück will das Team von Architekturhistorikern aus Wolf-gang Thöner, Eduard Kögel, Andreas Butter, Ulrich Hartung,Oliver Sukrow und Thomas Flierl, gemeinsam mit der Enke-lin Natascha Paulick und dem Gestalter Dieter Feseke, nach-zeichnen. Zur Ausstellung erscheint eine Begleitpublikation.

WENDE-BAUHAUS:BAUHAUS-WENDE TAGUNG AM BAUHAUS DESSAU | 8.–10.11.2019In der Woche vom 4. zum 10. November 1989 fand am Bau-haus in Dessau das II. Internationale Walter-Gropius-Semi-nar statt – ein programmatisches Planungsseminar, das denGrundstein legte für das Langzeitprojekt Industrielles Gar-tenreich, das im Jahr 2000 Teil der Weltausstellung EXPOwurde. Was war dieses Seminar? Was waren die Heraus-forderungen seinerzeit? Wer waren die Partner? Was wardas Bauhaus in der DDR? Welche Rolle spielte diese einzig-artige Institution in den letzten Jahren der DDR? WelcherImpuls ging von ihr aus und welche Rolle spielte sie in derWende? Was bedeutete die Wende für diese Institution undfür die Region?– Diesen Fragen möchte – genau 30Jahre später – eine Tagung vom 8. bis 10. November 2019am Bauhaus in Dessau nachgehen. Es werden sowohl Zeit-zeugen wie der ehemalige Direktor, Prof. Dr. Rolf Kuhn, aberauch ehemalige Mitarbeiter*innen sowie Gäste aus dem In-und Ausland eingeladen, die in der Wendewoche des Jah-res 1989 am Gropius-Seminar teilnahmen. Zudem werdendas historische Bauhaus wie das neu eröffnete Bauhaus-Museum in Dessau besichtigt, aber auch die Projekte in derRegion, die aus der Idee von 1989 hervorgegangen sind unddie Transformation der Region Dessau-Bitterfeld-Witten-berg insgesamt begleitet haben.– Heute stellt sichauch die Frage, wie mit dem Erbe des LangzeitprojektsIndustrielles Gartenreich umzugehen ist. Schließlich ist esauch ein – wenngleich oft übersehenes – Bauhaus-Erbe: Esgab nicht nur ein Bauhaus, es gab auch das Bauhaus, das inder DDR im Jahr 1986 neu gegründet worden war und dasin der Wende jenes Modell regionaler Transformation aufden Weg gebracht hat. Welche Bilanz ist zu ziehen? WelcheErfahrungen lassen sich ableiten und wie können diese dieDebatten um die aktuelle Transformation bereichern? DerAusstieg aus der Braunkohle bis 2038 ist Teil eines neuen,grundlegenden Strukturwandels, der wesentlich durch dieEnergiewende und den Klimawandel mitgeprägt ist: WelcheRolle spielen dabei die Region und das Land Sachsen-Anhalt? Welche neuen Ideen und Vorhaben erwachsendabei für die Region und vergleichbare Orte weltweit?

RLS-CITIES: REBELLISCH.LINKS.SOLIDARISCH.BERLIN-KONFERENZ ZU WOHNEN, BAUEN, STADT

Zur RLS-Cities Konferenz der Rosa-Luxemburg-Stiftungkamen am 28.02. und 01.03.2019 über 400 Teilnehmer* -innen zusammen, um erstens die Frage: «Wie rebellisch,links und solidarisch ist die Stadtpolitik in Berlin?» zu disku-tieren und zweitens mit den über 75 Referent*nnen ausDeutschland, Spanien, Österreich und den Niederlanden ininsgesamt zwölf Panels Themen wie «Braucht es ein öffent-

liches Wohnungsbauprogramm?, Zusammen tun! Wie wiruns gemeinsam gegen den Mietenwahnsinn wehren kön-nen, Nachbarschaften erhalten! Gegen Verdrängung undVerdrängende, Wem gehört Berlin? Nach Google ist vor Sie-mens» – Smart Cities, Digitale Stadt und Gentrifizierung 4.0Wem zahl ich eigentlich Miete? Oder Wohnungsbaugenos-senschaften, Mietshäusersyndikat, Stiftungen u.a. Wasjetzt gebraucht wird!» kontrovers zu besprechen. Verschie-dene politische Akteursebenen waren präsent: Vertretenwaren sowohl politische Mandatsträger*innen aus demBundestag, aus verschiedenen Landesparlamenten sowiekommunalpolitisch Aktive aus verschiedenen Kommunen.Dazu Vertreter*innen der kritischen Wissenschaft, Akti-vist*innen aus bundesweiten, landesweiten und lokalenStadtinitiativen, Gewerkschaften und Verbanden. Und auchviele ganz konkret Betroffene wie Vonovia-Mieter*innen,Deutsche Wohnen-Häuser Mieter*innen, VertreterInnenaus einzelnen Hausern, Aktive aus Organizing-Kampagnen,Stadtteilinitiativen, Gewerbetreibende etc. All diesen Ak -teur* innen konnte auf der Konferenz eine Plattform zurPrasentation ihrer konkreten Situation sowie ein Vernet-zungsraum geboten werden. Eine Dokumentation der Dis-kussionsrunden auf der Konferenz findet sich auf der Web-seite der Rosa-Luxemburg-Stiftung.WWW.ROSALUX.DE/DOKUMENTATION/ID/40141/RLS-CITIES-REBEL-LISCHLINKSSOLIDARISCH/

EINE NEUE BODENREFORMDEBATTE

Im Februar 2019 hat die Rosa-Luxemburg-Stiftung die aktu-elle Studie «Die kommunale Bodenfrage – Hintergrund undLösungsstrategien» von Dr. Werner Heinz und Prof. Dr. BerndBelina vorgestellt. Bodenspekulation, so zeigen die Erfah-rungen aus anderen Ländern und auch in Deutschland, ziehtfrüher oder später die Verdrängung von an den Bedürfnissenvon mittleren und niedrigen Einkommensgruppen orientier-ten Wohnräumen, Gewerbestrukturen sowie sozialen undkulturellen Einrichtungen aus bestimmten Lagen nach sich.Je teurer der Grund, desto größer ist das Interesse am Bauvon Luxuswohnungen und neuen Konsumtempeln – obwohlvielerorts dringend Platz für Kitas, Spielplätze, Grünflächenoder eben erschwinglichen, also «leistbaren» Wohnraumbenötigt wird. Um etwas an dieser sich in vielen Kommunenin Deutschland immer stärker zuspitzenden Situation ändernzu können, ist daher eine andere, eine sozial ausgerichteteBodenpolitik zentral. Boden sollte keine Ware sein wie jedeandere. Es sollte möglich sein, nicht zuletzt auf der Grund-lage von Artikel 15 des Grundgesetzes – der besagt, dassGrund und Boden zum Zweck der Vergesellschaftung inGemeineigentum oder andere Formen der Gemeinwirtschaftüberführt werden kann – zum Schutz der Bevölkerung unddes Gemeinwohls hier von öffentlicher Seite Eingriffe vor-zunehmen und stärkere Vorgaben zu machen. Die Studiebeleuchtet die Ursachen der herrschenden Bodenproblema-tik und stellt positive internationale Beispiele und möglicheLösungsansätze vor. Sie zeigt: Wer die Bodenfrage nichtgrundsätzlich klärt, wer den Boden auf Dauer dem Zugriffder Kommunen entzieht, hat einen deutlich geringerenSpielraum, bezahlbaren Wohnraum zu schaffen.WWW.ROSALUX.DE/PUBLIKATION/ID/40013/DIE-KOMMUNALE-BODENFRAGE/

HERMANN HENSELMANN STIFTUNGMELDUNGEN · PROJEKTE · REZENSIONEN

STUDIE · GROSSE IMMOBILIEN UNTERNEHMENIN BERLIN

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